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Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) (Hrsg)

Arbeitsbezogene Maßnahmen in der stationären Suchtrehabilitation - Stand und Entwicklungsperspektiven DHS Fachtag 28.01.2010 in Kassel

Hamm/Westf. November 2010

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Inhalt Historische Entwicklung und aktueller Stand der 5 Arbeitstherapie Dr. Michael Heidegger, Fachklinik Annabrunn Teilhabestörungen von Suchtpatienten - Wie sehen unser Patienten wirklich aus? 10 Wie sehen unsere Patienten wirklich aus? Dr. Bernd Wessel, Fachklinik Camillushaus Arbeitsbezogene Maßnahmen aus Sicht der Verhaltenstherapie 18 Dr. Thomas Redecker, Ev. Johanneswerk e.V. Anforderungen der Leistungsträger an arbeitsbezogene Maßnahmen 29 Marie-Luise Delsa, DRV Befunderhebung und Diagnostik in der Arbeitstherapie mit dem Verfahren MELBA 40 Renate Hylla/Stephan Peter-Höner, Fachklinik Fischer-Haus MOHO Das Model of Human Occupation als Grundlage arbeitstherapeutischer Konzepte 54 Petra Köser, ETOS Die Bedeutung der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeiten, Behinderung und Gesundheit (ICF) für die Suchtkrankenhilfe 66 Dr. Robert Stracke, Fachkrankenhaus Hansenbarg Welchen Beitrag leistet die KTL (Klassifikation therapeutischer Leistungen) und wie kann sie für arbeitsbezogene Maßnahmen genutzt werden 91 Josef Müller, Fachklinik St. Marienstift Gesundheitsförderung an Fachkliniken für Abhängigkeitserkrankungen 96 Dr. Robert Stracke, Fachkrankenhaus Hansenbarg Entwicklungsperspektiven und zukünftige Anforderungen an arbeitsbezogene Maßnahmen in der Suchttherapie 106 Dr. Andreas Koch, buss

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Historische Entwicklung und aktueller Stand der Arbeitstherapie Dr. Michael Heidegger, Fachklinik Annabrunn

Sehr geehrte Damen und Herren, über die Einladung zum heutigen Fachtag, zu arbeitsbezogenen Maßnahmen in der stationären Sucht-rehabilitation habe ich mich sehr gefreut. Der Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe, der BUSS, hat sich in den Jahren 1999 bis 2004 in mehreren parallelen Arbeitsgruppen ausführlich mit dem Thema „Therapie und Arbeit“ beschäftigt. Die Ergebnisse wurden in einem ersten Workshop in Fulda im Januar 2000 vorgestellt und später auch publiziert1, im November 2004 folgte eine weitere Veranstaltung hier in Kassel. Die Veranstaltung in Fulda widmete sich schwerpunktmäßig einer Be-standsaufnahme der Grundannahmen und der Abläufe der Arbeitstherapie in stationären Einrichtun-gen. Das zweite Projektforum in Kassel, das noch von Herrn Schuler mit vorbereitet worden war, hat-te dann schon indikationsgeleitete Arbeitstherapie zum Thema. Wir diskutierten hier erstmals über die ICF, aber auch über die Verantwortung nicht-arbeitstherapeutischer Mitarbeiter beziehungsweise Mitarbeiterinnen für das Gelingen der Arbeitstherapie. Ergebnis der Arbeitsgruppe „Therapie und Arbeit“ im BUSS war schließlich ein Projekt zur „Arbeitstherapeutischen Befunderhebung und Doku-mentation“; Frau Mentrup und Frau Köser werden heute im Rahmen ihrer Arbeitsgruppe darauf ein-gehen. Soviel zur jüngeren Geschichte der Arbeitstherapie in suchttherapeutischen Einrichtungen. Wenn es darum geht, die historische Entwicklung der Arbeitstherapie im Suchtbereich insgesamt aufzuzeigen, so findet sich hier leider nur wenig Konkretes. Beschäftigung und Arbeit waren Elemente der Behandlung psychischer Krankheiten seit der Gründung von Heil- und Pflegeanstalten im frühen 19. Jahrhundert. Die Patienten und Patientinnen wurden schon damals in der Landwirtschaft, in der Gärtnerei, in der Küche, in der Wäscherei beschäftigt, sie wurden zur Hausreinigung herangezogen2. Es ging dabei zum einen darum, die Patienten und Patientinnen an eine sinnvolle Tätigkeit heranzu-führen, zum anderen aber flossen hier sicherlich auch ökonomische Überlegungen ein. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts hat dann, wie sie wissen, HERMANN SIMON die Arbeitsthera-pie in psychiatrischen Einrichtungen entscheidend vorangebracht. SIMON, der später dem Nationalso-zialismus sehr nahe stand und auch die Euthanasie begrüßte3, entwarf ein Leistungssystem mit 5 abgestuften Betätigungsmöglichkeiten. Die Patienten und Patientinnen wurden von Beginn an auf der Station zu einfachen Tätigkeiten herangezogen. Die höchste Stufe entsprach einer Tätigkeit außerhalb der Einrichtung4. Auch das Vorgehen von SIMON war pragmatisch geprägt, ging es ihm doch auch darum, in großem Umfang Arbeitskräfte für die im Bau befindliche Anstalt Gütersloh zu rekrutieren5.

Welche spezifischen Überlegungen dazu geführt haben, in Suchtfachkliniken Arbeitstherapie zu etab-lieren, muss offen bleiben. Es ist anzunehmen, dass Arbeitstherapie als therapeutisches Element in Suchtfachkliniken ursprünglich ebenfalls aus pragmatischen Gründen eingeführt wurde. Darüber hinaus waren, wie Sie wissen, die ersten Suchtfachkliniken in kirchlicher bzw. christlicher Träger-schaft und damit wohl auch am christlichen „Ora-et-Labora“-Gebot orientiert, das der heilige Bene-dikt im 6. Jahrhundert nach Christus aufgestellt hat6. Nicht auszuschließen ist auch, dass in die Kon-zepte zur Behandlung jener Alkoholiker mehr oder minder unbewusst auch alttestamentarische Strafvorstellungen eingeflossen sind. Die Anerkennung von Alkoholabhängigkeit als Krankheit im Sinne der Reichsversicherungsordnung im Jahre 1968 hatte die Konsequenz, dass die Behandlung Alkoholabhängiger dem Aufgabenbereich der Rentenversicherung zugeschlagen wurde. Der Auftrag an die Suchtfachkliniken wurde dahinge-

1 Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe e. V., M. Heidegger et al. (Hrsg.), Therapie und Arbeit, Geesthacht 2002 2 Schrenk, M., Zur Geschichte der Sozialpsychiatrie, Der Nervenarzt 38, 11, 1967, S. 479 - 487 3 Walter, B., Hermann Simon – Psychiatriereformer, Sozialdarwinist, Nationalsozialist?, Der Nervenarzt 73, 2002, S. 1047- 1054 4 Köhler, K., Hermann Simon und die Folgen, Bad Boll 2006 5 Lempke, G., Beschäftigungstherapie in der Psychiatrie, Stuttgart, New York 1989, S. 4 6 Zink, D., Menschliche Arbeit im Wandel, Festschrift zum 25-jährigen Gründungstag des Adolf-Matthes-Hauses, München 1997, S. 8-14

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hend präzisiert, dass diese im Sinne einer medizinischen Rehabilitation eine Wiedereingliederung der Betroffenen ins Erwerbsleben anzustreben haben. Hieraus ergab sich dann praktisch zwangsläufig der Auftrag an die Arbeitstherapie nach Training und Steigerung des Leistungsvermögens. Wenn wir den Begriff der Arbeitstherapie verwenden, dann müssen wir danach fragen, was denn nun das spezifisch therapeutische an der Arbeitstherapie ist. Im Sinne von SIMON dient Arbeitstherapie einmal als Maßnahme zum Training und zur Steigerung des Leistungsvermögens, sie stellt mithin ein spezifisches Mittel der medizinischen Rehabilitation im Sinne der Wiedereingliederung ins Erwerbsle-ben dar. Zum anderen zeigt das Beispiel von SIMON auch, dass Arbeitstherapie schlicht und einfach auch eine institutionsinterne Dienstleistung darstellt. Wenn das Gelände der Bernhard-Salzmann-Klinik in Gütersloh heute als so gepflegter Park imponiert, dann sicherlich nicht zuletzt wegen der Arbeitskraft der Patienten und möglicherweise auch Patientinnen, die bei der Gründung der Einrich-tung zu den entsprechenden Tätigkeiten herangezogen wurden. Arbeitstherapie hat über diese beiden Aspekte hinaus gehend auch einen spezifischen therapeuti-schen Effekt. Ähnlich wie es in der Psychotherapie darum geht, dass sich der Patient beziehungsweise die Patientin unbewusster Verhaltensmuster bewusst wird und sie so korrigieren kann, verdeutlicht Arbeitstherapie das Arbeitsverhalten des oder der Einzelnen. Deutlich werden Aspekte wie Ausdauer, wie Konzentration, wie Sorgfalt, auch der Umgang mit Kollegen, Kolleginnen bzw. Vorgesetzten. Im Rahmen der Arbeitstherapie kann es nicht darum gehen, spezifische Fertigkeiten zu vermitteln, ein solches Ziel ist schon bei Berücksichtigung der Therapiedauer unrealistisch. Vielmehr ist es Auf-gabe der Arbeitstherapie, die abstrakten Arbeitsfähigkeiten, das Arbeitsvermögen einzuschätzen und zu fördern. Ähnlich wie in der Psychotherapie bestimmte Muster sich immer wieder verdeutlichen, werden in der Arbeitstherapie Muster im Umgang mit Arbeit deutlich, egal ob das Werkstück aus Ei-sen oder Holz besteht, egal, ob eine Oberfläche zu polieren oder eine Kartoffel zu schälen ist. Lassen Sie mich kurz auf den Aspekt des Kartoffelschälens eingehen: Von Seiten der Kostenträger werden haushaltsnahe Dienstleistungen wie Tätigkeiten im Küchenbereich beziehungsweise in der Hausreinigung zu Recht als problematisch gesehen. Sie werden in den Einrichtungen ebenso zu Recht als problematisch gesehen. Wenn von Kostenträgerseite Feststellungen getroffen werden wie „Unse-re Versicherten putzen nicht“, so sind diese sehr berechtigt, gleichzeitig aber vor dem Hintergrund unzureichender Pflegesätze auch illusorisch. Ich gehe davon aus, dass in einer Klinik, die Patienten oder Patientinnen behandelt, die den primären Sozialisationsschritt zum Erwachsenen gemacht ha-ben, das heißt, Patienten oder Patientinnen, die zur Verantwortungsübernahme für das eigene Leben grundsätzlich bereit sind (und dies trifft auf die meisten Alkoholabhängigen zu), in 80 Prozent der Fäl-le auf den spezifischen Einsatz im Hauswirtschaftsbereich verzichtet werden könnte. Umgekehrt scheint bei jungen Patienten und Patientinnen, meist bei Drogenabhängigen, ein Einsatz im Hauswirtschaftsbereich sinnvoll. Junge Drogenabhängige verfügen oft nicht über die nötigen Kom-petenzen, was Eigenversorgung und Aufrechterhaltung eines Mindestwohn- und Selbstversorgungs-standards angeht. Angemessene Pflegesätze vorausgesetzt, könnte jedoch auch dies alles in spezifi-schen Trainingssettings eingeübt werden. Was den spezifischen Aspekt des Trainings und der Leistungssteigerung angeht, so ist festzustellen, dass der (alkoholabhängige) Durchschnittspatient mittlerweile höchstens noch 15 Wochen in einer Fachklinik verbleibt. Das Leistungsvermögen ist, bedingt durch den vorangegangenen körperlichen Entzug, in den ersten Wochen eher eingeschränkt, so dass hier der Schwerpunkt arbeitstherapeuti-schen Handelns mehr auf Merkmalen zur Arbeitsausführung (vor allem kritische Kontrolle, Sorgfalt, zum Teil auch einfach Pünktlichkeit) liegt. Für Trainingsmaßnahmen zur Steigerung des Leistungs-vermögens steht damit nur eine sehr begrenzte Zeitspanne zur Verfügung. Lassen Sie mich nun zum heutigen Stand der Arbeitstherapie in Einrichtungen zur Behandlung Suchtmittelabhängiger kommen. Ich will hier den Versuch unternehmen, die heutige Situation der gegenüber zu stellen, wie sie vor 20 oder 25 Jahren anzutreffen war.

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Dabei fällt folgendes auf:

1. Umfang der Arbeitstherapie

Die Zahl der Arbeitstherapiestunden hat deutlich abgenommen. Vor 20 Jahren war es nicht unüblich, dass Patienten bis zu 25 Stunden in der Arbeitstherapie eingesetzt wurden. Noch ein Jahrzehnt früher war es nicht unüblich, dass die Vergabe von Therapieplätzen abhängig gemacht wurde vom Grundberuf des Patienten, dass mithin also die jeweiligen Baumaßnah-men im Haus maßgeblich für die Aufnahme waren. Die durchschnittlichen Arbeitstherapie-zeiten liegen gegenwärtig bei zehn bis zwölf Stunden, wobei Kurzzeittherapiepatienten oft keinerlei Arbeitstherapie erhalten. Der absolute Vorrang psychotherapeutischer Maßnahmen vor der Arbeitstherapie wird auch anhand der kürzlich veröffentlichten Therapiestandards der Deutschen Rentenversicherung deutlich: gefordert werden von Seiten der Kostenträger in den Therapiemodulen 01, 02 und 03, d.h. allgemeine Psychotherapie, indikative Angebote zur Komorbidität bzw. zur Förderung psychosozialer Kompetenz insgesamt 360 Minuten pro Woche, also 6 Zeitstunden wö-chentlich. In Modul 05a dagegen werden bei Arbeitslosen pro Rehabilitation 16 Stunden ar-beitsbezogene Leistungen gefordert, in Modul 05b bei Rehabilitanden mit Arbeit und Nicht-Erwerbstätigen 7 Stunden pro Rehabilitation. Bei einer 14-wöchigen Behandlungsdauer ste-hen damit 84 Stunden Psychotherapie 7 bzw. 16 Stunden arbeitsbezogene Leistungen gegen-über7.

2. Inhaltliche Ausrichtung

Noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg ging man davon aus, dass Patienten und Patientin-nen mit Alkoholabhängigkeit an das Arbeiten herangeführt werden müssen. Wirksam waren hier wohl Überzeugungen, nach denen Alkoholabhängige als eher arbeitsscheu einzuschät-zen sind. So empfahl der Psychiater HANS GRUHLE im Jahre 1942, Alkoholabhängige in ers-ter Linie in ein Arbeitshaus einzuweisen, ich zitiere, „die Einweisung in eine Entziehungsan-stalt hat nur dann Sinn, wenn man diese Anstalt als vorzüglich geleitet selbst kennt“8. Mitt-lerweile wird der Tatsache Rechnung getragen, dass zumindest bei männlichen Alkoholab-hängigen einer der wesentlichen Motivationsfaktoren, eine Entwöhnungsbehandlung anzu-treten, drohender Verlust des Arbeitsplatzes ist. Es wird auch der Tatsache Rechnung getra-gen, dass Alkoholabhängigkeit nicht selten mit süchtigem Arbeitsverhalten vergesellschaftet ist. Entsprechend liegt der Schwerpunkt des arbeitstherapeutischen Vorgehens heute nicht mehr auf der Förderung Motivation zur Arbeit oder auf der Förderung fachspezifischer Fä-higkeiten, sondern darauf, dass der Patient, die Patientin Klarheit über sein bzw. ihr Arbeits-verhalten findet. Dies setzt voraus: fundierte Diagnostik, Zieldefinition und kontinuierliche Evaluation des Arbeitstherapieprozesses.

3. Fundierte Diagnostik

In der Vergangenheit erfolgte die Erhebung anamnestischer Daten ausschließlich durch Ärzte bzw. Ärztinnen, durch Psychotherapeuten bzw. Psychotherapeutinnen. Meines Erachtens wird heute in der Mehrzahl der Suchtfachkliniken eine differenzierte Arbeits- und Berufsanamnese im Bereich Arbeitstherapie erhoben. Es wird eingeschätzt, welche Anforderungen am Arbeits-platz gestellt werden, es werden die sozialmedizinisch relevanten Frage nach Erreichen des Arbeitsplatzes, nach Integration am Arbeitsplatz, nach Zufriedenheit mit der beruflichen Tä-tigkeit gestellt. Darüber hinaus steht inzwischen ein breites diagnostisches Instrumentarium zur Verfügung. MELBA, die „Merkmalprofile zur Eingliederung Leistungsgewandelter und Be-hinderter in Arbeit“9 ist mittlerweile ein etabliertes Diagnostikum, weitere Impulse gingen von

7 Deutsche Rentenversicherung, Reha-Therapiestandards Alkoholabhängigkeit – Pilotversion, Berlin 2009 8 Gruhle, H. W., Die Erforschung und Behandlung des Verbrechers in den Jahren 1938 bis 1940, Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie 14, 1942, S. 123-168 9 Kleffmann, A. et al., Melba Psychologische Merkmalprofile zur Eingliederung Behinderter in Arbeit, Siegen 1997

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dem erwähnten Projekt zur „Arbeitstherapeutischen Befunderhebung und Dokumentation“

aus, das sich am Model of Human Occupation orientiert. Beide Instrumente werden heute auch in Arbeitsgruppen behandelt. Mit der ICF, der Internationalen Klassifikation der Funkti-onsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit10, steht ein weiteres Instrumentarium zur Beurtei-lung spezifischer Teilleistungsstörungen zur Verfügung. Auch hier sei auf die von Herrn Stra-cke geleitete Arbeitsgruppe verwiesen.

4. Zieldefinition und Evaluation des Arbeitstherapieprozesses

Wenn Arbeitstherapie etwas anderes sein soll als Beschäftigung, dann sind mit dem Patienten, sind mit der Patientin klare Ziele zu vereinbaren. Grundlage bildet hier wiederum ein entspre-chendes diagnostisches Instrumentarium. Mit MELBA ist es möglich, ein Fähigkeitsprofil des Patienten beziehungsweise der Patientin zu erstellen und dies in Relation zum Anforderungs-profil des Arbeitstherapieplatzes zu setzen. Die hier erhobene Selbst- und Fremdeinschät-zung, aber auch Diskrepanzen zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung liegen der Zieldefini-tion zugrunde. Vor Entlassung werden die Werte erneut erhoben, um so den Therapieerfolg zu überprüfen beziehungsweise eine Grundlage für weiterführende Maßnahmen zu erhalten. Un-abhängig von der Eingangs- und Abschlussdiagnostik ist der Arbeitstherapieprozess zumin-dest wöchentlich, bei spezifischer Indikation auch täglich zu bewerten und zu überprüfen.

5. Stellenwert der Arbeitstherapie im Klinikkontext

Die Suchtvereinbarung vom 30.11.1978 sieht vor, dass in stationären Einrichtungen „auf dem Gebiet der Suchtkrankenarbeit qualifizierte und erfahrene Ärzte, Diplom-Psychologen, Sozial-arbeiter/Sozialpädagogen sowie Arbeits- und Beschäftigungstherapeuten zur Verfügung ste-hen“. Im Leitungsteam hingegen müssen neben dem ärztlichen Leiter lediglich die Fachberei-che Psychologie und Sozialarbeit vertreten sein11. Diese Gewichtung spiegelte sich in der Ver-gangenheit im Selbstverständnis von Arbeitstherapeuten und Arbeitstherapeutinnen wider, aber auch im Umgang der anderen Berufsgruppen mit dem Bereich Arbeitstherapie. Während psychotherapeutische Veranstaltungen für andere Bereiche tabu waren, standen Arbeitsthe-rapieeinheiten nicht selten zur Disposition, wenn es um medizinische Angelegenheiten oder um Einzelgespräche ging. Die Zuordnung der Patienten und Patientinnen zu einzelnen Arbeits-therapieplätzen erfolgte durch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des psychotherapeutischen Bereichs.

In einer beträchtlichen Zahl von Kliniken stellt heute Arbeitstherapie einen eigenständigen und gleichberechtigten Bereich dar. Im Rahmen von Diagnostikkonferenzen werden die überge-ordneten Therapieziele definiert. Hierauf basierend definiert der Bereich Arbeitstherapie spe-zifische Ziele, der Bereich Arbeitstherapie entscheidet dann weiter, wie diese Ziele erreicht werden können und evaluiert den Erfolg.

6. Interne Vernetzung

Entsprechend dem Stellenwert, den die Arbeitstherapie mittlerweile in den stationären Ein-richtungen hat, sind Arbeitstherapeuten und Arbeitstherapeutinnen gleichberechtigte Partner in Diagnostik- und Verlaufskonferenzen. Ihre Beobachtungen und Einschätzungen gehen in den Gesamtbehandlungsplan ein. Ebenso ist der Bereich Arbeitstherapie beteiligt, wenn es um die Würdigung des Therapieverlaufs geht. In der Vergangenheit wurde der Abschlussbericht an den Rentenversicherungsträger nicht selten vom Arzt bzw. der Ärztin erstellt, der für die Beratungsstelle aber dann vom Bereich Psychologie beziehungsweise Sozialpädagogik. Diese Berichte waren, legte man sie nebeneinander, häufig auch widersprüchlich. Heute geht in den Bericht sowohl die ärztliche Einschätzung, als auch die psychotherapeutische Einschätzung, als auch die arbeitstherapeutische Einschätzung ein. Die sozialmedizinische Beurteilung kann

10 Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information (Hrsg.), Internationale Klassifikation der Funktionsfä- higkeit, Behinderung und Gesundheit, Genf 2005 11 Empfehlungsvereinbarung über die Zusammenarbeit der Krankenversicherungsträger und der Rentenversicherungsträger bei der Rehabilitation Abhängigkeitskranker (Sucht-Vereinbarung) vom 20.11.1978, Anlage 1

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sich damit auf medizinische, psychologische und nicht zuletzt reale Beobachtungen über das Verhalten an einem vorgegebenen Arbeitsplatz stützen. Die Aussagefähigkeit der Berichte hat damit deutlich gewonnen und trägt der Tatsache Rechnung, dass dem Abschlussbericht der Rang eines sozialmedizinischen Gutachtens zukommt.

7. Externe Vernetzung

Zu Zeiten der ersten Empfehlungsvereinbarung Sucht waren die Institutionen untereinander nur wenig vernetzt. Heute, in Zeiten der Kombitherapie finden sich nicht nur enge Vernetzun-gen zwischen ambulanten und stationären Einrichtungen, auch vor Ort sind die Einrichtungen deutlich besser integriert. Kooperationen mit Betrieben erlauben Arbeitsbelastung unter Be-dingungen des realen Arbeitsmarkts; es stellt dies eine wesentliche Möglichkeit zur realen Einschätzung des Leistungsvermögens dar. Im Rahmen der Klinik wird dies zum Teil in Belas-tungswochen realisiert. Die Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit hat sich in den letzten Jahren erfreulich verbessert; in der Vergangenheit konnten Termine mit dem Ar-beitsamt erst vereinbart werden, wenn der Patient bzw. die Patientin dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stand, also nach Abschluss der stationären Behandlung. Mittlerweile können erste Weichen zur Wiedereingliederung ins Erwerbsleben bereits während der Behandlung gestellt werden, das heißt in der Regel während des Realitätstrainings. Bedauerlich ist, dass Rehabe-rater der Rentenversicherung noch nicht durchgängig regelmäßige Termine in den Fachklini-ken anbieten.

Zusammenfassend will ich feststellen, dass sich die Arbeitstherapie in Suchtfachkliniken in den ver-gangenen Jahrzehnten deutlich weiterentwickelt hat. Ihr Profil wurde klarer, ihre Aufgabenstellung präziser. Gleichzeitig bin ich mir nicht durchgängig sicher, ob Arbeitstherapie von Seiten der Kosten-träger noch uneingeschränkt gewollt wird. Ich erlebe entsprechend auch viel Verunsicherung bei Ar-beitstherapeuten und Arbeitstherapeutinnen, noch mehr bei Arbeitsanleitern und Arbeitsanleiterin-nen, deren Ausbildung nicht den heutigen Anforderungen der Deutschen Rentenversicherung ent-sprechen. Diese Verunsicherung trägt sicher dazu bei, wenn die Weiterentwicklung arbeitstherapeuti-scher Konzepte in den Einrichtungen einen vergleichsweise geringen Stellenwert hat. Es ist auch im Jahre 2010 festzustellen, dass Arbeitstherapie, die ausschließlich den Patienten, die Patientin im Fo-kus hat und deren Handeln nicht gleichzeitig auch von den Interessen der Institution geprägt ist, eher die Ausnahme darstellt. Es ist Aufgabe der Kliniken, ihre arbeitstherapeutischen Konzepte entspre-chend weiter zu entwickeln. Zum anderen aber sind auch die Kostenträger gefordert, definitiv Stellung zu beziehen. Eine Refinanzierung der Dienstleistungen, die zumindest in kleineren beziehungsweise mittelgroßen Suchtfachkliniken immer noch von Patienten und Patientinnen erbracht werden, durch die Kostenträger würde nicht nur Klarheit schaffen, sondern auch einen entscheidenden Schritt zur Verbesserung der arbeitstherapeutischen Qualität in den Einrichtungen mit sich bringen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Dr. Michael Heidegger Fachklinik Annabrunn Postfach 1522 84447 Mühldorf [email protected]

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Teilhabestörungen von Suchtpatienten – Wie sehen unsere Patienten wirklich aus?

Dr. Bernd Wessel, Fachklinik Kamillushaus

Ein einheitliches Gesicht des Suchtkranken gibt es nicht - die Vielfalt im Aussehen ist so groß wie die Vielfalt der Suchtmittel und deren Kombinationsmöglichkeiten, die Vielfalt der Suchtbiographien und -schicksale. Die Absicht, diese Vielfalt zu klassifizieren und in Cluster zu ordnen, kann einerseits ein Versuch sein, eine bessere Übersicht zu erreichen über Häufigkeit und Ausmaß der sozialen Entwurzelung (die den synthetischen Rechtsbegriff der Teilhabestörung plastischer umschreibt). Andererseits birgt sie je-doch die Gefahr, der Individualität und dem Subjekt des Patienten, den die multimodale Komplexthe-rapie in das soziale Leben und namentlich auch ins Erwerbsleben wieder eingliedern soll, nicht ge-recht zu werden. Teilhabe ist die Integration des Subjekts in die Gesellschaft, Teilhabestörung dage-gen die Dissonanz von Subjekt und (sozialer) Umwelt. In der Literatur bildet dabei das Schwerbehin-dertenrecht einen Schwerpunkt (vgl. F. Welti 2005) Die Angaben verschiedener Untersuchungen über die Quote psychiatrischer Mehrfachdiagnosen in der stationären Entwöhnungsbehandlung schwanken zwischen 58 % (M. Steppan et al. 2010), 70% (F. Nießtrat, 2000) und 95% (M. Vogelgesang, 2007). Somatische Begleit- und Folgeerkrankungen mit oft großer Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des Patienten im Alltag sind dabei nicht berücksichtigt, so dass die tatsächlichen Einschränkungen der Suchtkranken viel weitreichender sind. Trotz der großen Spannbreite der Quote von Komorbiditäten Suchtkranker in den unterschiedlichen Erhebungen ist allerdings deutlich, dass ein wesentlicher Anteil der Suchtmittelabhängigen aus meh-reren psychiatrischen Krankheiten begründete Einschränkungen für die Teilhabe aufweist. Bei Komorbidität treten weitreichende alltagspraktische Schwierigkeiten, z.B. finanzielle und familiä-re Probleme, schlechtere Wohnverhältnisse usw. auf, was auch im Zusammenhang mit einer hohen Rückfallfrequenz, häufigeren notfallmäßigen Arztkontakten und stationären Aufnahmen steht (E. Gouzoulis-Mayfrank, 2004). Die unzureichende Teilhabe am Arbeitsleben wird durch die Arbeitslosenquote von 48 % der im Jahr 2008 in eine stationäre Entwöhnungsbehandlung aufgenommenen Patienten belegt. Dass 2008 50% der stationär behandelten Suchtpatienten alleinstehend waren (M. Steppan 2010), beschreibt die sozi-ale Isolierung als Modul der Teilhabestörung (Übersicht: Abb. 1). Das Ausmaß der Gesundheitsstörung bei Alkoholabhängigkeit wird durch die lange Konsumzeit von mehr als zehn Jahren bei 44% der stationär rehabilitierten Alkoholabhängigen deutlich (M. Zobel et al., 2007). Im Entlassungsjahrgang 2006 aus der stationären Entwöhnung wurde eine Erwerbslosenquote von 37% ermittelt, 48% wiesen als höchsten Bildungsgrad einen Sonder- oder Hauptschulabschluss auf. (P. Missel et al., 2009). Auch die aktuelleren Zahlen aus 2008 des IFT markieren keine Trendwende (M. Steppan 2010; Abb.1) Bei den rückfälligen Patienten wurden als „teilhaberelevante“ Auslöser eine schwierige Lebenssitua-tion (27%), Langeweile (21%), Konflikte mit anderen Personen (18%), Frustration, Enttäuschung (39%), Einsamkeit (28%) angegeben (Abb. 1) (Missel et al. 2009). Diese Faktoren werden in der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD 10) indessen kaum erfaßt. Die funktionalen Auswirkungen sind demgegenüber in der Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) beschrieben, ohne dass es hier auf die zugrun-de liegende Diagnose ankommt. Lediglich das Kapitel Psychische Störungen (Kap. F der ICD 10) be-zieht auch Teilhabe-Aktivitäten ein (Abb. 2) (M. Seidel 2005). Diese Vielfalt möglicher Teilhabestörungen, deren individuelle Einengung des Erlebnis- und Gestal-tungsspielraums im Leben eines Suchtkranken sich mit der Beschreibung jedes einzelnen Faktors gar nicht darstellen lässt, erfordert komplexe Rehabilitationsstrategien.

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Die von den Sozialversicherungen herausgegeben Leitlinien für die ICF-Anwendung (Bundesarbeits-gemeinschaft für Rehabilitation 2010) können allerdings nicht die Darstellung sämtlicher Facetten der ICF beinhalten, zumal deren vollständige Berücksichtigung durch deren Versorgungsauftrag nicht abgedeckt und auch nicht zu leisten wäre. Die soziale Situation wie auch die Vielfalt der hier nur holzschnittartig dargestellten, viele Lebensbe-reiche umfassenden somato-psycho-sozialen Funktionseinschränkungen vieler Suchtkranker als direkte oder mittelbare Krankheitsfolge legt den Einsatz der Arbeitstherapie in einem mehrmonatigen mediznischen Rehabilitationsverfahren nahe, weil in diesem Rahmen gerade die nach Langzeitar-beitslosigkeit häufig verlorengegangen, weil nicht mehr beanspruchten Fähigkeiten zur Tages- und Arbeitsstruktur, des adäquaten Sozialverhaltens, Durchhaltens, der Zuverlässigkeit, der Informati-onsverarbeitung und der Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit etc. soweit verloren gegangen sind, dass sie kaum ausreichend für einen Praktikumseinsatz oder gar Arbeitsversuch sind. Hier kann Ar-beitstherapie geeignet sein, die „Praktikumsfähigkeit“ erst herstellen können. Schon der in den Abbil-dungen skizzierte kleine Ausschnitt der ICF (Abb. 3 bis 5) zeigt die vielfältigen, manchmal schwerwie-genden funktionalen Auswirkungen auch diskret erscheinender, filigran ineinander greifender Funkti-onsstörungen auf das komplexe Arbeitsleben, die bei Suchtkranken häufig eine Rolle spielen. Ein Teil der ICF (d 7701: Sexualbeziehung; d 9; Abb. 5 und 6) hat zwar nur allenfalls mittelbaren Bezug zur Arbeitswelt, jedoch hohe Bedeutung für die Lebensqualität. Ein zu Therapiebeginn unterhalb des für externe Praktikums- und Arbeitseinsätze angesiedeltes Leis-tungsniveau kann durch die Arbeitstherapie individuell analysiert und gezielt gehoben werden, so dass je nach Therapiekonzept arbeitstherapeutische Maßnahmen im Rahmen der Komplexbehandlung einen bedeutenden Teil zur Verbesserung einer umfassenden Teilhabe zukommt, um die für das Er-werbsleben erforderliche Umstellungsfähigkeit (A. Erlenkämper 2003) wieder zu erlangen und „Kom-petenzdefizite“ (M. Heidegger 2002) auszugleichen. Für den einzelnen Rehabilitanden kann sein Einsatz in der Arbeitstherapie erstmals nach jahrelangem Suchtverlauf durch die erfolgreiche Beteiligung an einem Arbeitsprozess die Genesung ebenso wie für die soziale Eingliederung wichtige Selbstachtung wieder herstellen (Abb. 7 und 8; vgl. M. Heidegger 2002). Bei der dargestellten desolaten Bildungssituation vieler Suchtpatienten erschließt sich die Sinnhaf-tigkeit für die sozialen und emotionalen Funktionen einer in die Therapie einbezogenen arbeitsnahen praktischen Tätigkeit als Gegengewicht der intellektuell betonten Verbaltherapie. Kognitive, emotio-nale und soziale Defizite werden in diesem Kontext für Patienten und Therapeuten vielschichtig er-fahrbar; entsprechende Fähigkeiten im Praxisbezug unter therapeutischer Anleitung und Begleitung erworben und trainiert (J. Müller 2002). Zur ganzheitlichen medizinischen Rehabilitationsbehandlung in der multimodalen Komplexbehand-lung gehört eine ressourcenorientierte Unterstützung auf der Denk- und Handlungsebene, um dem Rehabilitanden den Zugriff zu seinen Stärken und die Kompensation der (störungstypischen) Schwä-chen zu erleichtern. Somit leistet die Arbeitstherapie als ein Werkzeug der medizinischen Rehabilitation Sucht einen Bei-trag zur Verbesserung der Teilhabe und zur Integration in das Erwerbsleben. Darüber hinaus hat die Arbeitstherapie für die Wiederherstellung der Selbstachtung des Rehabilitanden und für die Bezie-hung vom Subjekt zur sozialen Umwelt eine nicht zu unterschätzende Bedeutung (Abb. 10).

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Literatur: Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) ICF Praxisleitfaden 3 für Rehabilitationseinrichtungen Frankfurt 2010 A. Erlenkämper Arzt und Sozialrecht Steinkopff, Darmstadt, 2003 E. Gouzoulis – Mayfrank Doppeldiagnose Psychose und Sucht, Nervenarzt 75: 642 – 650, 2004 M. Heidegger Ansätze, Leitbilder und Gewichtung der Arbeitstherapie (2002) In: M. Heidegger et al. Therapie und Arbeit - Suchtspezifische Ansätze Neuland, Geestacht, 2002 P. Missel et al. Effektivität der stationären Suchtrehabilitation – FVS – Katamnese des Entlassungsjahrgangs 2006 von Fachkliniken für Alkohol- und Medikamentenabhängige, Sucht Aktuell 1, 5 – 16, 2009 J. Müller (2002) Arbeitsfelder, Instrumente und Ablauf der Arbeitstherapie In: M. Heidegger et al., a.a.O. F. Nießtrat, Welche Erfahrungen macht die Suchtkrankenhilfe?, Partnermagazin 6 / 2000) M. Seidel Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit Nervenarzt 76: 79–92, 2005 M. Steppan et al. Jahresstatistik 2008 der professionellen Suchtkrankenhilfe in Deutschland IFT München, 2010 M. Vogelgesang Psychische Komorbidität in der stationären Langzeitentwöhnungstherapie bei Alkoholabhängigkeit, Sucht Aktuell 1, 27 – 30, 2007 F. Welti Behinderung und Rehabilitation im sozialen Rechtsstaat Mohr-Siebeck, Tübingen, 2005 M. Zobel et al., Effektivität der stationären Suchtrehabilitation, Sucht Aktuell 1, 5 – 15, 2007

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Kontakt: Dr. B. Wessel, Fachklinik Kamillushaus, Heidhauser Str. 273, 45239 Essen Tel.: 0201 / 8406-0, [email protected]

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Arbeitsbezogene Maßnahmen aus Sicht der Verhaltenstherapie Dr. Thomas Redecker , Evangelisches Johanneswerk e.V.

Einleitung Das deutsche Suchthilfesystem verfügt über eine Vielzahl moderner und wissenschaftlich evaluier-ter Therapieinterventionen, die in verschiedenen therapeutischen Einrichtungen einschließlich der Suchtselbsthilfe angeboten werden. Aufgrund jahrelanger Erfahrung verfügt Deutschland über ein modernes Suchthilfesystem, in dem die Bedarfe suchtkranker Menschen und ihrer Angehörigen passgenau therapeutisch begleitet werden können. Insbesondere der regionale Behandlungsver-bund hat sich als moderne und effektive Behandlungsform in den letzten Jahren heraus kristalli-siert. Der gesetzliche Auftrag der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitserkrankter ist der Erhalt oder die Wiederherstellung der Erwerbstätigkeit. Darüber hinaus handelt es sich bei der Suchter-krankung um ein multifakturell bedingtes Krankheitsbild, sodass verschiedene Interventionsstra-tegien zur Behandlung und Überwindung der Abhängigkeitserkrankung erforderlich sind. Neben einzel- und gruppenpsychotherapeutischen Maßnahmen sind hier besonders arbeitsbezogene Maßnahmen von Interesse, die einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass ein abstinent leben-der suchtkranker Mensch seine beruflichen Fähigkeiten voll entfalten kann und somit ein wertvol-ler Mitarbeiter in seinem Betrieb sein kann. Am Beispiel der Hellweg-Kliniken des Ev. Johannes-werkes Bielefeld sollen die Möglichkeiten arbeitsbezogener Maßnahmen dargestellt werden. Das Therapiekonzept der Hellweg-Kliniken basiert auf den Grundlagen der kognitiven Verhaltensthera-pie mit Integration kompatibler Therapieangebote aus anerkannten Therapieverfahren.

Abb. 1

Hellweg-Klinik Lage Hellweg-Klinik Oerlinghausen Hellweg-Klinik Bielefeld

Tagesklinik für

suchtkranke Men-

schen

20 Therapieplätze

Fachklinik für Psychotherapie

und Suchtmedizin

120 Therapieplätze

Ganztägig ambulante Rehabili-

tation suchtkranker Menschen

30 Therapieplätze

Kreativtherapie

(KT)

Kreativtherapie (KT)

Arbeitstherapie (AT)

Externe Belastungserprobung

(BE)

KT

AT

Externe BE,

auch am eigenen Arbeitsplatz

Die Abb. 1 zeigt die drei Kliniken des Evangelischen Johanneswerkes, die eingebettet sind in drei von Leistungsträgern akzeptierten regionalen Behandlungsverbünden. In der Hellweg-Klinik Lage, Einrichtung zur qualifizierten Entzugsbehandlung, kommen überwiegend kreativtherapeutische Interventionstherapien zum Einsatz. Arbeitsbezogenen Maßnahmen im Rahmen der 3 bis 6-wöchigen Therapie sind auf Grund der Entgiftungssituation nicht möglich, allerdings werden in der Hellweg-Klinik Lage intensive Gespräche mit den Arbeitgebern geführt, um die Notwendigkeit wei-terführender ambulanter, ganztägig ambulanter oder stationärer Rehabilitationsmaßnahmen ab-zusprechen. In der Hellweg-Klinik Oerlinghausen kommen schwerpunktmäßig arbeitsbezogene Maßnahmen, neben kreativtherapeutischen Maßnahmen zum Einsatz. Hier gibt es Möglichkeiten der internen

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und externen Entlastungserprobung unter Berücksichtigung genderspezifischer (männerspezifi-scher) Aspekte. In der Hellweg-Klinik Bielefeld, ganztägige ambulante Rehabilitation suchtkranker Menschen, werden neben kreativtherapeutischen Angeboten arbeitstherapeutische Angebote aus dem Bereich des PC-Einsatzes und bestimmte Indikationsgruppen (Probleme am Arbeitsplatz, Bewerbertrai-ning) eingesetzt. Auf Grund der guten regionalen Anbindung bestehen hervorragende Möglichkei-ten zur externen Belastungserprobung, z. B. in den verschiedenen Einrichtungen der von Bodel-schwinghschen Stiftung. Es besteht auch die Möglichkeit einer externen Belastungserprobung am eigenen Arbeitsplatz. Aus dieser Aufzählung wird sichtbar, dass der regionale Behandlungsverbund vielfältige Möglich-keiten bietet, um realitätsbezogen arbeitstherapeutische Maßnahmen einzusetzen. II. Arbeitsbezogene Maßnahmen In einer stationären Einrichtung der medizinischen Rehabilitation am Beispiel der Hellweg-Klinik Oerlinghausen. Die Hellweg-Klinik Oerlinghausen hat 120 vollstationäre und 5 Therapieplätze zur tagesklinischen Beendigung. Seit 1966 wird unter Federführung der Deutschen Rentenversiche-rung Bund ein differenziertes therapeutisches Angebot unter Berücksichtigung psychiatrischer Komorbidität gemacht. Die 10 Therapiegruppen der Hellweg-Klinik Oerlinghausen haben teilweise einen psychotherapeutischen Schwerpunkt.

Abb. 2

Abt. I Abt. II Abt. III

Therapiegruppe · Sucht und

Trauma · Junge Erwachsene

· Altersgemischte

Gruppe

Therapiegruppe · Sucht und

Angst · Offen

· Sucht und De-

pression

Therapiegruppe · Sucht und

Depression

· Therapiewiederholer/

Persönlichkeitsstörungen

· Sucht und Angst

· Offen

Aus dieser Übersicht wird deutlich, dass vor allen Dingen die Komorbidität aus dem Bereich De-pressionen, Angst- und Persönlichkeitsstörung eine wichtige Bedeutung hat. Die Störungsbilder selber haben auch Einfluss auf die Erwerbstätigkeit, so dass in Verbindung mit einer stoffgebunde-nen Abhängigkeitserkrankung die Erwerbstätigkeit bei einem Pat. mit Suchterkrankung und de-pressiver Störung erheblich gefährdet ist. Das Therapieangebot der Hellwegklinik Oerlinghausen basiert auf den vier Säulen der Therapie.

20

Abb. 3

Die Abhängigkeitserkrankung wird als ein bio-psycho-sozial-spirituelles Störungsbild gesehen. Aus diesem Grunde werden leitliniengerecht Therapieangebote aus dem medizinischen, den psy-chosozialen und handlungsorientierten Säule angeboten. Die Therapiesteuerungen finden abtei-lungsbezogen unter Supervision eines ärztlichen und therapeutischen Leiters statt. Die medizinische Behandlung umfasst allgemeinmedizinische, internistische, neurologische und psychiatrische Diagnostik und Therapie unter Einbeziehung weiter niedergelassener Kollegen und somatischer Krankenhäuser. Das psychosoziale Therapieangebot umfasst Einzel- und Gruppengespräche, milieutherapeutische Aspekte, Großgruppenarbeit und Sicherung und Bearbeitung sozialer Risikofaktoren (Schulden, Wohnungslosigkeit, juristische Probleme, sozialrechtliche Probleme). Zu den handlungsorientierten Angeboten gehören die Arbeitstherapie, die Kreativtherapie und der Sport einschl. des langsamen Ausdauerlaufens.

Die diakonischen Angebote sind freiwillig und umfassen neben Gottesdienstangeboten, pastoral-psychologische Einzelgespräche vor allen Dingen zu den Themen „Schuld und Scham.“ In einer Indikationsgruppe „Sinn des Lebens“ werden nach logotherapeutischen Gesichtspunkten die Sinn-haftigkeit lebensbezogener Ereignisse bearbeitet um somit die Überwindung der Abhängigkeitser-krankung spirituell unterstützt. In der Hellweg-Klinik Oerlinghausen wird das Bezugstherapeuten-Modell angewendet.

21

Abb. 4

Der Patient legt mit seinem Bezugstherapeuten die individuellen Therapieziele fest, z. B. Erhalt der Erwerbstätigkeit, Vertiefung der Krankheitsakzeptanz und Suchtmittelabstinenz. Die für die Er-werbstätigkeit notwendigen Therapieziele werden im therapeutischen Team mit den Kollegen der Ergotherapie besprochen und dann in den entsprechenden Angeboten der Arbeitstherapie umge-setzt. Vor allen bei jungen polytoxokomanen Männern ist die (Wieder-)Herstellung von Basisfertigkeiten (Pünktlichkeit, Konzentration, Ausdauer, äußere Ordnung, Verbindlichkeit an den festgelegten Maßnahmen) ein wichtiger und elementarer Schritt zur Wiederherstellung der Erwerbstätigkeit. Entsprechend der festgelegten Therapiesteuerung wird nach drei und nach sechs Wochen für jeden Patienten eine Fallbesprechung durchgeführt, in der die Erreichung der Therapieziele überprüft wird und der weitere Einsatz der therapeutischen Maßnahmen, auch der arbeitsbezogenen Maß-nahmen überprüft und ggf. verändert wird. III. Handlungsorientierte Therapie der Hellweg-Klinik Oerlinghausen Die handlungsorientierte Therapie in der Hellweg-Klinik Oerlinghausen umfasst die Bereiche der Kreativtherapie, Arbeitstherapie und Sport. In der nachfolgenden Abb. 5 ist der Bereich der Ar-beitstherapie differenziert dargestellt.

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Abb. 5

Handlungsorientierte Therapie (HOT)

Die ergotherapeutischen Kollegen bieten drei Schwerpunktbereiche an: 1. Interne Belastungserprobung in Werkstätten (Schlosserei, Tischlerei, Medienwerkstatt, Gärt-

nerei). 2. Interne Belastungserprobung in Dienstleistungszentren (Telefonzentrale, Mentorendienst,

Saaldienst, Freizeit, Cafeteria und Spülküche). 3. Externe Belastungserprobung: derzeit verfügt die Hellweg-Klinik Oerlinghausen über ca. 50

Betriebe, die als Partner für die externe Belastungserprobung zur Verfügung stehen. Darüber hinaus werden Indikationsgruppen (Bewerbertraining, Erstellung einer Bewerbermappe, Probleme am Arbeitsplatz, PC-Kurse) angeboten. Nach einer dreiwöchigen Einarbeitungsphase in der Arbeitstherapie, erfolgt eine arbeitsbezogene Diagnostik ggf. unter Einsatz von MELBA. Das Aufgabengebiet des Arbeitstherapeuten ist sehr vielfältig und besteht aus folgenden Berei-chen: · Diagnostik (Verhaltensbeobachtung, MELBA etc.) · Vermittlung vom beruflichen Wissen und Fertigkeiten · Modellsein für Patienten durch Mitarbeit in den Werkstätten · Beziehungsinteraktion mit den Patienten zur Diagnostik und therapeutischen Rückmeldung · Kontrollfunktionen: Anwesenheit überprüfen, Suchtmittelabstinenz überprüfen, nicht anwe-

sende Patienten suchen gehen · Verhaltensbeobachtung: Rückmeldung der gesammelten Informationen an den Bezugsthera-

peuten und an das therapeutische Team. · Mitarbeit beim Entlassungsbrief · Begleitung der externen Belastungserprobung. Hier sind die wesentlichen Tätigkeiten des Ergotherapeuten beschrieben. Diese Aufzählung macht deutlich, wie vielfältig der Einsatz der Ergotherapeuten in der Hellweg-Klinik Oerlinghausen ist. Bei den jungen polytoxomanen Patienten ist vor allen Dingen die Kontrollfunktion in den ersten Wo-chen der Therapie sehr wichtig. Diese Patientengruppe neigt dazu, gerade die arbeitstherapeuti-schen Maßnahmen zu vermeiden und sich durch Rückzug ins Bett oder durch medizinische Krank-schreibung diesen Angeboten zu entziehen.

KT 1,75 VK KT1,75 VK

AT 4,75 VK

Sport 1,3 VK Sport1 3 VK

•Schlosserei

•Tischlerei

•Medienwerkstatt

•Gärtnerei

•Telefonzentrale

•Mentoren

•Saaldienst

•Freizeit

•Bewerbertraining

•Bewerbungsmappe

•Probleme am Arbeitsplatz

Werkstät-ten

•Dienstleistungszen-tren

(DLZ)

Indikationsgruppen

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IV. Verhaltenstherapeutische Bedingungsanalyse des Suchtmittelskonsum Ein wesentlicher Baustein der kognitiven Verhaltenstherapie ist die Erstellung der Bedingungsana-lyse nach dem SORKC-Schema. Hier sind die auslösenden Situationen und die aufrechterhaltenen Bedienungen von besonderer Bedeutung, um die Funktionalität des Suchtmittelskonsums zu er-kennen. Die nachfolgende Abb. 6 zeigt Beispiele für eine Bedingungsanalyse. Abb. 6

Bei sozialen Auslösern kommen auch in Frage: · Streit mit Arbeitskollegen, · Mobbing am Arbeitsplatz, · Stress mit dem Chef, die als Auslöser für einen Alkoholkonsum mit anschließender positiver oder negativer Verstärkung identifiziert werden können. Im Rahmen der Verhaltensanalyse erarbeitet der Bezugstherapeut zusammen mit dem Patienten die typischen Auslösesituationen. Dann erarbeitet er mit dem Pati-enten alternative Bewältigungsstrategien, die im Rahmen von Rollenspielen, internen und externen Expositionen verbessert werden können. Sowohl der Bezugstherapeut, als auch der Ergotherapeut erarbeiten gemeinsam mit dem Patienten positive und negative Beispiele für erfolgreiches bzw. nicht erfolgreiches Verhalten am Arbeitsplatz. Das Arbeitsverhalten wird verhaltenstherapeutisch untergliedert in fünf Bereiche, diese sind:

o Sozial o Motorisch o Physiologisch o Kognitiv und o Emotional.

Die Abb. 7 zeigt Beispiele für Inhalte der fünf Bereiche, die im Rahmen der Exploration umfassend erhoben werden sollten.

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Abb. 7

S - R - C

• Sozial Interaktionelle Kompetenz

• Motorisch: Kraft, Geschicklichkeit, Ausdauer

Konkrete Fertigkeiten

• Physiologisch: Dopaminausschüttung

• Kognitiv: Ich bin gut

Ich bin erfolgreich

Ich habe Kraft

Ich habe Fertigkeiten

Ich habe Erfolg durch

……

• Emotional: Freude, Zufriedenheit

Die Erstellung eines Werkstückes in der Schlosserei, das gemeinsam mit anderen Mitpatienten erstellt worden ist, kann im positiven Sinne folgendermaßen beschrieben werden. Der Patient er-lebt seine interaktionelle Kompetenz in Zusammenarbeit mit den anderen Patienten und den Ergo-therapeuten. Motorisch macht er die positive Erfahrung, dass bei ihm Kraft, Geschicklichkeit, Ausdauer und be-stimmte, konkrete Handlungsfertigkeiten (wieder) vorhanden sind. Auf der körperlichen Ebene erlebt er eine Dopamin-Ausschüttung im Belohnungszentrum mit ei-nem positiven Gefühl (positive Verstärkung). Kognitiv kann er diese erfolgreiche Situation attribuieren mit Gedanken wie

o Ich bin gut o ich bin erfolgreich o ich habe Kraft o ich habe Fertigkeiten.

Und auf emotionaler Ebene erlebt er Freude und Zufriedenheit, ohne den Einsatz von Dopingmit-teln. Bei komplexen Situationen ergibt sich auch die Möglichkeit, Verhaltensketten zu bilden um dem Patienten den Zusammenhang zwischen dysfunktionalen Kognitionen, vegetativen Reaktionen des Körpers und dem Einsatz von Suchtmitteln als Dopingmittel klar zu machen. Durch die Möglichkeiten der Bedingungsanalyse stehen den Ergotherapeuten in Zusammenarbeit mit dem Bezugstherapeuten und dem therapeutischen Team vielfältige Möglichkeiten zur Verfü-gung, um arbeitsbezogenen Interventionsstrategien positiv auf den therapeutischen Prozess ein-wirken zu lassen. Alte Fähigkeiten wieder entdecken und neue Stärken entwickeln sind positive Erfahrungen, die der Patient sowohl für seinen beruflichen Wiedereinstieg als auch für den ge-samttherapeutischen Prozess nutzen kann. Gerade die Ergotherapie bietet realistische und er-folgsbezogene Möglichkeiten, um dem suchtkranken Menschen realistisch und angemessen seine Kompetenzen zu vermitteln. Diese ist besonders für ängstliche und depressive Patienten hilfreich, die zuvor durch Vermeidungsverhalten und Doping Schwierigkeiten am Arbeitsplatz gehabt haben. Durch die regelmäßigen Abteilungs- und Fallbesprechungen können die Ergebnisse des ergothe-

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rapeutischen Prozesses und des psychosoziotherapeutischen Prozesses kombiniert, vernetzt und intensiviert werden. Die nachfolgende Abb. 8 soll schematisch noch mal Probleme am Arbeitsplatz durch Alkohol zu-sammenfassend darstellen. Abb. 8

Die Probleme am Arbeitsplatz werden beschrieben und von suchtkranken Menschen kurzzeitig durch das Dopingmittel Alkohol im Sinne einer negativen und positiven Verstärkung (C+, C-) bewäl-tigt. Der jahrelange Alkoholkonsum führt zu körperlichen Begleiterkrankungen, die der ärztlichen und physiotherapeutischen Behandlung bedürfen. Die Einschränkung durch körperliche Folgeer-krankungen wiederum reduziert die körperliche und psychische Leistungsfähigkeit des Patienten. Hier können arbeitstherapeutische Maßnahmen und Indikationsgruppen hilfreich eingesetzt wer-den. Abnahme der Leistungsfähigkeit erhöht die Probleme am Arbeitsplatz, so dass sich der Pati-ent in einem Teufelskreis befindet, aus dem er irgendwann selbst nicht mehr ohne fremde Hilfe herausfindet. In Einzelgesprächen (EG), in Gruppengesprächen (GT) und in den Indikationsgruppen können die Probleme am Arbeitsplatz identifiziert werden und durch ergotherapeutische und the-rapeutische Behandlungsmaßnahmen verringert werden.

V. Stufenmodell der ergotherapeutischer Maßnahmen In der nachfolgenden Abb. 9 soll schematisch gezeigt werden, welche Therapieziele und Interventi-onsstrategien im Sinne eines Stufenmodells eingesetzt werden können.

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Abb. 9

Ziel arbeitsbezogener Maßnahmen ist die Wiederherstellung von Basisfähigkeiten wie Pünktlich-keit, Ausdauer, Zuverlässigkeit, Durchhaltevermögen, Genauigkeit und weitere Kompetenzen. Die-se sind besonders bei den jungen Patienten und bei Patienten mit langjährigem Alkoholkonsum verloren gegangen. Diese Patienten benötigen eine mehrwöchige Trainingsbehandlung. Wenn die Basisfertigkeiten vorhanden sind, können im Sinne von einer internen Belastungserprobung in Werkstätten und Dienstleistungszentren bestimmte Fertigkeiten und soziale Kompetenzen trainiert werden und ggf. in einer externen Belastungserprobung auf Alterstauglichkeit überprüft werden. Falls diese drei Stufen in der stationären medizinischen Entwöhnungsbehandlung nicht ausrei-chend sind, sollte eine Adaptionsmaßnahme angeschlossen werden, in der die Arbeitskompetenz noch intensiver therapeutisch unter Alltagsbedienungen begleitet werden kann. VI. Indikation zur Psychotherapie bei Arbeitsstörungen Durch die Möglichkeiten des multiprofessionellen Behandlungsteams wird deutlich, dass die Ar-beitsstörung des Patienten in verschiedenen Bereichen therapeutisch angegangen wird. Die Ar-beitsprozesse des Suchtkranken müssen auch vom Bezugstherapeuten diagnostiziert und thera-peutisch verändert werden. Die Psychotherapie bildet dazu folgende Möglichkeiten:

· In Einzelgesprächen kann die kognitive Verhaltenstherapie eingesetzt werden, um eine ar-beitsbezogenen Problemanalyse zu erstellen. Eine gleichzeitig bestehende psychiatrische Komorbidität wie z. B. eine depressive Störung kann verringert werden, da sie störenden Einfluss auf das Arbeitsverhalten hat.

· In der Gruppentherapie können soziale Interaktionsprobleme, die auch am Arbeitsplatz auftreten, therapeutisch bearbeitet werden. In der Gruppentherapie kann auch die psycho-somatische Komorbidität (wie eine soziale Phobie) therapeutisch bearbeitet werden und in graduellen Expositionsübungen verringert werden.

· Die Psychopharmaka-Therapie bietet die Möglichkeit bei bestehender behandlungsbedürf-tiger Komorbidität psychovegetative Symptome (Schlafstörungen, etc.) und dysfunktionale Kognitionen wie z. B. Grübeln zu verringern.

Dieses wirkt sich unterstützend auf die arbeitsbezogenen Maßnahmen aus.

Basisfähigkeiten:

Interne BE: Werkstätten à Fertigkeiten

DLZ à Fertigkeiten u. soziale Kompetenz

Externe BE: (Firmen)

Adaption

àPünktlichkeit àAusdauer

à Zuverlässigkeit à Durchhaltevermögen àGenauigkeit

TZ

TZ

TZ

TZ

à Fertigkeiten

„ „

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VII. Formen der Arbeitstherapie In der nachfolgenden Abb. 10 werden 3 Formen der Arbeitstherapie dargestellt.

Abb. 10

Die traditionelle Arbeitstherapie beschreibt die Angebote, die Suchtfachkliniken in den letzten Jah-ren entwickelt und ständig verbessert haben. Dazu gehören Angebote in den Werkstätten, in den Dienstleistungszentren und auch Angebote, die unter milieutherapeutischen Aspekten betrachtet werden können. Auf der anderen Seite des Angebotsspektrums stehen hochdifferenzierte Leistungskurse, in den Patienten spezielle Kenntnisse in PC-Kursen oder anderen Bereichen vermittelt werden können. Solche Angebote werden von der Agentur für Arbeit arbeitslosen Patienten angeboten, um ihre Kompetenzen und damit Marktchancen zu verbessern. Häufig sind suchtkranke Menschen wäh-rend der stationären medizinischen Rehabilitation mit solchen Leistungskursen überfordert, weil sich die kognitive Kompetenz erst nach Abklingung des prothrahierten Entzugsyndroms langsam wieder herstellt. Modulare arbeitsbezogenen Maßnahmen bieten eine Möglichkeit, eine Verbindung zwischen der traditionellen Arbeitstherapie und den Leistungskursen herzustellen. Es können bestimmte ar-beitsbezogene Fähigkeiten wieder hergestellt und trainiert werden. Unter Einbeziehung der evi-denzbasierten Therapiemodule wird sich ein neues Angebot arbeitstherapeutischer Maßnahmen entwickeln. Voraussetzung ist eine fähigkeitsbezogene Diagnostik, die auch mit Hilfe von compu-tergestützten Instrumenten durchgeführt werden kann. Einsatz der Arbeitstherapie im Therapie-Wochenplan: Der Therapiewochenplan der Hellweg-Klinik Oerlinghausen ist so aufgebaut, dass es möglichst zusammenhängende Therapieblöcke gibt. Für die Arbeitstherapie bedeutet dies ein zusammen-hängender Block von 3 bis 3 ½ Arbeitszeitstunden, um Ausdauer, Konzentration und Anwesenheit am Arbeitsplatz zu trainieren. Wir glauben, dass dies ein guter Kompromiss ist um die Pat. auf die vollschichtige Erwerbsfähigkeit hin zu trainieren und ihnen durch diese Verhaltensbeobachtung Rückmeldungen über das realistische Arbeitsverhalten geben zu können.

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Zusammenfassend sollen die Vorteile der modularen und traditionalen Arbeitstherapie beschrie-ben werden. Die modulare Arbeitstherapie ist: · Individuell · funktioniert nach dem Bausteinprinzip · gut mit Psychotherapie kombinierbar · gut mit der externen Belastungserprobung kombinierbar · gut in der ganztägigen ambulanten Rehabilitation einsetzbar · und gut geeignet für kurze Behandlungszeiten Die Indikation für die modulare Arbeitstherapie besteht bei folgenden Patientengruppen: · Patienten mit kurzer Suchtkarriere. · wenig somatische Begleiterkrankungen · wenig psychosomatische Komorbidität · gute soziale Integration · vorhandene Schul-/Berufsausbildung · stabile Berufsbiographie Die Stärken der traditionellen Arbeitstherapie liegen in folgenden Bereichen: · Wiederherstellung von Basisfähigkeiten · Interaktionsbezogen · Fertigkeitstraining (interne Belastungserprobung) · gut mit Psychosoziotherapie kombinierbar Die Indikation der traditionellen Arbeitstherapie ergibt sich bei: · Schwerpunkt in der stationären medizinischen Rehabilitation · fortgeschrittene Suchterkrankung/früher Konsumbeginn · somatische Begleiterkrankungen · ausgeprägte psychosomatische Komorbidität · ausgeprägte soziale Entwurzelung · lange Arbeitslosigkeit · fehlende Berufsausbildung Für die traditionelle Arbeitstherapie ist die Voraussetzung der Therapiesteuerung in der interdis-ziplinären Behandlungstherapie. VIII. Fazit: Zur Wiederherstellung und zum Erhalt der Erwerbsfähigkeit sind arbeitsbezogene Maßnahmen wichtig. Für eine stabile Abstinenz ist eine zufriedene berufliche Tätigkeit nötig. Aus diesem Grunde sollten Probleme am Arbeitsplatz in der Psychotherapie durch den Bezugstherapeuten berücksich-tigt werden (Bedingungsanalyse). Darüber hinaus sollen gemeinsam mit dem Bezugstherapeuten und dem Ergotherapeuten die in der Arbeitstherapie erreichbaren Therapieziele geplant, umge-setzt und rückgemeldet werden. Beide Berufsgruppen (Psycho- und Ergotherapeuten) müssen sich aus ihrem Blickwinkel mit den arbeitsbezogenen Störungen des suchtkranken Menschen beschäf-tigen und in Absprache entsprechende Therapieziele mit den vorhandenen Interventionsstrategien umsetzen. Große Suchtfachkliniken (> 100 Therapieplätze) können beide Formen der Arbeitstherapie (traditio-nell und modular) anbieten. Kleine Einrichtungen können ein arbeitstherapeutisches Behandlungs-konzept entwickeln und in Kooperation mit externen Anbietern umsetzen. Dabei sollten die Mög-lichkeiten des regionalen Behandlungsverbundes genutzt werden. Literatur: Redecker, Thomas (3/2009): Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen.

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Anforderungen der Leistungsträger an arbeitsbezogene Maßnahmen Marie-Luise Delsa, DRV

Man könnte ja salopp sagen, dass die Anforderungen der Leistungsträger dahin gehen, dass jeder Arbeitslose in die Wiederbeschäftigung gelangt und jeder, der einen Arbeitsplatz hat, so trainiert wer-den sollte, dass er den Anforderungen langfristig gerecht wird. Aber ich werde doch noch weitere Aussagen zu den Vorstellungen der DRV machen. Wie ja bekannt ist, war im Prinzip von Anbeginn der Suchtkrankenbehandlung die Arbeit ein fester Hauptbestandteil. Seit 1968 erfolgt die medizinische Rehabilitation von Abhängigkeitserkrankten auch in Kostenträger-schaft der Rentenversicherung. Der Haupthintergrund für die Bewilligung einer Reha-Leistung durch den Rentenversicherungsträger ist die Erhaltung, Verbesserung oder Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben. Folglich hat die Rentenversicherung ein sehr großes Interesse, dass dieser Bereich im Ablauf einer Rehabilitation ausreichend berücksichtigt wird. Dabei geht es nicht nur darum, dass die psychischen und somatischen Diagnosen ausreichend ärztlich und therapeutisch behandelt werden, damit der Patient wieder vollschichtig leistungsfähig ist, son-dern es geht auch darum eine Analyse der beruflichen Situation zu erstellen um herauszufinden, wel-chen Einfluss diese auf die Gesundheit hat und welche Faktoren im weiteren Berufsleben berücksich-tigt werden müssen. Ein noch vorhandener Arbeitsplatz kann ein sozial gut stabilisierender Faktor sein, aber ebenso ein Problembereich der Symptom auslösend oder verstärkend wirken kann. Wie auch bei anderen Notwendigkeiten der Rehabilitation sind auch auf diesem Gebiet die Suchtfach-kliniken den somatischen Kliniken weit voraus.

In diesen wird erst in den letzten Jahren verstärkt auf die Einbeziehung der beruflichen Situation in dem Rehabilitationsprozess geachtet. MBOR

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Natürlich hat für die Suchrehabilitation die berufliche Situation noch einen nachhaltigeren Effekt zur Stabilisierung der sozialen Situation und somit auch der Abstinenz. Um dieses wichtige Therapieziel zu erreichen gibt es von der Deutschen Rentenversicherung grobe Vorgaben. Sie sind beispielsweise im Anforderungsprofil für eine 100 Betten-Klinik/Einrichtung beschrieben. Dort finden sich Hinweise auch auf die Teilhabe bezogener Reha-Ziele, auf die Leistungen, die er-bracht werden sollen, auf die räumliche, apparative und personelle Ausstattung. Seit Ende 2009 gibt es noch die Reha-Therapie-Standards mit Angaben zu evidenzbasierten Thera-piemodulen und deren Mindestanteil prozentual bezogen auf die zu behandelnden Rehabilitanden.

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Sie sind unterteilt in Leistungen für Menschen mit Arbeitsplatz und Arbeitslose.

ETM 5 a für Arbeitslose, sollten möglichst 90 % aller Rehabilitanden erhalten und zwar mindestens 16 Stunden pro Reha. Dies ist eine Mindestforderung und kann in der Regel überschritten werden. Leistungen aus ETM 5 b sind für Beschäftigte oder Nichterwerbstätige vorgesehen. Hier sollten 50 % aller Rehabilitanden mindestens 7 Stunden im Reha-Ablauf erhalten.

Es werden für diese Leistungen alle therapeutisch relevanten Berufsgruppen einbezogen.

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Aber auch die KTL-Leistungen aus den ETM 11, die die Ergotherapie darstellen sind ein Baustein be-zogen auf die Arbeitstherapie und können vorbereitend oder begleitend eingesetzt werden. Die Ergeb-nisse können in die sozialmedizinische Gesamtbeurteilung einfließen.

Für bestimmte Patienten sind auch die ergotherapeutischen Trainingseinheiten des ETM 12 eine sinn-volle Ergänzung zur Arbeitstherapie.

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Die KTL-Leistungen aus dem ETM 13 sind für 90 % aller Rehabilitanden von Nutzen und sollten die erwerbsbezogenen therapeutischen Leistungen flankieren.

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Für Menschen ohne Arbeitsplatz sind auch einige Leistungen aus ETM 14, die sich auf konkrete sozial-rechtliche Beratung beziehen von Bedeutung.

Abgesehen von diesen „grob skizzierten Erwartungen“ gibt es keine festgelegten konkreten Anforde-rungen von Seiten der Deutschen Rentenversicherung Bund. Es bleibt Einrichtungen überlassen, alles so zu gestalten, dass der arbeitsbezogenen Bereich der Rehabilitation genügend quantitativ und qualitativ berücksichtigt wird. Im konkreten Fall der Zusammenarbeit zwischen der DRV und der Reha-Einrichtung werden dann die Voraussetzungen überprüft und individuell abgestimmt. Inhalte des Therapiekonzeptes Personalstellenpläne Mitarbeiterqualifikation Bauliche Strukturen Visitation Rehabilitanden Befragung Dies erfolgt über die Akzeptanz der Inhalte des Therapiekonzeptes, über die dafür notwendigen Per-sonalstellenpläne, die Qualifikation der Mitarbeiter und der baulichen Strukturen. In einer Visitation werden dann die Voraussetzungen vor Ort angesehen und überprüft, die Mitarbeiter und einige Pati-enten befragt. Weitere Rehabilitandenbefragungen zur Zufriedenheit erfolgen dann im Rahmen der Qualitätssiche-rung, auch in Bezug auf die arbeitstherapeutischen Anteile.

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Wir gehen davon aus, dass sich die Reha-Einrichtungen gezielt damit auseinandersetzen, wie der arbeitstherapeutische Bereich gestaltet wird. Dazu werden sicher Analysen erstellt, wie sich die übli-che Rehabilitandenpopulation zusammensetzt. Welche Altersgruppe überwiegt, wie ist das Durch-

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schnittsalter, bei gemischtgeschlechtlichen Einrichtungen: wie hoch ist der Frauenanteil? Wie ist die Beschäftigungssituation bei Reha-Antritt? Überwiegt der Arbeitslosenanteil? Laut Basisdokumentation des FVS - 2008 - ist das Durchschnittsalter bei Alkohol und Medikamenten-abhängigkeit 45 Jahre, bei Drogenabhängigkeit 28,6 Jahre. Der Frauenanteil beträgt knapp 1/3. Der Beschäftigungsgrad ist regional sehr unterschiedlich, laut BaDo sind von den Alkohol- und Medikamentenabhängigen knapp 40 % erwerbstätig, bei den Drogen-abhängigen etwas mehr als 10 %. Die Patientenzusammensetzung unterliegt zum Teil auch der Zuweisung durch die entsprechenden Stellen, wie Beratungsstellen, Sozialabteilungen der Entgiftungsstationen etc. Diese sind durch Informationsveranstaltungen zum Konzept, durch Publikationen, Tagungen und Kon-takte über die Patienten und deren Zufriedenheit vorbereitet. Zurzeit ist eine gezielte Patientenzuwei-sung nach bestimmten Kategorien - RMK - nicht möglich. Die Patienten werden durch aufwendige Befragungen in 4 Kategorien eingeteilt, bezogen auf sub-stanzbezogene, psychische und soziale Beeinträchtigungen. Diese Einteilung ist aber bisher nicht im Vorfeld der Reha möglich. Nun aber zu den räumlichen und baulichen Gegebenheiten der Reha-Einrichtung. Ist ausreichend Platz für handwerkliche Werkstätten, für den Büroarbeitsbereich und für Außen- und Gartenanlagen? Oder sollen hauptsächlich externe Belastungserprobungen in regionalen Betrieben über zeitlich be-grenzte Praktika erfolgen? Welche Möglichkeiten bietet die Region? Welches Personal steht zur Verfügung, mit welcher Qualifikation und Spezialisierung? Alle diese Möglichkeiten und Inhalte sollten einfließen in das Arbeits- Ergotherapeutische Konzept einer Suchtfachklinik. Im Detail geht es dann um die allgemeinen Therapieinhalte. Welche psycho-sozialen Kontextfaktoren sollen berücksichtigt werden, im Sinne der übergeordneten Einteilung, mit oder ohne Arbeitsplatz.

Diese beiden großen Gruppen stellen unterschiedliche Anforderungen an die Therapieplanung, diese sollte ausreichend flexibel sein, um die unterschiedlichen Notwendigkeiten zu berücksichtigen. Die weitere individuelle Planung kann erst nach detaillierter Anamnese inklusive der Erwerbssituation erfolgen.

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Eine einfache Zuteilung von Arbeitsaufgaben im Klinikbetrieb zur Personaleinsparung und Struk-turerhaltung kann nicht als Arbeitstherapie gewertet werden. Welche therapeutischen Elemente können einen Anteil zur arbeitsbezogenen Reha haben? An erster Stelle steht die ausführliche Anamnese in den Bereichen: Körperlicher Status. Liegen chronische Leiden oder Behinderungen vor? Psychische Situation. Sozialer Kontext und berufliche Gegebenheiten. Hierbei geht es auch darum, zu analysieren, welche Befunde und Tatsachen einen Einfluss auf die Erwerbstätigkeit haben.

Auch hier sind die unterschiedlichen Berufsgruppen der Teams aufgefordert ihre jeweiligen Auswer-tungen zusammenzuführen und gemeinsam mit den Rehabilitanden Therapieziele in diesem Bereich zu formulieren und den Therapieplan zu erstellen. Nicht nur die konkrete Arbeits- Ergotherapie ist wichtig, auch die anderen Therapiebereiche müssen einbezogen werden. Bei körperlichen Einschränkungen muss darauf Rücksicht genommen werden oder durch ärztliche Behandlung oder über symptombezogene Physiotherapie eine Leistungsverbes-serung angestrebt werden. Ebenso ist bei kognitiven Einschränkungen ein entsprechendes Training zu veranlassen. Psychische Teilleistungsstörungen, wie interaktionelles Fehlverhalten, Angstreaktionen, Vermei-dungsverhalten, Insuffiziensgefühle und Versagensängste müssen erkannt und entsprechend thera-peutisch angegangen werden. Auch die Bereiche Kreativitätsförderung und Entspannungstraining haben in Bezug auf die Förderung beruflicher Leistungsfähigkeit einen wichtigen Stellenwert. In den Fachkliniken, die meist mit der DRV zusammenarbeiten, ist ein breites Spektrum von arbeits-therapeutischen Möglichkeiten vorzufinden. Es gibt den Einsatz in den Klinikbereichen: Hauswirt-schaft, Küche, Garten, Büro, Klinikwerkstätten für Holz, Metall oder andere Materialien, seltener Tierhaltung und Pflege.

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Keinesfalls sollten die Rehabilitanden nur eine kurze Arbeitseinweisung in die Aufgabenbereiche er-halten und dann überwiegend allein oder in Gruppen arbeiten. Der Arbeitseinsatz muss wie im Kon-zept beschrieben, gezielt geplant und begleitet werden. Die Beobachtungen, wie der Patient die Aufgabe plant und durchführt, seine Konzentration, Ausdauer, Sorgfalt und das Ergebnis müssen dokumentiert, ausgewertet und besprochen werden. Daraus ergibt sich die weitere Planung und Zielsetzung, dies sollte immer im Team aller beteiligten Berufsgruppen erfolgen. Da es nicht nur die Notwendigkeit gibt, die Rehabilitanden mit klassischen handwerklichen Fähigkei-ten zu testen und zu schulen, gibt es auch die Möglichkeit die vorhandenen Computer, nicht nur zur PC-Schulung für Bewerbungsmappen und zur Arbeitsplatzsuche zu nutzen, sondern auch für virtuelle Dienstleistungsprogramme im Rahmen der Arbeitstherapie. Manche Kliniken beschränken sich darauf, ihre innerbetrieblichen Möglichkeiten nur für die Phase der Diagnostik im Vorfeld weiterer Maßnahmen einzusetzen. Weitergehende Erprobungen erfolgen dann über Praktika, die im regionalen Umfeld möglich sind. Die Vorbereitungen dafür müssen durch die Therapeuten der Klinik erfolgen, eine Übergabe am Prakti-kumsplatz, notwendige Zwischenkontakte und die Schlussbewertung ebenso. Es gibt auch Versuche mit Verzahnungsprojekten mit den Berufsförderungswerken, wo die Patienten bereits während der Rehabilitation für 4 Tage eine arbeitspraktische Erprobung absolvieren. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten den Bereich arbeitsbezogene Maßnahmen inhaltlich zu füllen und kreative Innovationen sind möglich. Ein weiterer äußerst wichtiger Bereich ist die Planung und Einleitung weitergehender Maßnahmen. Diese können in Zusammenarbeit mit dem Reha-Berater der DRV erfolgen oder über direkte Kontakte zur Arbeitsagentur oder Arge. Hierfür ist die Zusammenstellung und Auswertung aller arbeitstherapeutischen Ergebnisse notwen-dig und hilfreich. Welche kognitiven Möglichkeiten bestehen in Zusammenhang mit der Konzentration, dem Umstel-lungs- und Anpassungsvermögen, wie ist das Reaktionsvermögen und das Planungs- und Strukturge-bungsverhalten. Wie ist die Motivation zur Eingliederung ins Berufsleben, sind arbeitsplatzbezogene Wünsche reali-sierbar? Liegt ein Rentenbegehren vor? Für alle diese Bereiche und eventuell noch weitere könnte ein Fragebogen erstellt werden, der ent-weder durch den Arbeits-/Ergotherapeuten der Klinik inhaltlich ausgefüllt wird oder gemeinsam mit dem zuständigen Praktikumsleiter bei Arbeitserprobungen in Betrieben. Bei der Auswertung dieser Angaben ergibt sich möglicherweise die Notwendigkeit für weitere Leis-tungen der DRV oder anderer Kostenträger. So könnte beispielsweise eine weitere Vertiefung in einer Adaption erfolgen. Es könnten Umschulungen, Qualifizierungsmaßnahmen oder Hilfen zur leidensgerechten Ausstattung eines Arbeitsplatzes nötig sein. Es könnte eine stufenweise Wiedereingliederung organisiert werden. Auch zur weiteren Stellenvermittlung sind die Ergebnisse der Arbeitstherapie von großer Bedeutung. Hier sollten bereits in der letzten Phase der Reha verstärkte Kontakte zur Arbeitsagentur oder den Argen erfolgen, auch zu deren medizinischen Dienst. Für Arbeitslose ist nicht nur die Erstellung einer Bewerbungsmappe sinnvoll, es sollte auch ein Be-werbungstraining erfolgen. Für Rehabilitanden, die über einen Arbeitsplatz verfügen, sollte wenn es regional möglich ist, eine Arbeitsplatzbegehung vorgenommen werden und vor Ort die leidensbezogene Optimierung geklärt werden. Wenn dies aus Entfernungsgründen nicht möglich ist, sollte eine andere Lösung gefunden werden. Für junge Menschen, die zum Teil keine abgeschlossene Schul- oder Berufsausbildung haben, müs-sen durch die Ergebnisse der arbeitstherapeutischen Maßnahmen Weichen für das künftige Berufsle-ben gestellt werden.

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Sind ausreichend kognitive Fähigkeiten vorhanden, die einen Schulabschluss in absehbarer Zeit er-möglichen, so sollte dieser angestrebt werden. Im anderen Fall oder bei schon vorhandenem Ab-schluss sollte eine Abklärung erfolgen, ob eine begonnene Berufsausbildung fortgesetzt werden kann oder ob ein anderer Beruf erlernt werden soll. Hier ist auch zu berücksichtigen, ob der Berufswunsch realistisch umgesetzt werden kann. Für Menschen, die durch ihre Erkrankungen oder aus anderen Gründen langfristig nicht am Erwerbs-prozess teilgenommen haben, sollte durch die erhobenen Befunde eine sozialmedizinische Einschät-zung vorgenommen werden, ob hier eine Rückkehr ins Arbeitsleben möglich wäre, wobei unberück-sichtigt bleibt, ob der allgemeine Arbeitsmarkt dies ermöglicht. Leider kann aber trotz aller medizinischer und therapeutischer Interventionen das Resultat der Reha-bilitation so sein, dass eine zeitweilige oder Dauerberentung erfolgen muss. Für alle weiterführenden Leistungen, aber auch generell, ist es von großer Wichtigkeit, dass die Do-kumentation aller Befunde, des Verlaufes und der Ergebnisse ausführlich dargestellt werden. Um die Nachhaltigkeit des Rehabilitationserfolges zu gewährleisten sind die detaillierten Angaben äußerst hilfreich und verringern die Schnittstellenproblematik. Auch beim Peer Review-Verfahren werden diese Inhalte ausgewertet. Aber in erster Linie ist es für den Rehabilitanden von großer Bedeutung, wie gut seine Rückkehr ins soziale und berufliche Umfeld vorbereitet und eingeleitet wurde. Die Berufstätigkeit ist ein enorm stabilisierender Faktor. Durch die wirtschaftliche Absicherung werden finanzielle Entscheidungsfrei-räume ermöglicht, Abhängigkeiten von anderen Personen oder Institutionen aufgehoben. Man ist Teil eines Sozialgefüges mit zwischenmenschlichen Kontakten, hat Aufgaben, kann Erfolg haben und Anerkennung bekommen. Es besteht eine Zeitstruktur und der Erfahrungshorizont wird erweitert. Je stabiler der Patient durch diese Bereiche gestützt ist, desto langfristiger kann er die Abstinenz vom Suchtmittel einhalten. Zum Abschluss habe ich noch kurz die Möglichkeiten der arbeitsbezogenen Maßnahmen aufgelistet. Marie-Luise Delsa, DRV Bund

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Befunderhebung und Diagnostik in der Arbeitstherapie mit dem Verfahren MELBA Renate Hylla / Stephan Peter-Höner, Fachklinik Fischer-Haus

Die therapeutische Arbeit in der stationären Suchtrehabilitation orientiert sich grundlegend am Absti-nenzziel und geht in der Folge davon aus, dass sich somit sowohl die Verbesserung / Wiederherstel-lung der Erwerbsfähigkeit (als übergeordnetes Behandlungsziel) als auch die gesundheitliche Situati-on und damit die Teilhabe an gesellschaftlichen Strukturen ermöglicht. Daher sind zwangsläufig ar-beitsbezogene Maßnahmen in der stationären Reha wesentlich und zielführend. Rehabilitationsziele werden auf mehreren Zielebenen erfasst und im Behandlungsprozess berücksichtigt; die arbeitsbe-zogenen Maßnahmen betreffen primär die Ebene der Aktivitäten und der Partizipation. In den evidenzbasierten Therapiemodulen „Arbeitsbezogene Leistungen für Arbeitslose und für Reha-bilitanten mit Arbeitsstelle“ (ETM 05a + ETM 05b) werden folgende therapeutische Inhalte beschrie-ben:

· Klärung des erwerbsbezogenen Potentials · Unterstützung der beruflichen Orientierung · Förderung der Eingliederung ins Erwerbsleben · Förderung der Grundarbeitsfähigkeit, sozialer Fähigkeiten und des Selbstbilds

Moderne, qualitätsorientierte Suchttherapie muss Strukturen vorhalten, die eine indikationsgeleitete und individualisierte Behandlung der Patienten ermöglichen. Die arbeitstherapeutische Abteilung einer Einrichtung ist, im Rahmen der Gesamtverantwortung der medizinisch – therapeutischen The-rapieleitung, verantwortlich für die einschränkungsangepasste und fähigkeitsfördernde Arbeitsthera-pie, die innerhalb der Therapiesteuerung festgelegt wird. In der Fachklinik Fischer-Haus wurde das standardisierte Verfahren MELBA 2005 nach eingehender Schulung der Multiplikatoren begonnen und bis 2007 für alle arbeitstherapeutische Bereiche imple-mentiert. Inhaltliche Struktur:

1. Vorstellung des Suchthilfenetzwerks der Fachklinik Fischer-Haus 2. AT – Bereiche der FK Fischer-Haus 3. Melba – Theoretische Grundlagen 4. Merkmale des Anforderungs- und Fähigkeitsprofils 5. Anwendung von Melba für Behandlung und Dokumentation 6. Strukturiertes Vorgehen in der Arbeitsdiagnostik 7. Weitere Informationen

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1. Vorstellung des Suchthilfenetzwerks der Fachklinik Fischer-Haus

SuchthilfenetzwerkFischer-Haus e. V. und Förderverein zur Wiedereingliederung Suchtkranker e. V.

Fachklinik Fischer-Haus

Rehabilitation für

suchtkranke Männer

55 Behandlungsplätze

Sitz

Fischer-Haus e.V.

76571 Gaggenau-

Michelbach

Mönchkopf-

straße 21

Tel. 07225/97440

Fax 07225/974488

Betreutes Wohnen der Fachklinik Fischer-Haus

15 Wohnplätze

76437 Rastatt

Schillerstraße 5

Tel. 07222/150974

Fax 07222/914258

Sozialtherapeutische Übungswerkstatt

Förderprojekt

Europäischer Sozialfonds

11 Plätze

76437 Rastatt

Schillerstraße 5

Familienorientierte Suchtprävention

Förderprojekt

Landesstiftung Baden-Württemberg

Suchtberatung

Kooperation mit dem Diakonischen Werk im

Ortenaukreis, Achern

77855 Achern

Allerheiligenstraße 28

Förderverein zur Wiederein-gliederungSuchtkranker e.V.

8 Arbeitsplätze

76571 Gaggenau-Michelbach

Mönchkopfstraße 21

Tel. 07225/974445

Fax 07225/974489

Ambulante Rehabilitation für Suchtkranke

Kooperation mit dem

Diakonischen Werk

Karlsruhe

76011 Karlsruhe,

Stephanienstraße 98

Tel. 0721/167292

StationäreRehabilitation

BetreutesWohnen

PräventionSuchtberatung

AmbulanteRehabilitation

Arbeitstraining Arbeitsplatz

EhrenamtEhrenamt

Ehrenamt

2. Arbeitstherapeutische Bereiche der FK Fischer-Haus

• Garten- und Landschaft – 1,0 Stelle (Handwerk + Arbeits/Berufstherapeut) • Hausmeisterei (Metall) – 0,6 Stelle (Handwerk + Arbeits/Berufstherapeut) • Hauswirtschaft – 0,8 Stelle (Ökotrophologin + Arbeits/Berufstherapeutin) • Küche – 1,0 Stelle (Hauswirtschaftsleiterin + Arbeits/Berufstherapeutin) • Schreinerei – 1,0 Stelle (Handwerk + Erzieher am Arbeitsplatz) • Übungswerkstatt (extern) – 1,0 Stelle (Ergotherapeutin)

• Zusätzliche Therapiebereiche: Kunst-/Ausdrucks-/Kreativitäts-/Beschäftigungstherapie

3. MELBA – theoretische Grundlagen MELBA: „Merkmale zur Eingliederung Leistungsgewandelter und Behinderter in Arbeit“ Mit diesem Verfahren können die Fähigkeiten eines Rehabilitanden und die Anforderungen der Tätig-keiten dokumentiert werden. Dazu wird je ein Fähigkeitsprofil und ein Anforderungsprofil bereitgestellt. Der Vergleich dieser beiden Profile durch den Profilvergleich ermöglicht eine fähigkeitsadäquate Platzierung des Rehabilitanden. Das Anforderungs- und Fähigkeitsprofil bestehen aus 29 klar definierten Merkmalen, die auf einer fünfstelligen Skala beurteilt werden. Mit dem Anforderungsprofil können, unabhängig von Bereich und Branche, die Anforderungen aller Tätigkeiten beschrieben werden. Das Fähigkeitsprofil beschreibt die Fähigkeiten der Person. Dieses Verfahren hat ab 2003 zunehmend mehr Beachtung in der Suchtrehabilitation gefunden.

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Für die Patientengruppe der FK Fischer-Haus (suchtkranke Männer mit meist erheblicher sozialer Belastung wie Langzeitarbeitslosigkeit, desolates soziales Umfeld, Verschuldung etc.) mussten wir dieses Verfahren adaptieren, um es zum Einen zielführend einsetzen zu können, zum Anderen um den Aufwand möglichst bewältigbar zu halten. 4. Merkmale des Anforderungs- und Fähigkeitsprofils Folgende 29 Items (Schlüsselqualifikationen) dienen als Bewertungsgrundlage, die sowohl der Reha-bilitand als auch der Behandler einschätzt. In der FK Fischer-Haus haben wir für unsere therapeuti-sche Arbeit die hervorgehobenen Items als wesentlich identifiziert und in unseren Erhebungen be-rücksichtigt:

• Antrieb/Arbeitsplanung/Auffassung/Aufmerksamkeit/Ausdauer/Durchsetzung/Feinmotorik/ Führungsfähigkeit/Kontaktfähigkeit/Konzentration/Kritikfähigkeit/Kritische Kontrolle/ Kriti-sierbarkeit/Lernen/Merken/Lesen/Misserfolgstoleranz/Ordnungsbereitschaft/Problemlö-sen/Pünktlichkeit/Reaktionsgeschwindigkeit/Rechnen/Schreiben/Selbstständigkeit/Sorgfalt/ Sprechen/Teamarbeit/Umstellung/ Verantwortung/Vorstellung

• (siehe auch Anlage: Selbsteinschätzungsbogen) Die Anforderungsprofile ermöglichen:

• Den Vergleich verschiedener Arbeitsplätze hinsichtlich ihrer Anforderungen • Die Gestaltung einer Tätigkeit entsprechend einer gewünschten Anforderungsstruktur • Die Systematische Kommunikation über diese Struktur • Die Standardisierte Dokumentation

Die Fähigkeitsprofile Selbsteinschätzung, 1. Einschätzung und 2. Einschätzung, ermöglichen:

- Feststellung des Selbstbilds des Patienten - Feststellung der Fähigkeiten zu Beginn der Behandlung - Feststellung der Fähigkeiten zum Schluss der Behandlung - Feststellung der Fähigkeiten in der verschiedenen Arbeitsbereichen - Erstellung eines Profilverlaufs zum Dokumentieren der Entwicklung des Patienten

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MELBA im Überblick:

5. Anwendung von Melba für Behandlung und Dokumentation Vorgehensweise im arbeitsdiagnostischen Prozess: Schritt 1: Erstellen einer Arbeits- und Berufsanamnese (Patient mit Unterstützung durch den Ar-beitstherapeuten):

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Beruflicher Lebenslauf Arbeits- und Berufsanamnese Name: Gruppe: Therapeut: Geburtsdatum: Kostenträger: Therapiebeginn: Therapieende: Abschluss Schulbildung Von Bis ja nein Abschluss Berufsausbildung / Umschulung Von Bis ja nein weiterer Lebenslauf Arbeitszeiten Firma Art der Tätigkeit von bis Arbeitslosenzeiten Krankheitszeiten Grund Von Bis Grund Von bis

Therapien Haft Wo Dauer Wann Abstinent

bis Grund Dauer Wann

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Fragen zur letzten Arbeitsstelle Letzte versicherungspflichtige Tätigkeit (Angabe Monat / Jahr):

Beschreibung der Arbeit:

Was lief gut Was lief schlecht Arbeitszeit

Grund der Beendigung

Was möchte ich durch die Arbeitstherapie bei mir selbst verändern oder verbessern?

Hier ankreuzen ( ca. 3 Ziele ) ( ) ich möchte eine Arbeit anfangen und zu Ende bringen Antrieb ( ) ich möchte eintönige Arbeiten ausdauernd durchführen Ausdauer ( ) ich möchte mich bei der Arbeit nicht ablenken lassen Konzentration ( ) ich möchte Kritik über meine Arbeit aushalten und prüfen können Kritisierbarkeit ( ) ich möchte Arbeiten, die nicht geklappt haben, noch einmal machen Misserfolgstoleranz ( ) ich möchte meinen Arbeitsplatz in Ordnung halten Ordnungsbereit-schaft ( ) ich möchte die vereinbarten Arbeits- und Pausenzeiten einhalten Pünktlichkeit ( ) ich möchte eigenständig einen Arbeitsauftrag durchführen Selbständigkeit ( ) ich möchte mit allen Kollegen zusammenarbeiten können Teamarbeit Ich habe folgende körperliche Einschränkungen: So behindern sie mich in der Arbeit (kurze Beschreibung)

Private Situation Wohnsituation

Familie

Freunde

Finanzen

Wer hat die Therapie angeregt?

Konkrete Vorstellung wie es nach der Therapie weitergeht? Arbeit

Wohnen

Freizeitgestaltung

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Und eines Selbsteinschätzungsbogens (durch den Patienten): Anmerkung: Der (Orginal) MELBA – Bogen sieht 5 Antwortmöglichkeiten vor. Wir haben uns für 4 Möglichkeiten entschieden, da wir die Erfahrung machten, dass viele Patienten den mittleren Wert wählten und sich somit nicht entscheiden konnten (wollten).

Name: Datum:

AT-Bereich: 1: stark eingeschränkte Fähigkeit 1 2 3 4 4: überdurchschnittliche Fähigkeit

1 Antrieb Ich fange kaum von alleine an und brauche einen Anstoß von außen.

O O O O Ich bin zielstrebig, antriebsstark und werde leicht selber aktiv.

2 Arbeits-planung

Mir muss man genau sagen, wie ich vorgehen soll.

O O O O Ich plane alle einzelnen Arbeitsschritte selbstständig.

3 Auffassung Ich brauche lange um zu begreifen, was für eine Aufgabe wichtig ist.

O O O O Auch unter Stress nehme ich wahr, was für meine Aufgaben wichtig ist.

4 Aufmerk-samkeit

Was neben meiner Arbeit passiert, merke ich nicht.

O O O O Ich bekomme alle wichtigen Ereignisse in meiner Arbeitsumgebung mit.

5 Ausdauer Ich lasse mich leicht ablenken und brauche viel Abwechslung in der Ar-beit.

O O O O Ich kann eintönige Arbeiten auch ohne Abwechslung über Tage hinweg durch-halten.

6 Durch-setzungs-vermögen

Ich gehe Konflikten aus dem Weg. O O O O Ich setze in Konflikten eigene Interessen und Forderungen durch.

7 Feinmotorik Ich kann nur grobe Arbeiten ausfüh-ren.

O O O O Ich kann vorsichtig und geschickt feine Arbeiten mit den Fingern ausführen.

8 Führungs-fähigkeit

Ich mache nur, was mir gesagt wird. O O O O Ich überblicke und treffe Entscheidungen auch für andere.

9 Kontakt-fähigkeit

Ich spreche niemanden an und will auch nicht angesprochen werden.

O O O O Kontakte zu Fremden aufnehmen, sie zu beruhigen oder zu beraten, fällt mir leicht.

10 Konzen-tration

Ich lasse mich leicht von der Arbeit ablenken.

O O O O Ich kann mich auf meine Arbeit konzent-rieren, auch wenn ich gestört werde.

11 Kritik-fähigkeit

Ich kritisiere entweder zuviel oder gar nicht.

O O O O Es fällt mir leicht, andere in angemesse-ner Weise auf Fehler hinzuweisen.

12 Kritische Kontrolle

Ich merke nicht, ob ich meine Arbeit schlecht oder gut ausführe.

O O O O Ich merke sofort, ob ich meine Arbeit gut oder schlecht mache.

13 Kritisier-barkeit

Kritik von anderen kann ich nicht gut annehmen und umsetzen.

O O O O Ich kann mit Kritik gut umgehen und da-rauf angemessen reagieren.

14 Lernen/ Merken

Neue Arbeitsabläufe merke ich mir nur sehr langsam.

O O O O Auch komplizierte neue Arbeitsabläufe kann ich mir über lange Zeit merken.

15 Lesen Ich kann nicht lesen. O O O O Ich kann gut lesen.

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16 Misser-folgstoleranz

Ich gebe schnell auf, wenn etwas schief geht.

O O O O Wenn alles schief geht, fange ich von vorne an.

17 Ordnungs-bereitschaft

Mein Arbeitsplatz ist immer chaotisch. O O O O Meine Arbeitsmittel und Materialien sind immer gepflegt und sortiert.

18 Problem-lösen

Auch kleinste Schwierigkeiten über-fordern mich.

O O O O Auch bei neuen und komplizierten Schwierigkeiten finde ich schnell Lösun-gen.

19 Pünktlich-keit

Ich komme fast nie zur richtigen Zeit. O O O O Ich halte alle Termine genau ein.

20 Reaktions-geschwindig-keit

Ich reagiere eher langsam. O O O O Ich reagiere schnell, auch wenn vieles auf einmal passiert.

21 Rechnen Ich kann zählen. O O O O Ich beherrsche die Grundrechenarten sicher.

22 Schreiben Ich kann nicht schreiben. O O O O Ich kann flüssig und richtig schreiben.

23 Selbst-ständigkeit

Ich brauche viel Anleitung und treffe keine eigenen Entscheidungen.

O O O O Ich arbeite und entscheide selbstständig.

24 Sorgfalt Ich arbeite eher schlampig und unge-nau.

O O O O Ich arbeite stets exakt und sorgfältig.

25 Sprechen Meine Aussprache ist schwer ver-ständlich.

O O O O Meine Aussprache ist klar und deutlich.

26 Teamarbeit Ich kann nur alleine arbeiten. O O O O Ich arbeite gut und gerne mit anderen zusammen.

27 Umstellung Ich stelle mich nur sehr langsam auf neue Arbeiten ein.

O O O O Ich stelle mich schnell und flexibel auf neue Arbeiten ein.

28 Verant-wortung

Ich übernehme ungern Verantwortung für Aufgaben und Menschen.

O O O O Ich übernehme sehr gerne Verantwor-tung für Aufgaben und Menschen.

29 Vorstellung Ich brauche klare Vorgaben über den Ablauf und das Ziel meiner Arbeit.

O O O O Ich kann auch auf unklare Ziele hinarbei-ten und mir die nötigen Arbeitsabläufe selber vorstellen.

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Schritt 2: Erstellen eines Beobachtungsbogens (Arbeitstherapeut) als fortlaufende Dokumentation AT - Dokumentation TOP 1 Datum

Ausbildung letzte Tätigkeit

Arbeitslos/gearbeitet Ziel:

Name: von: bis: verlängert:

Einschränkungen: 01( ) voll leistungsfähig 12( ) keine Arbeit an Maschinen 13( ) überwiegend im Sitzen 14( ) keine Arbeit mit Chemikalien 15( ) ohne häufiges Heben u. Tragen v. Lasten 16( ) ohne volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände 17( ) leichte / mittelschwere Arbeit 18( ) ohne überwiegend einseitige Körperhaltung 19( ) ohne häufiges Bücken 20( ) nicht auf Gerüsten und Leitern 21( ) nicht überwiegend im Freien

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Schritt 3: Bearbeitung des Erhebungsbogens, hier fließen die Daten von den oben genannten Ar-beitsschritten zusammen

Erhebungsbogen: Nr. TOP 2 Item 1 2 3 Bemerkungen, Besonderheiten

1 TOP 3 Antrieb

2 TOP 4 Arbeitsplanung

3 TOP 5 Auffassung

4 TOP 6 Aufmerksamkeit

5 TOP 7 Ausdauer

6 TOP 8 Durchsetzung

7 TOP 9 Feinmotorik

8 TOP 10 Führungsfähigkeit

9 TOP 11 Kontaktfähigkeit

10 TOP 12 Konzentration

11 TOP 13 Kritikfähigkeit

12 TOP 14 Kritische Kontrolle

13 TOP 15 Kritisierbarkeit

14 TOP 16 Lernen/Merken

15 TOP 17 Lesen

16 TOP 18 Misserfolgstoleranz

17 TOP 19 Ordnungsbereitschaft

18 TOP 20 Problemlösen

19 TOP 21 Pünktlichkeit

20 TOP 22 Reaktionsgeschwindig-

keit

21 TOP 23 Rechnen

22 TOP 24 Schreiben

23 TOP 25 Selbstständigkeit

24 TOP 26 Sorgfalt

25 TOP 27 Sprechen

26 TOP 28 Teamarbeit

27 TOP 29 Umstellung

28 TOP 30 Verantwortung

29 TOP 31 Vorstellung

1: Selbsteinschätzung (sofort vom Patienten auszufüllen) 2: 1. Fremdeinschätzung (nach ca. 2 Wochen vom Arbeitstherapeuten zu erstellen) 3: 2. Fremdeinschätzung (zum Ende in jedem AT-Bereich vom Arbeitstherapeuten zu erstellen

Schritt 4: Fähigkeitsprofil anlegen im Melbaprogramm, dieses ergibt sich aus dem Erhebungsbogen Schritt 5: Profilvergleich durch das Melbaprogramm, in dem mind. 2 zu unterschiedlichen Messzeit-punkten erhobene Fähigkeitsprofile, die im Programm angelegt werden, verglichen werden. Weitere Nutzung der Ergebnisse für den Rehaverlauf (Fallbesprechungen, sozialmedizinische Bewertungen, Teil der Abschlussberichte).

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6. Strukturiertes Vorgehen in der Arbeitsdiagnostik AT – Prozessbeschreibung, Einbindung der AT in den rehamedizinischen Prozess incl. MELBA (aus dem Qualitätshandbuch der FK Fischer-Haus) 1. Zweck und Ziel

Diese Ablaufbeschreibung regelt die organisatorischen und strukturellen Aspekte der arbeits-therapeutischen Behandlung. Ziel ist die Festlegung diagnostischer und therapeutischer Schritte und ihrer Zeitpunkte sowie die Beschreibung von Schnittstellen zur Therapiesteue-rung.

2. Zuständigkeit

Verantwortlich für die Erstellung, Aktualisierung, Anwendung und Einweisung der betroffenen Bereiche ist der Prozessverantwortliche für den Bereich Arbeitstherapie (Therapieleitung).

3. Verteiler / Geltungsbereich

Folgende Fachbereiche sind von dieser Ablaufbeschreibung betroffen und erhalten eine Er-stellungs-/Änderungsinformation dieser Ablaufbeschreibung: a) Arbeitstherapie b) Psychotherapie c) Leitung

4. Dokumentation

Folgende Dokumentationsunterlagen sind im Rahmen der Arbeitstherapie zu erstellen / zu bearbeiten: a) Fragebogen Arbeitsanamnese (BAA) (Anlage 1) b) Selbsteinschätzungsbogen (Anlage 2) c) Arbeitsschutz Ersteinweisung (Anlage 4) d) Infos und Regeln Arbeitstherapie (Anlage 5)

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Ablaufdiagramm

110//111

120//100

110//111

120//100

MELBA

50 (nächster Di. nach Aufnahme - erster AT-Einsatz) Erstgespräch AT: Über Regeln und- Ar-beitszeiten informieren. Fragebögen werden be-arbeitet sowie dokumentiert(AT).

60 In den Arbeitsplatz einweisen und Sicherheits-belehrung geben; wenn nötig: Anforderungsprofil auswählen (AT)

110 AT durchführen, bei Bedarf int./ext. Praktikum durchführen (AT), ermittelte Fähigkeiten fördern

82 Rückmeldung über Frem-deinschätzung an Patient ge-ben (AT) -in AT-Besprechung in GT/ET -direkt mit Patient in AT

B1 Therapiesteuerung: Pati-ent in AT zuteilen (Therap. Leitung)

90 Patient für AT-Bereich

geeignet? (AT)

83 Einschätzung an Med., Leitung, Einzeltherapeut weitergeben (AT) in FaKo

ja

nei

n

80 Leistungsfähigkeit prüfen (ggf. im Rahmen von Praktika); Fähigkeits- mit Anforderungsprofil

vergleichen, zu fördernde Fähigkeiten ermit-teln(AT)

Fragebogen BAA

D10 Sicherheits-management

B1 (FaKo)

Selbst-einschätzungsbogen

100 In Therapie-steuerungskonfe-renz AT-Zuteilung entscheiden (alle ATen) B1

111 nach ca. 6-8 Wochen zweites Fähigkeitsprofil erstellen und mit erstem Fähigkeitsprofil vergleichen (AT)

MELBA

MELBA

MELBA

70 Arbeit beobachten; (spätestens 3. Woche im AT-Bereich) Fähigkeitsprofil ausfüllen, mit Selbsteinschätzung vergleichen

Fähigkeitsprofil

Fähigkeitsprofil / Profil-verlauf (MELBA)

Vorber AT-Bespr.

PATFAK Aufnahmeblatt III Medi-zin (Leistungsbild)

Arbeitsschutz Ersteinweisung

Infos und Regeln Arbeitstherapie

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(AT) = Arbeitstherapeutin/Arbeitstherapeut; (BT)= Bezugstherapeut; (FaKo) = Fallkonferenz

Mit der Implementierung von MELBA und der konsequenten Durchführung konnten wir nicht nur ein klareres Fähigkeitenprofil ermitteln, sondern auch frühzeitig im therapeutischen Prozess auf der Grundlage eines standardisierten Verfahrens Rückmeldungen in Fallbesprechungen und schließlich wertvolle Informationen für die sozialmedizinische Epikrise ergänzen. Mit MELBA haben in unserer Fachklinik die weitergebildeten Arbeits- und Ergotherapeuten ein In-strument an die Hand bekommen, was auch diese spezifische Berufsgruppe im Bereich „Arbeitsbezo-gene Leistungen in der Suchtrehabilitation“ aufwertet. Da in der stationären Rehabilitation in der Regel Menschen mit fortgeschrittenen und meist chronifi-zierten Suchtentwicklungen behandelt werden, bedarf es für Arbeitslose als auch für Patienten mit Arbeit arbeitsbezogene Behandlungsformen (Arbeitstherapie/Ergotherapie/ Arbeitserprobungen), die möglichst alle Aspekte der beruflichen Realität simulieren können. MELBA ist hierbei eine wertvolle Unterstützung.

130 Abschlussgespräch AT: Profilvergleich und Ein-schätzung dem Patienten zurückmelden, Behandlung bilanzieren (AT)

nei

n

ja

Patfak: Arbeits-therapie

140 AT-Bericht schrei-ben (AT)

C1 Nr. 60

120 nach 8 Wochen AT-Zeit bei Patient und AT-Konferenz AT-Wechsel ankündigen (AT)

MELBA

115 letzter AT-Platz innerhalb

der Behandlung? (AT)

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7. Weitere Informationen Fachklinik Fischer-Haus [email protected] [email protected] oder direkt über

Miro GmbH, Lich, www.miro-gmbh.de Software, Schulungen, Support Hinweis: Der Einsatz von MELBA erfordert eine qualifizierte Schulung und Einarbeitung. Fachklinik Fischer-Haus Renate Hylla, Ökotrophologin, Arbeitstherapeutin Stephan Peter-Höner, Dipl. Sozialpädagoge, Sozialtherapeut, Therapeutischer Leiter

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MOHO Das „Model of Human Occupation“ als Grundlage arbeitstherapeutischer Konzepte Petra Köser, ETOS

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Das Modell menschlicher Betätigung, das in den 1980er Jahren erstmals durch Prof. Dr. Gary Kiel-hofner (University of Illinois, Chicago) in den USA veröffentlicht wurde befasst sich detailliert mit den Zusammenhängen der Betätigungsfunktionen und Dysfunktionen eines Menschen und bot daher eine ideale theoretische Grundlage für ein Projekt, das 1999 durch den BUSS in Auftrag gegeben und durch Frau Christiane Mentrup (Leiterin des Instituts für Ergotherapie Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW)) und mich entwickelt wurde. Die Projektziele:

· Strukturierung von Befunderhebung und Dokumentation in den arbeitstherapeutischen Abtei-lungen

· Bundesweite Vereinheitlichung von Terminologie, Befunderhebung und Dokumentation · Individuelle und optimale Förderung von Klienten im Bereich der arbeitstherapeutischen Ver-

fahren · Berücksichtigung aktueller Entwicklungen innerhalb der Gesellschaft und der Institutionen

für Suchthilfe An den Schulungsmodulen in ganz Deutschland nahmen seit 2002 arbeitstherapeutische Teams aus 26 Institutionen teil.

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Für ein modernes arbeitstherapeutisches Konzept lassen und ließen sich vielfältige bestimmende Faktoren aus verschiedenen Bereichen identifizieren bzw. müssen berücksichtigt werden. Gesellschaftliche Faktoren: Wir leben in einer Zeit des Paradigmenwechsels. Unser Gesundheitssystem und unsere Arbeitsge-sellschaft sind ständigem Wandel unterworfen. Die Politik rückt andere Themen in den Vordergrund. Ob es die verabschiedete Behindertenrechtskonvention ist oder das Propagieren der Eingliederung von Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Messlatte wird hoch gehängt. Der Begriff der Teilhabe ist schon bei vielen verinnerlicht, auch durch die zunehmende Einführung der ICF. Einer der wichtigen Faktoren sind die veränderten demographischen Ausgangsbedingungen z.B. die wachsende Anzahl von Menschen, die langfristig arbeitslos sind oder die nur gemindert erwerbstätig werden können, oder auch die alternde Gesellschaft mit ihren multikulturellen Aspekten. In der gesellschaftlichen Welt der sozialen Werte finden sich zunehmend personenzentrierte oder wir sagen auch klientenzentrierte Ansätze in der Therapie und Rehabilitation. Das Individuum rückt in den Mittelpunkt mit der Anforderung an eine differenzierte Analyse aller bestimmenden Faktoren. Eben auch aller Umweltfaktoren eines Menschen. Diese gewünschte Komplexität der Betrachtung drückt sich auch durch die geforderte flächendeckende Einführung der ICF aus. In der Finanzierung von Rehabilitationsleistungen kommt es zu weiteren Einschnitten. Maßnahmen müssen immer besser begründet sein, therapeutische Prozesse in ihrem Ablauf und Erfolg immer professioneller dokumentiert werden. Die angewandte Terminologie gewinnt an Bedeutung. Die Effi-zienz muss nachgewiesen werden. Traditionelle Konzepte der Arbeitstherapie in Kliniken werden kri-tisch hinterfragt und z.T. rigoros abgelehnt. Ambulante Formen der Therapie werden (auch aus Kostengründen) präferiert. Die Schnittstellen zwi-schen stationärer und ambulanter Versorgung sind oft noch nicht gut gestaltet. Gegenüber den Kostenträgern aber auch im Rahmen der internen Qualitätssicherung werden einer-seits standardisierte Prozesse gefordert, gleichzeitig soll jedoch bei gleich bleibenden Ressourcen sehr flexibel und klientenzentriert gearbeitet werden. Für jeden Patienten das richtige therapeutische Päckchen packen. Ist das machbar?

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Auf der institutionellen Ebene spielen die vorhandenen Strukturen und dazugehörigen Prozesse eine Rolle. Hier sind die Formen der Zusammenarbeit oder auch das Dokumentationssystem wichtige Un-terpunkte bezogen auf die gesamte Institution aber auch speziell bezogen auf arbeitstherapeutische Abteilungen. Personelle Faktoren wie der Stellenschlüssel aber auch die Frage, ob die vorhandene berufliche Qua-lifikation ausreicht um die anstehenden Aufgaben zu erfüllen müssen Berücksichtigung finden. Bezogen auf die Klientenstruktur ist besonders relevant, welche Arbeitsperspektive die Klienten an-streben oder wie leistungsstark Klienten sind und welche Förderangebote sie daher benötigen oder wo und wie weit sie gefordert werden können. Denn oft liegt die Problematik weniger darin genügend einfache Handlungen anbieten zu können, sondern in der Schwierigkeit anspruchsvolle, fordernde Aufgabenstellungen mit ernsthaftem Arbeitscharakter bieten zu können. Welche arbeitstherapeuti-schen Handlungsfelder bietet eine Einrichtung und entsprechen diese z.B. den aktuellen Anforderun-gen des Arbeitsmarktes? Individuelle Faktoren lassen sich auf der Klientenebene, wie auf der Therapeutenebene beschreiben und berücksichtigen. Welche Qualifikation liegt vor, welche Arbeitsbelastung existiert, wie hoch ist die Arbeitszufriedenheit oder auch Motivation sich auf die neuen Herausforderungen einzustellen bzw. umzustellen. Und wie sieht es denn aus mit der Bereitschaft von Klienten aktiv an einem individuellen Prozess mit-zuarbeiten z.B. selbst Ziele festzulegen und sie aktiv zu verfolgen?

Um der komplexen Anforderung gerecht zu werden, ein tragfähiges differenziertes Bild der Arbeits-therapie entwickeln zu können, entschieden wir uns damals das MOHO als theoretischen Bezugsrah-men zu wählen. Der Einsatz eines solchen ergotherapeutischen Modells ermöglicht eine gezielte Befunderhebung und Dokumentation, bietet ein Maß an Standardisierung auch durch die angewandte Terminologie, was aus qualitätssichernden Gründen erwünscht war. Wie die meisten angelsächsischen ergotheapeutischen Modelle geht dieses Modell davon aus, dass die Person, die Betätigung und die Umwelt gleichermaßen auf den handelnden Menschen Einfluss nehmen und in enger Interaktion miteinander stehen. Immer wenn ein Mensch handelt, sind aus er-gotherapeutischer Sicht Person, Betätigung und Umwelt relevant.

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Dabei berücksichtig das Modell konsequent eine klientenzentrierte Sichtweise und daraus werden auch entsprechende therapeutische Vorgehensweisen abgeleitet.

Die Unterteilung der Betrachtungsweise in diese drei Oberkategorien (Volition, Habituation und Per-formanzvermögen) ermöglichen einen analytischen Blick darauf, was Menschen zum Handeln moti-viert bzw. sie handlungsfähig, in unserem Falle in der Regel im Rahmen von Arbeit werden lässt bzw. welche Dysfunktionen in der Betätigung sich zeigen und wie sie ggf. zu begründen sind. Unter Volition wird hier verstanden, dass wir alle Muster von Gedanken und Gefühlen über uns als handelnde Personen gebildet haben, die entscheidend dafür sind, ob wir in einer Situation aktiv wer-den und mit welchem Engagement. Es ist individuell unterschiedlich welchen Wert wir Aktivitäten beimessen, wie fähig oder effektiv wir uns selbst erleben und wie stark unser Interesse ist, sich mit gerade dieser Aktivität auseinanderzusetzen. Unser Alltag ist geprägt von kleineren Aktivitätswahlen, wie z.B. sich jetzt genau ein gesundes Frühstück für den Arbeitsplatz vorzubereiten oder aber auch von größeren Betätigungswahlen z.B. eine längerfristige Fortbildung anzugehen, um berufliche Chan-cen langfristig zu sichern. Menschen, die in diesem Bereich Dysfunktionalität aufweisen zeigen Probleme in ihrem Arbeitshan-deln. Daraus resultieren Zielsetzungen im Rahmen der Arbeitstherapie: z.B. das Ziel eigene Fähigkeiten zu erkennen, eine realistische Selbsteinschätzung zu entwickeln oder den Wert einer regelmäßigen Arbeit in Zusammenhang mit einer Suchtproblematik zu erkennen. Das zweite sog. Subsystem die Habituation bezieht sich darauf, dass wir Menschen die Tendenz haben unsere Handlungen zu schematisieren. Wir bilden im Laufe unseres Lebens immer mehr Routinen und Gewohnheiten aus, die es uns ermöglichen bestimmte Rollen einzunehmen und uns in bekannten Umgebungen schnell zu Recht zu finden. Wir entwickeln Rituale, die immer wieder kehren und nutzen diese Automatismen effektiv aus. Nur dadurch erhalten wir Raum für z.B. neue Aufgaben, die uns im Leben begegnen. Die Habituation von Klienten ist unter dem Aspekt der Sucht in der Regel dysfunkti-onal. So haben sich über den Suchtmittelgebrauch inadäquate Gewohnheitsstrukturen aufgebaut z.B. im Tagesablauf. Die Fähigkeit sich routiniert zurechtzufinden leidet zunehmend - es tritt ein Fähigkeits-

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verlust ein. Rollen werden nicht mehr adäquat ausgefüllt, z.B. kommt es zu zunehmenden Konflikten am Arbeitsplatz. Im Laufe einer "Suchtkarriere" kommt es nicht selten zu erheblichen Rollenverlus-ten. Die des Arbeitnehmers gehört dazu. Therapeutische Ziele greifen dann z.B. die Auseinandersetzung mit Rollenskripten auf oder es werden gesundheitsförderliche Gewohnheitsstrukturen angestrebt, die in der Regel dadurch gekennzeichnet sind, dass eine Balance zwischen den Lebensbereichen Arbeit, Freizeit und Selbstversorgung herrscht. Im Performanzvermögen drückt sich aus, wie fähig ein Mensch ist. bzw. welche Fähigkeiten in wel-chem Ausmaß zu einem effektiven Handeln führen. Die motorischen Fertigkeiten beziehen sich auf körperliche Funktionen, die prozesshaften Fertigkei-ten beschreiben die Fähigkeit einen Handlungsablauf aufrecht zu erhalten, indem ich Reihenfolgen einhalte, adäquate Mittel wähle und auch Störungen selbst bewältigen kann. Kommunikations- und Interaktionsfertigkeiten beziehen sich auf die Fähigkeit mit anderen zu kommunizieren bzw. sich im Rahmen von Handlungen mit anderen austauschen zu können. Gemeinsam mit anderen tätig sein zu können. Hier liegt ein großes Zielgebiet auch für die Arbeitstherapie, wenn es darum geht Schwierigkeiten in den prozesshaften Fertigkeiten zu identifizieren und ggf. Lösungs- oder Bewältigungsstrategien zu entwickeln und einzuüben oder soziale Fähigkeiten z.B. im Rahmen von arbeitsbezogenen Teams zu trainieren oder zu erwerben.

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Im MOHO wird ein enger Zusammenhang zwischen dem Menschen, seiner Umwelt und der Betäti-gung betrachtet. Der kulturelle Umweltaspekt wird hier als alles durchdringendes Element gesehen. Unsere Kultur beinhaltet Annahmen, Wahrnehmungen, Werte, Normen, Sitten und Gebräuche, die von allen oder großen Teilen der Gesellschaft geteilt werden und informell immer mit einbezogen werde. Als Umweltaspekte werden im MOHO die Soziale wie auch die räumliche Umwelt mit verschiedenen Unterpunkten berücksichtigt. Wenn Umweltmöglichkeiten und Umwelterfordernisse mit den Voraussetzungen eines Menschen übereinstimmen, kann diese einen optimalen Grad an Leistung zeigen. Im MOHO geht es also beson-ders um die Passung der Umwelt und der Person mit ihren individuellen Voraussetzungen. Es gibt keine pauschal gute oder schlechte Umwelt. Oft muss die Gestaltung der Umwelt in die Zielsetzung einbezogen werden, da nur so ein Erfolg der Rehabilitation gewährleistet werden kann.

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Die Betrachtung des Klienten vor seinem Lebenshintergrund durch die Anwendung eines Modells wie dem MOHO deckt sich in hohem Maße mit der Anforderung in einem Bezugsrahmen wie der ICF zu denken und therapeutische zielgerichtet zu handeln. Auch hier stellen sich Fragen nach Ausmaß und Vorhandensein von Betätigungsfunktion. z.B. Befun-derhebung zur Körperfunktion eines Klienten in der ICF beinhaltet dies ja z.B. auch die Fähigkeiten Handlungsprozesse aufrecht zu erhalten. z.B. durch die mentalen und motorischen Funktionen. In der Befunderhebung geht es ebenso darum welche Aktivitäten ein Mensch im Leben durchführt z.B. welche Gewohnheiten verfolgt ein Mensch täglich und in welchen Rollen nimmt er aktiv am Gesell-schaftlichen Leben teil. Der Aspekt der Teilhabe. Auch die ICF fragt nach der Passung von Umweltfaktoren oder dem Einfluss personenbezogener Fak-toren. Ein individueller Ansatz wie im MOHO, der wissen möchte, welche Kontextfaktoren sich eher förderlich oder hinderlich auf die Teilhabe eines Menschen, das heißt auf seine Möglichkeiten des Handelns im gesellschaftlichen Leben auswirkt. Um hierzu Daten zu erheben bietet das MOHO eine ganze Reihe an vorhandenen Assessments. Diese sind hervorragend zu kombinieren mit anderen üblichen Verfahrensweisen und Assessements. Ein Beispiel dafür ist "Melba".

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Die Anforderungen an die Gestaltung moderner arbeitstherapeutischer Konzepte sind hoch. Ein Bezugs- und Arbeitsrahmen wie das vorgestellte ergotherapeutische Modell MOHO ist sinnvoll um diesen Anforderungen gerecht werden zu können:

· Es bietet viele Ansätze und Erklärungen um menschliche Betätigung und Betätigungsdysfunk-tionen zu verstehen und daraus Ansätze für die Arbeitstherapie entwickeln zu können.

· Es beinhaltet zahlreiche Instrumente/Assessments, die für die Arbeitsdiagnostik eingesetzt werden können. Untenstehend werden einige kurz vorgestellt.

· Das eigene Vorgehen lässt sich über die Anwendung eines Modells schlüssig begründen - ein Umstand der in der heutigen Zeit von evidenzbasierter Praxis besonders wertvoll ist.

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Die drei "Säulen" arbeitsdiagnostischen Handelns mit Möglichkeiten der Diagnostik durch Assess-ments des MOHO.

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Unter Verwendung von Seminarunterlagen BUSS-Projekt und Vortragsskripte Christiane Mentrup

Kontakt: Petra Köser ETOS Ergotherapieschule Osnabrück Fachausschuss Arbeit & Rehabilitation im DVE Prof.Schirmeyer-Str.33 49084 Osnabrück Tel. 0541 387422 [email protected] [email protected]

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Die Bedeutung der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeiten, Behinderung und Gesundheit (ICF) für die Suchtkrankenhilfe

Dr. Robert Stracke, Fachkrankenhaus Hansenbarg

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Welchen Beitrag leistet die KTL (Klassifikation therapeutischer Leistungen) und wie kann sie für arbeitsbezogene Maßnahmen genutzt werden

Josef Müller, Fachklinik St. Marienstift

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Gesundheitsförderung an Fachkliniken für Abhängigkeitserkrankungen Dr. Robert Stracke, Fachkrankenhaus Hansenbarg

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Entwicklungsperspektiven und zukünftige Anforderungen an arbeitsbezogene Maßnahmen in der Suchttherapie

Dr. Andreas Koch, buss

Die folgenden Ausführungen sollen die wesentlichen Ergebnisse der Diskussion während des Fachta-ges im Plenum und in den Arbeitsgruppen zusammenfassen, den Blick auf die wesentlichen aktuellen Anforderungen zur konzeptionellen Gestaltung arbeitsbezogener Maßnahmen richten sowie Perspek-tiven und Forderungen für die Zukunft formulieren. Zunächst bleibt festzuhalten, dass die arbeitsbezogenen Maßnahmen als ein wichtiges Element der therapeutischen Konzepte von Fachkliniken einen Beitrag zur Erreichung der generellen Ziele in der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker leisten sollen. Diese Ziele sind die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit. Letztlich steht hinter die-ser Zielsetzung auch die gesundheitsökonomische Betrachtung, die bei einer Re-Integration der Re-habilitanden ins Erwerbsleben durch die Beitragszahlung für die Rentenversicherung zu einer Amor-tisation der Kosten der Reha-Maßnahme führt. Durch diesen Zusammenhang wird die besondere Bedeutung der arbeitsbezogenen Maßnahmen innerhalb des therapeutischen Konzeptes deutlich. Die wesentlichen sozial- und leistungsrechtlichen Grundlagen für die Durchführung der Reha-Maßnahmen finden sich in den für die gesamte Rehabilitation maßgeblichen Regelungen des SGB IX, in den Regelungen für die Rehabilitation der Rentenversicherung des SGB IV und den spezifischen Vorgaben für Suchterkrankungen in der ‚Vereinbarung Abhängigkeitserkrankungen’ (in der letzten

Fassung von 2001). Vor diesem Hintergrund geben die Leistungsträger in der medizinischen Reha Qualitätsanforderunge für die Einrichtungen vor, insbesondere in den Bereichen Struktur und Perso-nal. Diese Anforderungen betreffen natürlich auch die Bereiche Arbeits- und Ergotherapie in den Ein-richtungen. Die ‚klassische Arbeitstherapie’ hat in den frei-gemeinnützigen Einrichtungen eine lange Tradition, die lange vor der leistungsrechtlichen Anerkennung von Sucht als Erkrankung beginnt. Herr Dr. Heideg-ger hat diese Entwicklung in seinem Einführungsvortrag ausführlich geschildert. Die zentrale Bedeu-tung innerhalb des Therapiekonzeptes liegt sowohl in der Zielsetzung der Re-Integration der Rehabili-tanden ins Erwerbsleben begründet, wie auch in der Bereitstellung eines wichtigen Handlungs- und Beobachtungsfeldes für die Gestaltung von Entwicklungsprozessen innerhalb der Behandlung. Nicht nur das gezielte Training für arbeitsbezogene Kompetenzen oder einen konkreten Arbeitsplatz sind wichtig zur Erreichung der Rehaziele, sondern auch das Angebot eines Rahmens für die Entwicklung einer Tagesstruktur, für die Erprobung sozialer Interaktion und für viele weitere therapeutisch rele-vante Aspekte. Herr Dr. Redecker hat dazu in seinen Ausführungen aus verhaltenstherapeutischer Sicht einige wesentliche Anmerkungen gemacht. Aus dieser Aufgabe und Bedeutung resultiert auch ein traditionell hoher zeitlicher Umfang der arbeitsbezogenen Maßnahmen in den Wochenplänen vie-ler Kliniken. Aufgrund der aktuellen Diskussion ergeben sich somit einige Fragen, die im Rahmen dieses Fachta-ges aufgegriffen werden konnten:

n Sind arbeitsbezogene Maßnahmen weiterhin im bisherigen Umfang erforderlich?

n Welche arbeitsbezogenen Maßnahmen (auch sog. ‚interne Dienstleistungen’) sind therapeutische sinnvoll und werden von den Leistungsträgern akzeptiert?

n Findet der Bereich Arbeits- und Ergotherpaie eine ausreichende Würdigung innerhalb und außer-halb der Klinik?

Zur Beantwortung dieser Fragen sind auch die Begriffe ‚Teilhabe’ und ‚Teilhabestörung’ zur erläutern

und zu diskutieren. Herr Dr. Wessel hat in seinen Ausführungen die Komplexität des Krankheitsbildes anschaulich dargestellt: Es existieren sehr unterschiedliche Konstellationen und Verläufe der Sucht-erkrankung sowie eine teilweise erhebliche Ko-Morbidität. Es für jede Patientin und für jeden Patien-

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ten besondere kulturelle, soziale und finanzielle Lebensumstände zu berücksichtigen. Also fordert die individuelle Förderung bzw. Behandlung des Einzelnen sehr komplexe Reha-Strategien. Um diese Komplexität der Ausgangslage bei Suchterkrankungen besser fassen und beschreiben zu können, bietet die ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesund-heit) einige hilfreiche Ansätze. Die Teilhabestörung wird im Sinne des in der Suchtbehandlung lange bekannten bio-psycho-sozialen Krankheitsmodells als Behinderung im Zusammenhang mit den Be-reichen ‚Funktionsfähigkeit’ und ‚Kontextfaktoren’ beschrieben. Die Funktionsfähigkeit umfasst dabei die Aspekte Körper, Aktivität und Partizipation, die Kontextfaktoren beziehen sich auf die Person selbst und die Umwelt, in der diese Person agiert. Herr Dr. Stracke hat in seiner Arbeitsgruppe dieses Grundkonzept und die Möglichkeiten der Klassifikation von Teilhabestörungen mit Hilfe der ICF dar-gestellt. Es bleibt abzuwarten, welche Möglichkeiten zur Konkretisierung und Vereinfachung der Klassifikation das Core-Set Sucht, das derzeit von einer Verbands-übergreifenden Arbeitsgruppe ent-wickelt und voraussichtlich Anfang 2011 veröffentlicht wird, bieten kann. In jedem Fall wurde aber in der Diskussion deutlich, dass moderne Konzepte für arbeitsbezogene Maßnahmen im Rahmen der Suchttherapie ohne das Modell der ICF nicht mehr denkbar sind. Eine weitergehende Handlungshilfe für die Gestaltung moderner arbeitstherapeutischer Konzepte bietet das Model of Human Occupation (MOHO) als Erklärungsmodell für menschliche Betätigung und Betätigungsstörung. In der Arbeitsgruppe von Frau Köser wurde dargestellt, wie dieses Modell im Rahmen der arbeitsbezogenen Befunderhebung zur Beschreibung der persönlichen Ressourcen bzw. Fähigkeiten und zur Beschreibung der Arbeitsplatzanforderungen eingesetzt werden kann. Mit Hilfe von entsprechenden Profilen für Fähigkeiten und Anforderungen lassen sich systematische Vergleich und Analyse erstellen, die Grundlage für die individuelle Gestaltung arbeitsbezogener Maßnahmen sind. Ein weit verbreitetes Instrument für die Durchführung entsprechender Assessments ist MELBA (Merkmalprofile zur Eingliederung Leistungsgewandelter und Behinderter in Arbeit), dessen prakti-scher Einsatz in der Arbeitsgruppe von Frau Hylla und Herrn Peter-Höner dargestellt wurde. Vor dem Hintergrund dieser Modelle lässt sich folgender Planungsprozess für die Gestaltung und Durchführung arbeitsbezogener Maßnahmen in einer Fachklinik als allgemeiner Rahmen formulie-ren:

1. Grobplanung

Im Rahmen der Erstellung bzw. laufenden Aktualisierung des Therapiekonzeptes erfolgt eine sorg-fältige Zielgruppenanalyse (bezogenen auf Patientengruppen, Indikationen, Größe und Tradition der Klinik) und eine Bereitstellung eines zielgruppenspezifischen Spektrums arbeitsbezogener Maßnahmen innerhalb der Klinik oder im Rahmen externer Angebote (Praktikum, Belastungser-probung etc.). Die einzelnen Angebote sind in Form von Anforderungsprofilen beschrieben, die re-gelmäßig aktualisiert werden müssen.

2. Zielplanung

Mit der Aufnahme eines Rehabilitanden werden die Therapie- bzw. Reha-Ziele abgestimmt und vereinbart sowie der Reha-Bedarf im Hinblick auf arbeitsbezogene Maßnahmen analysiert. Grund-lage hierfür ist eine entsprechende Befunderhebung im Hinblick auf die individuellen Ressourcen. Die Planung sieht i.d.R. eine stufenweise Heranführung an komplexere Tätigkeiten über mehrere AT-Plätze vor, wobei folgende Aspekte zu berücksichtigen sind: vorhandene Basiskompetenzen und Tagesstrukturierung, vorhandener oder fehlender Arbeitsplatz, Erwerbsarbeit oder Ehrenamt als Perspektive, mögliche Diskrepanz zwischen Erwartungen und Realität.

3. Feinplanung

Auf der Grundlage des bereitgestellten Spektrums an internen und externen arbeitsbezogenen Maßnahmen (Nr. 1) und der vereinbarten Reha-Ziele (Nr. 2) erfolgt die Zuordnung der Rehabilitan-den nach Angebot (interne/externe AT-Plätze) und Nachfrage (Reha-Bedarf) auf einer Art ‚klinikin-ternem Arbeitsmarkt’.

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4. Controlling

Der Therapieverlauf und die Zielerreichung werden regelmäßig überprüft und es erfolgt bei Bedarf eine Anpassung der Planung (bspw. Zordnung eines neuen AT-Platzes oder erneute Zielabstim-mung

5. Therapie-Ergebnis

Verlauf und Ergebnis werden abschließend analysiert und es werden ggf. weitere Maßnahmen (nach der Reha) abgeleitet. Die Dokumentation im Rahmen des Entlassungsberichtes ist obligato-risch, dabei werden die Informationen aus den einzelnen Therapiebereichen zusammengeführt und die sozialmedizinische Prognose erstellt.

Neben der Analyse der Eingangsvoraussetzungen und der Entwicklungen bis zum Abschluss der The-rapie ist auch die Dokumentation des Therapieverlaufs eine wesentliche Anforderung der Leistungs-träger an die Einrichtungen. Hierzu ist die Klassifikation therapeutischer Leistungen als einheitliches Instrument in der medizinischen Reha vorgegeben. Herr Müller hat in seiner Arbeitsgruppe erläutert, welche KTL-Codes für Leistungserfassung bei arbeitsbezogenen Maßnahmen zur Verfügung stehen und welche Bedeutung diese für das Leistungscontrolling bezogen auf die Evidenzbasierten Thera-piemodule (ETM) innerhalb der Reha-Therapiestandards haben. Die KTL-Dokumentation wird als Leistungsnachweis und als Darstellung der Leistungsfähigkeit einer Einrichtung zukünftig noch wich-tiger werden. Daher sollte das Spektrum der KTL-Codes möglichst breit genutzt werden und auf eine vollständige Leistungsdokumentation geachtet werden. Bei der Analyse der aktuellen Situation und den Anforderungen an moderne Konzepte für arbeitsbe-zogene Maßnahmen stimmen Leistungsträger und Leistungserbringer in den wesentlichen Punkten überein. Frau Delsa fasste für die DRV Bund in ihrem Vortrag die wesentlichen Anforderungen zu-sammen. Der Reha-Auftrag (siehe oben) ist grundlegend für die konzeptionelle Gestaltung von ar-beitsbezogenen Maßnahmen. Die entsprechende Umsetzung ist zielgruppenspezifisch im Therapie-konzept zu beschreiben und mit dem federführenden Leistungsträger abzustimmen. Dabei sind inter-ne Dienstleistungen, die zur reinen Systemerhaltung innerhalb der Klinik dienen, nicht mehr akzepta-bel, der individuelle Reha-Bedarf ist hier ebenso maßgelblich zu berücksichtigen, wie der therapeuti-sche Gesamtzusammenhang. Weiterhin sind verschiedene Vorgaben aus dem Qualitätssicherungs-programm der DRV zu beachten, u.a. die Personal- und Strukturanforderungen (sog. ‚100-Betten-Anforderungsprofil), die Mindestanforderungen in den ETM’s des Reha-Therapiestandards Alkoholab-hängigkeit sowie die Daten aus der KTL-Analyse im Hinblick auf das Leistungsspektrum (Zahl der genutzten KTL-Kapitel), den Leistungsumfang (Zahl der Leistungen pro Woche) und die Leistungsdau-er (Stunden pro Woche). Zusammenfassend lassen sich als wesentliche Perspektiven aus Sicht der Reha-Einrichtungen fol-gende Aspekte formulieren:

n Das Vorhalten eines angemessenen, Zielgruppen-spezifischen Spektrums des Leistungsangebo-tes an intern und extern arbeitsbezogenen Maßnahmen erfolgt mit Bezug zum Konzept und zur Größe der Einrichtung.

n Es erfolgt die Realisierung eines durchgängigen und abgestimmten arbeitstherapeutischen Pro-zesses mit Diagnostik, Profilvergleich und Controlling. Begleitend findet eine vollständige Leis-tungsdokumentation statt.

n Maßgeblich für Allokation (Zuordnung von Patienten zu AT-Plätzen bzw. Angeboten) ist der Reha-Bedarf des Patienten und nicht Arbeits-Bedarf der Klinik.

n Die therapeutische Begleitung und Auswertung arbeitsbezogener Maßnahmen erfolgt im Rahmen einer interdisziplinären Therapiesteuerung. Weiterführende Maßnahmen im Hinblick auf die be-rufliche Integration werden mit dem Patienten gemeinsam geplant.

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Wünsche und Anforderungen an die Leistungsträger wurden ebenfalls abschließend formuliert:

n Spezifische Therapiekonzepte und individuelle Therapieplanung sollten weiterhin im Mittelpunkt der Entwicklungen stehen und keine bürokratische Standardisierung der Leistungserbringung. Innovationsmöglichkeiten für Therapiekonzepte sollten weiterhin (bspw. im Rahmen von Pilotpro-jekte) gegeben sein.

n Die realistische Einschätzung von Ressourcen und Zielen von Rehabilitanden ist erforderlich, um den Erfolg von arbeitsbezogenen Maßnahmen wirklich beurteilen zu können. Dabei sind regiona-ler Besonderheiten (insbesondere die Situation am Arbeitsmarkt) zu berücksichtigen

n Angemessene Vergütungssätze, die auch die Refinanzierung von klinikinternen Dienstleistungen beinhalten, sind die Grundlage für eine qualitativ hochwertige Leistungserbringung in den Ein-richtungen.

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