14

Click here to load reader

Formen der Finanztheorie und ihre Beziehung zur Wirtschaftstheorie

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Formen der Finanztheorie und ihre Beziehung zur Wirtschaftstheorie

Formen der Finanztheorie und ihre Beziehung zur WirtschaftstheorieAuthor(s): Heinz HallerSource: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 19, H. 2 (1958/59), pp. 191-203Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40909273 .

Accessed: 14/06/2014 15:54

Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at .http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp

.JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range ofcontent in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new formsof scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected].

.

Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access toFinanzArchiv / Public Finance Analysis.

http://www.jstor.org

This content downloaded from 91.229.248.111 on Sat, 14 Jun 2014 15:54:18 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 2: Formen der Finanztheorie und ihre Beziehung zur Wirtschaftstheorie

Formen der Finanztheorie und ihre Beziehung zur Wirtschaftstheorie1

von

Heinz Haller

Die wirtschaftlichen und finanziellen Transaktionen des Staates, seiner Untergliederungen und der sogenannten Nebenfisci, die man unter dem Be- griff der öffentlichen Finanzwirtschaft zusammenzufassen pflegt, können wie jeder Gegenstandsbereich wissenschaftlich unter verschiedenen Fragestel- lungen betrachtet werden. Geht man beispielsweise von der Frage aus: Welche politischen Kräfte führen zu solchen Transaktionen und auf welchem Wege kommen sie zustande ?, so gelangt man zu einer politisch-soziologischen Ana- lyse der öffentlichen Finanzwirtschaft. Fragt man nach dem rechtlichen Rah- men für die finanzwirtschaftliche Aktivität des Staates, so betrachtet man unseren Sachbereich mit den Augen des Juristen. Es gibt eine Reihe weiterer bedeutsamer Fragestellungen, die zu entsprechenden Betrachtungsweisen mit ihren besonderen Methoden und Erkenntnissen führen.

Nun braucht nicht näher dargelegt zu werden, daß es sich bei der öffent- lichen Finanzwirtschaft primär um ein ökonomisches Phänomen handelt und daß es daher am nächsten liegt, mit denjenigen Fragestellungen an sie heran- zutreten, die für die Wirtschaftswissenschaften relevant sind. Die Finanz- wissenschaft als Wissenschaft von der öffentlichen Ymanzwirtschaft entwik- kelte sich als Teildisziplin der ökonomischen Wissenschaften, obwohl meta- ökonomische Betrachtungsweisen in ihr immer eine Rolle gespielt haben2 und sie daher vom methodischen und wissenschaftssystematischen Gesichts- punkt aus dem Ideal einer homogenen, von einem konstitutiven Prinzip her bestimmten Wissenschaft nicht entsprach.

Die anderen Zweige der Wirtschaftswissenschaften haben nach mancher- lei Rückschlägen eine Entwicklung genommen, die zweifellos in Richtung einer Systematisierung, einer Steigerung der inneren Geschlossenheit durch Vereinheitlichung der Fragestellung und der Methoden geht. An die Stelle der „Allgemeinen Volkswirtschaftslehre", dieses Sammelbeckens von Tat- sachenbeschreibungen und bruchstückhaften Einzelerkenntnissen verschie-

1 Antrittsvorlesung, gehalten an der Ruprecht-Karl-Universität Heidelberg am 5. Februar 1958.

2 Vgl. hierzu etwa Gerhard Colmy Why Public Finance ?, „National Tax Jour- nal", September 1948, abgedruckt in: Essays in Public Finance and Fiscal Policy, New York 1955, S. 3 ff.

13 Finanzarchiv N. F. 19. Heft 2

This content downloaded from 91.229.248.111 on Sat, 14 Jun 2014 15:54:18 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 3: Formen der Finanztheorie und ihre Beziehung zur Wirtschaftstheorie

192 Heinz Haller

dener Provenienz, ist die Theorie des Prozesses der gesellschaftlichen Wirt- schaft getreten; die weitgehend deskriptive „ Handelslehre" und ähnliche Vor- stufen einzelwirtschaftlicher Analyse wurden von einer systematischen Er- forschung der Vorgänge in den „Zellen" der Sozial Wirtschaft, insbesondere im Rahmen der betriebswirtschaftlichen Theorie, verdrängt. Der Weg ging sozusagen von der wild wuchernden Deskription zur disziplinierten, von einer einheitlichen Problemstellung aus entwickelten Theorie. In der wissenschaft- lichen Behandlung der Wirtschaftspolitik wurde die Frage nach der instru- mentalen Anwendung der Erkenntnisse der Theorie zur Erreichung bestimm- ter Ziele in den Mittelpunkt gestellt.

Bei der theoretisch-systematischen Betrachtung der Einzelwirtschaften einerseits und der sozial wirtschaftlichen Prozesse andrerseits gelangt man nun allerdings nicht zu Theorien vom gleichen Typus. Die Erkenntnisse im Rah- men der einzelwirtschaftlichen Theorie werden in der Weise gewonnen, daß man von bestimmten Zielsetzungen der Einzelwirtschaften ausgeht und nun diejenigen Verhaltensweisen deduziert, die sich unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände bei völlig zweckrationalem Handeln der Verantwort- lichen ergeben. Dadurch werden teilweise die tatsächlichen Verhaltensweisen „aufgehellt", bewußt gemacht, teilweise werden dem empirisch beobachteten Verhalten Musterbilder gegenübergestellt, die das richtige, dem Zweck absolut adäquate Verhalten erkennen lassen sollen. Es handelt sich um eine ideal- typische Betrachtung im Sinne Max Webers l. Die Frage, welche Zielsetzungen als für die Einzelwirtschaften relevant anzusehen sind, verursacht hierbei nicht allzuviele Schwierigkeiten. Es ist berechtigt, für den Haushalt die Ziel- setzung der Nutzenmaximierung zu unterstellen, und zwar sowohl bei der Abgabe von Produktionsleistungen als auch bei der Verwendung des aus den Produktionsleistungen erzielten Einkommens. Für die Unternehmung ist die Antwort weniger einfach, doch wird man auch hier mit einer generellen Ziel- setzung arbeiten dürfen, nämlich mit der einer langfristigen Gewinnmaxi- mierung. Die Bedingungen, unter denen die Unternehmungen ihre Zielset- zung verfolgen, sind äußerst vielgestaltig und variabel, so daß sich sehr kom- plizierte Probleme des „richtigen" Verhaltens ergeben, die von der Betriebs- wirtschaftslehre verfolgt werden. Eine Theorie von solchem idealtypischen Charakter enthält natürlich ein normatives Element : sie führt zu bestimmten „Regeln" des richtigen Verhaltens.

Von anderer Art ist der Theorietypus, zu dem die Analyse der gesellschafts- wirtschaftlichen Prozesse führt. Die sozialökonomische Theorie untersucht, auf eine kurze Formel gebracht, die soziale Resultante des Ineinandergrei- fens der unzähligen einzelwirtschaftlichen Akte. Da der Wirtschaftsablauf in der Marktwirtschaft mit freier Entscheidung der beteiligten Einheiten nicht von einer zentralen Stelle aus geplant und durch Anordnungen bestimmt wird, ergibt sich für die Theorie die Aufgabe zu zeigen, ob, in welchem Grade und auf welche Weise aus dem ungeplanten Zusammentreffen der einzelwirtschaft-

1 Max Weber hat deren Charakter am deutlichsten dargelegt in seiner berühm- ten Abhandlung: „Die »Objektivität* sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis", abgedruckt in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübin- gen 1922, S. 146 ff.

This content downloaded from 91.229.248.111 on Sat, 14 Jun 2014 15:54:18 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 4: Formen der Finanztheorie und ihre Beziehung zur Wirtschaftstheorie

Formen der Finanztheorie und ihre Beziehung zur Wirtschaftstheorie 193

liehen Entscheidungen und Handlungen ein rationelles, den Zielen aller Be- teiligten förderliches Gesamtergebnis zustande kommt. Dieses Ergebnis kann sich nur einstellen durch das Wirken gewisser „Mechanismen", die die Vor- gänge unbewußt in günstiger Richtung steuern. Die Theorie solcher Steue- rungsmechanismen oder, wie wir auch sagen können, gesellschaftlicher An- passung8- und Abstimmungsprozesse hat den Charakter einer Theorie im naturwissenschaftlichen Sinne. Sie untersucht die für den einzelnen Betei- ligten nicht übersehbaren Effekte von Massenreaktionen und bemüht sich, die ,, Gesetzmäßigkeiten'

* im Ablauf gesellschaftswirtschaftlicher Prozesse auf- zudecken.

Trotz des unterschiedlichen Charakters der beiden Theorietypen sind die einzelwirtschaftliche und die gesellschafts wirtschaftliche Theorie ohne Bruch miteinander verknüpft. Die Theorie der sozialwirtschaftlichen Prozesse baut auf den Erkenntnissen auf, die die einzelwirtschaftliche Theorie über das Ver- halten der „Zellen" der Sozial Wirtschaft liefert, und umgekehrt ist die einzel- wirtschaftliche Theorie auf die Ergebnisse der sozialökonomischen Theorie angewiesen, die zeigt, an welche im sozialen Prozeß geschaffenen Bedingungen sich die in die Gesellschaftswirtschaft hineingestellte Einzelwirtschaft an- zupassen hat. Man kann also durchaus von einer Einheit der wirtschafts- theoretischen Analyse sprechen: Man gelangt zu einer einheitlichen Erklä- rung des Wirtschaftsprozesses aus dem Ineinandergreifen der Handlungen der zahlreichen, in Tauschbeziehungen miteinander stehenden, in ganz be- stimmter Weise reagierenden Einzelwirtschaften1.

Wie fügt sich nun die öffentliche Finanzwirtschaft in dieses Bild ein ? Gibt es auch für sie so etwas wie eine einzelwirtschaftliche Theorie, die mit der sozialökonomischen in der gleichen Weise verknüpft werden kann, wie dies sonst der Fall ist, oder entzieht sie sich einer solchen theoretischen Analyse und stört sie die einheitliche Erklärung des sozial wirtschaftlichen Prozesses ? Dies ist die sowohl für die Finanzwissenschaft als auch für die Wirtschafts- theorie bedeutsame Frage, die ich im weiteren erörtern und einer Antwort zuführen möchte. Genauer betrachtet sind hier zwei Fragen miteinander ver- knüpft. Die erste lautet : Welche Möglichkeiten und Ansatzpunkte gibt es für eine theoretische Analyse des Phänomens „öffentliche Finanz Wirtschaft" ? Die zweite können wir so formulieren : In welcher Beziehung steht die Theorie der öffentlichen Finanzwirtschaft - wir wollen sie „Finanztheorie" nennen - oder, sofern es mehrere Spielarten einer solchen Theorie gibt, in welcher Be- ziehung stehen diese zur Theorie des Wirtschaftsprozesses ?

Überlegen wir uns zunächst, welche Besonderheiten die öffentliche Finanzwirtschaft aufweist, Besonderheiten, die eine theoretische Betrachtung schwieriger machen als bei einer privaten Wirtschaftseinheit.

Der Staat betätigt sich wirtschaftlich zwar insofern in gleicher Weise wie der Träger einer privaten Wirtschaftseinheit, als er sich Einnahmen beschafft,

1 Vgl. hierzu etwa: Erich Gutenberg, Die Stellung der Betriebswirtschaftslehre im Rahmen der Wirtschaftswissenschaft, in : Ansprachen anläßlich der feierlichen Ehrenpromotion von Dr. Eleanor Dulles, Professor Dr. Erich Gutenberg, Professor Dr. Erich Schneider durch die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Freien Universität Berlin, Veröffentlichung der Freien Universität Berlin o. J. [1957],

13*

This content downloaded from 91.229.248.111 on Sat, 14 Jun 2014 15:54:18 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 5: Formen der Finanztheorie und ihre Beziehung zur Wirtschaftstheorie

194 Heinz Haller

Ausgaben tätigt und Vermögen verwaltet, doch steht die öffentliche Wirt- schaft nicht neben den privaten Wirtschaftseinheiten als Einzelwirtschaft, mit der man Leistungen tauschen kann oder nicht, ganz nach Belieben, sondern über ihnen in dem Sinne, daß jede private Einheit zwangsläufig mit ihr ver- bunden ist, indem sie an ihren Leistungen partizipiert und zu Beiträgen heran- gezogen wird. Wenngleich die privaten Wirtschaftseinheiten in einer Wirt- schaft mit weitgetriebener Arbeitsteilung nicht mehr isoliert bestehen kön- nen, sondern auf gegenseitigen Leistungstausch angewiesen sind, steht es ihnen doch völlig frei, mit welchen anderen sie in Tauschbeziehungen treten wollen; sie sind in der Regel nicht auf ganz bestimmte Tauschpartner an- gewiesen. Die Leistungen des Staates sind dagegen für jede private Wirt- schaftseinheit unentbehrlich, es besteht ein Abhängigkeits Verhältnis. Auf der anderen Seite ist die Gesamtheit der Staatsbürger Träger des Staates. Jeder- mann kann, sofern eine demokratische Form der politischen Willensbildung besteht, mitwirken bei der Festsetzung der staatlichen Leistungen und seines Beitrags zu deren Finanzierung; allerdings ist diese Mitwirkung bei den- jenigen, die nicht im politischen Leben tätig sind, nur sehr indirekt und von relativ bescheidenem Umfang. Der Leistungstausch zwischen den privaten Wirtschaftseinheiten und dem Staat ist also, soweit der Staat nicht als Käufer auftritt oder seine Leistungen gegen Entgelt abgibt, von völlig anderer Art als derjenige zwischen privaten Wirtschaftseinheiten.

Angesichts dieser Tatsache erscheint es nicht verwunderlich, wenn die sozialökonomische Theorie in dem Bestreben, ihre Kreise nicht stören zu las- sen, den „Fremdkörper" öffentliche Finanz Wirtschaft lange Zeit einfach un- berücksichtigt ließ und ihre Untersuchungen auf ein marktwirtschaftliches Modell beschränkte, in dem nur der kommerzielle Leistungsaustausch zwi- schen privaten Wirtschaftseinheiten vorkommt. Sie sah keine Möglichkeit, die staatliche Wirtschaft in die Theorie der sozialwirtschaftlichen Prozesse in ähnlicher Weise einzubeziehen wie die privaten Wirtschaftseinheiten, deren Verhalten durch die einzelwirtschaftliche Theorie analysiert wurde. Die finanz- wirtschaftlichen Phänomene wurden ganz für sich betrachtet im Rahmen der Finanzwissenschaft, die weitgehend in der Deskription stecken blieb oder sich mit einzelnen finanzpolitischen Fragen befaßte. Als befriedigend wurde dieser Zustand allerdings wohl nie empfunden. Jede Wissenschaft strebt bekannt- lich danach, durch Auffinden immer allgemeinerer „Grundgesetze" zu einer einheitlichen Erklärung immer größerer Bereiche zu gelangen. So wurden durchaus Anläufe gemacht zur Gewinnung von Ansatzpunkten, die eine Ein- schmelzung der öffentlichen Finanzwirtschaft in das marktwirtschaftliche Modell möglich machen sollten. Konnte man nicht doch bei geeigneter Inter- pretation und Gestaltung der Leistungsbeziehungen zwischen den privaten Wirtschaftseinheiten und dem Staat zu einer einheitlichen Theorie gelangen, in der der Staat einen Leistungstaustausch mit den privaten Wirtschafts- einheiten vornimmt, der grundsätzlich gleich geartet ist wie der Austausch dieser unter sich?

Wenn dies wirklich gelingen sollte, so müßten die folgenden Bedingungen erfüllt sein: Erstens müßte der Staat völlig „ökonomisiert", d. h. rein wirt- schaftlich betrachtet und als Produktionseinheit aufgefaßt werden. Zweitens

This content downloaded from 91.229.248.111 on Sat, 14 Jun 2014 15:54:18 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 6: Formen der Finanztheorie und ihre Beziehung zur Wirtschaftstheorie

Formen der Finanztheorie und ihre Beziehung zur Wirtschaftstheorie 195

müßten die Leistungsbeziehungen zwischen dem Staat und den privaten Wirt- schaftseinheiten ,, kommerzialisiert " werden, Staatsleistungen dürften also nur im gewünschten Umfang und gegen kostendeckendes Entgelt abgegeben werden, was dritteis bedingen würde, daß die Inanspruchnahme staatlicher Leistungen exakt festgestellt werden könnte. Die privaten Einheiten wür- den dann öffentliche Leistungen entsprechend ihrer Bedürfnis- oder Nutzen- skala in Anspruch nehmen, die Produktionseinheit Staat würde sich bei der Bestimmung ihrer Produktionsrichtung nach den Wünschen der „Käufer" richten und dabei Kostendeckung anstreben. Die für die öffentliche Finanz- wirtschaft geltende Zielsetzung wäre eindeutig bestimmt, und es ließe sich unschwer eine Theorie der öffentlichen Finanz Wirtschaft aufstellen, die in gleicher Weise mit der sozialökonomischen Theorie verschmolzen werden könnte wie die Theorie der privaten Unternehmung.

Man sieht sofort, daß diese Bedingungen nicht realisierbar sind. Vor allen Dingen können die wichtigsten öffentlichen Dienste nicht kommerzialisiert werden. Es handelt sich um politische „Grundleistungen", die existenznot- wendig sind und allen Staatsbürgern im gleichen Maße zugute kommen. Um- fang und Zusammensetzung dieser Leistungen lassen sich nur auf politischem Wege bestimmen und nicht über die Entfaltung einer Nachfrage. Es ist also weder eine quasi betriebswirtschaftliche Finanztheorie möglich, noch die Ein- fügung einer solchen in das sozialökonomische Theoriegebäude.

In dem groß angelegten Versuch von Emil Sax 1i eine Theorie der Staats- wirtschaft zu schaffen, die sich wie die Theorie der Privatwirtschaft in die sozialökonomische Theorie einfügt, einem Versuch, der ungeheuer anregend gewirkt hat und bis in die dreißiger Jahre hinein eifrig diskutiert worden ist, wird die politische Prozedur der Bestimmung der finanz wirtschaftlichen Größen zwar berücksichtigt, aber in sehr eigenartigerweise. Sax und eine Reihe seiner Nachfolger, zuletzt wohl Lindahl 2, glaubten, daß sich der Umfang der staat- lichen Leistungen und damit der entsprechende Aufwand einerseits und die Beteiligung der einzelnen Staatsbürger an den öffentlichen Lasten andrer- seits auf dem politischen Wege so bestimmen ließen, daß jeder Staatsbürger denjenigen Teil seines Einkommens dem Staat zur Verfügung stellen muß, den er auch freiwillig, bei Abwägung der Dringlichkeit der durch privatwirt- schaftliche Einkommensverwendung zu befriedigenden Bedürfnisse und der übrigen, „kollektiv", über die staatliche Leistung befriedigten, an den Staat abführen würde. Hätten diese Autoren recht, so wäre tatsächlich der Lei- stungsaustausch zwischen dem Staat und den Staatsbürgern weitgehend den- selben Prinzipien unterworfen wie der private Leistungstausch: jeder würde dem Staat das bezahlen, was ihm seine Dienste wert sind.

Der Beweis dafür, daß eine solche prästabilierte Harmonie gegeben ist, kann nicht erbracht werden. Auch die Vorschläge Lindahls, die Einhaltung des sogenannten Interessengrundsatzes bei der Verteilung der Steuerlasten

1 Vgl. Emil Sax, Grundlegung der theoretischen Staats Wirtschaft, Wien 1887, ferner: Die Wertungslehre der Steuer, Zeitschr. f. Volkswirtsch. u. Sozialpol., 1924, S. 191 ff.

2 Vgl. Erik Lindahl, Die Gerechtigkeit der Besteuerung. Eine Analyse der Steuerprinzipien auf Grundlage der Grenznutzentheorie, Lund 1919.

This content downloaded from 91.229.248.111 on Sat, 14 Jun 2014 15:54:18 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 7: Formen der Finanztheorie und ihre Beziehung zur Wirtschaftstheorie

196 Heinz Haller

durch Abstimmungsvorschriften bei der parlamentarischen Steuerbewilligung zu garantieren, die eine Überstimmung größerer Minderheiten verhindern, führen nicht zu dem behaupteten Ergebnis. Gegen diese ganze Konstruktion sind zahlreiche Einwände möglich. Ritschi1, Erwin v. Beckeratk2,Jechtzu. a. haben sie ausgiebig kritisiert, und die Gegenargumente sollen hier nicht alle nochmals aufgeführt werden. Es dürfte genügen, darauf hinzuweisen, daß wahrscheinlich die Mehrzahl der Staatsbürger auf die Frage, was sie auf Grund ihrer Bedürfnisskala zur Finanzierung der „kollektiv" befriedigten Bedürf- nisse auszugeben bereit wären, keine Antwort zu geben wüßten, weil sie sich über die Bedeutung der staatlichen Leistungen und der durch diese befriedigten Bedürfnisse nicht im geringsten klar sind und auch bei intensiverer Besin- nung hierüber kaum klar werden würden.

Der politische Abstimmungsprozeß ist keine dem marktwirtschaftlichen Abstimmungsprozeß äquivalente Methode, die auf einem anderen Weg zum gleichen Ergebnis führt. Der Umfang der staatlichen Leistung und die Beteiligung an ihrer Finanzierung bestimmen sich nicht auf Grund der Be- dürfnisskalen der Staatsbürger, die öffentliche Finanz Wirtschaft steht daher nicht in der gesellschaftlichen Wirtschaft wie eine private Produktionseinheit.

Wollte man wenigstens insofern ähnliche Verhältnisse schaffen wie beim privaten Leistungstausch, als man den Finanzierungsbeitrag des einzelnen an den öffentlichen Leistungen partizipierenden Staatsbürgers entsprechend sei- nem Anteil an der Inanspruchnahme der (sowohl dem Umfang als auch der Zusammensetzung nach) durch politische Entscheidung festgelegten Staats- leistungen bestimmen würde, so wären etwa folgende Erwägungen anzustel- len, Erwägungen, wie sie in der sogenannten Äquivalenztheorie der Steuer eine Rolle gespielt haben :

Man müßte, da sich der Anteil des Einzelnen nicht exakt feststellen läßt, ähnlich vorgehen wie die Unternehmung, die vor dem Problem steht, ihre Gemeinkosten irgendwie sinnvoll aufzuteilen auf die einzelnen Leistungen (Produkte), von denen man auch nicht genau sagen kann, in welchem Um- fang sie die allgemeinen Einrichtungen der Unternehmung in Anspruch ge- nommen haben. Man wäre, wie dort, auf den Weg verwiesen, Hilfsgrößen her- anzuziehen, die als Indices das Maß der Beanspruchung erkennen ließen. Das Ermitteln solcher Indices ist bekanntlich recht schwierig, und man hilft sich oft in der Weise, daß man kombinierte „Schlüssel" aus mehreren Größen bildet, wobei man für alle diese Größen einen kausalen Zusammenhang mit der Beanspruchung der die Gemeinkosten verursachenden Einrichtung postu- liert. Bei der Anwendung solcher Überlegungen im Rahmen der Äquivalenz- theorie hielt man sich gern, die Dinge vereinfachend, an die Größe des Ver- mögens der Steuerpflichtigen mit der Begründung, die Schutzfunktion des Staates, die als die wesentlichste anzusehen sei, komme jedem im Umfang

1 Vgl. Hans Ritschi, Zum Abschluß der Saxschen Steuerlehre, Schmollers Jahr- buch, 1926, S. 271 ff. 1 Erwin v. Beckerath, Formen moderner Finanztheorie, in: Festgabe tur (ieorg Schanz, Band I, Tübingen 1928, S. Iff. 8 Horst Jecht, Die Entwicklung der Problemstellung in der neueren deutschen Finanztheorie, Finanzarchiv N. F., Bd. 1 (1932), S. 185 ff.

This content downloaded from 91.229.248.111 on Sat, 14 Jun 2014 15:54:18 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 8: Formen der Finanztheorie und ihre Beziehung zur Wirtschaftstheorie

Formen der Finanztheorie und ihre Beziehung zur Wirtschaftstheorie 197

Beines Vermögens zugute. Es entstand so die Spielart der sogenannten Asse- kuranztheorie. Befriedigend ist die Postulierung eines solchen Zusammen- hangs genau so wenig wie die Heranziehung anderer Größen, die als Steuer- bemessungsgrundlagen in Frage kommen, wie Vermögenserträge, Einkommen, Umsätze. Nur bei Inanspruchnahme spezieller Einrichtungen und Dienste läßt sich deren Umfang einigermaßen bestimmen, und es ist daher berech- tigt, besondere Abgaben proportional zur Höhe der betreifenden Meßziffer anzusetzen. Als Beispiel mag hier die Belastung der Kraftfahrer entsprechend der mit Hilfe geeigneter Indices ermittelten Benutzung der Autostraßen dienen.

Man könnte sich wohl nur so helfen, daß man zur Finanzierung der all- gemeinen Leistungen, wie etwa der Gewährleistung der inneren und äußeren Sicherheit und des Rechtsschutzes, je Person den gleichen anteiligen Betrag erheben würde. Gelänge es auf solche Weise bis zu einem gewissen Grade, die Staatskosten auf die einzelnen nach dem Maße der Beanspruchung der Staats- leistungen zu verteilen, so würde der Leistungstausch zwischen Staat und Staatsbürgern insofern dem marktwirtschaftlichen Leistungstausch ent- sprechen, als gleiche staatliche Leistungen mit gleichen Entgelten bezahlt würden. Die Situation wäre allerdings von einer marktwirtschaftlichen noch immer erheblich verschieden, weil viele Staatsbürger die allgemeinen öffent- lichen Leistungen entweder niedriger oder höher einschätzen würden, als es ihrer Zahlung entspräche. Wie man die Dinge also auch betrachten oder ge- stalten mag, der marktwirtschaftliche Einbau gelingt nicht.

Dies wird noch viel deutlicher, wenn man berücksichtigt, daß der Staat ja seine Einnahmen großenteils dazu verwendet, sogenannte Transferzah- lungen vorzunehmen, bestimmten Gruppen von Staatsbürgern also Einkom- men oder Einkommenszuschüsse zu zahlen, ohne daß eine Gegenleistung vor- liegt. Die sozialpolitischen Gesichtspunkte, die den Staat zu solchen Transfer- zahlungen veranlassen, sind ebensowenig mit dem Gedanken eines kommer- ziellen Leistungstauschs zwischen Staat und Staatsbürger zu vereinbaren wie die Erwägungen, die zu einer verschieden hohen Steuerbelastung von Staats- bürgern führen, für die keine unterschiedliche Inanspruchnahme der staat- lichen Leistungen angenommen werden kann. Die Konstruktion von Sax1, die unter Heranziehung des sogenannten Mutualismus dartun sollte, daß sich eine Steuerprogression schon auf Grund der verschieden hohen Bewertung der öffentlichen Leistungen seitens der Empfänger unterschiedlicher Einkom- men ergebe, kann, dies sei hier noch angemerkt, ebensowenig überzeugen wie seine Gesamtkonzeption.

Wir kommen zu dem Ergebnis, daß bei der Gestaltung der öffentlichen Finanz Wirtschaft ausschließlich von politischen Gesichtspunkten ausgegan- gen wird und daß daher im Leistungstausch zwischen Staat und Staatsbürgern ein grundsätzlich anderes Verhältnis gegeben ist als beim marktwirtschaft- lichen Leistungstausch. Keine geheime Kraft sorgt dafür, daß auf dem poli- tischen Weg dasselbe Ergebnis zustande kommt, wie es sich bei freiem, „kom- merziellem" Leistungstausch einstellen würde. Die öffentliche Finanz Wirt- schaft kann theoretisch nicht betrachtet werden wie eine private Produk-

1 Vgl. Die Wertungslehre der Steuer, a.a.O. S. 214.

This content downloaded from 91.229.248.111 on Sat, 14 Jun 2014 15:54:18 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 9: Formen der Finanztheorie und ihre Beziehung zur Wirtschaftstheorie

198 Heinz Haller

tionseinheit, und sie kann auch nicht ähnlich wie eine solche in das gesell- schaftswirtschaftliche Beziehungsgeflecht eingefügt werden im Rahmen der sozialökonomischen Theorie.

Ist damit, so müssen wir nun weiter fragen, überhaupt keine Möglich- keit mehr gegeben, die öffentliche Finanzwirtschaft einer theoretischen Ana- lyse zu unterwerfen, oder gibt es hierfür noch immer Ansatzpunkte ? Und als zweite Frage ergibt sich diese: Gibt es trotz der Unmöglichkeit, die öffent- liche Finanzwirtschaft wie eine private Wirtschaftseinheit als Glied der Markt- wirtschaft zu betrachten, nicht doch einen Weg, um sie im Rahmen der sozial- ökonomischen Theorie zu berücksichtigen, sie also in das Wirkungsgeflecht einzubeziehen, das die sozialökonomische Theorie zu ihrem Untersuchungs- gegenstand macht ?

Wir wollen uns zunächst der ersten dieser beiden Fragen zuwenden und sehen, welche Möglichkeiten sich hier bieten.

Die Zielsetzungen, die für die öffentliche Finanzwirtschaft oder, sagen wir, für den Staat als wirtschaftendes Subjekt bedeutsam sind, sind so viel- fältig wie die Ziele, die in der Politik eine Rolle spielen. Die Finanz Wirtschaft ist ja nur die wirtschaftliche Seite der politischen Aktivität des Staates. Die Politik bestimmt durch die Entscheidung darüber, welche Ziele und in wel- chem Umfang die einzelnen Ziele durch die Staatstätigkeit verfolgt werden sollen, die Höhe und Zusammensetzung der Staatsausgaben. Von einer allen Entscheidungen übergeordneten Zielsetzung, wie sie für die private Unter- nehmung postuliert werden darf, kann also keine Rede sein. Die Produktions- tätigkeit des Staates, wenn man sich so ausdrücken will, hängt nicht von einer, und zwar einer wirtschaftlichen, Grundzielsetzung ab, sondern wird bestimmt durch die mannigfaltigen, in gewissem Umfang wechselnden Zielvorstellungen der Politik. Der Staat ist gleichsam Produzent zahlreicher, verschiedenartiger Leistungen, der sein Produktionsprogramm nicht nach den Wünschen der Leistungsempfänger richtet, um dadurch ein günstiges wirtschaftliches Er- gebnis zu erzielen, sondern an den politischen Programmen der Gesetzgebungs- und Regierungsorgane orientiert. Es dürfte schwierig sein, angesichts dieser Tatsache eine Finanztheorie im Sinne einer idealtypischen Ermittlung des zielgerechten, zweckrationalen Verhaltens aufzustellen.

Gäbe es einen obersten Staatszweck, aus dem einzelne Teilfunktionen des Staates und ihre relative Bedeutung eindeutig deduziert werden könn- ten, so wäre man in der Lage, eine materiale, objektive Theorie der Staats- ausgaben zu schaffen in dem Sinne, daß genau ermittelt werden könnte, welche Leistungen der Staat bei richtigem, zweckentsprechendem Verhalten zu erstellen hätte und welches Gewicht den einzelnen Leistungen zukommen müßte. Man könnte dann den Gesamtumfang und die Zusammensetzung der Staatsausgaben bis zu einem gewissen Grade theoretisch ermitteln. Über den Staatszweck und die sich aus ihm ableitenden Staatsfunktionen müßte die Staatslehre eindeutige Aussagen machen und so der Finanztheorie als Theorie der Staatsausgaben die Grundlage zur Verfügung stellen. In Anbetracht der auseinandergehenden Vorstellungen über Sinn nnd Aufgaben des Staates auch bei den Staatstheoretikern erscheint es jedoch kaum möglich, daß die Staats- lehre ein sicheres Fundament zur Verfügung stellen kann. Es wird vermut-

This content downloaded from 91.229.248.111 on Sat, 14 Jun 2014 15:54:18 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 10: Formen der Finanztheorie und ihre Beziehung zur Wirtschaftstheorie

Farmen der Finanztheorie und ihre Beziehung zur Wirtschaftstheorie 199

lieh Einigkeit zu erzielen sein darüber, welche Aufgaben der Staat unbedingt wahrzunehmen hat, nicht aber hinsichtlich der Frage, in welchem Umfang die eine oder andere Aufgabe zum Zuge kommen soll. Auch über den Gesamt- aufwand oder, anders ausgedrückt, über den Punkt, bis zu dem man bei der Erfüllung der als unerläßlich erkannten Aufgaben gehen soll, wird es stets Meinungsverschiedenheiten geben. Und schließlich werden die Ansichten darüber, welche Aufgaben der Staat über die unvermeidlichen Grundlei- stungen hinaus zusätzlich übernehmen sollte, weil dies aus dem einen oder anderen Grunde zweckmäßig erscheint, auch nie zur Deckung gebracht werden können.

Wenn man also zu einer solchen materialen Theorie der Staatsausgaben gelangen will, so bleibt nur die Möglichkeit, von einer bestimmten, umstrit- tenen Theorie der Staatsfunktionen auszugehen und die Theorie der Staats- ausgaben daran aufzuhängen. Auch so wird man jedoch auf erhebliche Schwie- rigkeiten stoßen, weil eine solche Theorie der Staatsfunktionen kaum genügend exakte Angaben über das Gewicht der einzelnen Funktionen zu machen in der Lage sein wird. Man vergegenwärtige sich nur folgenden Fall, der von großer aktueller Bedeutung ist: Wenn auf Grund sprunghafter Fortschritte in der Rüstungstechnik in einer Welt politischer Spannungen die Aufgabe der Sicherung gegen gewaltsame Eingriffe von außen plötzlich eine beträchtliche Vermehrung des Aufwandes erfordert, so werden sich die Relationen zwischen den Aufwendungen für die verschiedenen Aufgaben nicht aufrechterhalten lassen. Keine Staatslehre wird in der Lage sein anzugeben, bis zu welchem Grad man solche Verschiebungen in Kauf nehmen kann.

Man muß also sehr skeptisch sein bei der Beurteilung der Frage, ob es möglich ist, eine materiale Theorie der Staatsausgaben zu schaffen. Nun bleibt natürlich immer noch die Möglichkeit, sich auf eine formale Theorie zurück- zuziehen, die allerdings von geringem Erkenntniswert ist. Eine solche for- male Theorie erschöpft sich in der einen These, der Staat solle sich nach dem sogenannten zweiten Gossenschen Gesetz verhalten, d. h. bei jeder Aufwands- art mit den Ausgaben soweit gehen, daß der Grenznutzen bei allen Aufwands- arten derselbe ist, oder anders ausgedrückt, er solle darauf achten, daß weni- ger wichtige Aufgaben nur insoweit zum Zuge kommen, als wichtigere be- reits in einem solchen Umfang wahrgenommen sind, daß die Dringlichkeit einer weiteren Berücksichtigung nicht mehr größer ist als die der Wahr- nehmung der weniger wichtigen Aufgaben. Man kann auch einfacher sagen, der Staat solle die einzelnen Aufgaben nach ihrer Dringlichkeit berücksich- tigen oder er solle rationell verfahren bei der Bemessung seiner Ausgaben. Hiermit ist natürlich nicht allzuviel gewonnen. In der Auseinandersetzung um die Berücksichtigung der einzelnen Staatsaufgaben geht es ja nicht darum, daß die eine Partei der anderen nachzuweisen versucht, sie verfahre nicht nach dem zweiten Gossenachen Gesetz, wenn sie bestimmte Aufwand- relationen vorschlägt, vielmehr stehen sich verschiedene Dringlichkeitsskalen gegenüber.

Bleibt nun als Ergebnis unserer Überlegungen nur die Feststellung, daß eine materiale Theorie der Staatsausgaben kaum möglich erscheint und eine formale Theorie nicht viel nützt ?

This content downloaded from 91.229.248.111 on Sat, 14 Jun 2014 15:54:18 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 11: Formen der Finanztheorie und ihre Beziehung zur Wirtschaftstheorie

200 Heim Hauer

Ganz so skeptisch braucht man wohl nicht zu sein. Bei gewissen Staats- ausgaben dürfte die Möglichkeit bestehen, auf Grund ökonomischer Er- wägungen materiale Erkenntnisse über die Angemessenheit ihrer Höhe zu ge- winnen. Gemeint sind diejenigen Aufwendungen des Staates, die von unmit- telbarer wirtschaftlicher Bedeutung sind. Als Beispiel erwähne ich die Aus- gabenfür das Verkehrsnetz (Straßen, Kanäle usw.), das aus technischen Grün- den weitgehend vom Staat zur Verfügung gestellt werden muß. Hier ergibt sich die Aufgabe, die Entwicklung der Kapazitäten abzustimmen mit der- jenigen der Kapazitäten im (privaten) Produktionssektor. Eine wachsende Wirtschaft erfordert eine Erweiterung und Verdichtung des Verkehrsnetzes, wenn Engpässe vermieden werden sollen. Für solche Ausgaben gibt es also durchaus objektive ökonomische Maßstäbe, wobei allerdings unterstellt wer- den muß, daß das Ziel, ein harmonisches Wachstum der Wirtschaft zu för- dern, als relevant betrachtet wird. In dieser Richtung mag eine Theorie der Staatsausgaben, wenn man diese Bezeichnung bei einem solcherweise be- schränkten Betrachtungsaspekt noch verwenden will, bis zu einem gewissen Grade ausbaufähig sein. Es wird hier abgehoben auf die unmittelbaren wirt- schaftlichen Effekte. Die bisher vorliegenden Versuche, Theorien der Staats- ausgaben aufzustellen, so besonders die von Colm1 und Roulis2, haben auch das Ziel im Auge, die volkswirtschaftlichen Wirkungen bestimmter Gruppen von Staatsausgaben aufzuzeigen, was natürlich etwas anderes ist als die Schaffung einer Theorie der Ausgabengebarung des Staates. Ob man die wirt- schaftlichen Wirkungen von Staatsausgaben für sich untersuchen sollte, ohne gleichzeitig einen Blick auf die Staatseinnahmen zu werfen, erscheint aller- dings fraglich.

Betrachten wir die Einnahmenseite der öffentlichen Finanzwirtschaft, so müssen wir wiederum feststellen, daß, sofern wir von den Erwerbsein- künften des Staates absehen, die Art der Einnahmenbeschaffung völlig von politischen Zielvorstellungen abhängig ist. Es gibt keine ökonomische Richt- schnur, an der die Gestaltung der Besteuerung ausschließlich orientiert wer- den müßte, und dementsprechend auch keine Möglichkeit, eine Finanztheorie als ökonomische Theorie der Besteuerung zu schaffen. Für die Verteilung der Steuerlasten sind zunächst in weitem Maße sozialpolitische Vorstellungen maßgebend. Seit langem strebt man eine Besteuerung nach der Belastungs- fähigkeit an. Entsprechend den verschiedenen Auffassungen über den an- gemessenen Grad der Differenzierung kam man zu sehr unterschiedlichen Lö- sungen. Weiter spielt die Zielsetzung, eine Einkommensumverteilung über die Besteuerung herbeizuführen, neuerdings eine nicht unbeträchtliche Rolle. Schon immer hat man über die Besteuerung eine Reihe sonstiger politischer Zielsetzungen zu verwirklichen versucht, z. B. die Förderung des Sparens oder der Alters Vorsorge, die Verminderung des Konsums bestimmter gesundheits- gefährdender Güter usw., kurzum, es spielten schon immer und spielen heute erst recht eine ganze Anzahl von politischen Zielen in die Besteuerung herein.

1 Gerhard Colm, Volkswirtschaftliche Theorie der Staatsausgaben - Ein Beitrag zur Finanztheorie, Tübingen 1927. 2 Johannes Koulis, Die öffentlichen Ausgaben als volkswirtschaftliche Erschei- nung, Frankfurt/M. o. J. (1947).

This content downloaded from 91.229.248.111 on Sat, 14 Jun 2014 15:54:18 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 12: Formen der Finanztheorie und ihre Beziehung zur Wirtschaftstheorie

Formen der Finanztheorie und ihre Beziehung zur Wirtschaftstheorie 201

Wir sehen, daß es kaum möglich ist, Ansatzpunkte für eine Finanztheorie im Sinne einer einzelwirtschaftlichen Theorie der Staatswirtschaft zu gewin- nen. Weder für die Ausgabengebarung noch für die Einnahmenbeschafrung liegen hierfür die erforderlichen Voraussetzungen vor. Das bedeutet jedoch nicht, daß die Finanzwissenschaft gezwungen ist, sich auf eine rein deskrip- tive Betrachtung zu beschränken. Wenn ihr bestimmte politische Ziele ge- setzt sind, so ist sie durchaus in der Lage, auf deduktivem Wege die geeig- nete Gestaltung der Staatsfinanzen zu ermitteln und so zu einer Theorie der Finanzpolitik zu gelangen. Sie ist nur nicht imstande, eine allgemeingültige Theorie des Verhaltens der öffentlichen Finanzwirtschaft aufzustellen.

Der Staat wirkt mit seinen an politischen Zielsetzungen orientierten finanzwirtschaftlichen Maßnahmen in den gesellschaftswirtschaftlichen Pro- zeß hinein, und wir müssen noch die Frage weiter verfolgen, ob man die anders als die privaten Wirtschaftseinheiten in die Sozialwirtschaft verflochtene Wirtschaftseinheit Staat im Rahmen der sozialökonomischen Theorie berück- sichtigen kann.

Hierfür wurden in den letzten beiden Dezennien die Voraussetzungen ge- schaffen durch Wiederaufnahme des Gedankenfadens der sogenannten makro- ökonomischen Theorie, die in den Formen der Kreislaufanalyse und der Ana- lyse mit Hilfe globaler funktionaler Beziehungen ausgebaut wurde. Im Rah- men dieser Theorie steht die Staatswirtschaft nicht neben einzelnen privaten Wirtschaftseinheiten, sondern neben ganzen Gruppen von solchen, die zu Sek- toren zusammengefaßt sind, bzw. werden die gesamten staatlichen Ausgaben und Einnahmen in Beziehung gesetzt zu globalen Größen der privaten Wirt- schaft, wie etwa dem Gesamtkonsum oder der Gesamtinvestition. Die makro- ökonomische Funktionalbetrachtung gestattet es, die globalen Wirkungen, d. h. die Wirkungen auf das Volkseinkommen, die Beschäftigungshöhe und das Preisniveau einer Wirtschaft anzugeben, die von Änderungen der Gesamt- größen der Staatsausgaben und (oder) Staatseinnahmen zu erwarten sind oder die von Staatsdefiziten und -Überschüssen herbeigeführt werden. Ebenso- wenig wie man eine Theorie der Einzelentscheidungen der ja nicht mehr in Erscheinung tretenden privaten Wirtschaftseinheiten benötigt, sondern sich mit Annahmen über das Verhalten der Gesamtbevölkerung oder großer Wirt- schaftssektoren begnügt, ist man auch nicht mehr gezwungen, eine Finanz- theorie im Sinne einer einzelwirtschaftlichen Theorie zu schaffen, um die öffentliche Finanzwirtschaft in die sozialökonomische Theorie einbauen zu können. Man kann einfach von den Größen ausgehen, die durch politische Entscheidung zustande kommen. Auf diese Weise ist die Einfügung der öffent- lichen Finanzwirtschaft in die sozialökonomische Theorie ohne Bruch möglich.

Im angelsächsischen Sprachbereich, in dem zuerst an einer Theorie der globalen Wirkungen finanzwirtschaftlicher Maßnahmen gearbeitet wurde, be- zeichnet man diese vielfach als „fiscal theory"1. Diese Bezeichnung besagt, daß sie als theoretische Grundlage der sogenannten fiscal policy zu betrach-

1 Vgl. Fritz Karl Mann, Geschichte der angelsächsischen Finanzwissenschaft, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. Aufl., 1. Bd., Tübingen 1952, S. 469ff. (ins- besondere § 5). Vgl. auch Mann, Die Staatswirtschaftslehre unserer Zeit, Finanz- archiv N. F., Bd. '5 (1964), S. 212ff.

This content downloaded from 91.229.248.111 on Sat, 14 Jun 2014 15:54:18 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 13: Formen der Finanztheorie und ihre Beziehung zur Wirtschaftstheorie

202 Heinz Holler

ten sei, die ihrerseits bekanntlich im wesentlichen eine Politik der Konjunk- turregulierung mit finanzwirtschaftlichen Mitteln darstellt. Man kann eine solche Theorie durchaus als Finanztheorie bezeichnen. Es wird gar nichts anderes übrig bleiben, wenn man zu einem Begriff der Finanztheorie kom- men will, der von wissenschaftspraktischer Bedeutung ist. Eine Finanztheorie im Sinne einer Theorie der globalen Wirkungen finanz wirtschaftlicher Maß- nahmen läßt sich durchführen, und hier entsteht nun auch gar kein Problem der Einschmelzung der Finanztheorie in die sozialökonomische Theorie, weil die erste gar nichts anderes als ein Bestandteil der zweiten ist.

Die makroökonomische Theorie stellt nun allerdings nicht die gesamte sozialökonomische Theorie dar. Neben ihr steht gleichberechtigt die lange Zeit das wissenschaftliche Interesse fast ausschließlich in Anspruch nehmende Theorie der Marktprozesse, die auf der einzelwirtschaftlichen Theorie auf- baut. In diese fügt sich die öffentliche Finanzwirtschaft nach wie vor nicht ein. Diese verhält sich nur insoweit marktwirtschaftlich, wie sie als Käufer von Leistungen auftritt, nicht aber bei der Abgabe und Verrechnung ihrer eigenen Leistungen. Wie wir sahen, läßt sich da auch keine marktwirtschaftliche Ana- logie konstruieren. Trotzdem ist es möglich, die Wirkungen finanzwirtschaft- licher Maßnahmen auch für einzelne Märkte zu verfolgen, und die sozialöko- nomischen Theoretiker haben sich seit den Klassikern in der sogenannten Steuerwirkungslehre immer zu einem gewissen Grad mit solchen Wirkungen befaßt. Die Steuerwirkungslehre war aber nicht eingebaut in die Totaltheorie des marktwirtschaftlichen Prozesses, sondern stellte nur eine Art von Appen- dix dar. Die makroökonomische Theorie der Wirkungen ist dagegen ihrer Natur nach in die sozialökonomische Theorie integriert, kann aber nur etwas über die großen Zusammenhänge aussagen.

Die Finanztheorie im Sinne einer Theorie der Gestaltung der Staats- finanzen scheint mir nur ausbaufähig zu sein als Theorie der Finanzpolitik, wie ich sie selbst versucht habe *. Man wird dabei von den politischen Ziel- setzungen ausgehen müssen, die für die Gestaltung der Wirtschaft überhaupt relevant sind. Hinsichtlich der Zusammensetzung der Staatsausgaben wird, abgesehen von den erwähnten ökonomischen Erwägungen, nur wenig zu sagen sein. Zu allen übrigen Fragen der Gestaltung der öffentlichen Finanzwirt- schaft wird eine Theorie der Finanzpolitik sehr Bedeutsames beizutragen haben, so insbesondere zur Frage der Finanzierung der Staatsausgaben ein- schließlich der Gestaltung der Besteuerung. Sie wird hierbei weitgehend zu- rückgreifen müssen auf die Erkenntnisse der Theorie, die die Wirkungen finanzwirtschaftlicher Maßnahmen untersucht, also der Finanztheorie in die- sem Sinne. Nur dann, wenn man sich über den Wirkungszusammenhang im klaren ist, kann man bei gegebenen Zielsetzungen die richtige Auswahl der Mittel treffen.

Wenn wir uns zum Schluß die beiden Fragen, mit denen wir uns aus- einandergesetzt haben, die Frage nach den möglichen Formen einer Finanz- theorie und die nach dem Verhältnis zwischen Finanz- und Wirtschaftstheorie,

1 Heinz Haller, Finanzpolitik. Grundlagen und Hauptprobleme. Tübingen und Zürich 1957.

This content downloaded from 91.229.248.111 on Sat, 14 Jun 2014 15:54:18 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 14: Formen der Finanztheorie und ihre Beziehung zur Wirtschaftstheorie

Fronten der Finanztheorie und ihre Beziehung zur Wirtschaftetheorie 203

noch einmal vorlegen und eine Antwort zu geben suchen, so wird diese etwa folgendermaßen zu lauten haben :

Es gibt eine Finanztheorie im Sinne einer Theorie der Wirkungen finanz- wirtschaftlicher Maßnahmen und eine Theorie der Finanzpolitik. Die erste ist als ma kro ökonomische Theorie untrennbar mit der sozialökonomischen Theorie verbunden, als Mikrotheorie stellt sie ein Anhängsel dieser dar. Die Theorie der Finanzpolitik baut auf den Ergebnissen der Wirkungstheorie auf, steht also in indirektem Zusammenhang mit der sozialökonomischen Theorie. Der Versuch, eine Theorie der Staatswirtschaft als Bestandteil einer umfas- senden ökonomischen Theorie aufzustellen, kann als gescheitert betrachtet werden.

So schön ein Gebäude von völlig einheitlicher Architektur wäre, es läßt sich nicht errichten. Doch wohnlich ist es auch im anderen.

This content downloaded from 91.229.248.111 on Sat, 14 Jun 2014 15:54:18 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions