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Fortlau~ende retrograde Amnesie naeh cerebraler Luftembolle. Von Dr. Walther Kreutzberg. ( Einffeffanffen am 20. Juni 1942.) Einen ziemlich gut sitzenden I)oppelpneumothorax, den ieh am 12. XII. I941 mit einem doppelseitigen Winkelexsudat und einern nach rechts oben ver- laufenden Strung iibernahm, hatte ich llm~l fast gleichbleibend mit je 2mal 500 ecru Luft nachgefiillt, wobei der Druck, auch immer ziemlich gleichm/ii~ig, yon --12--6 auf --6---4 anzusteigen pflegte. Am 20. IV. 1942 ergab der Einstich nur einen Druck yon --2 cm. Als der Druck konstant blieb, fiihrte ich die Nadel (Deneke) zun/~chst einige Millimeter zuriiek, um sie darauf etwa um das Doppelte wieder vorzuschieben. Dabei /inderte sieh an dem Manometer nichts, nur der Patient /~uBerte, dal] ihm ,,so anders" wiirde. Es h~ndelt sich um einen sts ruhigen Mann yon 24 Jahren. Er hat den Feldzug gegen Frankreich mitgemacht, in der Heimat im Januar 1941 ,,eine kleine Grippe" bekommen, dabei nut einen Tag Fieber gehabt, darauf gleich wieder gearbeitet, im Urlaub im Februar sogar sehwer, hat dabei langsam an- gefangen zu husten und im M/irz Blur zu spucken. Im April bekam er rechts, im 1Kai auch links den Pneumothorax angelegt. Im Dezember wurde er aus der Heilst/ttte entlassen und wuBte mir seine letzten Pneudaten zuverl/issig anzu- geben, Ich konnte sie bei den Nachfiillungen wie oben best/s Irgendweleher Bericht oder eine Befundmitteilung lag nicht vor. Leider fehlt es daran zumeist, nach wie vor. Der Patient erschien mit seinem bloBen Wehrmachts-Heilfiirsorge- schein, der auBer seinen Personalien nur das Wort Lungentuberkulose aufweist. Der Patient hatte linke Seitenlage eingenommen, da ieh zun/ichst rechts naehfiillen wollte. Zu seiner angegebenen AuBerung, nach der ich keinerlei Anderung mehr vornahm, fiigte er im niichsten Augenblick hinzu, dab er nieht mehr sehen k6nnte, und wiederholte mir das nach l~iickfrage. Ich konnte die Pupillen nieht gut beobaehten, da ich, wie bei einer vorhergehenden F/ilhmg bei ihm, ganz allein im Spreehzimmer war. Es war mir im Augenbliek klar, dug es sich um eine durchaus kleine Luftembolie an nicht lebensbedrohender Stelle handelte. Daher zog ieh die Nadel sofort heraus und hie8 ihn ruhig liegen bleiben. Der Patient blieb aueh ganz ruhig, versuehte immer wieder, seine Finger vor den Augen zu sehen, und wunderte sich 1/ichelnd, dab ihm das nieht gelang. W/ihrenddessen gab ich ihm zur Vorsorge ein Kardiacum, was ich gerade zur Hand hatte: Transpulmin 1,0 ecru in den Oberarm. Naeh etwa 5 Minuten erhob sich der Patient briisk und fragte reich, was mit ibm gewesen sei. Ieh sagte: ,,Eine kleine Ohnmaeht." Er fragte ,,Bin ich gefiillt worden ?" Meine Ant. wort: ,,Nein." ,,Was war das eben mit mir ?" ,,Wie bin ieh hier herein gekom- men ?" ,,Was haben wit heute fiir einen Tag ?" Bis dahin zeigte sich nur die einfache retrograde Amnesie. Ich beantwortete ihm jede Frage so ruhig, wie sie gestellt wurde. Aber der Kranke wiederholte sie unermiidlieh etwa in minutenlangen Abst/~nden mit kaum ge/inderter Fassung.

Fortlaufende retrograde Amnesie nach cerebraler Luftembolie

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Page 1: Fortlaufende retrograde Amnesie nach cerebraler Luftembolie

Fortlau~ende retrograde Amnesie naeh cerebraler Luftembolle.

Von

Dr. Walther Kreutzberg. ( Einffeffanffen am 20. Juni 1942.)

Einen ziemlich gut sitzenden I)oppelpneumothorax, den ieh am 12. X I I . I941 mit einem doppelseitigen Winkelexsudat und einern nach rechts oben ver- laufenden Strung iibernahm, hat te ich l l m ~ l fast gleichbleibend mit je 2mal 500 ecru Luft nachgefiillt, wobei der Druck, auch immer ziemlich gleichm/ii~ig, yon - - 1 2 - - 6 auf - -6---4 anzusteigen pflegte. Am 20. IV. 1942 ergab der Einstich nur einen Druck yon - - 2 cm. Als der Druck konstant blieb, fiihrte ich die Nadel (Deneke) zun/~chst einige Millimeter zuriiek, um sie darauf etwa um das Doppelte wieder vorzuschieben. Dabei /inderte sieh an dem Manometer nichts, nur der Patient /~uBerte, dal] ihm ,,so anders" wiirde.

Es h~ndelt sich um einen sts ruhigen Mann yon 24 Jahren. Er hat den Feldzug gegen Frankreich mitgemacht , in der Heimat im Januar 1941 ,,eine kleine Grippe" bekommen, dabei nut einen Tag Fieber gehabt, darauf gleich wieder gearbeitet, im Urlaub im Februar sogar sehwer, hat dabei langsam an- gefangen zu husten und im M/irz Blur zu spucken. I m April bekam er rechts, im 1Kai auch links den Pneumothorax angelegt. I m Dezember wurde er aus der Heilst/ttte entlassen und wuBte mir seine letzten Pneudaten zuverl/issig anzu- geben, Ich konnte sie bei den Nachfiillungen wie oben best/s Irgendweleher Bericht oder eine Befundmittei lung lag nicht vor. Leider fehlt es daran zumeist, nach wie vor. Der Pat ient erschien mi t seinem bloBen Wehrmachts-Heilfiirsorge- schein, der auBer seinen Personalien nur das Wort Lungentuberkulose aufweist.

Der Pat ient hat te linke Seitenlage eingenommen, da ieh zun/ichst rechts naehfiillen wollte. Zu seiner angegebenen AuBerung, nach der ich keinerlei Anderung mehr vornahm, fiigte er im niichsten Augenblick hinzu, dab er nieht mehr sehen k6nnte, und wiederholte mir das nach l~iickfrage. Ich k o n n t e die Pupillen nieht gut beobaehten, da ich, wie bei einer vorhergehenden F/ilhmg bei ihm, ganz allein im Spreehzimmer war. Es war mir i m Augenbliek klar, dug es sich um eine durchaus kleine Luftembolie an nicht lebensbedrohender Stelle handelte. Daher zog ieh die Nadel sofort heraus und hie8 ihn ruhig liegen bleiben. Der Pat ient blieb aueh ganz ruhig, versuehte immer wieder, seine Finger vor den Augen zu sehen, und wunderte sich 1/ichelnd, dab ihm das nieht gelang. W/ihrenddessen gab ich ihm zur Vorsorge ein Kardiacum, was ich gerade zur Hand ha t te : Transpulmin 1,0 ecru in den Oberarm. Naeh etwa 5 Minuten erhob sich der Pat ient briisk und fragte reich, was mi t ibm gewesen sei. Ieh sagte: ,,Eine kleine Ohnmaeht . " Er fragte ,,Bin ich gefiillt worden ?" Meine Ant. wort: , ,Nein." ,,Was war das eben mit mir ?" ,,Wie bin ieh hier herein gekom- men ?" ,,Was haben wit heute fiir einen Tag ?"

Bis dahin zeigte sich nur die einfache retrograde Amnesie. Ich beantwortete ihm jede Frage so ruhig, wie sie gestellt wurde. Aber der Kranke wiederholte sie unermiidlieh etwa in minutenlangen Abst/~nden mit kaum ge/inderter Fassung.

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238 W. Kreutzberg: Fortlaufende re$rograde Amnesie nach cerebrMer Luftembolle.

Daraus ergibt sieh, dab er in den 35 Minuten, in denen ieh diesen Zustand be. obachtete, die einzelne Frage 8- bzw. 12- bzw. 15real wiederholte. Ich versuchte ihn dazu zu bringen, dab er sich in das fiir ihn Unfa.Bbare sehiekte, sagte ibm, dab die Erinnerung an diese Stunde verloren sei und nieht wiederkehren wiirde, auch wenn er sich den Kopf dariiber zerbrechen wollte. Er blieb bei seinem Kopf- schfitteln, seiner Verwunderung, seinen Fragen. Er entdeekte das winzige Heft. pilaster auf der reehten Brustseite und sah darin eine Bests ffir meine An- gabe, dab er nicht geffillt worden sei, well er sonst immer ein Pilaster mit Wund- kissen bek/~me. Er fiihlte die Injektionsstelle im Oberarm und fragte richtig danach, auch dieses wiederholt. Jedesmal hat te ich den Eindruck, dab die Am- nesie damit abgesehlossen sei. Ieh best/~tigte ibm das Da tum mehrmals mit dem Hinweis, dab es der Geburtstag des Fiihrers sei. Doch auch dieser Eindruck erwies sieh nieht als nachhaltig. E twa vom 4. Male an z/~hlte ich ihm bei jeder seiner 3 Fragen vor, zum wievielten Male er die betreffende Frage gestellt und er Antwort -con mir erhalten hStte. Das hinderte nicht, daf~ er unentwegt~ his zum 15. MM weiterfragte. Zwischendurch war 2mal Erbrechen bei ihm aufge- treten. Auch hat te er mehrmals hastig nach seinem l~eiseausweis gegriffen und sich lange kopfschiittelnd sein Lichtbild darin betrachtet . Schliel~lich erkundigte er sich nach dem n~chsten Nachffilltermin, den ich auf den foIgenden Tag fest- setzte. Er liel~ sich von mir ins Wartezimmer geleiten, wo er sich nicht entsinnen konnte, Mantel oder Kopfbedeckung abgelegt zu haben. Nur suchend und mit Hilfe der anderen l~atienten konnte er seinen Mante] erkennen und best/itigte erst nach weiterem Suchen in den Taschen, wieder verwundert , dal~ der Mantel der seinige sei.

Der Pat ient erschien nieht am folgenden, sondern ers~ am fibern~cbsten Tage wieder und gab zur Entschuldigung an, dal] ihm tags zuvor noch nicht gut gewesen sei. Er will, re nieht, wie er am 20. IV. 1942 zu mir gekommen und wie er yon mir weggegangen sei, und ffigte hinzu, dal~ cr auf dem l~iickwege seinen Freund getroffen babe, dem es aufgefallen sei, dal~ er wiederholt dasselbe gefragt h/itte. Der Pat ient war wieder vSllig geordnet. Die Naebfiillungen am 22. IV., 4. V., 15. V., 28. V. und 9. VI. verliefen glat t wie die vorhergehenden.

I m ganzen dfirfte die fortlaufende retrograde Amnesic fiber eine Stunde gedauert haben. Bekannt ist die retrogade Amnesie naeh Gehirnerschiitterung. Aber sie ist rein retrograd und ergreift nicht die naeh dem Trauma gewonnenen BewuStseinsinhalte. Bekannt sind aueh die Herz- und Hirnembolien bei Pneu- mothoraxnaehfiillungen mit tSdlichem Ausgang. Aber eine transitorisehe Amau- rose mit fortlaufender retrograder Amnesie bei ununterbrochenem Bewul~tsein ist ganz eigenartig.

Oppeln, ttafenstr. 1.