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No. 15, Juni 2016 freieliste.li WEISS Magazin der Freien Liste Links? Die 48-Stundenwoche, die AHV oder ein Mutterschutz: Linke Ideen mit durch- schlagendem Erfolg. Unterschreiben Sie die Initiative zu erwerbsabhängigen Krankenkassenprämien in der Grundversicherung: Unterschriftenbogen in der Mitte des Magazins! Danke!

Freie liste weiss 15 2016 ds

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No. 15, Juni 2016

freieliste.li

WEISSMagazin der Freien Liste

Links? Die 48-Stundenwoche, die AHV oder ein Mutterschutz: Linke Ideen mit durch-schlagendem Erfolg.

Unterschreiben Sie die Initiative zu erwerbsabhängigen Krankenkassenprämien in der Grundversicherung: Unterschriftenbogen in der Mitte des Magazins! Danke!

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Chancengerechtigkeit – ein Glücks- und Wirtschaftsfaktor

Kein Mensch würde sich heute getrauen, die 48-Stunden-Woche, eine Ferienrege-lung, die Einführung von Krankenkassen oder Arbeitgeberabgaben für die AHV oder IV als «Eingriff in die unternehmeri-sche Freiheit» oder «linke Kommunisten-idee» abzustempeln, wie dies früher ge-schah. Es sind Errungenschaften, für die sich Menschen in Liechtenstein schon seit über drei Generationen eingesetzt haben, schon lange bevor es die Freie Liste als klar sozial ausgerichtete Partei gab.

Gerüttelt wird heute an diesen Errun-genschaften eher verdeckt und das ist besonders gefährlich: Arbeitnehmende sehen sich ohne grössere Medienaufmerk-samkeit mit höherer Wochenarbeitszeit und Lohnabbau konfrontiert. Eurolöhne mit Phantasiewechselkursen wurden vom Landtag akzeptiert, die Arbeitnehmenden tragen das Wechselkursrisiko. Der Staat möchte sich unter dem Deckmantel «AHV- und Krankenkassen-Revision» schleichend aus der Verantwortung ziehen und so den Staatshaushalt sanieren. Solche Eingriffe werden durch die heutige Politik als «Kon-solidierung» (Verdichtung) oder «Sanie-rung» (Gesundung) verkauft.

Mit weiteren ursprünglich linken For-derungen wie der Bildung für alle oder einer Weissgeldstrategie sieht es derzeit besser aus. Diese Werte werden in Liech-tenstein von der Mehrheit vertreten: Wer transparent Geld verwaltet, kann sich be-haupten, das zeigt das kürzlich präsen-tierte gute Ergebnis der Landesbank. Nur mit einem guten Bildungssystem kann der Wohlstand erhalten bleiben, das wissen wir schon lange. Aber es gibt hier weiterhin

Handlungsbedarf. Eine gewisse Undurch-lässigkeit gibt es auch in unserem guten Bildungssystem, wie jüngst eine Studie im Auftrag der Bildungsministerin gezeigt hat: Jugendliche mit Migrationshinter-grund werden häufiger der Oberschule zu-geteilt, obwohl sie Leistungen zeigen, die sie zum Teil für die Realschule oder sogar das Gymnasium qualifizieren.

Frauen nach wie vor im NachteilSchlechtere Chancen haben nach wie vor auch die gut ausgebildeten Frauen. Sie fehlen auf dem Arbeitsmarkt als Fachkräf-te und sind in Liechtenstein nur sehr ver-einzelt in Leitungsfunktionen zu finden. Wir sind bald das einzige Land in Europa, in dem Frauen nicht mit speziellen Mass-nahmen gefördert werden und in dem es noch keine Frauenquote in der Landesver-waltung oder in Verwaltungsräten gibt.

Dazu kommt, dass Jobs häufig noch immer an gute Parteigänger und nicht an die Bestqualifizierten vergeben werden. Auch das schmälert die Chancengerech-tigkeit, für die sich die Freie Liste seit Jahr-zehnten einsetzt. Es ist absolut unsinnig, jemanden, der sich für Chancengerech-tigkeit einsetzt, als «Wirtschaftsfeind» zu bezeichnen. Wie die erwähnten Beispiele zeigen, ist gerade die soziale Undurch-lässigkeit schlecht für die Wirtschaft. Das Credo der Wirtschaftsliberalen ist «Arbeit und Leistung müssen sich lohnen». Loh-nen sie sich nicht, wird der Arbeitgeber als unfair wahrgenommen, steht Filz dem Aufstieg im Weg, sinkt die Arbeitsmotivati-on. Das gilt besonders auch für Menschen aus dem Mittelstand, deren Leistung sich

nachgewiesenermassen weniger lohnt als die der Privilegierten. Reiche geniessen Steuerprivilegien, die nicht mehr mit ei-ner höheren Produktivität gerechtfertigt werden können. Sie haben unzweifelhaft etwas geleistet, aber wohl nicht so viel, dass für sie immer noch mehr Steuergeschenke gemacht und Steuerschlupflöcher beibe-halten werden müssen.

AHV in GefahrAb einem gewissen Punkt vermehrt sich Geld fast von alleine. Die höhere Produkti-vität oder Leistung Einzelner taugt nicht als Begründung für die grossen Unterschiede. Etwas «geleistet» haben auch die heutigen SeniorInnen, die ArbeitnehmerInnen und Familienfrauen. Sie haben sich auch Tag für Tag angestrengt. Mir leuchtet nicht ein, weshalb bei ihnen dauernd schmerz-hafte Einschnitte gemacht werden. Bei Rei-chen ist dies anders: Die anderen Parteien sprechen regelmässig davon, dass speziell ihnen ein Kränzchen gewunden werden muss und daher für Reiche und Unterneh-men weiterhin Steuerprivilegien gelten sol-len. Wenn PolitikerInnen in Liechtenstein vehement für «die freie Marktwirtschaft» als höchstes Gut eintreten, dann stelle ich mir öfters die Frage: Wessen Einzelinteres-se wollen sie wohl gerade schützen? War-um werden Die Sorgen der Allgemeinheit nicht gleichberechtigt wahrgenommen und ebenso vehement auf der politischen Bühne vertreten? Es braucht die Freie Lis-te mehr denn je, um die Waage zu halten zwischen den berechtigten Ansprüchen der grossen Mehrheit und den Forderun-gen einzelner Privilegierter.

Text Pepo Frick, [email protected]

04 – Wo sich die Ungleichheit zeigt und warum sie schädlich ist – Das soziale System in Liech-tenstein ist nicht besonders durchlässig. Vermögen sind stark konzentriert. Das wird sich wirtschaftsschädigend auswirken.

10 – Ein zähes Ringen seit 100 Jahren – Wer vor hundert Jahren eine AHV oder eine 48-Stun-den-Woche forderte, musste damit rechnen, als «Hetzer», «schlechter Christ» oder «Wirt-schaftsfeind» bezeichnet zu werden.

12 – «Von Angst und der Suche nach Sicherheit getrieben» – Der Psychologe Walter Kranz beobachtet, dass seine Klienten heute von der Angst vor Abstieg und Jobverlust «motiviert» werden – früher war es die Pers-pektive aufzusteigen.

15 – Eine bessere Welt bis 2030 – Liech-tensteins Regierungschef hat ehrgeizige Zielsetzungen unterschrieben: Die Welt in 14 Jahren ist frei von Hunger, Kriegen und Diskriminierung.

19 – Die VU im Fokus – Die VU möchte den Sollertrag für Vermögen senken und damit den Reichen ein Steuerzückerchen geben. Immerhin ist sie im Vorwahljahr aber auch für die Erhöhung der Mindestertragsteuer.

Impressum Herausgeberin Freie Liste, LiechtensteinRedaktion WEISS, Landstrasse 140, FL-9494 Schaan Redaktionsleitung Barbara Jehle, [email protected] Gestaltung Mathias Marxer, Gregor Schneider, Triesen Druck LAMPERT Druckzentrum AG, VaduzSchrift Univers und New Baskerville Papier Bavaria, 80 g/m2, FSC Auflage 19’650 Ex.

EditorialInhalt

Text Barbara Jehle, [email protected]

Linke PolitikerInnen werden gerne in die Ecke «Wirtschaftsfein-de» geschoben. Die Freie Liste setzt sich seit ihrer Gründung für Chancengerechtigkeit ein. Dazu gehört die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau genauso wie Bildungschancen für alle, faire Arbeitsbedingungen und eine Altersvorsorge, die ein würdi-ges Leben nach der Pension garantiert. In einigen Bereichen ist der Nutzen von Chancengleichheit Konsens geworden. Beispiels-weise dass eine möglichst gute schulische Förderung aller der ganzen Gesellschaft zugute kommt und ein Wirtschaftsfaktor ist. Bei fairen Arbeitsbedingungen und anständigen Löhnen sieht die Sache anders aus. Auf entsprechende Forderungen wird mit Dro-hungen – meist der Abwanderung von Arbeitsplätzen – reagiert: «Die Wirtschaft gehe unter, wenn»...

So wundert es nicht, dass einige der grössten Unternehmen mit Milliardenumsatz in Liechtenstein gerade mal 1200 Franken an Steuern bezahlen müssen. Mit Angstszenarien lassen sich gut Privilegien sichern. Vergessen wird dabei, dass Liechtenstein nicht nur als Wirtschaftsstandort, sondern auch für die Gesellschaft attraktiv sein muss. Ein undurchlässiges soziales System, in dem einseitig Zückerchen verteilt werden, wirkt demotivierend. Und das wiederum wirkt sich negativ auf die Wirtschaft aus, stellen momentan viele namhafte Ökonomen warnend fest.

Der Psychologe Walter Kranz beobachtet, dass die Menschen heute weniger von der Hoffnung auf Aufstieg angetrieben wer-den, sondern mehr von der Angst vor Jobverlust und Abstieg. Die Arbeitnehmenden in Liechtenstein seien deshalb viel anfälliger geworden, krank zu werden.

In dieser Weiss Ausgabe wird in verschiedenen Bereichen gezeigt, warum sich Chancengleichheit lohnt und wo sie in Gefahr ist.

Barbara Jehle

Eine Frage der Motivation

Politischer Kommentar

Einzelinteressen werden in der Politik häufig unter dem Deckmäntelchen des «freien Marktes» vertreten. An der Chancengerechtigkeit wird permanent gesägt, gerade unter Spardruck. Es braucht Wachsamkeit und Überzeugungsarbeit.

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Text Pepo Frick, [email protected]

Wo sich die Ungleichheit zeigt und warum sie schädlich ist

Verteilungsgerechtigkeit

«Es braucht Anreize, sich anzustrengen», da ist sich die Politik einig. Für den Mittelstand werden diese Anreize aber immer geringer. Er kann weniger am Wohlstand teilhaben und hat weniger Aufstiegschancen als Reiche – das schadet Mensch und Wirtschaft.

«Geht es der Wirtschaft und den Reichen gut, profitieren alle» ist ein Satz, der in Liechtenstein immer wieder bemüht wird und mit dem auch das unternehmens- und reichenfreundliche Steuergesetz aus dem Jahr 2011 gerechtfertigt worden ist. Seit-dem nicht mehr zu übersehen ist, dass sich weltweit besonders die Vermögensschere, aber auch die Lohnschere zwischen arm und reich mit grossem Tempo öffnet, kom-men namhafte Ökonomen zum Schluss, dass sich Geld vor allem «oben» vermehrt. Arbeitnehmende bekommen nicht so viel Lohn, wie sie gemäss ihrer Produktivität erhalten müssten, wohingegen Top-Kader viel mehr vom Kuchen abbekommen, als ihnen gemäss ihrer Leistung zustehen würde. Bis in die 80er Jahre gab es weltweit und auch in der Schweiz eine ungefähre Übereinstimmung zwischen Lohn und Leistung, dann ist das Verhältnis zuneh-mend aus dem Ruder geraten. Leistung und Reichtum (Verdienst) stehen in kei-nem Verhältnis mehr.

Es ist nicht so, dass der Wohlstand, wie es eigentlich laut ökonomischer Lehre passieren müsste, zum Mittelstand oder den tieferen Einkommen durchgesickert ist. Der Ökonom Paul Krugmann sagt: Wir warten auf diesen Trickle-down-Effekt

Verfassung verankerte Grundsatz nicht, nach dem hohe Vermögen und Einkom-men prozentual stärker besteuert werden sollten. Die Steuerprogression wirkt nicht, anders in der Schweiz (siehe Grafik). Dabei ist auch die Schweiz ein Land mit grosser Ungleichheit. Andreas Brunhart führte aus, dass die inflationsbereinigten Löhne in der Schweiz seit den Achtziger-jahren fast nur noch für die oberen zehn Prozent der Einkommen angestiegen sind, während die unteren zehn Prozent sogar Einbussen hinnehmen mussten. Erst im letzten Jahr kam es in der Schweiz erst-mals wieder zu einer Trendwende, weil die öffentliche Empörung mit der Abzocker- und der 1:12 Initiative sich korrigierend auf die hohen Löhne niederschlug. Verteilungsfragen werden erforschtMit dem Gini-Koeffizienten lässt sich die effektive Verteilung von Einkommen und Vermögen messen: Bei einem Wert von null herrscht absolute Gleichverteilung, bei einem Wert von eins konzentriert sich Vermögen oder Einkommen auf eine ein-zige Person. In der Schweiz gibt es den international gesehen sehr hohen Gini-Koeffizienten 0.8 bei Vermögen. In einer Interpellationsbeantwortung aus dem Jahr

2012 zur «Verteilungsgerechtigkeit» nahm die Regierung einen ähnlichen, gar leicht höheren Wert wie in der Schweiz an, wo-bei Vermögen von Pauschalbesteuerten oder das Vermögen des Fürstenhauses, das nicht versteuert wird, noch nicht im Gini-Koeffizienten enthalten sind. Andre-as Brunhart und Berno Büchel vom Liech-tenstein-Institut haben sich zum Ziel ge-setzt, diesen Wert gemäss internationalen Standards genauer zu erforschen. Sparmassnahmen fördern UngleichheitDass der Wohlstand in Liechtenstein un-gleich verteilt ist und Reiche prozentual weniger fürs Gemeinwohl abgeben müs-sen, zeigt sich aber bereits mit den vorhan-denen Messwerten. Problematisch ist, dass sich die Ungleichheit nicht zuletzt auch wegen der Sparmassnahmen des Staates zuspitzt.

Die Regierung hat dargelegt, dass die Sparübungen der letzten Jahre sich bei Tieflohnempfängern besonders wegen den Krankenkassenprämien mit 2 Pro-zent vom Nettolohn doppelt so stark aus-wirkten wie für Menschen mit hohen Ein-kommen. Die Freie Liste beobachtet diese Entwicklung mit grosser Sorge, steht damit in der liechtensteinischen Politik aber al-leine da. In der Beurteilung von vielen einflussreichen Ökonomen kann sich dies wirtschaftsschädlich auswirken. Die Argu-mente sind intuitiv verständlich: Wenn es wenig soziale Durchlässigkeit gibt und nur eine kleine Schicht immer reicher wird, verliert der Rest den Anreiz sich anzu-strengen. Die Mehrheit der Angestellten bekommt nicht das, was ihr aufgrund ihrer Produktivität eigentlich zustehen würde, die Chancen sind nicht gerecht verteilt.

Regierungen müssten laut OECD eingreifen«Wir sind an einem kritischen Punkt ange-langt», sagt der Generalsekretär der «Or-ganisation für wirtschaftliche Zusammen-arbeit und Entwicklung» (OECD) Ángel Gurría. Die Regierungen müssten eingrei-fen, nicht nur aus sozialen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen. «Tun sie das nicht, beschädigen sie das gesellschaft-liche Gefüge und behindern das langfristi-ge Wirtschaftswachstum.»

Während sich die Mehrheit der Politi-ker im Land auf die «freie Wirtschaft» be-ruft, nach der die Politik nicht in Märkte

eingreifen darf und ein Verbot beispiels-weise von Eurolöhnen für sie der «Plan-wirtschaft» gleichkommt, fordern heute Ökonomen die Politik zum Handeln auf. So zitierte Andreas Brunhart an seinem Vortrag Joseph Stiglitz, den ehemaligen Chefökonomen der Weltbank: «Jedes Wirt-schaftssystem, das grosse Bevölkerungs-gruppen vom Wohlstand ausschliesst hat versagt. Ungleichheit ist kein Schicksal, sondern Ausdruck politischen Willens.»

Die Folgen sind neben der Erosion von Leistungsanreizen für den Mittelstand auch steigende Umverteilungskosten durch soziale Wohlfahrt. Die Folge ist aber auch private Überschuldung oder gar tiefe Bildungsbeteiligung. Der Schweizer So-ziologie-Professor Ueli Mäder stellt auch fest, dass sich das zunehmende ökonomi-sche Ungleichgewicht in der Schweiz und in Europa im Aufkommen von populisti-schen Parteien niederschlägt.

Die Massnahmen, welche Ökonomen zur Um-verteilung vorschlagen, lesen sich über weite Strecken wie eine Bilanz der Politik der Frei-en Liste in den vergangenen Jahren (siehe folgenden Text).

schon seit 30 Jahren – vergeblich.» Andre-as Brunhart vom Liechtenstein Institut ver-wendete an einem Vortrag dieses Zitat, um zu zeigen, dass einflussreiche Ökonomen umdenken. Weg vom Credo, dass sich der Markt selbst reguliert. Die Steuern wirken nicht progressivDer Forscher vom Liechtenstein Institut hat sich in den letzten Monaten intensiv mit Verteilungsfragen beschäftigt. In sei-ner Studie «mehr Netto vom Brutto» stell-te er einerseits fest, dass Liechtensteins Bevölkerung mehr Geld im Portemonnaie übrigbleibt als den Schweizer Nachbarn. Die Studie hat aber andererseits, wie zuvor bereits andere, auch bestätigt, dass sich beim Liechtensteiner Mittelstand Netto-löhne am wenigsten stark von den Netto-löhnen in der Schweiz unterscheiden. Der Mittelstand profitiert also prozentual we-niger stark von tiefen Steuern und tiefen Sozialabgaben.

Bei Liechtensteins Hochlohnempfän-gern wird hingegen deutlich, dass ihnen prozentual viel mehr übrig bleibt als den schweizerischen im gleichen Lohnseg-ment (siehe Grafik). Reiche sind in Liech-tenstein also besonders reich. In anderen Worten greift in Liechtenstein der in der

Die Grafik zeigt, dass der Mittelstand in Liechtenstein sich am wenigsten stark vom Schweizer Mittelstand abhebt und die Reichen im Vergleich in Liechtenstein besonders reich sind. Bild: Grafik aus mehr Netto vom Brutto

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Internationale Ökonomen schlagen folgende Massnahmen für die staatliche Umverteilung vor:

Eine progressive Wirkung bei der Besteuerung anvisieren Die Umgehungsmöglichkeiten bei

der Besteuerung reduzieren Eine progressive Konsumsteuer

(Ein Ferrari wird prozentual höher besteuert als ein Fiat) einführen Immobilien und Boden (vorgeschlagen

von der OECD) besteuern Vermögenssteuern und insbesondere

die Erbschaftssteuer erhöhen Mindestlöhne festsetzen

Umverteilungsversuche in Liechtenstein

neuerdings «normal» zu besteuern. Zum Staunen ist auch die Tatsache, dass vier pauschal besteuerte Personen mittlerweile die Liechtensteinische Staatsbürgerschaft besitzen und ohne rechtliche Grundlage

weiterhin von einer Pauschalsteuer profi-tieren. Die Regierung hat nach Interpel-lationen und kleinen Anfragen der Freien Liste die Pauschalsteuer endlich auf min-destens 300‘000 Franken angehoben und die Liechtensteiner der regulären Besteu-erung unterstellt.

Ausbeutung im «freien Markt»Ein Vorgeschmack, wie die Reaktionen ausfallen könnten, wenn die Freie Liste ge-setzliche Mindestlöhne fordern würde, hat sie bei der Debatte zu Eurolöhnen erhal-ten, in der sie versteckte Lohnkürzungen und das Abwälzen von Währungsrisiken auf die Arbeitnehmenden anprangerte. Wenn sich die Politik in die unternehmeri-

sche Freiheit einmische, sei das «Planwirt-schaft», der Staat werde zum Unternehmer. In der Schweiz wird vor der Aushandlung von Gesamtarbeitsverträgen (GAV) auch jeweils mit Untergangsszenarien gedroht. Dort sind die GAV Löhne aber mehrheit-lich um einiges höher als in Liechtenstein, nicht zuletzt wegen dem Druck der Ge-werkschaften.

Über dem Rhein konnten die Mindest-löhne in einigen Branchen gar verbessert werden. Gerade in der Tieflohnbranche Gastgewerbe, in der auch viele Ungelern-te arbeiten, konnten die Mindestlöhne auf 3600 Franken erhöht werden. Arbeitsplät-ze sind deshalb kaum verloren gegangen, wie Studien belegen. In Liechtenstein liegt

zum Vergleich ein Mindestlohn für Unge-lernte in der Industrie bei 3250 Franken.

Es erstaunt nach diesen Erfahrungen mit der Blockade der Neoliberalen in Re-gierung und Landtag wenig, dass die Freie Liste nun mit einer Umverteilungsvor-schlag vors Volk gehen möchte, nämlich mit der erwerbsabhängigen Ausgestaltung der Krankenkassenprämien, wie es sie fast überall in Europa gibt.

Um Verteilungsgerechtigkeit herrscht ein zähes Ringen. Einen kleinen Schub bekom-men diese Fragen immer vor den Wahlen, wenn die Grossparteien kurzfristig beim Mittelstand punkten wollen.

Die Freie Liste hat in der vergangenen Legislatur bei der Einkommenssteuer eine 8. Progressionsstufe für Spitzenverdiener gefordert und kam kurz vor den Land-tagswahlen damit durch. Die Wirkung des Steuergesetzes ist deshalb aber immer noch nicht progressiv (Siehe Text Seite 5). Die Erbschaftssteuer für hohe Vermögen wurde trotz Widerstand der Freien Liste mit dem Steuergesetz im Jahr 2011 abge-schafft, obwohl sie bis dahin öffentlich überhaupt nicht umstritten war.

Vor den Wahlen ein linker AnstrichDie alte Forderung, endlich die Mindester-tragsteuer für Unternehmen mindestens inflationsbereinigt zu erhöhen, wird in die-sem Vorwahljahr von den anderen Partei-en wieder etwas wohlwollender diskutiert. Wirtschaftsminister Thomas Zwiefelhofer (VU) spricht sich neuerdings gar in Op-position zum Regierungschef für Massnah-men auf der Einnahmenseite des Staates aus, er möchte also Steuern erhöhen.

Bereits seit einigen Jahren fordert die Freie Liste auch bei der reellen Bewertung von Altliegenschaften endlich Fortschritte. Obwohl ein entsprechender Vorstoss der Freien Liste überwiesen wurde, ist das The-ma von der Regierung nicht angegangen worden: Es ist «zu heiss». Abgeblitzt ist die Freie Liste auch immer wieder beim The-ma «Umgehung der Steuern», also bei der «Steueroptimierung» für Reiche.

Wirklich skurril war lange Zeit das Argu-ment der Regierung gegen die Aufhebung der Pauschalbesteuerung von reichen Ausländern: Die Besteuerten seien schon sehr alt, deshalb sei es nicht zumutbar, sie

Text Pepo Frick, [email protected]

Verteilungsgerechtigkeit

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Text Thomas Lageder, [email protected]

Relativitätstheorie

In diesem Artikel soll es nicht darum gehen zu beweisen, das E=mc2 ist und auch nicht darum zu argumentieren, dass sich das Universum immer schneller ausdehnt. Nein, es soll vielmehr beleuchtet werden, ob die Gleichung 100 Franken = 100 Franken stimmt.

Auf den ersten Blick würde wohl jeder sa-gen, dass 100 Franken effektiv 100 Fran-ken sind. So einfach ist es aber nicht, denn der Wert von 100 Franken für den einzel-nen ist sehr relativ. Für eine Person, nen-nen wir sie Lukas, die 60‘000 Franken im Jahr verdient, sind 100 Franken zwei Pro-zent des monatlich zur Verfügung stehen-den Geldes. Hingegen für eine Person, die 200‘000 Franken im Jahr verdient, nennen wir sie Rudolf, nur gerade 0.6 Prozent. Kein wesentlicher Unterschied würde man meinen. Nur muss die Person mit 60‘000 Franken den selben Preis für Benzin, Brot oder das Bus-Abo bezahlen, wie die Per-son, der 200‘000 Franken zur Verfügung stehen. Analoges gilt z.B. für die Kranken-kassenprämien, die in Liechtenstein be-kanntlich Kopfprämien sind. Will heissen, jede erwachsene Person, der keine Prämi-enverbilligung zusteht, bezahlt denselben Betrag. Waren dies 2014 noch 3552 Fran-ken pro Jahr für die Grundversicherung, stiegen sie 2015 schon auf 3996 Franken. Auch diese Beträge sind gleich hoch, sie machen aber für Lukas ca. 6.5 Prozent sei-nes Geldes aus, für Rudolf nur 2 Prozent. Im Verhältnis zu seinen Möglichkeiten, ist Lukas viel stärker belastet als Rudolf.

So weit ist das noch nicht grundsätzlich problematisch, wenn es einen Mechanis-mus gäbe, der Ungleichheiten in Talent, Anstrengung, Ausbildung, Fleiss und auch Glück abschwächen würde. Im Allgemei-nen wird dies über Steuern gemacht, kon-kret über die sogenannte Progression. So legt das Steuergesetz fest, dass Lukas 3 Pro-zent an den Staat, also die Allgemeinheit, abgeben muss und Rudolf, der ja mehr Geld hat, 5 Prozent. So weit so gut. Nur funktioniert das nicht. Wie die Regierung im Bericht und Antrag 27/2015 aufgezeigt

aber nicht mehr bezahlen will, dann heisst das ganz einfach, dass Lukas weiterhin viel stärker belastet wird als Rudolf, denn wie es immer wieder heisst, das Geld fällt nicht vom Himmel.

Der Abschlussbericht zu den Massnah-menpaketen I bis III hat ergeben, dass Lu-kas durch die verschiedenen Massnahmen einer Mehrbelastung von 2.1 Prozent aus-gesetzt wurde, Rudolf musste nur 1.2 Pro-zent mehr aufwenden. Diese Zahlen zei-gen deutlich, dass Lukas immer mehr zum Verlierer des Systems wird und Rudolf, der zwar auch mehr leisten muss, relativ, also im Verhältnis, besser davon kommt.

Nicht nur muss das neue Steuergesetz, das die Balance zu Gunsten von Rudolf verschoben hat, dringend überarbeitet werden, es muss auch bei der Krankenkas-se angesetzt werden, die sich zunehmend zu einem immer schwereren Mühlstein um den Hals von Lukas entwickelt. Beim Konsum von herkömmlichen Waren ist es völlig normal und akzeptiert, dass Lukas und Rudolf 8 Prozent an Mehrwertsteuer bezahlen müssen. Beim Konsum von Ge-sundheitsleistungen hingegen verlangt das gegenwärtige System, dass Rudolf und Lukas jeweils für ihr Fleischkäsbrötli, das 5 Franken kostet, einen Franken ablie-fern müssen. Mindestens Lukas dürfte das Kopfweh bereiten.

Unterschreiben Sie bitte die Initiative der Freien Liste zu erwerbsabhängigen Kran-kenkassenprämien in der Grundversiche-rung, Lukas braucht Ihre Unterstützung.

hat und wie in der Studie «Mehr Netto vom Brutto» des Liechtenstein Instituts bestätigt wurde, haben alle Personen in Liechtenstein nach Steuern und Abgaben ungefähr 75 Prozent ihres Geldes für ihre Ausgaben zur Verfügung. Durch verschie-dene Abzugsmöglichkeiten und Effekte im Steuergesetz funktioniert die Progression in Liechtenstein nicht. Prozentual werden alle Steuerzahler gleich belastet. Viele wür-den nun sagen, dass das fair ist. Nein, ist es nicht! Artikel 24 der Verfassung hält sinn-gemäss fest, dass finanziell Bessergestellte stärker für die Bereitstellung der staatli-chen Dienstleistungen und Institutionen belastet werden sollen. Wer mehr hat, muss und kann auch etwas mehr abgeben. Um beim Beispiel von Lukas und Rudolf zu bleiben, hat Lukas heute 45‘000 Fran-ken zu seiner Verfügung, Rudolf 150‘000 Franken, beide also 75 Prozent. Es wäre also zumutbar, dass Rudolf weitere 10‘000 Franken beisteuert und Lukas dafür 2‘000 Franken weniger bezahlen müsste. Für Lukas wären diese 2‘000 Franken sehr will-kommen, denn er muss sein ganzes Geld für seinen Lebensunterhalt ausgeben. Ru-dolf hat da sicher mehr «Spatzig».

Gleiches gilt für die Krankenkassenprä-mien. Jede Erhöhung, aus welchem Grund auch immer, trifft Lukas viel stärker als Rudolf. Auch die ab 2017 wählbare Fran-chise bis zu 3500 Franken machen Lukas viel mehr Sorgen als Rudolf, schlicht, weil er wesentlich weniger Geld zur Verfügung hat. Im Gegenteil für Rudolf sind Kopf-prämien super, denn er hat wie Lukas nur einen Kopf. Die Last der Prämien zieht aber den Kopf von Lukas viel stärker nach unten als den Kopf von Rudolf. Dass Ru-dolf nun keine grosse Lust hat, mehr zu be-zahlen, ist zwar verständlich; wenn Rudolf

Kommentar zu Kopfprämien

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Text Barbara Jehle, [email protected]

Ein zähes Ringen seit 100 Jahren

Soziale Errungenschaften

Die 48-Stundenwoche, die AHV oder ein Mutterschutz: Was heute in Liechtenstein als selbstverständlich gilt, musste von Arbeitnehmerverbänden errungen werden und zog im Vergleich zur Schweiz verzögert ein. Die Vorreiter hatten einiges einzustecken und galten je nach Jahrzehnt als «Hetzer», «schlechte Christen», die Forderungen «als absolut untragbar» und wirtschaftsfeindlich.

Um linke, respektive soziale Einrichtun-gen wird mit Bürgerlichen zäh gerungen, schon seit 100 Jahren. Ihren Anfang hatte diese Bewegung in der Arbeiterschaft.

Die tiefgreifende politischen Unzu-friedenheit und die wirtschaftliche Not-lage führte in den Jahren 1919 bis 1921 zum Teil zu recht vehement geführten innenpolitischen Auseinandersetzungen. Die Arbeiter bündelten ihre Kräfte, der Exekutive war dies ungeheuer: Die Regie-rung äusserte vor allem wegen der in der Schweiz arbeitenden Liechtensteiner Be-denken, da diese ihrer Ansicht nach «zu-meist sozialdemokratischen, wenn nicht noch weiter nach links hin neigenden Ansichten» huldigten. Die Linke forderte in der Schweiz damals schon eine 48-Stun-den-Woche, eine Alters- und Invaliden-versicherung und das Frauenstimmrecht. Auch der Schweizer Bundesrat sah diese Bewegung nicht gern und mobilisierte die Armee. Es durfte geschossen werden – auf Linke. Einige wurden eingesperrt.

In Liechtenstein entstand 1920 erst-mals eine öffentliche Versammlung der «Arbeiter Liechtensteins». Während der Referent aus Arbeiterkreisen laut Volksblatt an einem solchen Treffen die «Unvorsichtigkeit» beging, «dass er seine Liebe zur sozialdemokratischen Ge-

und Krankenkassa, durch Unterstützung von Wöchnerinnen, Arbeitsnachweis und Rechtsschutz; ferner sollte auf eine mög-lichst allseitige Ausbildung in den weib-lichen Haushaltungsarbeiten geachtet werden. Die Frauen trafen sich unter dem Protektorat der Kirche, die dafür sorgte, dass auch die moralische Entwicklung mit-eingeschlossen wurde. Die Kirche zeigte erbitterten Widerstand gegen den männ-lichen Arbeitnehmerverein. Sie liess von den Kanzeln verlesen, «wer offen für die sozialistische Sache kämpft und wirbt, so-lange er in dieser Gesinnung unbelehrbar verharren will», soll von der Kommunion ausgeschlossen werden. An einer Arbeit-nehmerversammlung kam es dazu, dass «einige Schwarzröcke» in den Saal geschli-chen sind, wie ein Berichterstatter des Verbandes dem «Volksblatt» bekannt gab. Das Volksblatt schonte in der nächsten Nummer den Verfasser dieses Berichtes nicht und betitelte ihn als «roten Apostel», nannten seine Ansprache «Hetzarbeit» und «Handlangerarbeit für Judentum und Freimaurerei.» In der Zwischenkriegszeit kamen die Anstösse zu gewerkschaftlichen Zusammenschlüssen in Liechtenstein nicht von den Industriearbeitern, sondern von den Bauhandwerkern. Diese waren durch ihre Auslandtätigkeit – vorwiegend in der

Schweiz – eben stärker von klassenkämp-ferischen Ideen beeinflusst. In dieser Zeit fanden die Anliegen der Arbeiter auch politisch in der Volkspartei Gehör: Sie hatten ein gemeinsames Interesse in der Zielsetzung eines Zollanschlusses an die Schweiz. Erhofften sich die Arbeiter vorwiegend verbesserte Arbeits- und Ver-dienstmöglichkeiten von einem solchen Wirtschaftsanschluss, so war für die poli-tisch Interessierten auch die Übernahme von direktdemokratischen Rechten ein Ziel.

1943 wurde in Triesen eine neue Ar-beiterbewegung gegründet, die «Liech-tensteinische Arbeitsfront», die ein sozial- politisch ausgerichtetes Programm ausar-beitete. Das Programm enthielt u.a. fol-gende Punkte, die mehrheitlich auch heu-te noch Dauerthemen in Liechtensteins Politik sind:

gesetzlicher Anspruch der Arbeitslosen auf Lebensunterhalt Mindestlöhne Arbeiterschutz Staatliche Krankenkasse Bau von Wohnsiedlungen Grosszügige Altersvorsorge Unterstützung kinderreicher Familien Ausbau des Bildungs- und Kurswesens Gerechte Besteuerung Kampf gegen Korruption und

Amtsmissbrauch

Im Dezember 1952 wurden in Dörfern mit grossem Arbeitnehmeranteil (besonders Triesen, Triesenberg, Balzers) klare Ja-Mehrheiten für die AHV-Vorlage erreicht, trotz überwältigender Ablehnung im bäuerlich geprägten Unterland. Die An-nahme der AHV stellte für die Arbeitneh-merschaft einen grundlegenden sozialpo-litischen Durchbruch dar.

Es tauchten auch Postulate auf, wie die Schaffung einer schon lange geforder-ten Arbeitslosenversicherung (eingeführt 1954), einer gesetzlichen Familienaus-gleichskasse (1958), einer obligatorischen Krankenkasse (1962) und die Angleichung der Löhne auf das schweizerische Niveau.

Das alles sind heute trotz der teilweise späten Einführung fast selbstverständlich anmutende Bedingungen, für die der Ver-band und andere Gremien lange kämpfen mussten.

Auch Verhandlungen wegen Ferienregu-lierungen und Feiertagsentschädigungen, die in den 50er Jahren von einigen Firmen als «absolut untragbar» abgelehnt wurden, waren schwierig zu führen. Die Industrie duldete teilweise auch keine innerbetrieb-lichen Arbeiterkommissionen, welche die Interessen der Arbeiterschaft vertraten.

Häufige Arbeitnehmerprobleme dieser Zeit waren – wenig überraschend – Lohn-differenzen, Unfallstreitigkeiten, Über- stundenzuschläge, ungerechtfertigte und willkürliche Ausmusterung älterer Arbeit-nehmerInnen, auch damals schon ein ech-tes Problem.

Die 90er Jahre waren dann geprägt von politischen Debatten um Mindestlöhne und einem Mieterschutzgesetz, beides An-liegen des Arbeitnehmerverbandes. Der Historiker und ehemalige Landtagspräsi-dent Arthur Brunhart beschreibt das zähe Ringen folgendermassen: «Das im Interes-se der Arbeitnehmerschaft und im Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft berechtigte Anliegen von Mindestlohneinrichtungen stösst bei Gruppen oder Einzelpersonen auf Opposition, die vordergründig zwar für eine sogenannte freie Marktwirtschaft eintreten, bezeichnenderweise aber oft Berufsbranchen angehören, die durch kartellähnliche Wahrung von Eigeninter-essen und Verhinderung von Konkurrenz charakteristisch sind.» Die mehrheitliche Ablehnung von Mindestlohneinrichtun-gen wie auch eines Mieterschutzes durch den liechtensteinischen Landtag kritisier-te der damalige LANV Präsident 1993 laut Brunhart «zurecht» als «Faustschlag ins Gesicht der Arbeitnehmerschaft» und als «Arroganz gegen die schwächsten Mitglie-der in unserer Volksgemeinschaft».

Quelle: Broschüre 70 Jahre LANV

werkschaft zu sehr durchblicken liess, ver-traten die Geistlichen die Auffassung, es müsse eine christliche Arbeiterbewegung gegründet werden. Die gereizte Stimmung zeigte sich in Bemerkungen gegen die Äusserungen Andreas Vogts: Er wurde als «Genosse» Vogt aus Balzers» angeredet oder ihm vor Augen gehalten, niemand könnte «überzeugter Sozialdemokrat und zugleich guter Katholik sein». Nichtsdesto-trotz wurde 1920 der erste Liechtensteiner Arbeitnehmerverband gegründet.

Die Aufgabe des Verbandes bestand darin, seine Mitglieder «auf eine möglichst moralisch hohe Stufe zu bringen und ih-nen dauernd einen menschenwürdigen An-teil an den Errungenschaften der Kultur zu sichern.»

Im März 1920 wurden «in ihrem ei-genen Interesse» Fabrikarbeiterinnen, Heimatarbeiterinnen und Dienstmädchen eingeladen. An der Gründungsversamm-lung nahmen 150 Arbeiterinnen teil. «50 Töchter und Frauen» gründeten später ei-nen Verein, dessen Statuten vom Verband des «Schweizerischen Arbeitnehmerinnen- vereins» übernommen worden. Die Frau-en forderten Schutz und Förderung in der Berufstätigkeit, insbesondere durch Sor-ge für einen gerechteren Lohn und gute Behandlung: durch Errichtung einer Spar-

AHV: Es bleibt zu tun

Leider ist es an der Landtagsde-batte im Mai nicht gelungen, den Staatsbeitrag an die AHV auf ein nachhaltiges Niveau festzulegen. Der Antrag der Freien Liste, die AHV mit einem jährlichen Staatsbeitrag von 40 Mio. Fr. zu unterstützen, ist nicht durchgekommen. Auch der in seiner Wirkung leicht schwächere Antrag der VU, einen Drittel des Beitrags-defizits, jedoch mindestens 30 Mio. und maximal 55 Mio. Franken als Staatsbeitrag in die AHV zu zahlen, wurde von der FBP geschlossen und der DU mehrheitlich abgelehnt. Die Freie Liste wird sich bei nächster Gelegenheit erneut dafür einsetzen, dass der Staat mehr Geld zur Siche-rung der AHV investiert. Denn der Staat hat für seine sozialen Systeme eine in der Verfassung definierte Verantwortung zu übernehmen, die mit diesen Kürzungen arg strapaziert worden ist.

Somit kann das Ziel der FBP, mit Un-terstützung der DU, den Staatshaus-halt über eine Kürzung des Staats-beitrags an die AHV zu sanieren, als erreicht angesehen werden. Auf Antrag der Freien Liste konnte eine Rentenkürzung von 4 Prozent über die Hintertüre verhindert werden. Ein FBP Abgeordneter reichte kurz vor der Landtagssitzung den gleichen Antrag ein. Die Rentenkürzungen konnten mit vereinten Kräften von 3 FL, 7 VU, 5 FBP und 1 DU Stimmen verhindert werden. (tl)

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12 – WEISS – Magazin der Freien Liste – 06/16 WEISS – Magazin der Freien Liste – 06/16 – 13

Interview

WEISS Du bist Psychotherapeut und hörst täglich, wie es Menschen bei der Arbeit ergeht. Haben Druck und Stress am Arbeits-platz tatsächlich zugenommen oder wird heu-te einfach mehr darüber gesprochen?

Walter Kranz Mein Eindruck ist, dass an der Schraube immer weiter gedreht wird. Zurzeit ist gerade die Frankenstär-ke der Grund, mehr zu verlangen. Die Begründung ist wohl gerechtfertigt, aber der Mensch ist nicht immer weiter belast-bar. Grund zur Sorge ist auch, dass der Leistungsdruck sich schon bei Kindern im Vorschulalter zeigt. Eltern wollen die Kinder fit machen für die Leistungsgesell-schaft. Das zieht sich dann durch bis ins Berufsleben. Burnout bei Studenten ist nicht selten.

Das extremste Erlebnis ist wohl eine Kündi-gung und Arbeitslosigkeit.

Ja, Entlassung und Arbeitslosigkeit ist für die meisten Betroffenen ein Schock. Das Ereignis erschüttert das Gefühl des eigenen Werts. Viele sagen: «Ich fühle mich wie weggeschmissen, wie Abfall.» In den letzten Jahren kommt die Angst, kei-ne Stelle mehr zu finden hinzu. Der gan-ze Stress löste oft Schlafstörungen aus, in der Folge Erschöpfung und auch andere Symptome wie Magenschmerzen oder Pa-nikattacken.

Besonders dramatisch wird Arbeitslosigkeit wohl von Arbeitnehmern über 50 empfunden, da sie wissen, dass sie sich mit der Jobsuche schwerer tun.

In der Häufigkeit ist diese Altersgrup-pe nicht mehr betroffen als Jüngere. Wo-

bei man berücksichtigen muss, dass von den über 60 Jährigen sich schon einige aus dem Risiko der Arbeitslosigkeit in die Frühpensionierung retten, eventuell mit Nachhilfe des Arbeitgebers. Personen über 50 Jahren brauchen deutlich länger, um wieder eine Arbeit zu finden, und sie haben mehr Angst. Nämlich die Angst, alles zu verlieren. Wenn die Arbeitslosen «ausgesteuert» sind, bleibt nur das Sozial-amt und mit ihm der Verzehr des vielleicht erworbenen Vermögens. Im Gegensatz zu einem 30 Jährigen sieht der über 50 Jäh-rige keine Möglichkeit mehr, das Vermö-gen neu aufzubauen und er hat keine Zeit mehr, berufliche Ziele zu verwirklichen.

Langzeitarbeitslosen wird geraten, es mit der Selbstständigkeit zu versuchen, die aber auch eine Falle sein kann.

Ja, die Mehrheit von ihnen versucht es mit schlechtem Erfolg. Viele lösen ihre Pensionskasse auf und landen schliesslich in der Armut, der sie ausweichen wollten.

Du bist seit mehr als 40 Jahren Therapeut. Was hat sich verändert?

Die Leute sind jetzt mehr von Angst und der Suche nach Sicherheit getrieben. Früher war die Motivation positiver, näm-lich die Aussicht, sich entwickeln und im-mer mehr leisten zu können. Angst kann kurzfristig eine starke Motivation sein, langfristig aber nicht, weil sie zu Anpas-sung und Rückzug führt und krank macht.

Schüren Firmen diese Angst und üben Druck aus?

Ich könnte nicht behaupten, dass Fir-

men die Angst aktiv erzeugen, aber viele scheinen die Angst auszunutzen. Sicher holen sie dabei nicht das Beste aus ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern her-aus. Sicherheit erzeugt mehr Energie und Leistungsfähigkeit als Angst. Positiv Moti-vierte brennen seltener aus.

Was sollten Arbeitgeber tun?Sie sollten sich im Klaren sein, dass der

Umgang mit einer Person von vielen ande-ren beobachtet wird. Die Firma zeigt: «So geht das bei uns zu und her». Oft wider-spricht das dem auf Hochglanz polierten Leitbild. Taten sprechen lauter als Worte. Die Belegschaft wird den Taten glauben. Firmen sollten ihre Führungspersonen im Umgang mit Macht ausbilden und in Posi-tiver Psychologie trainieren.

Genügen die Auffangnetze für Langzeitar-beitslose?

Was ich als Veränderung in den letzten Jahrzehnten noch erwähnen will, ist die Rolle der IV, der Invalidenversicherung. Vor 20 Jahren wurden viele gesundheit-lich angeschlagene Arbeitnehmer von der IV aufgefangen. Heute muss ein Antrag-steller sprichwörtlich mit dem Kopf unter dem Arm daher kommen, um eine Ren-te zu erhalten. Mir leuchtet ein, dass da-mals zu grosszügig Renten zugesprochen wurden, aber dann ging die IV ins andere Extrem.

Das IV Netz fängt viele also nicht mehr auf. Ja, mit der Folge, dass jedenfalls die

schweizerische IV die Schulden bei der AHV bald abbezahlt hat und dann hohe

Text Barbara Jehle, [email protected]

«Von Angst und der Suche nach Sicherheit getrieben»

Früher waren Aufstiegsmöglichkeiten Motivation in der Arbeit. Heute ist es die Angst vor Jobverlust und Abstieg, die mit negativen Emotionen verbunden ist. Beide Motivationen wirken, Angst kann aber krank machen, erklärt Walter Kranz.

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14 – WEISS – Magazin der Freien Liste – 06/16 WEISS – Magazin der Freien Liste – 06/16 – 15

Text René Hasler, [email protected]

Eine bessere Welt bis 2030

Die Regierung hat einen bemerkenswerten Katalog von ehrgeizigen «nachhaltigen Entwick-lungszielen» unterschrieben. Die Freie Liste möchte nun mit Akteuren aus der IHZE und der Zivilgesellschaft die Umsetzung mit Vernetzung und «Zivilcourage» einfordern.

Internationale humanitäre Zusammenarbeit (IHZE)

Bis zum Jahr 2030 gibt es keine Menschen mehr die Hunger leiden. Es gibt Friede und Gleichheit unter den Geschlechtern und Volksgruppen. Eine schöne Utopie? Nein, das sind Ziele, die Regierungsche-fInnen aus aller Welt, unter ihnen auch Adrian Hasler, beim UNO Nachhaltigkeits-gipfel im vergangenen September unter-schrieben haben. Wenn die Regierung die Ziele ernst nimmt, kann sie es sich nicht leisten, die Umsetzung auf die folgenden Legislaturen zu verschieben. Die Uhr tickt schnell in diesen 14 Jahren.

Die versammelten Ländervertreter-Innen sehen die 17 Entwicklungsziele, die sie gemeinsam festgelegt haben, als «Ausdruck einer äusserst ambitionierten und transformativen Vision». Für Liech-tensteins Akteure der internationalen hu-manitären Hilfe (IHZE) sind die Ziele ein bemerkenswertes Signal, das Hoffnung macht. Die Freie Liste hat einige von ih-nen Ende April zu einer Diskussionsrunde zusammengebracht. Das Ziel des Abends war ein Austausch über die Frage, was un-ternommen werden kann, um die Arbeit noch wirksamer zu machen, und auch, wie diese nachhaltigen Entwicklungsziele im In- und Ausland gemeinsam erreicht wer-den können. Alle Akteure decken bereits eines oder mehrere dieser Ziele ab.

Peter Ritter vom Liechtensteinischen Entwicklungsdienst (LED) freut sich über die Bereitschaft der Anwesenden, am Um-setzungsprozess mitzuwirken. Er glaubt aber auch, dass der Kreis der Akteure noch weiter gefasst werden muss, wie er im Interview sagt. «Die ökonomischen, sozialen und ökologischen Vorgaben be-treffen unser Engagement im Ausland und unser Handeln in der Heimat.» Wenn dies gelingt, wäre das eine «gute Sache

ne auch den Spruch «tu Gutes und sprich darüber» stärker beherzigen wollen. Nur wenn der Öffentlichkeit bekannt sei, was getan wird, sei sie auch bereit für Unter-stützung.

Nachhaltige Entwicklungsziele sind häu- fig nicht besonders bequem. Denn sie set-zen eine Änderung des Verhaltens voraus oder es muss oft auch schlicht Geld inves-tiert werden. Sei es, die Menschen zum Energiesparen zu animieren oder davon zu überzeugen, dass in vielen Ländern Hil-fe vor Ort geleistet werden muss: Die Orga-nisationen wollen Zivilcourage zeigen und auch manchmal unbequem sein, um den weltweiten Entwicklungszielen gemeinsam einen Schritt näher zu kommen. Die Freie Liste bedankt sich bei allen Akteuren für ihr grosses Engagement und die guten po-litischen Anregungen.

für uns und unsere Kinder» und es wür-de den internationalen Respekt sichern: «Ganz allgemein bin ich überzeugt, dass Liechtenstein seine Chance nutzen sollte, der Welt vorzumachen, dass, was im ganz Grossen gedacht wird, bei uns im Kleinen funktioniert.»

Auch wenn Liechtenstein nicht gerade als «Entwicklungsland» gilt, kann es sich dennoch nicht in der eigenen nachhalti-gen Entwicklung zurücklehnen. Bei der Chancengleichheit von Frauen liegt Liech-tenstein weit hinter vielen europäischen Ländern zurück. In den Entwicklungszie-len wird gefordert, dass Frauen gleichen Zugang zu politischer Teilhabe, Führungs-positionen und zu Entscheidungsprozes-sen auf allen Ebenen haben müssen wie Männer. Aber auch im Umweltschutz und bei den Klimazielen gibt es noch viele Hausaufgaben zu machen.

Die Freie Liste möchte auch den Land-tag und die Regierung einbeziehen, damit sie genauso wie die Akteure selbst etwas zur Vernetzung tun und die Ziele bei po-litischen Entscheiden im Auge behalten. Unsere Landtagsfraktion wird auch die Re-gierung anfragen, auf welche Ziele sie die Kräfte besonders richten möchte.

Die Vernetzung der grösseren Akteure läuft bereits, es hat sich eine Gruppe von Hilfswerken gebildet, denn «die nachhal-tigen Entwicklungsziele machen das ver-netzte Agieren von vielen verschiedenen Akteuren erforderlich», erklärt Peter Rit-ter. Drehscheibe könnte in Zukunft der LED sein: «Ich möchte als Vertreter des LED unsere Hand anbieten, bei der kon-kreten Koordination des Netzwerks mitzu-arbeiten.»

In der Diskussionsrunde wurde festge-stellt, dass die Organisationen und Verei-

DiskussionsteilnehmerInnenam IHZE Treffen

Peter Ritter (LED), Rudolf Batliner (Tellerrand, Verein für solidarisches Handeln), Tanja Cissé (Verein für humanitäre Hilfe), Marie-Theres Eberle (Flüchtlingshilfe), Pepo Frick (SolidarMed) und Manuel Frick (AAA). Die 17 nachhaltigen Entwick-lungsziele können unter folgendem Link heruntergeladen werden: http://www.freieliste.li/themen/medien/

Gewinne machen wird. Das berichtete kürzlich die schweizerische Presse. Ich nehme an, dass es sich in Liechtenstein ähnlich verhält.

Dabei steigt die Zahl der psychisch Erkrank-ten kontinuierlich. Wie erlebst du das?

Der Prozentsatz der IV-Anträge wegen psychischer Krankheiten steigt. Man muss auch bei einem Antrag «mit dem Kopf unter dem Arm» kommen. Psychische Behinderung ist schwerer nachzuweisen als körperliche. Entschieden wird nach Gutachten. Wenn zwei Gutachten vorlie-gen, richtet sich die IV nach dem für den Patienten ungünstigeren. Das ist mein Eindruck. Nicht ohne Grund hat sich das schweizerische Magazin «Beobachter» mehrfach mit dem Thema befasst und nannte die Gutachter «Richter im weissen Kittel» und «Gesundschreiber».

Bei welchen Beeinträchtigungen hat man keine Chance mehr auf IV?

Bei starkem chronischen Schmerz wird die IV wahrscheinlich finden, dass eine Ar-beit zumutbar sei. Diese müsse halt zum Teil sitzend, zum Teil stehend ausgeführt werden können, ohne von einer Maschi-ne vorgegebenem Tempo und ohne dass mehr als fünf Kilo gehoben werden müs-sen. Als ob ein solcher Arbeitsplatz für einen Büezer existiert. Dass es solche Ar-beitsplätze nicht gibt, ist ja nicht der Feh-ler der IV. In meinen Augen ist ein solches Urteil zynisch.

Zurück zu Erfahrungen bei der Arbeit: «Mob-bing» ist ein relativ neuer Begriff, das Phä-nomen ist alt, aber es fühlen sich heute wohl mehr davon betroffen.

Das Problem wird besser wahrgenom-men. Es gibt Grenzbereiche: Kürzlich be-treute ich eine Person über 50, die uner-wartet gekündigt wurde. Die Begründung war, dass sich das Stellenprofil geändert habe und dass die Person diesem Profil nicht mehr entspreche. Die betroffene Person empfand die Begründung als vor-geschoben und das Vorgehen als Mobbing. Ein verändertes Stellenprofil war nicht zu erkennen. Die Fürsorgepflicht des Arbeit-gebers verlangt, Mobbing zu verhindern. Ob es sich bei diesem Fall rechtlich um Mobbing handelt, ist fraglich. Moralisch hat der Arbeitgeber die Fürsorgepflicht sicher nicht erfüllt, denn der Betrieb hat sich nicht bemüht, die Person für diese oder eine andere Stelle fit zu machen.

Du hast sicher auch positive Erfahrungen mit Firmen gemacht.

Ja. Kürzlich gab es in der Firma Sche-kolin für einen Mitarbeiter eine sehr ver-fahrene Situation. Der Betriebsleiter hat sich persönlich stark für eine Lösung ein-gesetzt.

Wurdest du auch schon von Arbeitgebern einbezogen?

Ich wurde vor allem bei Suchtproble-men am Arbeitsplatz angefragt, aber auch schon im Zusammenhang mit Kündigun-

gen. Die Personalabteilung eines Betriebs hat mich beispielsweise um Hilfe gebeten, weil sie befürchtete, ein Mitarbeiter könn-te sich nach Erhalt der Kündigung etwas antun. Natürlich ging es der Firma auch um sich selbst, sie wollte nicht für einen Suizid verantwortlich sein.

Das ist eine zwiespältige Sache. Bist du dar-auf eingegangen?

Ja. Nicht darauf einzugehen hätte die Kündigung nicht verhindert, diese stand fest. Jene, die mich um Unterstützung ge-beten haben, hatten die Kündigung nicht selbst entschieden, sondern waren nur Ausführende. Diese wollte ich auch nicht hängen lassen. Die gekündigte Person war wirklich zutiefst erschüttert und ver-letzt. Ich bin froh, dass wir die Krise lösen konnten, aber für diesen Mann war die Kündigung wohl die Katastrophe seines Lebens.

Zur Person

Walter Kranz ist Psychotherapeut mit eigener Praxis in Triesen. Eines seiner Schwerpunkte ist der Bereich «Arbeit». Der Gründer der Beratungs-stelle «Netzwerk» ist seit Mai im Vorstand des Seniorenbunds.

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16 – WEISS – Magazin der Freien Liste – 06/16 WEISS – Magazin der Freien Liste – 06/16 – 17

«Erschöpfungskrankheiten haben wegen der Über-schreitung von Arbeitszeit zugenommen.»

Text Barbara Jehle, [email protected]

Was Arbeitnehmende dem Druck entgegensetzen können

Der Druck am Arbeitsplatz nimmt zu, deshalb kommt es immer mehr zu Krankheitsfällen und Burnouts. Arbeitgeber hätten eigentlich die Fürsorgepflicht, auf die Gesundheit der Arbeit-nehmer Rücksicht zu nehmen. Eingeklagt wird dies aber nicht. Geklagt wird meist wegen Mobbing oder Kündigung – und dies meist aussichtslos.

Burnout Kliniken haben Zulauf, Psycho-logInnen berichten über zunehmenden Druck am Arbeitsplatz. Zentrale Stressfak-toren sind Angst vor Arbeitsplatzverlust, aber auch zeitliche Überbelastung. Petra Eichele vom Liechtensteinischen Arbeit-nehmerInnenverband (LANV) beobach-tet, dass die Arbeitsbedingungen härter werden: «Wir stellen fest, dass aufgrund der Sparmassnahmen Stellen nicht mehr nachbesetzt werden. Die Arbeitslast bleibt gleich und wird auf weniger Schultern verteilt.» Dies führe zu mehr Stress und Druck. «Wir stellen auch fest, dass Arbeit-

fürchtet sich am meisten vor Jobverlust und nachfolgender Arbeitslosigkeit. Laut einer Credit Suisse Studie haben 56 Pro-zent der Menschen Angst davor. Diese Angst wird von den Befragten am häufigs-ten genannt. In Liechtenstein würde eine Umfrage wohl ähnlich ausfallen.

Die Forderung nach mehr Schutz durch den Staat bei Überbelastung ist also berechtigt. Wie sich in der Praxis zeigt, wehren sich Arbeitnehmende wegen der Angst vor Jobverlust bei Überbelastung nicht. Das ist ein Teufelskreis, der zuneh-mend in Erkrankungen endet. Wenig Chancen bei KündigungDas Liechtensteiner Kündigungsrecht bietet nur schwachen Schutz. Dies ins-besondere, wenn eine Kündigung unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungs-frist erfolgt. Man steht ihr also tatsächlich relativ machtlos gegenüber. Derzeit wird auch der Kündigungsschutz für Landes-angestellte gelockert und auf beinahe pri-vatwirtschaftliches Niveau gebracht (siehe Textbox). Der Spezialist im Bereich Ar-beitsrecht, Ralph Wanger, erklärt, dass sich Arbeitnehmende dennoch hauptsächlich wegen einer Kündigung an ihn wenden. Da eine Kündigung das Arbeitsverhältnis zwingend auflöse, sei es nicht möglich, diese abzuwenden oder rückgängig zu ma-chen. Man könne also auch bei einer un-gerechtfertigten Kündigung nur Schaden-ersatz verlangen, verliere aber seine Stelle auf jeden Fall. In 90 Prozent der Streitfälle würden gekündigte Arbeitnehmer nicht Recht bekommen. «Die Leute suchen

trotzdem Beistand, weil eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses meist einschnei-dende Wirkungen hat. Sie fragen dann: «Darf der mich überhaupt ohne wichtige Gründe kündigen?», erklärt Wanger. Die Gründe sind vor allem bei einer fristlosen Kündigung wichtig. Deshalb untersucht er in diesem Fall, ob die tatsächlichen Gründe eine fristlose Kündigung wirklich rechtfertigen, oder ob die Gründe vom Ar-beitgeber nur vorgeschoben wurden, um Geld zu sparen. Bei einer ordentlichen Kündigung klärt er ab, ob sie missbräuch-lich war. Missbräuchlich ist eine Kündi-gung beispielsweise dann, wenn sie wegen einer persönlichen Eigenschaft des Arbeit-nehmers ausgesprochen wurde oder weil der Arbeitnehmer seine Meinung zu etwas geäussert hat, was den Arbeitgeber verär-gert hat. Auch in diesem Fall sei es aber schwer, die Missbräuchlichkeit nachzuwei-sen, erklärt Wanger: «Der Arbeitgeber gibt die wahren Gründe der Entlassung in der Regel aber nicht zu.»

Coachpflicht bei Mobbing Arbeitgeber sind zwar in der stärkeren Position. Gemäss Arbeitsgesetz hat der Arbeitgeber aber auch die Pflicht, die Persönlichkeit seiner Angestellten am Ar-beitsplatz zu achten und zu schützen und auf deren Gesundheit Rücksicht zu neh-men. Es kommt in Liechtenstein öfter zu Überzeitstreitigkeiten, aber weder Wanger noch dem LANV sind Fälle bekannt, in denen wegen krankmachenden Arbeitsbe-dingungen geklagt worden ist. Mobbing hingegen, ein Stressfaktor am Arbeits-platz, sei ein grosses Thema. Arbeitneh-mer suchten häufig eine Beratung, weil sie sich vom Chef oder auch Kollegen gemobbt fühlten. Im Mobbingfall einzu-schreiten, gehört auch zu den Arbeitge-berpflichten. Arbeitnehmende haben das Recht, einen Arbeitscoach zu verlangen, der bei Schikanen vermittelt, das zumin-dest ist die Theorie. «Ich habe in der Pra-xis aber noch keinen Fall gesehen, dass wenn ein Arbeitgeber das nicht gemacht hat, er dann verurteilt worden wäre oder der Arbeitnehmer eine Entschädigung be-kommen hätte», erklärt Wanger.

Der Prozessrechtler berät aber sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber, wenn sich eine Partei bei der Arbeit schikaniert fühlt. Genugtuung erhält ein Arbeitneh-

mer in einem solchen Fall nicht oft. Dass jemand in einem Rechtsstreit mit einem Mobbing-Vorwurf durchkomme, sei sehr selten.

Starke Zunahme von KrankheitenRalph Wanger beobachtet ähnlich wie Walter Kranz (siehe Interview, S. 12) eine starke Zunahme an Krankheitsfällen am Arbeitsplatz. Das habe wohl mit Angst vor Jobverlust oder dem tatsächlichen Jobver-lust zu tun, die für weniger gut Qualifizier-te durchaus berechtigt sei.

Beispielsweise stehen nicht sehr gut ausgebildete Arbeitnehmer im Treuhand-sektor laut Wanger unter Druck: Sie kön-nen sich nicht erlauben zu kündigen, an der gleichen Stelle weiterarbeiten, führe früher oder später manchmal auch zu Problemen. Irgendwann komme dann eine Kündigung. «Der Trend ist feststell-bar, dass viele Arbeitnehmer in der Kün-digungszeit krank werden, ich sage das wertneutral», so Wanger. «Vor allem gibt es psychische Probleme: Der Arbeitgeber kennt dann die Gründe nicht. Er ahnt nur, dass diese für die Krankschreibung verantwortlich sind, wenn ein Psychiater das Arztzeugnis ausstellt.» Während der Zeit bekomme ein Arbeitnehmer Kran-kentaggeld und müsse noch keine Arbeits-losenleistung beziehen. Ralph Wanger erklärt sich die Zunahme von psychischen Erkrankungen damit, dass es in der heu-tigen Gesellschaft den Menschen leichter fällt, über solche Erkrankungen zu spre-chen und einen Arzt aufzusuchen. Es gäbe aber wohl auch Fälle, in denen Arbeitneh-mer, die meist in der schwächeren Positi-on seien, aus Angst oder Frust die Kündi-gungszeit hinausschieben wollten.

Dem Juristen fällt immer wieder auf, dass besonders Büroangestellte von län-gerer Krankheit am Arbeitsplatz betroffen sind, obwohl im Gewerbe genauso grosser Druck herrsche. Die Interaktion am Ar-beitsplatz sei im Büro wohl grösser als bei-spielsweise auf Montage: Man ärgere sich mal über den Chef oder Arbeitskollegen, es entstünden vielleicht deshalb mehr Pro-bleme», schliesst Wanger ab.

nehmende aus Angst um ihren Arbeits-platz nicht wollen, dass wir etwas unter-nehmen», sagt Eichele.

Der Liechtensteiner Psychiater Marc Risch, der in Gaflei eine Burnout Klinik baut, stellt fest, dass Erschöpfungskrank-heiten zugenommen haben. Auch er sieht eine Ursache in der Überschreitung der Arbeitszeit aus Angst vor Jobverlust, wie er in einem Interview mit dem «Volksblatt» sagt. Der Staat könnte etwas tun: «Hier kann der Staat gerade die Schwächeren in der Gesellschaft besser schützen.» Die Mehrheit der Menschen in der Schweiz

Arbeitgeberpflicht

Schwächung des Schutzes von Staatsangestellten

Das Abändern der Kündigungsre-gelungen für das Staatspersonal scheint den Regierungsparteien sehr wichtig zu sein. Die Regierung war für einmal mit der Beantwortung einer Motion für den Mai Landtag sehr schnell. Und sie hatten zum Bedauern der Freien Liste Erfolg. Staatsangestellte müssen politische Entscheide umsetzen und Gesetze vollziehen. Sie stehen damit häufig jemandem auf die Füsse und brau-chen deshalb besonderen Schutz. Die Freie Liste hat Zweifel daran, dass das vorgeschlagene Gesetz tatsächlich Schutz vor Willkür bietet. Dabei geht es auch um den Schutz des Staates vor Korruption. Nicht nur die menschliche Komponente der Lockerung des Kündigungsschutzes ist im Fokus. Dem Staat kann durch Korruption Schaden entstehen. Die bisherige Regelung wurde den Anforderungen gerecht. Das bestä-tigt auch die Staatengruppe gegen Korruption (GRECO).

In Zukunft sollen nicht nur die we-sentlichen, sondern darüber hinaus auch unwesentliche Kündigungs-gründe ausreichen, einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin der Landes-verwaltung zu entlassen. Mit der Verwendung einer Generalklausel soll klargestellt werden, dass jeder sachlich hinreichende Grund zu einer Kündigung führen kann. Die wesent-lichen Kündigungsgründe werden zwar weiterhin im Gesetz genannt, jedoch soll es sich nicht mehr um einen abschliessenden, sondern um einen beispielhaft zu verstehenden Katalog von Kündigungsgründen han-deln. Auch soll es keinem schriftli-chen Verweis mehr bedürfen. An die Stelle eines schriftlichen Verweises soll eine Beanstandung im Rahmen des sogenannten Leistungsdialoges treten. (bj)

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18 – WEISS – Magazin der Freien Liste – 06/16 WEISS – Magazin der Freien Liste – 06/16 – 19

Text Georg Kaufmann, [email protected]

«Sie verdienen Wertschätzung»

Arbeitnehmende über 50

Berufserfahrung zählt in gewissen Branchen nicht mehr als grosses Plus. Die Folge sind Frühpensionierungen oder Langzeitarbeitslo-sigkeit. Es braucht eine neue Personalpolitik.

«Jungen fehlt die Erfahrung und die Er-fahrenen sind zu alt», das sind bittere Er-kenntnisse aus der Arbeitswelt. Während junge Arbeitnehmer zu der Gruppe gehö-ren, die am häufigsten arbeitslos ist, gehö-ren ältere Arbeitnehmer zur Gruppe der «schwer Vermittelbaren». Das hat für sie oft Konsequenzen für ihre Altersvorsorge. Aber nicht nur Kündigungen bei älteren Arbeitnehmenden sind ein Problem. Der LANV berichtet, dass gerade in der Fi-nanzdienstleistungsbranche ältere Ange-stellte häufig für «Ausmusterungszwecke» zu Personalgesprächen gebeten werden. «Im Gespräch werden sie gedrängt, in die Frühpensionierung zu gehen, obwohl sie noch weiterarbeiten wollen», erklärt Petra Eichele. Sie hätten daraus zwar keine gros-sen finanziellen Einbussen, diese würden aufgefangen, aber diese Menschen woll-ten eigentlich weiterarbeiten. «Durch die Abschiebung von leistungsfähigen Älteren aus dem Arbeitsleben wird wertvolles Er-fahrungswissen entwertet», sagt die Ge-werkschaftssekretärin. Im Bauhaupt- und Nebengewerbe sei es so, dass sich die äl-teren Arbeitnehmenden in die Frühpen-sionierung retten, da sie körperlich nicht mehr in der Lage seien, weiter zu arbeiten. «Wir kennen auch Fälle, in denen die Ar-beitnehmenden von den Vorgesetzten in die Frühpensionierung gedrängt werden. Eines unserer Mitglieder hat während 30

älteren Arbeitnehmenden in die IV oder Frühpensionierung dränge.

«Wir fordern einen flexiblen Alters-rücktritt und vermehrte Teilzeitstellen auch für ältere Arbeitnehmende.»

Jahren im Betrieb gearbeitet und musste dann in die Frühpensionierung. Dies hat ihm psychisch sehr zu schaffen gemacht.» Gemäss LANV müsse in den Unterneh-men eine neue Personalpolitik Einzug hal-ten. «Unternehmen können künftig nur dann leistungs- und wettbewerbsfähig blei-ben, wenn sie stärker auf die Bedürfnisse der Älteren eingehen.» Ziel sei der Erhalt der Arbeitsfähigkeit und der Arbeitsbe-reitschaft, damit möglichst alle bis zum Erreichen des regulären Pensionsalters arbeiten können. Dies wiederum bedinge eine altersgerechte Arbeitswelt. Die Orga-nisation der Arbeit und die Gestaltung der Arbeitsplätze müssten an die Bedürfnisse der Älteren angepasst werden. Das be-triebliche Gesundheitsmanagement müsse zudem weiter ausgebaut werden. Ältere Arbeitnehmende müssten vollständig in die betriebliche Qualifizierung und Wei-terbildung einbezogen werden. Petra Ei-chele spricht sich dafür aus, dass die Ent-scheidung beim Arbeitnehmenden bleibt, wann er/sie in Pension geht. «Ältere Ar-beitnehmende sollten die Freiheit haben, möglichst lange im Erwerbsleben zu ver-bleiben, weil wir sie mehr denn je brau-chen und weil sie diese Wertschätzung verdienen.» Für die Gewerkschaftssekre-tärin ist es nicht nachvollziehbar, dass die Arbeitgeberseite über Fachkräftemangel jammert», auf der anderen Seite aber die

Postulat Arbeitnehmende über 50

Die Landtagsfraktion der Freien Liste will die Situation von Arbeit-nehmenden über 50 Jahren prüfen lassen. Sie stellt der Regierung auch Fragen nach den Konsequenzen einer längeren Arbeitslosigkeit für Ältere. Beispielsweise müssen diese Einbussen bei der Rentenhöhe hin-nehmen oder teilweise ihr jahrelang angespartes eigenes Vorsorgekapital aufzehren. Die Freie Liste möchte anregen, dass verschiedene Akteure, also Stiftungen genauso wie der LANV, der AMS und Arbeitgeberver-bände, gemeinsam Lösungen suchen. Das Postulat ist für den Juni-Landtag traktandiert.

Text Thomas Lageder, [email protected]

Die VU im Fokus

Regierungschef-Kandidat Thomas Zwiefel-hofer hat anlässlich der Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt seine positiven Gefühle zum Ausdruck gebracht:

«Gefreut habe ich mich persönlich über das Wiedererstarken der liberalen FDP.» So war es im Vaterland am 14. März 2016 zu lesen. Die FDP in Deutschland steht seit Jahr und Tag für die grossen Un-ternehmer, das Kapital ein und hat quasi als einzige Handlungsmaxime Steuersen-kungen für Unternehmen und Reiche in ihrem Wahlprogramm fixiert.

VU vor den Wahlen für stärkere Unterneh-mensbesteuerung?Das passt zum Ansinnen der VU, das Steu-ergesetz nochmals vertieft anzuschauen. Interessant ist dabei, dass die VU nun quasi die von der Freien Liste seit Jahren proklamierte Position einnimmt, dass z.B. die Entkoppelung des EK-Zinsabzugs und des Sollertrags erneut angeschaut werden soll. Nicht nur würden dann endlich Un-ternehmen wie die LKW mehr Steuern als die Mindestertragssteuer bezahlen, wie dies die Freie Liste seit Jahren anmahnt und schon 2013 mit einem Gesetzes-Ände-rungsantrag in den Landtag eingebracht hat, sondern es könnte im gleichen Auf-wisch auch endlich die unbefriedigende Situation in Bezug auf die Versteuerung von Mieteinkünften fair gelöst werden. Kein Landtagsabgeordneter der VU und der DU hatte damals die Absicht, diese Änderung zu vollziehen. Nur ein FBPler stimmte zu.

Eine Vermögenssteuersenkung für ReicheEs bleibt zu hoffen, dass sich die liberale Gesinnung der deutschen FDP nicht durch-setzt. Die VU hegt nämlich die Absicht, die Vermögenssteuer für Reiche ebenfalls zu senken, wie dies Parteipräsident Günther Fritz und Fraktionssprecher Christoph Wenaweser schon mehrmals zum Ausdruck

sehr vorteilhafte Steuergesetz muss drin-gend überarbeitet werden. Jedoch gilt es gerade nicht, die Vermögenden zu entlas-ten, sondern den Mittelstand. Inzwischen hat auch die VU erkannt, dass in dieser Sache gehandelt werden muss. Die her-anrückenden Landtagswahlen wirken an-scheinend Wunder. Wichtig wird sein, dass das Steuergesetz in die richtige Richtung verändert wird. Nicht zum abermaligen Vorteil der Reichen, sondern für den nor-malen Bürger.

Mindestertragssteuer erneut im LandtagIm Juni-Landtag werden die Abgeordne-ten erneute die Chance haben, die Min-destertragssteuer endlich auf ein vernünf-tiges Niveau anzuheben. Seit dem neuen Steuergesetz 2011 sind weit mehr als 100 Mio. Franken verschenkt worden. Es bleibt aber abzuwarten, ob sich die VU und die beiden anderen Parteien weiter an der Ma-xime der FDP in Deutschland orientieren und die Reichen weiterhin schonen wer-den. Der Widerstand wird wohl gross und die Eigeninteressen bei mach einem Abge-ordneten zentral sein.

gebracht haben. Der Sollertrag von 4 Pro-zent, die Vermögenssteuer, wurde als «kalte Enteignung» betitelt. Es fragt sich für wen. Würde die Vermögenssteuer, die schon im neuen Steuergesetz im Jahr 2011 von 5 Prozent auf 4 Prozent gesenkt wurde, um ein weiteres Prozent auf 3 Prozent gesenkt, würden die natürlichen Personen um zu-sätzliche ca. 30 Mio. Franken entlastet. Dies würde aber sehr ungleich auf die Bevölke-rung verteilt. So würden alle Personen, die weniger als das Durchschnittsvermögen der liechtensteinischen Bevölkerung von rund 83‘000 Franken besitzen, um gesamt-haft nur gerade 100‘000 Franken entlastet, die andere Hälfte der Bevölkerung aber um sagenhafte 29.9 Mio. Franken. Logisch, denn von einer Senkung der Vermögens-steuer profitieren die Vermögenden. Wer die fehlenden 30 Mio. in der Staatskasse dann ausgleichen müsste, lässt sich nur ver-muten. Es würden wohl nicht die Reichen sein, die mit einer solchen Aktion belastet würden, sondern erneut der Mittelstand, sprich die einfachen Leute.

Das neo-liberale, reichenfreundliche und für hoch kapitalisierte Unternehmen

Aufgefallen

«Die VU hegt die Absicht, die Vermögenssteuer für Reiche zu senken.»

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20 – WEISS – Magazin der Freien Liste – 06/16

Von der Kopfsteuer zu sozial verträglichen Erwerbsprämien

Bei erwerbsabhängigen Krankenkassen-prämien geht es einzig um die Umgestal-tung der Prämien. Anders als von einigen Kritikern behauptet, wird dadurch die Krankenkassenrevision nicht tangiert. Jede und jeder soll prozentual gleich viel für seine Prämien zahlen, nach Rechnung der Freien Liste macht dies 4 Prozent des Erwerbs aus (Steuererklärung Seite 3, Position 21). Die Grundprämie pro Kopf und Jahr lag im Referenzjahr 2014 bei 3552 Franken. Bisher waren diese Prämien «Kopfsteuern», neu wären sie einer linea-ren Bemessungsgrundlage unterworfen.

Wer keinen Erwerb hat, wie Frauen, die sich Vollzeit um die Erziehung ihrer Kinder kümmern oder auch Auszubilden-de ohne Einkommen zahlen nach diesem Vorschlag nichts. Auch Rentnerinnen und Rentner, zumindest die grosse Mehrheit unter ihnen, kommen durch die an die Leistungsfähigkeit angepassten Prämien besser weg.

Arbeitgeberbeteiligung bleibtDer Arbeitgeber beteiligt sich unverän-dert mit der Hälfte der Kosten der aktuel-len Grundprämie. Hintergrund für dieser Initiative sind die Sparmassnahmen der Regierung, die Kürzung des Staatsbeitrags für die Krankenkasse und weitere Rotstift-Aktionen, die besonders den Mittelstand und Rentnerinnen und Rentner treffen. Diese können mehrheitlich nicht von den Unterstützungsleistungen des Staates wie Prämienverbilligungen profitieren. Die Umstellung wäre kein Experiment, denn der Staat hat schon Erfahrung mit einem erwerbsabhängigen System. Er könnte sich zudem die Ausgabe der Prämienver-billigung, die immerhin 4.4 Mio. Franken ausmacht, einsparen. Anstatt dem Staat tragen Menschen mit hohem Erwerb mehr bei.

Ausschliesslich eine VerteilungsfrageDie Initiative soll lediglich eine solida-rischere Verteilung der anwachsenden Krankenkassen-Prämien bewirken. Gefal-len ist auch das Argument, dass Sparan-reize im Keim erstickt würden, wenn die Prämien erwerbsabhängig ausgestaltet werden. Menschen mit tieferen Einkom-men würden dann häufiger zum Arzt gehen, lautet die Annahme. Wenn dies zutreffen würde, wäre es heute schon so, dass Menschen mit Prämienverbilligungen mehr Gesundheitskosten verursachen. Auch Reiche würden in diesem Fall wohl häufiger zum Arzt gehen, da für sie der Selbstbehalt kaum ein Grund ist, keinen medizinischen Rat einzuholen.

Die wichtigste Frage bei der Entschei-dung für oder gegen erwerbsabhängige Prämien ist, ob die Bereitschaft da ist, auf ein System umzustellen, das auf die Ein-kommens- und die Vermögensverteilung Bezug nimmt. Ein System, das wenigstens dazu beitragen kann, die aus Sicht der Freien Liste verfehlten Entwicklungen ver-gangener Jahre abzumildern.

Text Pepo Frick, [email protected]

Verteilungsgerechtigkeit

Unterschriftensammlung

Die Unterschriftensammlung für die einfache Initiative läuft noch bis 1. Juli 2016. Ein Unterschriftenbogen befindet sich in der Mitte des Hefts.

Bitte ausgefüllte Bogen bis zum 24. Juni in der Geschäftsstelle abgeben:Freie Liste Landstrasse 1409494 Schaan

Herzlichen Dank!