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24 Forschung intensiv Forschung Frankfurt 1/2003 Die indianische Moderne Mit Traditionen die Zukunft gestalten Z entrales Anliegen indianischer Stammesregierun- gen und Verwaltungen ist es, die eigene, als »an- ders« empfundene Kultur bei den Mitgliedern ihres Stammes positiv bewusst zu machen und so das oft relativ gering ausgeprägte Selbstbewusstsein zu stär- ken. Gleichzeitig halten sie ihren Anspruch auf Souver- änität und Anerkennung als eigene »soziale und politi- sche Einheit« mit vertraglich garantierten Rechten auf- recht. Denn sie haben die Sorge, dass die Regierung eines Tages versuchen könnte, sich mit der Begründung »Ihr seid keine Indianer mehr« aus ihren vertraglichen Verpflichtungen zu lösen. Beispiele für diesen Balance- akt der indianischen Moderne dokumentieren drei For- schungsarbeiten Frankfurter Sozialwissenschaftler. Vancouver Island: Selbstfindung auf den Wegen tradierten Wissens Herbst 2002: Der Somass River auf Vancouver Island (Kanada) brodelt vor Lachsen, die den Fluss hinauf zu ihren Laichplätzen ziehen. Kinder angeln, Männer legen von Booten aus Netze zum Fang aus. Ein Defilee von Pappschildern, die frischen Lachs anpreisen, säumt den Straßenrand gleich hinter der Tafel, die in großen Lettern »Willkommen im Tsahaheh Reservat, Heimat der Tseshaht First Nation« verkündet. Sie markiert gleichzeitig die Stadtgrenze von Port Alberni, wie viele andere Orte der Pazifikküste selbsternannte »salmon ca- pital of the world«. Jeder, der zur begehrten Westküste des Eilandes mit ihren Wanderpfaden, Cottages und entspannendem Whalewatching will, muss hier durch. Lachs ist hier Grundnahrungsmittel und Wirtschafts- faktor für die Indianer. Um ihn gab es im letzten Som- mer Streit zwischen der staatlichen Fischereibehörde und den Tseshaht. Jene wollte die bislang geltenden Fangquoten durchsetzen, die die Indianer in den ver- gangenen Jahren immer weit überschritten hatten. Eine Vereinbarung kam nicht zustande, die Tseshaht dürfen dieses Jahr gar nicht fischen. Sie tun es trotzdem. »Wir sind so großzügig und lassen die Einwanderer in unse- rem Gebiet wohnen und an unseren Ressourcen teilha- ben. Nachdem sie mit schwimmenden Fischfabriken den Wildlachs fast ausgerottet haben, wollen sie uns von Olaf Behrend, Christian Carstensen, Henry Kammler und Michael Schlottner Können sich die indianischen Kulturen Nordamerikas im 21. Jahrhundert anders behaupten als nur in der Pflege von Folk- lore? Wie können Stammesangehörige mit den überlieferten Kenntnissen umgehen und damit ihr Leben in der modernen amerikanischen Gesellschaft gestalten? Wie bestehen Kulturen, die nur knapp der Ausrottung entgangen sind, als Minderhei- ten im eigenen Land?

Forschung intensiv Die indianische Moderne€¦ · 24 Forschung intensiv Forschung Frankfurt 1/2003 Die indianische Moderne Mit Traditionen die Zukunft gestalten Z entrales Anliegen

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Die indianische ModerneMit Traditionen die Zukunft gestalten

Zentrales Anliegen indianischer Stammesregierun-gen und Verwaltungen ist es, die eigene, als »an-ders« empfundene Kultur bei den Mitgliedern

ihres Stammes positiv bewusst zu machen und so dasoft relativ gering ausgeprägte Selbstbewusstsein zu stär-ken. Gleichzeitig halten sie ihren Anspruch auf Souver-änität und Anerkennung als eigene »soziale und politi-sche Einheit« mit vertraglich garantierten Rechten auf-recht. Denn sie haben die Sorge, dass die Regierungeines Tages versuchen könnte, sich mit der Begründung»Ihr seid keine Indianer mehr« aus ihren vertraglichenVerpflichtungen zu lösen. Beispiele für diesen Balance-akt der indianischen Moderne dokumentieren drei For-schungsarbeiten Frankfurter Sozialwissenschaftler.

Vancouver Island: Selbstfindung auf den Wegen tradierten Wissens

Herbst 2002: Der Somass River auf Vancouver Island(Kanada) brodelt vor Lachsen, die den Fluss hinauf zuihren Laichplätzen ziehen. Kinder angeln, Männerlegen von Booten aus Netze zum Fang aus. Ein Defileevon Pappschildern, die frischen Lachs anpreisen, säumtden Straßenrand gleich hinter der Tafel, die in großenLettern »Willkommen im Tsahaheh Reservat, Heimatder Tseshaht First Nation« verkündet. Sie markiertgleichzeitig die Stadtgrenze von Port Alberni, wie vieleandere Orte der Pazifikküste selbsternannte »salmon ca-pital of the world«. Jeder, der zur begehrten Westküstedes Eilandes mit ihren Wanderpfaden, Cottages undentspannendem Whalewatching will, muss hier durch.

Lachs ist hier Grundnahrungsmittel und Wirtschafts-faktor für die Indianer. Um ihn gab es im letzten Som-mer Streit zwischen der staatlichen Fischereibehördeund den Tseshaht. Jene wollte die bislang geltendenFangquoten durchsetzen, die die Indianer in den ver-gangenen Jahren immer weit überschritten hatten. EineVereinbarung kam nicht zustande, die Tseshaht dürfendieses Jahr gar nicht fischen. Sie tun es trotzdem. »Wirsind so großzügig und lassen die Einwanderer in unse-rem Gebiet wohnen und an unseren Ressourcen teilha-ben. Nachdem sie mit schwimmenden Fischfabrikenden Wildlachs fast ausgerottet haben, wollen sie uns

von Olaf Behrend, Christian Carstensen,Henry Kammler und Michael Schlottner

Können s ich d ie ind ian ischen Kul tu ren Nordamer ikas im 21. Jahrhunder t andersbehaupten a l s nur in der Pf lege von Fo lk -lo re? Wie können Stammesangehör ige mi tden über l i e fe r ten Kenntn issen umgehen und dami t ih r Leben in der modernen amer ikan ischen Gese l l schaf t ges ta l ten? Wie bes tehen Kul tu ren , d ie nur knapp derAusro t tung entgangen s ind , a l s Minderhe i -ten im e igenen Land?

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verbieten, uns unsere traditionelle Nahrung auf unsereWeise zu beschaffen«, hören wir im Reservat. Die Tses-haht sind einer von 14 Stämmen, die sich unter demNamen »Nuuchahnulth« (»längs der Berge«) zusam-mengeschlossen haben und landläufig immer noch»Nootka« genannt werden.

Verhandlungen und Abkommen machen ohnehinmittlerweile einen Großteil des öffentlichen Lebens derNuuchahnulth aus. Seit dem Jahre 1991 verhandeln dieProvinz British Columbia und die kanadische Regierungmit allen dort lebenden Indianerstämmen, über 120 ander Zahl, über Fragen des Nutzungsrechts des Landes,das ehemals im alleinigen Besitz der Indianer war. Essind die längsten, aufwändigsten und kostspieligstenVerhandlungen der Moderne. Geklärt werden soll, zuwelchem Anteil die Stämme an aus ihren traditionellenGebieten gezogenen Profiten beteiligt werden, überwelche Teile des Landes sie alleiniges Nutzungsrechthaben und welche Verpflichtungen die Regierungen inZukunft noch für soziale und Bildungseinrichtungen

der Stämme eingehen. Diese und weitere Aktivitätendes vereinten Stammesrates sowie der vierzehn Verwal-tungen der Teilstämme produzieren wie ihre weißenVorbilder Unmengen an Studien und Berichten.

Das gesprochene Wort alsWissensspeicher und dieFremdheit der Schriftsprache

Kultur- und Wissenstradierung der Nuuchahnulth istaber bis heute im Kern an das gesprochene Wort gebun-den. Wissensspeicher waren daher entweder Erzähltesund Gesungenes (Mythen, Legenden und Lieder) und –eng mit den mündlichen Ausdrucksformen verbunden– höchst kunstfertige Artefakte wie geschnitzte Maskenund Wappenpfähle, Körbe und geflochtene Hüte, Zere-monialvorhänge oder speziell gestaltete Truhen. Ge-schriebene Texte sind neu und bislang vor allem für denAustausch mit der kanadischen Administration von Be-deutung. Selbst mit schriftlichen Studien und Empfeh-

»Look who’s smi-ling!« Die beidenNuuchahnulth-Mädchen fühlensich in der jovia-len Umarmung ih-rer Lehrerin LoisPitts – immerhineine der wenigen,an die sich späterals eine wohlwol-lende Person erin-nert wurde – of-fensichtlich nichtsehr wohl. Sie ar-beitete in den1920er und 30erJahren an der Al-berni ResidentialSchool auf Van-couver Island, woihr Vater Direktorwar. Diese Aufnah-me versinnbild-licht sehr deutlichdie unterschiedli-che Wahrnehmungder Internatedurch das Perso-nal und dessenSchützlinge.

Die jeweiligen Schul- und Missionsbands waren häufig der er-ste intensivere Kontakt indianischer Kinder mit europäischenMusiktraditionen. Allerdings ist dieses Bild, das um 1935 inder Alberni Residential School (Vancouver Island) entstand, in-sofern gestellt, dass keineswegs alle Kinder eines Jahrgangs einInstrument lernten. Der Musikunterricht war beliebt als Ver-schnaufpause von der schweren körperlichen Arbeit und demstrengen Reglement des sonstigen Schullebens.

Eine Lerngruppe an der HaaHuupa’yak School in Port Alberni,British Columbia, hantiert im Nuuchahnulth-Sprachunterrichtmit selbstgemachten »flashcards«, die zu den wenigen Lehr-mitteln gehören, die der Sprachlehrerin Linda Watts (im Hin-tergrund) zur Verfügung stehen.

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lungen zur Erhaltung der eigenen Sprache und über-kommener Wissensbestände können die Indianer in derPraxis wenig anfangen, man sammelt solche Schriftenin eigenen Bibliotheken, manche werden auch gelesen,aber sie bleiben in der Regel praktisch folgenlos.

»Erziehung« in Internaten – Rückkehr als Fremde

Die Zeit drängt allerdings für die indigenen Wissensbe-stände, vor allem für die extrem bedrohte und in ihrerStruktur höchst eigenwillige Sprache: Im Alltag domi-niert längst Englisch. Es gibt nur noch sehr wenige, alteMuttersprachler, die sie fließend beherrschen. Hier hat,neben dem objektiv vorhandenen Anpassungsdruck andie dominante Kultur, das Internatssystem der »residen-tial schools« verheerende Folgen gehabt. Von Kirchenim Auftrag der Regierung betrieben, dienten diese Inter-nate als Umerziehungseinrichtungen, in die seit demfrühen 20.Jahrhundert nahezu alle indianischen Kinderverschleppt wurden. Im Alter von fünf oder sechs Jah-ren ihren Eltern entzogen, kehrten sie nach leidvollenJahren seelisch zerstört zu diesen als Fremde zurück.

Nicht nur gab es bis in die 1960er Jahre für Indianerdamit keine »Kernfamilie«, sondern nur Eltern ohneKinder und Kinder ohne Eltern. Auch waren die Inter-nate die denkbar schlechtesten ihrer Art, eine pädagogi-sche Ausbildung gehörte nicht zu den Einstellungskrite-rien der Betreiber. Das Sprechen der indigenen Spracheund andere Akte des »Ungehorsams« gegenüber denErziehern wurden dem rassistischen Zeitgeist entspre-chend hart geahndet. Allein der Akt des Lesens machtfür viele Betroffene traumatische Schulerlebnisse ge-genwärtig, und das hat nicht nur etwas mit dem kultu-rellen Hintergrund der fehlenden Lesekultur zu tun.Das Personal setzte seine Schutzbefohlenen einem perfi-den, nahezu flächendeckenden System des physischenund sexuellen Missbrauchs aus. Das Schweigen über dieZustände hielt bis in die 1990er Jahre an, seitdem sehensich kanadische Gerichte einer zunehmenden Flut vonAnzeigen gegen ehemalige Erzieher gegenüber.

Das Erbe der Internate liegt bis heute wie ein be-drohlicher Schatten über den indianischen Gemeinden,denn Missbrauch und Gewalt setzen sich fort. Seit dreiJahrzehnten bemühen sich die Stämme, den Kreislaufaus fehlendem Selbstbewusstsein, Suchtproblemen undder Atmosphäre des Misstrauens zu durchbrechen. Dieehemaligen Schulen wurden übernommen, um alter-native Bildungs- und Therapieprojekte oder Stammes-verwaltungen darin unterzubringen. Erst vor zwei Jah-ren sprach die kanadische Regierung eine Entschuldi-gung für den versuchten Ethnozid aus und rief einen»healing fund« ins Leben, aus dem neue Therapiepro-jekte finanziert werden.

Auf der Suchenach der eigenen Sprache

Mit kulturellen Einrichtungen mehrerer Stämme derNuuchahnulth arbeitet eine Frankfurter Forschergruppezusammen. Sie versucht, in einem Arbeitsbündniseinen »geregelten Austausch« zu installieren: Im Rah-men der Forschungsarbeit mit den Nuuchahnulth er-halten die indigenen Kooperationspartner praktischeUnterstützung und Unterweisung, ihre Sprache selbst

Frauen der Huupach’as’ath nehmen für einen Tanz Aufstellung, der ein traditionellesFest abschließt, bei dem eine Familie eine große Anzahl von Gästen bewirtet hat. SolcheFeste stehen an der Nordwestküste Amerikas in der Tradition eines weitläufigen Umver-teilungssystems in dem adlige Familien regelmäßig ihren Wohlstand teilten und damitständig gegenseitige Verbindlichkeiten erneuerten sowie sich der Loyalität der Nichtadli-gen versicherten. Kompromisslose Freigebigkeit bis an den Rand des ökonomisch Mögli-chen gilt heute den Stammesmitgliedern allgemein als anzustrebendes, »typisch indiani-sches« Verhaltensideal.

Vernon Ross ausUcluelet (Vancou-ver Island) in sei-ner Werkstatt, inder er unter ande-rem Paddel undSpielstäbe für dasim Nordwestenweitverbreitete in-dianische Glücks-spiel Lahal her-stellt. Der äußerstbescheidene Mannwar zeit seines Le-bens Fischer undoffenbart nun alseiner der letztenGewährsleute fürden Fortbestandseiner Mutterspra-che die unglaubli-che Breite des ihmmündlich überlie-ferten Wissens.Dass er einmal ei-ne Art Lehrer seinkönnte, hätte ersich nach seinentragischen Schul-erfahrungen nievorgestellt.

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linguistisch zu dokumentieren, zu erschließen und dia-logisch zu unterrichten. Das bietet für sie die Chancezur Autonomie in Sprachbelangen. Über die Krücke derlinguistischen Verschriftung, da es keine naturwüchsigentstandene Schrift gibt, versuchen wir, soviel wie mög-lich von der alltäglichen Sprache zu dokumentieren,um sie so möglichst breit für spätere Generationen zuerhalten und zumindest einen Fremdsprachenunter-richt der einstigen Muttersprache für jüngere Genera-tionen zu ermöglichen.

Inzwischen sind eigene Grundschulen aufgebautworden, die die eigene Sprache und Kultur im Lehrplanhaben, aber es mangelt an qualifizierten Sprachlehrern.Nur wenige der Alten sind noch agil genug, Pubertie-renden die indigene Sprache mitsamt ihrer Einbettungin Musik und Tanz zu vermitteln. Die jüngeren »lan-guage instructors« sind der Sprache nur lückenhaftmächtig und verfügen kaum über Materialien und Me-thoden, sich die Sprache selbstständig anzueignen, ge-schweige denn sie zu unterrichten. Aber nicht nur hierwird eine tatkräftige Unterstützung der Akademiker er-wartet.

Auch heute wird in Oregon mit dem Setznetz von Plattformen aus gefischt, wie hiervon Stammesmitglied Ross Kalama, Senior, Stammesmitglied der Warm Springs Re-servation, an den Sherar’s Falls am Deschutes River nördlich der Reservation. SeineAusbeute verteilt er zunächst an ältere Bewohner der Reservation und Bedürftige,bevor er Fische für sich selbst zurückbehält.

Innerhalb der Großfamilien kommt es auf gute Kooperation al-ler beim Fang und der Aufbereitung des GrundnahrungsmittelsLachs an. Im Bild schneiden eine Huupach’as’ath-Frau und ih-re Enkelin das Fleisch in dünne Streifen, die dann im Rauch-haus, wie es fast hinter jedem Haus bei den Nuuchahnulth zufinden ist, zum Räuchern aufgehängt werden.

Brückenschläge: Ein Grammy für Indianer

Szenenwechsel: Indianische Musik – ist das nicht dasschrille Geheul zahlloser Wildwestfilme aus Hollywood?Von New York City bis San Francisco zeigen sich India-ner immer wieder erheitert über solche Vorstellungen.Aus ihrer Perspektive ist Musik gleichermaßen in Tradi-tion und Moderne verwurzelt und darüber hinaus einMedium, das weit über reine Unterhaltung hinausgeht.Musik bedeutet Kommunikation: zentrale Themen zeit-genössischen Indianer-Seins erscheinen in musikali-schen Botschaften, die sich nachhaltiger im Bewusstseinverankern als gesprochene Sprache.

Entgegen der kolonialen Strategie der Einwanderer,alle kulturellen Wurzeln der Ureinwohner auszulö-

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Einblicke in Arbeitsfelder einesTeilprojekts des Forschungskollegs»Wissenskultur und gesellschaftli-cher Wandel« – und mehr – bietetgegenwärtig eine Ausstellung imMuseum der Weltkulturen inFrankfurt am Main. »Indian Times.Nachrichten aus dem roten Ameri-ka« entstand im projektorientier-ten Hauptstudium im Fach Histori-sche Ethnologie der Johann Wolf-gang Goethe-Universität unter derMitwirkung der Mitarbeiter desTeilprojekts und sollte den Studie-renden praktische Erfahrungen imuniversitär vielfach vernachlässig-ten Berufsfeld der Museumsethno-logie bieten, den Besuchern hinge-gen unerwartete Einblicke in dieKulturen der »Indianer« eröffnen.

Grundlage der Ausstellung sinddie Nordamerika-Bestände desMuseums der Weltkulturen, die inihren Anfängen auf die ethnogra-phischen Sammlungen der Sen-ckenbergischen NaturforschendenGesellschaft zurückgehen, jedoch

niemals systematisch ausgebautwurden und sich somit auch nichtfür eine flächendeckende Darstel-lung der Kulturen des indianischenNordamerika eignen. Statt desseninformiert nun ein zeitungsartigesMosaik von Nachrichten aus Ver-gangenheit und Gegenwart, das sichdie Stärken der Museumssammlungund die Sachkompetenz der Mitar-beiter zu Nutze macht, in dreizehnRäumen über einzelne Lebenswel-ten des indigenen Nordamerika, diesich zum Teil erheblich von den po-pulären Anschauungen über »dieIndianer« unterscheiden.

So illustriert die Sammlung desGouverneurs von Russisch-Ameri-ka, Ferdinand von Wrangell, die um1830 bestehende VölkervielfaltAlaskas mit seinen aleutischen undeskimoischen Seesäugerjägern, denkaribujagenden Athapasken des In-nenlands und den Tlingit entlangder Pazifikküste, die als Fischer eineKlassengesellschaft errichteten, inder Berufskünstler die Privilegiendes Adels verherrlichten. Auch dieNachbarn des russischen Außen-postens in Kalifornien sind mit fei-nen Federarbeiten und Körben ver-treten. Weitere Räume zeigen dieDakota in Minnesota am Vorabendihres blutigen Aufstands von 1862,dessen erste Opfer die deutschenSiedler von Neu Ulm waren; die Bi-sonjäger vom oberen Missouri, dieum 1840 am Höhepunkt einer bil-derschriftlichen Maltradition ange-langt waren, in der erfolgreicheKrieger ihre Heldentaten festhielten;die Apachen und Navajo um 1890,als im fernen Deutschland Karl Mayseinen »Winnetou« verfasste, wäh-rend Geronimo die amerikanischeArmee in Atem hielt; und schließ-lich die Warm Springs Reservationin Oregon am Beginn des drittenJahrtausends.

In einem zweiten Teil widmetsich »Indian Times« der Vielfalt

Ausstellung im Museum der Weltkulturen: »Indian Times. Nachrichten aus dem roten Amerika«

schen, hat deren tradierte Musik in den vergangenenJahrzehnten Eingang in die Gegenwart der globalenMediengesellschaft gefunden. Mehr als 2000 Tanzfesteim Jahr, gemeinhin als Powwows bekannt, belegen al-lein in den USA neben einer stetig wachsenden Zahlvon Tonaufnahmen die Vitalität dieses Gesanggenres:Damit wird die eigene Stimme zum musikalischen Sym-bol der kulturellen Eigenständigkeit.

Längst mehr als nur Powwow-Trommeln

Von Nicht-Indianern weitgehend unbemerkt zeichnetsich seit Jahrzehnten eine weitere Entwicklung ab. Fo-toaufnahmen illustrieren, dass Indianer bereits imfrühen 20.Jahrhundert nicht nur auf tradierten Instru-menten wie Trommeln und Rasseln, sondern auch aufeuropäischen Gitarren und Fiedeln musizierten und

»Indian Times. Nachrichten aus dem roten Amerika« Museum der WeltkulturenSchaumainkai 2960594 Frankfurt am Main

Öffnungszeiten: dienstags, donnerstags, freitags, sonntags von 10 bis 17 Uhr, mittwochs 10 bis 20 Uhr, samstags 14 bis 20 Uhr, montags geschlossen, bis zum 31. August2003

durch die kulturvergleichende Be-trachtung von Themen wie demVerhältnis von Männern undFrauen, den Aufgaben von Bün-den, Gilden und Altersklassen beider Pflege und Weitergabe spezia-lisierten Wissens, dem Frauen-handwerk der Korbflechterei, derBedeutung von Stil als Form deskulturellen Ausdrucks und Indika-tor kultureller Veränderungen, dertouristischen (Selbst)-Vermark-tung der indigenen Völker imSpiegel der Touristenkunst undschließlich indigenen Medien undMusik – vom Wampumgürtel zumInternet und von der Rassel desMedizinmanns zu Reggae undRock'n' Roll.

Zu den grundlegenden Bot-schaften der Ausstellung zählt dieErkenntnis, dass »Indianer« in er-ster Linie Hirngeburten desAbendlands sind und als Gegenbil-der im Guten wie im Bösen – alsedle und unedle Wilde – vorwie-gend die Köpfe der Deutschen undanderer Europäer bevölkern. Wiealle Klischeebilder enthält das desIndianers gerade so viel Aspekteder Wirklichkeit, um es auf denersten Blick glaubhaft erscheinenzu lassen, letztlich jedoch verstelltes den freien Blick auf die Tatsa-chen. Dem statischen Stereotypstellt die Ausstellung die Vielfaltund Veränderlichkeit der indige-nen Kulturen Nordamerikas ge-genüber. Und ihre Lebendigkeit:Denn das von Karl May propagier-te Bild der »Indianer« als »ster-bender Nation« ist schon langenicht mehr aktuell – seit Jahr-zehnten sind die »Native Ameri-cans« die am stärksten wachsen-de Bevölkerungsgruppe.

Prof. Dr. Christian Feest lehrt undforscht im Fach Historische Ethnolo-gie, Schwerpunkt Nordamerika, an derUniversität Frankfurt.

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I nd ian i sche Ku l tu ren Nordamer ikas

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Obgleich das Powwow eine eher moderne Entwicklung dar-stellt, gilt es doch als »stolzes Vermächtnis« der Vergangen-heit. Auf größeren Veranstaltungen tragen die Tänzer ähnlichwie Sportler Nummern an ihren Gewändern, damit sie leichtervon den Preisrichtern zu identifizieren sind.

ohne Notenkenntnisse europäische Tänze wie Polkaund Walzer, aber auch afroamerikanischen Jazz nach-spielten. Ab den späten 1960er Jahren formierten sichin vielen Reservationen Musikgruppen, die sich Rockoder Country-Musik verpflichteten. Gleichzeitig wur-den Gruppen wie XIT bekannt mit eigenen Kompositio-nen und Texten über historische Erfahrungen, aberauch zu aktuellen indianischen Themen.

Seit den 1990er Jahren bedienen sich indigene Musi-ker so unterschiedlicher Genres wie Blues, Rap undReggae. Ihre Popmusik erreicht ein deutlich breiteresPublikum als die Powwow-Trommeln und erweist sichdamit als zentrales Vehikel zur Vermittlung indianischerBelange, die nunmehr auch in der dominanten ameri-kanischen Gesellschaft, in Europa und Fernost zu ver-nehmen sind. Während die Powwow-Musik für Nicht-Indianer oft unverständlich bleibt, baut indigene Pop-und Rockmusik Brücken zu nicht-indianischen »Ande-ren«, die aus berufenem Mund eine überraschendeDichte politisierter Inhalte hören: über das Leben aufReservationen, den Kampf um Selbstbestimmung oderdie Auseinandersetzungen um Landrechte, häufig into-niert mit dem berühmt-berüchtigten indianischen Hu-mor.

»Stand and be Counted«, ein Titel von »Robby BeeAnd The Boyz From The Rez«, umschreibt ein zeitge-mäßes Motto aus dem indigenen Nordamerika: nur werseine Stimme erhebt, wird in der globalen Medienge-sellschaft vernommen. Viele Gesangstexte zeichnen sichdurch Schlüsselwörter oder -sequenzen im Sinne vonCodes aus wie etwa »Reservation« oder »Indian Car«, dieals Symbole und musikalische Illustrationen Zusam-menhänge darlegen und Assoziationsfelder öffnen.

Im Vergleich zu den Branchenriesen der Musikindus-trie pflegen die wenigen unabhängigen Labels, die in-dianische Musik produzieren, nach wie vor ein Nischen-

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dasein. Doch gleich zu Beginn des neuen Milleniumskonnte der Genrekomplex einen weiteren Erfolg verbu-chen. Im Februar 2001 wurde erstmals ein Grammy, dasmusikalische Gegenstück zum Oscar der Filmindustrie,unter der Rubrik »Best Native American Music Album«an eine Compilation mit Powwow-Musik verliehen.Zwar hatte die in Beverly Hills, Kalifornien, etablierte»National Academy of Recording Arts and Sciences«zuvor immer wieder Stars wie Johnny Cash ausgezeich-net, die mehr oder weniger deutlich auf ihre Verhaftungmit der indianischen Lebenswelt verwiesen, aber dieHerkunft der indigenen Musiker blieb unbeachtet.

Lokale Radiostationen und indigene Bands

Zwar wächst das Interesse langsam, aber indigen kon-trollierte Radiostationen sind bislang die einzigen Insti-tutionen, die sich nachhaltig für die Verbreitung undPopularisierung neuer Aufnahmen einsetzen. Gäbe esinzwischen nicht etwa 35, zumeist nicht-kommerzielleRadiosender in den USA, würde der Genrekomplexebenso selten im Äther gespielt wie in Europa. Nebenlokalen Powwow- und Rockgruppen präsentieren dieseLokalsender alle – einschließlich nicht-indianische –Musiker, die im Sendegebiet Rang und Namen ge-nießen. Eine besondere Rolle fällt den Radiomoderato-ren zu, die mit ihren Kommentaren Gesangstexten undInstrumentalpassagen einen aktualisierten Kontext ver-leihen. Aber auch Hörfolgen wie Santana, die Nakota-Bluesrock-Gruppe Indigenous, Jimi Hendrix, die Nava-jo-Punk-Gruppe Blackfire, gefolgt von den Indigo Girls,erbringen im Äther den akustischen Nachweis, dass sichindigene Bands durchaus mit so genannten Superstarsmessen können.

Warm Springs – eine Reservationals Wirtschaftsunternehmen

Das dritte Forschungsprojekt ist in Oregon angesiedeltund beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern eine Re-servation wirtschaftlich erfolgreich sein und gleichzeitigan alten Traditionen festhalten kann. Auch für die aufder Warm Springs Reservation lebenden Wasco, WarmSprings und Paiute ist der Lachs seit Jahrhunderten vonbesonderer Bedeutung. Früher, als sie noch am Colum-bia River siedelten, war er Hauptnahrungsmittel undHandelsgut zugleich, und immer noch ist der Fischkon-sum auf Warm Springs etwa zehnmal so hoch wie inden restlichen USA. Seine ökonomische Bedeutung je-doch ist seit dem erzwungenen Umzug auf die 100Kilo-meter südlich des Flusses gelegene Reservation im Jahre1855 erheblich zurückgegangen, und andere Produktesind, rein wirtschaftlich gesehen, an seine Stelle getre-ten. Für die Identität spielt der Salm jedoch auch heutenoch eine zentrale Rolle: Ihm zu Ehren gibt es in jedemFrühjahr ein eigenes Dankfest auf der Warm SpringsReservation, genau wie für andere ehemalige Grund-nahrungsmittel wie Knollen und Heidelbeeren. Alle dreidürfen erst dann von allen gegraben, gefangen und ge-pflückt werden, wenn zuvor ausgewählte »Zeremonial-Sammlerinnen und -Fischer« mit ihrer Ernte heimge-kommen, diese im Rahmen einer Zeremonie gesegnetund auf dem dazugehörenden Festmahl an alle verteiltworden sind.

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Olaf Behrend, 32, (rechts im Bild) stu-dierte Soziologie, Slavistik, Psychoanaly-se und ältere Philologien in Frankfurtund promoviert als Stipendiat des Studi-enwerks Villigst seit 1999 an der Univer-sität Frankfurt zur Neurobiologie derWahrnehmung und Sinnstrukturiertheit.Er ist zudem Dozent an der Verwaltungs-fachhochschule Thüringen, FachgruppePolizei. Seit vier Jahren arbeitet Beh-rend in der Nuuchahnulth-Arbeitsgruppemit und verbrachte gemeinsam mitKammler im Herbst 2002 einen sechs-wöchigen Feldaufenthalt bei den Nuuch-anulth auf Vancouver Island.

Dr. Christian Carstensen, 43, (Zweitervon links) ist wissenschaftlicher Mitar-beiter im Teilprojekt »Konstitution undhistorische Transformation indigenerWissenskulturen in Nordamerika« imSonderforschungsbereich/Forschungs-kolleg »Wissenskultur und gesellschaftli-cher Wandel« unter der Leitung vonProf. Dr. Christian F. Feest. In seinemForschungsschwerpunkt fragt der Ethno-loge, wie Museen und anderen Institu-tionen indigene Wissensbeständen inZeiten gesellschaftlichen Wandels wah-ren und wie stammeseigene Unterneh-men als traditionell erachtetes Wissenmit den Anforderungen der umgebendendominierenden US-Gesellschaft verbin-den können. Um dies zu untersuchen,hielt er sich seit 1999 mehrfach in derWarm Springs Reservation in Oregon auf.Carstensen studierte nach Abitur undAusbildung zum Großhandelskaufmannin Marburg, Tübingen und Eugene, Ore-gon, Ethnologie im Hauptfach. In Ore-gon knüpfte er 1985 erste Kontakte zurlokalen indianischen Bevölkerung undschrieb anschließend seine Magisterar-beit über die wirtschaftliche Situationauf der Warm Springs Reservation inZentraloregon. Aus seiner Tätigkeit in ei-ner großen deutschen Bundesbehördeund der Smithsonian Institution in Was-hington, DC, resultierte seine organisati-onsethnologische Dissertation »Das Hand-book-Office – Treffpunkt von Kulturen«,seinem weiteren Schwerpunktthema.

Henry Kammler, 31, (links im Bild)studierte Ethnologie, Soziologie undAllgemeine/Vergleichende Sprachwis-senschaft an den Universitäten Leipzigund Frankfurt mit dem SchwerpunktKulturen und Sprachen Nord- und Me-soamerikas. Nach der Magisterprüfungpromoviert er über »Habitusgeneseund Mobilität bei Nahuas in Guerrero,Mexiko«. Nach mehrjähriger Mitarbeitam Frankfurter Museum für Völkerkun-de (jetzt: Museum der Weltkulturen) istKammler seit 2001 wissenschaftlicherAngestellter am Institut für HistorischeEthnologie und arbeitet im Forschungs-kolleg »Wissenskultur und gesellschaft-licher Wandel« mit. Kammler betreibtFeldforschungen in Mexiko und aufVancouver Island. Seit 1996 ist er ander interdisziplinären »ArbeitsgruppeNuuchahnulth«, die mit Stammesinsti-tutionen zusammenarbeitet, beteiligt.Diese Kooperation wurde damals vondem Frankfurter Linguisten Harald Vaj-konny initiiert, der aber wegen fehlen-der Unterstützung des hiesigen lingui-stischen Umfeldes seine wissenschaft-liche Karriere ausgesetzt hat.

Dr. Michael Schlottner, 45, (im Bildstehend) studierte von 1979 bis 1985Ethnologie, Musikwissenschaften undSoziologie an der Universität Frankfurtund legte von 1988 bis 1989 ein For-schungsstudium an der University ofGhana in Legon ab. Als Mitarbeiter desSonderforschungsbereichs 268 »West-afrikanische Savanne« promovierte er1993 an der Universität Frankfurt überein musikethnologisches Thema. Da-nach setzte Michael Schlottner seineTätigkeit als wissenschaftlicher Mitar-beiter fort und übernahm Lehraufträgean den Universitäten Marburg, Heidel-berg und Frankfurt. Seit 1999 ist derEthnologe Mitarbeiter im transdiszi-plinären Forschungskolleg »Wissens-kultur und gesellschaftlicher Wandel«an der Johann Wolfgang Goethe-Uni-versität und unternimmt jährlich mehr-monatige Feldforschungen im indige-nen Nordamerika.

Die Autoren

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Jeneda Benally, die Bassistin der Navajo-Punkrockband Black-fire: Im September 2002 mit einem »Native American MusicAward« ausgezeichnet, absolviert die Gruppe derzeit eine Eu-ropa-Tournee. Anschliessend sind gemeinsame Auftritte mitTuareg-Bands in Timbouctou (Mali) vorgesehen.

Die Architekturdes Museums aufWarm Springsgreift die drei un-terschiedlichenHausformen derWascoes, WarmSprings und Paiu-tes auf und signa-lisiert: »Dies ist ei-ne besondereWelt, dies ist Indi-anerland.« Nebender Dauerausstel-lung zu Geschich-te und ausgewähl-ten Aspekten derindigenen Kultu-ren auf WarmSprings werden imMuseum auchKurse angeboten,in denen Teilneh-mer beispielswei-se alte Technikendes Korbflechtenslernen können. Lokale Künstlerin-nen stellen Stückevon beachtlicherQualität her, die inSonderausstellun-gen gezeigt undim Museumsladenverkauft werden.

Ein indianisches Wirtschaftswunder

Während auf Warm Springs einerseits Traditionen be-wahrt wurden, gelang ihnen andererseits ein viel zitier-ter wirtschaftlicher Aufschwung. Denn allgemein gese-hen sind die Lebensbedingungen auf Reservationen(mit Ausnahme einiger »Casino-Stämme«) mit hoherArbeitslosigkeit und den sozialen Folgeerscheinungenerheblich schlechter als im übrigen Amerika. Die »Con-federated Tribes of the Warm Springs Reservation« hin-gegen organisierten sich bereits 1938 als ein Wirtschafts-unternehmen. Jedes der heute etwa 4000 Stammesmit-glieder ist somit Anteilseigner, an den aus dem erwirt-schafteten Überschuss jährlich Gelder von bis zu mehre-ren tausend Dollar ausgeschüttet werden. Mit der Ver-marktung von Holz, das auf der Reservation geschlagenund seit 1966 im stammeseigenen Sägewerk weiterver-arbeitet wird, begann der langsame, aber kontinuierlichewirtschaftliche Aufschwung, der bis Mitte der 1990eranhielt und die Reservation zeitweise zum größten Ar-beitgeber der Region machte. Zusätzlich stiegen dieWarm Springs Stämme 1964 in das Tourismusgeschäftein und eröffneten an heißen Quellen die Hotelanlage»Kah-Nee-Ta« mit Mineralwasserbädern, Schwimmbad,Golfplatz und weiteren Kur- und Freizeitangeboten.1996 ergänzten sie es um ein Casino, das einen Teil desdurch den Rückgang des Holzgeschäftes entstandenenVerlustes kompensieren konnte. Des Weiteren investier-ten die »Tribes« in die Entwicklung neuer Erwerbszwei-ge, wie der Produktion feuerresistenter Türen.

Zunächst waren es hauptsächlich Wascoes, die dieGeschicke der Reservation bestimmten – als ehemals er-folgreiche Händler am Columbia River, die durch einegroße Zahl von Besuchern aus unterschiedlichen Regio-nen permanent mit neuen Ideen konfrontiert wurden,waren sie es gewohnt, sich auf Neues einzulassen. Und

sie waren es auch, die sich am besten und schnellstenauf die neue Situation nach Ankunft der Weißen ein-stellen konnten und die Spielregeln der dominantenGesellschaft aufgriffen. Gleichzeitig bewahrten die eherkonservativen Warm Springs größere Teile der indige-nen Kultur, die heute von allen Bewohnern als ihr Erbebetrachtet werden.

Museum – mehr alsnur ein Blick zurück

Um dieses Erbe zu bewahren, wurde 1993 nach 20-jähriger Planung und Sammeltätigkeit für fast acht Mil-lionen Dollar ein Museum auf Warm Springs errichtet,das zu jener Zeit das am aufwändigsten gestaltete Muse-um im indianischen Nordamerika war. Hier wird zumeinen deutlich, dass die Wasco, die Warm Springs unddie Paiute seit Jahrtausenden in der Region siedeltenund sie dabei – trotz aller Anpassungen – ihre eigeneKultur bewahrt haben, zum anderen, dass sie keineBittsteller und Almosenempfänger sind, sondern die ur-sprünglichen Besitzer des Landes, die den Weißen zwarLand abtreten mussten, dafür aber vertraglich garantier-te Gegenleistungen erhielten. Diese Perspektive istwichtig für die Bewohner von Warm Springs, besondersfür Schüler, da diese wegen ihrer indianischen Herkunftoft Schwierigkeiten in der US-Gesellschaft haben.

Um überlieferte Traditionen zu pflegen, erhalten Mit-arbeiter der stammeseigenen Betriebe bis zu zwei Stun-den pro Woche frei. In dieser Zeit können sie unter an-derem Sprachkurse besuchen, aber auch an überliefer-ten Zeremonien, beispielsweise im Gedenken an einenToten, teilhaben. Wie in Warm Springs pendelt der »All-tag« der indigenen Bevölkerungen überall im Nordwe-sten permanent zwischen den Anforderungen der un-terschiedlichen Welten; sie im persönlichen Handelnzusammenzuführen ist ein Balanceakt, der nicht allenproblemlos gelingt. ◆