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Fotobücher Made in Germany Deutsche Fotobücher der Klassischen Moderne sind heute gesucht und teuer. Dabei gibt es jenseits der bekannten Titel durchaus Entdeckungen zu machen. Sammler- Tipps vom Fotobuch-Experten Hans-Michael-Koetzle Nicht erst Martin Parr und Gerry Badger haben das deutsche oder deutschsprachige Fotobuch der 20er- und frühen 30er-Jahre zum Thema gemacht. Im ersten Band ihrer 2004/2006 erschienenen Geschichte des Fotobuchs heben sie aber doch die Bedeutung des deutschen Beitrags in besonderer Weise hervor und feiern für die Zeit zwischen den Kriegen (1919-39) nicht weniger als 16 Titel (zum Vergleich: 10 sind es für die USA). Die Gründe sind bekannt: Die junge Republik war nach Weltkrieg und Revolution politisch wie geistig, wirtschaftlich wie sozial destabilisiert und bot somit Raum für allerlei Experimente in Kunst wie Fotografie: vom Bauhaus bis Dada, vom Neuen Sehen bis zur Neuen Sachlichkeit. Hinzu kam eine leistungsfähige Druckindustrie, kamen mutige Verleger, findige Herausgeber und – nicht zu vergessen – ein Markt, der bereit war, das Fotobuch als neuen Typus der visuellen Kommunikation zu rezipieren. Auch wenn sich die Wissenschaft bis heute noch nicht einmal einig ist, was genau ein Fotobuch ist: Parr/Badgers reich illustrierte Publikation gewann rasch den Status eines Kanon, und die hier aufgeführten Titel wurden zu begehrten Sammlerstücken. An der Spitze natürlich die „Tops of the Tops“, darunter Moholy-Nagy mit „Malerei Fotografie Film“ (1927), Karl Blossfeldt mit „Urformen der Kunst“ (1928), Albert Renger-Patzsch mit „Die Welt ist schön“ (1928) und schließlich August Sander,

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Fotobücher Made in GermanyDeutsche Fotobücher der Klassischen Moderne sind heute gesucht und teuer. Dabei gibt es jenseits der bekannten Titel durchaus Entdeckungen zu machen. Sammler-Tipps vom Fotobuch-Experten Hans-Michael-Koetzle

Nicht erst Martin Parr und Gerry Badger haben das deutsche oder deutschsprachige Fotobuch der 20er- und frühen 30er-Jahre zum Thema gemacht. Im ersten Band ihrer 2004/2006 erschienenen Geschichte des Fotobuchs heben sie aber doch die Bedeutung des deutschen Beitrags in besonderer Weise hervor und feiern für die Zeit zwischen den Kriegen (1919-39) nicht weniger als 16 Titel (zum Vergleich: 10 sind es für die USA). Die Gründe sind bekannt: Die junge Republik war nach Weltkrieg und Revolution politisch wie geistig, wirtschaftlich wie sozial destabilisiert und bot somit Raum für allerlei Experimente in Kunst wie Fotografie: vom Bauhaus bis Dada, vom Neuen Sehen bis zur Neuen Sachlichkeit. Hinzu kam eine leistungsfähige Druckindustrie, kamen mutige Verleger, findige Herausgeber und – nicht zu vergessen – ein Markt, der bereit war, das Fotobuch als neuen Typus der visuellen Kommunikation zu rezipieren. Auch wenn sich die Wissenschaft bis heute noch nicht einmal einig ist, was genau ein Fotobuch ist: Parr/Badgers reich illustrierte Publikation gewann rasch den Status eines Kanon, und die hier aufgeführten Titel wurden zu begehrten Sammlerstücken. An der Spitze natürlich die „Tops of the Tops“, darunter Moholy-Nagy mit „Malerei Fotografie Film“ (1927), Karl Blossfeldt mit „Urformen der Kunst“ (1928), Albert Renger-Patzsch mit „Die Welt ist schön“ (1928) und schließlich August Sander,

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dessen wichtigstes Buch zu Lebzeiten – „Antlitz der Zeit“ (1929) – schon jetzt zu den gesuchtesten Fotobüchern überhaupt gehört. Was die genannten Bücher verbindet, ist nicht in erster Linie die Qualität der einzelnen Fotos, sondern ihr programmatischer Charakter. Bildkünstlerisch eröffneten sie eine neue Zeit: Blossfeldt und Sander im Sinne einer konzeptionellen Behandlung des Themas, Renger-Patzsch in seiner Abkehr vom Piktorialismus und Moholy-Nagy in seiner visionären Einschätzung des Mediums. Türöffner in die Zukunft waren und sind auch die Buch gewordenen Beiträge etwa von Erich Mendelsohn („Amerika“, 1928), Werner Graeff („Es kommt der neue Fotograf!“, 1929), Franz Roh („Foto-Auge“, 1929) oder Alfred Ehrhardt („Das Watt“, 1937). Um nur ein paar herauszugreifen. Zugegeben: Die Titel hatten zum Teil beachtliche Auflagen. Aber auch und gerade auf dem Gebiet der „Vintage Books“ greifen die Gesetze des Marktes. Bücher, nach denen alle schielen, steigen im Preis und erreichen in gutem Zustand, mit Schutzumschlag und Schuber gern den Gegenwert eines Kleinwagens. So wurde Sanders „Antlitz der Zeit“ vor kurzem bei Denis Ozanne (Paris) für nicht weniger als 12.500 Euro angeboten. Franz Rohs „Foto-Auge“ kommt dort auf 3.800 Euro. Bei Renger-Patzsch („Die Welt ist schön“) steigern Banderole und gut erhaltener Schutzumschlag den Preis, wobei das Buch in druckfrischem Zustand (die Sammler sprechen von „mint“) ohne weiteres zu einem hohen vierstelligen Euro-Betrag gehandelt wird. Nicht nur haben Titel wie der von Parr/Badger, Fernandez („Fotografia Publica“, 1999), Roth („The Book of 101 Books“, 2001), Auer („Photobooks“, 2007) oder Ponstingl („Wien im Bild“, 2008) sensibilisiert für das Fotobuch als eigenständige kulturelle Leistung. Vielen dienten sie auch als eine Art „Shopping List“, als von höherer Stelle kanonisierte Bibliografie, die es abzuarbeiten galt. Vor diesem Hintergrund kommt einem ein Satz des legendären Helmut Gernsheim in den Sinn: Sammeln solle man nur das, was andere nicht sammeln. Aber gibt es mit Blick auf die deutschsprachige Fotoliteratur (jenseits der aktuellen Produktion) überhaupt Druckwerke, die herausragen und etwa den Qualitätskriterien von Ralph Prins entsprechen? Ein überzeugendes Fotobuch, so Prins, sei „eine autonome Kunstform, vergleichbar mit einer Skulptur, einem Theaterstück oder einem Film.“ Parr/Badger haben stets das Subjektive ihrer Auswahl unterstrichen. Tatsächlich kommt die deutschsprachige Fotoliteratur der 50er- und 60er Jahre entschieden zu kurz. Unberücksichtigt bleibt die Trümmerliteratur (Peter, Claasen) ebenso wie überzeugende Beiträge zu dem, was wir mittlerweile als „Autorenfotografie“ zu bezeichnen pflegen (McBride, Tüllmann, Vilander). Hier Titel zu entdecken, schont nicht nur die Brieftasche. Es kann auch zu einer Sammlung von ganz eigenem Profil führen – Wertzuwachs eingeschlossen. Beispielhaft haben wir zehn fotografisch illustrierte Bücher herausgegriffen, die in Konzeption, Bildqualität, Layout, Typo, Druck und Gesamtanmutung überzeugen – und obendrein erschwinglich sind. Hans-Michael Koetzle

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Hier gelangen Sie zu den Fotobüchern: J. Gottschammel/ R.-H. Hammer: Rudolf KoppitzDr. Paul Wolff: Meine Erfahrungen mit der LeicaStefan Kruckenhauser: Du schöner Winter in TirolKurt Blum: Lebendiger StahlChargesheimer: Unter KrahnenbäumenStefan Moses: ManuelIca Vilander: Akt ApartPeter Cornelius: Farbiges ParisHeinrich Heidensberger: WolfsburgFritz Kühn: Kompositionen in Schwarz und Weiss Deutsche Fotobuchklassiker 02.04.2009

J. Gottschammel/ R.-H. Hammer: Rudolf KoppitzIm Europa der 1920er-Jahre zählte Rudolf Koppitz (1884-1936) zu den führenden Fotografen seiner Zeit, Professor an der „Graphischen“ in Wien, ein Freund von Heinrich Kühn und mit Stieglitz ebenso bekannt wie mit Edward Steichen

Künstlerisch schlug Koppitz die Brücke zwischen Piktorialismus und Moderne. Ästhetisch oszillierte er zwischen altmeisterlicher Technik und einem durchaus frischen Blick. Die Kunstgeschichte liebt klare Zuweisungen. Zu keiner Zeit, wie Monika Faber konstatiert, gehörte Koppitz „zu einer Avantgarde“, was die posthume Rezeption seines Oeuvres zweifellos behindert hat. Einzig seine „Bewegungsstudie“ von 1927 hat Eingang ins kollektive Bildgedächtnis gefunden. Letztere nimmt denn auch als Tafel Nummer 15 einen prominenten Platz in der einzigen zeitgenössischen Koppitz-Monographie ein.

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Das Buch mit 24 ausgesuchten Beispielen aus Koppitz’ Schaffen erschien als Band 3 der Reihe „Meisterbücher der Photographie“ ein Jahr nach dem Tod des Fotografen. Eine Arbeit pro Doppelseite, umlaufender Weißraum, betont schlichte Typografie und transparente Zwischenpapiere (sogenannte „Seidenhemdchen“) adeln hier ein Werk, das in diesem dicht bei der Gattung Portfolio angesiedelten Buch eine würdige publizistische Form gefunden hat. – Auflage 1000 Exemplare. Eher selten. Ab 500 Euro. Wien (Verlag Josef Gottschammel) 1937, Format 315 x 300 mm, 60 Seiten, Hardcover, 24 Fotografien in Kupfertiefdruck, Design Otto Feil 02.04.2009

Dr. Paul Wolff: Meine Erfahrungen mit der LeicaMehr als 200 Bildbände, bzw. Fotobücher veröffentlichte der studierte Mediziner Dr. Paul Wolff (1887-1951) Zeit seines Lebens

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„Meine Erfahrungen mit der Leica“ ist zweifellos sein wichtigstes und mit sieben Auflagen und 50 000 verkauften Exemplaren auch sein erfolgreichstes. Rund ein Jahrzehnt nach Markteinführung der ersten Leica publiziert, war der reich illustrierte, fabelhaft gedruckte Band das wohl nachhaltigste Plädoyer für ein Kamerasystem, dessen technische Möglichkeiten nach wie vor von vielen in Zweifel gezogen wurden. Genaugenommen ist das Buch Ratgeber wie Tafelband in einem, wenngleich der umfangreiche Abbildungsteil mit fast 200 Bildbeispielen aus praktisch allen Anwendungsbereichen der Fotografie den Schwerpunkt bildet. In seiner Bildauffassung war Paul Wolff alles andere als Avantgarde.

Kühne Ausschnitte, Auf- oder Untersichten werden eher ausnahmsweise praktiziert. Und auch in der Gestaltung, in Layout, Typo oder dem Umgang mit der Doppelseite gibt sich der Band eher handwerklich gediegen. Doch ist es gerade diese handwerkliche Solidität mit klassisch schönem Satz¸überlegter Bildpräsentation und samtigem Druck in unterschiedlichen Tiefdrucktönen, die den Titel zu einem Musterbeispiel der Gattung Fotobuch machen. – Häufig, wenn auch nicht immer mit Schutzumschlag und in der Erstauflage. Um 100 Euro. H. Bechhold Verlagsbuchhandlung (Frankfurt am Main) 1934,Format 280 x 240 mm, 194 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, 192 Fotografien in Kupfertiefdruck und 11 Bildtafeln in Buchdruck Design Hans Breidenstein 02.04.2009

Stefan Kruckenhauser: Du schöner Winter in TirolIn den 1930er- bis 50er-Jahren zählte Stefan Kruckenhauser (1905-1988) zu den rührigsten Publizisten auf österreichischem Boden

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Ein passionierter Vertreter der Kleinbildfotografie, dessen Bücher – ein bisschen wie die des etwas älteren Paul Wolff – angesiedelt waren auf einer Schnittlinie zwischen Handlungsanweisung und Tafelband. Das gilt auch für sein Buch „Du schöner Winter in Tirol“, 1937 in Berlin erschienen und wie die meisten Kruckenhauser-Bücher mit einem Hinweis auf das verwendete Kamerasystem (die Leica) ausgestattet. Kruckenhauser thematisiert Sport, Spiel und Spaß im winterlichen Hochgebirge, wobei er das vorhandene Bildmaterial zu spannungsreichen Doppelseiten montiert.

Jedes Bildpaar ist überlegt aufeinander bezogen und macht das Buch – es ist das erste in Kruckenhausers umfangreicher Bibliografie – zum Musterbeispiel für eine die Bildwirkung steigernde Doppelseitenkonzeption. Übrigens haben auch Parr/Badger in ihrem Buch Stefan Kruckenhauser berücksichtigt, allerdings mit dem späteren Band „Ein Dorf wird“. Die sich hier äußernde gestalterische Moderne ist freilich in Kruckenhausers Erstling bereits angelegt. – Mit Schutzumschlag um 50 Euro. Photokino-Verlag GmbH/Otto Elsner Verlagsgesellschaft (Berlin) 1937, Format 265 x 215 mm, 120 Seiten, Hard-cover mit Schutzumschlag, 88 Fotografien in Kupfertiefdruck, Design Verlag 03.04.2009

Kurt Blum: Lebendiger Stahl

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1961 erschien bei Fretz & Wasmuth in Zürich das zweite und wohl wichtigste Buch des Schweizer Fotografen Kurt Blum (1922-2005)

Lebendiger Stahl, und dies unterscheidet den vorzüglich gedruckten Band von der Gattung Firmenschrift, ist keine Hommage an ein spezielles Unternehmen (in diesem Fall das nahe Genua gelegene Stahlwerk „Oscar Sinigaglia“), sondern ein atmosphärisch dichter Essay aus der Welt der Stahlerzeugung. Formal-ästhetisch schwankt der Autor zwischen klassischer Reportage und Experiment, zwischen „Photographie humaniste“ und subjektiver Fotokunst, was im Buch zu einem immer wieder überraschenden Wechsel zwischen mal formstrengen, mal eher narrativen Bildern führt. Brillant die Bildauswahl, brillant auch das Layout der immer wieder neu gedachten Doppelseiten.

Den Sprung in den Olymp der Fotografie hat der zeitlebens in Bern ansässige Kurt Blum nie geschafft, was erklärt, weshalb sein auch in englischer Sprache ediertes Buch („Pictures of a Factory“) von praktisch der gesamten neueren Forschung zur Geschichte des Fotobuchs übersehen wurde. Einzig Michéle und Michel Auer haben ihm in ihrem Band „Photobooks“ (2007) einen knappen Eintrag gewidmet. – Sehr selten. Ab 200 Euro. Fretz & Wasmuth (Zürich) 1960, Format 285 x 230 mm, 116 Seiten, Hardcover, 101 Fotografien in Kupfertiefdruck, Design Chargesheimer

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Chargesheimer: Unter KrahnenbäumenWir sind nicht in Paris, sondern in Köln. Und die Straße folgt keiner klangvollen französischen Diktion, sondern trägt den eher seltsamen Namen „Unter Krahnenbäumen“

Und doch fühlt man sich beim Blättern an Ed van der Elskens nur zwei Jahre vorher erschienenen Titel „Liebe in Saint Germain des Prés“ erinnert. Ist es das Aroma der 50er-Jahre? Der düstere Charakter vieler Aufnahmen? Oder die Nähe des Fotografen zu seinem Sujet, zu den Plätzen und Menschen, die die beiden, am Ende doch sehr unterschiedlichen Bücher verbindet? 1958 erschien – vergleichsweise klein im Format, schmal und mäßig gut gedruckt – mit „Unter Krahnenbäumen“ das erste „wirklich eigene“ Buch des Kölner Fotografen Chargesheimer. Wenn „Köln 5 Uhr 30“ der konzeptionell radikalste Titel Chargesheimers war und ist, dann ist „Unter Krahnenbäumen“ sein wohl intimster.

Was Chargesheimer zeichnet, ist das Portrait einer kleinen Straße. Was er zeigt, ist ein sozialer Mikrokosmos mit „Liebe und Spaß, Sorgen und Streit, Nachdenklichkeit und Übermut“ (Bodo von Dewitz). Das Layout ist näher an der Zeitschrift als am klassischen Tafelband. Aber auch hier beschreitet Chargesheimer, der „Soziologe unter den Fotografen“, neue Wege. Wie wenige hat gerade er sich über das Medium Buch als Künstler definiert. – Mittlerweile sehr gesucht. In gutem Zustand und mit Schutzumschlag kaum unter 300 Euro. Greven Verlag (Köln) 1958, Format 210 x 240 mm, 92 Seiten, Hardcover mit

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illustriertem Schutzumschlag, 120 Fotografien in Offset, Design Chargesheimer 03.04.2009

Stefan Moses: Manuel1967 erschien mit „Manuel“ Stefan Moses’ erstes und wohl auch meist beachtetes Buch

Mit einer verkauften Auflage von 26.000 Exemplaren war dem Band ein für Fotografie-Titel geradezu sensationeller Erfolg beschieden, der sich allerdings auch dadurch erklärt, dass er nicht als Fotoband im engeren Sinne, sondern als einfühlsame Erzählung in Bildern gelesen wurde: Eine Reise zu den Ufern unbeschwerter Kindheit. Inspiriert hatte Moses das Buch „The World is Young“ des amerikanischen Magnum-Fotografen Wayne Miller. „Manuel“ war für Moses der erste eigentliche Selbstauftrag und zugleich ein bewusster Versuch, sich einem Thema über eine größere Sequenz zu nähern.

1964 begann der Fotograf, seinen fünfjährigen Sohn mit der Kamera zu beobachten. Ein Jahr dauerte die Recherche. Moses begleitet das Kind beim Gang zum Friseur, sieht es vor dem Weihnachtsbaum, im Faschingskostüm, auf dem Oktoberfest. Es sei dies eine zutiefst „bayerische Kindheit“, wie jemand zurecht

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bemerkt hat. Zugleich ist „Manuel“ eine Bilderzählung von zeitloser Gültigkeit, voller Menschlichkeit und Wärme. Unterstützt wurden Moses’ epische Intentionen durch ein kongeniales, von Willy Fleckhaus und Christian Diener besorgtes Layout. Die verbindenden Texte hatte Reiner Zimnik verfasst. Erst unlängst wurde Manuel wiederaufgelegt – als das mit Abstand „schönste Kinderfotobuch“ (J. A. Schmoll). – Im Original je nach Erhaltungszustand ab 50 Euro. Christian Wegner Verlag (Hamburg) 1967, Format 275 x 200 mm, 144 Seiten, Broschur, 176 Fotografien in Kupfertiefdruck, Design Willy Fleckhaus 03.04.2009

Ica Vilander: Akt ApartNoch in den von Rebellion und Aufbruch geprägten 60er-Jahren waren Fotobücher zu Akt und Erotik eher selten.Die Illustrierte „Twen“ nahm sich des Themas an und verschaffte sich mit seichtem Sex Gehör, Leser und Auflage

In Heft 4/1967 brachte das Blatt unter dem frechen Titel „Meine Oma fotografiert Akt“ das Portrait einer Fotografin, die im selben Jahr mit ihrem Band „Akt apart“ auf sich aufmerksam machen sollte: Ica Vilander. Die Fotografin, Jahrgang 1921, war Schülerin von Heinz Hajek-Halke und seit den späten 50er-Jahren als Kamerakünstlerin geläufig. Insgesamt drei Titel mit Aktbildern hat Ica Vilander vorgelegt. 1969 erschien „Akt adonis“, 1970 „Vive le Sex“. Doch blieb ihr Erstling der formal-ästhetisch interessanteste.

Dies gilt sowohl für eine mit grobem Korn, High Key, Solarisation und anderen verfremdenden Effekten spielenden Fotografie wie für ein temporeiches Layout, das für jede Doppelseite eine neue Lösung findet. Auch wenn Vilanders Akt-Ästhetik am

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heutigen Bildgeschmack vorbeigehen mag: Das Buch atmet den Geist seiner Zeit und ist als in sich geschlossenes, durchkomponiertes Werk ausgesprochen stimmig. – Mit illustriertem Schutzumschlag ab 50 Euro.Europäische Bücherei H. M. Hieronimi (Bonn) 1967, Format 255 x 255 mm, 124 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag und Schuber, 145 Fotografien in Offset, Design Ica Vilander 03.04.2009

Peter Cornelius: Farbiges ParisOb Paris bei Tag (Kertész) oder bei Nacht (Brassai), ob aus der Luft (Henrard) oder von unten (Ehrenburg) – bis in die 1960er-Jahre war das von Fotokünstlern gezeichnete Parisbild wahlweise schwarz, weiß oder grau

Erst der Deutsche Peter Cornelius (1913-1970) hat Farbe ins Spiel gebracht. Nicht dass er als Erster Paris auf Farbfilm fotografiert hätte (Ihei Kimura tat dies schon in den 50ern). Doch als Erster hat er der Stadt ein programmatisches Buch in Farbe gewidmet. Farbiges Paris erschien 1961 in deutscher und französischer Sprache. Der Band war Teil einer geplanten Reihe, in der aber nur noch Erwin Fiegers „Farbiges London“ (1962) erschien. Wer farbig fotografiert, sieht anders.

Was Cornelius interessierte, waren weniger die großen Monumente der Stadt (wo sie auftauchen, werden sie marginalisiert oder durch Spiegel oder Fenster

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gebrochen), als vielmehr das im Wortsinn bunte Treiben in den Straßen, die eher ausnahmsweise Avenue hießen oder Grand Boulevard: Street Photography in Farbe also – in etwa zeitgleich mit Namen wie Meyerowitz oder Winogrand. Dass Cornelius’ ursprüngliche Buchmaquette in Auswahl und Design noch radikaler war, ist belegt. Aber auch in seiner durch den Verleger abgeschwächten Form bleibt das Buch ein Meilenstein auf dem langen Weg zur künstlerischen Farbe. – Mit Schutzumschlag unter 100 Euro bei aktuell steigender Tendenz. Düsseldorf/Wien (Econ Verlag) 1961, Format 307 x 265 mm, 102 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, 112 Fotografien in Farbe, Design Erwin Fieger 03.04.2009

Heinrich HeidensbergerStädtebände gehören zum Standardrepertoire der Gattung Fotobuch. Kaum noch zu überblicken sind die Titel über Paris oder Rom, London oder New York

Wolfsburg zählt weder zu den Großen noch zu den Schönen dieser Welt: Eine Retortenstadt in Randlage, der einen Fotoband zu widmen schon zu den fotografisch besonderen Herausforderungen gehört. Der international nach wie vor viel zu wenig beachtete Heinrich Heidersberger (1906-2006) hat sich Anfang der 60er-Jahre dieser Aufgabe gestellt und mit „Wolfsburg – Bilder einer jungen Stadt“ ein beispielhaftes Fotobuch geschaffen. Natürlich erzählt der annähernd quadratische Band in erster Linie vom Leben und Arbeiten in der Autostadt.

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Er spiegelt aber auch eine gesamtdeutsche Stimmung: Denn nach den Zerstörungen des Krieges war Wolfsburg überall. Heidersbergers meisterliche, dynamische Elemente mit einer neusachlichen Moderne kombinierenden Stadtansichten, bzw. Architekturaufnahmen werden in dem Band zu einem abwechslungsreichen Gang durch das urbane Leben montiert, ein Leben zwischen Fließband und Freizeit. Erkennbar wird Heidersbergers Bemühen, das vordergründig Banale der Stadt in ungewöhnliche Bilder umzuschlüsseln: Fotografie zwischen Dokument und Erfindung. Kaum zufällig wurde Heidersbergers Buch erst unlängst als Reprint wieder aufgelegt. – Das Original in feinstem Kupfertiefdruck und mit Schutzumschlag ab 150 Euro. München (Verlag F. Bruckmann) 1963, Format 270 x 250 mm, 88 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, 74 Fotografien in Kupfertiefdruck, Design Verlag 03.04.2009

Fritz Kühn: Kompositionen in Schwarz und WeissFritz Kühn (1910-1967) war eigentlich Kunstschmied und dem rund zwei Generationen älteren Karl Blossfeldt geistig insofern verbunden, als auch Kühn seine Fotografie als Schule des Sehens bzw. Formrepertoire mit Blick auf zu lösende Gestaltungsaufgaben verstand

Gleich mehrere, seit den späten 1990er-Jahren wieder entdeckte Bücher hat der Ost-Berliner Kühn gestaltet, darunter „Kompositionen in Schwarz und Weiß“ als sein vermutlich ambitioniertestes. Dies gilt sowohl für die überlegte Bildauswahl bzw. Zusammenstellung der Doppelseiten wie für Druck, Typo sowie den aufwändigen Einsatz von farbigen Sonderpapieren. In seiner fotografischen Ästhetik, dem Pochen auf eine kontrastreiche Schwarzweißfotografie steht Kühn ganz im Bann der subjektiven Kamerakunst der Zeit.

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Aber auch im Rückgriff auf eine serifenlose Schrift atmet der Band den Geist der Avantgarde jener Jahre. In sieben Kapiteln (Natur, Umwelt, Holz, Architektur, Kompositionen usw.) beweist Kühn sein Talent als Gestalter auf mehreren Ebenen. Dass sein Buch 1959 bei Bruckmann in München erschien, sollte nicht unerwähnt bleiben. Zwei Jahre vor dem Mauerbau beweisen ein ostdeutscher Künstler und ein westdeutscher Drucker noch einmal, was Qualität im Fotobuch bedeuten kann. – Gut erhalten und mit Schutzumschlag unter 100 Euro.Verlag F. Bruckmann (München) 1959 Format 280 x 240 mm, 158 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, 136 Fotografien in Kupfertiefdruck, Design Verlag 03.04.2009

Die Deutschen Fotobuch-Klassiker

Moholy-Nagy: „Malerei – Fotografie – Film“ (Albert Langen Verlag,1927). Um 3000 EuroRenger-Patzsch: „Die Welt ist schön“(Kurt Wolff Verlag, 1928). Ab 2000 Euro, mit Schuber, Banderole usw. deutlich teurer Blossfeldt: „Urformen der Kunst“ (Ernst Wasmuth AG, 1928). Ab 2000

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Sander: „Antlitz der Zeit“ (Transmare und Kurt Wolff Verlag, 1929). Unlängst für 12.500 Euro angebotenGraeff: „Es kommt der neue Fotograf“(Verlag Hermann Reckendorf, 1929). Um 2000 EuroGroebli: Magie der Schiene (Kubus Verlag 1949). Ab 1500 EuroSteinert: Subjektive Fotografie (Brüder Auer, 1952). Um 1000 EuroWicki: Zwei Gramm Licht (Interbooks, 1960). Ab 500 Euro

Burri: Die Deutschen (Fretz & Wasmuth, 1962). Ab 500 EuroChargesheimer: Köln 5.30 Uhr (DuMont Schauberg, 1970). Um 2000 Euro