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Autor: Rogge, Jan-Uwe.Titel: Fantasie, Emotion und Kognition in der 'Sesamstrae'.Quelle: TelevIZIon, Ausgabe 15/2002/1 Mnchen 2002. Verlag: Internationales Zentralinstitut fr das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI).Die Verffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Jan-Uwe Rogge
Fantasie, Emotion und Kognition in der"Sesamstrae"
Anmerkungen zu den Rahmengeschichten
Kinder haben eine magisch-fantastische Wirklichkeitsauffassung. Sie mgeneinfache und klare Geschichten, die mrchenhafte Elemente aufweisen, die sie mitihrer Fantasie besetzen knnen. In einer Rezeptionsuntersuchung zur Sesamstraefanden Kinder dies vor allem in den Muppet-Geschichten oder der Figur Pepe. Ineinigen Einspielfilmen hingegen fhlten Kinder sich nicht ernst genommen.
1. Max trifft Ernie und BertMax, 4 Jahre, kommt mit seiner Mutter in die Beratung. Sie wirkt einigermaen genervt.Max zeichnet sich dadurch aus, dass er im Haus seiner Eltern Chaos verbreitet.Mutter (genervt): "Das Schlimmste, er sagt, er mache nicht die Unordnung, sondern dasmachten Ernie und Bert, die ihn besuchen." Sie sieht mich an: "Stellen Sie sich vor, Ernieund Bert, der spinnt doch!" Max: "Nicht Ernie und Bert, nur Ernie, Mama, nur Ernie!" Mutter: "Hr auf!"Ich greife ein und frage Max: "Wie ist das?" Max (lachend): "Die kommen, rumen alles aus den Kisten und dann verschwinden dieeinfach, ohne wieder aufzurumen!" Mutter: "Max, bitte! Hr sofort auf mit dieser Spinnerei!"Max: "Aber du sagst, wer Unordnung macht, muss das aufrumen! Nur Ernie macht dasnicht! Der haut immer gleich ab!" Mutter mit schriller Stimme: "Max! Hr sofort auf mit deinen Geschichten!"Ich wende mich an Max und frage: "rgert dich das?"Max nickt."Wenn dich das strt" hake ich nach, "warum sagst du dann nichts?"Er sieht mich irritiert an. "Hast du dir etwas berlegt?" Max schttelt den Kopf.
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"Sagen Sie ihm", greift die Mutter ein, "er soll geflligst mit seinem Gespinne aufhren! Ersoll aufrumen!" Sie ist wtend. "Dieser verfluchte Mist aus dem Fernsehen! Dabei soll dieSesamstrae doch eine gute Sendung sein. Da soll man was lernen." Sie sieht michentnervt an: "Und dann dieses Ergebnis!" Max lchelt mich an."Max", wende ich mich an ihn, "ich wrde mit Ernie sprechen, sagen, dass dich dasrgert, wenn er nicht aufrumt!""Wie bitte?" platzt die Mutter dazwischen. "Sie haben zu viel Verstndnis mit ihm! Siehaben wohl auch zu viel ferngesehen!"Aber Max schaut mich aufmerksam an. "Ich soll mit ihm schimpfen?" antwortet erzgerlich."Ja!" "Wie denn?"Ich sehe in an: "Ich wrds so versuchen: Ernie, du kannst mit mir spielen. Aber du musstdann wieder aufrumen, bevor du gehst. Sonst brauchst du gar nicht mehr zu kommen!"Max nickt heftig, so, als habe er die Botschaft verstanden. Dann sieht er mich fragend an:"Und wenn er das nicht macht?""Dann kannst du ihm sagen, du brauchst gar nicht mehr zu kommen!"Drei Wochen spter. Die Mutter kommt wiederum in die Beratung: "Er rumt auf!" Max istdabei und lacht: "Ich hab mit dem Ernie geschimpft!""Und?""Nun kommt er nicht mehr. Nun bleibt er in der Sesamstrae und macht dort seinenUnsinn."
Kinder erfinden unsichtbare Gefhrten, unsichtbar nur fr Erwachsene, fr Kinder sind sie
zum Greifen nahe. Es sind Figuren, die in der Fantasie entstanden sind oder wo Medien
Geburtshelfer waren Figuren, die mit den Kindern durch Dick und Dnn gehen, fr eine
Zeit lang untrennbar mit ihnen verbunden sind. Eltern haben Probleme damit, weil sie
meinen, das Kind wrde aus der Realitt fliehen und dabei Wirklichkeit und Fantasie
vermischen. Aber ganz im Gegenteil: Solche Figuren sind fr die gefhlsmige
Entwicklung des Kindes auerordentlich wichtig. Die Gefhrten dienen als Kleister, um
Lcher im manchmal noch lckenhaft intellektuellen Lernprozess zu stopfen aber sie
sind ungefhrlich fr das Kind. Es lsst sich freiwillig auf sie ein, es bestimmt ber sie, es
lenkt sie. Das Kind besetzt aber die Figuren mit eigenen Wnschen und Gedanken. Um
es auf Max zu bertragen: Er hat eine ebenso einfache wie magische und kindgerechte
Lsung gefunden. Max konnte die Kritik der Eltern an seiner Unordnung nicht annehmen.
Er empfand sie wohl weniger als Kritik an der Sache denn als Kritik an seiner Person. Je
vehementer die elterlichen Vorwrfe wegen seiner Unordnung kamen, umso intensiver
fhrte er seine kleinen Rachefeldzge vor, die die Eltern allmhlich zur Verzweiflung
trieben. Die Bedeutung von Max Fantasien wird sehr schnell klar. Ernie verkrperte Max
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polare Sichtweise, die so typisch fr die Altersstufe zwischen drei und fnf ist: die
Aufspaltung in gute und bse Personen. Ernie reprsentierte das "Bse", Max das "Gute".
Eine differenzierte Betrachtung von Personen das heit, dass sich auch eine Entweder-
oder-Haltung, eine Sowohl-als-auch-Haltung entwickelt gewinnen Kinder frhestens
vom fnften Lebensjahr an. Erst allmhlich wandelt sie sich. Ernie diente Max als Vehikel,
ein magisches Vehikel, dessen Bedeutung fr die Eltern auf den ersten Blick nicht zu
erkennen war. Meine Beobachtung: Wenn Eltern und Erwachsene sich mehr auf eine
genauere Beobachtung ihrer jngeren Kinder einlassen knnten, Eltern lernten, fr deren
magisch-fantastische Sichtweise Verstndnis zu entwickeln, dann gelnge es, schon mit
Kindern zwischen zwei und fnf Jahren zu Konfliktlsungen zu kommen. Zwar htten sie
nur eine begrenzte Zeit Gltigkeit, knnten aber manchen Machtkampf auf eine ebenso
berraschende wie witzige Weise beenden.
2. Die Bedeutung der magisch-fantastischen Phase in der kindlichenEntwicklungDie magisch-fantastische Phase des Kindes reicht vom vierten Lebensjahr bis in das
Grundschulalter hinein. Dem magischen Denken wird in der Bildungsdiskussion der
letzten Jahrzehnte eine nachgeordnete Bedeutung zugewiesen zu sehr stehen
Rationalitt und die Orientierung an kognitiven Lernzielen schon im Vorschulalter an
vorderster Stelle. Der Leistungsgedanke ist auf das intellektuelle Vermgen und weniger
auf die sozialen, motorischen und gefhlsmigen Fhigkeiten des Kindes festgelegt.
Aber es ist wichtig, sich zu vergewrtigen:
Das Kind empfindet sich in der magischen Phase als eine Art Mischung aus
Wissenschaftler und Magier, aus Forscher und Knstler. Auf der einen Seite wei das
Kind um reale Ablufe, wei um die Hintergrnde vieler Dinge. Aber daneben gibt es
ganz zwangslufig riesige Lcken, die das Kind mit eigenen Fantasien und selbst
gestalteten berlegungen fllt.
Kinder denken in Bildern. Und diese vom Kind konstruierten Bilder seien es das
Monster, der Schatten oder der imaginre Ruber knnen genauso wahrhaftig sein wie
die Wirklichkeit, die das Kind umgibt.
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Das Kind beseelt Dinge, haucht ihnen seinen Willen ein, gibt ihnen eigene Bedeutung. So
knnen die Legosteine im dritten Lebensjahr noch zum imaginren Spielgefhrten werden
jene Steine, die das Kind dann ab dem fnften Lebensjahr fast nur noch als
Spielmaterial ansieht. Wenn im dritten Lebensjahr noch der Batman-Umhang reicht, um
sich wie dieses Vorbild zu fhlen, so muss es im siebten Lebensjahr die
Gesamtausrstung sein, um die Fantasie aufzubauen, man sei der Superheld.
Doch erweist sich die selbst bestimmte Beseelung von Dingen manchmal als
widersprchlich: Sie gibt den Kindern Kraft, um Selbstbewusstsein und Eigenstndigkeit
zu demonstrieren. Aber durch die magische Besetzung knnen aus harmlosen
Gegenstnden oder Situationen frchterliche Monster werden. Da entstehen aus dunklen
Schatten Geister, da werden aus wehenden Gardinen Einbrecher und knarrende
Gerusche mit berlebensgroen Einbrechern gleichgesetzt.
Kinder sind den Objekten der Um- und Nahwelt niemals passiv ausgeliefert. Sie
entwickeln selbstbewusste und eigenstndige Techniken, um sich der Wirklichkeit zu
stellen, sich mit ihr auseinander zu setzen. Kinder erfinden zum Beispiel Fantasiefiguren,
unsichtbare Gestalten, die eine Zeit lang Begleiter sind, um dann wieder aus ihrer Welt zu
verschwinden.
In Fantasiegeschichten und Mrchen werden dem Kind Erklrungen angeboten, die ihm
emotionale Strkung geben. Solche Genres rufen deshalb Erstaunen und Verwunderung
hervor, weil das Kind schon Erkenntnisse darber hat, dass es nicht so sein kann, wie es
in diesen Geschichten passiert. Die Perspektive des "Es knnte so sein" stellt dabei
neben dem realistischen Blick eine andere Sichtweise auf Wirklichkeit dar.
Im Spiel verarbeiten Kinder bedrohliche, ngstigende Eindrcke. Im Spiel durchlebt das
Kind ganze Gefhlspaletten, es hat deshalb wie es der Psychologe Hans Zulliger
formulierte "heilende Krfte". hnliches gilt fr das Ritual, das Kinder entwickeln, um
diffusen, unklaren Erfahrungen eine Struktur zu geben. Im Ritual knnen Kinder ganz
wie von Zauberhand unsichere, ngstigende Lebenssituationen bannen.
Manchmal regredieren Kinder, das heit sie fallen in frhere Entwicklungsstufen zurck,
um sich seelischen oder gefhlsmigen Belastungen zu entziehen. So ein Rckzug kann
schpferisch, aber auch durchaus zwanghaft sein. Manchmal hilft jedoch sogar das
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Gegenteil: Kinder machen Fantasiereisen in die Zukunft, katapultieren sich nach vorne,
um daraus Kraft fr die Gegenwart zu beziehen.
In der magisch-fantastischen Phase werden bestimmte Genres fr Kinder wichtig: das
Mrchen, Zauber- oder Zeichentrickgeschichten, Comedy. Es gibt eine Entsprechung
zwischen den formalen Strukturen dieser Genres und der p