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Formaldehyd in Shiitake-Pilzen Stellungnahme des BgVV vom August 2001 Anlaß / Problem Im Rahmen des europäischen Schnellwarnsystems erging eine Warnung vor Formaldehyd in Shiitake-Pilzen. Diese Warnung warf die Frage auf, wie die Aufnahme von Formaldehyd in Lebensmitteln gesundheitlich zu bewerten ist. Ergebnis Formaldehyd-Gehalte in Shiitake-Pilzen, wie sie im Rahmen des europäischen Schnellwarnsystems gemeldet wurden, sind im Sinne von § 8 LMBG nicht als geeignet anzusehen, die menschliche Gesundheit zu schädigen. Begründung Eine ausführliche Darstellung der Stoffeigenschaften und gesundheitliche Bewertung von Formaldehyd ist erst kürzlich von der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe (MAK-Kommission) der DFG vorgenommen worden. In dieser Bewertung kommt die Senatskommission zu dem Schluss, dass die Genotoxizität des Formaldehyds im niedrigen Dosisbereich, in dem es bei inhalativer Exposition nicht zur Steigerung der Zellproliferation kommt, untergeordnete Bedeutung hat und der Beitrag des Formaldehyds zum Krebsrisiko des Menschen nicht nennenswert ist. Deshalb erfolgte eine Einstufung in die Kategorie 4 des Abschnittes III der MAK-Liste. Was die orale Aufnahme von Formaldehyd anbetrifft, ist darauf hinzuweisen, dass Langzeitstudien an Ratten und Mäusen keine carcinogene Wirkung erkennen ließen (Til et al., 1989; Tobe et al.,1989; Kewitz, 1966). Eine andere Studie (Soffritti et al., 1989), die allerdings umstritten ist, deutete eine erhöhte Häufigkeit von Leukämien an. Angaben zur statistischen Signifikanz dieser Befunde und zu historischen Kontrolldaten werden von den Autoren nicht gemacht (MAK-Kommission, 2000). Auch wurden in keinem der zahlreichen an verschiedenen Tierarten durchgeführten Langzeitfütterungsversuche mit Hexame- thylentetramin erhöhte Tumorhäufigkeiten beobachtet, obgleich diese Substanz im Organismus Formaldehyd abspaltet (JECFA, 1974). Bedeutsam für die Bewertung ist die Tatsache, dass Formaldehyd im C 1 -Stoffwechsel endogen gebildet wird und in pflanzlichen und tierischen Geweben vorkommt, wo es in freier oder gebundener Form vorliegt. Deshalb ist Formaldehyd im ppm-Bereich in Lebensmitteln weit verbreitet und keinesfalls auf Shiitake-Pilze beschränkt. Eine umfangreiche Literaturrecherche zur Analytik und Vorkommen von Formaldehyd in Lebensmitteln wurde von Rubach (1987) durchgeführt. Während im allgemeinen die Formaldehydgehalte in Lebensmitteln sich im unteren ppm-Bereich bewegen, weisen bestimmte pflanzliche Lebensmittel wie Gemüse (Tomaten, Blumenkohl, grüne Zwiebeln, Spinat) Gehalte zwischen 3 und 30 ppm oder einzelne Obstsorten wie Trauben, Apfel, Birne Gehalte von 3 – 60 ppm auf. Die Formaldehydkonzentration im tierischen Lebensmittel sind in der Regel deutlich niedriger, wobei in geräucherten Fleisch- und Wurstwaren besonders in den äußeren Regionen auch bis zu 50 mg Formaldehyd/kg gemessen wurden. Von Trézl et al., (1997) werden vergleichbare Formaldehydgehalte für tierische und pflanzliche

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Formaldehyd in Shiitake-PilzenStellungnahme des BgVV vom August 2001

Anlaß / Problem

Im Rahmen des europäischen Schnellwarnsystems erging eine Warnung vor Formaldehyd inShiitake-Pilzen. Diese Warnung warf die Frage auf, wie die Aufnahme von Formaldehyd inLebensmitteln gesundheitlich zu bewerten ist.

Ergebnis

Formaldehyd-Gehalte in Shiitake-Pilzen, wie sie im Rahmen des europäischenSchnellwarnsystems gemeldet wurden, sind im Sinne von § 8 LMBG nicht als geeignetanzusehen, die menschliche Gesundheit zu schädigen.

Begründung

Eine ausführliche Darstellung der Stoffeigenschaften und gesundheitliche Bewertung vonFormaldehyd ist erst kürzlich von der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicherArbeitsstoffe (MAK-Kommission) der DFG vorgenommen worden. In dieser Bewertungkommt die Senatskommission zu dem Schluss, dass die Genotoxizität des Formaldehyds imniedrigen Dosisbereich, in dem es bei inhalativer Exposition nicht zur Steigerung derZellproliferation kommt, untergeordnete Bedeutung hat und der Beitrag des Formaldehydszum Krebsrisiko des Menschen nicht nennenswert ist. Deshalb erfolgte eine Einstufung indie Kategorie 4 des Abschnittes III der MAK-Liste.

Was die orale Aufnahme von Formaldehyd anbetrifft, ist darauf hinzuweisen, dassLangzeitstudien an Ratten und Mäusen keine carcinogene Wirkung erkennen ließen (Til etal., 1989; Tobe et al.,1989; Kewitz, 1966). Eine andere Studie (Soffritti et al., 1989), dieallerdings umstritten ist, deutete eine erhöhte Häufigkeit von Leukämien an. Angaben zurstatistischen Signifikanz dieser Befunde und zu historischen Kontrolldaten werden von denAutoren nicht gemacht (MAK-Kommission, 2000). Auch wurden in keinem der zahlreichen anverschiedenen Tierarten durchgeführten Langzeitfütterungsversuche mit Hexame-thylentetramin erhöhte Tumorhäufigkeiten beobachtet, obgleich diese Substanz imOrganismus Formaldehyd abspaltet (JECFA, 1974).

Bedeutsam für die Bewertung ist die Tatsache, dass Formaldehyd im C1-Stoffwechselendogen gebildet wird und in pflanzlichen und tierischen Geweben vorkommt, wo es in freieroder gebundener Form vorliegt. Deshalb ist Formaldehyd im ppm-Bereich in Lebensmittelnweit verbreitet und keinesfalls auf Shiitake-Pilze beschränkt.

Eine umfangreiche Literaturrecherche zur Analytik und Vorkommen von Formaldehyd inLebensmitteln wurde von Rubach (1987) durchgeführt. Während im allgemeinen dieFormaldehydgehalte in Lebensmitteln sich im unteren ppm-Bereich bewegen, weisenbestimmte pflanzliche Lebensmittel wie Gemüse (Tomaten, Blumenkohl, grüne Zwiebeln,Spinat) Gehalte zwischen 3 und 30 ppm oder einzelne Obstsorten wie Trauben, Apfel, BirneGehalte von 3 – 60 ppm auf. Die Formaldehydkonzentration im tierischen Lebensmittel sindin der Regel deutlich niedriger, wobei in geräucherten Fleisch- und Wurstwaren besonders inden äußeren Regionen auch bis zu 50 mg Formaldehyd/kg gemessen wurden. Von Trézl etal., (1997) werden vergleichbare Formaldehydgehalte für tierische und pflanzliche

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Lebensmittel angegeben. Gelegentlich werden aber auch Formaldehydgehalte in ähnlicherGrößenordnung wie in den getrockneten oder gelagerten Shiitake-Pilzen bei Fischen oderFischprodukten der Ordnung Gadiformes (z.B. Kabeljau, Schellfisch, Seelachs, Seehechtund andere) gefunden. Während Frischfisch Gehalte < 100 mg/kg aufweist, könnengefriergelagerte Produkte je nach Lagertemperatur, Lagerzeit und Lagerbedingungendeutlich höhere Formaldehyd-Konzentrationen (im Extremfall bis zu 500 ppm) aufweisen.Der Formaldehyd rührt dort aus der enzymatischen Abspaltung aus fischeigenemTrimethylaminoxid her (Rehbein, 1986; Rubach, 1987).

Der Shiitake-Speisepilz (Lentinus edodes) wird in Japan und China seit Jahrhunderten inzum Teil großen Mengen wegen des beliebten Umami-Geschmacks aber auch alsLebenselixier verzehrt und zunehmend nach Europa importiert. Der Pilz, der sowohl frischals auch getrocknet oder in Wasser aufgequollen verzehrt wird, enthält u.a. alscharakteristisch geschmackgebenden Inhaltsstoff Lenthionin (1, 2, 3, 5, 6-pentathiepan) einecyklische Schwefelverbindung (Mizuno, 1995). Bei der enzymatischen Bildung vonLenthionin aus Lentinsäure, einem Derivat des Gamma-Glutamylcysteinsulfoxides wirdFormaldehyd freigesetzt, in vermehrtem Maße bei der Trocknung oder längeren Lagerungder Pilze. Dabei treten Konzentrationen von einigen mg Formaldehyd/kg Frischpilz auf;ähnliche Formaldehydgehalte werden auch in anderen Pilzen wie dem Champignongefunden. Die getrockneten oder wieder aufgequollenen Shiitake-Pilze können dagegen diezehn- bis zwanzigfachen Gehalte an Formaldehyd (z.B. 200-700 mg/kg) bezogen aufTrockengewicht, aufweisen (Kurashima et al., 1990). Der in der Schnellwarnung 2001/106aus Frankreich genannte Gehalt von 300 mg/kg liegt durchaus in diesem Bereich.

Die mittlere tägliche Aufnahmemenge an Formaldehyd mit der Nahrung ist schwierigabzuleiten, sie wird auf 1,5 – 14 mg/Tag, d.h. auf bis zu etwa 200 µg/kg Körpergewicht/Taggeschätzt (Feron et al., 1991). Sie liegt damit mindestens um den Faktor 75 unter der Dosis,die bei Ratten nach chronischer Verabreichung im Trinkwasser keine schädigende Wirkungmehr zeigte (Til et al., 1989). Demnach ist nicht damit zu rechnen, dass in Lebensmittelnnatürlich vorkommender Formaldehyd cytotoxisch auf die Magenschleimhaut wirkt und eincarcinogenes Risiko für den Menschen darstellt (Feron et al., 1991). Dieses gilt auch für denmit der Schnellmeldung mitgeteilten Formaldehydgehalt von 300 mg/kg Shiitake-Pilze, wennman berücksichtigt, dass in Langzeituntersuchungen an der Ratte Formaldehyd-Konzentrationen von 260 mg/l Trinkwasser ohne Schädigung der Magenschleimhautvertragen wurden und 800 mg/l nur bei wenigen Tieren geringgradige Hyperkeratosen imVormagen zur Folge hatten (Feron et al., 1991). In diesem Zusammenhang ist auch daraufhinzuweisen, dass Shiitake-Pilze nur gelegentlich und in kleineren Portionen verzehrtwerden. Auch dürfte damit zu rechnen sein, dass der in den Pilzen enthaltene Formaldehydim Magen nur allmählich freigesetzt wird und dadurch die Konzentration geringer ist als beiZufuhr der gleichen Dosis im Trinkwasser, wie dies in Langzeitversuchen mit oralerVerabreichung der Fall war.Aus diesen Gründen ziehen wir den Schluss, dass Formaldehyd-Gehalte in Shiitake-Pilzen,wie sie im Rahmen des europäischen Schnellwarnsystems gemeldet wurden, nicht im Sinnedes § 8 LMBG als geeignet anzusehen sind, die menschliche Gesundheit zu schädigen.

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Literaturangaben

Die gesundheitliche Bewertung von Formaldehyd ist enthalten in:

Greim, Helmut, Hrg.:Gesundheitsschädliche ArbeitsstoffeToxikologisch- arbeitsmedizinische Begründungen von MAK-WertenBearbeitet von den Arbeitsgruppen "Aufstellung von MAK-Werten", "MAK-Werte undSchwangerschaft", "Bewertung von Kühlschmierstoffkomponenten", "Haut und Allergie" und"Festlegung von Grenzwerten für Stäube" der Senatskommission zur Prüfunggesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen ForschungsgemeinschaftWeinheim 2000ISSN 0930-1984

Weiterführende Literatur:Feron VJ, Til HP, de Vrijer F, Woutersen RA, Cassee FR & van Bladeren PJ (1991)Aldehydes: occurence, carcinogenic potential, mechanism of action and risk assessment.Mutation Research, 259 (3/4): 363-385.

JECFA (1974) Joint FAO/WHO Expert Committee on Fodd Additives, 17th Report.Toxicological evaluation of some food additives including anticaking agents, antimicrobials,antioxidants, emulsifiers and thickening agents, WHO Food Add. Ser, 5: 63.

Kerns WD, Pavkov KL, Donofrio DJ, Gralla EJ & Swenberg JA (1983) Carcinogenicity offormaldehyde in rats and mice after long-term inhalation exposure. Cancer Res, 43: 4382-4392.

Kewitz H (1966) Unpublished report (zitiert von JECFA 1974).Kurashima Y, Tsuda M & Sugimura T (1990) Marked formation of Thiazolidine-4-carboxylicacid, an effective nitrite trapping agent in vivo, on boiling of dried Shiitake mushroom(Lentinus edodes). J. Agric. Food Chem, 38: 1945-1949.

Mizuno T (1995) Shiitake lentinus edodes: functional properties for medicinal and foodpurposes. Food Reviews International, 11(1): 111-128.

Rehbein H (1986) Entstehung von Formaldehyd in Fischprodukten. LebensmittelchemGerichtl Chem, 40: 105-123.

Rubach K (1987) Analytik und Vorkommen von Formaldehyd in Lebensmitteln. Max-von-Pettenkofer-Institut beim Bundesgesundheitsamt, MvP-Heft 3/1987.

Soffritti M, Maltoni C, Maffei F & Biagi R (1989) Formaldehyde: an experimentalmultipotential carcinogen. Toxicol Ind. Health, 5: 699-730.

Til HP, Woutersen RA, Feron VJ, Hollanders VHM & Falke HE (1989) Two-year drinking-water study of formaldehyde in rats. Food Chem. Toxicol, 27: 77-87.

Tobe M, Naito K & Kurokaway Y (1989) Chronic toxicity study on formaldehyde administeredorally to rats. Toxicology, 56: 79-86.

Trézl L, Csiba A, Juhász S, Szentgyörgyi M, Lombai G & Hullán L (1997) Endogenousformaldehyde level of foods and its biological significance. Z Lebensm Unters Forsch A,205: 300-304.