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FinanzmathematikVorlesung WS 2010/11
Jurgen Dippon
Institut fur Stochastik und AnwendungenUniversitat Stuttgart
Version vom 28. Marz 2011
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1. Einfuhrung
Die klassische Finanzmathematik beschaftigt sich in erster Liniemit grundlegenden Finanzinstrumenten oder Anlageformen (basicsecurities)
I Aktien (stocks)
I festverzinsliche Wertpapiere (bonds)
I Wahrungen (foreign exchange)
I Rohstoffe (commodities)
I Energie
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Die moderne Finanzmathematik untersucht derivativeFinanzinstrumente (derivatives, derivative securities, contingentclaims), die von einfacheren Finanzinstrumenten (underlyings)abgeleitet werden.
Beispiele fur Derivate:
I Forwards
I Futures
I Optionen (options, contingent claims)
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Geschichte
I 17. Jahrhundert in den Niederlanden: Put-Optionen aufTulpen
I 18. Jahrhundert in London: Problem — kein gesetzlicherRahmen beim Ausfall eines Vertragspartners
I 1930: Gesetzliche Regulierung
I 1970: Bedeutende Zunahme von Termingeschaften
I 1973: Grundung der Chicago Board Options Exchange
I 1990: Deutsche Terminborse (DTB) nimmt Handel mitOptionen auf
I 1998: Fusion der DTB mit der SDFEX (SchweizerischeTerminborse) zur EUREX
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Wissenschaftliche Untersuchung
I 1900: Louis Bachelier modelliert in seiner Dissertation“Theorie de la speculation” den Aktienkurs als BrownscheBewegung
I 1965: Paul Samuelson modelliert den Aktienkurs alsgeometrische Brownsche Bewegung
I 1973: Fischer Black und Myron Scholes geben expliziteFormeln zur Optionspreisbewertung an — unabhangig davonauch Robert Merton
I 1981: M. Harrison und S. Pliska fuhren Martingalmethoden indie Optionspreisbewertung ein
I 1997: Okonomie-Nobelpreis fur Scholes und Merton (Black1995 gestorben)
I 2003: Okonomie-Nobelpreis fur Robert F. Engle(ARCH-Zeitreihen)
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Quantitative Fragen
I Bewertung (pricing) von Derivaten
I Hedging Strategien fur Derivate (Absicherung)
I Risikomanagement von Portfolios
I Portfoliooptimierung
I Modellwahl und Kalibrierung
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Aktuelle Fragestellungen
I Verbesserung der Modellierung der Underlyings: LevyProzesse, fraktale Brownsche Bewegung, Sprunge in denAktienkursen, Insider-Information, stochastische Volatilitaten,. . .
I Modellierung des Korrelationsrisikos in großen Portfolios
I Bewertungsmethoden fur hochdimensionale undpfadabhangige Auszahlunsprofile in komplexeren Modellen
I Modellierung der Marktliquiditat und des Ausfallrisikos
I Risikomanagement bei extremer Entwicklung von Markten
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Grundbegriffe
Finanzinstrumente:
I primare Finanzinstrumente: Basisguter
I sekundare Finanzinstrumente: Derivate
Definition 1.1. Ein Derivat ist ein Finanzinstrument, dessen Wertzum Verfallszeitpunkt T (expiry date) vom Wert eines einfacherenFinanzinstruments (underlying) zum Zeitpunkt T (oder auch vomWerteverlauf bis zum Zeitpunkt T) abhangt.
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Beispiele fur Basisguter (underlying securities)
I Aktien (stocks)
I Zinsraten (interest rates)
I Wahrungen (currencies)
I Rohstoffe (commodities)
I Wetter
I Indizes wie DAX, Dow Jones, CAT-Index (catastrophe losses)
I Firmenwerte (firm values)
I Bonitaten (rating)
Die Preisentwicklung eines Basisgutes wird ublicherweise mitS = (St) = St | t ≥ 0 bezeichnet.
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Festverzinsliche Wertpapiere
Startkapital zum Zeitpunkt t = 0: B0
Bei jahrlicher Zinsausschuttung mit Zinsrate r per annum:Kapital nach t = n Jahren
B(1)n = B0(1 + r)n
Zinsausschuttung nach 1k Jahren und Zinsrate r
k pro 1k Jahre:
Kapital nach n Jahren
B(k)n = B0
(1 +
r
k
)nk
Bei stetiger Verzinsung mit dem Momentanzins (short rate) r :Kapital nach n Jahren
Bn := limk→∞
B(k)n = B0e
nr
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Markte:
I Borsen
I OTC (Over-the-Counter)
Typen von Handlern:
I Hedgers versuchen ihre Institution gegen Risiken abzusichern
I Spekulanten versuchen durch “Wetten” Profit zu machen
I Arbitrageure versuchen durch simultane Transaktionen aufverschiedenen Markten Profit aus Kursdifferenzen zu ziehen
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Modellannahmen (perfekter Finanzmarkt)
I reibungsloser Markt: keine Transaktionskosten, keine Steuern,keine Einschrankungen fur short sales, Kaufs- undVerkaufspreise sind identisch
I kein Ausfallrisiko, Soll- und Habenzinsen sind identisch
I Wettbewerbsmarkt: der Preis wird vom Markt und nicht voneinzelnen Marktteilnehmern festgelegt
I Kapitalanlagen sind beliebig teilbar
I NO ARBITRAGE!!!
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Short Selling ist eine Handelsstrategie, bei der der InvestorObjekte, z.B. Aktien, die ihm nicht selbst gehoren, von einemPartner fur eine gewisse Zeit ausleiht, diese verkauft, spater wiederzuruckkauft und an den Partner zuruckgibt. In der Zwischenzeitanfallende Ertrage des Objekts (z.B. Dividenden) muss der Investoran den Partner erstatten.
Short Selling ist nur dann fur den Investor interessant, wenn derRuckkaufswert St (deutlich) kleiner als der Verkaufswert S0 ist.
Short Selling ist in der Praxis zahlreichen Restriktionenunterworfen.
Ein Portfolio ist eine Kombination mehrerer Finanzinstrumente,deren Wertentwicklung als Ganzes gesehen wird.
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Finanzmarkte bieten
I risikolose Anlagen (z.B. festverzinsliche Wertpapiere)
I risikobehaftete Anlagen (z.B. Aktien)
Ein Anleger ist nur bereit, in risikoreichere Anlagen zu investieren,wenn er die Moglichkeit sieht, einen hoheren Profit als inrisikoarmeren Anlagen zu erzielen.
Arbitrage ist die Moglichkeit, ohne Kapitaleinsatz einen risikolosenProfit zu erzielen (formale Definition spater).
Wurde diese Moglichkeit bestehen, so konnte man damit risikolosriesige Geldsummen erwirtschaften. Markte im Gleichgewichtneutralisieren solche Arbitrage-Moglichkeiten.
Es wird sich zeigen, dass die No-Arbitrage-Annahme direkt zu einerMethode zur Bewertung von Derivaten fuhrt.
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Beispiel eines einfachen Derivates:
Definition 1.2 Ein Forward-Kontrakt (Terminkontrakt)vereinbart den Kauf oder Verkauf eines Finanzgutes zu einemfesten zukunftigen Zeitpunkt T (delivery date) zu einem festenPreis K, dem sog. Terminkurs (delivery price, strike price).
Haufig wahlt man den Terminkurs K so, dass der Wert derForward-Kontraktes bei Vertragsabschluss (t = 0) den Wert Nullhat. Bei dieser Wahl des Terminkurses ist bei Vertragsabschlussalso nichts zu bezahlen, erst zum Zeitpunkt T .
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Bei Vertragsabschluss (t = 0) fuhrt der Verkaufer des Kontraktesdie beiden folgenden Aktionen durch:
I Er nimmt einen Kredit uber S0 zur risikofreien Zinsrate r auf
I Er kauft das Underlying mit diesem Geldbetrag
Bei Vertagsablauf (t = T ) fuhrt der Verkaufer des Kontraktes diebeiden folgenden Aktionen durch:
I Er ubergibt dem Kaufer des Underlying (welches jetzt denWert ST besitzt) zum Preis von K = S0e
rT .
I Zur Tilgung des Kredits bezahlt er S0erT .
Damit hat er alle Verbindlichkeiten aufgelost.
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Wurde der Verkaufer einen Betrag K > S0erT fordern, konnte er
einen risikolosen Gewinn einstreichen.
Wurde der Verkaufer einen Betrag K < S0erT fordern, konnte der
Kaufer einen risikolosen Gewinn einstreichen.
Dies wurde jeweils der Forderung nach arbitragefreien Preisenzuwiderlaufen.
Damit ist der arbitragefreie Terminkurs
K = S0erT
Beachte: Es wurden keine Annahmen uber die Kursentwicklungvon (St) gemacht!
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Beispiel:
Ein Investor erwirbt am 1. September einen Forward-Kontrakt mitdem Inhalt, in 90 Tagen 106 e zum Umtauschkurs von 0.9 US $zu kaufen.
Falls der Kurs nach Ablauf der 90 Tage auf 0.95 $ gestiegen ist,gewinnt der Investor 5 · 104 $, da 106 e dann am Markt fur0.95 · 106 $ verkauft werden konnen.
Hier also
t = 1. September
T − t = 90 Tage
T = 30. November
K = 0.9 · 106 $
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Pay-off-Profil (Auszahlungsprofil) eines Forward-Kontraktes zurZeit T :
short position
long position
payoff
K ST
Pay-off eines Forward-Kontraktes zum Laufzeitende T : ST − KPay-off eines Forward-Verkaufskontraktes zum Laufzeitende T : K − ST
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Forwards sind nicht standardisiert und bergen das Risiko in sich,dass eine Vertragsseite ausfallt (default risk). Sie werden deshalban Borsen kaum gehandelt, sondern nur “over the counter” (OTC).
Eine Variante sind Futures, welche in standardisierter Form anBorsen gehandelt werden. Hierbei wird, z.B. taglich, dieWertveranderung des Futures (aufgrund von Wertanderungen deszugrundeliegenden Finanzgutes) zwischen den Vertragsparteienausgeglichen, so dass der Wert des Futures anschließend wiedergleich Null ist. Unter schwachen Voraussetzungen stimmenTerminkurse (delivery prices) von Forwards und Futures uberein.
Futures werden z.B. an der CBOT gehandelt.
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Ein etwas komplizierteres Derivat:
Definition 1.3 Eine Option gibt dem Kaufer das Recht, einbestimmtes Finanzgut bis zu einem zukunftigen VerfallszeitpunktT (expiry, maturity) zu einem vereinbarten Ausubungspreis K(strike price) zu kaufen oder verkaufen.
Der Optionskontrakt beinhaltet im Unterschied zum Forward oderFuture jedoch nicht die Pflicht zur Ausubung.
Beim Kaufrecht wird die Option als Call (Kaufoption), beimVerkaufsrecht als Put (Verkaufsoption) bezeichnet.
Ist die Ausubung der Option nur zum Verfallszeitpunkt T moglich,so spricht man von einer europaischen Option. Kann die Optionjederzeit bis zum Zeitpunt T ausgeubt werden, wird dieseamerikanische Option genannt.
Der Kaufer befindet sich in einer long position, der Verkauferbefindet sich in einer short position.
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Pay-off einer long position bei einem Call zum Verfallszeitpunkt T
payoff
S K T
Pay-Off = (ST − K )+ = maxST − K , 0 = maxST ,K − K
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Sei t ≤ T .
S(t) < K : die Option ist out of the moneyS(t) = K : die Option ist at the moneyS(t) > K : die Option ist in the money
Problem: Wie lautet der “faire” Preis C0 und P0 fur eine Call- bzw.Put-Option?
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Gewinn (yield) einer long position bei einer Call-Option
S K K+C0
0−CT
yield
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Beispiel
Markt mit drei Anlagemoglichkeiten:
I (risikoloser) Bond BI Aktie SI europaische Call-Option mit Strike K = 1 und Expiry t = T
auf die Aktie S
Investition zum Zeitpunkt t = 0 mit Preisen (in e)
I B(0) = 1I S(0) = 1I C (0) = 0.2
Zum Zeitpunkt t = T soll sich die Welt (der Markt) in nur zweimoglichen Zustanden befinden konnen:
u (= up) oder d (= down)
mit Preisen (in e)
B(T , u) = 1.25, S(T , u) = 1.75, also C (T , u) = 0.75
und
B(T , d) = 1.25, S(T , d) = 0.75, also C (T , d) = 0 25 / 263
Startkapital sei 25 e.
Portfolio A : t = 0
Anlage Anzahl Betrag in eBond 10 10Aktie 10 10Call 25 5
25
Portfolio A : t = T
Anlage up down
Bond 12.5 12.5Aktie 17.5 7.5Call 18.75 0
48.75 20.0
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Portfolio B : t = 0
Anlage Anzahl Betrag in eBond 11.8 11.8Aktie 7 7Call 29 5.8
24.6
Portfolio B : t = T
Anlage up down
Bond 14.75 14.75Aktie 12.25 5.25Call 21.75 0
48.75 20.0
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Offensichtlich existiert in diesem Markt eine Arbitrage-Moglichkeit,da Portfolio A und Portfolio B denselben Gewinn erwirtschaften —Portfolio B jedoch mit einem geringeren Einsatz!
=⇒ Call-Option besitzt falschen Preis!
Stelle zum Zeitpunkt t = 0 das Differenzportfolio C auf:
Portfolio C := Portfolio B − Portfolio A
= (11.8, 7, 29)− (10, 10, 25)
= (1.8,−3, 4)
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Portfolio C zum Zeitpunkt t = 0:
Anlage Aktion
Bond Kaufe 1.8 Einheiten -1.8Aktie Verkaufe 3 geliehene Einheiten, 3
welche zum Zeitpunkt t = Twieder zuruckgegeben werden
Call kaufe 4 Einheiten -0.8
0.4
Dies ergibt zum Zeitpunkt t = 0 einen Gewinn von 0.4 e.
Portfolio C zum Zeitpunkt t = T :
Anlage Aktion up down
Bond Verkaufe 1.8 Einheiten 2.25 2.25Aktie Kaufe 3 Einheiten zuruck -5.25 -2.25Call Option ausuben, falls sinnvoll 3 0
0 0
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Zum Zeitpunkt t = T ist das Portfolio C also ausgeglichen.
Zum Zeitpunkt t = 0 wurde damit ein risikoloser Gewinn von 0.4e realisiert.
Weitere Beobachtung:
Mit 1.8 Bonds und 3 Aktien short kann die Wirkung derCall-Option zum Zeitpunkt t = T neutralisiert werden.
Man sagt:
Die Bond- und die Aktienposition bilden einen Hedge gegen diePosition des Calls. Dies gilt unabhangig davon, wie groß dieWahrscheinlichkeiten fur den Zustand up/down der Welt sind!
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Put-Call-ParitatSeien St der Spot-Preis einer Aktie, Ct und Pt die Werte von aufder Aktie definierten europaischen Call- bzw. Put-Optionen mitVerfallsdatum T und Ausubungspreis K .
Πt bezeichne den Wert eines Portfolios bestehend aus einer Aktie,einem Put und einer short position in einem Call:
Πt = St + Pt − Ct
Satz 1.1 Fur europaische Call- und Put-Optionen Ct und Pt aufder zugrunde gelegten Aktie St (ohne Dividendenzahlung) gilt diePut-Call-Paritat
∀0≤t≤T
Π(t) = St + Pt − Ct = Ke−r(T−t)
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Beispiel: Aktie der Deutschen Bank (alle Preise in DM)t = 23. Juni 1997, T = 18. Juni 1998, K = 80.00, r = 3.15% p.a.
Aktie S(t) = 97.70Call C (t) = 23.30Put P(t) = 4.16
S(t) + P(t)− C (t) = 78.66
Diskontierter Strike-Preis:
K
1 + r=
80
1.0315= 77.56
Ursachen fur Differenz: Dividendenzahlung vor T ,Nachfrageeffekte, . . .
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Schranken fur Optionen
Satz 1.2 Fur europaische und amerikanische Call-Optionen gilt:
∀t∈[0,T ]
C (t) ≥(S(t)− e−r(T−t)K
)+
∀t∈[0,T ]
C (t) ≤ S(t)
Satz 1.3 Es ist nicht sinnvoll, eine amerikanische Call-Option vorihrem Verfallsdatum auszuuben, da
∀t∈[0,T ]
CA(t) = CE (t)
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Satz 1.4 (i) Fur zwei Call-Optionen auf denselben Basiswert, mitdemselben Verfallsdatum, aber unterschiedlichen AusubungspreisenK1 < K2, gilt fur alle t ∈ [0,T ]
(a) CK1(t) ≥ CK2(t)
(b) CK1(t)− CK2(t) ≤ e−r(T−t)(K2 − K1)
(c) ∀λ∈[0,1]
CλK1+(1−λ)K2(t) ≤ λCK1(t) + (1− λ)CK2(t)
(ii) Fur zwei Call-Optionen auf denselben Basiswert, mit demselbenAusubungspreis, aber unterschiedlichen Verfallsdaten T1 und T2,gilt
T1 ≤ T2 =⇒ C (T1) ≤ C (T2)
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Satz 1.5 Fur amerikanische Optionen gilt die folgendePut-Call-Beziehung:
∀t∈[0,T ]
S(t)− K ≤ CA(t)− PA(t) ≤ S(t)− Ke−r(T−t)
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Ein-Perioden-Marktmodelle
1 Aktie mit Preis S0 = 150
1 Bond mit Preis B0 = 1 mit Zinsrate r im Zeitraum T
Zustand ω1 mit W p Zustand ω2 mit W 1− p
Aktienpreis ST 180 90Bondpreis BT 1 + r 1 + r
Gesucht: Preis einer europaischen Call-Option mit Verfallsdatum Tund Ausubungspreis K = 150
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Auszahlung
XT (ω) = (ST − K )+(ω) =
30 falls ω = ω1
0 falls ω = ω2
Erwartungswert von XT
E(XT ) = 30 · p + 0 · (1− p) = 30p
Mogliche Definition des Call-Preises zum Zeitpunkt t = 0
X0 = E(
XT
1 + r
)=
30p
1 + r
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Spezialfall: Fur p = 12 und r = 0 folgt X0 = 15
Wir zeigen: Dieser Optionspreis lasst jedoch Arbitrage zu!
Dazu konstruieren wir aus Sicht des Kaufers der Option einPortfolio, das Arbitrage zulasst.
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Zeitpunkt t = 0:
Aktion Cash Flow
Kaufe die Option zum Preis von 15 −15Leihe 1
3 der Aktie und verkaufe diese zum Preis von 1503 50
Kaufe festverzinsliches Wertpapier zum Preis von 35 (r = 0) −35
Bilanz 0
Zeitpunkt t = T :
Zustand ω1 Zustand ω2
(Wert der Aktie ST = 180) (Wert der Aktie ST = 90)
Option wird ausgeubt 30 Option wertlos 0Kaufe 1
3 Aktie und Ruckgabe −60 Kaufe 13 Aktie und Ruckgabe −30
Verkauf des Wertpapiers 35 Verkauf des Wertpapiers 35
Bilanz 5 5
Mit dieser Strategie ware ein risikoloser Gewinn von 5Geldeinheiten moglich. Also kann X0 = 15 kein arbitragefreier Preisder Option sein!
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Aufgabe:
Konstruiere aus Sicht der die Option verkaufenden Seite einPortfolio, bestehend aus
I einer Anzahl a festverzinslicher Wertpapiere (jeweils mit Wert1 zum Zeitpunkt t = 0 und Zinsrate r wahrend der Laufzeit)und
I einer Anzahl b von Aktien,
welches das Auszahlungsprofil (zum Zeitpunkt t = T ) der Optionrepliziert. Bestimme damit den arbitragefreien Wert der Option(zum Zeitpunkt t = 0).
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Losung:Zum Zeitpunkt t = 0:
a · 1 + b · S0 = X0
Zum Zeitpunkt t = T :
a · (1 + r) + b · ST (ω1) = (ST (ω1)− K )+
a · (1 + r) + b · ST (ω2) = (ST (ω2)− K )+
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Mit Werten:Zum Zeitpunkt t = 0:
a · 1 + b · 150 = X0
Zum Zeitpunkt t = T :
a · (1 + r) + b · 90 = 0(1)
a · (1 + r) + b · 180 = 30(2)
Auflosen des linearen Gleichungssystems mit den beidenUnbekannten a und b liefert aus (1) zunachst a = − b
1+r · 90 unddamit
b =1
3also
a = − 30
1 + rund
X0 = 50− 30
1 + r42 / 263
Man sagt, das o.g. Portfolio repliziert zu jedem Zeitpunkt dieCall-Option.
Mit dieser Replikationsstrategie kann
I der arbitragefreie Preis der Option ermittelt werden
I die die Option ausstellende Institution sich gegen Preisrisikenabsichern (Hedging)
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Eine modernere Losung des Problems besteht in der Anwendungder Methode der risikoneutralen Bewertung:
(i) Ersetze p durch p∗ so, dass der diskontierte Aktienpreisprozessein faires Spiel ist:
S0 = E∗(
ST
1 + r
)Hier: 150 = 1
1+r (p∗ · 180 + (1− p∗) · 90), also p∗ = 2+5r3
Fur r = 0 folgt p∗ = 23
P∗ = (p∗, 1− p∗) ist das zum Aktienpreisprozessrisikoneutrale Wahrscheinlichkeitsmaß
(ii) Berechne den fairen Preis der Option bzgl. E∗
X0 := E∗(
Xt
1 + r
)=
30p∗
1 + r= 10
2 + 5r
1 + r= 50− 30
1 + r
Fur r = 0 folgt X0 = 20
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Definition des Ein-Perioden-Modells: Der Finanzmarkt kenntnur die beiden Zeitpunkte t = 0 und t = T .
Es werden d + 1 Finanzguter gehandelt mit Preisen zu denZeitpunkten
t = 0 : S(0) =
S0(0)...
Sd(0)
∈ Rd+1+
t = T : S(T ) =
S0(T )...
Sd(T )
Rd+1+ -wertige ZV
wobei Si (T ), i ∈ 0, . . . , d, R+-wertige Zufallsvariablen auf demendlichen Wahrscheinlichkeitsraum (Ω,F ,P) mit|Ω| = N,F = P(Ω) und P(ω) > 0 fur alleω ∈ Ω = ω1, . . . , ωNHier: R+ := [0,∞)
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Kauf und Verkauf der Finanzguter zum Zeitpunkt t = 0 gemaß derHandelsstrategie
ϕ =
ϕ0...ϕd
∈ Rd+1
Zum Zeitpunkt t = 0 Investition der Summe
〈S(0), ϕ〉 =d∑
i=0
ϕiSi (0) ∈ R
Zum Zeitpunkt t = T liegt das vom Zufall abhangige Kapital vor:
〈S(T ), ϕ〉 =d∑
i=0
ϕiSi (T ) reellwertige ZV
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Definition 1.4 Der (oben definierte) Finanzmarkt lasst eineArbitrage-Moglichkeit zu, falls es ein Portfolio ϕ ∈ Rd+1 gibt, sodass die folgende Bedingung gilt:
〈S(0), ϕ〉 ≤ 0 und ∀ω∈Ω
〈S(T , ω), ϕ〉 ≥ 0 und ∃ω∈Ω
〈S(T , ω), ϕ〉 > 0
Gibt es kein solches ϕ, so heißt der Finanzmarkt arbitragefrei.
Bemerkung: Falls es im oben definierten Finanzmarkt ein Portfolioϕ ∈ Rd+1 mit
〈S(0), ϕ〉 < 0 und ∀ω∈Ω
〈S(T , ω), ϕ〉 ≥ 0
gibt, ist ϕ eine Arbitrage-Moglichkeit.
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Satz 1.6 Der (oben definierte) Finanzmarkt ist genau dannarbitragefrei, falls es einen sogenannten Zustandspreis-Vektorψ ∈ RN mit ψi > 0 fur alle i ∈ 1, . . . ,N gibt, so dass
Sψ = S(0),
wobei
S =
S0(T , ω1) · · · S0(T , ωN)...
...Sd(T , ω1) · · · Sd(T , ωN)
Kurz: Der Markt ist genau dann arbitragefrei, wenn es einenZustandspreis-Vektor (state price vector, pricing kernel) gibt.
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Sei ψ ein solcher Zustandspreis-Vektor.
Mit ψ0 :=N∑
i=1ψi gilt fur qj :=
ψj
ψ0∈ (0, 1]
N∑j=1
qj = 1
d.h. durch (q1, . . . , qN) wird ein W -Maß Q auf Ω definiert.
Damit
Si (0)
ψ0=
N∑j=1
Si (T , ωj)qj = EQ(Si (T ))
Unter Q sind die mit ψ0 standardisierten Preise der Finanzguteri ∈ 0, . . . , d deshalb risikoneutral.
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Ist i ein Finanzgut mit Si (T , ωj) > 0 fur alle j ∈ 1, . . . ,N, sokonnen die Preise der anderen Finanzguter als Vielfaches vonSi (T , ωj) ausgedruckt werden. Das Finanzgut i wird dannNumeraire gennant.
Sei z.B. Finanzgut i = 0 ein risikoloser Bond mit
∀ω∈Ω
S0(T , ω) = 1
Damit
S0(0)
ψ0=
N∑j=1
qjS0(T , ωj) =N∑
j=1
qj = 1
Ist r die Zinsrate pro Zeiteinheit, dann gilt
S0(0) = ψ0 = (1 + r)−T
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Damit ergibt sich der Preis von Finanzgut i zum Zeitpunkt t = 0zu
Si (0) =N∑
j=1
qjSi (T , ωj)
(1 + r)T= EQ
(Si (T )
(1 + r)T
)d.h.
Si (0)
(1 + r)0= EQ
(Si (T )
(1 + r)T
)
In der Sprache der Wahrscheinlichkeitstheorie:Der stochastische Prozess
Si (t)
(1 + r)t: t ∈ 0,T
ist ein Q-Martingal
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Achtung:
Im allgemeinen ist dieser Prozess aber kein P-Martingal fur ein vonQ verschiedenes W -Maß P, welches z.B. die Einschatzung einesAnlegers widerspiegelt.
Da fur alle ω ∈ Ω
I P(ω) > 0 (nach Annahme) und
I Q(ω) > 0 (wie gezeigt)
sind P und Q zwei sog. aquivalente Maße.
Also ist Q ein zu P ein aquivalentes Martingalmaß.
Damit:Der Markt ist genau dann arbitragefrei, wenn es einaquivalentes Martingalmaß gibt
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Bewertung eines neu eingefuhrten Finanzinstrumentes mit vomZufall abhangigen Auszahlungen δ(T ) zum Zeitpunkt t = T durch
δ(0) = EQ
(δ(T )
(1 + r)T
)mit einem aquivalenten Martingalmaß Q.
Problem: Der Preis δ(0) ist nur eindeutig, falls Q eindeutig.
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Definition 1.5 Der (oben definierte) Finanzmarkt heißtvollstandig, falls es zu jedem Finanzinstrument δ(T ) (das ist eineauf Ω = ω1, . . . , ωN definierte reellwertige Zufallsvariable) einaus den d + 1 Basisinstrumenten bestehendes Portolio ϕ ∈ Rd+1
gibt, das δ(T ) repliziert, d.h. falls
∃ϕ∈Rd+1
∀ω∈ω1,...,ωN
d∑i=0
Si (T , ω)ϕi = δ(T , ω)
oder — kompakter — falls
∃ϕ∈Rd+1
S′ϕ = δ(T) :=
δ(T , ω1)...
δ(T , ωN)
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Ein Finanzmarkt ist also genau dann vollstandig, wenn die (d + 1)Vektoren
S0(T , ω1)...
S0(T , ωN)
, . . . ,
Sd(T , ω1)...
Sd(T , ωN)
den gesamten RN aufspannen.
Satz 1.7 Der (oben definierte) Finanzmarkt sei arbitragefrei. Dannist dieser Markt genau dann vollstandig, wenn es einen eindeutigenZustandspreis-Vektor ψ gibt.
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Eine Kombination der Satze 1.6 und 1.7 ergibt:
Ein Finanzmarkt ist genau dann vollstandig und arbitragefrei,wenn es einen eindeutigen Zustandspreis-Vektor gibt.
Probabilistische Interpretation unserer Ergebnisse:
I Ein Finanzmarkt ist genau dann arbitragefrei, wenn einaquivalentes Martingalmaß existiert.
I Ein arbitragefreier Finanzmarkt ist genau dann vollstandig,wenn genau ein aquivalentes Martingalmaß existiert.
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Beispiel: Binares Einperiodenmodell
d + 1 = 2 BasisinstrumenteΩ = ω1, ω2 Raum der moglichen Zustander = 0 Zinsrate
S(0) =
(S0(0)
S1(0)
)=
(1
150
)
S0(T ) =
(1
1
), S1(T ) =
(180
90
)
Also
S =
(1 1
180 90
)
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Zustandspreis-Vektor ψ ∈ R2+ : Sψ = S(0)(
1 1180 90
)ψ =
(1
150
)wird (in eindeutiger Weise) gelost durch
ψ =
(2/3
1/3
)(=⇒ ψ0 = ψ1 + ψ2 = 1)
Also existiert (zu jedem nichtdegenerierten W-Maß P) eineindeutiges aquivalentes Martingalmaß Q mit
Q(ω1) =ψ1
ψ0=
2
3und Q(ω2) =
ψ2
ψ0=
1
3
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Der oben definierte Finanzmarkt ist vollstandig, da zu jedem(neuen) Finanzinstrument δ(T ) mit Zahlungen δ(T , ω1) undδ(T , ω2) ein replizierendes Portfolio ϕ ∈ R2 existiert, d.h.
S′ϕ = δ(T )
da die Spalten von S′ den Rd+1 = RN aufspannen.
Sei δ(T ) die im letzten Beispiel genannte europaische Call-Option
δ(T , ω) = (S(T , ω)− K )+ =
30 fur ω = ω1
0 fur ω = ω2
Dann wird (1 1801 90
)(ϕ0
ϕ1
)=
(30
0
)durch ϕ0 = −30 und ϕ1 = 1
3 (eindeutig) gelost.
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2. Bedingte Erwartungen und Martingale
Eine gut lesbare Einfuhrung in die Wahrscheinlichkeitstheorie:
J. Jacod and P. Protter. Probability Essentials. 2nd Ed. Springer2004.
Eine klassische Einfuhrung in die Martingal-Theorie:
D. Williams. Probability with Martingales. Cambridge 1991.
Ein schones Lehrbuch, das einen weiten Bogen von der Maßtheoriebis zur Stochastischen Analysis schlagt:
D. Meintrup, S. Schaffler. Stochastik — Theorie undAnwendungen. Springer 2005.
Etwas anspruchsvoller:
J. Wengenroth. Wahrscheinlichkeitstheorie. De Gruyter 2008.
A. Klenke. Wahrscheinlichkeitstheorie. 2. Auflage, Springer 2008.
60 / 263
Im Folgenden sei (Ω,F ,P) immer ein Wahrscheinlichkeitsraum.
(Eingefuhrt durch Andrey Nikolaevich Kolmogorov (1903-1987),Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung, 1933)
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Definition. Seien P und Q zwei auf derselben σ-Algebra Fdefinierte Maße. Q heißt P-stetig, falls
∀A∈F
P(A) = 0 =⇒ Q(A) = 0
In Zeichen: Q P
Satz von Radon-Nikodym. Seien P und Q zwei auf derselbenσ-Algebra F definierte endliche Maße. Es gilt Q P genau dann,wenn es eine F-B-messbare nichtnegative Funktion f gibt mit
∀A∈F
Q(A) =
∫A
f dP
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Satz 2.1. Integrierbare ZV X: (Ω,F ,P) → (R,B). σ-AlgebraC ⊂ F . Dann existiert eine ZV Z : (Ω,F ,P) → (R,B) mitfolgenden Eigenschaften:
Z ist integrierbar und C-B-messbar(∗)
∀C∈C
∫C
X dP =
∫C
Z dP(∗∗)
Z ist eindeutig bis auf die Aquivalenz “= P|C-f.u.”.
Definition 2.1. Integrierbare ZV X: (Ω,F ,P) → (R,B).σ-Algebra C ⊂ F . Die Aquivalenzklasse (im eben definierten Sinne)der ZVn Z: (Ω,F ,P) → (R,B) mit (∗) und (∗∗) — oder auch einReprasentant dieser Aquivalenzklasse — heißt bedingteErwartung von X bei gegebenem C.In Zeichen: E (X | C)
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Haufig wird ein Reprasentant dieser Aquivalenzklasse als eineVersion von E (X | C) bezeichnet.
E (X | C) ist eine “Vergroberung” von X .
Bemerkung 2.4. Geometrische Interpretation des bedingtenErwartungswertes: Es sei L2(Ω,F ,P) der Hilbertraum derAquivalenzklassen quadratisch integrierbarer reeller Zufallsvariablenauf (Ω,F ,P) und C eine Teil-σ-Algebra von F .
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I Es sei M der lineare Teilraum von L2(Ω,F ,P), dessenElemente als Reprasentanten C-B-messbare Zufallsvariablenhaben. Man kann zeigen, dass M abgeschlossen ist.
I Sei X ∈ L2(Ω,F ,P) mit Reprasentanten X undY := E (X | C) mit zugehoriger Aquivalenzklasse Y . Mankann zeigen, dass Y die orthogonale Projektion von X auf Mist und das Proximum (bestapproximierendes Element imSinne der L2(Ω,F ,P)-Norm) in M zu X darstellt. Mitanderen Worten: Y := E (X | C) minimiert unter allenC-B-messbaren Zufallsvariablen den Ausdruck
E |X − Y |2
I Unter Verwendung eines Stutzungargumentes kann dieseDefinition auch auf die Klasse der integrierbarenZufallsvariablen fortgesetzt werden.
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Beispiele
I C = F . . .E (X | C) = X f.s.
I C = ∅,Ω . . .E (X | C) = EX
I C = ∅,B,Bc ,Ω mit 0 < P(B) < 1.
(E (X | C))(ω) =
1
P(B)
∫BX dP =: E (X | B), ω ∈ B
1
P(Bc)
∫Bc
X dP, ω ∈ Bc
E (X | B) heißt bedingter Erwartungswert von X unterder Hypothese B
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Satz 2.2. X ,Xi integrierbar; σ-Algebra C ⊂ F ; c , α1,2 ∈ R.
a) ∀C∈C
∫C
E (X | C)dP =
∫C
X dP
b) X = c P-f.s. =⇒ E (X | C) = c f.s.
c) X ≥ 0 P-f.s. =⇒ E (X | C) ≥ 0 f.s.
d) E (α1X1 + α2X2 | C) = α1E (X1 | C) + α2E (X2 | C) f.s.
e) X1 ≤ X2 P-f.s. =⇒ E (X1 | C) ≤ E (X2 | C) f.s.
f) X C-B-messbar =⇒ X = E (X | C) f.s.
g) X integrierbar, Y C-B-messbar, XY integrierbar=⇒ E (XY | C) = YE (X | C) f.s.
g’) X ,X ′ integrierbar, XE (X ′ | C) integrierbar=⇒ E (XE (X ′ | C) | C) = E (X | C)E (X ′ | C) f.s.
h) σ-Algebra C1,2 mit C1 ⊂ C2 ⊂ F , X integrierbarE (E (X | C1) | C2) = E (X | C1) f.s.E (E (X | C2) | C1) = E (X | C1) f.s.
Hier f.s. im Sinne von P|C2-f.s. bzw. P|C1-f.s.
67 / 263
Definition 2.2. σ-Algebra C ⊂ F . A ∈ F .P(A | C) := E (1A | C) heißt bedingte Wahrscheinlichkeit von Abei gegebener σ-Algebra C.
Bemerkung 2.1. Zu Definition 2.2.
∀C∈C
∫C
P(A | C) dP = P(A ∩ C ).
Beispiel. C = ∅,B,Bc ,Ω mit 0 < P(B) < 1.
(P(A | C))(ω) =
P(A ∩ B)
P(B)=: P(A | B), ω ∈ B
P(A ∩ Bc)
P(Bc)=: P(A | Bc), ω ∈ Bc .
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Definition 2.3.
a) Integrierbare ZV X: (Ω,F ,P) → (R,B). ZV Y :(Ω,F ,P) → (Ω′,F ′).E (X | Y ) := E (X | Y−1(F ′)︸ ︷︷ ︸)
[kleinste σ-Algebra in Ω, bzgl. der Y messbar ist. . .F(Y )(⊂ F)]. . . bedingte Erwartung von X bei gegebenem Y
b) Integrierbare ZV X: (Ω,F ,P) → (R,B). ZVn Yi :(Ω,F ,P) → (Ω′
i ,F ′i ) (i ∈ I ) C(⊂ F) sei die kleinste
σ-Algebra in Ω, bzgl. der alle Yi messbar sind[C = F( ∪
i∈IY−1
i (Fi )) . . .F(Yi , i ∈ I )]
E (X | (Yi )i∈I ) := E (X | C). . . bedingte Erwartung von X bei gegebenem Yi , i ∈ I
c) A ∈ F ; ZV Y : (Ω,F ,P) → (Ω′,F ′).P(A | Y ) := E (1A | Y ). . . bedingte Wahrscheinlichkeit von A bei gegebenem Y
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Bemerkung 2.2. Integrierbare ZV X : (Ω,F ,P) → (R,B).
a) σ-Algebra C in F(X−1(B), C) unabhangig =⇒ E (X | C) = EX f.s.
b) ZV Y : (Ω,F ,P) =⇒ (Ω′,F ′)(X ,Y ) unabhangig =⇒ E (X | Y ) = EX f.s.
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Satz 2.3. Integrierbare ZV X: (Ω,F ,P) → (R,B).ZV Y : (Ω,F ,P) → (Ω′,F ′). Dann ex. Abb. g: (Ω′,F ′) → (R,B)mit E (X | Y ) = g Y .
g ist die sog. Faktorisierung der bedingten Erwartung.
g ist eindeutig bis auf die Aquivalenz “= PY -f.u. ”.
Definition 2.4. Integrierbare ZV X: (Ω,F ,P) → (R,B) bzw.A ∈ F . ZV Y : (Ω,F ,P) → (Ω′,F ′). Sei g bzw. gA eine — bis aufAquivalenz “= PY - f.u.” eindeutig bestimmte — Faktorisierungvon E (X |Y ) bzw. von P(A|Y ).
E (X | Y = y) := g(y). . . bedingte Erwartung von X unter der Hypothese Y = y
P(A | Y = y) := gA(y). . . bed. Wahrscheinlichkeit von A unter der Hypoth. Y = y
E (X | Y = ·) = g
P(A | Y = ·) = gA
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Satz 2.4. Integrierbare ZV X: (Ω,F ,P) → (R,B) bzw. A ∈ A.ZV Y : (Ω,F ,P) → (Ω′,F ′)
a) ∀A′∈F ′
∫A′ E (X | Y = y) PY (dy) =
∫Y−1(A′) X dP ,
insbesondere∫Ω′ E (X | Y = y) PY (dy) = EX .
b) ∀A′∈F ′
∫A′ P(A | Y = y) PY (dy) = P(Y−1(A′) ∩ A) ,
insbesondere∫Ω′ P(A | Y = y) PY (dy) = P(A) .
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Beispiel. X bzw. A sowie Y wie zuvor. Sei y ∈ Ω′ mit y ∈ F ′
und PY (y) > 0.
a) E (X | Y = y)︸ ︷︷ ︸ = E (X | [Y = y ])︸ ︷︷ ︸s. Def. 2.4. s. Beispiel nach Def. 2.1.
b) P(A | Y = y)︸ ︷︷ ︸ = P(A | [Y = y ])︸ ︷︷ ︸s. Def. 2.4. s. Beispiel nach Def. 2.2.
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Satz 2.5. Integrierbare ZV X: (Ω,F ,P) → (R,B).
ZV Y : (Ω,F) → (Ω′,F ′).
a) X = c f.s. =⇒ E (X | Y = ·) = c PY -f.u.
b) X ≥ 0 f.s. =⇒ E (X | Y = ·) ≥ 0 PY -f.u.
c) E (αX1 + βX2 | Y = ·)= αE (X1 | Y = ·) + βE (X2 | Y = ·) PY -f.u.
d) X1 ≤ X2 f.s. =⇒ E (X1 | Y = ·) ≤ E (X2 | Y = ·) PY -f.u.
74 / 263
MartingaleDefinition 2.6. Eine Folge (Xn)n∈N von integrierbaren ZVn Xn:(Ω,F ,P) → (R,B) heißt bei gegebener monoton wachsenderFolge (Fn)n∈N von σ-Algebren Fn ⊂ F mit Fn-B-Messbarkeit vonXn [wichtiger Fall Fn = F(X1, . . . ,Xn) (n ∈ N)]
a) ein Martingal bzgl. (Fn), wenn
∀n∈N
E (Xn+1 | Fn) = Xn f.s.
[d.h. ∀n∈N
∀C∈Fn
∫C
Xn+1 dP =
∫C
Xn dP] ,
b) ein Submartingal bzgl. (Fn), wenn
∀n∈N
E (Xn+1 | Fn) ≥ Xn f.s., d.h. ∀n∈N
∀C∈Fn
∫C
Xn+1 dP ≥∫
CXn dP
c) ein Supermartingal bzgl. (Fn), wenn (−Xn) einSubmartingal bzgl. (Fn) ist.
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Die in Definition 2.6 genannte Folge von aufsteigenden σ-Algebrenwird auch als Filtration bezeichnet (P.A. Meyer).
Bemerkung 2.3. Ein Martingal (Xn) bzgl. (Fn) ist auch einMartingal bzgl. (F(X1, . . . ,Xn)). Entsprechend fur Sub-,Supermartingal.
76 / 263
Die Herkunft der Bezeichnung Martingal (engl. martingale) istnicht genau geklart.
I Teil des Zaumzeuges, um die Kopfbewegung des Pferdes zukontrollieren
I Eine Seil, um den Kluverbaum zu verspanen
I Ein Wettsystem, bei dem nach einem Verlust der Einsatzverdoppelt wird
Der Begriff des Martingals im mathematischen Sinne wird J. Ville(1939) zugeschrieben.
Paul Levy (1886–1971) und Joseph Leo Doob (1911–2004)lieferten wichtige Beitrage zur Martingal-Theorie.
77 / 263
Abbildung: P. Levy und J.L. Doob
78 / 263
Beispiele fur Martingale:
1. Partialsummenfolge (∑n
i=1 Vi )n∈N zu einer unabhangigenFolge (Vn)n∈N von integrierbaren reellen ZVn mitErwartungswerten 0.
2. Aktienpreise: Sn = S0ξ1 · · · ξn mit unabhangigen positivenZufallsvariablen ξi mit Eξi = 1.
3. Sammeln von Information uber eine Zufallsvariable (Williams1991): Sei ξ eine Zufallsvariable mit endlichem erstemMoment und (Fn) eine Filtration in F . Dann wird durch
Mn := E (ξ | Fn)
ein Martingal definiert. Mit den nachfolgend vorgestelltenMartingalkonvergenzsatzen kann gezeigt werden, dass
Mn → M∞ := E (ξ | F∞) f.s. und in L1
wobei F∞ := σ(⋃∞
n=1Fn) die sogenannteDoomsday-σ-Algebra.
79 / 263
Satz 2.6 (Martingalkonvergenzsatz von Doob)Ist X ein L1-beschranktes Sub- oder Supermartingal, d.h.
supn
E (|Xn|) <∞,
so existiert eine Zufallsvariable X∞ mit
Xn → X∞ f.s. (n →∞)
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Satz 2.7 (Konvergenzsatz fur UI-Martingale)Fur ein Martingal X sind aquivalent:
(i) Xn konvergiert in L1
(ii) X ist L1-beschrankt und der f.s.-Limes X∞ erfullt
Xn = E (X∞ | Fn)
(iii) X ist gleichgradig integrierbar (uniformly integrable), d.h.
limK→∞
supn
E (|Xn| · 1[|Xn|>K ]) = 0
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Definition 2.7. Eine auf einem gemeinsamen W-Raum definierteFamilie von Zufallsvariablen X = Xi | i ∈ I mit Indexmenge Iheißt stochastischer Prozess. Im Folgenden wird haufigI = 0, 1, . . . ,T oder I = 0, 1, 2, . . . gewahlt.
Definition 2.8. Der stochastische Prozess X = (Xn)∞n=0 heißt zur
Filtration (Fn)∞n=0 adaptiert, falls
∀n∈N
Xn ist Fn-messbar
Sei Xn − Xn−1 der zufallige Gewinn pro Einheit des Wetteinsatzesin Spiel n (n ∈ N) in einer Serie von Spielen.
Ist X = (Xn) ein Martingal, d.h.
E (Xn − Xn−1 | Fn−1) = 0,
so kann dieses Spiel als fair bezeichnet werden.
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Definition 2.9. Ein stochastischer Prozess C = (Cn)n∈N heißtvorhersagbar (predictable, previsible), falls
Cn ist Fn−1-messbar fur alle n ∈ N
(C0 existiert nicht).
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Ist Cn der Wetteinsatz in Spiel n, so ist die Entscheidung uber dieHohe von Cn ausschliesslich auf die bis zum Zeitpunkt n − 1verfugbare Information gegrundet.
Gewinn zum Zeitpunkt n:
Cn(Xn − Xn−1)
Gewinn bis einschließlich Zeitpunkt n:
Yn =n∑
k=1
Ck(Xk − Xk−1) =: (C • X )n =:
∫ n
0C dX
Sinnvoll: (C • X )0 := 0
Klar:Yn − Yn−1 = Cn(Xn − Xn−1)
84 / 263
Definition 2.10. Der durch C • X = ((C • X )n) definiertestochastische Prozess heißt Martingal-Transformation von Xunter C (D.L. Burkholder).
Dies ist das diskrete Analogon zum spater noch zu definierendenstochastischen Integral
∫C dX .
Satz 2.8. Sei C ein beschrankter vorhersagbarer stochastischerProzess, d.h. es gibt eine reelle Zahl K mit |Cn(ω)| ≤ K fur alle nund alle ω, und X ein Martingal. Dann ist C • X ein Martingal mit(C • X )0 = 0.
Satz 2.9. Eine zur Filtration F = (Fn)n∈N0 adaptierte FolgeM = (Mn)n∈N0 von Zufallsvariablen ist genau dann ein Martingal,wenn fur jede beschrankte vorhersagbare Folge H = (Hn)n∈N0
∀n∈N
E
(n∑
k=1
Hk ∆Mk
)= 0
85 / 263
Stoppzeiten
Definition 2.11 Eine Zufallsvariable T mit Werten in0, 1, 2, . . . ,∞ heißt Stoppzeit, falls
∀n∈0,1,2,··· ,∞
[T ≤ n] := ω | T (ω) ≤ n ∈ Fn
oder — aquivalent —
∀n∈0,1,2,··· ,∞
[T = n] ∈ Fn
Eine Stoppzeit kann z.B. dazu verwendet werden zu entscheiden,ob ein Spiel zum Zeitpunkt n abgebrochen oder fortgefuhrt wird.Hierbei wird nur die Information verwendet, die bis einschließlichZeitpunkt n vorliegen kann. Wird z.B. beim Verkauf einer AktieInsiderwissen verwendet, ist die vorgenannte Eigenschaft verletzt.
86 / 263
Satz 2.10 (Doob’s Optional Sampling Theorem) Sei T eineStoppzeit und X = (Xn) ein Supermartingal. Ist T oder Xbeschrankt, so ist XT integrierbar und
EXT ≤ EX0
Ist X ein Martingal, dann gilt sogar
EXT = EX0
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Proposition 2.1 Stoppen der Folge X = (Xn) zur (zufalligen) ZeitT : XT := (XT
n ) := (Xn∧T ). Dann gilt:
I Ist (Xn) adaptiert und T eine Stoppzeit, so ist auch diegestoppte Folge (Xn∧T ) adaptiert.
I Ist (Xn) ein (Super-) Martingal und T eine Stoppzeit, so istauch die gestoppte Folge (Xn∧T ) ein (Super-)Martingal(Optional Stopping Theorem).
Ein faires Spiel bleibt fair, wenn es ohne Vorkenntnis uber einzukunftiges Ereignis gestoppt wird.
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Beispiel: Einfache Irrfahrt (simple random walk) Sn :=∑n
i=1 Xi mitunabhangigen Zufallsvariablen Xi , wobei Xi = 1 mit W. p = 1/2und Xi = −1 mit W. p = 1/2. Sei T := infn | Sn = 1, d.h., wirhoren auf zu spielen, sobald wir eine Geldeinheit gewonnen haben.
Man kann zeigen, dass P(T <∞) = 1.
Beachte: S = (Sn) ist ein Martingal und T eine Stoppzeit
Mit obiger Proposition: E (ST∧n) = E (S0) = 0 fur jedes n.
Jedoch: 1 = E (ST ) 6= E (S0) = 0
Also kann auf die Beschranktheitsbedingungen in Satz 2.10 nichtganzlich verzichtet werden!
Man kann zeigen, dass weder T noch der Verlust vor dem erstenNetto-Gewinn beschrankt sind. Dieses Spiel kann in der Praxis alsonicht realisiert werden!
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Die Snell-Einhullende
Definition 2.12 Ist X = (Xn)Nn=0 eine (endliche) Folge von zur
Filtration (Fn) adaptierten Zufallsvariablen, so heißt die durch
ZN := XN
Zn := maxXn,E (Zn+1 | Fn) (n ≤ N)
definierte Folge Z = (Zn)Nn=0 die Snell-Einhullende von X .
Satz 2.11 Die Snell-Einhullende (Zn) von (Xn) ist das kleinsteSupermartingal, welches die Folge (Xn) dominiert (d.h. Zn ≥ Xn
fur alle n).
Proposition 2.2 T0 := infn ≥ 0 | Zn = Xn ist eine Stoppzeitund die gestoppte Folge (ZT0
n ) ist ein Martingal.
90 / 263
Satz 2.12 Sei Tn,N eine Familie von Stoppzeiten mit Werten inn, . . . ,N. Dann lost die Stoppzeit T0 das optimale Stoppproblemfur X :
Z0 = E (XT0 | F0) = supE (XT | F0) | T ∈ T0,N
Sind die Werte von X bis zum Zeitpunkt n bereits bekannt, lostTn := infj ≥ n | Zj = Xj das optimale Stoppproblem fur X :
Zn = E (XTn | Fn) = supE (XT | Fn) | T ∈ Tn,N
Bei der Bewertung von amerikanischen Optionen soll zu demZeitpunkt die Option ausgeubt werden, zu dem die erwarteteAuszahlung maximal ist. Die beiden letzten Aussagen zeigen, dassT0 bzw. Tn die hierfur optimalen Zeitpunkte liefern beiVerwendung der bis zu diesem Zeitpunkt zur Verfugung stehendenInformation (ohne Vorgriff auf zukunftige Ereignisse).
91 / 263
Der folgende Satz zeigt, dass die oben definierte Stoppzeit T0 diekleinste optimale Stoppzeit fur (Xt) ist.
Satz 2.13 Eine Stoppzeit T ist genau dann optimal fur die Folge(Xt), falls die beiden folgenden Bedingungen gelten:
(i) XT = ZT
(ii) ZT ist ein Martingal
Satz 2.14 (Doobsche Zerlegung von Submartingalen) Sei (Xn)n∈Nein Submartingal bezuglich einer Folge (Fn)n∈N von wachsendenσ-Algebren. Dann existieren ein Martingal (Mn)n∈N und einwachsender vorhersagbarer Prozess (An)n∈N (d.h. An+1 ≥ An f.s.,An+1 Fn-messbar) so, dass
Xn = X0 + Mn + An, wobei M0 = A0 = 0,
fur alle n ∈ N. Diese Zerlegung ist f.s. eindeutig.
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3. Finanzmarktmodelle in diskreter Zeit
Wir betrachten folgenden Finanzmarkt M:
I (Ω,F ,P) W-Raum mit |Ω| <∞I F0 ⊆ F1 ⊆ . . . ⊆ FT ⊆ F aufsteigende Folge F von in F
enthaltenen σ-Algebren
I F0 = ∅,Ω, FT = F = P(Ω)
I ∀ω∈Ω
P(ω) > 0
I d + 1 Finanzguter mit Preisen S0(t),S1(t), . . . ,Sd(t) zumZeitpunkt t ∈ 0, 1, . . . ,T, welche Ft-messbareZufallsvariable seien
93 / 263
Dann ist
S(t) =
S0(t)...
Sd(t)
ein Ft-messbarer Zufallsvektor mit mit Werten in Rd+1
Definition 3.1. Ein Numeraire ist ein Preisprozess (Xt)t∈0,1,...,T(also ein stochastischer Prozess), welcher strikt positiv ist fur allet ∈ 0, 1, . . . ,T.
Das mit i = 0 indizierte Finanzinstrument wird als Numeraireverwendet und ist meist eine risikolose Kapitalanlage mit
S0(0) = 1
Ist r der wahrend einer Zeitperiode (t → t + 1) gewahrte Zins, sogilt
S0(t) = (1 + r)t
Damit definieren wir den Diskont-Faktor β(t) := 1/S0(t)94 / 263
Definition 3.2 Eine Handelsstrategie (oder dynamischesPortfolio) ist ein vorhersagbarer Rd+1-wertiger stochastischerProzess
ϕ =
ϕ0(t)ϕ1(t)
...ϕd(t)
t∈1,...,T
d.h. eine Folge von T Zufallsvektoren mit Werten in Rd+1.
ϕi (t) ist die Anzahl von Anteilen des Finanzgutes i , basierend aufden Informationen zum Zeitpunkt t − 1. Die Adjustierung desPortfolios fand also ”kurz” nach Bekanntgabe der PreiseS0(t − 1), . . . ,Sd(t − 1) statt.
95 / 263
Definition 3.3. Der Wert des Portfolios zum Zeitpunkt t istgegeben durch Vϕ(0) = 〈ϕ(1),S(0)〉 und
Vϕ(t) := 〈ϕ(t),S(t)〉 =d∑
i=0
ϕi (t)Si (t), t ∈ 1, . . . ,T
Der dadurch definierte stochastische Prozess Vϕ heißtWertprozess der Handelsstrategie ϕ.
Vϕ(0) ist das Anfangskapital des Investors.
Definition 3.4. Der Zuwachsprozess Gϕ der Handelsstrategie ϕist gegeben durch
Gϕ(t) :=t∑
τ=1
〈ϕ(τ),S(τ)− S(τ − 1)〉 =t∑
τ=1
〈ϕ(τ),∆S(τ)〉
fur t ∈ 1, . . . ,T.96 / 263
Sei S(t) = (1, β(t)S1(t), . . . , β(t)Sd(t))′ der auf den Zeitpunktt = 0 abdiskontierte Preisvektor.
Ahnlich:Abdiskontierter Wertprozess
Vϕ(t) = βt〈ϕ(t),S(t)〉 = 〈ϕ(t), S(t)〉
fur t ∈ 1, . . . ,T.Abdiskontierter Zuwachsprozess
Gϕ(t) =t∑
τ=1
〈ϕ(τ),∆S(τ)〉
fur t ∈ 1, . . . ,T.
97 / 263
Definition 3.5 Eine Handelsstrategie ϕ heißt selbstfinanzierend,falls
∀t∈1,...,T−1
〈ϕ(t),S(t)〉 = 〈ϕ(t + 1),S(t)〉
Interpretation: zum Handelszeitpunkt t werden die neuen PreiseS(t) bekannt. Das Portfolio hat dann den Wert 〈ϕ(t),S(t)〉.Aufgrund der Kenntnis der neuen Preise S(t) schichtet der Investorsein Portfolio mit Anteilen ϕ(t) zu einem Portfolio mit ϕ(t + 1)Anteilen um – ohne jedoch Kapital abzuziehen oder einzubringen.
98 / 263
Behauptung 3.1. Sei X (t) ein Numeraire. Eine Handelsstrategieϕ ist genau dann selbstfinanzierend bzgl. S(t), falls ϕselbstfinanzierend bzgl. S(t)/X (t) ist.
Also ist eine Handelsstrategie ϕ genau dann selbstfinanzierendbzgl. S(t), falls ϕ selbstfinanzierend bzgl. S(t) ist.
Behauptung 3.2. Eine Handelsstrategie ϕ ist genau dannselbstfinanzierend, wenn
∀t∈0,1,...,T
Vϕ(t) = Vϕ(0) + Gϕ(t)
99 / 263
Die nachste Behauptung zeigt, dass der Wert des Portfoliosvollstandig durch das Anfangsvermogen und die Handelsstrategie(ϕ1(t), . . . , ϕd(t))t∈1,...,T bestimmt ist — vorausgesetzt derInvestor folgt einer selbstfinanzierenden Strategie.
Behauptung 3.3. Fur jeden vorhersagbaren Prozess(ϕ1(t), . . . , ϕd(t))t∈1,...,T und jedes F0-messbare V0 existiertgenau ein vorhersagbarer Prozess (ϕ0(t))t∈1,...,T, so dass dieHandelsstrategie
ϕ =
ϕ0(t)ϕ1(t)
...ϕd(t)
selbstfinanzierend und V0 = Vϕ(0) der Anfangswert des Portfoliosist.
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Definition 3.6. Eine selbstfinanzierende Strategie ϕ heißtArbitrage-Strategie, falls
Vϕ(0) = 0 mit Wahrscheinlichkeit 1
Vϕ(T ) ≥ 0 mit Wahrscheinlichkeit 1
Vϕ(T ) > 0 mit Wahrscheinlichkeit > 0
Der (oben definierte) Finanzmarkt M heißt arbitragefrei, falls eskeine Arbitrage-Strategie in der Klasse aller Handelsstrategien gibt.
Definition 3.7. Ein zu P aquivalentes Wahrscheinlichkeitsmaß P∗
auf (Ω,FT ) heißt ein Martingalmaß fur den stochastischenProzess S , falls S ein P∗-Martingal bezuglich der FiltrationF = (Ft)t∈0,1,...,T ist.
P(S) bezeichne die Klasse aller aquivalenten Martingalmaße(fur S).
101 / 263
Behauptung 3.4. Sei P∗ ein aquivalentes Martingalmaß und ϕeine selbstfinanzierende Handelstrategie. Dann ist der WertprozessVϕ(t) ein P∗-Martingal bezuglich der Filtration F.
Behauptung 3.5. Existiert ein aquivalentes Martingalmaß, dannist der Markt M arbitragefrei.
Setze
X+ := X : Ω → R+0 | X ist eine Zufallsvariable
Γ := X ∈ X+ | ∀ω∈Ω
X (ω) ≥ 0 und ∃ω∈Ω
X (ω) > 0
Γ ist ein Kegel.
102 / 263
Ist M ein arbitragefreier Markt, so gilt fur jede selbstfinanzierendeStrategie ϕ
Vϕ(0) = 0 =⇒ Vϕ(T ) 6∈ Γ
Mit Behauptung 3.2 folgt: Gϕ(T ) 6∈ Γ
Das nachste Lemma zeigt, dass Gϕ(T ) 6∈ Γ immer noch gilt, fallsϕ∗ = (ϕ1, . . . , ϕd) ein vorhersagbarer Prozess ist und ϕ0 sogewahlt wird, dass die Strategie ϕ = (ϕ0, . . . , ϕd) das StartkapitalV0 = 0 besitzt und selbstfinanzierend ist.
Lemma 3.1. In einem arbitragefreien Markt erfullt jedervorhersagbare Prozess ϕ∗ = (ϕ1, . . . , ϕd) die Relation
Gϕ∗(T ) 6∈ Γ
103 / 263
Behauptung 3.6. Ist der Markt M arbitragefrei, dann existiert einzu P aquivalentes Martingalmaß P∗.
Eine Kombination der Behauptungen 3.5 und 3.6 liefert
Satz 3.1 (No-Arbitrage-Satz). Der Finanzmarkt M ist genaudann arbitragefrei, wenn es ein zu P aquivalentes Martingalmaß P∗
gibt, unter dem der diskontierte Preisprozess S ein P∗-Martingalist.
104 / 263
Risikoneutrale Bewertung von FinanzderivatenDefinition 3.8. Ein Finanzderivat mit Verfallszeitpunkt T ist einenichtnegative FT -messbare Zufallsvariable X . Das Derivat heißterreichbar (attainable), falls es eine das Derivat replizierendeHandelsstrategie ϕ gibt, die selbstfinanzierend ist und fur die gilt,dass
Vϕ(T ) = X
Zwei Handelsstrategieen werden als aquivalent angesehen, wenn siedenselben Wertprozess besitzen.
X ist meist eine Funktion des Preisprozesses S : X = f (S)
Beispiel: X := (ST − K )+ fur eine europaische Call-Option mitAusubungspreis K und Ausubungszeitpunkt T
Behauptung 3.7. Ist M ein arbitragefreier Finanzmarkt, dann istjedes erreichbare Finanzderivat X eindeutig in M replizierbar.
105 / 263
Grundidee der Arbitrage-Bewertung von Derivaten:Da der Wert eines erreichbaren Derivates X zu einemZeitpunkt t ≤ T eindeutig sein sollte (sonst existiert eineArbitragemoglichkeit), muss der Preis des Derivates zumZeitpunkt t ≤ T mit dem Wert Vϕ(t) des Portfolios zurreplizierenden Handelsstrategie ϕ zum Zeitpunkt tubereinstimmen.
Deshalb ist folgende Definition sinnvoll:
Definition 3.9. Der Finanzmarkt M sei arbitragefrei und X einerreichbares Derivat mit Verfallszeitpunkt T . Dann ist derArbitragepreisprozess (πX (t))t∈0,...,T gegeben durch denWertprozess der X replizierenden Strategie ϕ.
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Da die Arbitrage-Bewertungsmethode offensichtlich unabhangigvom zugrundeliegenden Maß P ist — also unabhangig vom Modell,das sich ein Investor vom weiteren Kursverlauf macht — sollte einInvestor, welcher statt dem Maß P das risikoneutrale Maß P∗
zugrundelegt, das Derivat mit demselben Preis bewerten.
Behauptung 3.8. Der Finanzmarkt M sei arbitragefrei. Dann istder Arbitragepreisprozess (πX (t))t∈0,...,T jedes erreichbarenFinanzderivats X durch die Formel der risikoneutralenBewertung
∀t∈0,...,T
πX (t) = β(t)−1E∗(β(T )X | Ft)
gegeben, wobei E∗ die Erwartung bezuglich eines (zu P)aquivalenten Martingalmaßes P∗ (fur den auf den Zeitpunkt t = 0abgezinsten Preisprozess) darstellt.
Frage: Unter welchen Bedingungen ist jedes Finanzderivaterreichbar, also mittels einer Handelsstrategie replizierbar?
107 / 263
Vollstandige Markte
Definition 3.10. Der Finanzmarkt M heißt vollstandig, wennjedes Derivat erreichbar ist, also fur jede nichtnegativeFT -messbare Zufallsvariable X ∈ X+ eine replizierendeselbstfinanzierende Handelsstrategie ϕ mit Vϕ(T ) = X existiert.
Satz 3.2 (Vollstandigkeitssatz). Ein arbitragefreier FinanzmarktM ist genau dann vollstandig, wenn es genau ein zu Paquivalentes Martingalmaß gibt (unter welchem der abgezinstePreisprozess S ein Martingal ist).
108 / 263
Die Kombination des No-Arbitrage- und des Vollstandigkeitssatzes(Satze 3.1 und 3.2) ergibt den Fundamentalsatz derPreistheorie fur Derivate:
In einem arbitragefreien vollstandigen Finanzmarkt Mexistiert genau ein aquivalentes Martingalmaß P∗.
Ferner mit Behauptung 3.8:
In einem arbitragefreien vollstandigen Finanzmarkt M ergibtsich der arbitragefreie Preis πX (t) eines Derivates X als(bedingter) Erwartungswert des Derivates unter demrisikoneutralen (d.h. aquivalenten Martingal-) Maß P∗:
∀t∈0,...,T
πX (t) = β(t)−1E∗(β(T )X | Ft)
109 / 263
Das Cox-Ross-Rubinstein-Modell
Wir betrachten folgenden Finanzmarkt M mit T Handelsperioden:
I risikolose Anlage B (Bond) mit
B(t) = (1 + r)t , t ∈ 0, . . . ,T
I risikobehaftete Anlage S (z.B. Aktie) mit
S(t + 1) =
uS(t) mit W p,
dS(t) mit W 1− p,t ∈ 0, . . . ,T
wobei 0 < d < u und S0 ≥ 0
I Die Veranderung S(t+1)S(t) ∈ u, d ist unabhangig von
S(0), . . . ,S(t) fur alle t ∈ 0, . . . ,T
110 / 263
S(0)
T=0 T=1 T=2
p
p
p
1−p
1−p
1−p
S(2)=uuS(0)
S(2)=udS(0)
S(2)=ddS(0)
S(1)=dS(0)
S(1)=uS(0)
Die ersten beiden Handelsperioden eines Binomialmodells
111 / 263
Explizite Konstruktion eines geeigneten Wahrscheinlichkeitsraumes(Ω,P,F) und einer Filtration F:
I Ω :=T×
t=1Ωt wobei Ωt := Ω := u, d, also Ω = u, dT
I F := P(Ω)
I P :=T⊗
t=1Pt wobei Pt := P mit P(u) := p und
P(d) := 1− p, also
P(ω) =T∏
t=1
Pt(ωi)
mit ω = (ω1, . . . , ωT ) und ωt ∈ u, dI F = (Ft)t∈0,...,T mit
F0 := ∅,ΩFt := σ(S(1), . . . ,S(t)), t ∈ 1, . . . ,T − 1FT := F = P(Ω)
112 / 263
Bemerkung. Sei Z (t + 1) := S(t+1)S(t) die relative Preisanderung der
risikobehafteten Anlage vom Zeitpunkt t zum Zeitpunkt t + 1(t ∈ 0, . . . ,T − 1).Dann folgt aus den Modellannahmen:
I S(t) = S(0)t∏
τ=1Z (τ), t ∈ 1, . . . ,T − 1
I Z (1), . . . ,Z (T ) sind unabhangige Zufallsvariablen
113 / 263
Definition 3.11. Der oben definierte Finanzmarkt M heißtCox-Ross-Rubinstein-Modell (CRR-Modell).
Behauptung 3.9. Im CRR-Modell existiert genau dann einaquivalentes Martingalmaß Q, wenn
0 < d < 1 + r < u
Existiert ein aquivalentes Martingalmaß Q, so ist dieses eindeutigund durch
q =1 + r − d
u − d
festgelegt, es gilt also
Q =T⊗
t=1Qt
mitQt(u) = q und Qt(d) = 1− q
114 / 263
Aufgrund von Behauptung 3.9 gehen wir bei CRR-Modellen imFolgenden immer davon aus, dass 0 < d < 1 + r < u gilt.
Behauptung 3.10. Das CRR-Modell ist arbitragefrei.
Behauptung 3.11. Das CRR-Modell ist vollstandig.
Behauptung 3.12. Ein Mehrperioden-Marktmodell ist genau dannvollstandig, wenn jedes darin enthaltene Einperioden-Modellvollstandig ist.
115 / 263
Behauptung 3.13. Im CRR-Modell ist der Arbitragepreis einesDerivates X durch
∀t∈0,...,T
πX (t) = B(t) E∗(X/B(T ) | Ft)
gegeben, wobei E∗ die Erwartung bezuglich des eindeutigen (zu P)aquivalenten Martingalmaßes P∗ (fur den auf den Zeitpunkt t = 0abgezinsten Preisprozess) darstellt, welches durch
p∗ =1 + r − d
u − d
uber
P∗ =T⊗
t=1Qt
mitQt(u) = p∗ und Qt(d) = 1− p∗
festgelegt ist.
116 / 263
Behauptung 3.14. Der Arbeitragepreis einer europaischenCall-Option mit Verfallsdatum T und Ausubungspreis K , basierendauf einer Aktie S , ist im CRR-Modell gegeben durch
∀t∈0,...,T
C (t) = (1 + r)−(T−t)T−t∑j=0
(T − t
j
)p∗j(1− p∗)T−t−j(S(t)ujdT−t−j − K )+
117 / 263
Behauptung 3.15. Im CRR-Modell ist die eine europaischenCall-Option mit Verfallsdatum T und Ausubungspreis Kreplizierende Handelsstrategie ϕ = (ϕ0(t), ϕ1(t))
′t∈1,...,T gegeben
durch
ϕ1(t) =C (t,St−1u)− C (t,St−1d)
St−1(u − d)
ϕ0(t) =uC (t,St−1d)− dC (t,St−1u)
(1 + r)t(u − d)
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Binomialapproximation
Modellierung von Preisprozessen in stetiger Zeit mittels
I eines stochastischen Prozesses in stetiger Zeit
I einer Approximation mit einer Folge stochastischer Prozessenin diskreter Zeit
119 / 263
Jetzt: Approximation der Preisprozesse in stetiger Zeit t ∈ [0,T ]mittels einer Folge von CRR-Modellen in diskreter Zeit mit kn
Handelszeitpunkten, wobei (kn) eine wachsende Folge aus N sei
Teile [0,T ] in kn Teilintervalle der Lange ∆n = Tkn
Handel nur in den Zeitpunkten: tn,j = j∆n, j ∈ 0, . . . , knModellierung des Bonds:
Sei rn der risikolose ZinsPreisentwicklung des Bonds:
B(tn,j) = (1 + rn)j , j ∈ 0, . . . , kn
Im zeitstetigen Modell: B(t) = ert mit stetiger Zinsrate r > 0 Fallsfur rn gilt
1 + rn = er∆n
folgt(1 + rn)
j = erj∆n = ertn,j
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Modellierung der risikobehafteten Anlage:
Sei Zn,i =S(tn,i+1)S(tn,i )
∈ un, dn die relative Veranderung in der
Handelsperiode i → i + 1 (i ∈ 0, . . . , kn − 1) mit
P(Zn,i = un) =: pn = 1− P(Zn,i = dn)
mit einem noch zu bestimmenden pn ∈ (0, 1)
Aktienpreisprozess im n-ten CRR-Modell (mit kn Handelsperioden)
Sn(tn,j) = Sn(0)
j∏i=1
Zn,i , j ∈ 1, . . . , kn
121 / 263
Annahme: Fur jedes feste n gilt: Zn,1, . . . ,Zn,kn unabhangige ZV’n
Nach Behauptung 3.9 ist das n-te CRR-Modell genau dannarbitragefrei, wenn
dn < 1 + rn < un
Dieses ist in eindeutiger Weise charakterisiert durch
p∗n =1 + rn − dn
un − dn
Damit ist das n-te CRR-Modell bis auf die Parameter un und dn
festgelegt.
122 / 263
Wir wahlen
un = eσ√
∆n und dn = e−σ√
∆n
Das risikoneutrale Maß fur das n-te CRR-Modell ist dann gegebendurch
p∗n =1 + rn − dn
un − dn=
er∆n − e−σ√
∆n
eσ√
∆n − e−σ√
∆n
Mogliche Preise der Aktie S zum Zeitpunkt T :
S(0)ujnd
kn−jn , j ∈ 0, . . . , kn
Mit Behauptung 3.13 folgt der Arbitragepreis Cn(0) deseuropaischen Calls auf die Aktie S mit Strike K und Expiry T imn-ten CRR-Modell:
C (0) = (1 + rn)−knE∗(S(T )− K )+
= (1 + rn)−kn
kn∑j=0
(kn
j
)p∗jn (1− p∗n)
kn−j(S(0)uj
ndkn−jn − K
)+
123 / 263
Mit an = minj ∈ N0 | S(0)ujnd
kn−jn > K folgt
Cn(0) = (1 + rn)−kn
kn∑j=an
(kn
j
)p∗jn (1− p∗n)
kn−j(S(0)uj
ndkn−jn − K
)
= S(0)
kn∑
j=an
(kn
j
)(p∗nun
1 + rn
)j ((1− p∗n)dn
1 + rn
)kn−j
− (1 + rn)−knK
kn∑
j=an
(kn
j
)p∗jn (1− p∗n)
kn−j
= Sn(0)
1− Bin
(p∗nun
1 + rn, kn
)(an − 1)
− K (1− rn)
−kn 1− Bin (p∗n, kn) (an − 1)
Bemerkung: 0 < p∗n un
1+rn< 1
124 / 263
Satz 3.3 (Black-Scholes-Formel fur den Preis einereuropaischen Call-Option). Mit obiger Notation gilt:
C (0) := limn→∞
Cn(0) = S(0)Φ(d1(S(0),T )− Ke−rTΦ(d2(S(0),T ))
wobei
d1(s, t) =log(s/K ) + (r + σ2
2 )t
σ√
t
d2(s, t) = d1(s, t)− σ√
t =log(s/K ) + (r − σ2
2 )t
σ√
t
und Φ die Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilungbezeichne.
Der Preis fur die europaische Put-Option ergibt sich sofort uber diePut-Call-Paritat.
Dieses Resultat wurde 1997 mit dem Nobelpreis fur Okonomiegewurdigt.
125 / 263
Bemerkung: Sei t ∈ [0,T ] mit t/T rational, also gibt es a, b ∈ N0
mit t = abT
Wahle jn := na, kn := nb und ∆n = Tkn
Dann gilt t = tn,jn = jn∆n
Wir betrachten den Preisprozess Sn im n-ten CRR-Modell
Sn(tn,j) = Sn(0)
j∏i=1
Zn,i , j ∈ 0, . . . , kn
Also gilt speziell
Sn(t) = Sn(tn,jn) = Sn(0)
jn∏i=1
Zn,i
126 / 263
Mit Methoden wie im Beweis zu Satz 3.3 kann gezeigt werden:
Sn(t)D→ S(t) := S(0) · exp(tr) · exp
(tσ2
(Z − 1
2
))(n →∞)
mit einer N(0, 1)-verteilten Zufallsvariablen Z
Der stochastische Prozess S = (St)t∈T (Q∩[0,1]) kann zu einemstochastischen Prozess in stetiger Zeit t ∈ [0,T ] fortgesetztwerden.
Dieser Prozess ist dann eine sogenannte geometrische BrownscheBewegung mit Drift r
St ist lognormalverteilt mit Erwartungswert t(r − σ2/2) undVarianz tσ2 von log(St/S0)
127 / 263
Schatzung der Volatilitat
unter Verwendung
I der historischen Werte des Aktienkurses S
I der an der Borse notierten Preise ahnlicher Optionen
128 / 263
Schatzung der Volatilitat aus historischen Aktienkursen
kurse <- read.csv("table.csv")attach(kurse)
## Aktienpreisprozessplot(Close)lines(Close)
## log-Returnsn <- length(Close)R <- log(Close[2:n]/Close[1:(n-1)])plot(R)lines(R)
## Schatzung der Volatilitatsqrt(var(R)*n)q()
129 / 263
Dann: Berechnung desPreises eines europaischen Calls uber einen Optionspreisrechner, z.B.http://www.numa.com/derivs/ref/calculat/option/calc-opa.htmvon Numa Financial Systems
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Bewertung amerikanischer Optionen
Betrachte ein allgemeines Mehrperioden-Marktmodell. Der Besitzereiner amerikanischen Option kann diese zu jedem Zeitpunktt ∈ 0, 1, . . . ,T ausuben und erhalt die Geldsumme f (St) oderallgemeiner ft .
Gesucht: Selbstfinanzierende Handelsstrategie ϕ, so dass fur dendazugehorigen Wertprozess Vϕ gilt:
Vϕ(0) = x (Startkapital)
Vϕ(t) ≥ ft ∀t ∈ 0, 1, . . . ,T
Ein solches Portfolio heißt minimal, falls es eine Stoppzeitτ : Ω → 0, 1, . . . ,T gibt mit
Vϕ(τ) = fτ
Problem: Existenz und (gegebenenfalls) Konstruktion einer solchenStoppzeit
131 / 263
Annahme: Das Marktmodell (Ω,F ,F,P) ist vollstandig und P∗ istdas eindeutige zu P aquivalente Martingalmaß.
Dann gilt fur jede Hedging-Strategie ϕ, dass
Mt = Vϕ(t) = β(t)Vϕ(t)
ein P∗-Martingal ist.
Also folgt mit Satz 2.10, dass fur jede Stoppzeit τ ∈ T0,T
M0 = Vϕ(0) = E ∗(Vϕ(τ))
Da aus den Annahmen uber ϕ folgt, dass Vϕ(τ) ≥ f τ fur jedeStoppzeit gelten muss, erhalten wir fur das Startkapital
x ≥ supτ∈T0,T
E ∗(β(τ)fτ )
132 / 263
Sei jetzt τ∗ eine Stoppzeit mit Vϕ(τ∗) = fτ∗ . Dann ist dieHandelsstrategie ϕ minimal und es gilt
x = E ∗(β(τ∗)fτ∗) = supτ∈T0,T
E ∗(β(τ)fτ )
Diese Relation (erstes Gleichheitszeichen) ist also eine notwendigeBedingung fur die Existenz einer minimalen Handelsstrategie.
Wir werden zeigen, dass dies zugleich auch eine hinreichendeBedingung darstellt.
Der Preis x heißt rationaler Preis einer amerikanischen Option.
133 / 263
Berechnung des Optionspreises
Zum Zeitpunkt T ist der Wert ZT der Option gleich dem Pay-Offder Option:
ZT := fT
Zum Zeitpunkt T − 1 kann der Besitzer der Option diese entwederausuben und den Geldbetrag fT−1 einstreichen oder die Option biszum Verfallsdatum behalten, wobei im letzteren Falle der Betrag
β−1T−1E
∗(βT fT | FT−1)
abgesichert werden muss. Also hat die Option zum Zeitpunkt Tden Wert
ZT−1 := maxfT−1, β−1T−1E
∗(βT fT | FT−1)
Mittels Ruckwartsinduktion zeigt man, dass zum Zeitpunktt ∈ 1, . . . ,T der folgende Wert abgesichert werden muss:
Zt−1 = maxft−1, β−1t−1E
∗(βtZt | Ft−1)
oder — mit ft := βt ft — diskontiert auf den Zeitpunkt t=0:
Zt−1 = maxft−1,E∗(Zt | Ft−1)
134 / 263
Also ist (Zt)t∈0,...,T die Snell-Einhullende von (ft)t∈0,...,TNach Satz 2.12 gilt, dass
Zt = supτ∈Tt,T
E ∗(fτ | Ft)
und die Stoppzeit τ∗t := mins ≥ t : Zs = fs optimal ist und dass
Zt = E ∗(fτ∗t | Ft)
Speziell kann im Fall t = 0 die Stoppzeitτ∗0 := mins ≥ 0 : Zs = fs verwendet werden und
x = Z0 = E ∗(fτ∗0 ) = supτ0∈T0,T
E ∗(fτ0)
ist der rationale Preis der amerikanischen Option.
135 / 263
Konstruktion des Hedging-Portfolios
Da Z ein Supermartingal ist, existieren nach dem Zerlegungssatz2.14 von Doob ein Martingal M und ein wachsender vorhersagbarerProzess A mit
Z = M − A
Setze Mt := Mt/βt und At := At/βt . Da der zugrundeliegendeFinanzmarkt vollstandig ist, existiert eine selbstfinanzierendeHandelsstrategie ϕ mit
Mt = Vϕ(t)
(Betrachte den Positiv- und den Negativteil von MT jeweils als einDerivat.)
DannZt := Zt/βt = Vϕ(t)− At
136 / 263
Damit ist der Zeichner der Option in der Lage, sich perfekt zuhedgen: Durch den Verkauf der Option zum Preis von Z0 = Vϕ(0)kann er unter Verwendung der Handelsstrategie ϕ zu jedemZeitpunkt t ein Kapital Vϕ(t) erwirtschaften, welches großer odergleich Zt ist, und damit auch großer oder gleich dem zumZeitpunkt t eventuell falligen Pay-Off ft .
137 / 263
Aus Sicht des Kaufers der Option ist die Ermittlung desoptimalen Ausubungszeitpunktes von elementarem Interesse:
Der Ausubungszeitpunkt ist aus der Menge der Stoppzeitenauszuwahlen.
Es ist nicht sinnvoll, die Option zu einem Zeitpunkt t mit Zt > ftauszuuben, da durch den Verkauf der Option ihr Wert Zt erlostwerden kann, wohingegen die Ausubung der Option nur ft erbringt.
Fur einen optimalen Ausubungspunkt τ gilt also
Zτ = fτ
138 / 263
Andererseits ist es auch nicht sinnvoll, die Option nach demZeitpunkt
τmax := inft : At+1 6= 0 (= inft : At+1 6= 0)
auszuuben, da ein Verkauf der Option zum Zeitpunkt τmax undAnlage des Erloses gemaß der Handelsstrategie ϕ ein fur allenachfolgenden Zeitpunkte τmax + 1, τmax + 2, . . . ,T strikt großeresKapital Vϕ einbringt als der Verkauf der Option zu ihrem Wert Z .
139 / 263
Dann gilt fur alle Stoppzeiten τ mit τ ≤ τmax , dass
(Z τt )t = (Zτ∧t)t
ein Martingal bzgl. P∗ ist.
Damit sind nach Satz 2.13 optimale Ausubungszeiten auchoptimale Stoppzeiten fur die Folge (ft)t∈0,1,...,T.
Daraus folgt: Verwendet der Zeichner der Option die obenkonstruierte Handelsstrategie ϕ zum Hedgen und ubt der Kauferder Option diese zu einer nicht optimalen Stoppzeit τ aus, so giltZτ > fτ oder Aτ > 0. In beiden Fallen macht der Zeichner derOption einen risikolosen Gewinn Vϕ(τ)− fτ = Zτ + Aτ − fτ > 0.
140 / 263
Bewertung eines amerikanischen Puts im CRR-Modell
Teile das Zeitintervall [0,T ] in N Teilintervalle der Lange ∆
Risikofreie Zinsrate im Intervall ∆ sei ρ
Die zugehorige stetige Zinsrate berechnet sich aus:
1 + ρ = er∆
Wahle u und d gemaß
u = eσ√
∆ und d = e−σ√
∆
Das risikoneutrale W-Maß fur die dazugehorigenEinperioden-Modelle berechnet sich aus
p∗ =1 + r − d
u − d=
er∆ − e−σ√
∆
eσ√
∆ − e−σ√
∆
Die Aktie mit Startwert S(0) ist nach i Schritten aufwarts und jSchritten abwarts S(0)uid j Einheiten wert.
Es gibt dann N + 1 mogliche Preise und 2N mogliche Pfade durchdas Baumdiagramm.
141 / 263
Aus rechen- und finanztechnischen Grunden wird N haufig in derGroßenordnung von 30 gewahlt.
Wie in der dynamischen Optimierung (Richard Bellman), wird eineRuckwartsrekursion gewahlt, um sowohl die Preise als auch dieoptimale Ausubungsstrategie zu ermitteln:
1. Zeichne das Baumdiagramm, beginnend mit dem Startwert(Zeitpunkt 0) und den N + 1 Endwerten (Zeitpunkt N) (wie inder Einfuhrung zu den CRR-Modellen).
2. Trage am Knoten (i , j), der nach i Aufwarts- und jAbwartsbewegungen erreicht wird, den PreisS(0)uid j = S(0)ui−j ein.
3. Trage an den Endknoten unter die Endpreise die Pay-Offs
f Ai ,j = maxK − S(0)uid j , 0
ein.
142 / 263
4. Angenommen, die Werte der Option liegen an den Knoten(i + 1, j) und (i , j + 1) bereits vor. Wird die Option amKnoten (i , j) nicht ausgeubt, muss der Betrag
fi ,j = e−r∆(p∗f A
i+1,j + (1− p∗)f Ai ,j+1
)abgesichert werden. Wird die Option am Knoten (i , j) aberausgeubt, so ist der Wert
(K − S(0)uid j)+
abzusichern. Der Wert des amerikanischen Puts im Knoten(i , j) ist nun das Maximum dieser beiden Werte:
f Ai ,j = maxfi ,j ,K − S(0)uid j
5. Der Wert PA(0) des amerikanischen Puts zum Zeitpunkt 0 istdann am linken Wurzelkonten abzulesen: f0,0.
6. Befindet man sich an einem inneren Knoten (i , j), so ist esrational, die Option vorzeitig auszuuben (early exercise), fallsdie Ausubung der Option einen hoheren Erlos bietet als derVerkauf der Option um den Wert fi ,j .
143 / 263
100
115
90
132.25
103.5103.5
81
AktienwertEarly ExercisePay−OffHedge−Wert
2
0
0
0
0
12
0
21
3.82
t=0:Options−Wert: 2.18 Hedging−Portfolio:Anteile Aktie = −0.48 Anteile Bond= 50.18
2.18
Bewertung einer Amerikanische Put−Option mit K=102 und r=10%
144 / 263
4. Stochastische Prozesse in stetiger Zeit
Dieses Kapitel der Vorlesung orientiert sich teilweise an dem Buch
I Sondermann D. Introduction to Stochastic Calculus forFinance — A New Didactic Approach. Springer 2006.
145 / 263
4.1 Grundbegriffe
(Ω,F ,P) mit Filtration F = (Ft)t≥0
Ein stochastischer Prozess X = (Xt)t≥0 mit Indexbereich [0,∞)ist eine Familie von Zufallsvariablen auf (Ω,F ,P).
Der Prozess X heißt (zur Filtration F) adaptiert, falls
∀t≥0
Xt ist Ft-messbar
146 / 263
Seien t1, . . . , tn ∈ [0,∞). Der Zufallsvektor (Xt1 , . . . ,Xtn) besitztWerte in Rn.
Durch
PX1,...,Xtn(B) := P ((Xt1 , . . . ,Xtn) ∈ B) , B ∈ Bn
wird eine endlich dimensionale Verteilung von X definiert. DieMenge aller endlich dimensionalen Verteilungen von X erfullen diefolgenden Konsistenzbedingungen von Kolmogorov:
I Fur jede Permutation (s1, . . . , sn) von (t1, . . . , tn) gilt
PXt1,...,Xtn(At1 × . . .× Atn) = PXs1 ,...,Xsn
(As1 × . . .× Asn) (Ati ∈ B1)
I Fur jedes A ∈ Bn−1 gilt
PXt1 ,...,Xtn(A× R) = PXt1 ,...,Xtn−1
(A)
147 / 263
Man kann auch folgende Umkehrung zeigen:
Zu jeder konsistenten Familie K von endlich dimensionalenVerteilungen existiert ein Wahrscheinlichkeitsmaß Q auf(R[0,∞),B(R[0,∞))), dessen Menge der endlich dimensionalenRandverteilungen die Familie K umfasst.
Sei ω ∈ Ω. Die Abbildung
X .(ω) :
[0,∞) → Rt 7→ Xt(ω)
heißt Trajektorie oder Pfad von X .
Die Zufallsvariable τ mit Werten in [0,∞] heißt Stoppzeit, falls
∀t≥0
[τ ≤ t] = ω ∈ Ω : τ(ω) ≤ t ∈ Ft
148 / 263
In der Theorie der Stochastischen Prozesse in stetiger Zeit tretenu.a. folgende Probleme auf:
I Pfadregularitat
I uberabzahlbare Operationen wie supt∈[0,1] Xt
149 / 263
4.2 Klassen von Prozessen
Martingale. Ein adaptierter stochastischer Prozess X mitE (|Xt |) <∞ fur alle t ≥ 0 ist ein
I Submartingal, falls
∀t,s≥0
t > s =⇒ E (Xt | Fs) ≥ Xs
I Supermartingal, falls
∀t,s≥0
t > s =⇒ E (Xt | Fs) ≤ Xs
I Martingal, falls
∀t,s≥0
t > s =⇒ E (Xt | Fs) = Xs
150 / 263
Beispiele: (Standard-) Brownsche Bewegung, kompensierterPoisson-Prozess.
Semimartingale. Prozesse, welche sich aus einem vorhersagbarenund einem vollstandig unvorhersagbaren Teil — modelliert durchein Martingal — zusammensetzen. Formale Definition spater.
Markov-Prozesse. Ein adaptierter stochastischer Prozess X heißtMarkov-Prozess, falls fur jede beschrankte messbare Funktionf : R → R gilt
∀t,s>0
E (f (Xt+s) | Ft) = E (f (Xt+s) | Xt)
Intuitive Deutung: Zukunftige Werte von X hangen nur von derGegenwart, nicht jedoch von der Vergangenheit ab.
Gilt obige Eigenschaft auch dann noch, wenn die deterministischeZeit t durch eine Stoppzeit τ ersetzt wird, so heißt X starkerMarkov-Prozess.
151 / 263
Diffusionen. Eine Diffusion ist ein starker Markov-Prozess X mitstetigen Pfaden, fur den fur alle t ≥ 0 und alle x ∈ R die folgendenGrenzwerte existieren:
µ(t, x) := limh→0
1
hE (Xt+h − Xt | Xt = x)
σ2(t, x) := limh→0
1
hE((Xt+h − Xt)
2 | Xt = x)
µ(t, x) heißt Drift von X , σ2(t, x) heißt Diffusionskoeffizient vonX .
Beispiele: Brownsche Bewegung, Losungen stochastischerDifferenzialgleichungen.
152 / 263
Punktprozesse und Poisson-Prozesse. Punktprozesse sindstochastische Prozesse, deren Realisierungen nicht Pfade, sondernZahlmaße sind.
Seien z.B. τ0 < τ1 < . . . die zufalligen Zeitpunkte von gewissenEreignissen.
Der dazugehorige Punktprozess (Nt)t≥0 ist gegeben durch
Nt := supn | τn ≤ t, t ≥ 0
Die Zufallsvariable Nt gibt die Anzahl der Ereignisse bis zumZeitpunkt t an.
153 / 263
Poisson-Prozesse sind spezielle Punktprozesse: Y1,Y2, . . .unabhangige exp(λ)-verteilte ZVn
τn :=n∑
j=1
Yj
τn ist also die Zeit bis zum n-ten Ereignis und Yn ist die Wartezeitzwischen den Ereignissen zu den Zeitpunkten τn−1 und τn.
Nt := supn | τn ≤ t definiert dann einen Poisson-Prozess mitRate λ > 0.
Eigenschaften:
I P(Nt = k) = e−λt (λt)k
k! , k ∈ N0, t ≥ 0I ∀
s<t∀
u>0Nt+u − Nt unabhangig von Ns (unabhangige
Zuwachse)I Nt+u − Nt ∼ π(λu) (stationare Zuwachse)I Der sog. kompensierte Poisson-Prozess M mit
Mt := Nt − λt ist ein Martingal; speziell gilt ENt = λt154 / 263
Man kann zeigen, dass jeder stochastische Prozess (Nt) mitWerten von Nt in N0, der die ersten drei obigen Eigenschaftenerfullt, ein Poisson-Prozess ist.
Stochastische Prozesse mit unabhangigen und stationarenZuwachsen heißen Levy-Prozesse.
155 / 263
4.3 Brownsche Bewegung
I 1830 Robert Brown (1773–1858), schottischer Botaniker
I 1900 Louis Bachelier (1870–1946)
I 1905 Albert Einstein (1879–1955)
I 1923 Norbert Wiener (1894–1964)
156 / 263
Abbildung: R. Brown, L. Bachelier, A. Einstein und N. Wiener
157 / 263
Definition 4.1. Ein stochastischer Prozess W = (Wt)t≥0 auf(Ω,F ,P) heißt standardisierte 1-dimensionale BrownscheBewegung oder Wiener-Prozess, falls
I W0 = 0 P-f.s.
I W hat unabhangige Zuwachse:
∀s<t
∀u≥0
Wt+u −Wt ist unabhangig von Ws
I W hat stationare normalverteilte Zuwachse:
∀t,u≥0
Wt+u −Wt ∼ N(0, u)
I W hat stetige Pfade
158 / 263
Bemerkungen zu Definition 4.1:
I Wt = Wt −W0 ∼ N(0, t)
I cov(Wt ,Ws) = mins, t, da
∀t>s
cov(Wt ,Ws) = E (WtWs)
= E ((Wt −Ws)Ws) + E (W 2s )
= E (Wt −Ws)E (Ws) + s = s
Definition 4.2. Eine standardisierte Brownsche Bewegung inRd ist ein d-dimensionaler Prozess Wt = (W 1
t , . . . ,Wdt ) mit
unabhangigen standardisierten Brownschen Bewegungen in R.
Satz 4.1. Der in Definition 4.1 (und 4.2) definierte Prozessexistiert.
159 / 263
Behauptung 4.1. Seien W = (Wt)t≥0 eine standardisierteBrownsche Bewegung und Ft := σ(Ws : s ≤ t). Dann sind(Wt)t≥0 und (W 2
t − t)t≥0 Martingale bzgl. der FiltrationF = (Ft)t≥0.
Nachfolgend legen wir das endliche Zeitintervall [0,T ] fur unserModell zugrunde.
Definition 4.3. Die Menge der Zeitpunktet0 = 0 < t1 < . . . < tn = T definiert eine Partitionτ := t0, . . . , tn von [0,T ]; |τ | := sup|ti − ti−1| : 1 ≤ i ≤ nheißt Feinheitsgrad von τ .
Definition 4.4. Die Totalvariation der Funktion X : [0,T ] → Rist definiert durch
Var(X ) := sup
∑ti∈τ
|X (ti )− X (ti−1)| : τ ist eine Partition von [0,T ]
160 / 263
Falls Var(X ) <∞, sagt man, X sei von endlicher Variation.
Bemerkung. Die Variation Var(f ) einer Funktion f darf nicht mitder Varianz var(Y ) einer Zufallsvariablen Y verwechselt werden.
Definition 4.5. Sei X : [0,T ] → R eine Funktion und (τn) eineFolge von Partitionen des Intervalls [0,T ] mit |τn| → 0 fur n →∞.Die quadratische Variation von X uber dem Intervall[0, t] ≤ [0,T ] entlang der Partition τn ist definiert durch
V 2t (X , τn) :=
∑ti∈τn∪t, ti≤t
(X (ti )− X (ti−1))2
Existiert 〈X 〉t := limn→∞
V 2t (X , τn) fur alle t ∈ [0,T ], — und ist
dieser Grenzwert unabhangig von der speziellen Wahl derPartitionenfolge (τn), fur die ein Grenzwert existiert — so heißt diedadurch auf [0,T ] definierte Funktion t 7→ 〈X 〉t quadratischeVariation 〈X 〉 von X .
161 / 263
Behauptung 4.2. Ist X : [0,T ] → R stetig und von endlicher(erster) Variation, so ist die quadratische Variation 〈X 〉t = 0 furalle t ∈ [0,T ].
Korollar 4.1. Ist X : [0,T ] → R stetig und ist die quadratischeVariation t 7→ 〈X 〉t streng monoton wachsend, so ist X auf jedemIntervall [a, b] ⊆ [0,T ] von unendlicher Totalvariation.
Behauptung 4.3. Sei X : [0,T ] → R stetig mit stetigemquadratischer Variation. Ferner sei A : [0,T ] → R stetig und vonendlicher Totalvariation. Dann ist die durch Y (t) := X (t) + A(t)definierte Funktion Y : [0,T ] → R von stetiger quadratischerVariation mit 〈Y 〉t = 〈X 〉t fur alle t ∈ [0,T ].
Also ist die quadratische Variation eines stetigen Semimartingalsgleich der quadratischen Variation des Martingalanteils.
162 / 263
Satz 4.2. Fur alle t ∈ [0,T ] gilt:
E(V 2
t (W , τn)− t)2 → 0 (n →∞)
fur jede Folge von Partitionen τn des Intervalls [0,T ] mitlimn |τn| = 0.
Korollar 4.2. Es gibt eine Folge von Partitionen τn von [0,T ] mitlimn |τn| = 0 so, dass P-f.s.
∀t∈[0,T ]
limn
V 2t (W , τn) = t
Lemma 4.1. X : [0,T ] → R stetig mit stetiger quadratischerVariation, g : [0,T ] → R messbar und beschrankt. Dann gilt:
limn→∞
∑ti∈τn∪t, ti≤t
g(ti−1)(Xti − Xti−1)2 =
∫ t
0g(s) d〈X 〉s
163 / 263
Eine Kombination von Satz 4.2 und Korollar 4.2 liefert
Korollar 4.3. Fast alle Pfade der Brownschen Bewegung sind vonunendlicher Totalvariation.
Zusammenfassung: Die Brownsche Bewegung ist ein Martingalmit stetigen Pfaden und quadratischer Variation 〈W 〉t = t P-f.s.
Es gilt jedoch auch umgekehrt
Satz 4.3. (Charakterisierung der Brownschen Bewegung vonLevy). Ist M ein quadratisch integrierbares Martingal mit stetigenPfaden, M0 = 0 und 〈M〉t = t fur alle t, dann ist M eineBrownsche Bewegung.
164 / 263
Das Ito-Integral
F : R → R und X : R+ → R seien C 1-Funktionen (d.h. stetigdifferenzierbar).
Dann gilt nach dem Hauptsatz der Differenzial- undIntegralrechnng
F (X (t))− F (X (0)) =
t∫0
F ′(X (s))X ′(s) ds =
t∫0
F ′(Xs) dXs
Die Voraussetzung, dass X eine C 1-Funktion ist, kann auf stetigeFunktionen X mit endlicher Totalvariation abgeschwacht werden,wie nachfolgend gezeigt wird.
165 / 263
Behauptung 4.4. X : [0,T ] → R stetig und von endlicherTotalvariation, F : R → R eine C 1-Funktion. Sei (τn) eine Folgevon Partitionen von [0,T ] mit limn |τn| = 0.
Dann existiert
limn→∞
∑ti∈τn∪t,ti≤t
F ′(Xti−1)(Xti − Xti−1) =:
t∫0
F ′(Xs) dXs
und es gilt
F (Xt)− F (X0) =
t∫0
F ′(Xs) dXs
Diese Behauptung ist ein Spezialfall der Ito-Formel (Satz 4.4).
166 / 263
Bis auf Weiteres sei X : [0,T ] → R immer eine stetige Funktionmit stetiger quadratischer Variation 〈X 〉 = (〈X 〉t)t∈[0,T ].
Dies gilt z.B. fur die Pfade der Brownschen Bewegung W (Korollar4.2) und — allgemeiner — fur die Pfade jedes stetigenSemimartingals mit stetiger quadratischer Variation.
Da t 7→ 〈X 〉t monoton wachsend in t, ist das Integral∫ t0 g(s) d〈X 〉s fur jede stetige Funktion g : [0,T ] → R im
Riemann-Stieltjes-Sinne definiert.
Da t 7→ 〈X 〉t stetig ist, ist dieses Integral eine stetige Funktion deroberen Grenze t.
167 / 263
Satz 4.4 (Ito-Formel). X : [0,T ] → R stetig mit stetigerquadratischer Variation 〈X 〉. F : R → R eine C 2-Funktion.
Dann gilt
∀t∈[0,T ]
F (Xt)− F (X0) =
∫ t
0F ′(Xs) dXs +
1
2
∫ t
0F ′′(Xs) d〈X 〉s
wobei der Grenzwert∫ t
0F ′(Xs) dXs := lim
n→∞
∑ti∈τn∪t,ti≤t
F ′(Xti−1)(Xti − Xti−1)
fur jede zu der quadratischen Variation 〈X 〉 fuhrenden Folge (τn)von Partitionen des Intervalls [0,T ] mit limn |τn| = 0 existiert(gemaß Definition 4.5).
Das Integral∫ t0 F ′(Xs) dXs heißt Ito-Integral.
168 / 263
Bemerkungen.
1) Ist X von endlicher Totalvariation, verschwindet derKorrekturterm 1
2
∫ t0 F ′′(Xs) d〈X 〉s (da 〈X 〉 ≡ 0 nach
Behauptung 4.2). Dies liefert die klassische Behauptung 4.4.
2) Kurzform der Ito-Formel:
dF (Xt) = F ′(Xt) dXt +1
2F ′′(Xt) d〈X 〉t
169 / 263
3) Man beachte, dass in den Summen, deren Grenzwerte dasIto-Integral liefern, der Integrand F ′(Xs) am linkenIntervallende von [ti−1, ti ] ausgewertet wird.
4) Sei X jetzt allgemeiner ein stochastischer Prozess (hinge alsozusatlich noch vom Zufall ab), dessen Pfade die einerBrownschen Bewegung W sind. Dann kann in Satz 4.4 zurDefinition des Ito-Integrals die nach Korollar 4.2 existierendepfadunabhangige Folge von Partitionen verwendet werden.Der Grenzwert ist bis auf eine P-Nullmenge eindeutig.
5) Die hier gewahlte pfadweise Definition des Ito-Integrals gehtauf Hans Follmer (1981) zuruck. Allgemeinere Integranden derForm Ys anstelle von F ′(Xs) werden in der stochastischenAnalysis behandelt. Solche allgemeinere Integranden tauchenin unserer Vorlesung Finanzmathematik jedoch nicht auf.
170 / 263
Beispiele
I F (x) = xn. Mit Ito-Formel
X nt − X n
0 = n
∫ t
0X n−1
s dXs +n(n − 1)
2
∫ t
0X n−2
s d〈X 〉s
kurz:
dX nt = nX n−1
t dXt +n(n − 1)
2X n−2
t d〈X 〉t
Ist X speziell der Pfad einer Brownschen Bewegung W mitW0 = 0, so gilt
W 2t = 2
∫ t
0Ws dWs +
∫ t
0d〈W 〉s
= 2
∫ t
0Ws dWs + t
Also ∫ t
0Ws dWs =
1
2W 2
t −t
2171 / 263
I F (x) = ex . Mit Ito-Formel
eXt − eX0 =
∫ t
0eXs dXs +
1
2
∫ t
0eXs d〈Xs〉s
oder kurz
deXt = eXt dXt +1
2eXt d〈X 〉t
Speziell fur X = W folgt
eWt = 1 +
∫ t
0eWs dWs +
1
2
∫ t
0eWs d〈W 〉s
= 1 +
∫ t
0eWs dWs +
1
2
∫ t
0eWs ds
= 1 +
∫ t
0eWs dWs +
1
2
(eWt − e0
)Also ∫ t
0eWs dWs =
1
2
(eWt − 1
)172 / 263
Behauptung 4.5. Sei F : R → R eine C 1- Funktion. Dann bestitztdie Funktion t 7→ F (Xt) die quadratische Variation∫ t
0
(F ′(Xs)
)2d〈X 〉s
Korollar 4.4. Fur jedes f ∈ C 1(R) ist das Ito-Integral
It :=
∫ t
0f (Xs) dXs
wohldefiniert und besitzt die quadratische Variation
〈I 〉t =
∫ t
0f 2(Xs) d〈X 〉s
173 / 263
Beispiel.
Fur X = W gilt
W 2t =
∫ t
02Ws dWs + t
Mit It :=∫ t0 2Ws dWs folgt
〈W 2〉t = 〈I 〉t =
∫ t
04W 2
s ds
174 / 263
Bisher haben wir nur analytische Eigenschaften des Integrators Xverwendet.
Sei M ein Martingal mit stetigen Pfaden und stetiger quadratischerVariation und f eine C 1-Funktion.
Frage: Ubertragt sich die Martingal-Eigenschaft des Integrators Mauf das Ito-Integral
I =
It :=
t∫0
f (Ms) dMs
t≥0
?
175 / 263
Definition 4.6. Ein stochastischer Prozess M heißt lokalesMartingal, falls es Stoppzeiten T1 ≤ T2 ≤ . . . gibt mit
∀ω∈Ω
limn→∞
Tn(ω) = ∞
∀n
(MTn∧t)t≥0 ist ein Martingal
Klar: Jedes Martingal ist ein lokales Martingal. Die Umkehrung istjedoch falsch!
176 / 263
Satz 4.5. Sei M ein lokales Martingal mit stetigen Pfaden undstetiger quadratischer Variation 〈M〉, ferner f ∈ C 1(R). Dann giltIt :=
t∫0
f (Ms) dMs
t≥0
ist ein lokales Martingal
Behauptung 4.6. Sei M ein lokales Martingal mit stetigen Pfadenund M0 = 0. Aquivalent sind:
(i) M ist ein Martingal mit EM2t <∞ fur alle t ≥ 0
(ii) ∀t≥0
E 〈M〉t <∞
Im Falle von (i) oder (ii) gilt
∀t≥0
EM2t = E 〈M〉t
177 / 263
Behauptung 4.7. Sei M ein lokales Martingal mit stetigen Pfadenund quadratischer Variation 〈M〉t = 0 f.s. (t ≥ 0). Dann gilt
∀t≥0
Mt = M0 f.s.
Korollar 4.5. Sei M ein lokales Martingal mit stetigen Pfaden vonendlicher Totalvariation. Dann gilt
∀t≥0
Mt = M0 f.s.
Bemerkung: Mit Kor. 4.5 konnen wir zeigen, dass bei stetigenlokalen Martingalen (mit stetigem quadratischemVariationsprozess) der quadratische Variationsprozess in Def. 4.5f.s. unabhangig von der Wahl der Partitionenfolge (τn) ist.
Definition 4.7. Ein stochastischer Prozess X mit Xt = Mt + At
mit einem lokalen Martingal M und einem adaptierten Prozess Amit linksseitig stetigen Pfaden von endlicher Totalvariation heißtSemimartingal.
178 / 263
Bemerkungen.
1) Die linksseitige Stetigkeit von A hat zur Folge, dass der Wertvon At bei Kenntnis der Werte As , s < t, vorhergesagt werdenkann.
2) Die Zerlegung eines Semimartingals X in einenMartingalanteil und einen Anteil A von endlicherTotalvariation ist eindeutig (bis auf additive Konstanten). IstX stetig, so ist auch M (und somit A) stetig.
3) In der allgemeinen Theorie der Semimartingale wird A alsvorhersagbar angenommen, was etwas schwacher ist als dieForderung, dass A adaptiert ist und die Pfade von Alinksseitig stetig sind.
179 / 263
Definition 4.8. Sei (τn) eine Folge von Partitionen des Intervalls[0,T ] mit |τn| → 0. X und Y seien stetige Funktionen mit stetigerquadratischer Variation entlang der Folge (τn). Existieren dieGrenzwerte — und zwar unabhangig von der speziellen Wahl von(τn) —
∀t≥0
〈X ,Y 〉t := limn→∞
∑ti∈τn,ti≤t
(Xti − Xti−1)(Yti − Yti−1),
so heißt 〈X ,Y 〉 := (〈X ,Y 〉t)t≥0 Kovariation von X und Y .
Satz 4.6. 〈X ,Y 〉t existiert genau dann, wenn 〈X + Y 〉t existiert.In diesem Fall gilt die Polarisationsgleichung
〈X ,Y 〉t =1
2(〈X + Y 〉t − 〈X 〉t − 〈Y 〉t)
180 / 263
Bemerkungen.
1) X stetige Funktion mit stetiger Variation 〈X 〉, A stetigeFunktion mit endlicher Totalvariation. Dann gilt
〈X + A〉t = 〈X 〉t
und damit〈X ,A〉t = 0
2) Fur zwei unabhangige Brownsche Bewegungen B(1) und B(2)
gilt
∀t≥0
〈B(1),B(2)〉t = 0
181 / 263
3) X stetige Funktion mit stetiger quadratischer Variation,f , g ∈ C 1(R),
Yt :=
t∫0
f (Xs) dXs , Zt :=
t∫0
g(Xs) dXs
Dann gilt
〈Y ,Z 〉t =
t∫0
f (Xs)g(Xs) d〈X 〉s
Dies folgt aus der Polarisationsgleichung und
〈Y + Z 〉t =
t∫0
(f + g)2(Xs) d〈X 〉s
= 〈Y 〉t + 〈Z 〉t + 2
t∫0
f (Xs)g(Xs) d〈X 〉s
182 / 263
Satz 4.7 (d-dimensionale Ito-Formel). SeiX = (X 1, . . . ,X d) : [0,T ] → Rd stetig mit stetigen Kovariationen
〈X k ,X l〉t =
〈X k〉t , falls k = l12
(〈X k + X l〉t − 〈X k〉t − 〈X l〉t
), falls k 6= l
Ferner sei F ∈ C 2(Rd ,R). Dann gilt
F (Xt)− F (X0)
=d∑
i=1
t∫0
∂
∂xiF (Xs) dX i
s +1
2
d∑i ,j=1
t∫0
∂2
∂xi∂xjF (Xs) d〈X i ,X j〉s
In Kurzform:
dF (Xt) =d∑
i=1
Fxi (Xt) dX it +
1
2
d∑i ,j=1
Fxi ,xj (Xt) d〈X i ,X j〉t
183 / 263
Beispiel.
SeiW = (W 1, . . . ,W d)
eine d-dimensionale Brownsche Bewegung. Also
〈W k ,W l〉t =
t, falls k = l
0, falls k 6= l
Mit obiger Ito-Formel
F (Wt)− F (W0) =d∑
i=1
t∫0
Fxi (Ws) dW is +
1
2
d∑i=1
t∫0
Fxi ,xi (Ws) ds
184 / 263
Korollar 4.6 (Itosche Produktformel). Seien X und Y stetigeFunktionen mit stetiger quadratischer (Ko-)Variation 〈X 〉, 〈Y 〉bzw. 〈X ,Y 〉. Dann gilt
XtYt = X0Y0 +
t∫0
Xs dYs +
t∫0
Ys dXs + 〈X ,Y 〉t
Kurzschreibweise:
d(XY )t = Xt dYt + Yt dXt + d〈X ,Y 〉t
185 / 263
Korollar 4.7 (Ito-Formel fur zeitabhangige Funktionen). Sei X einestetige Funktion mit stetiger quadratischer Variation 〈X 〉 undF : (t, x) 7→ F (t, x) mit F ∈ C 1,2. Dann gilt
F (t,Xt)
= F (0,X0) +
t∫0
Ft(s,Xs) ds +
t∫0
Fx(s,Xs) dXs +1
2
t∫0
Fxx(s,Xs) d〈X 〉s
Kurzschreibweise:
dFt = Ft dt + Fx dXt +1
2Fxx d〈X 〉t
186 / 263
Beispiel.
W Brownsche Bewegung, S0 > 0 Startwert, µ ∈ R, σ > 0Konstanten
Der durch
St = S0 exp
(σWt +
(µ− 1
2σ2
)t
), t ≥ 0
definierte stochastische Prozess S heißt geometrische BrownscheBewegung.
Herleitung einer Ito-Integralgleichung fur S :
Xt = σWt
Yt =
(µ− 1
2σ2
)t
Klar: 〈X 〉t = σ2t und 〈Y 〉t = 〈X ,Y 〉t = 0
Fur F (x , y) := S0 exp(x + y) gilt Fx = Fy = Fxx = F
187 / 263
Wegen St = F (Xt ,Yt) folgt
St = S0 +
t∫0
F (Xs ,Ys) dXs +
t∫0
F (Xs ,Ys) dYs +1
2
t∫0
F (Xs ,Ys) d〈X 〉s
= S0 +
t∫0
F (Xs ,Ys)σ dWs +
t∫0
F (Xs ,Ys)
(µ− 1
2σ2
)ds
+1
2
t∫0
F (Xs ,Ys)σ2 ds
= S0 +
t∫0
σSs dWs +
t∫0
µSs ds
In Kurzform:dSt = µSt dt + σSt dWt
188 / 263
Falls µ = 0, ist
St = S0 +
t∫0
σSs dWs
nach Satz 4.4 ein lokales Martingal.
Wegen
E 〈S〉t = E
t∫0
σ2S2s d〈W 〉s
= σ2E
t∫0
S2s ds = σ2
t∫0
ES2s ds <∞
fur alle t ≥ 0, ist S nach Behauptung 4.6 sogar ein Martingal.
189 / 263
Abbildung: Kiyoshi Ito (1915–2008), Wolfgang Doblin (1915–1940)
190 / 263
5. Zeitstetige Finanzmarkte
Marktmodell M
I WR (Ω,F ,P)
I Filtration F von aufsteigenden in F enthaltenen σ-Algebrenmit F0 = ∅,Ω und FT = F
I d + 1 Finanzguter mit Preisprozessen S0,S1, . . . ,Sd , welchezu F adaptiert und streng positiv seien
191 / 263
Weitere technische Regularitatsvoraussetzungen (abhangig z.B.davon, wie allgemein das stochastische Integral sein soll und wasman beweisen will):
I F ist P-vollstandig
I F0 enthalt alle P-Nullmengen
I F ist rechtsstetig, d.h.
∀t∈[0,T ]
Ft =⋂s>t
Fs
I S0,S1, . . . ,Sd sind stetige Semimartingale
192 / 263
Zur Erinnerung: Per definitionem lasst sich ein stetigesSemimartingal S = (St)t∈[0,T ]) in ein stetiges (lokales) MartingalM und einen stetigen adaptierten Prozess A mit (lokal)beschrankter Variation zerlegen.
Ein vorhersagbarer Prozess H = (Ht)t∈[0,T ] ist ein stochastischerProzess H : Ω× [0,T ] → R, welcher messbar ist bezuglich dervorhersagbaren σ-Algebra, welche von den adaptierten Prozessenmit linksseitig stetigen Pfaden erzeugt wird.
193 / 263
Definition 5.1. Ein Numeraire ist ein PreisprozessX = (Xt)t∈[0,T ] mit
∀t∈[0,T ]
Xt > 0 P − f.s.
Definition 5.2. Der Rd+1-wertige stochastische Prozess ϕ ist eineHandelsstrategie oder dynamisches Portfolio, falls
ϕ(t) = (ϕ0(t), . . . , ϕd(t)) , t ∈ [0,T ]
ein vorhersagbarer lokal beschrankter Prozess ist.
Unter diesen Bedingungen existiert das stochastische Integral∫ t0 〈ϕ(u), dS(u)〉.ϕi (t) bezeichnet die Anteile des Finanzgutes i im Portfolio zumZeitpunkt t.
ϕi (t) basiert auf der Information, welche vor dem Zeitpunkt terhaltlich ist.
194 / 263
Definition 5.3
(i) Der Wertprozess Vϕ = (Vϕ(t))t∈[0,T ] des Portfolios ϕ istgegeben durch
Vϕ(t) := 〈ϕ(t),S(t)〉 =d∑
i=0
ϕi (t)Si (t), t ∈ [0,T ]
(ii) Der Zuwachsprozess Gϕ = (Gϕ(t))t∈[0,T ] ist gegeben durch
Gϕ(t) :=
∫ t
0〈ϕ(u), dS(u)〉 =
d∑i=0
∫ t
0ϕi (u) dSi (u)
(iii) Die Handelsstrategie ϕ heißt selbstfinanzierend, falls
∀t∈[0,T ]
Vϕ(t) = Vϕ(0) + Gϕ(t)
195 / 263
Behauptung 5.1. Ein selbstfinanzierendes Portfolio bleibt nacheinem Wechsel des Numeraires X selbstfinanzierend.
Sei S0 der risikolose Bond.
Diskontierter Preisprozess: S :=(1, S1
S0, . . . , Sd
S0
)Diskontierter Wertprozess:
Vϕ :=VϕS0
= ϕ0 +d∑
i=1
ϕi Si
Diskontierter Zuwachsprozess Gϕ:
Gϕ(t) :=d∑
i=1
∫ t
0ϕi (u) dSi (u), t ∈ [0,T ]
196 / 263
Behauptung 5.2. ϕ ist genau dann selbstfinanzierend, wenn
∀t∈[0,T ]
Vϕ(t) = Vϕ(0) + Gϕ(t)
Es gilt Vϕ(t) ≥ 0 genau dann, wenn Vϕ(t) ≥ 0.
Definition 5.4. Eine selbstfinanzierende Handelsstrategieermoglicht Arbitrage, falls
Vϕ(0) = 0
P(Vϕ(T ) ≥ 0) = 1
P(Vϕ(T ) > 0) > 0
Definition 5.5. Das auf (Ω,F) definierte WahrscheinlichkeitsmaßQ wird (stark) aquivalentes Martingalmaß genannt, falls Q ∼ Pund der diskontierte Preisprozess S ein lokales Martingal(Martingal) bzgl. Q ist.
Die Menge der zu P aquivalenten Martingalmaße werde mit Pbezeichnet. 197 / 263
Definition 5.6. Eine selbstfinanzierende Handelsstrategie ϕ heißtzahm (tame), falls
∀t∈[0,T ]
Vϕ(t) ≥ 0
Die Menge der zahmen Handelsstrategien werde mit Φ bezeichnet.
Behauptung 5.3. Sei ϕ ∈ Φ. Dann ist Vϕ unter jedem Q ∈ P einnichtnegatives lokales Martingal und ein Supermartingal.
Satz 5.1. Existiert ein zu P aquivalentes Martingalmaß (d.h.P 6= ∅), dann existiert keine Handelsstrategie aus Φ, welcheArbitrage ermoglicht.
Bemerkung. Um in zeitstetigen Markten eine auch hinreichendeBedingung fur die Existenz eines aquivalenten Martingalmaßes zufinden, muss der Begriff der Arbitragefreiheit noch verscharftwerden.
198 / 263
Risikoneutrale Bewertung
Annahme: Im Weiteren exisitiere immer ein zu P starkaquivalentes Martingalmaß P∗, unter welchem der diskontiertePreisprozess S ein Martingal ist.
Nach Satz 5.1 findet man dann in Φ keine Handelsstrategie, welchein M Arbitrage ermoglicht.
Im Folgenden werden nur Derivate X mit
X
S0(T )∈ L1(F ,P∗)
betrachtet.
199 / 263
Definition 5.7. Eine selbstfinanzierende Handelsstrategie ϕ heißtP∗-zulassig, falls der diskontierte Zuwachsprozess Gϕ mit
Gϕ(t) =
∫ t
0〈ϕ(u), dS(u)〉
ein P∗-Martingal ist.
Die Menge dieser Handelsstrategien wird mit Φ(P∗) bezeichnet.
Es wird nicht vorausgesetzt, dass eine P∗-zulassigeHandelsstrategie auch zahm ist.
Satz 5.2. Eine P∗-zulassige Handelsstrategie ermoglicht keineArbitrage in M.
Existieren keine Arbitrage-Moglichkeiten, so kann das Problem derBewertung und des Hedgings von Derivaten auf die Existenz dasDerivat replizierender selbstfinanzierender Handelsstrategienzuruckgefuhrt werden.
200 / 263
Definition 5.8.
(i) Eine Derivat X heißt erreichbar, falls es eine P∗-zulassigeHandelsstrategie ϕ gibt mit
Vϕ(T ) = X
In diesem Fall wird ϕ die das Derivat X replizierendeHandelsstrategie genannt.
(ii) Der Finanzmarkt M heißt vollstandig, falls jedes Derivaterreichbar ist.
201 / 263
Bemerkungen.
I Erreichbarkeit und Vollstandigkeit hangen von derbetrachteten Klasse von Handelsstrategien ab!
I Erreichbarkeit und Vollstandigkeit hangen nicht von der Wahldes Numeraires ab.
I Die Eigenschaft einer Handelsstrategie, ein Derivat zureplizieren, bleibt bei einem Wechsel des Numeraires erhalten.
Ist das Derivat X erreichbar, kann es durch ein Portfolioϕ ∈ Φ(P∗) repliziert werden. Fur den PreisprozessΠX = (ΠX (t))t∈[0,T ] des Derivates muss deshalb gelten
ΠX (t) = Vϕ(t)
202 / 263
Satz 5.3. Der sogenannte arbitragefreie Preisprozess ΠX jedeserreichbaren Derivates X ist gegeben durch die Formel derrisikoneutralen Bewertung
∀t∈[0,T ]
ΠX (t) = S0(t) EP∗
(X
S0(T )| Ft
)
Was passiert, wenn es zwei verschiedene Portfolios gibt, die Xreplizieren?
Korollar 5.1. Fur zwei das Derivat X replizierende Portfolios ϕund ψ gilt
∀t∈[0,T ]
Vϕ(t) = Vψ(t)
203 / 263
Fur Fragen der Bewertung ist es hinreichend, ein stark aquivalentesMartingalmaß zu finden. Aus der Sicht des Risikomanagements istes jedoch wichtig, das das Derivat replizierende Portfolio zu finden.
Lemma 5.2 Das diskontierte Derivat X/S0(T ) sei P∗-integrierbar.Besitzt das durch
M(t) = EP∗
(X
S0(T )| Ft
)definierte P∗-Martingal eine Integral-Darstellung
M(t) = x +d∑
i=1
∫ t
0ϕi (u) dSi (u),
mit vorhersagbaren und lokal beschrankten Prozessen ϕ1, . . . , ϕd ,so ist X erreichbar.
204 / 263
Den folgenden Vollstandigkeitssatz werden wir nicht beweisen:
Satz 5.4. Ist das starke Martingalmaß P∗ das einzigeMartingalmaß fur den Finanzmarkt M, dann ist M vollstandig indem eingeschrankten Sinne, dass jedes Derivat X mit
X
S0(T )∈ L1(F ,P∗)
erreichbar ist.
Im Beweis wird ein sogenannter Martingaldarstellungssatz benotigt.
205 / 263
Das Black-Scholes-Modell
Es gibt verschiedene Moglichkeiten den Preisprozesses S derrisikobehafteten Anlage zu modellieren
Bachelier (1900): Brownsche Bewegung mit Drift µ undVolatilitat σ
St = S0 + σWt + µt
mit Konstanten µ ∈ R, σ > 0 und einer Standard-BB W bzgl. P.
Wegen St ∼ N(S0 + µt, σ2t) wird St < 0 mit Wahrscheinlichkeit 1
Nach Ito ist dieser Prozess Losung der stochastischenDifferenzialgleichung
dSt = µ dt + σ dWt
206 / 263
Samuelson (1965): Geometrische Brownsche Bewegung mit Driftµ und Volatilitat σ
St = S0 exp
(σWt + (µ− 1
2σ2)t
)Hier St > 0 mit Wahrscheinlichkeit 1
Nach Ito ist dieser Prozess Losung der stochastischenDifferenzialgleichung
dSt = St (µ dt + σ dWt)
oderdSt
St= µ dt + σ dWt
207 / 263
Fur die GBB gilt:
St+h
Stist lognormalverteilt
d.h.
logSt+h
St∼ N
((µ− 1
2σ2)h, σ2h
)da fur den sog. log-Return
logSt+h
St= log St+h − log St = σ(Wt+h −Wt) +
(µ− σ2
2
)h
gilt und damit N((µ− σ2
2 )h, σ2h)-verteilt ist.
Das Verhaltnis zweier aufeinanderfolgender Preise ist alsolognormalverteilt.
Ferner: Die log-Returns zu sich nicht uberlappenden Zeitintervallensind stochastisch unabhangig.
208 / 263
Wird die geometrische Brownsche Bewegung zur Modellierung desPreisprozesses der risikobehafteten Anlage gewahlt, so spricht manauch von einem Black-Scholes-Modell.
Warum wird die geometrische Brownsche Bewegung haufig zurModellierung des Aktienpreisprozesses verwendet?
I (Haufig) gute Ubereinstimmung mit empirischen Daten
I GBB fuhrt zu expliziten Bewertungsformeln fur viele Derivate
I Wenn der wahre Preisprozess von der GBB nicht “zu sehr”abweicht, liefern die auf dem BS-Modell beruhendenHedging-Strategien gute Ergebnisse
I das BS-Modell ist arbitragefrei und vollstandig
209 / 263
Marktmodell M:
I WR (Ω,F ,P) mit Filtration F (wie oben)
I Bond B mit Preisprozess
Bt = B0 exp(rt), t ∈ [0,T ]
mit stetigem Zinssatz r > 0 und Startkapital B0 = 1.
I Aktie S mit Aktienpreisprozess einer geometrische BB mitTrend µ und Volatilitat σ, d.h.
St = S0 exp
(σWt + (µ− 1
2σ2)t
), t ∈ [0,T ]
210 / 263
Wahle den Bond als Numeraire
Diskontierter Preisprozess der Aktie
St =St
Bt= S0 exp
(σWt + (µ− r − σ2
2)t
)
Mit ItodSt = St ((µ− r) dt + σ dWt)
Falls µ 6= r ist (St) kein Martingal bzgl. P.
PROBLEM: Gibt es ein zu P aquivalentes Maß Q so, dass derdiskontierte Preisprozess (St)0≤t≤T ein Martingal bzgl. Q ist?
211 / 263
(St)0≤t≤T ist ein Q-Martingal
⇐⇒ σWt + (µ− r)t ist bzgl. Q eine BB ohne Drift
⇐⇒ Wt +µ− r
σ︸ ︷︷ ︸=:γ
t ist bzgl. Q eine Standard BB
Betrachte bzgl. P die BB mit Drift γ
Wt := Wt + γt, 0 ≤ t ≤ T
Gesucht ist ein W-Maß Q, unter welchem (Wt)0≤t≤T eine BB mitDrift 0.
212 / 263
Vorbetrachtung:
Die ZV X sei N(0, σ2)-verteilt bezuglich P.
X := X + µ, also ist X ist N(µ, σ2)-verteilt bezuglich P.
Q sei definiert durch Q := exp
(−µX− 1
2µ2
σ2
)· P, d.h.
Q(A) =
∫A
exp
(−µX − 1
2µ2
σ2
)dP fur alle A ∈ F
Dann ist X unter unter dem W-Maß Q N(0, σ2)-verteilt.
213 / 263
Begrundung:
Q(X ≤ a) = EQ1[X≤a]
=
∫Ω
1[X+µ≤a] exp
(−µX − 1
2µ2
σ2
)dP
=
∫R
1[x+µ≤a] exp
(−µx − 1
2µ2
σ2
)1√2πσ
exp
(− x2
2σ2
)dx
=
∫R
1[x+µ≤a]1√2πσ
exp
(−(x + µ)2
2σ2
)dx
=
∫R
1[x≤a]1√2πσ
exp
(− x2
2σ2
)dx
=
∫ a
−∞
1√2πσ
exp
(− x2
2σ2
)dx
214 / 263
Frage: Unter welchem W-Maß Q ist (Wt)0≤t≤T eine BB mitDrift 0?
Der Einfachheit halber sei T = 1.
Diskretisiere das Intervall [0, 1] durch ti := in fur i = 0, . . . , n.
Setze ∆t := 1/n.
W jn
= W jn
+ γj
n
=
j∑i=1
(W i
n−W i−1
n+ γ∆t
)
=:
j∑i=1
(Xi + γ∆t) =:
j∑i=1
Xi
Fur festes i ist die Zufallsvariable Xi unter P N(0,∆t)-verteilt.
Unter P ist Xi N(γ∆t,∆t)-verteilt.
Unter Qi := exp
(−γ∆tXi− 1
2(γ∆t)2
∆t
)· P = exp
(−γXi − 1
2γ2∆t
)· P
ist Xi N(0,∆t)-verteilt.215 / 263
Wir zeigen: Durch
Q := E(−γW1) · P = exp
(−γW1 −
1
2γ2
)· P
wird ein W-Maß definiert, unter welchem (X1, . . . , Xn) dieselbeVerteilung besitzt wie (X1, . . . ,Xn) unter P
Klar: (X1, . . . , Xn) besitzt unter P die VerteilungN(0,∆t)⊗ . . .⊗ N(0,∆t).
216 / 263
Fur festes n und beliebige a1, . . . , an ∈ R gilt dann:
Q(X1 ≤ a1, . . . , Xn ≤ an) = EP
(1[X1≤a1,...,Xn≤an]
exp
(−γW1 −
1
2γ2
))= EP
(n∏
i=1
1[Xi≤ai ]exp
(−γXi −
1
2γ2∆t
))
=n∏
i=1
EP
(1[Xi≤ai ]
exp
(−γXi −
1
2γ2∆t
))
=n∏
i=1
EP
(1[Xi≤ai ]
)(Mit Vorbetrachtung)
= P(X1 ≤ a1, . . . ,Xn ≤ an)
Also stimmen die gemeinsame Verteilung von (W0, W∆t , . . . , W1)unter Q mit der gemeinsamen Verteilung von (W0,W∆t , . . . ,W1)unter P uberein. Der folgende Satz behauptet, dass dies nicht nurfur die endlichdimensionalen Randverteilungen von W und W gilt,sondern auch fur die Prozesse selber gilt:
217 / 263
Satz von Girsanov (fur Brownsche Bewegungen mit konstantemDrift). Ist W eine Standard-BB bzgl. P und W mit
Wt = Wt + γt, t ∈ [0,T ],
eine Brownsche Bewegung mit Driftrate γ ∈ R, dann ist W eineStandard-BB bzgl. QT (ohne Drift!), wobei
∀A∈FT
QT (A) := E (1AMT ) =
∫A
MT dP
und
Mt := E(−γWt) := exp(−γWt −1
2γ2t), t ∈ [0,T ]
ein Martingal M bzgl. P darstellt.
Bemerkung. Man kann zeigen, dass dieses Martingalmaß daseinzige aquivalente Martingalmaß ist!
218 / 263
Anwendung des Satzes von Girsanov auf unser Ausgangsproblem:
Wt = Wt +µ− r
σt, t ∈ [0,T ],
ist bzgl. QT mit
∀A∈FT
QT (A) :=
∫A
exp
(−µ− r
σWT −
1
2
(µ− r
σ
)2
T
)dP
eine Standard-BB.
Also ist
St = S0 exp
(σWt +
(µ− r − σ
2
2)
t
), t ∈ [0,T ],
ein QT -Martingal — also eine geometrische BB ohne Drift bzgl.QT !
219 / 263
0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0
−0.
50.
00.
51.
0
t
Y
Abbildung: Pfade einer geometrischen Brownschen Bewegung, die unterdem der Simulation zugrunde gelegten W-Maß eine Drift besitzt. Unterdem aquivalenten Martingalmaß wird die Drift zu Null. Dies entsprichteiner Neubewertung der Pfade gemaß der Girsanov-Dichte, angedeutetdurch die Farbtemperatur.
220 / 263
Satz 5.5. Im Black-Scholes-Modell mit Bond-Preisprozess
Bt = B0 exp(rt), t ∈ [0,T ]
(B0 = 1, r > 0) und Aktien-Preisprozess
St = S0 exp
(σWt +
(µ− 1
2σ2
)t
), t ∈ [0,T ]
(S0 > 0, µ ∈ R, σ > 0) ist das W-Maß QT mit P-Dichte
dQT
dP= MT := exp
(−γWT −
1
2γ2T
)ein aquivalentes Martingalmaß.
Das Black-Scholes-Modell ist also (nach Satz 5.2) arbitragefreibezuglich den QT -zulassigen Handelsstrategien.
221 / 263
P-Dynamik von S : dSt = St(µ dt + σ dWt)
P-Dynamik von S : dSt = St((µ− r) dt + σ dWt)
Wegen dWt = µ−rσ dt + dWt folgt:
Q-Dynamik von S :
dSt = St(r dt + σ dWt)
Q-Dynamik von S :
dSt = St(0 dt + σ dWt)
Unter Q wird die Drift µ der Aktie zur Zinsrate r !
222 / 263
Zur Formel von Black und Scholes mittels risikoneutralerBewertung
Payoff der europaischen Call-Option X = (ST − K )+
Wert der europaischen Call-Option zum Zeitpunkt t = 0
C0 = EQ
(e−rT (ST − K )+
)= EQ
(e−rTST1[ST>K ]
)− e−rTKQ(ST > K )
=: I1 + I2
wobei Q das nach Satz 5.5 spezifizierte aquivalente Martingalmaßist.
223 / 263
Zu Term I2:
Mit
St = S0 exp
(σWt + (µ− 1
2σ2)t
)Wt = Wt −
µ− r
σt
folgt
Q(ST > K ) = Q(log ST > log K )
= Q(σWT + (µ− σ2
2)T > log K − log S0)
= Q
(σWT +
(r − σ2
2
)T > log K − log S0
)= Q
(σWT
σ√
T>
log K − log S0 − (r − σ2
2 )T
σ√
T
)
224 / 263
Da WT√T∼ N(0, 1) unter Q, folgt
Q(ST > K ) = Φ
(− log K − log S0 − (r − σ2/2)T
σ√
T
)= Φ
(log(S0/K ) + (r − σ2/2)T
σ√
T
)Zu Term I1:
Es gilt
e−rTST = S0 exp
(σWT + (µ− r − σ2
2)T
)= S0 exp
(σWT −
σ2
2T
)=: S0MT
225 / 263
Definition eines neuen Maßes Q mittels dQdQ = MT
Damit
EQ
(e−rTST1[ST>K ]
)= S0EQ
(MT1[ST>K ]
)= S0EQ(1[ST>K ])
= S0Q(ST > K )
= S0Q(log ST > log K )
Mit Satz von Girsanov:
Wt := Wt − σt, t ∈ [0,T ]
ist unter Q eine BB ohne Drift!
226 / 263
Wegen σWT = σWT + σ2T
I = Q(log ST > log K )
= Q(log S0 + σWT + (µ− σ2
2)T > log K )
= Q(log S0 + σWT + (r − σ2
2)T > log K )
= Q(log S0 + σWT + (r +σ2
2)T > log K )
= Q
(σWT
σ√
T︸ ︷︷ ︸∼N(0,1)
>− log S0
K − (r + σ2
2 )T
σ√
T
)
= Φ
(log S0
K + (r + σ2
2 )T
σ√
T
)
227 / 263
Also:
Satz 5.6. Der arbitragefreie Preis des europaischen Calls mitAusubungspreis K und Laufzeitende T im Black-Scholes-Modellmit Volatilitat σ und stetiger Zinsrate r ist gegeben durch
∀t∈[0,T ]
C (t) = StΦ(d1)− e−r(T−t)KΦ(d2)
mit
d1 =log St/K + (r + 1
2σ2)(T − t)
σ√
T − tund d2 = d1 − σ
√T − t
228 / 263
Vollstandigkeit des klassischen Black-Scholes Modells
Zur Konstruktion eines Hedging-Portfolios benotigen wir denfolgenden
Satz 5.7 (Martingal-Darstellungssatz) Sei F = (Ft)t∈[0,T ] dievon der Brownschen Bewegung W = (Wt)t∈[0,T ] erzeugtevollstandige Filtration und M = (Mt)t∈[0,t] ein zu dieser Filtrationadaptiertes Martingal mit E (M2
T ) <∞. Dann gibt es einen (bisauf Modifikation) eindeutig bestimmten vorhersagbarenadaptierten Prozess H = (Ht)t∈[0,T ] mit
E
(∫ T
0H2
s ds
)<∞
so dass fur alle t ∈ [0,T ] gilt:
Mt = M0 +
∫ t
0Hs dWs f.s.
229 / 263
Wir wissen bereits, dass der klassische BS-Markt ein eindeutiges zuP aquivalentes Martingal-Maß P∗ mit
dP∗
dP= e−γWT− γ2
2T
besitzt, wobei γ = (µ− r)/σ (Marktpreis des Risikos).
Sei X ∈ L1(P), dann gilt auch X ∈ L1(P∗), also existiert dasP∗-Martingal
Mt = EP∗(e−rTX | Ft), t ∈ [0,T ]
Unter Verwendung des Martingal-Darstellungssatzes 5.7 folgt, dasses einen adaptierten vorhersagbaren Prozess H = (Ht)t∈[0,T ] gibt,so dass unter P∗
Mt = M0 +
∫ t
0Hs dWs f.s.
230 / 263
Da fur die P∗-Dynamik von S
dSt = Stσ dWt
gilt, folgt
Mt = M0 +
∫ t
0ϕ1(s) dSs f.s.
wobei
ϕ1(t) :=Ht
σSt
Mit
ϕ0(t) := Mt − ϕ1(t)St = Mt −Ht
σ
wird (ϕ(t))t∈[0,T ] = (ϕ0(t), ϕ1(t))t∈[0,T ], zu einerseibstfinanziererenden (vorhersagbaren lokalbeschrankten)Handelsstrategie, welche e−rTX repliziert.
231 / 263
Also:
X ist erreichbar
Da X beliebig aus L1(P), ist der klassische BS-Markt vollstandig.
Damit ist zwar die Existenz einer selbstfinanzierendenreplizierenden Handelsstrategie gesichert, ihre expliziteKonstruktion aber noch offen!
232 / 263
Unter Verwendung des Martingaldarstellungssatzes konnten wirzeigen, dass ein vorhersagbarer Prozess ϕ existiert, so dass
EP∗(e−rTX | Ft) = V0 +
∫ t
0ϕ1(s)σSs dWs f.s. (t ∈ [0,T ])
Ware das Integral auf der rechten Seite ein gewohnlichesRiemann-Integral, konnte ϕ1 durch Differentation dieserIntegralgleichung nach t bestimmt werden:
ϕ1(t) =1
σSt
d
dt
(e−rTEP∗(X | Ft)
)Unter Verwendung der Malliavin-Ableitungsoperators Dt kanngezeigt werden, dass
ϕ1(t) =1
σSt
e−rTEP∗(DtX | Ft)
233 / 263
Zur Black-Scholes-Formel mittelseiner No-Arbitrage-Bewertung
Wir betrachten wieder das Marktmodell M:
I WR (Ω,F ,P) mit Filtration F (wie oben)I Bond B mit Preisprozess
Bt = B0 exp(rt), t ∈ [0,T ]
mit stetigem Zinssatz r > 0 und Startkapital B0 = 1.I Aktie S mit Aktienpreisprozess einer geometrische BB mit
Trend µ und Volatilitat σ, d.h.
St = S0 exp
(σWt + (µ− 1
2σ2)t
), t ∈ [0,T ]
und ein Portfolio (ϕ,ψ) = (ϕt , ψt)t∈[0,T ], welches zum Zeitpunkt tϕt Einheiten der Aktie und ψt Einheiten im Bond beinhaltet
Wert des Portfolios zum Zeitpunkt t:
V (t,St) := Vt = ψtBt + ϕtSt
234 / 263
Im Folgenden betrachten wir der Einfachheit halber nur Derivateder Form X = h(ST ) (die europaische Call-Option ist von diesemTyp).
Satz 5.8. Sei V : [0,T ]× R+ → R eine stetige Funktion, welchedie PDG
Vt(t, s)+1
2σ2s2Vss(t, s)+rsVs(t, s) = rV (t, s), (t, s) ∈ [0,T )×R+
lost.
Dann ist die Handelsstrategie (ϕ,ψ) mit ϕ(t,St) = ϕt = Vs(t,St)und Wertprozess V (t,St) (t ∈ [0,T ]) selbstfinanzierend.
Erfullt V die Randbedingung V (T ,ST ) = h(ST ), ist (ϕ,ψ) einedas Derivat X replizierende Handelsstrategie. Der faire Wert desDerivats X ist V (t,St) (t ∈ [0,T ]).
235 / 263
Payoff der europaischen Call-Option: h(ST ) = (ST − K )+
Bestimmung der dazugehorigen Losung der PDG in Satz 5.8:
Lemma 5.3. Seien τ(t) = σ2(T − t) undz(t, s) = log s − (1
2σ2 − r)(T − t).
Die Funktion u(t, z) : [0,T ]× R → R lose dieWarmeleitungsgleichung ut = 1
2uzz mit Anfangsbedingungu(0, z) = (ez − K )+.
Dann lostC (t, s) := e−r(T−t)u(τ(t), z(t, s))
das Randwertproblem fur den Preis des europaischen Calls.
236 / 263
Satz 5.9. Der arbitragefreie Preis des europaischen Calls mitAusubungspreis K und Laufzeitende T im Black-Scholes-Modellmit Volatilitat σ und stetiger Zinsrate r ist gegeben durch
∀t∈[0,T ]
C (t) = StΦ(d1)− e−r(T−t)KΦ(d2)
mit
d1 =log St/K + (r + 1
2σ2)(T − t)
σ√
T − tund d2 = d1 − σ
√T − t
Das dazugehorige Hedge-Portfolio besteht aus
I ϕt = ∂∂s C (t) = Φ(d1) ∈ (0, 1) Einheiten der Aktie und
I ψt = (C (t)− Φ(d1)St)/ert = −e−rtKΦ(d2) < 0 Einheiten
des Bonds
237 / 263
Die Feynman-Kac-Formel
Die Feynman-Kac-Formel stellt die Losung einer partiellenDifferentialgleichung in Form einer bedingten Erwartung dar.
Satz 5.10 (Feynman-Kac-Formel) Seien µ : R → R undσ : R → (0,∞) zwei Lipschitz-stetige Funktionen, F die Losungder PDG
Ft + µ(x)Fx +1
2σ2(x)Fxx = 0
mit Randbedingung F (T , x) = h(x), wobei h ∈ C 20 .
Dann besitzt F die Darstellung
F (t, x) = E (h(XT )|Xt = x),
wobei X die stochastische Differentialgleichung
dXu = µ(Xu)du + σ(Xu)dWu (t ≤ u ≤ T )
mit Anfangsbedingung Xt = x lost (W Standard-BB bzgl. P).
238 / 263
Wir betrachten einen Bond B und eine Aktie S , die sich gemaß
dBt = rBtdt
dSt = µStdt + σStdWt
entwickeln.
Unter dem risikoneutralen Maß P∗ genugt der Aktienpreisprozessder SDG
dSt = rStdt + σStdWt
wobei W bzgl. P∗ eine Standard-BB.
Mit µ(s) = rs und σ(s) = σs hat diese SDG die Form der SDG inder Feynman-Kac-Formel.
Sei jetzt X ein Derivat der Form X = h(ST ).
Ferner lose F : [t,T ]× R → R die PDG
Fs + µ(s)Fs +1
2σ2(s)Fss = 0
mit Randbedingung F (T , s) = e−rTh(s).239 / 263
Mit der Formel fur die risikoneutrale Bewertung von Derivaten folgt
ΠX (t) = ertE ∗(e−rTX |Ft) = ertF (t,St)
Unter Verwendung der Tatsache, dass durch Mt := F (t,St) einP∗-Martingal definiert wird, zeigen wir, dass durch
ϕ0(t) := F (t,St)− Fs(t,St)St
ϕ1(t) := Fs(t,St)Bt
ein das Derivat X replizierendes Portfolio ϕ = (ϕ0, ϕ1) gegeben ist.
240 / 263
Risikokennziffern im Black-Scholes-Modell
Hedgeratio oder Delta:
∆ :=∂C
∂s= . . . = Φ(d1) ∈ (0, 1)
Interpretation des Wertes Ct eines europaischen Calls als Portfoliosbestehend aus ϕt Einheiten der zugrundeliegenden Aktie und ψt
Einheiten des Bonds (short!)
Ct = Φ(d1)︸ ︷︷ ︸Hedgeratio=:ϕt∈(0,1)
·St + (−Ke−r(T−t)Φ(d2))︸ ︷︷ ︸Kassa-Hedge=:ψt∈(−∞,0)
·1
(ϕt , ψt) Portfolio zur Duplizierung des europaischen Calls
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Gamma-Faktor:
γ :=∂2C
∂S2= . . . =
1
Stσ√
T − tφ(d1)︸ ︷︷ ︸
>0
monoton wachsend in S
=⇒ mit steigendem Aktienkurs wachst die Hedgeratio
Theta-Faktor
Θ :=∂C
∂t= . . . = −Ke−σ(T−t)
[σ
2√
T − tΦ(d2) + rΦ(d2)
]< 0
=⇒ Wert des europaischen Calls ist wachsend in der Restlaufzeit(T − t)
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Rho-Faktor
ρ :=∂C
∂r= . . . = (T − t)Ke−r(T−t)Φ(d2) > 0
=⇒ Wert des Calls steigt mit wachsendem Zins
Omega- oder auch Vega-Faktor
ω :=∂C
∂σ= . . . =
√T − t Stφ(d1) > 0
=⇒ Wert des europaischen Calls steigt mit wachsender Volatilitat
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Hedging-Strategien
Beispiel: Europaischer Call
Aktueller ZP t 6 WochenLaufzeit T 26 WochenRestlaufzeit τ = T − t 20 Wochen = 0.3846 aStetiger Jahreszins r 5% p.a.Jahresvolatilitat σ 20%aktueller Aktienkurs St 98eAusubungspreis K 100e
Bank verkauft europaischen Call auf 105 Aktien fur 6.0 · 105eWert nach Black-Scholes (≈) 4.8 · 105e”Risikopramie” 1.2 · 105e
Wir betrachten im Folgenden verschiedeneRisikomanagementstrategien
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1. Ungedeckte Position (naked position): Nichts tun
Falls ST = 120e entstehen fur die Bank Kosten in Hohe von
105 · (ST − K )+︸ ︷︷ ︸20 Euro
= 2 · 106e 6 · 105e
Falls ST ≤ 100e betragt der Gewinn der Bank
6 · 105e
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2. Gedeckte Position (covered position)
Nach Verkauf der Option zum Zeitpunkt t kauft die Bank sofort105 Aktien zum Preis von 105 · 98e = 9.8 · 106e
Falls ST > K , Lieferung der Aktien zum Zeitpunkt T zum Preisvon
105 · 100e = 107e
Dieser Betrag wird abgezinst auf den Zeitpunkt t und betragt dann
≈ 9.8 · 106
Der Gewinn der Bank betragt in diesem Fall also
≈ 6 · 105e
Falls ST ≤ K , z.B. ST = 80e, entsteht ein Kursverlust in Hohevon
105 · 18e = 106 · 1.8e 6 · 105e
Ergo: Die beiden Strategien 1 und 2 sind unbefriedigend!
Nach Black-Scholes entstehen im Mittel Kosten von 4.8 · 105e246 / 263
3. Stop-Loss-Strategie
Kauf der Aktien sobald St′ > K
Verkauf der Aktien sobald St′ < K
=⇒ Kosten entstehen nur, falls S0 > K
=⇒ Kosten fur Stop-Loss-Hedgen:
max(S0 − K , 0)︸ ︷︷ ︸<C(S0,T )!
Arbitrage-Moglichkeit?
I Transaktionskosten nicht berucksichtigt
I Zinsverluste durch Kapitalbindung
I Verluste durch Einkaufspreis K + δ und Verkaufspreis K − δfur ein δ > 0
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4. Delta-Hedgen
Mache Wert des Portfolios unempfindlich gegen kleineSchwankungen der zugrundeliegenden Aktie innerhalb kleinerZeitintervalle ∆t:
Kaufe ∆C ≈ ∆S · ∂C
∂S︸︷︷︸Delta-/Hedgeratio
Anteile an Aktie
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Beispiel:
Bank verkaufe europaischen Call auf 2000 Aktien zum Preis vonC = 10e/Aktie
Ferner sei ∆ = 0.4
Zum Hedgen kauft die Bank ∆ · 2000 = 800 Aktien
Aktie steigt um 1e =⇒ Wert des Portfolios steigt um 800e
=⇒ Wertsteigerung des Calls auf 1 Aktie: ∆C = ∆ ·∆S = 0.4e
=⇒ Wertsteigerung aller Calls 0.4e · 2000 = 800e( = Verlust fur die Bank)
Also nimmt die Bank eine sog. ∆-neutrale Position ein.
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5. Dynamisches Hedgen
Umstrukturierung des Portfolios gemaß der die Optionduzplizierenden Handelsstrategie
Probleme:
I Transaktionskosten
I Differenz zwischen Kauf- und Verkaufspreis der Aktien
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6. Verfeinerung des Delta-Hedgens
∆C = (S + ∆S , t + ∆t)− C (S , t)
=∂C
∂S︸︷︷︸∆
·∆S +∂C
∂t︸︷︷︸Θ
Zeitverfall
·∆t +1
2
∂2C
∂S2︸︷︷︸Γ
∆S2︸︷︷︸∼∆t
+0(∆t)
Also
∆C ≈ ∆ ·∆S + Θ ·∆t +1
2Γ ·∆S2
Liegt beim Verkaufer der Call-Option ein bereits ∆-neutralesPortfolio vor, so kann dieses durch Kauf oder Verkauf vonDerivaten auch Γ-neutral gemacht werden (Aktien oderTerminkontrakte sind dazu nicht geeignet, da diese ein konstantes∆ besitzen, also Γ = 0).
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Schatzung der Volatilitat
I aus historischen DatenProbleme:
I log-Returns sind nicht unabhangigI Volatilitat zeitlich nicht konstant
I mittels impliziter (implizierter) VolatilitatBeobachtung: implizite Volatilitat hangt vom Strike K undder Restlaufzeit τ = T − t ab (bei demselben Underlying).
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Die Wahrscheinlichkeit von Borsencrashs wie 1987 ist bei Annahmedes BS-Modells praktisch gleich Null
=⇒ linke Tails (Flanken) der rechtsschiefen Lognormalverteilungzu dunn
Die tatsachlich hoher liegende Wahrscheinlichkeit eines Crashs wirddurch eine Erhohung der angenommenen Volatility in derBewertung von Optionen mit niedrigem Strike K vom Marktvorgenommen
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6. Spezielle Derivate
Beispiele fur spezielle Derivate:
I Aktien-, Devisen-, Rohstoff- und Energiederivate
I Zinsderivate
I Kreditderivate
I Realoptionen
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Kreditderivate
Das Risiko, dass eine Einzelperson, eine Firma oder ein Staat einenKredit nicht wie vereinbart zuruckzahlt, wird als Kreditrisikobezeichnet. Kreditderivate dienen zur Absicherung dieses Risikos.
I Ausfallwahrscheinlichkeit (probability of default, PD):Wahrscheinlichkeit, dass ein Kredit oder eine Anleihe nichtwie vereinbart zuruckgezahlt wird
I Verlustquote (loss given default, LGD): prozentualer Verlustgemessen am gesamten Kreditvolumen, den ein Kreditgeberverliert, wenn der Schuldner ausfallt.
I Erlosquote (recovery rate, RR): 1− LGD
I Nominal (N): Nominalbetrag, z.B. die Kreditsumme oder einefrei vereinbarte Große
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Credit Default SwapsDas am haufigsten gehandelte Kreditderivat ist der Credit DefaultSwap (CDS).
Definition. Ein Credit Default Swap ist ein Vertrag zwischenzwei Parteien A und B, dass A an B eine Zahlung in Hohe von
Verlustquote · Nominalbetrag (= LGD · N)
bezahlt, falls bei Partei C zu einem zufalligen Zeitpunkt τ innerhalbeines Zeitraumes [0,T ] ein Kreditereignis auftritt. Im Gegenzugzahlt B an A regelmaßig einen festen Betrag s (Pramie).
I A: Sicherungsverkaufer (protection seller), z.B. Versicherung
I B: Sicherungskaufer (protection buyer), z.B. Bank, Spekulant
I C : Referenzaddresse (reference entity), z.B. Firma oder Staat
I τ : zufalliger Zeitpunkt des Kreditereignisses (credit event),z.B. Verzug oder Ausfall der Zins- oder Tilgungszahlungen,Insolvenz
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T Laufzeitende des CDS
0 = t0 < t1 < . . . < tn = T vorgegebene Zeitpunkte
Die Pramienzahlung s bei einem CDS wird in der Regel inBasispunkten angegeben (Vielfache von hundertstel Prozent,bezogen auf den vereinbarten Nominalbetrag N) und dann uber dieLaufzeit des CDS bis zum (zufalligen) Ausfallzeitpunkt τregelmaßig gezahlt (beginnend mit t1).
s bezieht sich dabei auf die gewahlte Zeiteinheit (typischerweise1 Jahr). Bei einer vierteljahrlichen Zahlweise muss A also Ns/4Geldeinheiten an B leisten.
Tritt das Kreditereignis τ zwischen zwei Zeitpunkten auf, sobezahlt der Sicherungskaufer B noch die anteilige Pramie (accruedpremium)
τ−ti−1
ti−ti−1s an den Sicherungsverkaufer A.
s wird auch CDS-Spread genannt.257 / 263
Der oben definierte CDS ist ein single name CDS, da er sich nurauf eine Referenzadresse stutzt.
Es gibt auch multi name CDS, die auf einem Pool vonReferenzadressen basieren, z.B. die Collateralized Debt Obligation(CDO) oder die Index-CDS.
Ahnlich einem Zinsswap, bei dem feste Zinszahlungen mitvariablen Zinszahlungen getauscht werden, weist ein CDS zweiZahlungsstrome auf:
I den Premium Leg, der bis zum Kreditereignis τ festeZahlungen garantiert, und
I den Protection Leg, der, falls das Kreditereignis τ zumVerfallsdatum T eingetreten ist, eine Zahlung in einer von derzufallsabhangigen Verlustquote abgeleiteten Hohe garantiert.
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Zur Bewertung eines CDS gehen wir davon aus, dass derWerteprozess S der Referenzadresse C (z.B. Unternehmenswert)bekannt ist und diese Werte wie eine Aktie handelbar sind. Mankonnte z.B. im einfachsten Fall davon ausgehen, dass dieserWerteprozess einer geometrischen Brownschen Bewegung folgt.Weiter gehen wir davon aus, dass ein Tagesgeldkonto mitmoglicherweise zeitabhangiger stochastischer Zinsrate r verfugbarist. Unter geeigneten Voraussetzungen an diesen Werteprozesskann angenommen werden, dass dieser Markt arbitragefrei undvollstandig ist.
Desweiteren nehmen wir an, dass die zugrundeliegende Filtrationdie von der zufalligen Zeit τ erzeugte σ-Algebra enthalt.
Unter gewissen Voraussetzungen kann dann angenommen werden,dass ein zum zugrundeliegenden Wahrscheinlichkeitsmaß Paquivalentes W-Maß P∗ existiert, unter dem der abgezinsteWerteprozess der Referenzadresse C ein Martingal ist.
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Fur den nachsten Satz verwenden wir:
∆i := ti − ti−1
∆(ti−1, u) := u − ti−1
undS(t, u) := P∗(τ > u | Ft)
die bedingte Wahrscheinlichkeit ist, dass bis u kein Kreditereignisstattgefunden hat, gegeben die bis zum Zeitpunkt t verfugbareInformation.
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Bewertung des CDSSatz 6.1. Der zum Zeitpunkt t ∈ [0,T ] gultige Wert eines CDSmit Nominal N, bekannter Recovery Rate RR, CDS-Spread s undFalligkeit in T , der sich auf eine Referenzadresse mit zufalligemAusfallzeitpunkt τ > t bezieht, lautet aus Sicht desSicherungsnehmers
VCDS(t) = VProtection(t)− VPremium(t), t ∈ [0,T ]
wobei
VProtection(t) = N(1− RR)
∫ T
0exp
(−∫ u
trv dv
)(−dS(t, u))
VPremium(t) = Nsn∑
i=1
∆i exp
(−∫ ti
trv dv
)S(t, ti )
+ Nsn∑
i=1
∆(ti−1, u) exp
(−∫ u
trv dv
)(−dS(t, u))
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Lost man VCDS(t) = 0 fur einen festen Zeitpunkt t nach s auf,erhalt man den fur die Laufzeit [t,T ] fairen CDS-Spread sfair.
Die obigen Integrale werden in der Praxis mittels numerischerIntegration approximiert.
Im Intensitatsmodell wird der zufallige Ausfallzeitpunkt τ alsexponentialverteilte Zufallsvariable
S(0, t) = P∗(τ > t) = exp
(−∫ t
0h(s) ds
)mit einer integrierbaren nichtnegativen deterministischenFunktion h (Intensitatsfunktion, Hazardrate) modelliert.
In der Praxis wird zur Bestimmung der Hazardrate h angenommen,dass h zwischen den am Markt notierten Spreads stuckweisekonstant ist. Unter Verwendung der laufzeitabhangigen Zinsratenkann daraus h geschatzt werden (Bootstrapping).
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Im Fall h(s) = λ > 0 gilt
S(0, t) = e−λt
Nimmt man eine konstante laufzeitunabhangige stetige Zinsrate r ,eine konstante Hazardfunktion h(s) = λ, eine feste Erlosquote RRund eine zeitstetige Pramienzahlung (∆i → 0) an, so ergibt sichdie als credit triangle bezeichnete Formel:
λ =sfair
1− RR
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Zur Einstimmung:
I Adelmeyer M, Warmuth E. Finanzmathematik fur Einsteiger— Eine Einfuhrung fur Studierende, Schuler und Lehrer.2. Aufl., Vieweg 2004.
Lehrbucher, Monographien und Originalarbeiten zurFinanzmathematik (insbesondere zur Bewertung vonDerivaten)
I Bingham NH, Kiesel R. Risk-Neutral Valuation — Pricing andHedging of Financial Derivatives. 2nd ed. Springer 2004.
I Delbaen F, Schachermayer W. The Mathematics of Arbitrage.Springer 2006.
I Di Nunno G, Øksendal B, Proske F. Malliavin Calculus forLevy Processes with Applications to Finance. Springer 2009.
I Elliot RJ, Kopp PE. Mathematics of Financial Markets. 2nded. Springer 2005.
263 / 263
I Franke J, Hardle W, Hafner C. Einfuhrung in die Statistik derFinanzmarkte. Springer 2001.
I Hausmann W, Diener K, Kasler J. Derivate, Arbitrage undPortfolio-Selection — Stochastische Finanzmarktmodelle undihre Anwendungen. Vieweg 2002.
I Harrison JM, Pliska SR. Martingales and Stochastic Integralsin the Theory of Continuous Trading. Stochastic Processesand their Applications 11, 1981, pp 215–226.
I Hull JC. Optionen, Futures und andere Derivative. 7th ed.Pearson Studium 2009.
I Hull JC. Fundamentals of Futures and Options Markets. 4thed. Prentice Hall 2001.
I Hunt PJ, Kennedy JE. Financial Derivatives in Theory andPractice. Rev. ed. Wiley 2005.
I Irle A. Finanzmathematik: die Bewertung von Derivaten.2. Aufl., Vieweg+Teubner 2003.
I Jeanblanc M, Yor M, Chesney M. Mathematical Methods forFinancial Markets. Springer 2009.
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I Korn R, Korn E. Optionsbewertung undPortfolio-Optimierung. Vieweg 1999.
I Lamberton D, Lapeyre B. Stochastic Calculus Applied toFinance. Chapman and Hall 1996
I Musiela M, Rutkowski M. Martingale Methods in FinancialModelling: Theory and Applications, Springer 1997.
I Reitz S. Mathematik in der modernen Finanzwelt: Derivate,Portfoliomodelle und Ratingverfahren. Vieweg+Teubner 2010.
I Sandmann K. Einfuhrung in die Stochastik der Finanzmarkte.Springer 1999.
I Shiryaev AN. Essentials of Stochastic Finance. WorldScientific 2000.
I Shreve SE. Stochastic Calculus for Finance I — The BinomialAsset Pricing Model. Springer 2004.
I Shreve SE. Stochastic Calculus for Finance II —Continuous-Time Models. Springer 2004.
I Sondermann D. Introduction to Stochastic Calculus forFinance — A New Didactic Approach. Springer 2006.
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I Wilmott, P. Howison S, Dewynne, J. The Mathematics ofFinancial Derivatives: A Student Introduction. Cambridge1997.
I Wilmott P, Dewynne J, Howison S. Option Pricing:Mathematical Models and Computation. Oxford FinancialPress 1997.
Eine gut lesbare Einfuhrung in die Theorie derStochastischen Prozesse
I Brzezniak Z, Zastawniak T. Basic Stochastic Processes.Springer 1999.
Lehrbucher und Monographien zu StochastischenDifferenzialgleichungen und zur Stochastischen Analysis aufmittlerem Niveau
I Arnold L. Stochastische Differentialgleichungen. Oldenbourg1973.
263 / 263
I Durrett R. Stochastic Calculus — A Practical Introduction.CRC Press 1996.
I Gard, TC. Introduction to Stochastic Differential Equations.Marcel Dekker 1988.
I Klebaner FC. Introduction to Stochastic Calculus withApplications. 2nd ed. Imperial College Press 2005.
I Øksendal B. Stochastic Differential Equations: AnIntroduction with Applications. 6th ed. Springer 2005.
Anspruchsvolle Theorie zur Stochastischen Analysis
I Karatzas I, Shreve SE. Brownian Motion and StochasticCalculus. Springer 1999.
I Malliavin P. Stochastic Analysis. Springer 1997.
I Protter P. Stochastic Integration and Differential Equations: ANew Approach. 2nd ed. Springer 2004.
I Revuz D, Yor M. Continuous Martingales and BrownianMotion, Springer 1999.
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I Rogers LCG, Williams D. Diffusions, Markov Processes andMartingales. Vol 1 and 2. 2nd edition. CambridgeMathematical Library 2000
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