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SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Felix Heiduk Der Aceh-Konflikt und seine Auswirkungen auf die Stabilität Indonesiens und Südostasiens S 5 Februar 2004 Berlin

Felix Heiduk Der Aceh-Konflikt und seine Auswirkungen auf ... · SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Felix Heiduk

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SWP-StudieStiftung Wissenschaft und PolitikDeutsches Institut für InternationalePolitik und Sicherheit

Felix Heiduk

Der Aceh-Konflikt undseine Auswirkungen aufdie Stabilität Indonesiensund Südostasiens

S 5Februar 2004Berlin

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Alle Rechte vorbehalten.Abdruck oder vergleichbareVerwendung von Arbeitender Stiftung Wissenschaftund Politik ist auch in Aus-zügen nur mit vorherigerschriftlicher Genehmigunggestattet.

© Stiftung Wissenschaft undPolitik, 2004

SWPStiftung Wissenschaft undPolitikDeutsches Institut fürInternationale Politik undSicherheit

Ludwigkirchplatz 3−410719 BerlinTelefon +49 30 880 07-0Fax +49 30 880 [email protected]

ISSN 1611-6372

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Inhalt

Problemstellung und Schlußfolgerungen 5

Einleitung 7

Aceh: Alter Konflikt im neuen Indonesien 9

Die Akteure 11Die GAM 11Das Militär 13

Aceh und die Stabilität Indonesiens 16

Aceh und die Stabilität Südostasiens 19

Territoriale Integrität versus Demokratie? 21

Anhang 23Karten 24Abkürzungen 24

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Felix Heiduk promoviert am Otto Suhr-Institut derFreien Universität Berlin zum Thema »Entstaatlichungvon Gewalt und Privatisierung von Sicherheit inIndonesien«.

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Problemstellung und Schlußfolgerungen

Der Aceh-Konflikt und seine Auswirkungen auf dieStabilität Indonesiens und Südostasiens

Seit der Asienkrise und dem Ende des Suharto-Regimes1998 befindet sich der indonesische Staat in einerÜbergangsphase. Dieser Transitionsprozeß wird beglei-tet von einem (Wieder-)Aufflammen bewaffneterKonflikte in vielen Teilen des Landes. Sowohl dieSezessionskonflikte in Aceh und Papua als auch Kon-flikte zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppenin Sulawesi, Kalimantan oder auf den Molukkengefährden in zunehmendem Maße die Stabilität desLandes sowie der gesamten Region. Der Sezessions-konflikt in Aceh gilt derzeit als die größte Herausfor-derung für staatliche Souveränität und IntegritätIndonesiens.

Indonesien ist das Land mit der weltweit größtenmuslimischen Bevölkerung. Der indonesische Archipelerstreckt sich vom Indischen bis in den PazifischenOzean und liegt quer zu einigen der meistbefahrenenSchiffahrtswege. Jakarta galt traditionell als »internerFöderator« der Gemeinschaft Südostasiatischer Staaten,einem der wenigen Ansätze für regionale Integrationim pazifischen Asien. Auch in der weiteren südostasia-tischen Region gibt es Sezessionsbestrebungen, diesich seit der ostasiatischen Krise von 1997/98 undinsbesondere seit dem 11. September 2001 verschärftund mit nichtmilitärischen Risiken überlagert haben.Eine gewaltsame Loslösung Acehs von Jakarta könntesomit eine Kettenreaktion auslösen.

Der seit den fünfziger Jahren in der indonesischenProvinz Aceh im Norden von Sumatra geführte Unab-hängigkeitskampf wurde von Präsident AhmadSuharto (1966�1998) mit Waffengewalt unterdrückt.Bemühungen um eine politische Lösung scheitertennach Suhartos Sturz sowohl an der Unwilligkeit derUnabhängigkeitsbewegung, ihre Forderung im Tauschgegen ein Autonomiestatut aufzugeben, als auch aneiner Eskalationsstrategie des indonesischen Militärsmit dem Ziel, seine mit fortschreitender Demokrati-sierung erodierende politische Machtposition wieder-herzustellen. Aus nationaler wie internationalerPerspektive wären sowohl eine gewaltsame Sezessionder Provinz als auch die Fortdauer eines ungelöstenbewaffneten Konflikts innerhalb Indonesiens schwereRückschläge für die Demokratisierung des Landes. Dasletztgenannte Szenario wird vor allem von seit denneunziger Jahren aktiven privaten Gewaltakteuren

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Problemstellung und Schlußfolgerungen

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begünstigt, die aus wirtschaftlichen Gründen an einerFortdauer des Konflikts interessiert sind. Neben deracehnesischen Unabhängigkeitsbewegung und derindonesischen Armee operieren vermehrt Milizen,private Sicherheitskräfte und paramilitärische Grup-pen in der Konfliktregion.

Untersucht werden die Genese des Aceh-Konflikts,das Scheitern der Verhandlungen in den Jahren 2000und 2003 sowie die Auswirkungen auf die StabilitätIndonesiens und der südostasiatischen Region. Esergeben sich vier Schlußfolgerungen:1. Der Konflikt um Aceh kann trotz der waffentechni-

schen und personellen Überlegenheit der indone-sischen Sicherheitskräfte militärisch nicht gelöstwerden. Die Unterstützung der lokalen Bevölke-rung für die Unabhängigkeitsbewegung ist in demMaße gewachsen, in dem das Militär den Konfliktzu Zwecken des innenpolitischen Machterhaltsinstrumentalisiert hat. Die Zivilgesellschaft wurdeim gleichen Maße marginalisiert.

2. Zwar hätte die Unabhängigkeitsbewegung ihrer-seits ein Autonomiestatut allenfalls als Vorstufe fürein Referendum über Eigenstaatlichkeit akzeptiert.Ein solches Statut hätte jedoch die Mehrheit derAcehnesen bei adäquater Ausstattung und Imple-mentierung durch die indonesische Zentralregie-rung für den Erhalt des Gesamtstaats gewinnenkönnen. Insofern ist das heutige Dilemma ein Reflexauf wachsende Reformunfähigkeit in Jakarta.

3. Die indonesische Politik ist seit 1998 durch Plura-lisierung und Neustrukturierung des politischenSystems komplizierter geworden. Eine Rückkehrzum Autoritarismus der Suharto-Ära würde aller-dings mehr Probleme schaffen als lösen. Auch wenneine Loslösung Acehs heute noch mit militärischenMitteln zu verhindern wäre, würde dies ein immerrepressiveres Vorgehen erfordern und damit immerentschiedeneren Widerstand erzeugen. Gleichzeitigbleibt eine beiderseitige »Ermüdung« unwahrschein-lich, solange die Regierung in Jakarta ihre eigeneLegitimierung mangels anderer Erfolge zunehmendnur noch aus der Wahrung der territorialen Integri-tät des Landes bezieht.

4. Demokratisierung dient letztlich der StabilisierungIndonesiens und damit der � bislang nur marginalbetroffenen � Gesamtregion. Westliche Gebersollten Jakartas andauernde Abhängigkeit nutzen,um eine Rückkehr des indonesischen Militärs in diePolitik zu verhindern. Was Aceh angeht, gibt eseine Chance, daß sich das Zeitfenster für einen (undsei es nur temporären) Kompromiß noch nicht

völlig geschlossen hat. Grundlagen wären diekompetente Umsetzung einer umfassenden Auto-nomieregelung, der sozioökonomische Wiederauf-bau der Provinz, eine Aufarbeitung der Menschen-rechtsverletzungen und eine generelle Politik derAussöhnung zwischen Aceh und Jakarta. Voraus-setzung für die Akzeptanz eines derartigen Kom-promisses durch die acehnesische Bevölkerung istallerdings eine Einstellung der Kampfhandlungen.Deutschland und Europa sollten eine solche Lösungmit Mitteln der Diplomatie sowie notfalls auchdurch wirtschaftlichen Druck fördern.

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Einleitung

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Einleitung

»Wer nach Aceh geschickt wird, kommt entweder tot oder sehr, sehr reich nach Hause.«Redensart in der indonesischen Armee

Der Widerstand in Aceh hat eine lange Geschichte.Seit dem 13. Jahrhundert war das Territorium einunabhängiges Sultanat, das als Einfallstor des Islamsin den indonesischen Archipel galt. Aceh blieb biszum Ende des 19. Jahrhunderts unabhängig undkonnte erst nach einem mehrjährigen Krieg, der etwa10 000 holländischen Soldaten das Leben kostete, indie Kolonie Niederländisch-Ostindien integriertwerden. Während des Unabhängigkeitskampfesunterstützten die politischen Eliten Acehs 1949 dieindonesische Nationalbewegung unter Sukarno. Sieerhofften sich hiervon ein hohes Maß an Autonomieinnerhalb einer islamisch geprägten RepublikIndonesien.

Diese Hoffnungen wurden enttäuscht. Nach demSieg über die Niederlande wurde die politische undwirtschaftliche Macht auf Java konzentriert, undlokale Eliten sahen sich weitgehend entmachtet. Dieneue Verfassung war säkular ausgerichtet und ver-zichtete auf den Islam als religiöses Fundament.Bereits in den fünfziger Jahren kam es daher in Acehzu Unruhen.1 Im Gegensatz zum Rest Indonesienswird in Aceh eine strengere Variante des sunnitischenIslams praktiziert, weshalb viele Acehnesen die säku-lare Ausrichtung des Zentralstaats und die synkre-tistische Variante seines Islams für verfälscht bzw.»unislamisch« halten. Anfang der sechziger Jahreversuchte die Regierung in Jakarta, diese Spannungenmit der Gewährung eines Sonderstatus zu entschär-fen, mit dem der Provinz bei Religionsausübung,lokaler Gesetzgebung und Bildungswesen gewisseautonome Rechte eingeräumt wurden.

In den siebziger Jahren begann Indonesien vor demHintergrund der eigenen Industrialisierung damit, inAceh Erdöl- und Erdgasvorkommen auszubeuten. Diebis dahin wirtschaftlich eher unbedeutende Provinzwurde binnen eines Jahrzehnts zum Motor der gesamt-staatlichen Entwicklung. Zentrum der Rohstoffgewin-nung waren Konzessionen des Energiemultis Exxon-Mobil im Norden Acehs, die im Auftrag des staatlichen

1 Vgl. Andreas Ufen, Herrschaftskonfiguration und Demokra-tisierung in Indonesien, 1965�2000, Hamburg 2002 (Mittei-lungen des Instituts für Asienkunde), S. 40ff; ChristophSchuck, Islam und Demokratie in Indonesien, in: Welttrends(Potsdam), 10 (2002) 4, S. 107�119.

Erdölkonzerns Pertamina betrieben wurden. Profitewurden nach Jakarta abgeführt, aber nur etwa fünfProzent der Erträge flossen nach Aceh zurück.2 DieseBenachteiligung schürte den acehnesischen Wider-stand erneut.

Erschwerend kam hinzu, daß im Zuge der Indu-strialisierung zahlreiche Acehnesen enteignet und vonihrem Grundbesitz vertrieben wurden. Industriearbei-ter wurden hauptsächlich in anderen Provinzen rekru-tiert. Umweltverschmutzung und die Zerstörungnatürlicher Lebensräume brachten viele Bewohnerder Provinz gegen Präsident Suharto auf.

1976 entstand die Bewegung für ein Freies Aceh(Gerakan Aceh Merdeka, GAM), die anfangs vornehm-lich durch Propagandaaktionen auf sich aufmerksammachte. Sie forderte einen unabhängigen Staat, dieEinführung des islamischen Rechts (Shariah) undWiedergutmachung für erfahrene Unterdrückung. DieBevölkerungsmehrheit war solchen Aktionen gegen-über zunächst kritisch bzw. desinteressiert eingestellt.Trotzdem reagierte die indonesische Zentralregierungmit militärischer Gewalt.

Mitte der achtziger Jahre konnte die GAM ihre Akti-vitäten dank libyscher Waffenlieferungen und Ausbil-dungshilfen, die dem Export des libyschen Revolutions-models unter Gaddafi dienen sollten, ausweiten undmachte nun zunehmend durch Anschläge auf indone-sische Polizei- und Militäreinheiten auf sich aufmerk-sam. Jakarta reagierte mit einer Aberkennung derAutonomierechte und erklärte die Provinz 1989 zummilitärischen Operationsgebiet (Daerah OperasiMiliter, DOM), ein Status, der bis 1998 beibehaltenwurde. Damit erhielt die Armee bei der Verfolgungder Guerilla freie Hand. Diese wurde zwar operativgeschwächt, fand aber angesichts der Brutalität desVorgehens der Sicherheitskräfte zunehmend Unter-stützung in der Bevölkerung.3 Die militärische Taktikschloß Vertreibung, Entführung, Folter und Vergewal-tigungen ein. Allein zwischen 1989 und 1991 ermor-

2 Vgl. Sylvia Tiwon, From Heroes to Rebels, in: Inside Indonesia(Melbourne), (April�Juni 2000) 62, <www.insideindonesia. org>.3 Menschenrechtsverletzungen waren hauptsächlich vonSpezialkräften zu verantworten, die 1998 abgezogen wurden.Vgl. Priyambudi Sulistiyanto, Whither Aceh?, in: Thirld WorldQuarterly, 22 (2001) 3, S. 437�452 (441).

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Einleitung

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deten Soldaten und Polizisten etwa 2000 (von 4,2Millionen) Acehnesen, zum großen Teil Zivilisten.4

Berichte über Greueltaten des indonesischen Mili-tärs während der DOM-Periode gelangten mit demSturz des Suharto-Regimes 1998 und der anschließen-den Aufhebung des Ausnahmezustands in Acehzunehmend an die Öffentlichkeit und schürten dieRessentiments der Provinzbevölkerung weiter. Zudemhielt die Übergangsregierung von Präsident Baharud-din Jusuf Habibie (1998�1999) Zusagen hinsichtlicheiner Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungennicht ein. Nach einigen Monaten der Entspannungverschärfte sich die Sicherheitslage in der ProvinzEnde 1998 erneut.

Habibie ließ daraufhin den Truppenabzug stoppenund neue Militäroperationen durchführen. In derenFolge kam es zu mehreren Massakern an der Zivil-bevölkerung. Die GAM hatte sich mittlerweile neuaufgestellt und mit Hilfe der acehnesischen Diasporain Malaysia und Thailand neu bewaffnet.5 Ab Frühjahr1999 intensivierte sie ihre Angriffe auf Polizei undMilitär erneut. Dieser Konflikt eskalierte im Sommerdesselben Jahres zu einem Krieg, der bis heute mehrals 12 000 Menschenleben gefordert und allein 1999etwa 100 000 Binnenflüchtlinge produziert hat.6

4 Vgl. Tim Huxley, Disintegrating Indonesia? Implications forRegional Security, Oxford: International Institute for Strate-gic Studies, 2002, S. 36.5 Vgl. Rizal Sukma, The Acehnese Rebellion: SecessionistMovement in Post-Suharto Indonesia, in: Andrew T. H. Tan/J. D. Kenneth Boutin (Hg.), Non-Traditional Security Issues inSoutheast Asia, Singapur: Institute of Defence and StrategicStudies, 2002, S. 377�409 (396).6 Vgl. Huxley, Disintegrating Indonesia? [wie Fn. 4], S. 36.

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Aceh: Alter Konflikt im neuen Indonesien

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Aceh: Alter Konflikt im neuen Indonesien

Während in Aceh die Gewalt erneut eskalierte,schufen die Demokratisierung Indonesiens und dieEntstehung einer indonesischen politischen Öffent-lichkeit Raum für die bis dato unterdrückte Zivilge-sellschaft in Aceh. Ermutigt von der erfolgreichenSezession Osttimors im September 1999, verlangtenihre Vertreter die Abhaltung eines Referendums überdie Zukunft der Provinz. Diese Forderung wurde vonder lokalen Bevölkerung mehrheitlich aufgegriffen,die sie in weiten Teilen als politische Alternative zummilitärischen Kampf der GAM verstand.7 Im Sommer1999 kam es in der Provinzhauptstadt Banda Acehwiederholt zu Demonstrationen, bei denen jeweilsHunderttausende eine Volksabstimmung verlangten.Das indonesische Militär reagierte mit zunehmenderUnterdrückung, bis sich die Lage mit dem Amtsantrittvon Präsident Abdurrahman Wahid (1999�2001) etwasentspannte.

Wahid befürwortete eine politische Lösung undVerhandlungen mit der GAM, eine Politik, die von denStreitkräften nach kurzer Zeit unterlaufen wurde.Während Regierungsvertreter im Januar 2000 in Genferste Verhandlungen mit der Guerilla aufnahmen,ging das Militär vor Ort wieder zunehmend zu Repres-sion über. Angesichts solcher Verhältnisse wurde einim Mai vereinbarter Waffenstillstand umgehend zurMakulatur. Zudem waren die Parteien von ihrenGrundsatzpositionen nicht abgewichen. Die GAMlehnte ein Autonomiestatut ab und verlangte ein vonunabhängigen Beobachtern überwachtes Unabhängig-keits-Referendum. Darauf mochte sich Jakarta nachden Erfahrungen in Osttimor nicht einlassen. DieKampfhandlungen gingen folglich weiter, polarisier-ten die acehnesische Gesellschaft und zwangen dieZivilbevölkerung vor Ort, Partei zu ergreifen. Ende2000 verfügte die GAM über etwa 2000 bewaffneteKämpfer. Sie hatte in den meisten Gebieten außerhalbder Provinzhauptstadt die Zivilverwaltung übernom-men, zog Steuern ein und baute Schulen.8

Schon kurz nach ihrem Amtsantritt im Juli 2001ließ Wahids Nachfolgerin Megawati Sukarnoputri einGesetz verabschieden, das Aceh eine »Sonderautono-

7 Vgl. Sulistiyanto, Whither Aceh? [wie Fn. 3], S. 447.8 Vgl. Huxley, Disintegrating Indonesia [wie Fn. 4], S. 38.

mie« zugestand. Zu den Kernpunkten gehörten derZugriff auf drei Viertel der Erträge aus der Förderungvon Erdgas und Erdöl, die freie Wahl der bisher vonJakarta ernannten Provinzregierung und die Einfüh-rung der Shariah. Unerwähnt blieben die Aufarbei-tung der Menschenrechtsverstöße, die Entschädigungder Opfer und eine Einbindung der GAM in das poli-tische Leben Acehs.

Die Implementierung des Autonomiestatuts bliebauf städtische Zentren beschränkt, da die GAM weiter-hin die ländlichen Gebiete kontrollierte und dort eineUmsetzung verhinderte. Zudem ging die internatio-nale Aufmerksamkeit vor dem Hintergrund derAnschläge vom 11. September 2001 in New York undWashington zurück. Insbesondere seit den Anschlägendes regionalen Terrornetzwerks Jemaah Islamiyah (JI)in Bali im Oktober 2002 versuchte Jakarta, die Unab-hängigkeitsbewegung in die Nähe des Terrorismus zurücken und den Konflikt in Aceh zum Anti-Terror-kampf umzudefinieren.9 Angesichts anhaltenderSicherheitsprobleme unterbrach Exxon-Mobil dieRohstofförderung in Aceh, was zu einem monatlichenErtragsausfall von 100 Millionen US-Dollar führte. DieRegierung entsandte daraufhin zusätzliche Truppenzum Schutz der Förderstätten, und die Streitkräftebegannen mit dem Aufbau lokaler paramilitärischerEinheiten.10 Aus der Defensive heraus akzeptierte dieGAM Anfang 2002 das Autonomieangebot als Aus-gangspunkt für Verhandlungen über einen Waffen-stillstand und die Einleitung vertrauenbildenderMaßnahmen.

Am 9. Dezember 2002 unterzeichneten Vertreterder Guerilla und der indonesischen Regierung imHenri Dunant-Center11 in Genf ein Abkommen überdie Einstellung der Feindseligkeiten, das auf Vermitt-lung der ehemaligen Außenminister Jugoslawiens undThailands, Budimir Loncar und Surin Pitsuwan, sowiedes Nahostbeauftragten der Bush-Administration,

9 Trotzdem hat die Regierung bisher darauf verzichtet, dieGAM offiziell als terroristische Bewegung auszuweisen.10 Vgl. Huxley, Disintegrating Indonesia [wie Fn. 4], S. 40.11 Das Henri-Dunant Center for Humanitarian Dialogue inGenf ist eine schweizerische Nichtregierungsorganisation, diesich primär mit den Politikfeldern Konfliktlösung und huma-nitärer Dialog beschäftigt; <http://www.hdcentre.org>.

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Aceh: Alter Konflikt im neuen Indonesien

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Anthony Zinni, zustande kam, die auf Initiative derUSA tätig geworden waren. Das Abkommen stellteweniger einen Friedensvertrag dar als eine Rahmen-vereinbarung über den Waffenstillstand. Vorausge-gangen waren Drohungen des Militärs, die GAM imVerweigerungsfall »auszulöschen«, sowie eine inter-nationale Geberkonferenz in Tokyo. Letztere hatte beieinem positiven Verhandlungsergebnis Wiederauf-bauhilfen und eine internationale Unterstützung desFriedensprozesses zugesagt.

Die Vereinbarung sah unter anderem vor: sofortigeEinstellung der Kampfhandlungen; Einsetzung einesGemeinsamen Sicherheitskomitees, zu gleichen Teilenbestehend aus Vertretern der GAM, der indonesischenRegierung und internationalen Beobachtern zur Über-wachung der Umsetzung; Abgabe der Waffen derGAM in von unabhängigen Beobachtern überwachten»Friedenszonen«; Einrichtung entmilitarisierterZonen; Überführung der sogenannten »mobilen Poli-zeikräfte« (Brimob), denen mittlerweile der Großteilder Menschenrechtsverletzungen angelastet wurde, in»normale« Polizeieinheiten; phasenweiser Rückzug derStreitkräfte unter einem neuen, defensiven Mandat. Miterfolgter Implementierung sollte die Zivilverwaltungder Provinz 2004 nach Maßgabe des Autonomiestatutsdemokratisch gewählt werden.12 In den Gesamtprozeßwurden erstmals auch zivilgesellschaftliche Gruppeneinbezogen, die sich allerdings im Verlauf der Ver-handlungen marginalisiert sahen.13

Wenn die Spannungen in Aceh ab Frühjahr 2003wieder zunahmen, war dies vornehmlich auf Defizitedes Abkommens zurückzuführen. So war nicht ein-deutig festgelegt, ob die Niederlegung der Waffendurch die GAM Vorrang vor dem vollständigen Abzugindonesischer Truppen, inklusive der Spezialeinheitender indonesischen Polizei, haben sollte. Dieser Mangelan Präzision führte zu einer schleppenden Entwaff-nung, die von der indonesischen Seite als Vertrags-bruch gewertet wurde.

Gleichzeitig waren beide Seiten versucht, die Ver-einbarungen aufgrund gegensätzlicher, politischerund ökonomischer Eigeninteressen zu unterlaufen.Während der anhaltende Konflikt die innenpolitischeStellung des indonesischen Militärs als selbsternann-ter Wahrer der nationalen Einheit stärkte (s. unten),

12 Vgl. Agreement on the Cessation of Hostilities in Aceh,Genf: Henri Dunant-Center, 9.10.2003, <www.hdcentre.org/Programmes/aceh/aceh%20COH.htm>.13 Vgl. Kautsar, How to Make Peace � Civilians Demand a Partin Aceh�s Peace Process, in: Inside Indonesia (Melbourne),(April�Juni 2003) 74, S. 27�28.

profitierten Sicherheitskräfte und Guerilla durchSchmuggel, illegale Steuererhebung und Gebühren-eintreibung, sowie Drogen- und Waffenhandel von derentstandenen Bürgerkriegsökonomie.

Ungeachtet dessen überlebte der Friedensprozeßbis zum März 2003. Im April griffen wiederholt pro-indonesische Demonstranten das Gebäude des Gemein-samen Sicherheitskomitees in der ProvinzhauptstadtBanda Aceh an, hinter denen anscheinend pro-indo-nesische Milizen standen.14 Offensichtlich befürchte-ten die Streitkräfte angesichts der Anwesenheit inter-nationaler Beobachter Machteinbußen. Letztere ver-ließen die Provinz wenig später. Im Mai wurde dieTruppenpräsenz aufgrund von Berichten über neueRekrutierungen und Waffenkäufe durch die GAM15

wieder verstärkt. Die beiden Parteien bezichtigtensich gegenseitig des Vertragsbruchs.16

Am 20. Mai 2003 verhängte Präsidentin Megawatidas Kriegsrecht über die Provinz, nachdem die GAMein Ultimatum hatte verstreichen lassen, mit dem siezu einem Verzicht auf die Unabhängigkeit und einerzügigen Entwaffnung gezwungen werden sollte.Seither haben in Aceh etwa 30 000 Soldaten und10 000 Polizisten Weisung, jene 2000 Guerillas »aus-zurotten«, die sich in Bergregionen im Landesinnerenzurückgezogen haben.17 Die Operationen haben bisherzur Vertreibung von mehreren tausend Zivilistengeführt.18 Nach Angaben des Militärs kamen Hunderteums Leben. Gleichzeitig genießt die Offensive in derindonesischen Öffentlichkeit breite Unterstützung.19

14 Vgl. Kirsten E. Schulze, Forcing the Issue, in: The WorldToday, 59 (2003) 6, S. 24�25 (25); Frankfurter Rundschau,27.9.2003, S. M4�5.15 Vgl. Far Eastern Economic Review, 30.1.2003, S. 16.16 Vgl. Südostasien aktuell (Hamburg, Institut für Asien-kunde), 22 (2003) 5, S. 217f.17 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.5.2003, S. 10.18 Die diesbezügliche Quellenlage ist seit Mai 2003 extremwidersprüchlich. So bezifferte Human Rights Watch die Zahlder Binnenflüchtlinge im Juli 2003 auf 49 000, der Flücht-lingskommissar der Vereinten Nationen auf 150 000. Ge-nauere Erhebungen scheitern an der Ausweisung aller Nicht-regierungsorganisationen und UN-Hilfsorganisationen ausAceh. Die Tätigkeit von Journalisten vor Ort wird starkbehindert.19 Vgl. Frankfurter Rundschau, 27.9.2003, S. M4�5.

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Die GAM

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Die Akteure

Die GAM

Die Geschichte der GAM (auch bekannt als AcehSumatra National Liberation Front, ASNLF) seit ihrerGründung durch Hassan di Tiro 1976 ist grob in vierPhasen zu unterteilen.20 Die Gründungsphase (1976�1982) war weniger durch militärische Aktionengekennzeichnet als durch Bemühungen um dieWiedererweckung bzw. Konstruktion einer acehne-sischen Identität und eines acehnesischen Nationa-lismus. Ende der siebziger Jahre gingen zahlreicheAnführer der Organisation angesichts einer erstenOffensive des indonesischen Militärs ins malaysischeoder schwedische Exil. Seit 1979 koordiniert Hassandi Tiro die Aktionen von seiner Wohnung in einemStockholmer Vorort aus.

Phase zwei (1982�1988) war von der Suche nachexternen Verbündeten für den acehnesischen »Frei-heitskampf« geprägt, um die desolate materielle undfinanzielle Situation der GAM zu beheben. Zum wich-tigsten Förderer wurde Libyen, das in den achtzigerJahren mehrere hundert Kämpfer ausbildete. Finan-zielle Unterstützung und Waffenlieferungen kamenzu dieser Zeit bereits aus Malaysia, wo mit der GAMsympathisierende Exil-Acehnesen auch die Fluchthilfefür verfolgte Guerillas organisierten. Während dieserPhase konnten sowohl in Aceh selbst als auch inMalaysia neue Kämpfer angeworben werden.

In der dritten Phase (1988�1998) war die GAMwaffentechnisch und personalmäßig soweit gestärkt,daß sie Überfälle auf Polizeiposten und kleinere Armee-stützpunkte durchführen konnte. Massive Militärope-rationen im Rahmen des Ausnahmezustands brachtendie Guerilla jedoch schon bald an den Rand einer mili-tärischen Niederlage.

Mit dem Ende des Suharto-Regimes und der Aufhe-bung des Ausnahmezustands begann Phase vier, die1998 und 1999 von einer Konsolidierung der GAMgeprägt war. Zahlreiche Exil-Acehnesen kehrten ausMalaysia zurück, um den bewaffneten Kampf fort-

20 Vgl. Kirsten E. Schulze, The Struggle for an IndependentAceh: The Ideology, Capacity, and Strategy of GAM, in:Studies in Conflict and Terrorism (Philadelphia), 26 (2003) 4,S. 241�271.

zusetzen. Gleichzeitig kam es erstmals zu Verhand-lungen über eine politische Lösung, deren Scheiterndie Regierung Megawati im Mai 2003 dazu veranlaßte,die »Auslöschung« der Guerilla anzuordnen.

Das Hauptziel der GAM besteht in der Errichtungeines unabhängigen Staates Aceh. Dieses Ziel wurdeauch nach der Verabschiedung des Autonomiestatutsnicht aufgegeben, wenngleich Ideologie und Rhetorikseit Gründung der Organisation mehrfach Verände-rungen erfahren haben. Kernelemente bleiben deracehnesische Nationalismus und der nationale Befrei-ungskampf in Abgrenzung vom indonesischen Ein-heitsstaat. Darüber hinaus spielt der Islam eine wich-tige Rolle, allerdings nicht im Sinne eines politischenProgramms, etwa der Ausrufung eines Gottesstaates,sondern als Mobilisierungsfaktor und Mittel sozialerKontrolle.21 Abgesehen davon wird das unabhängigeAceh als demokratisch und säkular konzipiert. Ledig-lich das Rechtswesen soll sich an den Grundsätzen derShariah orientieren.22

Auf lokaler Ebene finanziert sich die GAM primärüber ein eigenes Steuer- und Abgabensystem. Diedörflichen Verwaltungen bestehen zum großen Teilaus Sympathisanten, weshalb jedenfalls bis Mai 200320 Prozent aller von der Zentralregierung für länd-liche Infrastrukturmaßnahmen ausgewiesenenZuschüsse in die Hände der Guerilla gerieten.23 Zwei-tens erhebt die GAM eine 18prozentige Steuer auf allelokalen Geschäftstransaktionen. Darüber hinausverschaffte sie sich insbesondere in den Jahren 2000bis 2002 mit Hilfe sympathisierender Nichtregierungs-organisationen Zugriff auf Gelder für humanitäreHilfsprojekte. Schließlich bezieht sie Einkünfte ausEntführungen und Erpressungen sowie dem Anbauund Schmuggel von Drogen.24

21 Ebd., S. 250.22 Vgl. hierzu die sogenannte Stavanger Declaration,veröffentlicht vom GAM-Exekutivkomitee in Stavanger,Norwegen, 21.7.2003, <http://www.asnlf.net/asnlf_int/frame_ges_int/frame_le_int/politics/stavanger_declaration/stavanger_declaration.htm>.23 Vgl. Schulze, The Struggle for an Independent Aceh[wie Fn. 20], S. 257.24 Vgl. Aceh: Why The Military Option Still Won�t Work,Brüssel/Jakarta: International Crisis Group, 9.5.2003, S. 8.

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Die Akteure

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Externe Zuwendungen kommen primär von dermalaysischen Diaspora. Mit Spenden von Exil-Aceh-nesen25 werden insbesondere Waffenkäufe finanziertund organisiert. Ein Großteil der Waffen wird auf demkambodschanischen Schwarzmarkt erworben undüber das südliche Thailand und Malaysia nach Acehgeschmuggelt. Hierbei wird die GAM logistisch vonder Patani United Liberation Organisation (PULO)unterstützt, die im Süden Thailands für einen unab-hängigen, islamischen Staat kämpft.26

Über die Anzahl der GAM-Guerillas gibt es unter-schiedliche Angaben. Sie variieren zwischen 400�1000Personen (so der indonesische Geheimdienst) und30 000 (so die GAM selbst). Unabhängige Beobachtersprechen von maximal 2000 bewaffneten Kämpfernund einer großen Zahl Unterstützer in der Bevölke-rung.27 Mit Beginn der Militäroffensive wurde dieseZahl von der Regierung jedoch auf aktuell 5000 bewaff-nete GAM-Kämpfer nach oben korrigiert.28

Die Bewegung für ein Freies Aceh ist mit Pistolen,Gewehren und leichten Schnellfeuerwaffen ausge-rüstet. Hinzu kommen Landminen, selbstgebauteSprengsätze und einige wenige Maschinengewehreund Granatwerfer. Soweit nicht importiert, werdendiese Waffen vom indonesischen Militär erbeutet bzw.gekauft.29 Ihre militärische Unterlegenheit kompen-siert die GAM zunehmend durch ein engmaschigesInformantennetz.

Die Führung der Organisation hat ihren Sitz seit1979 in Schweden. Vor Ort ist die Guerilla in Infante-rie- und »Polizeieinheiten«, Nachrichtenbataillone undeine Elitekampftruppe strukturiert. Diverse zivilgesell-schaftliche Organisationen sind angegliedert. Letztereakquirieren Gelder, organisieren die politische Propa-ganda und betreiben Flüchtlingslager. Das schwedischeExil beansprucht weiterhin eine umfassende militä-rische und politische Befehlsgewalt. Während derWaffenstillstandsverhandlungen der Jahre 2000 und2002 wurde deutlich, daß es innerhalb der GAM zuwiderstreitenden Interessenlagen und Fraktions-

25 Deren Zahl wird in der malaysischen Hauptstadt KualaLumpur auf 5000 geschätzt. Vgl. Schulze, The Struggle for anIndependent Aceh [wie Fn. 20], S. 258.26 Ebd.27 Vgl Peter Chalk, Separatism and Southeast Asia: TheIslamic Factor in Southern Thailand, Mindanao, and Aceh, in:Studies in Conflict and Terrorism (Philadelphia), 24 (2001) 4,S. 241�270 (255).28 Vgl. The Jakarta Post, 20.11.2003,<www.thejakartapost.com>.29 Vgl. Why Military Force Won�t Bring Lasting Peace,Brüssel/Jakarta: International Crisis Group, 12.6.2001, S. 8.

bildung gekommen war. Die wichtigste unabhängigeFraktion nennt sich GAM-Regierungsrat (Majlis Peme-rintahan [MP]-GAM) und wird von malaysischen undeuropäischen Exilanten angeführt. Sie konkurriertmit der Stockholmer Führung um Hassan di Tiro undmißt dem politischen Islam grundsätzlich größereBedeutung zu.30

Darüber hinaus gibt es mehrere Splittergruppen,die außerhalb der GAM in Aceh operieren. Die größteGruppierung trägt den Namen Islamische Mujahed-din-Front Acehs (Front Mujahidin Islam Aceh, FMIA)und strebt die Errichtung eines Gottesstaates in Acehan.31 Die FMIA geriet nach dem 11. September 2001 insRampenlicht der Weltöffentlichkeit, als ihr die singa-purische Regierung Kontakte zum Terrornetzwerkal-Qaida unterstellte.32

Für die GAM-Führung in Schweden sind diese undandere Dissidenten ausschließlich Kreationen desindonesischen Geheimdienstes. Über nennenswertenEinfluß innerhalb und außerhalb Acehs verfügt bisherausschließlich die GAM. Die Dissidenten sind aller-dings durchaus in der Lage, mit der Regierung abge-schlossene Vereinbarungen zu sabotieren.

Bis zum Ende der DOM-Periode (s. oben) operiertedie GAM mit einer »hit and run«-Guerillataktik, diesich gegen Polizeiposten, Kasernen und Fabrikenrichtete. Ab 1998 verübte sie zunehmend Anschlägeauf Verwaltungseinrichtungen, um Aceh von Jakartaaus unregierbar zu machen. Zwischen 1998 und 2002zerstörte sie darüber hinaus zahlreiche Schulen, umdie Prägung junger Acehnesen durch den indonesi-schen Lehrplan zu beenden.33 Die meisten Schülerwurden gezwungen, auf von der GAM beeinflußteKoranschulen auszuweichen. Schließlich kam es zuAnschlägen auf Öl- und Gaspipelines, die im März2001 zu dem erwähnten Förderstop bei Exxon-Mobilführten. Ausländische Unternehmen werden als Kolla-borateure der Streitkräfte betrachtet, da sie einzelneMilitäreinheiten zum Zwecke des »Werkschutzes«finanziell unterstützen.34 Die Guerilla hat in letzterZeit auch Immigranten aus Java und anderen Provin-

30 Vgl. Schulze, The Struggle for an Independent Aceh [wieFn 20], S. 252.31 Ebd.32 Vgl. How the Jemaah Islamiyah Terrorist Network Opera-tes, Brüssel/Jakarta: International Crisis Group, 11.12.2002,S. 6ff.33 Augenzeugen haben berichtet, daß diese Taktik auch vonMilitärs und Paramilitärs angewandt wurde. Vgl. FrankfurterAllgemeine Zeitung, 22.5.2003, S. 7.34 Vgl. The Financial Times, 3.1.2003, S. 12.

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Das Militär

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zen angegriffen, von denen bisher etwa 50 000 dieProvinz verließen.35

In Indonesien und in der Region hat die GAM ab1998 vermehrt Verbündete gesucht, so etwa dieOrganisation für ein Freies Papua (Organisasi PapuaMerdeka, OPM) oder die thailändische PULO.36 Gleich-zeitig erhofft sie eine Internationalisierung desKonflikts angesichts der drohenden humanitärenKatastrophe und der sich weiter verschärfendenSicherheitslage.37

Das Militär

Das indonesische Militär ist aus den Guerillaeinheitender indonesischen Nationalbewegung hervorgegan-gen, die die Unabhängigkeit von den Niederlandenerzwangen. 1949 als Nationale Streitkräfte Indone-siens (Tentara Nasional Indonesia, TNI) institutionali-siert, wurden sie 1962 in Bewaffnete Streitkräfte derRepublik Indonesien (Angkatan Bersenjata RepublikIndonesia, ABRI) umbenannt. Zu ABRI gehörten auchparamilitärische (sogenannte laskar-) Einheiten unddie Nationale Polizei (Polis Republik Indonesia, POLRI).Das Heer wurde territorial organisiert und erhieltaufgrund seiner Rolle im Unabhängigkeitskrieg nichtnur einen militärischen, sondern auch einen gesell-schaftlichen und politischen Auftrag (die sogenannte»Doppelfunktion«, dwifungsi). Im eigenen Verständniswaren die Streitkräfte Hüter der staatlichen Einheit.So waren Ende der siebziger Jahre die Hälfte allerMinister, die meisten Staatssekretäre und Abteilungs-leiter, zwei Drittel der Gouverneure und fast 50 Prozentaller Botschafter Militärs.38 Bis Ende der achtzigerJahre war ABRI das wichtigste Instrument zur Herr-schaftssicherung in Indonesien. Danach setzte einProzeß der Demilitarisierung ein, der durch Rivalitä-ten zwischen militärischen und politischen Elitengefördert worden war.

35 Vgl. Schulze, The Struggle for an Independent Aceh [wieFn 20], S. 261.36 Die PULO führt mit wechselnder Intensität einen Bürger-krieg gegen die thailändische Zentralregierung in Bangkok.Ziel ist die Errichtung eines unabhängigen Staates auf demGebiet der muslimisch dominierten thailändischen Südpro-vinzen an der Grenze zu Malaysia.37 Spätestens seit 1999 muß allerdings auch die GAM selbstfür gezielte Vertreibungen verantwortlich gemacht werden.38 Vgl. Ufen, Herrschaftskonfiguration und Demokratisie-rung [wie Fn. 1], S. 92f.

Angesichts der Finanzkrise von 1997/98 und derdamit einhergehenden Massenproteste entzogen dieStreitkräfte Präsident Suharto im Mai 1998 die Unter-stützung und wurden so ungewollt zum zweitengroßen Verlierer im Ringen um die Macht. Unter demDruck der Reformbewegung mußte das Militär seinestarke innenpolitische Position aufgeben. Motiviertvon den Berichten über Menschenrechtsverletzungenin Osttimor, Aceh und Papua, forderte die Demokra-tiebewegung eine Militärreform und die Durchset-zung eines zivilpolitischen Primats. Die � wieder inTNI umbenannte � ABRI sollten sich künftig auf dieLandesverteidigung beschränken und verloren dieKontrolle über die Polizei.

Die Armee hat seither zugestimmt, die ihr garan-tierten 38 Sitze im Parlament ab 2004 aufzugeben,verfügt aber weiterhin über umfangreiche Möglich-keiten zur Beeinflussung der Politik. Als PräsidentinMegawati Sukarnoputri nach ihrer Wahl 2001 zurVerteidigung der nationalen Einheit aufrief, schlugerneut die Stunde der Offiziere. Seither genießt derKampf gegen den Separatismus höchste Priorität undwird zunehmend dazu genutzt, eine weitere Militär-reform zu unterlaufen.

Die Streitkräfte finanzieren sich mangels öffent-licher Mittel traditionell zu etwa zwei Drittel ihresBudgets selbst. Zu den Finanzquellen zählen legaleund illegale Unternehmen; seit Anfang der achtzigerJahre sind die Erhebung von Zöllen und illegalen Abga-ben, Schmuggel etc. hinzugekommen. Insbesonderedie Unruheprovinzen Aceh und Irian Jaya (Papua)dienten dem Militär � durch illegalen Holzschlag,Drogenanbau und illegale Zollerhebung � als Einnah-mequellen. Darüber hinaus wurden Waffenverkäufean die GAM zur Aufbesserung des Budgets genutzt.Schließlich erhielten die TNI große Summen für dieSicherung der Exxon-Mobil-Förderstätten und Pipe-lines in Aceh.

Die indonesischen Streitkräfte sind in Anknüpfungan ihre Guerilla-Tradition vornehmlich leicht bewaff-net. Der in jüngster Zeit betriebene Aufbau modernerSee- und Luftstreitkräfte ist finanziell wie politisch anGrenzen gestoßen.

Die TNI sind aufgrund ihrer territorialen Struktureher regional als zentralistisch gegliedert und in derPost-Suharto-Ära weiter fragmentiert. Von der regio-nalen bis zur lokalen Ebene verstehen sich einzelneTruppenteile zunehmend auch als private Anbietervon Gewalt. Verantwortlich für diesen Trend ist dieanhaltend schlechte Wirtschaftslage des Landes, diedie legalen Einnahmequellen des Militärs in Frage

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Die Akteure

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stellt. Seither ist es möglich, bei den Regionalkom-mandos des Heeres ganze Einheiten zu mieten. DerZerfall der Kommandostrukturen spiegelt sich bei-spielsweise in dem Überfall einer Eliteeinheit aufAngestellte der Freeport-Minen in Papua, bei demim August 2002 zwei Bürger der USA erschossenwurden. Auslöser war anscheinend ein »Tarifkonflikt«zwischen den Söldnern und ihren internationalenAuftraggebern.39

Parallel zu den TNI operieren in Aceh paramilitäri-sche Einheiten nach dem Vorbild von Osttimor, woentsprechende Gruppierungen 1998 und 1999 eineTerrorkampagne gegen die Zivilbevölkerung betrie-ben. Es gibt keine verläßlichen Angaben über dieTruppenstärke der Milizen,40 und das Militär hatderen Verwicklung in Massaker abgestritten.41 DieseEinheiten werden primär aus der lokalen Bevölkerungrekrutiert und von den Streitkräften ausgebildet undausgerüstet.42 Ihr Einsatz dient sowohl dem direktenKampf gegen die GAM als auch der partiellen Ent-lastung der TNI von Vorwürfen des Verstoßes gegenMenschenrechte. Ihre Ausrüstung besteht zumeist ausMacheten, Speeren und Handfeuerwaffen. Milizensind auch in Aceh mit Mord, Vergewaltigung, Brand-anschlägen etc. in Erscheinung getreten, die der Ein-schüchterung der Zivilbevölkerung dienen sollen.43

Die anhaltende Militarisierung des Konflikts gehtauf Kosten der acehnesischen Zivilgesellschaft. Diesesetzt sich seit Ende der neunziger Jahre vornehmlich

39 Vgl. Henri Myrttinen, Alte »neue« Kriege. Die Privatisierungder Gewalt in Indonesien, in: Dario Azzellini/Boris Kanzleiter(Hg.), Das Unternehmen Krieg. Paramilitärs, Warlords undPrivatarmeen als Akteure der Neuen Kriegsordnung, Berlin:Assoziation A, 2003, S. 129�141 (133).40 Im November 2003 trat eine Gruppe namens Berantas mitDrohungen gegen die indonesische Menschenrechtskommis-sion an die Öffentlichkeit, die ihre Mitgliederzahl mit 500angab. Berantas erklärte allerdings, keine Miliztruppe zusein. Vgl. Sydney Morning Herald, 18.11.2003, zitiert in: Asia-Pacific Intelligence Brief, 17.11.2003. Anfang 2004 berichtetedie indonesische Presse von ca. 1500 neuen Milizionären, diesich vornehmlich aus Kreisen arbeitsloser Jugendlicherrekrutieren sollen. Einige von ihnen erklärten, mit ihremBeitritt dem Vorwurf der Sympathie für die GAM begegnenzu wollen. Vgl. The Jakarta Post, 19.1.2004, zitiert in: Asia-Pacific Intelligence Brief, 19.1.2004.41 Vgl. The Financial Times, 13.6.2003, S. 4.42 Hinter den Bemühungen um den Aufbau von Milizensteht anscheinend der Stabschef des Heeres, EndirartonoSutarto, der bereits 1998/99 an Milizaktivitäten in Osttimorbeteiligt war. Vgl. The Jakarta Post, 19.1.2004, zitiert in: Asia-Pacific Intelligence Brief, 19.1.2004.43 Vgl. Myrttinen, Alte »neue« Kriege [wie Fn. 39], S. 134.

aus Studentenorganisationen, Menschenrechts- undFrauengruppen zusammen. Dutzende kleiner NGOswurden in Aceh seit dem Ende der DOM-Periodegegründet. Sie betreiben zumeist lokale Projekte undbeschäftigen sich unter anderem mit Menschenrechts-fragen, Frauenrechten, Umweltschutz oder der Auf-arbeitung erlittenen Unrechts. In den letzten Jahrenhaben sich viele der kleinen NGOs untereinandervernetzt und kooperieren verstärkt mit nationalenund internationalen Organisationen und Solidaritäts-gruppen. Trotz der personell wie inhaltlich heteroge-nen Ausrichtung der entstandenen Netzwerke gibt eseinige politische Zielvorstellungen, welche die Zivil-gesellschaft in Aceh einen. Das ist einmal die vongroßen Teilen der Bevölkerung getragene Forderungnach Abhaltung eines Referendums, zu dessen Zweck1999 das Informationszentrum SIRA (Sentral InformasiReferendum Aceh) gegründet wurde. Das SIRA betreibtinnerhalb wie außerhalb der Provinz gewaltfreieLobbyarbeit für ein Referendum über den künftigenStatus Acehs. Zum anderen fordern moderate Kräfteeine adäquate, demokratischen Standards genügendeUmsetzung der Autonomieregelung sowie Aufarbei-tung der Menschenrechtsverletzungen. Beide Tenden-zen sind in ihrem grundsätzlichen Eintreten für Unab-hängigkeit eher komplementär als gegenläufig.44

Die betreffenden Organisationen genießen einhohes Maß an Rückhalt in der Bevölkerung und Unter-stützung aus den Kreisen der traditionellen, religiösenFührer Acehs.45 Trotz der prinzipiellen Fähigkeit desIslams zur Mobilisierung bleibt eine religiöse Radika-lisierung unwahrscheinlich. Sowohl für die GAM wieauch für die achenesische Zivilgesellschaft ist derIslam Mittel zur sozialen Kontrolle und Mobilisierung,dominiert aber keineswegs die politischen Agenden.Radikal-islamische Strömungen sind daher auchinnerhalb des zivilgesellschaftlichen Spektrumsmarginalisiert.

Die noch bis Mai 2003 starke Zivilgesellschaft inAceh wurde bislang weder von indonesischer Seitenoch seitens der internationalen Staatengemeinschaftin Konfliktlösungsstrategien eingebunden. Angesichtsder erneuten Eskalation von Gewalt wirkt sie paraly-siert. Dieser Zustand wird anhalten, solange die TNI

44 Quantitative Analysen zum Verhältnis zwischen Befür-wortern der Unabhängigkeit und Befürwortern einer Auto-nomieregelung innerhalb der acehnesischen Gesellschaftfehlen allerdings völlig. Die hier getroffenen Einschätzungenbasieren im wesentlichen auf Zeitungsartikeln, Publikatio-nen in Fachzeitschriften und NGO-Berichten.45 Sukma, The Acehnese Rebellion [wie Fn. 5], S. 390f.

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der Zivilgesellschaft eine aktive Rolle im Kampf derGAM unterstellt. Tatsächlich wurde die Bevölkerungzu weiten Teilen erst durch die eskalierende Gewaltzur Parteinahme gezwungen. Moderate Kräfte habenstetig an Einfluß verloren, so daß zivilgesellschaftlicheKonfliktlösungsstrategien keine nennenswerteWirkung entfalten, solange kein lokal akzeptablesAutonomiestatut umgesetzt wird.

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Aceh und die Stabilität Indonesiens

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Aceh und die Stabilität Indonesiens

Die Lösung des Aceh-Konflikts ist eine wesentlicheVoraussetzung für die Wiederherstellung der Stabili-tät Indonesiens, das seit dem Sturz Suhartos mit derAufgabe konfrontiert ist, Politik, Wirtschaft undRechtswesen gleichzeitig zu reformieren. Ein Scheiternin Aceh durch Sezession oder anhaltende Unterdrük-kung würde das Land auf Jahre hinaus zum Unruhe-herd machen.

Die Fronten in Aceh haben sich seit der Verhän-gung des Kriegsrechts im Mai 2003 extrem verhärtet.Während die GAM ihre Forderung nach staatlicherUnabhängigkeit zu keiner Zeit aufgab, reagierte Präsi-dentin Megawati auf die Infragestellung der nationa-len Einheit seit dem Scheitern der Genfer Verhand-lungen in erster Linie militärisch. Seither sprechenBeobachter von einem politischen Comeback desMilitärs.46

Entsprechende Initiativen gab es allerdings schonvor der neuerlichen Eskalation in Aceh. So erörtertenmehrere hundert Offiziere im Februar 2003 Strategienfür eine politische Einflußnahme auf die Regierung inJakarta. Kurz darauf verlangte der Generalstabschefunter Verweis auf separatistische Bewegungen öffent-lich die Wiederherstellung der Zuständigkeit derStreitkräfte für die innere Sicherheit. Wenig späterveröffentlichte das Verteidigungsministerium ein vonpensionierten Offizieren verfaßtes »Weißbuch«, indem eine zentrale Rolle für die TNI beim Kampf gegenSeparatismus, Terrorismus, Schmuggel und Pirateriegefordert wurde � Aufgaben, die eigentlich in dieZuständigkeit der Polizei fielen.47 Auf dieser Grund-lage entwarfen der TNI nahestehende Abgeordnete einGesetz über die künftige Rolle des Militärs, demzu-folge die Führung der Streitkräfte im Falle einerBedrohung der staatlichen Souveränität oder Integri-tät auch ohne Ermächtigung durch Präsident oderParlament Truppen mobilisieren und einsetzen

46 Vgl. Indonesia�s Territorial Integrity and the TNI�s Rolein Crushing Separatism, in: Tapol Online Bulletin (Jakarta),8.10.2003, <www.tapol.gn.apc.org>.47 Vgl. Philipps J. Vermont, No Reason to Give Power Backto the Army, Jakarta: Centre for Strategic and InternationalStudies, 28.10.2003, <www.csis.or/id/tni_army.htm>.

können soll.48 Es bleibt abzuwarten, ob und in welcherForm die Gesetzesinitiative im indonesischen Parla-ment verabschiedet wird. Derlei Initiativen stoßen imVorfeld der Präsidentschaftswahlen 2004 in Indone-sien schon deshalb kaum auf Kritik, weil mittlerweilewieder jeder erfolgreiche Kandidat der Unterstützungdurch die TNI bedarf.49 Gleichzeitig werten die GAMund ein Großteil der Acehnesen die andauernde Mili-täroperation als weiteren Beweis dafür, daß Sezessiondie einzige Option zur Lösung des Konflikts darstellt.

Eine Loslösung Acehs würde, verglichen mit derUnabhängigkeit Osttimors oder einer möglichenSezession Papuas, die weitaus größte Herausforderungfür die Sicherheit und Stabilität Indonesiens darstel-len. Dabei geht es primär um die Verteilung politi-scher und wirtschaftlicher Macht innerhalb desGesamtstaates. Ein unabhängiges Aceh, das anders alsOsttimor und Papua als »genuin« indonesisches Terri-torium angesehen wird, würde Sezessionsbestrebun-gen in weiteren rohstoffreichen Provinzen fördern.Solche Bestrebungen gibt es vor allem im ebenfalls aufSumatra gelegenen Riau, das über beträchtliche Ölvor-kommen verfügt. Die Forderungen der dortigen Bevöl-kerungsmehrheit richten sich derzeit noch auf weit-reichende Autonomie; ein Erfolg der GAM wäre jedochein unübersehbarer Präzedenzfall.50 Darüber hinausist die auf Java konzentrierte verarbeitende Industrievon kostengünstigen Öl- und Gaslieferungen ausProvinzen wie Aceh und Riau abhängig. Sezessionwürde folglich zu schweren innenpolitischen Macht-kämpfen führen, wobei auch ein Militärputsch nichtauszuschließen wäre.

Eine realistischere Option zur Stabilisierung vonAceh und zur Verbesserung der nationalen Stabilitätbestünde daher schon angesichts des derzeitigenmilitärischen Patts51 in der Umsetzung einer weit-

48 Vgl. Tapol Online Bulletin, Juni/Juli 2003, <www.tapol.gn.apc.org/171-2soft.htm>.49 Vgl. Die Tageszeitung, 24.7.2003, S. 11.50 Vgl. Huxley, Disintegrating Indonesia? [wie Fn. 4], S. 47.51 Vgl. Anthony L. Smith, Indonesia�s Aceh Problem: Measur-ing International and Domestic Costs, in: Asia-Pacific SecurityStudies, Honolulu: Asia-Pacific Centre for Security Studies,2.5.2003, <http://www.apcss.org/Publications/APSSS/Indonesias%20Aceh%20Problem.pdf>.

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reichenden Autonomieregelung.52 Ziel einer solchenPolitik wäre die Schwächung der Unabhängigkeits-bewegung durch eine Einbindung der Acehnesen inden bisher größtenteils von Jakarta kontrolliertenVerwaltungsapparat. Dieses Ziel ist allerdings insofernkaum noch erreichbar, als das Militär mit seinemVorgehen zu einer weiteren Entfremdung der Zivil-bevölkerung beiträgt.

Das Mißtrauen der Acehnesen gegenüber der Zen-tralregierung ist nicht ausschließlich auf die Eskala-tionsstrategie der TNI zurückzuführen. Es beruhtwesentlich auf dem Ausschluß weiter Bevölkerungs-kreise von den Verhandlungen über Inhalt, Ziele undImplementierung des Autonomiestatuts. Bisher wurdenur eine kleine Elite, die in Jakarta oder in der Provinzselbst Verwaltungsaufgaben wahrnimmt, in diesenProzeß eingebunden. Zudem haben diejenigen Aceh-nesen, die sich für eine Autonomielösung einsetzten,durch die anhaltende Militäroffensive in der Bevölke-rung einen Ansehensverlust erlitten.

Ein wichtiger Schlüssel zur Lösung des Konfliktsbesteht in der � im Autonomiestatut grundsätzlichvorgesehenen � gerechteren Aufteilung der Erlöse ausder Förderung von Öl und Gas. Allerdings soll die Zu-teilung dieser Gelder nicht durch das Provinzparla-ment erfolgen, sondern durch die Regierung in Jakar-ta, die sich weiterhin durch Korruption und Intrans-parenz auszeichnet. Darüber hinaus wurde mit Exxon-Mobil der wichtigste Produzent ausgespart.53

Was die künftige administrative Autonomie derProvinz angeht, fehlt weiterhin eine eindeutige Kom-petenzaufteilung. Im Gegensatz zu den Autonomie-bestimmungen für andere Provinzen räumt das fürAceh vorgesehene Statut nicht den Bezirken, sondernder Provinzregierung eine dominierende Rolle ein.Diese setzt sich bisher aus von Jakarta eingesetztenBeamten zusammen und genießt daher wenig Legi-timität. Ihr Ansehen wird zudem durch eine engeZusammenarbeit mit den TNI untergraben. So unter-stützte die Provinzregierung das Militär in dem Ansin-nen, in Banda Aceh eine eigene Kommandostelle ein-zurichten. Ferner finden die Rechte von Minderheitenim Autonomiestatut keinerlei Erwähnung. Dies betrifftinsbesondere die Bevölkerungsgruppen der Gayo undAlas im Süden der Provinz, aber auch zugewanderte,

52 Natürlich beeinträchtigen unterschiedliche Autonomie-statute jedenfalls mittelfristig auch die Effizienz der Zentral-regierung und die intraregionalen Beziehungen. Eine solcheEntwicklung wäre aber als kleineres Übel in Kauf zu nehmen.53 Vgl. Can Autonomy Stem the Conflict?, Brüssel/Jakarta:International Crisis Group, 27.6.2001, S. 7f.

sogenannte »Transmigranten« aus anderen TeilenIndonesiens.

Darüber hinaus ist auch die acehnesische Verwal-tung von Korruption betroffen. So flossen alleinzwischen Januar und Oktober 2003 etwa 654 Millio-nen US-Dollar aus den Budgets der Provinzregierungin lokale Entwicklungsprojekte, die entweder nur aufdem Papier existierten oder durch unlauteren Wett-bewerb zustande gekommen waren. Im Zentrum derKritik steht der von Jakarta eingesetzte GouverneurAbdullah Puteh, der beschuldigt wird, mehrere Millio-nen US-Dollar in die eigene Tasche gewirtschaftet zuhaben.54

Bei unzureichender Implementierung des Autono-miestatuts würde die GAM als einzige Interessenver-tretung der Acehnesen weiter aufgewertet, Forderun-gen nach Unabhängigkeit genährt und eine politischeLösung des Konflikts letztlich unmöglich gemacht.Ohne eine Lösung der politischen und wirtschaftli-chen Probleme bleibt die Provinz ein erheblichesSicherheitsrisiko. Heute ist Aceh von einer Lösungjedoch weit entfernt. So werden seit der Verhängungdes Kriegsrechts im Mai 2003 nicht nur alle maßgeb-lichen politischen Entscheidungen von Militärs getrof-fen, sondern auch Rohstofferlöse direkt für die Durch-führung militärischer Operationen verwendet.55

Schließlich ist auch für die Lage in Aceh der 11. Sep-tember 2001 nicht folgenlos geblieben. Als säkular-sezessionistische Bewegung hat die GAM grundsätz-lich kein Interesse an einer Zusammenarbeit mitislamistischen Terroristen. Folglich existieren zwischender Organisation und dem regionalen TerrornetzwerkJemaah Islamiyah (JI) keine operativen Verbindungen,und die amerikanische Regierung hat es abgelehnt,die GAM auf ihre Liste internationaler Terrororganisa-tionen zu setzen. Trotzdem gibt es Wechselwirkungenzwischen dem Aceh-Konflikt und den Aktivitäten derJI, die zum Beispiel in der Unruheprovinz Waffen undSprengstoff erworben hat. Diese gelangten wahlweiseüber die Inseln Singapur und Batam oder über Malay-sia an ihren Bestimmungsort. Weiterhin gibt es Kon-takte zwischen JI, MP-GAM-Dissidenten (s. oben) undden TNI, die ihren Ausdruck unter anderem 2000 inAnschlägen auf christliche Kirchen in Sumatra fanden.Die Anschläge wurden anscheinend mit Billigung vonArmeeangehörigen durchgeführt, während die TNI-

54 Vgl. Far Eastern Economic Review, 9.10.2003, S. 20.55 Vgl. Aceh: How Not to Win Hearts and Minds, Brüs-sel/Jakarta: International Crisis Group, 23.7.2003, S. 2.

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Führung die GAM verantwortlich machte.56 Auch ausdieser Gemengelage gehen die Streitkräfte grundsätz-lich gestärkt hervor, da sie das entstandene Sicher-heitsdilemma für die Konsolidierung ihrer innen-politischen Machtposition zu nutzen verstehen.

56 Vgl. Indonesia Backgrounder: How the Jemaah IslamiyahTerrorist Network Operates, Jakarta/Brüssel: InternationalCrisis Group, 11.12.2002, S. 6.

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Aceh und die Stabilität Südostasiens

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Aceh und die Stabilität Südostasiens

Indonesien, das Land mit der weltweit größten musli-mischen Bevölkerung, galt traditionell als der »interneFöderator« der Gemeinschaft Südostasiatischer Staaten(Association of Southeast Asian Nations, ASEAN), diespätestens seit dem Untergang des Suharto-Regimesmit eigenen, institutionellen Problemen konfrontiertist. Auch in der weiteren Region haben sich Sezes-sionsbestrebungen seit der Ostasiatischen Krise von1997/98 und insbesondere seit dem 11. September2001 verschärft und mit nichtmilitärischen Risikenüberlagert.57 Die gewaltsame Loslösung Acehs vonJakarta könnte somit eine Kettenreaktion auslösen.Aus diesem Grund hat sich die ASEAN seit 2000wiederholt zur territorialen Integrität Indonesiensbekannt.

Bisher halten sich die unmittelbaren Auswirkungendes Konflikts auf die Nachbarstaaten noch in Grenzen.Aceh liegt am nördlichen Zugang der Straße vonMalakka, einer strategischen Verbindung zwischenEuropa, der Golfregion und Ostasien (s. Karten imAnhang). Diese Meerenge ist ein Zentrum der in Süd-ostasien ohnehin verbreiteten Piraterie. Das LondonerInternational Maritime Bureau (IMB) hat die GAMwiederholt verdächtigt, für Überfälle auf die zivileSchiffahrt verantwortlich zu sein.58 Durch Entführungder Schiffsbesatzungen sollte anscheinend die Kriegs-kasse der Guerilla aufgebessert werden. Diesbezüg-liche Erkenntnisse sind jedoch ungesichert, da dieVorfälle bislang nicht von der indonesischen Regie-rung untersucht wurden. Das Sicherheitsrisiko indiesem Zusammenhang besteht allerdings nicht alleinin privatwirtschaftlichen Verlusten. So würde etwa dieHavarie eines Großtankers das Ökosystem der Regionumfassend zerstören und den Schiffsverkehr für langeZeit behindern.59

57 So ließ sich etwa die Moro Islamic Liberation Front in densüdlichen Philippinen von der Unabhängigkeit Osttimorsinspirieren. Vgl. Huxley, Disintegrating Indonesia? [wie Fn. 4],S. 74ff.58 Dabei trugen die Piraten anscheinend GAM-Uniformen.Vgl. The Jakarta Post, 30.10.2002, <www.thekakartapost.com>.59 Vgl. Concern Grows as Pirates Attack Tankers, London:International Maritime Bureau, 5.11.2003, <www.iccwbo.org/news_archives/2003/piracy_oct_2003.asp>; ebenso: Adam J.Young/Mark J. Valencia, Conflation of Piracy and Terrorism in

Weitere nichtmilitärische Risiken betreffen denillegalen Handel mit Waffen und Drogen und Migra-tionsbewegungen innerhalb der Region. Bisher gibtes zwar einige bilaterale Ansätze zur Bekämpfungsolcher Gefahren, aber noch keine effektive gesamt-regionale Kooperation.60 Was den Waffenhandelangeht, ist Aceh allerdings in erster Linie Empfänger-land und tritt allenfalls marginal als Zwischenhändlerin Erscheinung.

Auch die von Malaysia befürchtete, regionale Flücht-lingswelle ist nach der jüngsten Eskalation in Acehausgeblieben. Die etwa 2500 Acehnesen, die seit Mai2003 beim Vertreter des UN-Flüchtlingskommissars inKuala Lumpur Asyl beantragen wollten, sollen von dermalaysischen Regierung abgeschoben werden, soweitnoch nicht geschehen61 (Malaysia hat keines der inter-nationalen Abkommen zum Schutz von Flüchtlingenunterzeichnet und erkennt Immigranten nicht alspolitisch Verfolgte an.) Die mit über einer Millionweitaus größere Zahl indonesischer Wirtschafts-migranten im Nachbarland hat zudem keinen direk-ten Bezug zum Aceh-Konflikt.62

In Aceh wird seit Generationen Cannabis angebautund traditionell auf lokalen Märkten verkauft. DieGAM hat die Produktion seit 1996 erheblich gesteigert,um ihren Kampf unter anderem mit dem Vertrieb vonMarihuana zu finanzieren.63 Über relevante Exporteliegen bisher keine Informationen vor. Amphetamin-ausfuhren aus Java und Bali und diesbezügliche Quer-verbindungen zu terroristischen Organisationen

Southeast Asia: Rectitude and Utility, in: ContemporarySoutheast Asia (Singapur), 25 (2003) 2, S. 269�283 (274ff).60 Vgl. David Capie, Sovereignty under Fire: Small ArmsSmuggling in Southeast Asia, in: Panorama: Insights intoSoutheast Asian and European Affairs (Manila), 3 (2001) 1,S. 57�79.61 Vgl. Asia Times (Bangkok), 9.9.2003, <www.atimes.com>.62 Vgl. Joseph Liow, Malayia�s Illegal Indonesian MigrantProblem: In Search of Solutions, in: Contemporary SoutheastAsia (Singapur), 25 (2003) 1, S. 44�64.63 Die Produktion von Cannabis stieg von 4012 Kilogrammim Jahre 1996 bis auf 61 669 Kilogramm im Jahre 2002. Vgl.Strategic Concept to Combat the Drugs Menace in Pursuit ofa Drug-Free Indonesia, Jakarta: National Narcotics Board,6.11.2003, <www.bknn.or.id/dokumen/AIPO_Malakah.pdf>.

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dürften regional und international von deutlich grö-ßerer Bedeutung sein.64

Die erneute Eskalation des Konflikts in Aceh bedeu-tete gleichzeitig Rückschläge für die 2002 initiiertenBemühungen der Bush-Administration um eineWiederanknüpfung der (1999 infolge der Massaker inOsttimor ausgesetzten) militärischen Zusammenarbeitmit Indonesien als Teil der für Südostasien prokla-mierten »zweiten Anti-Terrorfront«. Unter anderemvor diesem Hintergrund65 nahm der US-Senat 2003bereits erteilte Zusagen für Aufbildungshilfen an dieTNI wieder zurück. Washington konzentriert seineAktivitäten seither auf eine Zusammenarbeit mit derindonesischen Polizei.66

64 Vgl. David A. Denny, Terrorism, Drug Trafficking Inextri-cably Linked, US Experts Say, Botschaft der USA in Jakarta,6.11.2003 <http://jakarta.usembassy.gov/terrorism/drug_traficking.html>.65 Eine ebenso große Rolle spielten die zögerliche Ahndungvon Menschenrechtsvergehen in Osttimor und der Mord anzwei Amerikanern durch TNI-Soldaten in Papua im August2002.66 Vgl. Far Eastern Economic Review, 5.6.2003, S. 8.

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Territoriale Integrität versus Demokratie?

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Territoriale Integrität versus Demokratie?

Der Konflikt um Aceh kann trotz des waffentechni-schen und personellen Ungleichgewichts zwischenden Kämpfern der GAM und den indonesischenSicherheitskräften militärisch nicht gelöst werden.Die Unterstützung der lokalen Bevölkerung für dieUnabhängigkeitsbewegung hat auch nach dem Sturzdes oppressiven Suharto-Regimes in dem Maße zuge-nommen, in dem das Militär den Konflikt zu Zweckendes innenpolitischen Machterhalts instrumentalisierte.Zwar hätte die GAM ihrerseits ein Autonomiestatutallenfalls als Vorstufe für ein Unabhängigkeits-Refe-rendum akzeptiert. Ein solches Statut hätte jedoch dieMehrheit der Acehnesen bei adäquater Ausstattungund Implementierung für den Erhalt des Gesamtstaa-tes gewinnen können, an dessen Befreiungskampfgegen die Niederlande Aceh prominent mitwirkte.Insofern ist das heutige Dilemma ein Reflex auf diezunehmende Reformunfähigkeit in Jakarta.

Es ist eine Ironie der Geschichte, daß diese Entwick-lung ausgerechnet durch den indonesischen Demo-kratisierungsprozeß ausgelöst wurde. Solche Prozesseführen in der Regel zu einer gesamtstaatlichen Schwä-chung, weil überkommene Institutionen durch neue,unerprobte ersetzt werden müssen und sich gegebe-nenfalls zur Wehr setzen. Da der Zusammenbruch deralten Ordnung wesentlich darauf zurückzuführen ist,daß die von Korruption geprägten alten Institutionenmit den Herausforderungen der globalisierten Weltnicht mehr Schritt halten können, ist eine Rückkehrzum Autoritarismus kein Ausweg. Auch wenn eineLoslösung Acehs heute noch mit militärischen Mittelnzu verhindern wäre, würde dies ein immer repressive-res Eingreifen erfordern und damit immer entschie-deneren Widerstand erzeugen. Wie in anderen Bürger-kriegssituationen auch, besteht die einzige Hoffnungin einer beiderseitigen Ermüdung, aus der herausdann allerdings zumindest glaubwürdigere Autono-mieangebote gemacht werden müßten. Eine solcheEntwicklung könnten und sollten auswärtige Geber-länder fördern.

Eine Ermüdung bleibt unwahrscheinlich, solangedie demokratisch-gewählten Regierungen in Jakartaihre eigene Legitimierung mangels anderer Erfolgezunehmend nur noch aus der Wahrung der territo-rialen Integrität des Landes beziehen. Der in Gesamt-

indonesien lauter werdende Ruf nach einer »starkenHand«, der anscheinend mit wachsender Toleranz fürein politisches Comeback des Militärs einhergeht,steht in direktem Widerspruch zu den Bedürfnissender Bevölkerung von Aceh.

Er steht allerdings langfristig mangels Fähigkeitzur Problemlösung auch in direktem Widerspruch zuden Bedürfnissen der indonesischen Bevölkerung. Derdemokratische Prozeß mag langwierig und manchmalhoffnungslos erscheinen, er ist der einzige Ausweg auseinem Teufelskreis von nationalen Strukturproblemenund lokaler Unterdrückung. Insofern dient er der Stabi-lisierung Indonesiens und damit der � bisher nur mar-ginal betroffenen � Gesamtregion. Auch nach demRückzug des Weltwährungsfonds Ende 2003 bleibtJakarta von internationalen Gebern abhängig. Diesesollten die Abhängigkeit in erster Linie dafür nutzen,eine Rückkehr des indonesischen Militärs in diePolitik zu verhindern. Um den Demokratisierungs-und Reformdruck aufrechtzuerhalten, ist eine vonder EU, Japan und den USA langfristig abgestimmteStrategie notwendig. Derzeit liegt der Hauptakzentder EU-Strategie für Indonesien auf dem Gebiet von»good governance«.67 Forciert werden sollte jedoch vielmehr als bisher eine Reform des gesamten Sicherheits-bereichs in Indonesien � eine Aufgabe, die von der EUbislang vernachlässigt und von der US-Regierung mitVerweis auf den Anti-Terrorkrieg in Südostasien sogarin Teilen blockiert wird. An einer langfristigen Reform-strategie mit sicherheitspolitischem Akzent müßteauch dann festgehalten werden, wenn sie dem eigenenwirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Kalkülkurzfristig widerspricht. Die äußerst verhalteneReaktion der Bundesregierung auf den Einsatz vonan Indonesien verkauften NVA-Kriegsschiffen bei derOffensive in Aceh68 spricht eine andere Sprache. Die

67 Vgl. Indonesia � Country Strategy Paper 2002�2006,Brüssel/Jakarta: European Union, 2002.68 Vgl. den Bericht des WDR-Fernsehmagazins Monitor(»Bürgerkrieg in Indonesien � deutsche Kriegsschiffe imEinsatz«) vom 19.6.2003. Das Manuskript des Berichtes kannunter <www.wdr.de/tv/monitor/pdf/030619b_indonesien.pdf>heruntergeladen werden.

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Äußerung »großer Betroffenheit«69 ist kein substan-tieller Beitrag zur Bekämpfung von Menschenrechts-verletzungen oder zur politischen Konfliktlösung.Dafür müßten die westlichen Staaten äußerstenfallsauch die Unabhängigkeit Acehs in Kauf nehmen �wenngleich dieses Szenario derzeit (noch) keineAktualität besitzt. Bevor es dazu kommt, sollten die-selben Staaten versuchen, Indonesien und die GAM anden Verhandlungstisch zurückzubringen. Abhängigvon der Machtkonstellation in Jakarta nach den Präsi-dentschaftswahlen 2004 und der dortigen Sensibilitätfür die ständig wachsenden Kosten des Krieges gegendie GAM, besteht die Chance, daß sich das Zeitfensterfür einen (und sei es auch nur temporären) Kompro-miß noch nicht völlig geschlossen hat. Vorbedingungfür jegliche Lösung ist die Beendigung der indone-sischen Militäroffensive in Aceh.

69 Vgl. Joint Statement on Aceh by the EU, Japan and theUS, 6.11.2003 <www.usembassyjakarta.org/press_rel/aceh_jsc.html>.

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Karten

Karte von Indonesien

Quelle: Kartensammlung der University of Texas Library,<http://www.lib.utexas.edu/maps/middle_east_and_asia/indonesia_adm_2002.jpg>, (18.11.2003).

Abkürzungen

ABRI Ankatan Bersentja Republik Indonesia(Bewaffnete Streitkräfte der Republik Indonesien)

ASEAN Association of Southeast Asian NationsASNLF Aceh Sumatra National Liberation Front

(Nationale Befreiungsfront Aceh Sumatra)DOM Daerah Operasi Militer

(militärisches Operationsgebiet)FMIA Front Mujahidin Islam Aceh

(Mujaheddin Front für ein islamisches Aceh)GAM Gerakan Aceh Merdeka

(Bewegung für ein freies Aceh)IMB International Maritime BureauJI Jemaah Islamiyah

(Islamische Gemeinschaft)MILF Moro Islamic Liberation Front

(Islamische Moro-Befreiungsfront)

MP-GAM Majlis Pemerintahan GAM(GAM-Regierungsrat)

OPM Organisasi Papua Merdeka(Organisation für ein Freies Papua)

POLRIS Polis Republik Indonesia(Nationale Polizei Indonesiens)

PULO Patani United Liberation Organisation(Befreiungsorganisation Vereinigtes Patani)

SIRA Sentral Informasi Referendum Aceh(Informationszentrum für ein Referendum inAceh)

TNI Tentara Nasional Indonesia(Nationale Streitkräfte Indonesiens)

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Karten

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Karte von Aceh

Qelle: ABL Tours and Travel Ltd., <http://baliwww.com/aceh/map.htm> (18.11.2003).