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FRANZ BRUNHOLZL - MGH-Bibliothek · 2009. 4. 7. · FRANZ BRUNHOLZL Zur Kosmographie des Aethicus Die Kosmographie des Aethicus gehört ohne Zweifel zu den seltsamsten Denk- mälern

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  • F R A N Z B R U N H O L Z L

    Zur Kosmographie des Aethicus

    Die Kosmographie des Aethicus gehört ohne Zweifel zu den seltsamsten Denk- mälern der lateinischen Literatur. Das Werk gibt sich als der von einem aHiero- nimus presbitern hergestellte Auszug aus dem Bericht eines gelehrten Welten- bummlers namens Aethicus, der alle Länder und Inseln der Erde kreuz und quer bereist haben soll vom fernen Indien bis zu den Säulen des Herkules, vom heiße- sten Afrika bis zur ultima 'Ihule und bis zu jenen Bergen, hinter denen der große Alexander die 22 Völker einschloß, die am Ende der Zeiten über die Menschheit kommen werden. Schon die Ansichten der beiden ersten und bisher einzigen Herausgeber' über die Kosmographie, ihren Verfasser, seine Lebenszeit wie über den Sinn des Werkes im ganzen und den Inhalt im einzelnen gingen wcit ausein- ander. Bald erlcannte man, da5 die Reisen des famosen Kosmographen, wenn überhaupt etwas an ihnen sein sollte, zumeist nicht anders denn mit dem Finger auf der Karte geschehcn sein konnten; man sah, da8 der Autor bekannte Quel- len in reichem Maße benützt, das in ihnen Gefundene zum Teil richtig wieder- gegeben, ebenso oft aber auch völlig verdreht und anderes einfach erdichtet hat. War durch erfolgreiches Aufspüren der wichtigsten Quellen und mit andern Ar- gumenten zwar die zeitweise angenomniene Existenz eines griechischen Originals des 3.14. Jahrhunderts und die Zuweisung der angeblichen Ohersetzung an den Kirchenvater Hieronymus ausgeschlossen, das Werk als frühmittelalteilich erwie- sen, so blieb doch noch genug des Rätselhaften. Hundert Jahre endlich nach dem Bekanntwerden der Kosmographie gelang es, eine Erklärung zu finden, welche mit einem Sclilag alle Schwierigkeireii zu lösen schien: der geheimnisvolle Aethi- cus wäre demnach kein anderer als der gelehrte Ire Virgil von Salzburg gevesen; wegen seiner Ansicht, da5 es Antipoden gebe, von Bonifatius in Rom verklagt und zum Schr,eigeii verurteilt, habe er sich anderthalb Jahrzehnte nach dem Tod des Widersachers wenigstens eine literarische Genugtuung dadurch zu schaffen ge-

    ' d'Aoezac, Ethicus et !es ouvrases cosmographiqucs intitules de ce nom (Memoires p;iient6s par divers savants i i'Academie des inscriptions er bcllcs letrrer. I c sCrie. 11), Paris 1212; H. Wuttke, Die Kosmographie des Isrriers Aithikos, Leipzig ISS j.

  • sucht, daß er unter dem Ded~namen des Hieronymus den unwissenden Zeitgenos- sen, die an der Antipodenlehre Anstoß genomnien hatten, eine phantastische Kosmograpliie zuspielte, deren blühender Unsinn deshalb Glauben finden sollte, weil hinter ihm die Autorität des I

  • von Parallelen der angeführten Art, die weit eher auf den Sprachgebrauch der Zeit als auf Imitation hinweisen, durchaus an der letzteren festhalten, so hliehe immer noch völlig offen, auf eiche Weise das zeitliche Verhältnis von Texten, die außer einigen Dutzend ähnlich klingender Wendungen nichts gemeinsam haben, festgestellt werden liönnte. Das Jahr 768 kann somit nicht als terminus post quem für die Abfassung der Kosmograpliie angesehen werden.

    Nach dem Wegfall der u,idltigsten zeitlichen Stütze konzentriert sich die Be- weislast für die Identifizierung des Aethicus mit Virgil von Salzhurg auf die Be- ancwortung der Frage, ob die Kosmographie als Werk eines Iren zu gelten habe. Eine Reihe von Merkmalen ist dafür angeführt worden.5 Eines der wichtigsten davon ist die immer wieder beliauptete Anlehnung an die Stilregeln des merk- würdigen Grammatikers Virgilius Maro, der vielleicht im 7. Jahrhundert irgend- wo in Südgailien geschrieben hat und dessen Spuren man vorzugsweise bei iiisc!!en Sclirifisrellern antri%. Es ist ohne Zweifel riclntig, daß die Schreibweise des Aethicus in manchem an die grammatischen Sdiritten des Virgilius erinnert; konkrete Berülirungen aber scheinen sich auf die gelegentliche Anwendung der Tmesis wie z. B. Aeth. i o i (S. 75,20 Wuttke) des Virgilius sehen wollen,6 die in der Anweisung gipfelt, ein guter Stilist solle nicht bloß die Wörter in Siihen zerlegen und diese durch da- zwischengestellte andere Worter trennen (also Tmesis), sondern am besten gleich die einzelnen , d. h. Laute und dann auch Buchstaben, wohlsortiert zusam- nienlündeln nach dem Rezept

  • zu Gzäzisnlen und Neologismen und vergleichbaren gesuchten Ausdrucksweisen. Redlt interessant wäre die Keiinrnis des

  • deren Erweiterungen steht. Da ist besonders interessant jener Einschub in einer Gruppe der Fredegar-Handschrifiei~, der als .Historia Daretis Frigii de origine Francorum>" bezeichnet wird und die Sage vom trojanischen Ursprung der Fran- ken enthält. Auch Aethiciis muß diese Sage gekannt haben. Er nennt zwar nicht den Namen des fränkischen Volkes, wohl aber seinen Eponymus Francus, welcher der Bruder des Vassus gewesen sei.10 Francus allein findet sich auch in anderen Quellen, zusammen mit Vassus aber wird er außer von Aethicus nur von der Historia Daretis Frigii genannt, in der die Brüder als Söline des Frigius erschei- nen, welcher der Nachfolger des Priamus gewesen sei." Daß die beiden Texte irgendwie zusamnicnhi~igen, ist klar. Man hat diesen Zusanimenhang bisher als Abhängigkeit des einen vorn anderen gedeutet. Die Folgerung s~hien niiabweis- bar: da in der Historia Daretis Frigii die weitere Geschichte einigermaßen ver- nünftig erzälilt wird, während Aethicus nodi eine zweite Zerstörung Trojas er- findet und die Bewohner von Alba Longa mit den Albanern gleichsetzt, so koiinte die Historia Daretis Frigii natürlich nicht aus der ICosmographie abgeleitet wer- den; diese mußte also jünger seiii.12 Hatte man einmzl diesen Punkt erreicht, so war es eigentlich nur noch eine Sache des gelehrten Mechanismus, zu der konsta- tierten Abhängigkeit auch die erwünschten «stilistischen Parallelen» aufzufinden, d. h. wiederum eine Anzahl ganz kurzer gleichlautender Ausdrücke und Wendun- gen vom Typ

  • Für unsere Kosmographie jedenfalls bedeutet die eben erwähnte Alternative, da5 aus dem Vergleich mit. der Hisroria Dareris Frigii kein Arpmen t für ihre Datie-

    f ?--- runglwerden kann. - Fälit nun aber die Trojanersage aus, das heißt, Iäßt sich nicht beweisen, daß der ICosmograpl~ seine Kenntnis derselben aus der in der Form eines Zusatzes zur Fredegarchronik überlieferten Historia Daretis Frigii erhalten hat, so ist der An- nahme, da& er die Fredegardironik gelesen habe, ihre Hauptstütze entzogen. Denn für diese bleiben14 außer der Trojanersage nur ein paar wohlbekannte Volkernamen wie Gog et Magog, Scithae und dergieichen, die sie mit der Kosmo- graphie gemeinsam hat. Mit anderen Worten: der gesamte Komplex ~Fredegar und seine Fortsetzerr muß aus dem Kreise der nachweislich von dem Kosmogra- phen benützten Lizeratur ausgeschieden werden.

    Ahnliche Beobachtungen ergibt die Prüfung des Verhaitnisses der Kosmogra- phie zu dem um 72617 verfaßten Liber historiae Francorum,'s der ebenfalls zu den Quelien des Aethicus gerechnet wird. Das verbindende Element steilt wieder-

    ,? 1/ um die Sage vom trojanischen Ursprung der Franken dar. Man hat, diejerschie- 1 e~;! den$ Darstellung in beiden Werken offenbar gering wertend, in dem bloßen Vor-

    bandeilsein der Sageza alsbald ein Zeichen für die Abhängigkeit des einen Textes von dem andern gesehen; nur hinsichtlich des zeitlichen Verh'altnisses der beiden Werke gingen die hfeinungen auseinander, bis sich schließiiu5 die Waagschale zu- gunsten der Priorität des Liber historiae Francorum neigte.'? Der Beweis für die Richtigkeit der Annahme direkter Abhängigkeit ist niemals geführt, die Möglich- keit einer gemeinsamen Quelle oder eines anderen, komplizierteren Verhältnisses der vergiichenen Texte zueinander nicht einmai in Erwägung gezogen worden. Zur Vorsicht hätte aber schon der Umstand mahnen müssen, da5 der Kosmograph

    wohl Virgilius Maro, der sie mit der Zurüdiführung der Grammatik auf ihren tiojani- schcn P.hnlierrn Donat parodiert (p. 87 Hiremer) - man weiß nur leider von ihm, außer daß er nzch Iridor gesc!!ricben hat, nichts Bestimmter.

    Selbst Hilikowitzens Fleiß konnte (C. j j) nur zu -(teilweise unsicheren) Anlehnun- Senn gelangen.

    'j ed. B. Kruidg, MGH Ccript. rer. Merov. 11, S. zjS-329. Die Beobachtung geht schon auf Wuttkc (Ausg. C. LVI f.) zuiüdi.

    " Sdion 1887 (MGH Ccripr. rer. Merov. 11, S. 220) nahm Rrurch die Abhängigkeit a!s gegeben hin und begnügie sich damir, dcr durch z;lficlr Römische Lireiaturgeschichte (§ 487) fixierten Meinung, der Verfasser des Liber hisr. Franc. habe die Kosmographie ausgeschricbeii, zugunsten der gegenteiligen Ansicht von A. Ebert, Allg. Geschichte der Literatur des Irlittelalterr, Bd. I, C. 57j, zu widersprechen; von dieser Vorstellung isi er nicht mehr losgekommen. Lcoison (MGH Ccripi. rer. Merov. VII, C. xro Anm.) und Hiil- kowitz (3. a. 0. C. 64) fügten Icdiglich sprachliche Anklinge der mehrfach erwähnten Art hinzu.

  • Zisr I

  • graph bedient, teils im Liber bistoriae Francorum, teils bei Gregor vorkommen, gefolgert, Aethicus müsse beide Autoren nebeneinander benützt haben, lS die An- gaben über die Größe der Fallgruben usw. hätte er dann eben hinzuerfunden.

    Eine Erklärung dieser Art ist nicht einfach widerlegbar. Aher sie befriedigt nicht; denn abgesehen von dem wunderlichen Verfahren, das sie unterstellt, läßt sie die Frage offen, weshalb der Kosmograph, der seinen Einfallsreichtum eben durch die zusätzlichen Details beweisen würde, gleich zweier Vorlagen auf einmal bedurft hätte für eine Schilderung, die dann doch nicht unerheblich über die Vor- lagen hinausging, und ferner weshalb er für diesen Zweck ausgerechnet zwei Werke herangezogen haben sollte, aus denen er sonst nichts zu nehmen pflegte. Man hat nämlich außer der fraglichen Stelle mit der Kriegslist auch für seine Kenntnis der Geschichte Gregors von Tours lediglich eine Anzahl mehr den Sprach- gebrauch der Zeit illustrierender als spezifischer Wendungen, zumeist überhaupt nur einzelne Volrabeln anführen können,ZQ hat sich also auf dieselben unbrauch- baren Argumenteverlassen wie im Falle der HistoriaDaretis Frigii und der Frede- gard~ronik. Es ist nun aber weiterhin zu bedenken, da5 für die Beschreibung einer Kriegslist der erwähnten Art Vokabeln wie fossa, (ef)fodere, caespes, dolus oder subdolo, (co)operire schlechterdings notwendig sind,zQ* folglich bei isoliertem Anf- treten innerhalb zweier Texte mit Schilderungen desselben Gegenstandes in ab- weichender Form keinerlei Beweis für die Abhängigkeit dieser Texte voneinander darstellen. Will man sich nicht der Gefahr eines voreiligen Schlusses aussetzen, der schon durch die nächste auftauchende Stelle mit einer ähnlichen Beschreibung widerlegt werden kann, so muß die Möglichkeit offengehalten werden, daß der Kosmograph entweder einen Text vor Augen hatte, den schon Gregor von Tours benützte, oder da5 er die Kenntnis jener Kriegslist, die ja vielleicht auch von einem anderen Volk als von den Thüringern ailgewandt worden ist, irgendeiner unbekannten Quelle verdankte. Jedenfalls reicht die vorliegende Stelle nicht aus, die Benützung des Liber historiae Francorum oder der Historiae Gregors von Tours zu beweisen. Damit bat aber auch das letzte Argument für die Annahme, daß der Kosmograph die fränkische Geschichtsschreibung des 6.A. Jahrhunderts gekani~t habe, seine Tragiähigkeit verloren.

    Der späteste Autor, der unter den Gewährsleuten des Aethicus genannt wird, ist nunmehr der Angelsachse Beda mit seiner Historia ecclesiasrica gentis Anglo- rum, die iin Jahre 73 I oder bald danach abgeschlossen wurde. Auch für die Beda- Kenntnis des Kosmographen konnten nur sehr schwache Hinweise gefunden wer-

    I e Hlllko~~iiz, C. 14. 2o Vgl. Hillizowitz, C. 11 ff.

  • Zur Kormographie der Aethicur 83

    den.21 In dem einen Fall handelt es sich um die Formulierung

  • Sicheres weiß und der Kosmograph wohl der erste uns bekannte Schrifisteiler ist, der sie benützt hat, kommt als sicherer terminus post quem für die Abfassung der Kosmographie nur das Jahr 636 in Betracht, das Todesjahr Isidors, dessen Ety- mologien erst von seinem Freunde Braulio von Saragossa aus dem Nachlaß her- ausgegeben wurden, worauf sich das Werk sehr rasch in der lateinischen Welt ver- breitet zu haben scheint.= Einen Unsicherheitsfaktor bezüglich der Datierung ent- halten die Revelationes des Pseudo-Methodius. Solange indessen kein eindeutiges Zeugnis dafür gefunden ist, daß ihre Obersetzung ins Lateinische bzw. ihre Be- arbeitung erst nach der Zeit Isidors erfolgte, kann die Abfassung der Kosmo- graphie des Aethicus mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit in der zwei- ten Hälfte, vielleicht schon bald nach der Mitte des 7. Jahrhunderts a rg . =setzt werden. Gegen einen späteren Ansatz sprechen Gründe, von denen, weil sie mit der Lokalisierung des Werkes zusammenhängen, am gegebenen Ort zu handeln ist.

    Was nun die Gegend betriift, in der die Kosmographie entstanden ist, so kann von zwei einander entgegengesetzten Voraussetzungen ausgegangen werden: ent- weder man halt die Hinweise, die vom Verfasser ausdrücklich gegeben werden, von vornherein für unwahr, weil er eben ein Schwindler sei, und verläßt sich allein auf die Indizien verschiedener Art, welche man sonst dem Werke abgewin- nen zu können hofft, oder man nimmt so weit wie möglich die Angaben des Ver- fasse~-~ über seine Person als zunächst glaubwürdig hin, sucht aber ihre Zulrer- lässigkeit d i r& Argumente aus dem Werk selber zu stützen. Beide Wege sind be- schritten worden und haben zu völlig verschiedenen Ergebnissen geführt.

    Von den Lösui~gsversnchen, welche von der Annahme völliger Unglanbrrürdig- keit der Angaben des Autors ausgegangen sind, darf die zuletzt vorgeschlagene, die Identifizierung mit Virgil von Salzburg, wohl als widerlegt gelten. Früher hatte man die Kosmographie zumeist im Frankenreim lokalisiert, ohne das Ge- biet näher zu bestimmen.*"ls Begründung hiefür wurden neben der Verwahr- losung der Sprache, die man mit den Chroniken und Urkunden der Merowinger- zeit verglich, und ihrem stark glossematischen Charakter vor allem die vermeint- liche Ai~wendung einer Lehre des Virgilius Maro und die, wie man annahm, bei dein Autor vorhandene Kenntnis fränkischer Geschidinschreibung von Gregor von Tours bis herab zur letzten Fortsetzung der Fredegardironik angeführt, mit anderen Worten die gleichen Argumente, die auch zu dem Ansatz des Werkes im späten 8. oder gar im g. Jahrhundert Anlaß gcgeben haben. Von diesen Argu- menten haben sich die gewichtigeren im Verlaufe der vorangegangenen Unter-

    ?j Niliei hierüber zuletzt B. Birchoff, Die europäische Verbreitung der Wcrke Isidors von Sevilla, in: Isidoriana, Leon 1961, C. 317 ff.

    SO ~chon K- L. Roth 1814 (oben S. 77 Anm. 6 ) , zuletzt Hillkowitz, S. 70.

  • Zirr Koimograyhie des Aethiczr 81

    suchungen a!s nicht zutreiiend erwiesen. Nach allen bisherigen Erfahrungen be- steht wenig Aussidit, daß unter Beibehaltung der These von der totalen Unglaub- würdigkeit des Verfassers liinsichtiich der Angaben über seine Person überhaupt noch eine Iialbwegs beweisbare Lokalisicrung der Kosmographie gelingen könnte. Es muß also der Weg von der anderen Seite her eingeschlagen werden.

    In der Tat liegt kein Grund vor, alles und jedes, was der ICosmograph von sich selber sagt, für baren Unsinn oder lür Sdiwindel zu halten. Nun handelt es sich zunäclist um zwei verschiedene Personen, die angeblich an der Kosmographie gearbeitet haben: die eine ist der gelehrte Weltreisende Aethicus, von dem die originale Fassung des Werkes stammen soll, die andere ist der Bearbeiter. le tz- terer wird im Iiicipit der ältesten Handschrift, dem Leipziger Frisingensis, genannt. Müßig wäre es, darum zu rechten, ob die Angabe zu- triiR oder eine bewußte Irreführung darstellt; zu der üblichen Annahme, es handle sich um ein Pseudonym, zwingt eigentlich nichts als die erst im vorigen Jahrhun- dert aufgekommene und dann natürlich als unhaltbar abgelehnte Beziehung auf den Kirclienvater H i e ~ o n y m u s . ~ ~ ~ Feststeht jedenfalls, daß das Werk weder Ober- setzung aus dem Griechischen noch die verkürzende Bearbeitung eines älteren lateinischen Werkes ist. Der geheimnisvolle Aethicus, der jenes ältere Werk ver- faßt haben soll, muß also eine fingierte Gestalt oder eine Maske sein, hinter der sicin der Autor selbst verbirgt; es fragt sich nur, wie viel von dem, was er von Aethicus sagt, für ihn selber gilt. Da5 im übrigen nur ein als Deckname gebrauchtes Appellativum ist, sagt ziemlich eindeutig das Explicit, wo man liest, der Autor lieiße deshalb ethicus pbilosophus>, weil

  • Es ist kein Einwand gegen den behaupteten Aufenthalt in Histria, worunter man zunächst ja wohl Istrien verstehen wird, daß er das Land einmal80 mit dem Hister in Verbindung bringt; das kann - zumal wenn er nicht aus der Gegend stammen sollte - Unkenntnis sein oder auch eine seiner geographischen Phanta- sien. Von ungefähr kommt es wohl nicht, da5 er nächst Schitia, Schitarum gens usw., woher er ja stammen will, am häufigsten von Histria redet, weit öfter und mehr als von irgendeiner anderen Gegend. Das Werk enth'ält aher auch einen direkten Hinweis auf Verhältnisse, die gerade in der Zeit, die für die Ahfassung der Kosmographie ermittelt wurde, für Istrien und das umliegende Gebiet zu- treffen.

    Schon auf den ersten Seiten des Werkes, in denen von der Schöpfung gehandelt wird und von kosmologischen Fragen, finden sich theologische Ausführungen zum Teil polemischen Charakters, aus denen man den Eindruck gewinnt, solche Pro- bleme seien dem Verfasser im Grunde viel wid~tiger gewesen als die ganzeKosmo- graphie, Grübeleien eines eigenwilligen, eigensinnigen, aher gewiß nicht einfälti- gen Mannes, von denen manche ohne Zweifel Anstoß erregt hätten, wären sie nichr durch das vertrackte Latein Tor Entdeckung bewahrt gehlieben. War er ein Häretiker?

    An der Stelle, wo er zum erstenmal von Histria redet, polemisiert er auffallend wortreich gegen Schisma und Häresie, die dort zu Hause seien.$' Man hat das schon früher bemerkt und als Zeugnis für den Aufcnthalt des Kosmographen in Istrien gedeutet; allerdings ging man dabei von der Annahme aus, daß das Werk im 8. Jahrhundert entstanden sei, und so sah man in jener Polemik einen Reflex des Streites zwischen den Patriarchaten von Aquileja und von Grado,32 der je- doch zu dieser Zeit weniger mit Schisma und Häresie zu tun hatte als auf Rivali- tät beruhte. Ein konkreter Anlaß, von Schisma und Häresie zu reden, bestand dagegen im 7. Jahrhundert. Der auf Jusunians I. theologisch-kirchenpolitische Ambitionen zurückgehende sog. Dreikapitelstreit, der die letzte Phase der Aus- einandersetzungen um die christologischen Entscheidungen des Konzils von Chal- cedon bezeichnet, hatte im Bereich der lateinischen Kirche nirgends so nachhaltige Folgen wie in Oberitalien. Die Bischöfe der Aemilia und von Ligurien unter dem Erzbischof von Mailand, die von Venetien und Istrien unter dem Patriarchen von Aquileja sagten sich förmlich von Rom los. Während jene sich s d ~ o n um 570 wie- der der römischen Kirche anschlossen, dauerte das Schisma von Aquileja noch län- ger; das Patriarchat zerfiel in das orthodoxe Grado, das zu Anfang des 7. Jahr-

    So Aeth. 68 (p. 48 Wzttke). 81 Aeth. $8 (p. j, Wzttke). 3P Das vermutete bereits Rrissch, MGH Script. rer. Merov. VII, C. 118

  • Ziir Kosmographie der Aeihiclri 37

    hunderts den Patriarchatstitel erhielt, und das unter langobardischer Herrschait stehende scliismatische Patriarchat Aquileja; erst gegen 700 kehrten die lerzten schisniatischen Bischöfe in die römische Kirche zurück Dies offenbar sind die Wirren gewesen, auf welche sich die Außerungen des Kosmographen gegen Schisma und Häresie beziehen. Ist die Deutung richtig, so bestätigt sie zugleich den Ansatz der Kosmographie in dcr zweiten Hälfte des siebenten Jahrhunderts. Aus dem Umstand aber, daß die Kosmographie - aller Wahrscheinlichkeit nach - in Istrien, im Gebiet des Patriarchats Aquileja, entstand, zu dem bis etwa Soo auch die bayerischen Diözesen gehörten, erklärt sich das Auftauchen der ältesten Handschrift des Werkes in Freising.

    Uber die Herkunft des Kosmographen, des Aethicus oder Hieronimus, wie wir ihn vielleicht nennen dürfen, lassen sich einstweilen nur Vermutungen anstellen. Darf man die Angabe über den Aufenthalt in Istrien ernst nehmen, so liegt kein Grund vor, die andere, ebenfalls nur einmal, aber doch sehr bestimmt geäußerte Angabe, er sei +Schitica natione, gewesen, zu beweifeln. Was er darunter verstand, ist eine andere Frage; soviel jedenfalls wird man mit großer Wahrscheinlichkeit daraus entnehmen dürfen, daß er sich nicht der lateinischen Welt zugehörig be- trachtete. Darauf deutet auch die merkwürdig zufällige Bildung und die halb vul- gäre, halb barbarische Latinität. Man könnte daran denken, daß er ein Slawe gewesen sei, und er müßte in diesem Falle gar nicht weit von der Gegend, wo er die Kosmographie verfaßte, zu Hause gewesen sein. Vielleicht könnte dem Sach- kundigen das merkwürdige Alphabet am Ende des Werkes, das erfun- den haben soll, einen Hinweis geben; es enthält neben den Buchstaben auch deren Bezeichnungen, weist zum Teil Elemente auf, die an griemische Buchstaben erin- nern, ist aber weder kyrillisch noch glagolitisch. Auch wenn es sich um ein Phanta- sieprodrikt handelt, lassen möglicherweise doch die Elemente, aus denen die SchriRzeichen bestehen, oder ihre Benennungen Schlüsse ziehen.

    Indcssen sd~cincn gewisse Anzeichen darauf hinzuweisen, daß der Kosmograph doch aus einer ferneren Gegend gekommen, d. h. seine Behauptung, er sei Skyrhe gewesen, recht wörtlich zu nehmen ist. Es fallt auf, da8 er eine besondere Vor- liebe für Länder und Völker im Südosten und Osten Europas an den Tag legt. Häufiger als von anderen redet er von Albanien und Albanern (wobei ihm aller- dings mandie Verwechslungen unterlaufen), dann von Macedonien - Ländern, die gewiß nidit im Blickfeld des Interesses eines westlichen SchriffsteIlers lagen, die der Kosmograph aber allem Anschein nach kennengelernt hat -, und am häufigsten spricht er von Schitia und Schitarum gentes. Während er sonst mit Tadel und Geringschätzung nicht eben sparsam umgeht, nimmt er den genannten Völkern gegenüber eine durchaus positive Haltung ein; bei den geographischen und ethnographischen Ausführungen über die Schitia kann er sich des Rülimens

  • schier nicht genug tun. Da redet er mit einer Anteilnahme, die wie der Stolz eines Mannes iilingt, der sich selbst zu diesem Volli mit seinen vielen, vielen Stämmen rechnet, einem Volke, dessen Land sich iii weitem Bogen bis hin zu den Hyper- boräern im Norden erstreckt, bis zum Iiaspischeii Meer im Osten, das mannig- faltig ist in seiner Natur und reich wie kein anderes an Vieh und edlem Metall. Gewiß sind auch da seine geographischen Vorstellungeii nicht die iilarstcn, und er spart nicht mit fabulösen Berichten. Aber auch wer in jenem Landstrich am West- rand des Schwarzen Meeres zu Hause war, in jener kleinen Provinz an der Grenze des Osrrömischen Reiches, die noch den Namen Scythia führte (die heutige Dobrudscba), konnte sich als Angehöriger des großen Volkes der fühlen. Er konnte dort, im nachmals rumänischen Sprachgebiet," auch sdion mit demVui- gärlatein jener Gegend vertraut geworden sein, und dort oder sonstwo im Oste11 lionnce er auch von den Türken gehört haben, von denen in der lateinischen Welt zu jener Zeit kaum jemand wußte.

    Und noch eines: Skythen odcr Leute, die sidi als Skythen bezeichneten, haben im seistigen Leben der Spätantike und des frühen Mittelalters aus begreiflichen Gründen keine besondere Roile gespielt. Nur einmal traten sie kräfiiger in Er- scheinung: gegen 720 nämlich, a!s skythische Mönche die theopaschitische Lehre aufbraditen («Einer aus der Trinität ist gekreuzigt wordenn); ihr Wortführer Johannes Maxentius hat damals sogar ein paar dogn~atische Traktate geschrieben. Die Lehre gehört zu den Auseinandersetzungen um das Chalcedonense, hängt mit dem Monophysitismus zusammen und war gleichsam ein Vorspiel des Dreikapitel- streits. Ist es ein Zufall, daß ein gutes Jaiirhundert oder anderthalb Jahrhunderte später in Istrien, der einzigen Gegend, wo jene Streitigkeiten noch nachgewirkt haben, ein Mann erscheint, der, selber ein Häretiker oder doch sicher nicht weit davon, sich seiner skythischen HerkunR rühmt?

    Kam aiso der iiosmograph aus dem Osten, war er ein Skythe - auf nähere Bestimmung seiner Herkunft wird man verzichten müssen -, so war er in der Tat ein weitgereister Mann. Er mußre auffallen, man wird ihn befragt haben, viel- leicht ist er auch selber nicht ganz still gewesen und mit seinen Erzählungen auf ungläubiges Mißtrauen gestoßen. Da mag ihn literarischer Ehr~eiz , das - in der Kosmographie an vielen Stellen zutage tretende - Geltungsbedürfnis, gekränk- ter Stoiz oder ein ähnliches Motiv dazu veranlaßr haben, den Unwissenden dort

    '3 Träfe dies zu, so bcsäßen wir in dcr Kosrnographic das einzige nicht zwar in Rumä- nien selbst gerchricbeile, aber doch von einem doirliei stammenden Autor verfaßrc Vcrk aus dcm Mittelalter. Aber auch wenn an eine andere Gegcnd im Südosten Europar Se- d a & ~ werden muß oder eine genauere Bestimmung überhaupt nicht möglich sein sollte, bliebe die Kosrnograpliie angesichts des völligen Fehlcns literarischer Denkmäler in latei- nischer Spradie aus jenen Gebieten ein Zeugnis von einmaligem Wert.

  • Zirr Kosmographie dei Aethicar $9

    am Rande der lateinischen \Velt ein Werk vorzusetzen, in dem er unter dem Deck- mantel eines fabelhaften Gelciirteii, der die Erde bis an ihre Grenzen dnrchstreiff, noch viel mehr des Wunderbaren und Unglaublichen erzählen konnte, als er selbst auf seinen Reisen gesehen und erlebt hatte.