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FREIE NETZE. FREIES WISSEN. FREIE NETZE. FREIES WISSEN. HERAUSGEBER: Dobusch Leonhard / Forsterleitner Christian „Die Bewegung für Freie Software ist eine Bewegung für Menschenrechte und für soziale Veränderung.“ (Richard Stallman) „Es gibt keine Kunst, die nicht wiederverwendet.“ (Lawrence Lessig) ISBN 3-901761-64-0 Freie Netze. Noch nie war es einfacher, Menschen und ihr Wissen in Form von Texten, Bildern oder Tönen zusammen- zubringen und zu vernetzen. Freie Netze sind der Versuch, dieses Potential von Internet und PC auszuschöpfen und möglichst alle Menschen daran teilhaben zu lassen. Freies Wissen. Der Zugang zu digitalen Netzen bedeutet noch nicht den Zugang zu Inhalten. Ein freier Zugang zu Wissen ist aber die Basis für Innovation und Emanzipation. Den neuen Möglichkeiten für freien Zugang zu Wissen stehen neue und alte, soziale und rechtliche Barrieren gegenüber. Von siebzehn Autorinnen und Autoren werden die verschie- denen Anwendungsbereiche von Freien Netzen und Freiem Wissen dargestellt. In jedem der neun Kapitel kommen in Interviews Menschen wie Lawrence Lessig oder Richard Stallman zu Wort, die mit dem Thema als ExpertInnen, PionierInnen oder unmittelbar Betroffene zu tun hatten oder haben. Am Ende jedes Kapitels finden sich konkrete Projektvorschläge zur Umsetzung auf lokaler Ebene als Beitrag für das Linzer Kulturhauptstadtjahr 2009.

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FREIE NETZE.FREIES WISSEN.

FREIE NETZE. FREIES WISSEN.

HERAUSGEBER: Dobusch Leonhard / Forsterleitner Christian

„Die Bewegung für Freie Software ist eine Bewegung für Menschenrechteund für soziale Veränderung.“(Richard Stallman)

„Es gibt keine Kunst, die nicht wiederverwendet.“(Lawrence Lessig)

ISBN 3-901761-64-0

Freie Netze. Noch nie war es einfacher, Menschen und ihrWissen in Form von Texten, Bildern oder Tönen zusammen-zubringen und zu vernetzen. Freie Netze sind der Versuch,dieses Potential von Internet und PC auszuschöpfen undmöglichst alle Menschen daran teilhaben zu lassen.

Freies Wissen. Der Zugang zu digitalen Netzen bedeutetnoch nicht den Zugang zu Inhalten. Ein freier Zugang zuWissen ist aber die Basis für Innovation und Emanzipation.Den neuen Möglichkeiten für freien Zugang zu Wissenstehen neue und alte, soziale und rechtliche Barrierengegenüber.

Von siebzehn Autorinnen und Autoren werden die verschie-denen Anwendungsbereiche von Freien Netzen und FreiemWissen dargestellt. In jedem der neun Kapitel kommen inInterviews Menschen wie Lawrence Lessig oder RichardStallman zu Wort, die mit dem Thema als ExpertInnen,PionierInnen oder unmittelbar Betroffene zu tun hattenoder haben. Am Ende jedes Kapitels finden sich konkreteProjektvorschläge zur Umsetzung auf lokaler Ebene alsBeitrag für das Linzer Kulturhauptstadtjahr 2009.

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Im Volltext ist die Lizenz unter http://creativecommons.org/licences/by-sa/2.0/at/legalcode im Internet abrufbar.

IMPRESSUM:2007 Wien Echo media verlag ges.m.b.h.,

ISBN 3-901761-64-0

Herausgeber: Leonhard Dobusch, Christian Forsterleitner© für die einzelnen Beiträge bei den Autorinnen und Autoren© für das Gesamtwerk bei den HerausgebernDas Werk steht elektronisch im Internet zur Verfügung:www.freienetze.at

Grafische Gestaltung und Satz: Gerhard Schmadlbauer

Druck: Gutenberg Linz

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FREIE NETZE.FREIES WISSEN.Ein Beitrag zum Kulturhauptstadtjahr Linz 2009

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INHALTSVERZEICHNIS00 Intro Seite 006

Vorwort Martin Heller – Intendant der Kulturhauptstadt Linz 2009 Seite 006Vorwort der Herausgeber Seite 008

01 Freiheit liegt in der Luft: Freie Funknetze und ihr Beitrag zur Bekämpfung der „Digitalen Spaltung“– Manu Hiesmair und Leonhard Dobusch Seite 012Interview mit Aaron Kaplan (Funkfeuer.at) Seite 026Projekte Seite 034

02 Kreativität in Fesseln: Wie Urheberrecht Kreativität behindertund doch mit seinen eigenen Waffen geschlagen werden kann– Markus Eidenberger und Andreas Ortner Seite 040Interview mit Lawrence Lessig (Stanford/Creative Commons) Seite 056Interview mit Hubert Hummer (Wissensturm) Seite 060Projekte Seite 066

03 Offene Lehre ist freie Lehre ist gute Lehre:Viele Universitäten publizieren Lehrunterlagen als „Open Courseware“.Schulen und andere Bildungseinrichtungen könnten folgen.– Rebecca Kampl und Barbara Hofmann Seite 072Interview mit Anne Margulies (MIT Open Courseware) Seite 084Interview mit Thomas Pfeffer (Universität Klagenfurt) Seite 090Projekte Seite098

04 Freie Software für freie Bürger/innen: Kommunale Chancen und Aufgaben bei der Verwendung von Freier und Open Source Software.– Leonhard Dobusch und Jakob Huber Seite 104Interview mit Richard Stallman (Free Software Foundation) Seite 122Interview mit Anne Østergaard (GNOME-Projekt) Seite 128Projekte Seite 136

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05 Zurück in die Zukunft des Internets: Blogs und Wikis bringendas Internet näher an seinen Ursprung.– Laura Kepplinger und Josef Zehetner Seite 142Interview mit Christoph Schultheis (BILDblog.de) Seite 160Interview mit Kurt Janssen (Wikimedia Deutschland) Seite 164Projekte Seite 172

06 Ars Electronica Activa – Die Kunst digitalen Lebens:Potentiale des erweiterten Ars Electronica Centers für die„Digital Community“ – Miriam Köck und Stefan Augustyn Seite 178Interview mit Gerfried Stocker (Ars Electronica Center) Seite 190Interview mit Herbert W. Franke (Autor) Seite 198Projekte Seite 202

07 Freiheit der Kunst durch freie Werke? Kunst und Kultur im Zeitalterdigitaler Remixes. – Thomas Gegenhuber und Stefan Bräu Seite 208Interview mit Johannes Grenzfurthner (Monochrom) Seite 224Interview mit Udo Raaf (Tonspion) Seite 232Projekte Seite 238

08 Digitale Freiheit für Forschung und Forscher/innen:Open Access macht wissenschaftliche Publikationen frei verfügbar.Und Wissenschaft besser. – Michaela Mader und Bettina Langeder Seite 244Interview mit Gerhard Fröhlich (Universität Linz) Seite 260Interview mit Melissa Hagemann (Open Society Institute) Seite 266Projekte Seite 272

09 Die Voraussetzungen der Freiheit: Die Bewegung für freiesWissen und ihre Bedeutung für die Stadt.– Christian Forsterleitner und Stefan Pawel Seite 276Interview mit Volker Grassmuck (Humboldt Universität Berlin) Seite 298Projekt Seite 308

Autorinnen und Autoren Seite 318Statt eines Glossars: Digitale Freiheit von A bis Z Seite 320Anmerkungen Seite 330

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Linz liegt in der LuftWarum habe ich den Herausgebern dieses Buchs angeboten, ein Vorwort zu schreiben?

An meiner Faszination für Medientechnologie kann es nicht liegen – sie hält sich inüberschaubaren Grenzen. Also haben die Gründe mit dem Umstand zu tun, dass Linz sich2009 als Kulturhauptstadt zeigen darf und bewähren muss. Seit über einem Jahr lebe ichmit und teilweise in dieser Stadt. Ich weiß, wie sehr sie darum bemüht ist, den Wohlstand,den sich diese Region hart erkämpfen musste, möglichst vielen zukommen zu lassen. Sozialund dynamisch zugleich will sie sein, die erfolgreiche Arbeiter/innen- und Industriestadt,der Gerechtigkeit und dem Fortschritt verpflichtet, ein „Labor der Zukunft“. Eingelöstwurde dieser Anspruch in den letzten dreißig Jahren in mehrfacher Hinsicht. Nicht nurin Wirtschaft und Politik, sondern auch in Bildung und Kultur. Die visionäre Kraft, welchedie Ars Electronica und die damit verbundenen Innovationen Wirklichkeit werden ließ,hat ebenso dazu beigetragen, wie der spielerische Anarchismus eines Teils der freien Szene

VorwortKulturhauptstadtintendant

Martin HellerIntendant der Kulturhauptstadt Linz 2009

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Foto: Heller Enterprises, Credits: Marc Wetli Zürich, September 2003

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oder jene pragmatische Utopie einer „Kultur für alle“, die aus dem Linzer Alltag kaummehr wegzudenken ist. Indessen: So richtig zusammenfinden wollten diese einzelnenHandlungsfelder und Aktionsprogramme nicht. Auch haben sie teils mehr, teils wenigerPatina angesetzt. Das Ganze, das zwingend mehr sein muss als die Summe seiner Teile,wurde nie zu einer wirklich aufregenden, alles beflügelnden kulturellen Schubkraft, an derdie Stadt hätte nachhaltig wachsen können.

Zugleich ist das um Modernität bemühte Linz längst in der Postmoderne angelangt. Injener Zeit also, die uns angesichts schwankender Gewissheiten vor die Aufgabe stellt, ausunzähligen Möglichkeiten die richtige Wahl zu treffen und alle Ansprüche immer wiedervon neuem zu prüfen, zu modellieren, zu verknüpfen. Um jede Selbstgerechtigkeit ebensozu vermeiden wie Beliebigkeit, und stattdessen die eigenen Ressourcen profiliert einzubringenin einem härter gewordenen Wettbewerb nicht nur der Städte, sondern auch der Haltungenund Mentalitäten. Dieser Aufgabe hat sich das Kulturhauptstadt-Projekt zu stellen, wennes seinem Auftrag und seinen eigenen Ambitionen gerecht werden will. Für 2009, und darüberhinaus – denn was hier angestoßen wird, muss weitergehen können. Dafür sind Bündnispartnergesucht. Partner, wie jene jüngere bis junge Generation, die sich mit „Freie Netze. Freies Wissen“zu Wort meldet. Getragen von einer medialen und medienpolitischen Sozialisation, die sievon ihren Müttern und Vätern unterscheidet, und getrieben von der Lust, sich einzumischen.Nicht irgendwo, theoretisch und abstrakt, sondern konkret, auf der lokalen Ebene, in einerKommune und Stadt, die ein Modell für so vieles sein könnte, das überregional undinternational in der Luft liegt. Vorausgesetzt, sie erobert sich jenen Mut zum Experimentund zum Risiko zurück, ohne den kein Aufbruch zu haben ist.

Bezeichnenderweise gehören die Themen, die im folgenden unter der Prämisse techno-logisch und gesellschaftlich relevanter Entwicklungen diskutiert werden, zum Standardre-pertoire jeder Auseinandersetzung um ein unfassbarer, mitunter gar fragwürdiger gewordenesGemeinwohl: demokratisch offene Strukturen als Voraussetzung zu sozialem Lernen undEntscheiden; technologische Kompetenz als Ermöglichung wirksamer Zeitgenossenschaft;Content als ständiger Stachel der Informations- und Mediengesellschaft.

Wer sich heute auf solche Fragen und die damit verbundenen Projektideen einlässt, suchtnach neuen Fundierungen für alte Ideale. In einer weiten Perspektive, die Hoffnungenweckt und Bewegung fordert: von allen Kräften, die in Linz und in Oberösterreich tätigsind, und die sich in eine Allianz der nächsten Schritte einbringen müssen - damit dieStadt ihren eigenen Potenzen gerecht werden kann.

FREIE NETZEFREIES WISSEN

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Das Phänomen Freie bzw. Open Source Software hat in den letzten Jahren wichtigegesellschaftliche Veränderungen bewirkt. In den verschiedensten Bereichen bildeten sichsoziale Bewegungen für die Nutzung neuer digitaler Produktions- und Verbreitungs-möglichkeiten bzw. der dazugehörigen Freiheiten. Im Bereich Wissen und Bildung sinddas beispielsweise Initiativen für freien Zugang zu wissenschaftlichem (Open Access) unddidaktischem (Open Courseware) Wissen. Im Bereich von Kunst und Kultur ist das zumBeispiel der Versuch, Werke über Creative Commons-Lizenzen anderen KünstlerInnenzur Weiterverwendung zugänglich zu machen. Quer über alle Bereiche wirken immer mehrMenschen mittels „sozialer Software“ zusammen, erstellen gemeinsam Güter wie die freieOnline-Enzyklopädie Wikipedia oder beteiligen sich über Weblogs an zivilgesellschaftlichemDiskurs.

Leonhard DobuschHerausgeber

Christian ForsterleitnerHerausgeber

VorwortHerausgeber

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Auf nationaler und supranationaler Ebene ist die Förderung oder Behinderung diesersozialen Bewegungen schon seit langem Gegenstand von (politischen) Auseinandersetzungen1.Erstaunlicherweise finden gerade bedeutende lokale Initiativen und Projekte kaum Beachtungund begegnen weitgehend kommunalpolitischer Ignoranz. Das ist deshalb verwunderlich,weil viele dieser Phänomene stark lokal verankert sind. Beispiele dafür sind etwa Weblog-Journalismus oder diverse standortbezogene Verknüpfungen verschiedener Anwendungen(sogenannte „Mashups“) ebenso wie digitale Kulturinitiativen. Nirgendwo sonst gilt derSpruch „Global denken, lokal handeln“ mehr, als wenn es um die Potentiale von und Ge-fahren für die neuen digitalen Freiheiten geht. Hinzu kommt, dass die Grundvoraussetzungall dieser Phänomene auf dem möglichst freien und gleichberechtigten Zugang zum Internetaufbaut – einer im Wesentlichen kommunalen Herausforderung.

Als Heimatstadt des Prix Ars Electronica, dem weltweit führenden Preis für digitale(Medien-) Kunst, liegt es nahe, in Linz besonderes Engagement im Bereich digitalerFreiheiten zu erwarten. Aber auch wenn beim Prix in der Kategorie „Digital Communities“sowohl die Wikipedia als auch die Free Software Foundation zu den Preisträgern gehörthaben, ist die Stadt Linz im Bereich „Open Sources“ bislang noch weitgehend Entwicklungs-gebiet. Da trifft es sich, dass Linz im Jahr 2009 Europäische Kulturhauptstadt sein wird,und dementsprechend zahlreiche Anlässe und Möglichkeiten bestehen, eben diese Entwickl-ungen voranzutreiben.

Freie Open Source Netze

Dieses Buch versucht, die auf freien Netzen basierenden und in freien Netzen agierendensozialen Bewegungen rund um „Open Sources“ in ihren zahlreichen Facetten zum (kom-munalen) Thema zu machen. Die Darstellung der teilweise sehr abstrakten Themen anHand eines konkret-kommunalen Beispiels soll sie dabei auch technischen Laien zugänglichmachen und dabei helfen, die europäische Kulturhauptstadt Linz zu einem kommunalen

„Role Model“ digitaler Freiheiten zu machen.

Der Band gliedert sich in neun thematisch abgeschlossene Kapitel, die sich jeweils einemspezifischen Bereich des Spektrums von „Open Sources“ im weiteren Sinne widmen undfür diesen konkret-kommunale Bezugspunkte liefern. Jedes Kapitel umfasst dabei neben

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dem Haupttext noch Interviews mit Menschen, die mit dem Thema als ExpertInnen,PionierInnen oder unmittelbar Betroffene zu tun hatten oder haben. Die Bandbreite derInterviewpartner/innen reicht von den Vordenkern freien Wissens Richard Stallman (FreeSoftware Foundation) und Lawrence Lessig (Creative Commons) über die Leiterin desOpen Courseware-Programms des Massachusetts Institute of Technology (MIT), AnneMargulies, bis hin zu Linzern, wie dem Geschäftsführer des Ars Electronica Centers, GerfriedStocker.

Am Ende jedes Kapitels finden sich schließlich Vorschläge für Projekte - insgesamt sindes 24 -, die die zuvor in den Texten und Interviews entwickelten Themen und Ideen aufdie konkrete Situation in Linz herunterbrechen. Das Kulturhauptstadtjahr 2009 geht dabeizumindest als End- oder Startpunkt, teilweise aber auch weit drüber hinaus in dieProjektplanung ein.

Alle Beiträge wurden von jeweils zwei AutorInnen gemeinsam recherchiert und verfasst,denen vor allem das Interesse an der Thematik gemein ist. Dieses speist sich aber zum Teilaus unterschiedlichen Quellen: Während bei einigen die Arbeit und Erfahrung in digitalenCommunities Grund für das Interesse an den Freien Netzen ist, sehen andere vor allemdie (kommunal-)politischen Entwicklungspotentiale.

Dem Thema des Buches entsprechend haben sich auch sämtliche AutorInnen bereiterklärt, ihre Beiträge unter der Creative Commons Lizenz „Namensnennung - Weitergabeunter gleichen Bedingungen 2.0 Österreich“ zur Verfügung zu stellen. Damit ist einerseitsdas Recht verbunden, sämtliche Texte dieses Bandes gegen Nennung der AutorInnen völligfrei (weiter-)zuverbreiten und zu nutzen. Andererseits dürfen die Inhalte auch weiterverarbeitetund abgeändert werden, solange diese Änderungen nur ebenfalls frei verfügbar sind. Zudiesem Zweck ist das Buch auch online im Volltext unter www.freienetze.at verfügbar.

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LINZ.STADT DER

FREIEN NETZE

LINZ.STADT DER

FREIEN NETZE

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„Freie Netze sind die logische Fortsetzung der Ideen,

auf denen das Internet ursprünglich aufgebaut war.“

(Armin Medosch, Verfasser des Buches „Freie Netze“)

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Manu Hiesmair und Leonhard Dobusch

FREIHEIT LIEGTIN DER LUFTFREIHEIT LIEGTIN DER LUFT

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Freie Funknetze und ihr Beitrag zur Bekämpfung der „DigitalenSpaltung“

Technologien haben schon immer wesentlich zur Veränderung unserer Gesellschaftbeigetragen und sie mitbestimmt. Technologien wie Schrift, Papier und schließlich Buchdruckmit beweglichen Lettern hatten als Meta-Technologien aber besonders großen Einfluss:Egal ob technische oder soziale Innovationen, mit Hilfe dieser Technologien der Wissens-sicherung und der Wissensweitergabe fanden sie immer umfassendere und immer schnellereVerbreitung.

Als Meta-Technologien in diesem Sinne schufen der Personal Computer (PC) und dasInternet völlig neue Möglichkeiten Wissen zu generieren, Informationen einzuholen undmit anderen Menschen zu kommunizieren. Sie veränderten und verändern unsere Lebens-und Arbeitsweise so tiefgreifend, dass manche ExpertInnen mit der Entwicklung des PCsund des Internets die dritte industrielle Revolution eingeläutet sehen, und viele dabeiWissen als eigentlichen Rohstoff dieser (post)industriellen Entwicklungsstufe zu erkennenglauben. Im 21. Jahrhundert ist die Fähigkeit, Informationen zu suchen, zu finden, zuverarbeiten und sich darüber auszutauschen immer essenzieller dafür, Teil einer immerkomplexer werdenden Gesellschaft zu sein. Das Internet ist dabei das Medium, das vieledieser Dinge schnell und einfach möglich macht.

„Ich bin drin’!“ Mit diesen Worten warb denn auch vor einigen Jahren ein amerikanischerOnlinedienst für den schnellen und unkomplizierten Einstieg ins World Wide Web. Diesedrei Wörter mutierten zum modernen „Sesam öffne dich“ einer virtuellen Schatzkammer,die all jenen, die Zugang dazu haben, unzählige Möglichkeiten eröffnet, ihre Lebensbeding-ungen positiv zu beeinflussen: E-Government erlaubt es den BürgerInnen via Internet mitBehörden zu kommunizieren2 und zahlreiche größere und kleinere Amtswege online zuabsolvieren. Online-Jobbörsen bieten die Möglichkeit österreichweit Jobs zu suchen undBewerber/innen sich selbst in Online-Jobprofilen Unternehmen vorzustellen. Diskussionsforen,Chats und Internettelefonie sind moderne Möglichkeiten miteinander in Kontakt zu treten,die persönliche Begegnungen zwar obsolet machen, immer öfter aber Vorbedingung fürsie werden. Die Kombination aus Multimedia-Maschine PC mit dem Internet ermöglichtEinzelnen ein weltweit verstreutes Publikum anzusprechen und etablierten Medien eigeneSichtweisen und Meinungen entgegenzustellen oder sich an Diskussionen und der kollektivenErstellung digitaler Güter zu beteiligen. All dies funktioniert jedoch nur, wenn man einenInternetzugang zur Verfügung hat. „Ich bin drin’!“ gilt somit immer mehr in doppelter

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Hinsicht: Nur wer im Internet „drin“ ist, hat auch soziale Teilhabe an einer modernenGesellschaft.

Die Zahl jener, die in den Genuss all dieser Möglichkeiten kommen, steigt stetig: Nutztenim Jahr 1996 nur knapp 14% der ÖsterreicherInnen über 14 Jahren das Internet, hat sichdiese Zahl 2006 mittlerweile auf 67% vervielfacht.3 Das Problem, dass nicht alle Zugangzum Internet haben und dessen Chancen nutzen können, scheint sich auf den ersten Blickalso im Zeitverlauf selbst zu lösen. Beim zweiten Hinsehen zeigen viele Nutzungsstudien,dass bestimmte Bevölkerungsgruppen seit Einführung des Internets konstant unterrepräsentiertsind oder das Internet aufgrund mangelnder Fähigkeiten nicht ausreichend nutzen können.Und dass auch scheinbares „Aufholen“ in den meisten Fällen bestenfalls den weiterhinbestehenden Abstand wahrt.

Digitale Spaltungen als gesellschaftliches Problem

Online zu sein als eine zentrale Dimension des sozialen Ein- bzw. Ausschlusses vonMenschen ist ein relativ junges Phänomen und deshalb in seinen auch längerfristigenFolgen nur schwer abzuschätzen. Konkreter lassen sich hingegen die strukturellen Barrierenidentifizieren und untersuchen, die bestimmte Bevölkerungsgruppen bei der Internetnutzungbehindern. Als Synonym für soziale Chancenungleichheit und strukturelle Benachteiligungenim Zusammenhang mit dem Internet wird häufig der Begriff “Digital Divide/DigitaleSpaltung” verwendet. Digitale Spaltung bezieht sich hierbei auf die Gräben innerhalbunserer Gesellschaft zwischen den Menschen mit und ohne Internet. Bei näherer Betrachtungzeigt sich aber, dass unter Digital Divide gleich mehrere verschiedene Fälle von ungleichemZugang zu neuen digitalen Medien zusammengefasst werden. So geht ein großer Teil derdigitalen Kluft auf diverse soziale Unterschiede in der Gesellschaft zurück, nämlich dassbestimmte Bevölkerungsgruppen schlechteren Zugang zu bestimmten gesellschaftlichrelevanten Ressourcen und Partizipationsmöglichkeiten haben als andere.

Der Begriff der Digitalen Spaltung tauchte im Jahr 1995 auf, als eine großangelegtestaatliche Internetnutzungsstudie in den USA zum ersten Mal Daten über Internetzugangund –nutzung mit soziodemografischen Daten verknüpfte. Hier wurde erstmals erforscht,ob und in welchem Ausmaß bestimmte Bevölkerungsgruppen bei der Internetnutzungunterrepräsentiert sind.4 Das bloße Aufsummieren wie viele Personen einer bestimmtenBevölkerungsgruppe online sind bzw. nicht online sind und der Vergleich mit anderenBevölkerungsgruppen stellt eine einfache und doch verlässliche Art der Messung dar und

Thema

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ist aufgrund mangelnder Verfügbarkeit detaillierterer Daten oftmals die einzige Möglichkeit,Aussagen über die Digital Divide zu treffen.

Seit 1995 führten Forscher/innen international unzählige Studien durch, die immerwieder folgende Bevölkerungsgruppen identifizierten, die ein besonders hohes Risiko haben,von der Digital Divide betroffen zu sein: In Industrienationen sind dies vor allem Frauen,ethnische Minderheiten, Menschen mit geringem Einkommen, Personen mit geringerSchulbildung, weiters jene, die im ländlichen Raum leben bzw. älter als 50 Jahre sind.Diese Personengruppen haben eines gemeinsam: Bereits im „realen“ Leben sind sie zumBeispiel durch geringes Einkommen, schlechte Wohninfrastruktur oder mangelndeSprachkenntnisse Risikogruppen was soziale Ausgrenzung betrifft. Die „reale“ Ungleichheitdeterminiert regelmäßig die „digitale“, denn sozial ungleich verteilte Chancen bestimmen,ob jemand Zugang zum Internet hat oder nicht. Keinen Zugang zum Internet zu habenbedeutet wieder im Vergleich zu all jenen, die Zugang haben, weniger Handlungs- undGestaltungsraum zu haben. Während bestehende soziale Ungleichheit heute die digitaleUngleichheit determiniert, verstärkt diese wiederum die soziale Ungleichheit von Morgen.

Digital gespaltenes Österreich

Die Erforschung der Digitalen Spaltung steckt in Österreich im Vergleich mit anderenLändern noch in den Kinderschuhen. Bisher wurden kaum aussagekräftige Daten erhobenund öffentlich zugänglich gemacht. Eine Ausnahme hierzu ist die seit 1997 vom Meinungs-forschungsinstitut Integral im Auftrag des ORF quartalsmäßig durchgeführte repräsentativeStudie über die Internetnutzung in Österreich. Der „Austrian Internet Monitor (AIM)“liefert so regelmäßige Momentaufnahmen in Sachen Digital Divide in Österreich. Alter,Bildung und Geschlecht der InternetnutzerInnen sind in den meisten Studien zentraleDimensionen zur Analyse digitaler Ungleichheit. Der Austrian Internet Monitor liefertzunächst einmal Daten, die zeigen, in wieweit bestimmte Bevölkerungsgruppen bei derInternetnutzung unterrepräsentiert sind. Dies erfolgt mit der Gegenüberstellung desNutzerInnenanteils mit dem Bevölkerungsanteil. Für die sozio-demografischen MerkmaleAlter, Bildung und Geschlecht liefert der Austrian Internet Monitor folgende Zahlen5:

• Frauen machen 51% der österreichischen Bevölkerung über 14 Jahren aus, hingegennur 45% der Internetnutzer/innen der selbigen Alterskategorie. Diese Unterrepräsentanznimmt bei den IntensivnutzerInnen, die mindestens einmal pro Woche einsteigen,weiter zu. Bei ihnen sinkt der Frauenanteil auf 42%.

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• Auch die Alterskluft bei den NutzerInnen bleibt weiterhin ein großes Problem inÖsterreich: So sind etwa Personen über 60 Jahre, insgesamt 24% der Österreicher/innenüber 14 Jahren, mit 7% der Internetnutzer/innen, die online am meisten unterrepräsent-ierte Gruppe. Interessant ist aber, dass ihr Anteil bei den Intensivnutzer/innen mit7% konstant bleibt. Dies zeigt, dass es kaum ältere Personen gibt, die ab und zu malim Internet surfen, sondern in dieser Altersgruppe nur diejenigen online gehen, diedas Internet dann auch beständig nutzen.

• Was die Schulbildung betrifft, zeigt sich, dass Pflichtschulabgänger/innen (Bevölker-ungsanteil 26% der über 14jährigen) mit 19% der InternetnutzerInnen klar unterre-präsentiert sind. MaturantInnen und UniversitätsabsolventInnen sind mit 34% derNutzerInnen bei nur 24% Bevölkerungsanteil weiterhin überrepräsentiert.

Werden Momentaufnahmen verglichen, zeigt sich die Dynamik digitaler Spaltung imZeitverlauf. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würden bestimmte Bevölkerungsgruppenbei der Internetnutzung aufholen. Auf den zweiten Blick jedoch dauert der Prozess oft weitlänger als dies die Statistiken aussagen und er geschieht nicht von alleine. Am Beispiel derInternetnutzung von Frauen und Männern zeigt sich, dass auch bei Statistiken zur digitalenSpaltung die richtige Interpretation der Zahlen keineswegs eine triviale Angelegenheit ist.

Die Daten des Austrian Internet Monitor6 zeigen, dass im Jahr 1997 nur 8% der Frauendas Internet nutzten, während im Jahr 2006 bereits 56% der Frauen das Internet nutzen.Zu den gleichen Zeitpunkten waren 16% bzw. 69% der österreichischen Männer Internet-nutzer. Die Zahl der Internetnutzerinnen hat sich im letzten Jahrzehnt versiebenfacht,während die Gruppe der Nutzer nur um etwa das 4,3fache angewachsen ist. Diese Zahlenscheinen zu beweisen, dass der massivere Zuwachs bei den Frauen darauf hindeutet, dassdie digitale Spaltung zwischen den Geschlechtern eindeutig abnimmt. Die massivenZuwächse bei Frauen kommen aber nur dadurch zustande, weil ihr Nutzerinnenanteil1997 mit 8% noch sehr gering war. Je geringer die Zahl, desto einfacher ist natürlich ihreVervielfachung.

Werden die Zahlen anders interpretiert, zeigt sich ganz schnell, dass sich die digitaleKluft zwischen Österreicherinnen und Österreichern in den letzten 10 Jahren nicht veränderthat. Die Männer lagen nämlich 1997 genauso vor den Frauen (8% Frauen und 16%Männer nutzten das Internet) wie sie dies im Jahr 2006 tun (56% Frauen, 69% Männer).Diese Zahlen sprechen also gegen das Verschwinden der digitalen Spaltung im Zeitablauf

Thema

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und jedes Jahr, in dem darauf gewartet wird, dass diese Schließung quasi von selbst geschieht,ist ein verlorenes.

Denn mit jedem Jahr, in dem das Internet als Informations- und Kommunikationsmediumimmer zentraler wird, kommen diejenigen, die offline sind, immer mehr ins Hintertreffengegenüber all jenen, die die Möglichkeiten des Internets bereits nutzen. Die Gruppederjenigen, die keinen Zugang zum Internet haben, mag kleiner werden - dafür wächstdie Chancenungleichheit dieser Menschen mit jedem Jahr an. Hinzu kommen Lerneffekteim Zuge der Internetnutzung: Die Potentiale und Möglichkeiten dieser vielfältigsten allerdigitalen Kommunikationstechnologien erschließen sich erst mit besserem Verständnisund nach längerem Gebrauch. Wenn die Internet-Nachzügler/innen endlich ihre erstenSchritte im World Wide Web unternehmen, sind die Vorreiter/innen ihnen schon wiederLichtjahre voraus. Genauso wenig, wie sich soziale Probleme im Zeitablauf lösen, lösensie sich von selbst. Eine Wahrheit, die für das Problem der digitalen Spaltung ganz besondersgilt.

Digitale Ungleichheit als politische Herausforderung

Manche Bevölkerungsgruppen schaffen den Sprung über den Digitalen Graben einfacherals andere – vielleicht auch deshalb, weil sie aufgrund ihrer Möglichkeiten nur einen Hopsertun müssen. Für andere Bevölkerungsgruppen ist die andere Seite des Grabens noch nichtmal in Sichtweite. Als Barrieren, die die Überquerung des Digitalen Grabens erschweren,identifiziert der österreichische Soziologe Aichholzer vor allen Dingen fehlende sozio-kulturelle Rahmenbedingungen, finanzieller Ressourcenmangel und ungenügender techni-schen Zugang zum Internet (vgl. Tabelle 1).

Verschiedene Ursachen für digitale Ungleichheiten erfordern klarerweise auch verschiedeneLösungen. So vielfältig mögliche Lösungsansätze sind, haben die meisten von ihnen jedocheines gemeinsam: Sie alle nehmen die Politik bei der Bekämpfung der digitalen Spaltungin die Verantwortung. Denn strukturelle Barrieren, wie zum Beispiel geringes Einkommen,hohe Telekommunikationskosten oder keine Breitbandverbindung zum Internet, zureduzieren, ist die Grundvoraussetzung, um sozio-kulturelle Barrieren – die oft noch vielstärker und nachhaltiger wirken – überhaupt wirksam verringern zu können. Ob die PolitikAnstrengungen dahingehend unternimmt, hängt nicht zuletzt davon ab, in wieweit sieverstanden hat, dass die Bekämpfung von digitaler Chancenungleichheit auf jeden Fall einimmer wichtigerer Aspekt von sozialer Gerechtigkeit im Allgemeinen ist.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Die lokale Umsetzbarkeit vieler Projekte fordert hierbei vor allen Dingen die Kommunal-politik, die Maßnahmen gegen die digitale Spaltung vor Ort setzen kann. Die Stadt Linzversuchte in den letzten Jahren zumindest durch punktuell kommunalpolitische Maßnahmenzur Bekämpfung (auch: spezifischer Ausprägungen) der digitalen Ungleichheit zu setzen.So existiert an der Linzer Volkshochschule neben speziellen Interneteinstiegskursen fürSeniorInnen ein Internetkurs für Anfängerinnen von Frauen für Frauen. All jene, die sichPC und Internetverbindungskosten nicht leisten können, erhalten in Bibliotheken undVolkshäusern kostenfreien Zugang zum Netz. Mittlerweile gibt es nicht nur dort, sondernauch anunzähligen anderen „Hotspots“ in Linz die Möglichkeit, per Funknetz ins Interneteinzusteigen. Wer allerdings nicht in unmittelbarer Nähe eines Hotspots wohnt oder miteinem Laptop dorthin pilgern kann, schaut weiterhin beim Gratis-Internet durch die Finger.

Hinzu kommen Nutzungseinschränkungen durch bloß temporär und/oder örtlicheingeschränkte Internet-Zugänge: Internetterminals und Hotspots in Bibliotheken sindsicherlich ein brauchbares Angebot für Online-Recherchen, für andere Bereiche derInternetnutzung wie e-Commerce, Filesharing und (regelmäßige) e-Government-Lösungensind sie aber unpraktisch bis ungeeignet. Der volle Nutzen eines Internetzugangs erschließtsich eben erst über die gesamte Bandbreite der diversesten Anwendungsmöglichkeiten.

Thema

Barrieren zur Überwindung derDigitalen Kluft

Mögliche Gegenmaßnahmen

Sozi

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Tech

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Potentiale des Internets sind nichtbewusst, keine Motivation insInternet einzusteigen, wenig PC-Kentnisse

Bildung & Förderung derMedienkompetenz, Unterstützungund Beratung

Kosten für PC undInternetzugang

Billigere Internettarife/gratisInternetzugang, öffentlicheInternetzugänge

Schlechte Internetinfrastruktur(langsamer Netzwerkanschluss)und PC-Ausstattung

Breitbandinternet, billige PC-Hard-und Software, öffentlicheInternetzugänge

Tabelle: Dimension digitaler Ungleichheit7

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Gerade auch zivilgesellschaftliche und kreative Beteiligung im World Wide Web erschließtsich in der Regel erst dann, wenn mit dem Gang ins Internet selbst kein oder ein äußertgeringer Aufwand verbunden ist.

In diesem Sinne ist die technische Infrastruktur für einen Internetzugang die absoluteGrundvoraussetzung für sämtliche weiteren Schritte ins und im Netz. Eine technischeAnschlussmöglichkeit aller Haushalte an das Breitbandinternet ist dabei besonders imländlichen Raum alles andere als selbstverständlich – im städtischen Bereich ist es keinThema mehr. Im Gegenteil, in Linz gibt es mit drei Breitbandtechnologien – überTelefonkabel, über Fernsehkabel und über Stromleitungen – sogar nicht nur konkurrierendeAnbieter/innen, sondern sogar konkurrierende Technologien für leistungsfähige Internet-anschlüsse. In den Ballungsräumen lenkt die vorhandene technische Infrastruktur deshalbden Blick umso mehr auf wirtschaftliche und sozio-kulturelle Faktoren digitaler Ungleichheiten:Viele Familien können und/oder wollen sich keinen Internetanschluss leisten, zum Beispielweil fehlende Online-Erfahrungen gerade bei Menschen, die sich in finanziell prekärenSituationen befinden, dazu führen, dass sie andere Ausgaben priorisieren (müssen).

Einige kreative Ansätze zur Adressierung dieses Problems existieren bereits und meistenslaufen sie auf verschiedene Formen von freien Netzen im Sinne einer öffentlichen Internet-Grundversorgung hinaus. Bevor erste kommunale Projekte ins Leben gerufen wurden,nahmen einige NetzpionierInnen die gratis Grundversorgung ihrer Nachbarschaft mitInternet selbst in die Hand. Ihre Vision sind freie Netze für freie BürgerInnen.

Pionier freier Netze: Freifunk

London hatte es als erstes, Wien und Graz mittlerweile auch und in Deutschland hates schon fast jede Großstadt: Die Rede ist von freien Funknetzwerken, auch BürgerInnennetzegenannt. Sie basieren darauf, dass private Internetnutzer/innen oder Vereine ihre WLAN-Knoten miteinander verbinden und kostenlos anderen NutzerInnen zur Verfügung stellen.Durch diesen selbstorganisierten Zusammenschluss zahlreicher WLAN-Knoten entstehtbei genügend TeilnehmerInnen ein freies Netz, das ganze Stadtteile erfasst und denTeilnehmer/innen mobilen Internetzugang ermöglicht. Diese drahtlose Vernetzungfunktioniert dabei in Eigenverwaltung ohne von einem Internetprovider abhängig zu sein.

Der in Graz geborene und in London tätige Medienkünstler und Autor Armin Medoschhat in seinem Buch „Freie Netze“8 die Entstehung des ersten dieser Netze in London

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beschrieben und dabei die politischen Überlegungen hinter den Projekten betont: Unabhängigvon staatlicher Kontrolle und Zensur sollen in den freien Netzen Inhalte getauscht undverfügbare Internet-Bandbreite optimal genutzt werden. Auf diese Weise soll eine ArtNetzwerk-Allmende („Network Commons“) entstehen, die frei nutzbar ist und durch dendigitalen Charakter der getauschten Daten – jede Kopie ist genauso gut wie das Originalund quasi kostenlos erstell- und verbreitbar – auch keine Abnutzungserscheinungen zubefürchten hat. Im Gegenteil, je mehr Leute sich an der Netzwerk-Allmende mit ihremWLAN-Knoten und durch Bereitstellung von Inhalten beteiligen, desto besser, stabilerund leistungsfähiger wird das Netzwerk.

Vielfach geht es den freien BürgerInnennetzen weniger um günstigen oder mobilenZugang zum Internet als vielmehr um den Aufbau von lokal-digitalen Communities, dieim Rahmen des Funknetzes Daten austauschen. So arbeiten beispielsweise verschiedeneVereine wie Wavelan und c-base in Berlin an einem über mehrere Stadtteile erstrecktenKultur-Netz. Aber egal ob lokale Communities oder sogar überregionale Freifunk-Netzwerkedas Ziel sind, immer versuchen die Initiativen die ohnehin weit verbreiteten, privatenWLAN-Knoten zu einem gemeinsamen Netzwerk zu verbinden. Als Träger und Unterstützerfür Neueinsteiger/innen haben sich mit Freifunk.net in Deutschland und Funkfeuer.at inÖsterreich Vereine gebildet, die auf ihren Homepages und in wöchentlichen TreffenUnterstützung beim Einstieg ins gemeinsame Netz anbieten.

Diese technische Unterstützung ist für Internet-Laien auch bitter notwendig, wie das –verglichen mit der explosionsartigen Verbreitung privater WLAN-Infrastruktur – eherlangsame Wachstum der freien Netzwerke zeigt: Obwohl immer mehr Menschen überWLAN-Module und –Basisstationen verfügen, beteiligen sich nur sehr wenige an denfreien Funknetzwerken. Abgesehen von der geringen Bekanntheit der Freifunk-Initiativensind es wohl technische Einstiegshürden wie notwendige Außenantennen und technisch-rechtliches Kauderwelsch (Community-Netzwerke erfordern sogenannte „Pico-Peering-Agreements“ für die wechselseitige Datenweiterleitung), die abschreckend wirken. Zumindestfür jene Bevölkerungsteile, die aus sozio-kulturellen oder finanziellen Gründen über keinenZugang zum Internet verfügen, ist die Teilnahme an freien Funknetzen noch einmal umeiniges schwieriger. Ironischerweise sind es damit gerade die absoluten Online-PionierInnenund technisch versiertere Bastler/innen, die für sich über geteilte Netze besonders günstigenInternetzugang herstellen können, wie diverse Fallbeispiele beweisen. So zeigen die deutschenFreifunker, wie mit Hilfe eines alten Computers, einer selbst gebastelten Antenne undetwas Kabel ein Haus mit 35 BewohnerInnen für weniger als 4 Euro pro Person und Monat

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bei hoher Bandbreite ins Internet gebracht und gleichzeitig mit Computern in dreibenachbarten Wohngemeinschaften per Funk verbunden werden kann.9

Öffentliche Gehversuche: Stadtnetze

Im Gegensatz zu den privaten und selbstorganisierten freien Funknetzen, setzen öffentlicheProjekte im Kampf gegen die Digitale Spaltung zwar ebenfalls immer häufiger auf WLAN-Funktechnologie, schöpfen deren Potential allerdings in den allerwenigsten Fällen aus.Selbst beim relativ großen Projekt „Hotspot Linz“, mit mehr als 100 WLAN-Accesspointsfür drahtlos-kostenlosen Internetzugang in Bibliotheken, Volkshäusern, Jugendzentren undanderen öffentlichen Gebäuden, sind die einzelnen Sendestationen Funk-Oasen in derkommunalen Funkwüste. Denn untereinander sind die WLAN-Stationen nicht vernetzt,obwohl das technisch immer einfacher möglich wird. Das Zauberwort in diesem Zusam-menhang heißt „Vermaschung“ („Mesh-WLAN“) der zahlreichen, im Stadtgebiet verteiltenWLAN-Knoten.10

Einige größere Städte in den USA beschlossen denn auch, nicht nur mit vereinzeltenWLAN-Knoten zu kleckern, sondern mit flächendeckender WLAN-Versorgung zu klotzen.In Philadelphia wurde gemeinsam mit dem kommerziellen Internetprovider Earthlink einstadtweites WLAN-Netz mit dem dezidierten Ziel etabliert, die digitale Kluft zu verringern.Auch wenn der Internetzugang (abgesehen von wenigen öffentlichen Hotspots) nicht völlig

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WLAN bezeichnet kabellose, lokale Netzwerke zwischen Computern zum Austausch von Datenaller Art. Die Daten werden dabei per Funk in einem freien Frenquenzband des Spektrumsentweder direkt zwischen zwei Computern mit WLAN-Modulen („WLAN-Knoten“) gesendet oderder Computer stellt so Kontakt mit dem Internet her und kann darüber mit anderen Rechnernkommunizieren.Die Reichweite ist auf einige 100 Meter begrenzt (in Gebäuden noch weniger), bietet dafür abersehr hohe Bandbreiten, d.h. es lassen sich relativ große Datenmengen in kurzer Zeit übertragen.Da nahezu sämtliche modernen PCs und Laptops mit WLAN-Modulen ausgestattet sind undmittlerweile auch zahlreiche Mobiltelefone über WLAN-Technik verfügen, stellen immer mehrMenschen den Kontakt zum Internet drahtlos her. Im Unterschied zu Mobilfunktechnologien wieUMTS ist die Nutzung der WLAN-Technologie selbst kostenlos und erfordert keine zusätzlichenGebühren oder Anmeldungen. Der Zugang zum Internet selbst muss aber – abseits von öffentlichenoder privaten freien WLAN-Netzwerken – wie sonst auch bezahlt werden.

Was ist „WLAN“ oder „Wireless LAN“?

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

kostenlos zugänglich ist, musste sich Earthlink zu einem moderaten Grundpreis von 9,95US-Dollar pro Monat sowie zur Spende von 10.000 Computern an Bedürftige sowie zurjährlichen Zahlung von fünf Prozent der Einnahmen für Computerschulungskurseverpflichten.11

Philadelphias Fokus auf begleitende soziale Maßnahmen zusätzlich zur technischenWLAN-Infrastruktur ist dabei keineswegs „Luxus“ sondern Notwendigkeit, sollen vonfreien oder kostengünstigen Netzen nicht nur jene Bevölkerungsschichten profitieren, diesich PC und Internetzugang ohnehin schon leisten können. Craig Settles, Experte fürkommunale WLAN-Netze, behauptet sogar, dass „typischerweise diejenigen, die öffentlichesWLAN am wenigsten benötigen, es am meisten nutzen“ würden.12

Internet, powered by Google?

Die Kooperation mit Firmen beim Aufbau kommunaler Funknetze für möglichst einfachenund umfassenden Internetzugang ist dabei nicht ohne Tücken, wie das Beispiel des freienFunknetzes in San Francisco beweist, das als „Spionagenetz“ in die Schlagzeilen geriet.13

San Francisco ging für den Aufbau eines stadtweiten WLAN-Netzes, das zumindest bis zueiner Datenübertragungsrate von (relativ geringen) 300 KBit/Sekunde allen BürgerInnender Stadt kostenlos zur Verfügung stehen wird, eine Kooperation mit dem Suchmaschinen-Riesen Google ein. Google wiederum will das Service über standortbezogene Anzeigenrefinanzieren. Je nachdem, bei welchem WLAN-Knoten sich die Benutzer/innen einwählen,sollen Anzeigen von Restaurants und Geschäften im nächsten örtlichen Umkreis eingeblendetwerden.

Während sich Nutzer/innen, die gegen Aufpreis das Netz mit höherer Bandbreite nutzenwollen, schon alleine aus Abrechnungsgründen identifizieren müssen, rief die ForderungGoogles Kritik hervor, dass sich auch die Benutzer/innen des kostenlosen Angebotspersönlich einloggen sollen. So müssen Benutzer des Gratis-Zugangs über einen Accountbei Google verfügen, der Daten über die benutzten Einwahlknoten sowie das individuelleSurfverhalten für mindestens 180 Tage speichert. Die mit diesen Daten möglichenNutzerInnenprofile lassen Datenschützer/innen denn auch vor totaler Erfassung und „BigBrother“ Google warnen.

Gleichzeitig sehen sich zumindest in den USA kommunale WLAN-Netze mit Attackender dortigen Telekommunikationslobby konfrontiert, die durch öffentliche Netze eine

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Gefahr für den Wettbewerb entstehen sehen. Befürworter/innen der freien Netze drehendas Argument freilich um und sehen im Falle einer kommunalen Internet-Grundsicherungnur den Wettbewerb auf die Ebene des Hochgeschwindigkeits-Internets verlagert undkritisieren ihrerseits höchstens die zu starke Einbindung von Firmen sowie warnen vorproprietären Monopolen. Neue Bewegung in die Debatte um neue Monopole brachtedabei in jüngster Zeit die WLAN-Nachfolgetechnologie „WiMax“.

Zukunftsmusik: WiMax

Die vom Prozessorhersteller Intel heftig geförderte Funktechnologie der nächstenGeneration ermöglicht höhere Datenübertragungsraten als WLAN bei gleichzeitig um einvielfaches größerer Reichweite. Intel spricht deshalb sogar von Wimax als der „wichtigstenErfindung seit dem Internet selbst.“14 Mit mehreren Kilometern Reichweite schließt derWimax-Übertragungsstandard zumindest technologisch die Lücke zwischen WLAN undMobilfunkstandards wie UMTS. Auch größere Städte ließen sich mit nur wenigenBasisstationen flächendeckend mit einem Internetzugang versorgen. Die Kosten einerBasisstation liegen derzeit allerdings noch deutlich über denen eines oder mehrerer WLAN-Hotspots.

Während die neue Technologie besonders im ländlichen Raum Gebiete für Breitband-Internet erschließen soll, die bislang nur mit sehr großem Aufwand per Kabel ins Internetgebracht werden konnten, ist sie in Ballungsräumen eine weitere Möglichkeit für eineInternet-Grundversorgung sämtlicher Bürgerinnen und Bürger. Abgesehen von den bislangnoch fehlenden WiMax-Endgeräten ist auch die Frage, ob WiMax-Geräte dauerhaft freieFrequenzbänder nutzen dürfen oder auf bestimmte, kostenpflichtige Lizenzbänder beschränktwerden. Die Versteigerung der wichtigsten WiMax-geeigneten Frequenzbänder fand inÖsterreich bereits im Jahr 2004 statt.15 Die großen Reichweiten lassen sich voraussichtlichnur in diesen Frequenzbereichen erzielen, da dort größere Sendestärken zulässig sind.

Freie Netze als Möglichkeitsraum

Egal in welcher Form WiMax-Netzwerke letztendlich zum Einsatz kommen werden, instädtischen Ballungsräumen stellen sie ohnehin nur eine Erweiterung der bereits vorhandenentechnologischen Vielfalt zur Vernetzung der Bürger/innen untereinander und mit demInternet dar. Und wie die Beispiele kommunaler Netzwerke in Philadelphia, San Franciscooder New Orleans zeigen, ist die technologische Grundversorgung nur ein erster Schritt

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zur Verringerung der „Digital Divide“. Ein erster Schritt, der vor allem deshalb so wichtigist, weil er die viel schwieriger zu überwindenden sozio-kulturellen Ursachen für digitaleUngleichheiten sichtbar macht und ins Zentrum der (auch: politischen) Aufmerksamkeitrückt.

Abgesehen von der sozialpolitischen Agenda – Teilhabe für alle an der digitalen Internet-Öffentlichkeit und -Gesellschaft – erkennen viele Verfechter/innen von kommunalen freienNetzen auch den ermöglichenden Charakter dieser Netzwerke. Denn ähnlich wie PCs alsUniversalmaschinen für die verschiedensten Zwecke – als Kommunikations- genauso wieals Gestaltungsmittel, als Konsumations- wie als Distributionswerkzeug – eingesetzt werdenkönnen, wirken auch digitale Netze als Katalysator für auf ihnen aufbauende Projekte inForm von sozialen Gemeinschaften, zivilgesellschaftlichen Engagements und künstlerisch-intellektuellem Austausch und Diskurs. Voraussetzung dafür ist aber die die Freiheit desZugangs und die Neutralität der Technologie gegenüber den im Netz transportierten undverfügbaren Daten.

Aufbau und Betrieb von freien Netzen ist aber auch deshalb immer eine kommunal-(politisch)e Aufgabe, weil mit ihnen eine kontinuierliche Rückbindung der prinzipiellglobalen „Digital Community“ im World Wide Web an lokale Einrichtungen, Gruppenund Sozialstrukturen verbunden ist. Viele der in diesem Band im folgenden angesprochenenThemen und Projekte können ihr Potential erst dann zur Gänze entfalten, wenn mit einerkommunalen Netzwerkinfrastruktur die Basis geschaffen ist. Als Beispiel sei hierfür dieVerknüpfung realer Gebäude und Orte einer Stadt mit den entsprechenden Informationsseitender freien Online-Enzyklopädie Wikipedia mittels an den Objekten angebrachten Strichcodesgenannt16: Ihren vollen Nutzen entfaltet diese „Verlinkung“ der realen Welt mit im Internetfrei verfügbaren Inhalten erst dann, wenn sie auch einfach und kostenlos über ein freiesNetz vor Ort erreichbar sind.

Gerade weil die Nutzung der Infrastrukur eines Freien Netzes nicht im Voraus geplantwerden muss, ja nicht einmal soll, sondern der Bevölkerung in Form einer Netzwerk-Allmende zur kollektiv-produktiven Verwertung überantwortet wird, ist die Schaffungdieses kommunalen Möglichkeitsraumes auch kommunale Aufgabe. Für Linz im speziellenist sie die konsequente Fortsetzung eines mit dem Hotspot-Projekt17 längst eingeschlagenenWeges.

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„Warum sollten schwingendeelektromagnetische Wellenetwas kosten außer Strom?“

Interview: Aaron KaplanAaron Kaplan ist einer der Mitbegründer und der Pressesprecher des österreichischen Vereins

„Funkfeuer.at“. Wie ihr deutsches Pendant „Freifunk.net“ versucht die Initiative durch Vernetzungvon privaten WLAN-Knoten freie Netzwerke zum Austausch von Daten und für den Zugang zumInternet zu schaffen. In Österreich gibt es Funkfeuer-Netze in Wien, Graz, Bad Ischl und demWeinviertel.

Foto: Manu Hiesmair

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Interview

Wie bist du dazu gekommen, dich fürFreifunknetze zu engagieren?

Aaron Kaplan: Ich bin Informatiker undhabe viel im Bereich Telekommunikations-systeme gearbeitet, das legte quasi den Grund-stein für mein Interesse. Im Jahr 2003 habenwir ein bisschen mit WLAN Access Pointsherumgespielt und dann auch beim Verein

„Quintessenz“ im Wiener Museumsquartiereinen Access Point hingestellt, der quasi

„anonym“ öffentlich nutzbar war. Das be-deutet, der Zugangsknoten zum Internethat nichts von den Netzaktivitäten derUser/innen mitdokumentiert.

Wie seid ihr damals auf die Idee gekom-men, dieses Projekt zu machen?

Aaron Kaplan: Als Gegenentwurf zur Über-wachungsverordnung, die damals neu ge-kommen ist und nach der jeder Internet-Provider „mitloggen“, d.h. die Nutzer/-innendaten mitdokumentieren muss. Dashaben wir dann auch alles juristisch durch-exerziert mit dem Ergebnis, dass wir alsnichtgewerbliches Unternehmen gar nichtmitloggen dürfen. Auf jeden Fall war es einenette Aktion, hat gut funktioniert und istauch medial sehr gut angekommen. Nachdem Projekt mit dem anonymen AccessPoint, haben wir uns gedacht, das kannnicht alles sein. Mein Kollege Markus undich haben dann weiter an Ideen gearbeitet

und dann in Wien Funkfeuer aufgebaut.

Funkfeuer ist ja ein freies Netzwerk. Waskann man sich darunter vorstellen?

Aaron Kaplan: Im Grunde funktioniertdas Netz auf technischer Ebene wie OpenSource Software: Wenn jemand einen bes-seren Vorschlag zur Vernetzung der einzelnenKnoten hat, wird er umgesetzt. Derzeitverwenden wir Standard-WLAN-Techno-logie und verwenden nur eine zusätzlicheSoftware,18 um die einzelnen Knoten zueinem gemeinsamen Mesh-Netzwerk zuverbinden.

Es gibt ja auch einen Verein „Funkfeuer“,der quasi als Dachorganisation des freienNetzwerks gegründet wurde. Warumgründet eine Initiative mit dem Ziel freierNetze einen Verein?

Aaron Kaplan: Ursprünglich wollten wirgar keinen Verein gründen, sondern nurein anarchistischer Zusammenschluss vonKnoten sein, die sich halt zufällig sehen undeinfach Daten austauschen. Aber wir habendann doch einen Verein gegründet, weil esVorteile bringt, wie zum Beispiel eine zent-rale Anlaufstelle für Interessierte. Der Vereinkümmert sich prinzipiell um die Erforschungalternativer Datenübertragungswege unddie Weiterentwicklung von Mesh-RoutingSystemen.

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Eine wesentliche Aufgabe des Vereins istes ja auch, Neulinge bei ihrem Einstiegins Freifunknetz zu unterstützen. Wiefunktioniert das, wenn ich bei Funkfeuermitmachen möchte?

Aaron Kaplan: Die InteressentInnen kom-men am Montag zu unserem wöchentlichenTreffen, dort helfen wir ihnen dann mitden ganzen technischen Details. Manbraucht an Hardware im Prinzip nur einenhandelsüblichen Router, auf den Linux unddas Internetprotokoll gespielt werden. DieseBox montiert man dann zu Hause so hochwie möglich ans Dach und verlegt Kabel indie Wohnung oder bekommt das Signal perFunk herein. Danach funktioniert der Inter-netzugang genauso wie ein normaler Zugang.

Auch in der Qualität der Verbindung?

Aaron Kaplan: Wir sagen den Leutenimmer, wenn sie ein störungsfreies undimmer verfügbares Netz haben wollen, dannsollen sie zu einem Provider gehen. Dortzahlen sie eben für diesen Service. Bei unsist das ganze experimenteller.

Auf der Homepage Funkfeuer.at führt dieFrage nach dem „Warum?“ zu einem sehrlangen Text. Kann die Frage nach denIntentionen eines solchen Projekts auchin ein bis zwei Sätzen erläutert werden?

Aaron Kaplan: Es gibt mehrere Aspekte,die ein Projekt wie Funkfeuer interessantund wichtig machen. Zunächst ist der tech-nische Aspekt der Weiterentwicklung desMesh-Routing (Der dezentralen Vernetzungvon WLAN-Knoten, Anm.) sehr interessant.Das andere ist unser politischer Anspruch.Mir fällt da eben kein besseres Wort alsgenossenschaftlich ein. Wir kaufen unsHardware teilweise gemeinsam und inves-tieren unsere Zeit da hinein, ein Netz auf-zubauen, das uns gehört und nicht einergroßen Firma. Dadurch können wir auch,zumindest innerhalb unseres Netzes, derÜberwachung und dem Zugriff auf DatenEinhalt gebieten.

Ein dritter wichtiger Aspekt geht hier nochab: Auf der Funkfeuer Homepage werdenfreie Netzwerke vor allem als soziale Ini-tiativen dargestellt.

Aaron Kaplan: Wir haben uns am Anfangimmer wieder die Frage gestellt "Wollenwir ein Internet-Provider werden?" Und dieFrage wurde immer von der Mehrheit derKerngruppe verneint. Deshalb sind wir auchkein Internetdienstleister und keine Firma.Das würde auch den Forderungen, ein freies

- im Sinn von "Freiheit" - Netz zu haben,widersprechen. In diesem Sinne sind wireben eine soziale Initiative.

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Die ProponentInnen freier Funknetzeerheben auch den Anspruch, etwas gegendie Digital Divide zu unternehmen. Beiwelchen Personengruppen besteht hier dermeiste Handlungsbedarf?

Aaron Kaplan: Ich glaube in Österreichexistiert eine ganz große Kluft zwischen denGenerationen und ein Problem, dass vieleländliche Gemeinden nur per Modem Inter-netzugang haben. Aber auch wenn dassupermühsam ist, ist das zumindest schonmal ein Anschluss.

Finden sich die Personengruppen, die vonder Digital Divide betroffen sind, bei denNutzer/innen des Funkfeuer Netzes?

Aaron Kaplan: Wir haben eine heterogeneNutzerInnenstruktur. Wieviele von denPersonen, die an unserem Netzwerk teil-nehmen, keine Arbeit haben, wissen wirauch nicht genau. Es sind aber wahrschein-lich nicht mehr als 10 Prozent. Für sie istes eine günstige Möglichkeit, an der Weltteilzuhaben. Bei ihnen erfüllen wir unserenAnspruch, zur Bekämpfung der DigitalDivide beizutragen, voll und ganz. Der Restunserer Nutzer/innen sind entweder

„Techies“, d.h. zum Beispiel Informatiker/-innen, die einfach an der technischen Neu-heit unseres Netzes interessiert sind oderdiejenigen, die mitmachen, weil sie diepolitische Seite interessiert.

Ist es dann auch ein Ziel eures Vereins,gezielt Personen der ersten NutzerInnen-gruppe anzuspechen?

Aaron Kaplan: Wir wollten bisher gezieltmit Flyern Werbung machen, aber das wur-de nicht besonders konsequent betrieben.Ansonsten haben wir durch gute Berichtein der Presse an Bekanntheit gewonnen.Außerdem erreichen wir durch Mundpro-paganda sehr viele Leute. Und schon alleinedurch die Möglichkeit, gratis Internet zubeziehen, sind die dann auch interessiert.Aber wir sind halt experimentell und nichtwie große Internetanbieter/innen auf Kund-Innenfang. Wenn Leute kommen wollen,dann kommen sie – oder auch nicht.

In wieweit sind Leute, die nicht geradetechnisch versiert sind, abgeschreckt beiFunkfeuer mitzumachen. Es ist nicht wiebei einem Provider wo ein/e Techniker/insich um den Anschluss kümmert, sonderndie Leute müssen da ja schon eine gewisseEigeninitiative an den Tag legen.

Aaron Kaplan: Natürlich ist gerade für„Nicht-Technies“ ein gewisses Abschreck-ungspotential da. Das haben wir auch imVerein lange diskutiert, wie wir das verbes-sern können. Mir wäre es sogar lieber gewe-sen, wenn wir die technische Entwicklungsoweit vorantreiben, dass wir ein Packagezum Einstieg ins Funkfeuer-Netzwerk mit

Interview

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allem drum und dran zum Verkauf anbietenwürden und die Leute montieren es sichnur mehr auf ihr Dach. Aber damit wärenwir dann wieder ein Anbieter, dann hättenwir gleich eine Firma aufmachen können.Dagegen hat sich aber die Mehrheit derLeute entschieden. Wir möchten eben auchein soziales Netzwerk sein, das gemeinsammit den Leuten dann am Aufbau des Netzesarbeitet.

Nicht nur politisch und technisch Interes-sierte partizipieren an eurem Netzwerk.Die dritte große Gruppe ist die, die einfachnur daran interessiert ist, möglichst billigins Internet zu kommen – auch wennFreiFunk das nicht als eigentliches Zielihres Engagements sieht. In wieweit habenauch diese Personen Interesse, an einersozialen Gemeinschaft teilzuhaben?

Aaron Kaplan: Eine Schiene, über die wirPersonen in unser soziales Netzwerk inte-grieren wollen, sind Workshops und Vorträ-ge. Wer da partizipiert, macht mit, wernicht will, der macht halt nicht mit. Dazukann man niemanden zwingen. Aber sozehn Prozent derjenigen, die eigentlich nurwegen des Gratis-Internetzugangs gekom-men sind, partizipieren dann auch weiterhinan der Gemeinschaft.

Gibt es Bedrohungen für das weitere Be-stehen und Wachstum freier Netze wieFunkfeuer?

Aaron Kaplan: Bisher war unsere Existenzein paar Mal gefährdet, doch die Bedrohungkonnte immer wieder abgewendet werden.Beispielsweise stellte unser Hauptsponsorzu der Zeit als Funkfeuer noch keine eigeneDatenleitung hatte, seine Leitung zur Ver-fügung. Als dann der Hauptsponsor voneinem ausländischen Unternehmen gekauftwurde, haben wir ziemlich um unser Netzgebangt. Aber unser Projekt wurde weiterunterstützt.

Wäre eine Internetgrundversorgung füralle Österreicher/innen eine Zukunftsvi-sion im Sinne des Vereins Funkfeuer?

Aaron Kaplan: Hinter der Struktur vonFunkfeuer steht grundsätzlich ein anderesKonzept. A la longue sollte es aber beimInternet so sein wie bei der Wasserver-sorgung: Man dreht den Hahn auf und eskommt Wasser raus. Vielleicht zahlt manein bisschen Steuern dafür, weil es ja auchpro Person gar nicht so viel kostet. Dasschwierigste dabei ist halt, die Leitungen zuverlegen. Denn das kostet. Da stehen Initia-tiven wie Funkfeuer halt in ihren Möglich-keiten an.

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Wenn du schon von Steuerfinanzierungund Infrastrukturleistungen redest, dannist aber wohl auch klar, wer dies machensollte.

Aaron Kaplan: Grundsätzlich schon. Wennder Staat diese Grundversorgung baut undfinanziert, hat er auch die Kontrolle darüber.Das ist nicht etwas, das du immer habenwillst. Gerade was beispielsweise die Über-wachung im Internet betrifft, schafft einöffentliches Netz ganz neue Möglichkeitenfür den Staat, auf die Daten zuzugreifen.

Im Gegensatz dazu gibt es im FunkfeuerNetz ja keine Überwachung.

Aaron Kaplan: Wir als Verein dürfen garnicht mitloggen, das bedeutet, dass grundsätz-lich innerhalb unseres freien Funknetzes eskeine Aufzeichnungen über die Internet-aktivitäten unserer Nutzer/innen geführtwird. Durch die IP-Adressen sind aber alleNutzer/innen identifizierbar. Wenn alsojemand etwas wirklich Illegales macht unddie Staatsanwaltschaft mit einem Brief vorunserer Tür steht, dann bekommen sie dieDaten von uns. Bei allem anderen sagenwir grundsätzlich einmal nein.

Abschließend erscheint es noch interessant,einen Blick auf Linz zu werfen. Was könntehier auf kommunaler Ebene getan werden,um freie Funknetze zu unterstützen?

Aaron Kaplan: Ein paar gesponserte Initi-alknoten, die einen Ring bilden, würde hiereinen guten Ausgangspunkt für ein freiesFunknetz bieten. Das muss so beschaffensein, dass sich dann die Leute da einfachdran hängen können. Sie sehen das dannbeispielsweise auf ihren Notebooks, dass siedas Signal von, sagen wir mal „Freies NetzLinz“ hereinbekommen und dann ins Inter-net gehen und sich dann dranhängen.

So etwas Ähnliches gibt es ja bereits inLinz: Nämlich die öffentlichen Hotspots.Was ist da deiner Meinung nach der größteUnterschied zu eurem freien Netz?

Aaron Kaplan: Zunächst sind Hotspotsnur punktuelle Zugänge, die nicht mit-einander vermascht sind, so wie unser Funk-netz. Bei all diesen Hotspotinitiativen gibtes außerdem immer eine Zentrale, die dieOrganisation des Netzzugangs übernimmt.Bei uns ist es so vorgesehen, dass wer immerInternetzugang anbieten kann oder will, diesauch anbieten kann. Wir haben ein Netz,das niemanden und doch allen gehört undgleichzeitig aber jedem/jeder Einzelnen, daja jeder einzelne Knoten einer Privatpersongehört. Freifunk hat da eher einen genossen-schaftlichen Ansatz, der im Wesentlichenauf Selbstorganisation aufbaut.

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Diese Selbstorganisation geht ja im wesent-lichen immer von Privatpersonen oderVereinen aus. Wie würde dann ein freiesFunknetz funktionieren, das beispielsweisevon der Stadt Linz initiiert werden würde?

Aaron Kaplan: Ich glaube, wenn es wirklichein kommunales Projekt wird, ein freiesFunknetz aufzubauen, dann existiert schonein gewisser Druck, es rasch aufzubauen.Das haben wir jetzt bei Funkfeuer nicht.Wenn sich die Stadt Linz wirklich dazuentscheidet, dies bis 2009 zu schaffen, dannist es am sinnvollsten, den Initialaufbaueiner Firma zu übergeben. Da kommt dannim Endeffekt so etwas heraus, wie ein Hot-spotmodell, aber nur vermascht und dadurchfür mehr Leute zugänglich. Das ist aberdann ein ganz anderer Ansatz als ein freiesNetz: Da geht es wirklich nur um die Gratis-grundversorgung - ohne soziale und politi-sche Ansprüche.

In Linz sind ja grundsätzlich auch guteVoraussetzungen dafür, dass ein selbst-organisiertes freies Netz startet. Im Bereichder Neuen Medien gibt es ja das Ars Electro-nica Center (AEC) und an der Kepler Unigibt es die Möglichkeit, Informatik zustudieren. Da müssen sicher doch auch einpaar Interessierte draußen herumlaufen,die da den Aufbau eines neuen FunkfeuerStandorts forcieren könnten. Warum gibtes noch keinen Funkfeuer Standort in Linz?

Aaron Kaplan: Die Initialzündung fehlthier wohl noch: Es braucht immer nur einePerson, die dann sagt, ich mach das jetztund dann wird es auch funktionieren.

Welche Aktivitäten plant Funkfeuer innächster Zeit in Österreich?

Aaron Kaplan: Es ist viel zu tun und unsere„To do“-Liste ist lang. Zunächst haben wireine Initiative geplant, um in Gesamtöster-reich – da vor allem am Land – weitereFunkfeuer Standorte zu gründen und interes-sierte Gemeinden durch unser Know-Howzu unterstützen. Es gibt noch die Überlegungeine internationale Leitung nach Bratislavazu bauen. Ausgangspunkt soll ein hoherPunkt in Wien sein, von wo aus das Funk-signal über mehrere Repeater bis nach Bratis-lava weitergeleitet wird, um dort an dasslowakische Freenet anzuschließen.

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LINZ.STADT DER

FREIEN NETZE

Interview

LINZ.STADT DER

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Interview

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PROJEKT: Freies Netz für alle Linzer/innen

Mit den mehr als 120 Hotspots für kostenlosen Internet-Zugang in Bibliotheken, Volkshäusern,Jugendzentren und an vielen weiteren öffentlichen Orten hat 1die Stadt Linz bereits einenersten Schritt in Richtung einer freien, stadtweiten Internetgrundversorgung für alle Linzerinnenund Linzer getan. Viele neue Nutzungsarten des Internets wie Online-Tagebücher („Blogs“),Wikis oder andere Formen sozialer Software gewinnen ihre Bedeutung gerade daraus, dasssie sich nahtlos in den alltäglichen Tagesablauf integrieren (lassen) – und sind deshalb nurungenügend mittels örtlich begrenzten, öffentlichen Hotspots nutzbar. Auch etabliert sichdas Internet immer mehr als Raum für (auch: lokalen) Diskurs und Debatten, die allerdingsim Unterschied zu herkömmlichen Massenmedien quasi von unten („bottom-up“) durch dieNutzer/innen selbst (mit-)bestimmt werden. Ein Zugang zum Internet ist für Teilnahme undTeilhabe an diesem Diskurs conditio sine qua non.

Wie die Beispiele größerer Städte wie San Francisco, das bereits eine Internet-Grundversorgungauf seinem Stadtgebiet bietet, zeigen, ist es mit modernen Funktechnologien ohne weiteresmöglich, einen kostenlosen Internetzugang für das ganze Stadtgebiet umzusetzen. Und zwarmit einer Bandbreite, die für die meisten üblichen Internetanwendungen ausreichend ist.Auch wenn die Erfahrungen in anderen Städten Hoffnungen enttäuschen, mit einer kostenlosenInternetgrundversorgung die digitale Spaltung der Gesellschaft bereits überwunden zu haben,ist sie dennoch ein wichtiger Schritt, um weitergehende Maßnahmen überhaupt erst sinnvollergreifen zu können.

Welche Technologie genau zum Einsatz kommt bzw. ob man auf einen Technologie-Mixsetzen könnte, soll am besten im Einvernehmen mit einem/einer Technologie-Partner/in beider Umsetzung gemeinsam ausgearbeitet werden. Wichtig ist nur, dass die kostenloseBasisbandbreite nicht zu niedrig bemessen ist (d.h. unter 1 MBit/Sekunde) und dass beiallfälligen (insbesondere bei standortbezogenen) Werberefinanzierungsmodellen datenschutz-rechtliche Mindeststandards gewahrt bleiben.

Selbstverständlich müssen gleichzeitig mit dem Aufbau des städtischen Funknetzes auchMaßnahmen einhergehen, die eine möglichst breite Nutzung des Angebots möglich machen,insbesondere in Bezug auf fehlende Hardware und notwendige Schulungsmaßnahmen.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

- Reduzierung der digitalen Kluft in Linz- Schaffung einer Linzer „Netzwerk-Allmende“

Aufbau eines stadtweiten, kostenlosen Netzwerkes für drahtlosen Zugang zumInternet

- Alle Linzerinnen und Linzer- Linz-Besucher/innen, TouristInnen

Stadt Linz (evtl. gemeinsam mit einem/einer Partner/in)

- Stadt Linz- Volkshochschule Linz (für Kurse und Schulungen)- TechnologiepartnerInnen

Start zu Jahresbeginn 2009

Kosten für den Aufbau des Netzes sowie die laufende Wartung der Basisstationen(abhängig vom verfolgten technologischen Ansatz)

Projektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

Freies Netz für alle Linzer/innenPROJEKTSKIZZE:

Projekte

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PROJEKT: Laptops für Linz

Neben den Kosten für einen Internetzugang werden von Menschen, die keine oder wenigErfahrung mit neuen Medien im Allgemeinen und dem Internet im speziellen haben, auchInvestitionen in die notwendige (Computer-)Hardware gescheut. Dies führt dazu, dassvon öffentlichen Hotspots oder gar stadtweiten, freien Netzen vor allem jene Menschenprofitieren, die ohnehin die (finanziellen) Mittel für privaten und mobilen Internetzuganghätten.

Hinzu kommt, dass Computer als Geräte und das Internet mit seinen diversestenAnwendungen Erfahrungsgüter sind: Die Menschen lernen erst mit der Zeit und währenddes (alltäglichen) Gebrauchs, welche (bislang ungenutzten) Potentiale ihnen die neuenTechnologien eröffnen können. Das ist auch einer der Hauptgründe, warum es in Österreichkeine Schule – egal welcher Schulstufe – mehr gibt, die es sich leisten kann, auf EDV-Räume und –Ausstattung zu verzichten.

Und dennoch können die nur temporär und für bestimmte Anwendungen zugänglichenSchulcomputer die individuelle Auseinandersetzung und Erforschung der Technologie inder alltäglichen Nutzung nicht völlig kompensieren. Vergleichbar dem „One Laptop perChild“-Projekt für Entwicklungsländer sollten in Zukunft Linzer Volksschüler/innen mitBeginn der 4. Klasse einen Laptop als quasi digitales Schulbuch erhalten. Abgesehen vonsoftwarepolitischen Überlegungen sollte er mit Freier Software ausgestattet sein, um dieKosten gering zu halten, die Virengefahr einzudämmen sowie die Weitergabe undVerwendung der Software auch auf anderen privaten PCs zu ermöglichen. Hier bieten sichDistributionen wie Edubuntu mit Schwerpunkt auf pädagogisch wertvollen Programmenan.

Begleitend müssten gemeinsam mit den Pädogigschen Hochschulen in Linz Weiter-bildungsangebote für Linzer Lehrkräfte der Volksschulen sowie der Hauptschulen undgymnasialen Unterstufen geschaffen werden, um die Potentiale der digitalen Vollausstattungder Linzer Schüler/innen auch sinnvoll innerhalb und außerhalb des Unterrichts zu nutzen.

Auch abseits von Schulen müsste es möglich sein, ausgewählte öffentliche Hotspots (z.B.in Bibliotheken) mit einer gewissen Zahl an Leihgeräten auszustatten, die gegen Pfand anInteressierte ausgehändigt werden.

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Laptops für LinzPROJEKTSKIZZE:

FREIE NETZEFREIES WISSEN

Projekte

Projektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

- Abbau der digitalen Kluft- Förderung des technologischen Verständnisses breiter Bevölkerungsteile

- Ausgabe eines Laptops mit Freier Software an sämtliche Linzer Volksschüler/innenmit Beginn der 4. Klasse

- Einrichtung von Laptop-Verleihstellen an ausgewählten öffentlichen Hotspots

Linzer Schüler/innen

Stadt Linz

- Linzer Volksschulen- Pädagogische Hochschulen- Stadt Linz

Erstmalige Ausgabe von Laptops an die Schüler/innen der 4. Klasse Volksschulemit Herbst 2008.

Jährliche Kosten für die Finanzierung der Hardware, keine Kosten für die Softwarebei Verwendung freier Angebote.

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PROJEKT: 2009 – „Jahr der Freien Netze“

Erfolgreiche Kooperation zeichnet sich dadurch aus, dass durch das Zusammenwirkenvieler Akteurinnen und Akteure mehr entsteht, als durch das bloße Zusammenzählen derjeweiligen Ressourcen. Blumiger ausgedrückt geht es um Nicht-Nullsummenspiele, umein Ganzes, das Mehr ist als die Summe der einzelnen Teile. Oft ist es aber so, dass zwaralle von kooperativem Handeln profitieren würden, aber sich nicht genug finden, einenAnfang zu machen oder das wechselseitige Vertrauen fehlt. In der Wissenschaft sprichtman in diesem Zusammenhang von „Gefangenendilemma“-Situationen.

Die in zahlreichen Häusern und Wohnungen vorhandenen Knoten für drahtlosenInternetzugang mittels Wirelss LAN bzw. deren beständig wachsende Anzahl sind nungenau so eine Situation, wo alle von Kooperation durch Vernetzung der einzelnen Knotenprofitieren würden – höhere Bandbreite, lokale Netzwerke, mobile Verfügbarkeit – es aberbislang dennoch nicht dazu gekommen ist. Das Kulturhauptstadtjahr 2009 könnte nunAnlass sein und Anstoß dafür geben, den Stein der Kooperation ins Rollen zu bringen:Indem das Jahr 2009 zumindest in Linz zum „Jahr der freien Netze“ gemacht wird.

Als Vorbild könnte hierfür ein anderes Linzer Kulturprojekt in seiner Urfassung dienen:Die Klangwolke. Während die Klangwolke heute nur noch über dem Linzer Donauparkschwebt, wurden in den ersten Jahren alle Linzerinnen und Linzer dazu eingeladen, ihreFenster zu öffnen, das Radio auf die Fensterbank zu stellen und mit der Radioübertragungdes Konzerts die „Klangwolke“ wirklich im ganzen Stadtgebiet hör- und erfahrbar zumachen.

2009 könnte die Stadt Linz ihre Bürger/innen nun dazu einladen, ihre drahtlosen WLAN-Netze zu öffnen und mit anderen drahtlosen Netzen zu einem stadtweit freien WLAN-Mesh-Netzwerk zu verbinden. In einem ersten Schritt sollte natürlich die Stadt selbstvorangehen und die über 100 öffentlichen Hotspots untereinander vernetzen und es anderenMenschen ermöglichen, sich in dieses öffentliche Hotspot-Netz mit den jeweils eigenenWLAN-Knoten einzuklinken. Im Jahr der freien Netze 2009 sollten technisch wenigerversierte Linzer/innen dann über eine zentrale Service-Stelle bei der Teilnahme am dann

01 | FREIHEIT LIEGT IN DER LUFT

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Open Courseware für UniversitätenPROJEKTSKIZZE:

- Im Kulturhauptstadtjahr ein Zeichen für Freie Netze unter Einbindung weiterTeile der Stadtbevölkerung setzen

- Förderung des technologischen Verständnisses breiter Bevölkerungsteile

- Festlegung der technischen Spielregeln für das Freie Netzwerk- Vernetzung der bestehenden öffentlichen Hotspots- Werbekampagne für das „Jahr der Freien Netze“- Technische Unterstützung über eine zentrale Service-Stelle- evtl. Angebote speziell für Teilnehmer/innen am Freien Netz über einenöffentlichen Public Space Server

- Alle Linzer/innen als potentielle Nutzer/innen- Linzer/innen mit WLAN-Infrastruktur als potentielle Teilnehmer/innen am freienNetz

Stadt Linz

- Linzer Bevölkerung- Stadt Linz- Technische Unterstützung

Vorbereitungen ab 2008, Beginn der öffentlichen Bewerbung ab Mitte 2008,Schwerpunkt im „Jahr der freien Netze“ 2009

Kosten für die Bewerbung sowie die Einrichtung eines zentralen technischenServicedienstes zur Beratung/Unterstützung

Projektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

FREIE NETZEFREIES WISSEN

Projekte

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02 | KREATIVITÄT IN FESSELN

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“Überregulierung erstickt Kreativität. Es unterdrückt

Innovation. Es gibt Dinosauriern ein Veto über die Zukunft.

Es verschwendet die außerordentlichen Möglichkeiten für

demokratische Kreativität, die digitale Technologien

beinhalten”

(Lawrence Lessig, Gründer von Creative Commons)

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Markus Eidenberger und Andreas Ortner

KREATIVITÄTIN FESSELNKREATIVITÄTIN FESSELN

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02 | KREATIVITÄT IN FESSELN

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Wie Urheberrecht Kreativität behindert und doch mit seinen eigenenWaffen geschlagen werden kann.

Stellen Sie sich vor, Ihnen ist im Jahr 1986 eine unglaublich spannende, witzige oderaufrührende Geschichte eingefallen. Stellen Sie sich vor, Sie haben sich tatsächlichdurchgerungen und sie als Buch niedergeschrieben. Aber leider konnten Sie keine/nVerleger/in begeistern, das finanzielle Risiko einer Veröffentlichung einzugehen – undselbst fehlte Ihnen das Geld dazu. Nun, Sie werden vielleicht alle Verwandten und Bekanntenzu Weihnachten mit einer selbst gebastelten Variante Ihres Buchs beglückt haben – aberdem Rest der Welt wird Ihre spannende, witzige und aufrührende Geschichte vorenthalten.

Nehmen wir an, Sie wollten im Jahr 1985 das Aufwachsen Ihrer Kinder nicht einfachfotografieren, sondern filmen und gemeinsam mit Musik aus dieser Zeit und mit Fernseh-Mitschnitten unvergesslicher Ereignisse zu einer Art Dokumentation zusammenschneiden.Selbst wenn Sie so wohlhabend waren, sich die notwendige Ausrüstung und die teurenStunden in einem professionellen Schnitt-Studio zu leisten, selbst wenn Sie die Zeit undMuße hatten, sich das Film-Schneiden beibringen zu lassen – das Ergebnis Ihrer Bemühungenwird nur eine überschaubare Anzahl von Menschen je zu Gesicht bekommen haben.

Und wenn Sie 1987 mit Ihrer Hard-Rock-Trash-Metal-Garagenband an der unglaublichenFantasielosigkeit der großen Plattenfirmen gescheitert sind, so hatten Sie vielleicht dasGlück, dass Mama Ihnen einmal einen Studiotag geschenkt hat. Aber wahrscheinlich sindein paar selbst aufgenommene Audiokassetten von mieser Qualität das einzige Überbleibseleiner schönen Zeit. (Die nicht mehr ganz jungen Leser/innen mögen sich außerdem kurzan die „berauschende“ Qualität überspielter Kassetten erinnern…)

Die neue Freiheit: Publizieren leicht gemacht!

Dieser kleine Ausflug in die unseligen Achtziger soll aber kein Nostalgie-Trip sein – imGegenteil. Denn stellen Sie sich vor, all das passiert hier, jetzt und heute. Das Buch wirdIhnen vielleicht auch heute niemand verlegen. Aber heute können Sie erstens ohne Tipp-Ex korrigieren. Und zweitens – was viel wichtiger ist – können Sie das Buch auf IhrerWebseite im Internet veröffentlichen, in verschiedenen Foren und Blogs gezielt dafürWerbung machen und damit theoretisch ganz ohne Verleger ein Millionenpublikumerreichen. Und vielleicht ist ja unter den so gewonnenen Leser/innen eine weniger bornierteVerleger/in dabei und schickt Ihnen ein E-Mail bezüglich einer Fortsetzung.

02 | KREATIVITÄT IN FESSELN

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Heute würden Sie wahrscheinlich keinen Hard-Rock-Trash-Metal mehr spielen, sondernHip-Hop oder Techno, und Sie würden statt Instrumenten teilweise so genannte Samplesverwenden, also kurze Ausschnitte aus anderen Songs. Aber es wäre erstens mit einemhandelsüblichen PC und ein paar leistbaren Zusatzgeräten machbar. Und zweitens könntenSie sich auch in diesem Fall über Veröffentlichungen im Internet an den großen Verlagenvorbei eine hoffentlich wachsende Fangemeinde erarbeiten.

Und schließlich hat die moderne Technologie das Gestalten von Filmen zu einemleistbaren Hobby gemacht, denn auch das ist mit einer digitalen Videokamera, einem PCund der passenden Software machbar. Natürlich brauchen Sie auch keine langwierigeAusbildung oder Berufserfahrung mehr, um das Zeug sinnvoll schneiden zu können.Außerdem ist das Produkt Ihrer Bemühungen nicht mehr notwendiger Weise einem kleinenKreis von Eingeweihten vorbehalten: Rauf auf die Homepage, und schon kann die Weltmitsehen!

Ja, dürfen Sie das denn?

So weit so gut, aber die Sache hat einen Haken: das aktuell gültige Urheberrecht. Dennsowohl das „Sampeln“ von Versatzstücken von Musik, die jemand anders komponiert undgespielt hat, als auch das Verwenden von Film- oder Fernsehausschnitten oder von Songs,auch das Einbauen von Textpassagen anderer, wenn es über ein einfaches Zitat hinausgeht,ja vielleicht sogar das Verwenden einer Romanfigur, die schon jemand anders genau so

„gezeichnet“ hat wie sie, fallen möglicherweise unter das Copyright. Das heißt, wenn Sieihre so gewonnenen Produkte auch „veröffentlichen“ – und das tun Sie auf Ihrer Homepageselbst dann, wenn Ihre Zugriffszahlen mehr als bescheiden sind – begehen Sie damit eineillegale Handlung und machen sich strafbar. Dabei handelt es sich auch nicht gerade nurum ein Organmandat. Das österreichische Gesetz beispielsweise sieht einen Mindeststreitwertvon 36.000 Euro bei Urheberrechtsangelegenheiten vor, und dieser bestimmt auch dieHöhe der Gerichts- und Anwaltskosten!

Dass es so etwas wie ein Urheberrecht gibt, ist natürlich nicht neu und auch nichtunbegründet. Schließlich sind die meisten kreativen Werke wie Text, Musik oder Filmrelativ einfach kopierbar und daher so genannte „nicht rivalisierende Immaterialgüter“.Was kompliziert klingen mag, heißt einfach, dass Musikstücke oder Texte nicht verbrauchtwerden, wenn Sie sie anhören oder lesen – im Gegensatz zur Wurstsemmel, wenn Sie sieessen. Daher braucht jemand, der vom Produzieren und Verkaufen von Musik oder Text

Thema

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02 | KREATIVITÄT IN FESSELN

leben will, einen besonderen Schutz davor, dass nur der erste Kunde bezahlt und dann alleanderen von ihm kopieren. (Ökonominnen sprechen dabei vom „Trittbrettfahrerproblem“.)

Wozu Urheberrecht?

Man kann diesen Schutz auf zwei Arten begründen: Einerseits aus der Perspektive desPrivateigentums als höchstem Gut, nämlich dass Ihnen einfach gehören sollte, was Sieproduzieren, egal ob man es angreifen kann oder nicht, und dass Sie es auch verkaufen,verschenken oder vererben können sollen. Andererseits aber auch aus der Sicht der gesamtenGesellschaft, für die es ja wichtig ist, dass Menschen kreativ tätig sind und Musik oderTexte produzieren. Dann muss die Gesellschaft, so das Argument, aber auch einen Anreizschaffen, das zu tun. Und die Ökonomie meint mit „Anreiz“ meist „Geld“. Österreich(und die meisten europäischen Staaten) folgt diesen beiden Argumenten sehr weitgehendund hat traditionell ein recht restriktives Urheberrecht: Ein Schutz bis 70 Jahre nach demTod der Urheberin ist das Prinzip, und das automatisch, also ohne dass ein bestimmterHinweis auf dem Werk oder eine Registrierung notwendig wären.

Beide Argumente, das „Eigentums-“ und das „Anreiz-“Argument, haben etwas für sich.Aber beide erweisen sich auf den zweiten Blick als unvollständig, vor allem hinsichtlichdes Ausmaßes des Urheberrechtes. Was den „Anreiz“ angeht: Dass Geld nicht das einzigeMotiv für Kreativität ist, ist wohl auch klar. Dennoch soll es sicherlich so sein, dass

„Kulturschaffender“ ein Beruf ist, von dem man leben kann. Andererseits sind die allermeistenWerke, die unter Urheberrechtsschutz fallen, heute nicht mehr kommerziell verwertbar:Bücher werden irgendwann nicht mehr neu aufgelegt, Platten oder CDs sind irgendwannvergriffen, selbst die meisten Hollywood-Filme schlummern irgendwann einmal in denArchiven. Man schätzt, dass nur etwa 4% aller geschützten kreativen Werke derzeitkommerziell verwertet werden. Dennoch gilt das Urheberrecht auch für die restlichen 96%.19

Das ideologische Argument sieht erst einmal ebenso bestechend aus in einer Gesellschafts-ordnung, für die der Schutz von Eigentum ein wesentlicher Grundbaustein ist. Aber wieauch zum Beispiel beim Eigentum an Grund und Boden ein höheres gesellschaftlichesInteresse (etwa der Bau einer Straße) vorgeht, gibt es auch bei kreativen Werken eine zweiteWahrheit. In der gesamten Geschichte der Menschheit war Kultur nicht etwas, wasüberwiegend in Privateigentum war, weil es immer so etwas wie ein gemeinsames kulturellesErbe, eine gemeinsame kulturelle Basis, einen so genannten „Public Domain“ gegeben hat.Im deutschsprachigen Raum wird dafür heute wieder gelegentlich der mittelalterliche

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Begriff der „Allmende“ verwendet: Ein Bereich, der niemandem und daher allen gehörtund von dem alle profitieren können. Aus diesem Grund ist das Urheberrecht zeitlichbegrenzt, wenn auch in einem für die Urheber/innen sehr großzügigen Ausmaß. Dennneue Kultur baut notwendigerweise immer auf dem auf, was bisher war, was unsergemeinsames kulturelles Erbe ist. Manchmal weniger offensichtlich, manchmal offensichtlicher,wie bei Neubearbeitungen älterer Inhalte, etwa Verfilmungen, oder bei Parodien, oder beiDokumentationen, oder beim schon beschriebenen „Sampling“. Die Grenze ist fließend,was aber leider heißt, dass auch die Grenze zum Urheberrechtsverstoß fließend ist, wenndas verwendete „Rohmaterial“ noch nicht Teil des „Public Domain“ ist.

Wo das Problem liegt…

Dabei ist Urheberrecht nichts Neues, und trotzdem entwickelte es sich mehr und mehrzum Problem. Der Auslöser des „Problems“ ist eine revolutionäre Technologie zur weltweitenVernetzung namens „Internet“. Eine Technologie, die die Welt schon verändert hat undweiter verändern wird. Eine Technologie, die unserer Gesellschaft und ihrer Kultur schierunglaubliche Möglichkeiten eröffnen kann. Nicht nur bezüglich des Zugangs zur Kulturund bezüglich ihrer Verbreitung, sondern vor allem auch bezüglich einer breiten Beteiligungam Schaffen von Kultur. Nie war Kultur so konsumorientiert, so professionalisiert undindustriell, so passiv wie im 20. Jahrhundert. Das Internet würde die Möglichkeit eröffnen,aus dieser reinen Konsum-Kultur wieder in eine stärker interaktive Kultur zu finden. DasInternet würde die Möglichkeit eröffnen, unser gemeinsames kulturelles Erbe in einembislang undenkbaren Ausmaß zu sichern, zugänglich und für neue Kreativität nutzbar zumachen. Doch das „Copyright“ stellt sich zunehmend diesem Fortschritt in den Weg.

Auch tagtägliche Urheberrechtsverletzungen sind nichts Neues. Hand aufs Herz: HabenSie wirklich noch nie etwas aus einem Buch kopiert, anstatt es zu kaufen? Haben Siewirklich noch nie eine CD oder eine Platte auf Kassette überspielt, oder eine Videokassetteoder DVD „raubkopiert“? Die meisten Menschen sind also schon einmal zu „Rechtsbrecher-Innen“ gegen das Urheberrecht geworden, was die Medienindustrie auch bisher schonnicht gefreut hat. Solange Sie aber dabei den privaten Bereich nicht verlassen haben (zumBeispiel durch das Handeln mit Raubkopien), hatten Sie in der Vergangenheit nicht vielzu befürchten. Mit dem Internet haben sich nun zweifelsohne die Möglichkeiten zum

„Raubkopieren“ vergrößert. Vor allem die so genannten „Filesharing“-Plattformen wieNapster ermöglichten das Kopieren von Musik oder Filmen von Menschen, die tausendeKilometer entfernt wohnten und die man noch nie getroffen hatte. Andererseits ermöglichen

Thema

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02 | KREATIVITÄT IN FESSELN

neue Technologien der Medienindustrie auch das Aufspüren von Copyright-Verletzungenin noch nie gekanntem Ausmaß. Und so begann die vorwiegend US-amerikanischeMedienindustrie mit einem „Krieg gegen die Piraterie“.

Die „Kriege“ der Medienindustrie

Wie schon in der Vergangenheit beschränkte sie sich dabei nicht darauf, Verstöße gegenihre bestehenden Rechte zu verfolgen. Ziel war auch die Verschärfung des im Vergleichzu Europa noch etwas liberaleren amerikanischen Copyrights, und tatsächlich konnte dieIndustrie zuletzt 1998 eine Verlängerung ausnahmslos aller bestehenden Copyrights umzwanzig Jahre erreichen. Ziel war aber andererseits die Technologie selbst, und auch dashatte Vorbilder. Schon als Sony den ersten Videorekorder entwickelte, verlangte dieMedienindustrie ein Verbot, da diese Geräte in erster Linie zur Verletzung von Copyrightsverwendet werden könnten. Jahrzehnte zuvor hatte es eine ernsthafte Diskussion gegeben,ob es erlaubt sein solle, dass jede und jeder mit den durch die Kodak-Technologieermöglichten Massen-Kameras Gebäude fotografieren darf, ohne den ErrichterInnen dafürTantiemen zu bezahlen. Auch Entwicklungen wie Radio und Kabelfernsehen waren vonder Medienindustrie bekämpft worden, und immer hatte sich in der Vergangenheit einvernünftiger Weg durchgesetzt: Videorekorder und Kodak-Kameras wurden nicht verboten,Radio und Kabelfernsehen mussten lediglich staatlich festgesetzte Tantiemen bezahlen undmussten nicht mit jedem/jeder Künstler/in oder jeder Fernsehstation einzeln verhandeln.

Doch die Zeiten scheinen sich geändert zu haben: Die Filesharing-Portale wurdenweitgehend in die Knie gezwungen, und mittlerweile ist das Umgehen von technischemKopierschutz selbst dann illegal, wenn dieser weit über das Copyright hinausgeht. Dasheißt: Wenn Ihnen im Internet jemand ein elektronisches Buch oder ein Musikstückanbietet und es so programmiert, dass Sie es nur an ungeraden Tagen zwischen Mitternachtund zwei Uhr früh lesen oder hören dürfen, so dürfen Sie diesen Unsinn selbst dann nichtlegal umgehen, wenn Sie technisch dazu in der Lage sind.

Die Medienindustrie ist immer mehr auf einige wenige Konzerne konzentriert. Mehrals 80% des amerikanischen Musikmarktes sind in der Hand von vier Unternehmen:Universal, Sony BMG, Warner und EMI.20 Der Trend geht zusätzlich in RichtungKonzentration verschiedener Medien, also Musik, Film, Fernsehen, klassisches Verlagswesenund Internet. Die ohnehin schon konzentrierte Industrie hat in den USA außerdemmächtige Lobbying-Gesellschaften gegründet, wie die Motion Picture Association of

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Thema

America (MPAA), die Recording Industry Association of America (RIAA) oder dieAssociation of American Publishers (AAP). Vom „Urheber/innen“-Schutz kann ja angesichtsdieser Phalanx aus VerwerterInnen gar nicht mehr die Rede sein. Die Macht dieser Industriescheint mittlerweile so weit zu reichen, dass beim noch teilweise nachvollziehbaren Kampfum den Schutz der eigenen Geschäftsinteressen (siehe das „ideologische“ Argument unddas „Anreiz“-Argument von weiter oben) doch recht weit über das Ziel hinausgeschossenwird.

Urheberrecht: Unsicherheit ist das Problem!

Dabei wären die Rechte an den 4% der kreativen Werke, die heute (noch) kommerziellnutzbar sind, gar nicht das Problem. Obwohl das Internet viele technische Hürden zurNutzung unseres gemeinsamen kulturellen Erbes beseitigt hat, macht es die Konstruktiondes heutigen Urheberrechts allen Kreativen zunehmend schwerer, darauf aufzubauen, unddas gilt uneingeschränkt auch für die restlichen 96%. Zumindest wenn Sie als Kulturschaf-fende/r keine rechtlichen Probleme riskieren wollen. Da gibt es zwar einerseits in jedemUrheberrecht ein gewisses Ausmaß an erlaubter Verwendung von geschütztem Material.So können wir in diesem Buch zum Beispiel andere zitieren, ohne sie um Erlaubnis zufragen, und können dennoch nicht von ihnen geklagt werden. Diese Ausnahme heißt beiuns „Schrankenbestimmungen des Urheberrechts“, im angloamerikanischen Sprachraumetwas eleganter als „Fair Use“ bezeichnet. Wo aber ist die Grenze – bei einer Seite, bei drei,bei siebzehn? Wie sehr muss ein Musik-Sample verändert sein, um vom/von der Schöpfer/indes Originals nicht mehr geklagt zu werden? Dürfen Sie ein Buch schreiben, das Abenteuereines Raumschiffs beschreibt und dessen Hauptfiguren Kirk, Spock und Scotty heißen?Oft werden Sie sich in Graubereichen bewegen, und das Gesetz wird Ihnen selten eineklare Antwort geben, und auch Ihr Anwalt wird Ihnen zwar eine Rechnung schicken, erwird aber im Vorhinein nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sagen können, wie eineRichterin im konkreten Fall entscheiden würde. Das Risiko, verklagt zu werden und zuverlieren, tragen Sie, denn die Medienindustrie zahlt so etwas aus der Portokasse.

Apropos Urheberin eines Filmes: Wer ist das eigentlich? Die Regisseurin? Der Produzent?Die Schauspielerinnen, die in der verwendeten Szene zu sehen sind? Der Drehbuchautor?Oder alle? Was ist, wenn eine Autorin mehrere Erben hinterlässt, die Rechte an einembestimmten Buch aber in keinem Testament erwähnt wurden, weil niemand davonausgegangen ist, dass so ein alter Schinken noch etwas wert sein könnte? Sie werden einDetektivbüro engagieren müssen! Wenn das alles nur dazu dienen würde, legitime

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02 | KREATIVITÄT IN FESSELN

kommerzielle Interessen zu schützen, man könnte wohl darüber diskutieren. Doch all dasschützt auch kommerziell nicht mehr verwertbare Werke. Sie können sich als Kreative/rdarauf einlassen, es zu riskieren: Wenn es nichts mehr wert ist, wird es schon kein Problemsein. Aber das Risiko tragen Sie. Denken Sie daran: Mindeststreitwert ist 36.000 Euro,wenn Sie doch jemand verklagt. Und wehe, Sie sind mit Ihrem „Derivat“ kommerziellerfolgreich: Dann wird sich sicher jemand daran erinnern, über ein Urheberrecht zuverfügen!

Die Wiederauferstehung der Bibliothek von Alexandria

Das Internet eröffnet faszinierende Perspektiven, unser kulturelles Erbe zu sichern,zugänglich und nutzbar zu machen. Eine der faszinierendsten Ansätze ist das vomProgrammierer und Unternehmer Brewster Kahle ins Leben gerufene Internet Archive.Kahle war es ein Dorn im Auge, dass zwar zahlreiche Kopien der meisten Ausgaben dermeisten Zeitungen weltweit Jahrzehnte zurück verfügbar sind, es aber nur eine einzigeKopie des Internet geben soll, nämlich die aktuelle. Kahle begann daher 1996, so genannte

„Roboter“-Programme auszuschicken, die sich durch das Netz arbeiteten und die aufge-fundenen Seiten speicherten. Heute verfügt das Archiv über mehr als 55 Milliardengespeicherte Webseiten aus den letzten zehn Jahren, die über die so genannte „WaybackMachine“ aufrufbar sind. Sicher: Die Roboter besuchen jede Seite in relativ unregelmäßigenund vor allem eher zufälligen Abständen, sodass schon erhebliche Lücken entstehen. Aberdas entscheidende am Internet Archive ist nicht so sehr die derzeitige Umsetzung. Dasentscheidende ist die Vision: Die legendäre Bibliothek von Alexandria, eines der Weltwunderder Antike, soll wieder möglich werden.21

Diese Bibliothek enthielt in der hellenistischen Zeit die größte Sammlung von Schriftender antiken Welt und galt als Zentrum des gesamten Wissens der Menschheit zu dieser Zeit.Das Internet Archive nimmt bewusst Bezug darauf – eine Sicherungskopie des eigentlich inKalifornien angesiedelten Archivs befindet sich in der 2002 eröffneten Neuen Bibliothek vonAlexandria. Es ist heute grundsätzlich technisch machbar, praktisch alle Bücher, Tondokumente,Filme und Bilder, die derzeit verfügbar sind, digital zu archivieren. Das Internet Archive sollhier einen Anfang machen. Die gespeicherten Webseiten machen einen Datenumfang voneiner Million Gigabyte aus, und jedes Monat kommen 20.000 Gigabyte dazu. Zusätzlichfinden sich im Archiv 30.000 Texte, 91.000 Musik-Dateien, 39.000 Filme und 38.000 Live-Konzert-Mitschnitte, allesamt solche, bei denen das Copyright abgelaufen ist oder die ausanderen Gründen frei zugänglich und verwendbar sind.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Das Internet Archive ist das bekannteste, aber bei weitem nicht das einzige Projekt indieser Richtung. So digitalisiert etwa die BBC ihr Archiv und plant, es zumindest britischenFernsehgebührenzahlerInnen frei zugänglich zu machen. Mehrere europäische National-bibliotheken, darunter auch die österreichische, haben gemeinsam mit einem Plan zurDigitalisierung ihrer Bestände begonnen. Auch kommunale öffentliche Bibliotheken wiedie Linzer Stadtbibliotheken, die nicht gewinnorientiert sind, können bei der Sicherungunseres kulturellen Erbes eine zentrale Rolle spielen.

Andere Projekte haben sich damit beschäftigt, verlorenes Material wieder aufzufinden.Videobänder waren etwa früher teuer – teuer genug um selbst in den Archiven vonFernsehanstalten mehrmals verwendet zu werden. Mit jeder Überspielung ging dabeinatürlich das verloren, was vorher auf dem Band drauf war. Die BBC konnte mit demProjekt „Treasure Hunt“ zahlreiche verloren geglaubte Sendungen über private Aufnahmenzurückerlangen. Das Paradoxe dabei: Eigentlich handelte es sich um Raubkopien, die dasCopyright der BBC verletzten. Als der Internet-Blog „Corante Copyfight“ darüber berichtete,meldete sich in einem Kommentar die Tochter eines puertoricanischen Musikers zu Wort,die viele Werke ihres Vaters nur durch Sammler wiederentdecken und bewahren konnte– ebenfalls Raubkopien, die eigentlich ihr ererbtes Copyright verletzten.22

In Büchern googeln

In eine etwas andere Richtung geht eine neue Anwendung der Suchmaschine Googlenamens „Google Buchsuche“ (die mittlerweile als Beta-Version zur Verfügung steht). Dabeisoll es möglich sein, in den vollen Texten von Büchern nach Stichwörtern zu suchen. DasSuchergebnis ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Buch, bei urheberrechtlich geschütztenWerken nur ein paar Sätze rund um das Suchergebnis. Verlage können Bücher an Googlemelden, die suchbar gemacht werden sollen. Um aber rasch eine möglichst große Zahl ansuchbaren Büchern zu erhalten, hat Google begonnen, die Bestände mehrerer großerUniversitätsbibliotheken zu scannen. Prompt haben die Association of American Publishersund die Authors Guild of America geklagt: Das verletze ihr Copyright, denn das Speichernder Bücher auf Googles Servern sei eine unerlaubte Kopie. Google argumentiert, dieöffentlich zugänglichen Suchergebnisse seien nur Zitate, also „Fair Use“. Außerdem fördereman dadurch ja eher die Interessen der Urheber/innen, weil das Erscheinen eines Buchesin einem Suchergebnis ja zweifelsohne Werbung dafür sei. Urteil gibt es noch keines.

Thema

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02 | KREATIVITÄT IN FESSELN

Das Speichern von Inhalten im Internet Archive und ähnlichen Datenbanken ist wiejede andere Archivierung auch wohl „Fair Use“ und rechtlich gedeckt. Doch beim Verwendendort gefundener „Schätze“ für neue Kreationen sollten Sie auch besser vorsichtig sein. Undso bewegen sich viele ähnliche Projekte im Graubereich. Sie verhindern bis zu einemgewissen Grad das Verlorengehen nicht mehr kommerziell genutzter Inhalte, was wichtiggenug ist. Denn wie der Verleger Tim O’Reilly – eigentlich ein Vertreter der Medienindustrie– meint: „In Vergessenheit zu geraten, ist eine viel größere Gefahr für einen Autor alsCopyright-Verletzungen oder sogar Raubkopiererei.“23 Sie ermöglichen aber immer nochnicht, dass solche Inhalte auch aktiv „weiterleben“ dürfen, dass sie als Grundlage für neuGeschaffenes dienen können, dass sie Teil eines großen und reichhaltigen „Public Domain“,einer modernen „Allmende“ sind.

Ein neuer „Public Domain“

Die Schaffung eines größeren und reichhaltigeren „Public Domain“ hat sich einer derweltweit profiliertesten Experten für Rechtsfragen rund um das Internet auf die Fahnengeheftet: Lawrence Lessig, Jurist und Professor an der Stanford Universität. Im Jahr 2003versuchte er vor dem Obersten Gerichtshof der USA in einen Fall namens „Eldred gegenAshcroft“ die Aufhebung der pauschalen Verlängerung aller Copyrights aus dem Jahr 1998zu Fall zu bringen. Obwohl er scheiterte, erregte der Fall große Aufmerksamkeit für dasauch in diesem Buchkapitel zentrale Problem.24

Lessig legt Wert darauf, nicht grundsätzlich gegen Urheberrechte zu sein und diekommerzielle Verwertung von Werken sehr wohl schützenswert zu finden. Aber die Balancesei verloren gegangen, und sein Anliegen sind die 96% aller Werke, die ihr „kommerziellesLeben“ schon hinter sich haben. Daher schlug er nach der Niederlage vor dem OberstenGerichtshof zwei sehr simple Gesetzesänderungen vor: Das Copyright solle vorerst auffünfzig Jahre beschränkt sein. Danach solle es möglich sein, es auf die in den USA heuteüblichen 75 Jahre zu verlängern, und zwar durch Registrierung und Bezahlung einer äußerstgeringen Gebühr von einem Dollar. Natürlich ist ein solches Registrierungssystem auchmit Kosten verbunden. Doch, so Lessig, weniger als die Kosten, die notwendig seien, umCopyrights zu klären, deren Inhaber/innen unbekannt sind. Immerhin könnte ein solchesRegistrierungssystem die schon angesprochene Unsicherheit beseitigen. Die Medienindustrie,allen voran die Motion Picture Association of America (MPAA), lehnte den Vorschlag abund erreichte damit, dass der Vorschlag nie im Kongress eingebracht wurde. Obwohl derVorschlag von den von der MPAA vertretenen Konzernen nicht mehr verlangt hätte, als

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

nach 50 Jahren Copyright einen Dollar zu bezahlen und ihr Recht zu registrieren. Wasfür Lessig nur einen Schluss zuließ: „Ihr Ziel ist nicht einfach zu schützen, was ihnen gehört.Ihr Ziel ist, dass es nichts mehr gibt, was nicht ihnen gehört.“25

Nicht auf bessere Zeiten warten, starten!

Wer nicht die Geduld aufbringt, auf politische Veränderungen in diesem Feld zu warten,muss eben selbst für eine größere „Allmende“ sorgen. Das dachte sich Lessig wohl 2001,als er die Initiative „Creative Commons“ ins Leben rief. Diese Non-Profit-Organisationbietet auf ihrer Webseite verschiedene so genannte „Open Content Lizenzen“ an.26 SolcheLizenzen sind aufgrund der Konstruktion des Urheberrechts notwendig, um Inhalte „freizu lassen“. Denn ein Copyright erhält eine Urheber/in automatisch, ohne dass sie esverlangen oder auf dem Werk angeben muss. Wer also ein Werk der Öffentlichkeit freizur Verfügung stellen möchte, muss das ausdrücklich erklären. Nur juristisch auch haltbare

„Lizenzen“ geben dabei einem/einer zukünftigen Nutzer/in die Rechtssicherheit, die er/siefür eine Verwendung für eigene kreative Werke braucht.

Dabei machen sich alle Open Content Lizenzen das Copyright zu Nutze, schlagen essozusagen mit den eigenen Waffen: Denn Teil des Urheberrechts ist es, dass Sie selbstbestimmen können, unter welchen Bedingungen andere Ihre Kreationen nutzen dürfen.Eine „Lizenz“ ist also einfach ein juristischer Text, den Sie Ihrem Werk beifügen und indem Sie als Urheberin oder Urheber festlegen, was andere mit Ihrem Werk unter welchenBedingungen tun dürfen oder nicht tun dürfen. So können Sie zum Beispiel bestimmen,dass Bearbeitungen Ihres Werkes nur dann erlaubt sind, wenn diese auch wieder derÖffentlichkeit frei zugängig gemacht werden. Dieses Prinzip trägt den klingenden Namen

„Copyleft“ oder auch „Share Alike“ und wurde so wie die ersten Open Content Lizenzenüberhaupt ursprünglich für Freie Software entwickelt. Verzichtet man auf das Copyleft-Prinzip, so entsteht bei einer Bearbeitung ein neues Urheberrecht und das so entstandeneWerk könnte auch voll geschützt werden. Sinn des „Share Alike“ ist es also, die Entstehungeiner großen Zahl an freien Inhalten zu propagieren, und zwar „frei“ im Sinn von „Freiheit“,nicht im Sinn von „Freibier“, wie der große Guru der Freien Software-Bewegung, RichardStallman, immer wieder betont. („Free as in ‚free speech’, not as in ‚free beer’.“27)

Für das Projekt GNU/Linux der Free Software Foundation (FSF), das die Schaffungeiner umfangreichen Welt Freier Software verfolgt, entstanden zwei heute bedeutsameLizenzen, die dem Copyleft-Prinzip folgen: Die GNU General Public Licence (GPL) für

Thema

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Software und die GNU Free Documentation Licence (GFDL), ursprünglich für begleitendeDokumente wie Handbücher gedacht.28 Die GFDL ist vor allem deswegen heute vongrößter Bedeutung, weil die gesamten Inhalte der Wikipedia mit ihr lizenziert sind. Diesefreie Enzyklopädie, die von den Benutzer/innen selbst geschaffen wurde (und nach wie vorwächst und überarbeitet wird), umfasst mittlerweile mehr als vier Millionen Artikel inmehr als 100 Sprachen.

Maßgeschneiderte Lizenz in drei Schritten

Ziel von Creative Commons ist es vor allem, die Auswahl einer passenden Lizenz für dieeigenen Werke so einfach wie möglich zu machen. Daher gibt es die Lizenzen auch – imGegensatz zur GFDL – in verschiedenen Sprachen und sogar an verschiedene nationaleRechtslagen angepasst. Der/die Nutzer/in kann zwischen unterschiedlich restriktivenVarianten wählen: Er/sie kann die Nutzung für kommerzielle Zwecke verbieten. Der/dieNutzer/in kann anderen verbieten, sein/ihr Werk zu bearbeiten und damit die Nutzungauf originalgetreue Wiedergabe beschränken. Er/sie kann andere verpflichten, Bearbeitungenwieder unter derselben Lizenz öffentlich zugänglich zu machen, also das Copyleft-Prinzipdurchsetzen. Natürlich können diese Bedingungen auch miteinander kombiniert werden.Und immer dabei ist die Verpflichtung zur Namensnennung.

Darüber hinaus bietet Creative Commons immer mehr Speziallizenzen an: So könnenSie Bearbeitungen nur in Entwicklungsländern frei zulassen, eine spezielle Lizenz für das

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Namensnennung: markiert durch das Kürzel „by“ und dem Text „BY:“ in einemKreis

Keine kommerzielle Nutzung: „no commercial use“, markiert durch das Kürzel„nc“ und einem durchgestrichenen Euro- oder Dollar-Symbol in einem Kreis

Keine Bearbeitungen: „no derivatives“, markiert durch das Kürzel „nd“ undeinem Gleich-Zeichen in einem Kreis

Copyleft: „share alike“, markiert durch das Kürzel „sa“ und einem umgekehrtenCopyright-Zeichen mit einer Pfeilspitze

Übersicht: Creative Commons

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Samplen von Musik auswählen oder besonders den Einbau in „collective works“ wie dieWikipedia ermöglichen. Die Auswahl der konkreten Lizenz erfolgt über ein einfachesFormular mit den relevanten Fragen – nach ein paar Klicks kommt schon das dreiteiligeErgebnis: Erstens der eigentliche juristisch ausformulierte Lizenztext, der zum Beispiel ineinen Text eingefügt oder auf einer Webseite verlinkt werden kann. Zweitens eineKurzversion für Laien, die den juristischen Text sozusagen in eine allgemein verständlicheSprache übersetzt. Drittens eine maschinenlesbare Form der Lizenz, so genannte „Metadaten“– die Einfügung dieses Teils in die Webseite oder in die Datei sorgt dann dafür, dassspezielle Suchmaschinen für freie Inhalte fündig werden können. So können Sie beispielsweiseüber search.yahoo.com/cc gezielt nach Inhalten suchen, die über Creative Commonslizenziert wurden. Auch über google.com sind frei verwendbare Inhalte suchbar: KlickenSie auf „Erweiterte Suche“ und wählen Sie unter „Nutzungsrechte“ die Lizenzart aus, fürdie Sie Inhalte suchen möchten.

Viele Gründe, ein Werk „frei zu lassen“

Alle freien Lizenzen gehen davon aus, dass es hunderttausende Kreativschaffende gibt,die kein Problem damit haben, einige der mit ihrem Urheberrecht verbundenen Rechteaufzugeben (unter dem Motto „some rights reserved“) und ihre Werke „frei zu lassen“.Solange sie daran denken und solange es nicht furchtbar kompliziert ist. Manche wollendamit einfach ein Zeichen für mehr kulturelle Freiheit und gegen die restriktiven Copyright-Regeln setzen. Manche legen auf kommerzielle Verwertung keinen Wert, weil sie nur ausSpaß Kreatives erschaffen. Manche wollen ihre Werke möglichst weit verbreiten, umvielleicht Bekanntheit zu erlangen und „entdeckt“ zu werden. Manche veröffentlichensogar sowohl unter einer freien Lizenz im Internet als auch unter herkömmlichem Copyrightin gedruckter Form und nutzen die im Internet erzielbare Publicity, um die Verkaufszahlenihrer gedruckten Variante zu erhöhen. In Zeiten, in denen der Buchhandel die Präsenta-tionsflächen für Nicht-Bestseller immer mehr reduziert, eine clevere Marketing-Variante.Das gelang beispielsweise dem Science Fiction Autor Cory Doctorow. Sein Erstlingswerk

„Down And Out In The Magic Kingdom“ wurde sowohl gedruckt als auch mit CreativeCommons Lizenz im Internet veröffentlicht. Das gedruckte Buch verkaufte sich über10.000 Mal, der Durchschnitt für Erstlingswerke in diesem Genre liegt bei 3.000 bis5.000.29 Offensichtlich gab es mehr Menschen, die sich durch die Internet-Variante zumKauf bewegen ließen, als solche, die aufgrund der Gratisvariante nicht kauften.

Thema

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Das Beispiel zeigt: Free Content Lizenzen sind nicht geschäftsfeindlich, ganz im Gegenteil:Kreative Ideen, wie auch mit freien Inhalten Geld verdient werden kann, sind gefragt. Esgibt etwa Abodienste, bei denen Menschen dafür zahlen, dass freie Inhalte geordnet undgezielt zusammengestellt werden. Dasselbe ist für CDs oder DVDs mit Sammlungen freierInhalte denkbar, ebenso für gedruckte Sammelbände. Außerdem haben die allermeistenAutorInnen auch bisher schon nicht nur (oder sogar nicht hauptsächlich) von Bücher-(oder CD-)Verkäufen gelebt, sondern von Auftritten, Auftragswerken oder öffentlichenFörderungen. Übrigens wieder ein Bereich, in dem die kommunale Politik viel bewegenkann, auch wenn sie das Urheberrecht selbst nicht beeinflussen kann. Denn als wesentlicheVeranstalterin, Auftraggeberin und Förderin kann die Kommune gezielt die Produktionfrei lizenzierter Inhalte unterstützen, ja, auch verlangen!

Einen ersten Test unter „echten“ Bedingungen haben die Creative Commons Lizenzenspätestens Anfang 2006 bestanden: Adam Curry, ein Podcasting-Pionier, hatte Familienfotosunter einer Creative Commons Lizenz im Internet veröffentlicht, und zwar die Share-Alike-Variante mit Ausschluss kommerzieller Nutzung. Als das holländische Boulevardmagazin

„Weekend“ einen Bericht über Currys fünfzehnjährige Tochter mit genau diesen Fotosgarnierte, erkannte ein Amsterdamer Gericht auf eine Lizenzverletzung: Die Nutzung warklar kommerziell, und das Magazin musste pro Foto 1.000 Euro Strafe an Curry zahlen.Die Strafe war wohl eher gering, aber die grundsätzliche juristische Haltbarkeit der CreativeCommons Lizenzen ist damit bewiesen.

Kritik an Creative Commons

Natürlich gibt es auch Kritik an den Creative Commons. PuristInnen bemängeln, dassdie zahlreichen Varianten eigentlich keine einheitliche gemeinsame Freiheit garantierenaußer der Kostenlosigkeit – womit wir aber näher beim Freibier als bei der freienMeinungsäußerung sind. Die Einschränkung „keine kommerzielle Nutzung“, auf denersten Blick sehr plausibel, macht auf den zweiten Blick besondere Probleme: Denn derVerbot jeder Nutzung, die „hauptsächlich auf einen geschäftlichen Vorteil oder einevertraglich geschuldete geldwerte Vergütung abzielt“, verhindert etwa die Nutzung aufWebseiten, die zur Selbstfinanzierung Werbebanner verkaufen oder Abo-Systeme verwenden.Die Wikipedia weigert sich daher, solche Inhalte einzubauen, da zahlreiche kleine privateSeiten mit geringfügiger Werbefinanzierung Wikipedia-Inhalte spiegeln und das dann nichtmehr tun könnten. Kritiker/innen meinen, dass eine richtige kommerzielle Ausbeutungeines kostenlos zur Verfügung gestellten Inhalts sowieso ausgeschlossen sei und jedenfalls

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eine Share-Alike-Lizenz ausreiche, um das zu verhindern. Die Creative Commons Webseiteweist jedenfalls nicht auf diese Überlegungen hin, und so wird es wohl oft so sein, dassKreativschaffende die ja recht gut klingende „nc“-Lizenz wählen, ohne sich all dessenbewusst zu sein.

Ein weiteres „technisches“ Problem: Share-Alike-Lizenzen erreichen ihr Ziel dadurch,dass sie verlangen, dass Ableitungen unter „derselben“ Lizenz weiter veröffentlicht werden.Das heißt aber, dass auch ein Umstieg von einer Share-Alike-Lizenz auf eine andereunmöglich ist, ebenso eine Kombination von Inhalten unter verschiedenen Share-Alike-Lizenzen. Zum Beispiel kann ein mit Creative-Commons lizenziertes Musikstück nichtmit einem unter der GFDL lizenzierten Text kombiniert werden. Eine Lösung diesesProblems ist aber in Sicht: Lawrence Lessig hat vorgeschlagen, dem „Software FreedomLaw Center“ die Gleichwertigkeit von Lizenzen festlegen zu lassen und dies in die Lizenzeneinzubauen.

Goldene Nica 2004 an Creative Commons

Andere Kritik ist schwerer nachzuvollziehen: Dass Creative Commons im Vergleich zueiner generellen Lockerung des Copyrights nur eine „zweitbeste“ Lösung ist, werden nichteinmal dessen Gründerinnen und Gründer zurückweisen. Ob es deshalb gleich eine echtepolitische Lösung verhindern kann, ist wohl mehr als fraglich. Jedenfalls dürften dieJurorinnen und Juroren des Linzer Prix Ars Electronica anderer Meinung gewesen sein,denn sie vergaben 2004 die goldene Nica in der Kategorie „Net Vision“ an das CreativeCommons Projekt. Ein Grund mehr, den Neubau des Linzer Wissensturmes und dasKulturhauptstadtjahr 2009 auch dafür zu nutzen, die Schaffung einer neuen „Allmende“,die Vergrößerung des Pools an frei und öffentlich zugänglichen Werken zu fördern.

Thema

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„Vorbildwirkung beginntauf der lokalen Ebene“

Interview: Lawrence LessigLawrence Lessig ist einer der weltweit profiliertesten Experten zum Thema „Recht und Internet“.Er ist Professor an der Stanford Law School, zuvor lehrte er an der Harvard Law School und an derUniversität von Chicago. Er ist Autor zahlreicher Bücher, darunter „Code und andere Gesetze desCyberspace“ (2000) sowie „Freie Kultur“ (2004). Lessig ist Gründungsmitglied und Vorsitzenderder Initiative „Creative Commons“, für die er und die anderen Gründer/innen bereits mehrere Preiseerhielten, darunter im Jahr 2004 die Goldene Nica des Linzer Prix Ars Electronica in der Kategorie

„Net Vision“. Lessig setzt sich vehement gegen zu restriktive Urheberrechtsbestimmungen fürimmaterielle Güter ein.

Foto: http://www.wizards-of-os.org/presse/pressebilder.html

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Interview

Warum haben Sie und die anderenGründer/innen Creative Commons insLeben gerufen?

Lawrence Lessig: Wir haben uns von EricEldred30 inspirieren lassen und wollten juris-tische Methoden finden, um einige derHindernisse zu beseitigen, die das Gesetzkreativen Prozessen in den Weg legt. EinigeProbleme können nur durch Gesetzesänder-ungen gelöst werden. Aber andere, glaubenwir, können privat gelöst werden.

Wie viele Publikationen sind bisher untereiner Creative Commons-Lizenz veröffent-licht worden?

Lawrence Lessig: Wir führen kein eigenesRegister. Stattdessen verfolgen wir „Backlinks“(„Rück-Verlinkungen“, Anm.) auf unsereLizenzen. Die wachsende Zahl dieser Back-links ist ein Indikator dafür, wie weit unsereLizenzen verbreitet sind: Im Dezember 2003waren es etwa eine Million, im Dezember2004 4,5 Millionen, im Dezember 2005 44Millionen und im Juni 2006 schon 137Millionen!

Es gab ja schon vor Creative Commonsoffene Lizenzen. Was also war neu daran?

Lawrence Lessig: Unsere waren die ersten,die drei Lizenzierungsstrategien zusammen-führten: Als erste Ebene eine in allgemein

verständlicher Sprache gehaltene Zusammen-fassung der Freiheiten, die mit einer Lizenzverbunden sind. Auf einer zweiten Ebeneist die eigentliche Lizenz, und auf einerdritten Ebene Meta-Daten, die man in denInhalt einbauen kann, um die gewährtenFreiheiten auch maschinenlesbar zu ma-chen.31 Anders gesagt: Wir glauben, dassunsere Lizenzierunsg-Strategie die erste ist,die speziell für das Internet konstruiertwurde.

Kritikerinnen und Kritiker merken oftan, dass es keine allen Creative Commons-Lizenzen gemeinsame Freiheit gibt, außerder, dass die so lizenzierten Inhalte gratiszur Verfügung stehen. Dadurch kommedas eher der Freiheit im Sinn von „Freibier“nahe als der Freiheit im Sinn von „freieRede“. Was antworten Sie ihnen?

Lawrence Lessig: Es stimmt, dass es keineeinzelne Freiheit gibt, die in allen unsererLizenzen gewährt wird - obwohl es in unser-en sechs Kern-Lizenzen auch einen Kernvon gemeinsamen Freiheiten gibt. Und esstimmt, dass einige diese Tatsache kritisieren.Aber was in ihrer Kritik fehlt, ist ein über-zeugendes Argument, dass „Freiheit“ füralle Formen von Kreativität dasselbe bedeut-en soll. Unser Prinzip ist, dass Communitiesselbst definieren, welche Freiheiten für siewichtig sind. Sie bestimmen ihre Prinzipienselbst, auf der Basis guter Argumente. Wir

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stellen das Werkzeug dafür zur Verfügung.

Was ist dabei mit der Variante „keinekommerzielle Nutzung“: Ist es nicht mög-lich, dass kleine Webseiten, die sich mitAnzeigen oder Abonnement-Gebührenfinanzieren, von der Nutzung eines be-stimmten Werks ausgeschlossen sind, ob-wohl die Urheberin das gar nicht aus-schließen wollte – einfach weil sie nichtweiß, dass die Lizenz eine solche Nutzungverbietet, und der Titel der Lizenz so gutklingt?

Lawrence Lessig: Ich glaube nicht, dass dieEinschränkung „keine kommerzielle Nutz-ung“ jede Werbung auf einer Seite verbietet,aber Sie haben Recht, dass wir mehr tunmüssen, um die Bedeutung von „keine kom-merzielle Nutzung“ klarer zu machen. Wirhaben damit begonnen, einen Entwurf für

„Non Commercial“-Richtlinien zu disku-tieren. Wir werden mehr in diese Richtungunternehmen, sobald wir wissen, wie dieLeute diesen Begriff auslegen.

In Ihrem Buch „Freie Kultur“ zeigen Sie,dass der derzeitige „Krieg“ der Medienin-dustrie gegen eine neue Technologie nichtder erste ist: Sie haben den Videorekorderbekämpft, das Radio, das Kabelfernsehen.Sie waren aber noch nie so erfolgreich.Was ist heute anders?

Lawrence Lessig: Der Unterschied ist ein-fach, dass der „Feind“ in diesem Krieg nor-male Bürgerinnen und Bürger sind, undnicht andere Unternehmen.

Wäre es nicht notwendiger, den TrendRichtung immer mehr Konzentration inder Medienindustrie zu bekämpfen, so-zusagen als „Wurzel“ des Problems, an-statt beim Urheberrecht anzusetzen, das

„Ergebnis“ dieser Macht ist?

Lawrence Lessig: Ich denke diese beidenDinge sind miteinander verwoben, müssenaber jedes für sich angegangen werden. Ichwürde nicht sagen, dass das eine Problemdas andere verursacht, aber eines ergänztnatürlich das andere. Die Konzentration istteilweise genau deswegen gefährlich, weildas Urheberrecht so stark ist.

Am 5. Oktober 2004 schrieb Newsweek:„Sogar die RIAA32 kann in der Theorienichts Schlechtes an Creative Commonsfinden.“ Gibt es da eine Gefahr bei Crea-tive Commons, dass es als Ausrede dient,das Urheberrecht eben nicht zu verändern,weil es zeigt, dass ja alle leicht auf ihreRechte verzichten können, wenn sie daswollen?

Lawrence Lessig: Das ist eine Gefahr, aberdie größeren Gefahren liegen in den Einstel-lungen, die diese Debatte davor dominiert

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Interview

haben. Wir glauben, dass der Lizenzen-Mixvon Creative Commons dazu beiträgt, dassviele Menschen verstehen, dass Urheberrechtein komplexes Thema ist, und dass sie sichgegen den vereinfachenden Extremismuswehren, der diese Debatte oft beherrscht.

Ist mit Creative Commons auch eine polit-ische Forderung verbunden?

Lawrence Lessig: Die einzige Forderung,die wir stellen, ist, dass Autoren oder Schöp-fer die Freiheit haben sollen, selbst zu be-stimmen, welche Freiheiten mit ihren krea-tiven Werken verbunden sein sollen, unddass nur so viel Kontrolle ausgeübt wird wienotwendig.

Sie betonen immer, dass Sie absolut nichtgegen den Markt sind, und Sie akzeptierendamit die Prämisse, dass die Aussicht aufProfit ein starker Anreiz für Kreativitätist. Können Sie sich langfristig auch einanderes, ein öffentlicheres System vorstel-len?

Lawrence Lessig: Ich hoffe nicht. Ich glaube,der wirkliche Vorzug des privaten Systemsist, dass es – im Prinzip – eine demokratischeForm von Kreativität fördert. Das ist diebahnbrechende Erkenntnis in Neal NetanelsArbeiten über das Urheberrecht.

Was könnte eine Kommune wie Linz zurFörderung einer „freien Kultur“ tun, dasie ja keine Gesetze ändern kann?

Lawrence Lessig: Das wichtigste ist dieVorbildfunktion. Jede öffentliche Institutionkann den wichtigen Schritt machen, für dieeigene Arbeit Freiheiten zu gewähren unddas auch sichtbar zu machen. Und sie kanndie Künstler, die sie unterstützt, dazu ani-mieren, dasselbe zu tun. Wir brauchen eineausgleichende Kraft, um den Rahmen fürdiese Debatte zu schaffen, und dazu brau-chen wir Vorbilder. Vorbildwirkung aberbeginnt auf der lokalen Ebene. Linz istgenau die richtige Ebene dafür!

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Jeder Freie Zugang zuWissen und Kultur belebtdas kreative Potential“

Interview: Hubert HummerDer ausgebildete Lehrer und studierte Soziologe Hubert Hummer ist Direkter der Linzer Volkshochschuleund wird als solcher ab September 2007 die Leitung des Linzer „Wissensturms“ – der gemeinsamenneuen Heimstätte von Hauptbibliothek, Volkshochschule und Linzer Medienwerkstatt – übernehmen.

Foto: Magistrat Linz

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Interview

Die Universität Linz bietet Rechtswissen-schaften bereits als Mulimedia-Studiuman. Wann kommt der erste Volkshochschul-kurs als Live-Stream ins Internet?

Hubert Hummer: Im Wissensturm wird einKonzept der Integration von Volkshochschule,Stadtbibliothek und Medienwerkstatt verfolgt.Die Ressourcen der Medienwerkstatt sollendabei durch den Aufbau eines Bildungskanalsfür Lernzwecke genutzt werden, um beispiels-weise Vorträge, Diskussionen und Kurse viaFernsehen und/oder Internet einer breitenÖffentlichkeit zugänglich zu machen. Wirstreben einen eigenen Fernsehkanal für dasLinzer Kabelnetz an. Die materiellen, finanz-iellen und organisatorischen Rahmenbeding-ungen müssen aber erst geklärt werden. EinBildungskanal bindet nicht nur Hardware,er verursacht auch direkte Kosten und mussorganisatorisch betreut werden. Im Zusam-menhang mit dem Urheberrecht muss auchdie Frage der Honorierung der Vortragendengeklärt werden, vor allem dann, wenn derVortrag nicht nur live übertragen sondernauch über das Internet „on demand“ bereit-gestellt wird. Trotz dieser ungelösten Fragenverfolgen wir das Konzept weiter, weil miteinem vergleichsweise geringen Aufwand einerheblicher Zusatznutzen generiert werdenkönnte. Darüber hinaus erfolgt die Nutzungdes Internets beim geplanten Ausbau einerschon im Betrieb befindlichen Lernplattform,vorerst ausschließlich im Bereich der Berufs-

reifeprüfung. Je nach Möglichkeit ist an eineVerbreiterung des Einsatzes gedacht undElemente des e-Learnings sollen in weiteredafür geeignete Kursbereiche integriert werden.

Welche Perspektiven sehen Sie für die Stadt-bibliothek als digitale Bibliothek mit Web-portal, zu dem jeder Mensch von zu Hauseaus Zugang erlangen kann? Wäre für Sieauch eine Kooperation mit anderen Online-Bibliotheken denkbar?

Hubert Hummer: Die Stadtbibliothek Linznimmt voraussichtlich im Februar 2007 einneues und zeitgemäßes Bibliotheksverwalt-ungsprogramm in Betrieb. Zentrum deskünftigen barrierefreien Webauftritts wirdder neue Web-OPAC, der Online PublicAccess Catalogue, sein. Ab diesem Zeitpunktwird es möglich, unabhängig von Ort undZeit in den Beständen zu recherchieren, Vor-bestellungen und Verlängerungen vorzu-nehmen und mit den Bibliotheksmitarbeiter-Innen elektronisch zu kommunizieren. Inden Web-OPAC können auch alle Arten vonelektronischen Ressourcen eingebunden wer-den, beispielsweise Datenbanken, Onlinezeit-schriften, Hyperlinks auf Volltexte, Buchbe-sprechungen, Bilddokumente, Audiofiles usw.Die Benutzer/innen können sich via Internetsogenannte SDIs - Selective Disseminationof Information - erstellen, also Interessens-profile definieren, zu denen sie regelmäßigüber einen Push-Dienst von den diesbezüg-

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lichen Neuerwerbungen der Bibliothek infor-miert werden.

Wie wird das virtuelle Angebot abgesehenvon diesen individuellen Interessensprofilengeordnet?

Hubert Hummer: Das gesamte virtuelleAngebot wird analog den Medien sogenann-ten Sachbereichen – zum Beispiel Gesellschaft& Politik - zugeordnet, in denen gemeinsamrecherchiert werden kann. Zur Entwicklungder digitalen Bibliothek wird es auch er-forderlich sein, in zunehmendem Ausmaßelektronische Bücher, elektronische Journale

- elektronische Volltextversionen von Zeit-schriften und Zeitungen -, interaktive Nach-schlagewerke und Wörterbücher, Hörbücherzum befristeten Download, Linksammlungenzu bestimmten Themen und Zugänge zuDatenbanken zur Verfügung zu stellen. EineKooperation mit anderen Online-Bibliothek-en ist wie Divibib (http://www.divibib.com)

oder mit der Deutschen Internetbibliothek(http://www.internetbibliothek.de)

Printout-Service bedeutet, dass Nut-zer/innen die von der Bibliothek zurVerfügung gestellten digitalen Inhalte bin-nen Minuten in Buchform vergegenständ-lichen und ausleihen können. Halten Siedieses Service für ein mögliches Zusatzan-gebot für die Stadtbibliothek?

Hubert Hummer: Print-on-demand Ange-bote werden bereits über das Internet ange-boten und vertrieben, die Vermittlerfunktionder Bibliothek erscheint daher vor allem injenen Bereichen sinnvoll, in denen die Biblio-thek entweder Mehrwertdienste oder günst-igere Tarife an ihre Benutzer/innen weiter-geben kann. Sinnvoll ist auch die Verbreitungvon Inhalten, an denen die Bibliothek oderdie Volkshochschule selbst die Rechte hat,wie zum Beispiel die hauseigenen Kursunter-lagen. Dokumente in Buchform im Sinneeines Bindedienstes für ausgedruckte Doku-mente wird die Stadtbibliothek aus Ressour-cengründen aber vorerst nicht anbieten.Durch die noch ungeklärte rechtliche Situa-tion sind Dokumentenlieferdienste von Bi-bliotheken übrigens gefährdet. So bekämpftdas schon seit Jahren erfolgreiche SUBITO(http://www.subito-doc.de/) ein Gesetz, dasdie elektronische Weitergabe von Doku-menten aus dem Bibliotheksbestand verbietensoll. Tritt das Gesetz in Kraft, ist ein weitererKonkurrent der kommerziellen Angeboteausgeschaltet.

Sehen Sie im österreichischen Urheberrechts-gesetz aufgrund der langen Schutzfristen(bis 70 Jahre nach Tod des Urhebers) einHindernis für die Produktion neuer Werkeund neuen Wissens?

Hubert Hummer: Einerseits sichert derSchutz der Werke den UrheberInnen eine

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Interview

gerechtfertigte Existenzgrundlage, und dasist gut so. KünstlerInnen, Wissenschaftler-Innen oder Verlagen steht es außerdem frei,Inhalte frei verfügbar zu machen. Andererseitsstellt sich die Frage, ob 70 Jahre nicht zulange sind und Erben wirklich profitierensollten. Es stellt sich auch die Frage, ob dieVerbreitung des Internets nicht ein Grundwäre, das derzeit gültige Urheberrecht zuüberdenken. Ein hoher Prozentsatz ge-schützter Werke bringt vermutlich keinenkommerziellen Nutzen mehr und auch dieRolle der Medienindustrie ist kritisch zuhinterfragen. Unabhängig von der Dauer derSchutzfrist gibt es sicherlich Bestände, derenDigitalisierung sinnvoll wäre. Für kleineEinrichtungen wie die Stadtbibliothek Linzsind derartige Vorhaben aber nur in Ko-operation mit anderen Einrichtungen denkbar.Kleine Einzelprojekte sind vor allem gefährdetdurch mangelndes technisches Know-howder Mitarbeiter/innen, zu teure Hardware-Anforderungen und vor allem durch einemangelnde Kontinuität bei der ständigenMigration in aktuelle Datenformate, derQualitätssicherung und der Erschließung derDaten. Kooperationen auf internationalemNiveau haben sich hier bewährt. So bemühtsich in Österreich die Österreichische National-bibliothek um die Digitalisierung und hatauch den Auftrag der Webarchivierungübernommen. Sie ist dabei Mitglied voneuropaweiten und internationalen Projekten.

Glauben Sie, dass besserer Zugang zu ur-heberrechtsfreiem Wissen das kreative Po-tential der Bevölkerung in Linz forcierenwürde?

Hubert Hummer: Vorweg, jeder freie Zu-gang zu Wissen und Kultur belebt das kreativePotential. Das Internet bietet bereits eineMenge mittels Copyleft freigegebenes Wissen.Ohne Kenntnis einschlägiger Untersuch-ungen kann aber angenommen werden, dassdas kreative Potential nicht linear mit diesemZugang steigt. Das hängt mit den Prozessenvon Kreativität und ihrer Sichtbarmachungzusammen, der Diskurs spielt nach wie voreine entscheidende Rolle. Technische Hilfs-mittel eröffnen viele Möglichkeiten, ersetzenaber nicht die gesellschaftliche, menschlicheund politische Dimension, die ebenfallsVoraussetzung für die Schaffung neuer krea-tiver Werke ist. Wie auch immer, der bessereZugang zu urheberrechtsfreiem Wissen istjedenfalls eine wichtige Aufgabe einer öffent-lichen Bibliothek, die Open Access inklusiveHardware und Beratung zur Verfügung stellt.

Aber welche Rolle können Bibliotheken indiesem Spannungsfeld zwischen urheber-rechtlichem Schutz auf der einen und demAuftrag möglichst freien Zugang sicherzu-stellen auf der anderen Seite spielen?

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Hubert Hummer: Bei der Verwendung vonurheberrechtlich geschützten Werken stelltsich die relevante gesellschaftspolitische Frage,ob zwischengeschaltete, öffentliche Institu-tionen oder die Endnutzer/innen die diesbe-züglichen Kosten tragen sollen. An verschie-denen Universitätsbibliotheken weltweitwurde beispielsweise durch die Preisspiralebei unverzichtbaren Schlüsseljournalen - nichtzugunsten der AutorInnen sondern der Ver-lage und ihrer Dividenden - bei gleichzeitigsinkenden Budgets der Bestand soweit redu-ziert, dass konkurrenzfähige Forschung nichtmehr möglich ist. Durch die zunehmendeProblematisierung der Begrifflichkeiten, zumBeispiel „Original“, „Urheber“ oder „Plagiat“,und andererseits durch die Entwicklungenim Bereich „Sozialer Software“, die geringeretechnische Kenntnisse und weniger finanzielleMittel erfordert, könnte den Bibliothekenschon bald eine neue Rolle in der Förderungvon Wissensproduktion zuteil werden.

In der Stadt Linz steht einem offenen Zugangauf Daten der Stadtbibliothek und der Volks-hochschule die enge Einbindung in dasInformationstechnologie-Konzept der Stadt-verwaltung entgegen. So sehr diese Anbind-ung eine hohe Ausfallssicherheit und hoheQualität der Hard- und Software garantiert,so sehr wirken das für die sensiblen Datender Stadtverwaltung notwendige Sicherheits-konzept und die Corporate-Design-Vorgabeneinengend. Vor allem aber erfordern Digital-

isierungsprojekte Personal mit entsprechen-dem Fachwissen und Investitionen.

Welche Chancen sehen Sie hier speziell fürden neuen Wissensturm, die kulturelleLandschaft in Linz zu beleben?

Hubert Hummer: Im Leitbild der Volks-hochschule-Stadtbibliothek ist die kulturelleBildung und die kulturelle Förderung allerLinzerinnen und Linzer festgeschrieben, seitJahrzehnten wird diese Aufgabe auch invielfältiger Art und Weise wahrgenommen.Im Wissensturm, der unserer Einschätzungnach mittlerweile eine hohe Bekanntheit undAkzeptanz in der Bevölkerung besitzt, wirddiese Tätigkeit unter völlig neuen und europa-weit herzeigbaren qualitativen Rahmenbeding-ungen stattfinden. Kursbereiche, die üblicher-weise im Keller untergebracht sind, werdenin freundlichen, sonnendurchfluteten Räu-men mit toller Aussicht auf Linz stattfinden.Bei vielen Führungen konnten wir feststellen,dass das schon jetzt begeisterte Reaktionenauslöst. Die größte Herausforderung bestehtsicherlich darin, die durch das Gebäudegeweckten großen Erwartungen im Betriebauch einzulösen. Damit ist die gesamte

„Software“ und ihre Finanzierung angespro-chen. Enttäuschte Erwartungen wären geradeim Hinblick auf das Kulturhauptstadtjahr2009 kontraproduktiv. Denn Kultur undBildung sind siamesische Zwillinge und indiesem Sinne werden wir jene Bereiche weiter

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Interview

ausbauen, die den Zugang zu Kunst undKultur aufmachen und damit auch zumBesuch der diversen kulturellen Einrichtungenvon Linz, mit denen es schon jetzt eine guteZusammenarbeit gibt, anregen. Die Kooper-ation mit anderen Einrichtungen und Insti-tutionen, aber auch mit Einzelpersonen „ausder Szene“ wird immer wichtiger und imWissensturm neue Ausdrucksformen findenkönnen.

Welche Rolle werden die Volkshochschuleund die Stadtbibliothek im Kulturhaupt-stadtjahr Linz 2009 einnehmen?

Hubert Hummer: Das lässt sich derzeit nichtseriös beantworten. Die Programmierungliegt bekanntlich bei der Intendanz. Natürlichhat es schon Gespräche gegeben, Ergebnissegibt es aber noch nicht. Wir könnten unsvorstellen, dass der Wissensturm in mehrfa-cher Hinsicht eine Rolle spielt. Der Wissens-turm als „Willkommensturm“ etwa, immer-hin ist er sowohl für Bahnreisende als auchfür Leute, die mit dem Auto kommen, einmarkantes und symbolträchtiges Gebäude.Durch die hohe öffentliche Aufmerksamkeitund die moderne Infrastruktur könnte sichder Wissensturm auch dazu eignen, quasi als

„Gastraum“ für diverse Präsentationen undVeranstaltungen, auch wenn sie nicht vonuns getragen werden, zu dienen.

Gibt es auch schon konkrete Projekte, dieangedacht werden?

Hubert Hummer: Es gibt eine Reihe vonProjektideen, die vorerst als „Überschriften“an die Intendanz weitergeleitet wurden. EineIdee nennt sich „Turmblicke“: Besucher/-innen von Linz werfen vom Wissensturmunter der Devise „Kultur“, von der Franz–Jo-sefs-Warte unter der Devise „Natur“ und voneinem geeigneten VOEST-Gebäude unterder Devise „Industrie“ einen Blick auf Linz.Verbunden etwa mit einer Werksrundfahrtdurch die VOEST könnte das ein sehr attrak-tives - wenn auch etwas wetterabhängiges -Programm ergeben. Ein weiteres Projekt siehtdie Gestaltung einer überdimensionalen Lese-couch vor, die periodisch auf verschiedenenPlätzen in Linz aufgestellt wird, die Bedeutungdes Lesens unterstreicht und auf die Stadt-bibliothek aufmerksam machen, aber auchzum Surfen im Internet über Hotspots anre-gen soll. Aufblasbare und begehbare „Wissens-türme“ könnten die Bibliotheks- und VHS-Standorte in den Zweigstellen kennzeichnenund als dezentrale Infotheken wirken. Dassind nur einige Beispiele. Durch die Projektesollen nachhaltige Strukturen geschaffen undAnliegen von Linz 09 gefördert werden. Somöchten wir dazu beitragen, dass die Be-sucher/innen von Linz begeistert wieder nachHause fahren.

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PROJEKT: Webothek im Wissensturm

Web- oder E-Bibliotheken stellen gewöhnlich durch Suchfunktionen und Reservierungs-möglichkeiten einen ersten, digitalen Zugang zu einer realen Bibliothek her. Die Werkekönnen jedoch meist nicht vom/von der Betrachter/in gelesen, gehört oder gesehen werden.Mit der stark steigenden Verfügbarkeit freier Inhalte im Internet ist für Bibliotheken eineneue Herausforderung verbunden: Neben dem Zugang zum „realen“ Bücherbestand vorOrt wird es in Zukunft zur Aufgabe von Bibliotheken gehören, den digitalen Bücherbestandin den unendlichen Weiten des Internets auch für den Online-Laien zugänglich zu machen:d.h. die Bibliothek um eine Webothek zu erweitern.

Ein erster Schritt dafür ist die Erfassung und Strukturierung urheberrechtsfreier literarischer,musikalischer und visueller Werke und bei Bedarf deren Zwischenspeicherung auf lokalenServern. Dieser virtuelle Bestand an freien Inhalten soll nach bibliothekarischen Kriterienausgewählt und aufbereitet werden und damit die inhaltliche Grundlage der Webothekbilden. Im Zentrum steht dabei weniger die lokale Speicherung freier Inhalte, sondern dieZusammenführung und Pflege ohnehin verfügbarer freier Inhalte im Netz. Als laufendeAufgabe der Bibliothek - ganz im Sinne eines eigenen Beitrags zur globalen Wissensallmende– sollten aber die bereits digital verfügbaren Werke durch Digitalisierung freier Werke deseigenen Bestands angereichert und damit einem breiteren Publikum zur Verfügung gestelltwerden.

Um die Webothek möglichst attraktiv zu gestalten, muss sie umfangreiche Möglichkeitenzur Personalisierung individueller Nutzer/innen-Accounts bieten. Auf Basis der so imZeitverlauf erfassten Interessen kann die Webothek dann Vorschläge zum Lesen, Hörenund Sehen liefern, ähnlich wie das im kommerziellen Bereich beim Internet-KaufhausAmazon längst üblich ist. Außerdem können Nutzer/innen eigene Leselisten erstellen undFreunden weiterempfehlen.

Neben dieser rein technischen Service-Leistung liegt der bibliothekarische Schwerpunktsicher auf der Erstellung von Angeboten für verschiedenste Interessengebiete, die dieunglaubliche Vielfalt freier Inhalte auf ein konsumierbares Maß reduzieren. Dies kannbeispielsweise über virtuelle Büchertische erfolgen, die dann wiederum mit Angeboten ausdem realen Bücher- und Medienbestand der Bibliothek einfach ergänzt werden könnten.Das Angebot, freie Inhalte auch „offline“, also real verfügbar zu machen wäre dann dielogische Folge und ist Thema des zweiten vorgeschlagenen Projekts in diesem Kapitel.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

PROJEKTSKIZZE:

Projekte

- Vorteile von urheberrechtsfreien Werken für Bevölkerung aufzeigen,diesbezügliches Problembewusstsein wecken

- Zugang zu kreativen Werken erleichtern, neue Möglichkeiten für Bildung undFreizeit schaffen

- Digitalisieren des Gesamtbestands an urheberrechtsfreien Werken derStadtbibliothek und möglicher Partner/innen

- Erstellung eines Webportals zur Realisierung einer echten Online-Bibliothekmit Zusatzfunktionen für die Benutzer/innen

- bisherige Benutzer/innen der Stadtbibliothek- Menschen mit eingeschränkter Mobilität- Schulen und andere Weiterbildungseinrichtungen- kulturinteressierte Menschen

Stadtbibliothek Linz gemeinsam mit einer lokal ansässigen Programmierfirma

- Politik, Stadtbevölkerung, andere Bibliotheken, Online-Archive mit freienInhalten

Digitalisierung und Aufbau einer eigenen Datenbank bis Ende 2007. Online-Start der Webothek 2008.

Zusätzlicher Personalbedarf bei Stadtbibliothek für Digitalisierung von Werkensoll durch Personalumschichtungen im Bereich der Stadt Linz ermöglicht werden.Erstellung und Wartung der Web-Plattform erfordert Anschubfinanzierung.Erforderliche Bandbreite und Webspace werden dauerhaft Zusatzkostenverursachen.

Interaktive Webothek in Linz einrichten

Projektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

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PROJEKT: Printout-Service in Bibliotheken

Was kann eine digitale Bibliothek („Webothek“) für die Mehrheit jener Menschen leisten,die Bücher nicht am Bildschirm sondern auf Papier lesen wollen? Auch die ambitioniertestenE-Book-Projekte erreichen nicht die haptischen Qualitäten herkömmlicher Bücher, ganzabgesehen auch von praktischen Überlegungen (Anstreichen, auf der Couch lesen etc.).Deshalb müssen diese Stärken einer herkömmlichen Bibliothek mit der breiten Auswahleines digitalen Online-Archivs verknüpft werden. Eine mögliche Lösung bietet ein Printout-Service bzw. Bücher auf Bestellung („books-on-demand“).

Die Idee ist simpel: Die Bibliothek bleibt in ihren Grundzügen unverändert. Hinzukommt ein zusätzliches Archiv bestehend aus einem Onlinedienst, der auf alle freien InhalteZugriff hat, die im Internet vorhanden und zugänglich sind. Bibliotheksbesucher/innenkönnen sich darin selbst auf die Suche begeben oder sich von den qualifizierten Vorschlägenauf virtuellen Büchertischen inspirieren lassen. Für Leute ohne Internetzugang stehen inder Bibliothek selbst genügend Online-Terminals zur Verfügung. Wenn ein Werk imInternet ausgewählt wurde, dann kann dieses binnen Minuten verkörperlicht – alsoausgedruckt und gebunden werden. Dieses neu geschaffene Buch gehört ab sofort zumBestand der Bibliothek und kann unverzüglich entlehnt werden.

Um das Urheberrecht nicht zu verletzen, ist der obige Prozess nur bei freien Inhaltenzulässig. Ansonsten würde es sich um unerlaubte Vervielfältigung handeln. Die Bibliothekmuss daher ihr Angebot auf die online zugänglichen urheberrechtsfreien oder unter einerShare-Alike-Lizenz veröffentlichten Inhalte beschränken. Ein Vorteil des Printout-Servicesist, dass in jeder Bibliothek, die es umsetzt, sämtliche freien Bücher und Werke vorhandensind. Das bedeutet eine enorme Erweiterung des Bibliothekssortiments ohne die räumlichenKapazitäten entsprechend erweitern zu müssen. Auch wenn ein Buch verborgt ist, kannunverzüglich ein Neues angefertigt werden. Die Kosten der Selbstherstellung sind in derRegel geringer als der Ankauf.

Für Schulen und die öffentliche Hand wären durch das Printout-Service Kostenersparungenmöglich. Teure Musiknoten müssten für Musikschulen und Musikunterricht nicht mehrangekauft werden, sondern könnten einfach selbst vervielfältigt werden – soweit das rechtlichzulässig ist. Die Digitalisierung inzwischen längst urheberrechtsfreier Notenbestände könnte– in Absprache mit lokalen Musikschulen – zu einer weiteren Aufgabe öffentlicherBibliotheken werden. Allgemein könnte qualitativ hochwertiger Lesestoff in Selbstverviel-

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fältigung kostengünstig zur Verfügung gestellt werden, weil bei nahezu sämtlichen KlassikernSchutzrechte längst abgelaufen sind.

FREIE NETZEFREIES WISSEN

PROJEKTSKIZZE:

Projekte

- Förderung des Lesens- Attraktivierung und Modernisierung von Bibliotheken- Sensibilisierung der Bevölkerung für die Bedeutung von freien Inhalten

- Erstellung einer Online-Suchmaske, die freie Inhalte im Internet zugänglichmacht und gegebenenfalls für das Print-Out-Service aufbereitet.

- Ausstattung sämtlicher am Projekt teilnehmender Bibliotheken mit Online-Terminals der notwendigen Book-on-Demand Infrastruktur sowie die Schulungdes Personals

Linzer Stadtbevölkerung, Schüler/innen und Musikschüler/innen

Linzer Stadtbibliothek, evtl. in Kooperation mit der Johannes Kepler Universität

Politik, Stadtbibliothek, Johannes Kepler Universität (JKU), Schulen undMusikschulen, andere Bibliotheken, freie Online-Archive

Erstellung des Programms dauert ein Studienjahr (bis Ende 2007); Adaptionder Stadtbibliothek im Wissensturm erfolgt unmittelbar bei Bezug (geplanteEröffnung 14/09/2007), Schulungen erfolgen unmittelbar vor Eröffnung.

Online-Suchmaske soll von JKU kostengünstig in Zusammenarbeit mit Studie-renden entwickelt werden. Zusatzausrüstung für Stadtbibliothek und Schulungenfür Mitarbeiter/innen verursachen Kosten.

Projektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

Printout-Service in Bibliotheken

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02 | KREATIVITÄT IN FESSELN

PROJEKT: Linzer Open-Content-Grid für freie Werke

Dem kreativen Potential der oberösterreichischen Landeshauptstadt eine Bühne zu bieten– das ist eine wesentliche Motivation für einen eigenen Open-Content-Grid in Linz.Menschen jeden Alters sollen motiviert werden, sich selbst kreativ zu betätigen, um neuefreie Werke zu schaffen. Nicht nur für Literatur, sondern auch für Foto, Film, Programmeund Musik soll der Open-Content-Grid Raum bieten. Für die Benutzer/innen muss derZugang kostenfrei sein. Es soll nur eine absolute Grundregel gelten: Alles wird unter einerShare-Alike-Lizenz veröffentlicht.

Warum sollten Menschen an einer solchen Plattform teilnehmen? Sie tun es bereits.Tausende laden ihre Fotos auf flickr.com, um sie von Freunden und Fremden betrachtenzu lassen. Musiker präsentieren ihre Werke auf myspace.com und auch HobbyliteratInnenfreuen sich, wenn sie jemanden finden, dem sie ihre Gedichte vorlesen können. Der Open-Content-Grid bietet zusätzlich eine qualifizierte Öffentlichkeit mit gleichzeitig regionalemLinz-Schwerpunkt. Das fördert das Entstehen einer regionalen Kreativgemeinschaft, diesich mit den verschiedensten Themen befassen kann. Vom selbst gemachten Hip-Hop-Beatbis zum optimalen Rezept einer Pizza und darüber hinaus reichen die Möglichkeiten derkreativen Tätigkeiten.

Warum die Stadt Linz dieses Projekt unterstützen sollte? Weil dieser Open-Content-Griddie kreativen Aktivitäten in der Stadt vervielfachen könnte. Das schlummernde Potentialvieler Hobbykünstler/innen könnte geweckt werden und in Linz eine neue aktive Kreativszenebilden. Damit das Projekt erfolgreich starten und dauerhaft funktionieren kann, istpermanente Unterstützung nötig. Am Anfang sollen lokale Größen aus Literatur und Musikals Geburtshelfer/innen gewonnen werden, um dem Projekt die notwendige Öffentlichkeitzu geben. Auch Wettbewerbe und Schulprojekte sollen über das Open-Content-Grid laufen.Diplomarbeiten und Dissertationen sollen darauf veröffentlicht werden. Eine Anknüpfungan die beiden anderen Projekte dieses Kapitels – die Webothek und der Print-Out-Service– bieten sich an.

Wenn das Projekt gelingt, wird ein Fundus von jungen freien Werken und Ideen geschaffen,die aufgrund der Share-Alike-Lizenz immer weiter wachsen dürfen. Auf diese Art könntenkreative Schöpfungen wie Romanfiguren und FilmheldInnen immer wieder neue Abenteuererleben, beliebte Computerprogramme von jeder/jedem permanent weiterentwickelt undSongs ohne Bedenken neu interpretiert und remixed werden.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Linzer Open-Content-Grid für neue WerkePROJEKTSKIZZE:

Projektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

Projekte

- Schaffung neuer freier Werke- Förderung der kreativen Aktivität der Linzer Bevölkerung, Linz soll zu eineminternationalen Zentrum für freie Kultur werden

- Erstellung eines Open-Content-Grids, also einer Web-Plattform, die denBenutzerInnen die Möglichkeit bietet, Informationen hochzuladen und dort zupräsentieren

- Aktives Hosting dieses Grids durch Online-Events, Wettbewerbe und Ausbauder Möglichkeiten für Benutzer/innen

- Linzer Bevölkerung- junge kulturell aktive Menschen

Volkshochschule Linz gemeinsam mit lokal ansässiger Programmierfirma

- Politik, Stadt und Bildungsministerium, Schulen- Johannes-Kepler-Universität Linz, Linzer Stadtbevölkerung, Linzer Kunstszene,lokale Künstler/innen, regionale Medien

Technische Fertigstellung des Grids Anfang 2008, Umfassender Beta-Test mitPersonenkreis mit kulturellem Hintergrund (bis 1000 Personen), Mitte 2008Freigabe für die Öffentlichkeit, ab Herbst 2008 erste Schul- und Unikooperationen

Zusätzlicher Informationstechnologie-Personalbedarf bei Volkshochschule fürWartung und Hosting des Grids. Erstellung und Weiterentwicklung der Web-Plattform erfordert wegen Fremdvergabe Zusatzfinanzierung. ErforderlicheBandbreite und Webspace werden dauerhaft Zusatzkosten verursachen.Kosten für Öffentlichkeitsarbeit zu Beginn

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Zwei kleine Jungen tauschten Spielzeuge und beide gingen

mit jeweils einem Spielzeug nach Hause.

Zwei weise Männer tauschten Ideen und beide gingen

mit jeweils zwei Ideen nach Hause.

(Afrikanisches Sprichwort)

03 | OFFENE LEHRE IST FREIE LEHRE IST GUTE LEHRE

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

OFFENE LEHRE ISTFREIE LEHRE ISTGUTE LEHRE

OFFENE LEHRE ISTFREIE LEHRE ISTGUTE LEHRE

Rebecca Kampl und Barbara Hofmann

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03 | OFFENE LEHRE IST FREIE LEHRE IST GUTE LEHRE

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Viele Universitäten publizieren Lehrunterlagen als „Open Courseware“.Schulen und andere Bildungseinrichtungen könnten folgen.

Die akademische Welt war geschockt. Mehr als hundert Universitäten, verstreut über dieganze Welt schließen sich zusammen, um ihre Lehrinhalte und Kursunterlagen im Internetfrei und kostenlos zugänglich zu machen. Namhafte Bildungseinrichtungen wie die TsinghuaUniversität in China, verschiedenste Écoles Nationales Supérieures in Frankreich oder dieUniversidad Barcelona in Spanien digitalisieren ihre Kursunterlagen, ihre Lehrmethodenund stellen sie der Internet-Öffentlichkeit zur Verfügung. Diese freie Veröffentlichung vonUnterrichtsmaterialien über das Internet nennt sich „Open Courseware“. „Open Coursewareist die freie und offene digitale Veröffentlichung von qualitativ hochwertigen Ausbildungs-materialien in Kursform“, definiert Anne Margulies, Projektleiterin für Open Coursewaream Massachusettes Institut for Technology. Die Lehrmaterialien können genutzt, verändertund weiterverbreitet werden. „Wissen wächst durch Teilung, und die Mit-Teilung vonWissen ist eine wichtige Bildungsaufgabe. Informationen und Wissen können mit anderengeteilt werden, ohne dass sie dabei weniger werden, erst recht mithilfe digitaler Medien“,formuliert wiederum Volker Grassmuck, Forscher an der Berliner Humboldt Universität,in seinem Buch „Freie Software“ den Gedanken hinter der Veröffentlichung von Lehrmaterialin Form von Open Courseware.

Pionier auf dem Gebiet der Open Courseware ist das Massachusetts Institute of Technology(MIT) in Cambridge/USA. In einem für viele überraschenden Schritt hat sich dieweltbekannte Eliteuniversität im Frühjahr 2001 dazu entschlossen, ihre Kursunterlagenfrei im Internet abrufbar zu machen. Mittlerweile umfasst die zentrale Open CoursewareWebseite33 über 1500 Kurse, Seminare und Lehrveranstaltungen von MIT ProfessorInnender verschiedensten Fachgebiete. Mit ihrer Open Courseware Initiative schuf das MIT einePlattform, die Wissen, das bis vor wenigen Jahren nur für Universitätsinterne bestimmtwar, kostenlos für alle zugänglich macht. Angesichts des weltweiten Trends, Universitätenimmer mehr vor der Öffentlichkeit abzukoppeln anstatt sie zu öffnen ein keineswegsselbstverständicher Schritt.

Ein klassisches Überraschungsmoment

Das Projekt Open Courseware (OCW) am MIT startete als zweijähriges Pilotprojekt imJahr 2001 mit den Inhalten von 500 Kursen. Menschen von überall auf der Welt begannenin kürzester Zeit, sich für die frei zugänglichen Lehrmaterialien zu interessieren und sie

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Thema

“downzuloaden”. Heute ist das MIT-OCW ein eigenes - nicht kommerziell ausgerichtetes- Unternehmen mit 17 fest angestellten MitarbeiterInnen, die Homepage verzeichnet mehrals eine Million Zugriffe pro Monat. Das MIT selbst lässt sich OCW auch einiges kosten

- konkret 1 Million Dollar im Jahr. Der größere Teil, nämlich 11 Millionen Dollar für dieUnternehmensgründung, kamen dabei nicht von der Universität selbst, sondern von zweigroßen privaten Stiftungen. Insgesamt wird 2007 in das Projekt eine Summe von 100Millionen Dollar investiert.

Das MIT verfolgt ambitionierte Ziele. Bis 2007 sollen nicht nur die Hauptunterrichts-materialien von 2000 angebotenen Bakkalaureats- und Magisterkursen online verfügbarsein, sondern auch Zusatzmaterial wie Video-Vorlesungen, Mitschriften von Studierenden,Tests und Kurszusammenfassungen. Ausgewählt werden die Materialien von den Mitarbeiter-Innen an den einzelnen Fakultäten. Aufgabe der Open Courseware-MitarbeiterInnen istes dann, die Unterlagen zu sammeln und gemeinsam mit wissenschaftlichen MitarbeiterInnenzu überarbeiten. Die ProfessorInnen wirken auf ehrenamtlicher Basis mit, indem sie ihrLehrmaterial freiwillig zur Verfügung stellen.

Die Entscheidung, die Lehrmaterialien aber wirklich kostenlos und für alle frei zugänglichanzubieten, war zu Beginn des Projektes aber keineswegs vorhanden. Charles M. Vest,ehemaliger Präsident des MIT, sprach von einem „klassischen Überraschungsmoment“ imZuge der Überlegungen, wie eine Universität das Internet zur Verbesserung der Lehrenützen könne. Anfangs ging es dem MIT darum, mit Online-Kursen Geld zu verdienen.Das wollte aber partout nicht gelingen: Die Lehrinhalte waren nicht den Bedürfnissen derAußenwelt gerecht aufbereitet und die erwünschte Nachfrage blieb aus. Eine 1999 für dasMIT durchgeführte Studie hat zudem ergeben, dass der beste Weg zur Verbesserung derLehre am MIT, die Öffnung des Zugangs zu Informationen, darstellt. “Erst später kamder Vorschlag, aus OCW ein soziales Projekt zu machen und es professionell aufzuziehen”,erzählt Anne Margulies, Open Courseware Projektleiterin am MIT. “Es bringt nichts, mitengen, geschlossenen Systemen zu arbeiten.” Für Vest ist “Öffnung das, was die Kreativitätvon SoftwareentwicklerInnen auslöst. Dasselbe kann im Bereich der Lehre passieren.“ DieBeispiele aus der Praxis bestätigen das: Immer mehr Lehrende wollen ihr Wissen teilenund ihre Lehrmaterialen der Öffentlichkeit zugänglich machen. Sie sind bereit, sich undihr Lehrmaterial dem öffentlichen Diskurs zu stellen, indem sie diese kritisieren, ergänzenund schließlich verbessern lassen. Das Internet als Antriebskraft für Wissensverbreitungund Wissenserweiterung hat Anklang gefunden.

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Allmählich folgen immer mehr Bildungseinrichtungen dem MIT-Vorbild. Mehr als 100von ihnen haben sich im Open Courseware Consortium34 zusammengeschlossen, um dieVerbreitung und Etablierung von Open Courseware zu fördern. In China gibt es danebenunter dem Namen CORE einen eigenen Zusammenschluss von mehreren Universitätenaus über 14 Ländern, die an der Entwicklung von Open Courseware-Projekten arbeiten.Das seit 2003 bestehende CORE steht für „China Open Resources for Education“ undist eine der größten Open Courseware Initiativen weltweit. Im CORE Logo finden sichzwei gepunktete DNA-Stränge: Als Symbol für den Kern des Lebens und für Teilen,Interaktion und Entwicklung.

Klagenfurt: Österreichischer Vorreiter in Kinderschuhen

Als einzige österreichische Universität im internationalen Open Courseware Consortiumvertreten ist die Alpen Adria Universität in Klagenfurt. Im Zuge des Ausbaus von e-Learningwird hier seit 2005 an der Entwicklung von Open Courseware gearbeitet. Derzeit stecktdas Projekt aber noch in den Kinderschuhen und läuft eher schleppend an. Der Idee undUmsetzung vorwiegend angenommen hat sich der Nachwuchsforscher Thomas Pfeffer. Erarbeitet an der Integration des Open Courseware-Angebots in das vorhandene e-LearningAngebot namens „Moodle“. Ziel ist aber eine breite und öffentlich zugängliche OpenCourseware Homepage, die das Lehrmaterial von verschiedenen Kursen vereint.

In Klagenfurt zeigt sich die Verwirklichung von Open Courseware aber mit viel mehrSchwierigkeiten verbunden als beispielsweise am MIT, wo weit mehr Geld investiert wird.An der Alpen Adria Universität ist Sparkurs angesagt, das Vorhaben Open Coursewareläuft auf absolutem Minimalniveau. Finanziell unterstützt wird das Projekt "Offene Alpen-Adria Universität" mit geringen und befristeten Fördermitteln des Bildungsministeriums.Für den Leiter Pfeffer ist aber vor allem eine längerfristige Finanzierung notwendig, umdas Projekt nachhaltig zu gewährleisten. Die öffentliche Hand sollte gerade aus diesenÜberlegungen auf Open Courseware und andere Formen freier digitaler Bildungsangebote(„Open Educational Resources“) setzen. „Es ist notwendig, nicht nur projektförmig, sondernlängerfristig zu investieren, da ansonsten das Geld in Einzelprojekten versickert,“ ist Pfefferüberzeugt. „Dafür fehlt aber sowohl das Verständnis, als auch das Geld.“

Im Unterschied zum MIT, wo mehr als 75 Prozent aller ProfessorInnen zum OpenCourseware-Projekt beitragen, fällt es in Klagenfurt auch viel schwerer, Universitätsangehörigezur Mitarbeit zu motivieren. Das Erzählen des Konzepts reicht meist nicht aus. Beliebte

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Thema

Argumente gegen die freie Bereitstellung von Lehrmaterialien sind beispielsweise „Warumsoll ich mit anderen teilen? Was habe ich selbst davon? Es ist ein zu großer Mehraufwand.“Das langfristige Bekenntnis der Universitätsleitung ist deshalb laut Pfeffer notwendig, damitdas institutionelle Interesse am Projekt sichtbar wird und Beiträge der Lehrenden anerkanntwerden.

Kursunterlagen, kein Kurs

Auch wenn es keine “offizielle” und weltweit einheitliche Definition von Open Coursewaregibt, sind inzwischen wesentliche Kriterien unumstritten. Als Open Courseware giltdemnach nur Lehrmaterial, das auch tatsächlich in der Lehre eingesetzt wird. Darunterkönnen neben Kursbeschreibungen auch Skripten, Zeitpläne, Prüfungsfragen undAufgabenstellungen fallen. Die Unterlagen schließen demnach pädagogische Konzepte undMethoden der Lehrenden ebenso ein, wie Literaturangaben, Texte, Videomitschnitte undStoffzusammenfassungen. Wert auf die Qualität der Lehrmaterialien wird insofern gelegt,als dass es sich um Lehrmaterialien handelt, die auch tatsächlich im Unterricht verwendetwurden beziehungsweise werden und redaktionell bearbeitet werden. Thomas Pfeffer vonder Universität Klagenfurt betont außerdem noch die Notwendigkeit einer institutionellenPublikationsstrategie sowie der einheitlichen redaktionellen Bearbeitung der Inhalte.

Dabei umfasst Open Courseware ausschließlich das Publizieren von Lehrmaterialien,bietet also nicht die Möglichkeit, in irgendeiner Form Kurse zu absolvieren, Prüfungenabzulegen und Zertifikate zu erhalten. Jan Newmarch, außerordentlicher Professor derLehranstalt für Netzwerktechnik an der Monash Universität in Australien, betont, dassdiese Kursunterlagen die Kurse an Bildungsinstitutionen selbst auf keinen Fall ersetzenkönnen. Die Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden sowie der Lernendenuntereinander ist nur im gemeinsamen Kurs möglich. Der markanteste Unterschied aberist das individuelle Feedback für eigene Leistungen und dem damit verbundenen Beweisfür das Absolvieren von Kursen - sei es durch Noten, Abschlüsse oder Zertifikate. Kursunter-lagen kann man lediglich persönlich nutzen, im Falle von Open Courseware aber dafürfrei und kostenlos.

Absicherung der Freiheit: Lizenzen

Diese Freiheit stellt sich aber nicht automatisch auf Dauer ein. In herkömmlichen Lehr-büchern nimmt der Absatz über den urheberrechtlichen Schutz in der Regel nur wenige

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Zeilen ein. Meist verbietet er jede wie auch immer geartete Vervielfältigung auch nur vonTeilen ohne Zustimmung der Rechteinhaber/innen. Open Courseware geht da einenanderen rechtlichen Weg, macht sich dafür aber ebenfalls das Urheberrecht zu Nutze.

„Open Content Lizenzen“ sollen sicherstellen, dass alle Inhalte von allen Menschen dauerhaftverwendet, ausgedruckt, verändert und beliebig an Bekannte auf der ganzen Welt weiterge-geben werden dürfen – ohne Registrierung und völlig kostenlos.

Der Begriff Open Content steht für offene oder freie Inhalte verschiedenster Art undwurde 1998 von David Wiley erstmals mit speziellen urheberrechtlichen Lizenzenzusammengebracht. Diese Lizenzen sollen genauso, wie „normales“ Urheberrecht geistigesEigentum an Informationsgütern schützt, die offene Verfügbarkeit einmal freigegebenerInhalte dauerhaft sicherstellen. So können unter anderem digitale Bilder, Dokumentationen,Unterrichtsmaterialien und Videos unter freie Lizenzen gestellt werden. Der/die Autor/inbehält mit dieser Lizenz das geistige Eigentum am Werk, erlaubt aber auch gleichzeitig diefreie Wiederverwertung des Inhaltes. Texte dürfen also verändert und erweitert werden,solange bei der Widerveröffentlichung auf die Veränderungen hingewiesen wird. EineSammlung freier Lizenzen mit verschieden abgestuften Freiheitsgraden für die verschiedenstenLänder und Rechtssysteme liefert die vom Stanford-Professor Lawrence Lessig ins Lebengerufene Creative Commons-Initiative (siehe insbesondere Kapitel 2 in diesem Band).

Auch das weltweit größte Open Courseware-Programm des MIT verwendet für dieVeröffentlichung der Lehrmaterialien eine einfache Creative Commons-Lizenz, die eserlaubt, die Inhalte frei zugänglich zu machen, ohne dass der/die Urheber/in Rechte verliert.Das Copyright bleibt dabei stets bei dem/der Autor/in. Die Materialien dürfen beliebigfür nicht kommerzielle Zwecke weiterverbreitet werden, solange ein Hinweis auf dieUrheberInnenschaft des MIT und des/der einzelnen Professor/in angegeben ist. Und werdas verwendete Material ergänzt oder verändert, muss dieses ebenso kostenlos zur Verfügungstellen, sofern er es weiterverbreitet. Insbesondere dieses „Wie du mir, so ich dir“-Prinzipentwickelt sich dabei zum Ausgangspunkt einer produktiven Wissensspirale, die Beiträgevon immer mehr Menschen motiviert und integriert.

Konsequenzen der Wissensfreiheit

Dabei heißt es oft, zu viele Köche und Köchinnen verderben den Brei. Für RichardStallman, selbst Mitarbeiter am MIT und Gründer der „Free Software“-Bewegung, ist vielmehr das Gegenteil der Fall. Denn gern vergleicht er Computerprogramme mit Kochrezepten.

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Thema

Geht es nach ihm, werden diese erst dann zu guten Kochrezepten, wenn sie frei zugänglichsind, also wenn viele Leute die Freiheit besitzen, sie auszuprobieren, zu ergänzen, zu ver-ändern, zu erweitern und somit zu verbessern. Während Stallman das Kochrezept alsMetapher für Software verwendet, gilt das Bild für Wissen unmittelbar: Kochrezepte sindnichts anderes als kodifiziertes Wissen. Sind sie frei im Internet verfügbar, ließe sich nichtohne Ironie auch von „Open Cookware“ sprechen. Ziel ist aber nicht nur die Digitalisierungund Zusammenführung bereits vorhandenen Wissens. Immer mitgedacht ist bei Projektenwie Open Courseware deren innovatives Potential.

Neues entsteht durch die Anwendung von Bekanntem mit Bekanntem. Je mehr Wissenoffen zugänglich ist, desto mehr Menschen können sich damit befassen und die Richtigkeitüberprüfen. So gelingt es schneller, gehaltvollere Ergebnisse zu entwickeln. Die Verbreitungund Verfügbarkeit von Wissen ist für die wissenschaftliche, kulturelle und künstlerischeEntwicklung fundamental. Open Courseware ist mit freiem und gleichem Zugang zuWissen ein (zentraler) Spezialfall einer breiteren Bewegung für freien und allgemeinenZugang zu Wissen jeder Art: „Access to Knowledge“ (A2K).

Denn die mit dem Internet verbundenen Möglichkeiten zur einfachen, kostengünstigenund barrierefreien Verbreitung von Wissen werden nicht automatisch auch ausgeschöpft.Gesetzliche Einschränkungen, wie der Verlängerung des urheberrechtlichen Schutzes vonkünstlerischen Werken und hohe Strafen für sogenannte „Raubkopierer/innen“ waren dieReaktionen auf die schnelle und leichte Verbreitung von Wissen, Musik und Filmen, diedas Internet bot. Die A2K-Bewegung entstand dagegen seit Ende er 90er Jahre als Gegenstückzu Initiativen von RechteverwerterInnen, die der Verbreitung von Wissen immer engereGrenzen auferlegen wollen. Ziel ist die Erhaltung der gerade erst durch die digitale Revolutionvon Internet und PC gewonnenen Freiheiten. Digitale Inhalte, ihrer Natur nach immaterielleGüter, sollen frei sein und Einschränkungen von Verbreitung, Austausch und Vermehrungvon gesellschaftlichem Wissen verhindert werden.

Wissensgesellschaft

Ganz in diesem Sinne verstehen eben auch Universitäten wie das MIT ihre OpenCourseware-Angebote als einen Beitrag am Weg in die Wissensgesellschaft. Führte dieEntwicklung des Buchdrucks zur ersten explosiven Ausweitung von Umfang und Zugangzu Wissen, so birgt die Digitalisierung von Wissen ein ähnliches Potential in sich. DigitaleKommunikationstechnologien führen zu einem mehr an Wissen, das leichter, schneller

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und billiger erstellt und verbreitet werden kann. Diese neuen Kommunikationstechnologiensind es, die die praktischen und wirtschaftlichen Bedingungen für die Verbreitung vonwissenschaftlichem Wissen und von kulturellem Erbe grundlegend verändern werden. DieseVeränderung passiert laut Bernd Lutterbeck, Professor für Informatik und Gesellschaft ander Technischen Universität Berlin, ungeplant, aber dennoch gerichtet und strukturiert. Ererkennt dabei drei verschiedene Trends, die in den Zeiten des Umbruchs und der immerschnelleren und weltweiten Entwicklung neue Ordnungen entstehen lassen und bisherigegesellschaftliche Institutionen verändern. Der technologische Trend lässt den Computerals neues Medium in den Hintergrund treten und in den Alltag einkehren. Der gesellschaftlicheTrend führt dazu, dass gesellschaftliche Hierarchien abgebaut werden. Die Innovationenkommen nämlich von den BenutzerInnen selbst und haben schon allein dadurchdemokratisierendes Potential. Eric von Hippel, Professor am MIT, beschreibt diesenZusammenhang bereits in Buchform als „Democratizing Innovation“. Aus dem eigenenBedarf heraus entwickeln Anwender/innen Projekte, die sie anderen AnwenderInnen zurVerfügung stellen. Der dritte Trend ist ein ökonomischer, der darauf beruht, dass sichKooperation für alle Beteiligten lohnt, und zwar insbesondere wieder dort, wo Kooperationin Form digital-kostenloser Reproduktion und Freigabe von Wissen geringe Aufwände mitsich bringen.

Bessere Lehre durch Kooperation

Hinter Freier Software, dem Vorbild sämtlicher Projekte kollektiv erstellter und freierInhalte, stehen Menschen, die gemeinsam an Problemen arbeiten, die ihre Ideen austauschen,voneinander lernen und gemeinsam etwas Größeres schaffen als die Summe der einzelnenTeile. Bei Open Courseware betreffen die Vorteile der Kooperation die Lehre. Durch dieVeröffentlichung stellen sich die Lehrenden mit ihren Konzepten und Ideen der Öffentlichkeitund ermöglichen so gemeinsames Kritisieren und Weiterentwickeln. Je mehr MenschenLehrmaterialien zugänglich sind, desto mehr Menschen können und werden sich mit ihnenbefassen. Anstatt das Rad immer wieder neu zu erfinden, lassen sich Inhalte wie Konzepteim kritischen Austausch weiterentwickeln und so insgesamt verbessern. Im Idealfall sinktder Aufwand für die Vorbereitung trotz steigender Qualität. Denn wie Untersuchungenaus dem Bereich der Softwareentwicklung zeigen, zwingt die Veröffentlichung des Quellcodesdie Programmierer/innen zu sauberem und strukturiertem Arbeiten. Für öffentlichzugängliche Lehrunterlagen gilt die gleiche Dynamik.

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In den Kinderschuhen stecken dabei noch Ansätze nicht nur zu Publikation und Austauschsondern zu kollaborativer Erstellung von Lehrunterlagen und -konzepten. Mit der steigendenVerbreitung und Akzeptanz von Wiki-Software zur gemeinschaftlichen Produktion vonTexten ist dieser Bereich auch in Bewegung geraten. Mit „Wikiversity“ wurde ein ent-sprechendes Projekt von den Verantwortlichen der freien Online-Enzyklopädie „Wikipedia“bereits ins Leben gerufen (siehe Kasten).

Sehr wenig bekannt sind Open Courseware-Ansätze in nicht-universitären Bildungs-einrichtungen. Weder im schulischen Bereich noch in Erwachsenenbildungseinrichtungenwie Volkshochschulen gibt es Initiativen für ein institutionalisiertes Angebot an freien Lehr- und Unterrichtsmaterialien. Wenn Unterlagen frei im Netz verfügbar sind, dann meistensauf Eigeninitiative der jeweiligen Lehrenden. Dabei gibt es keinen Grund, den freienAustausch von (Weiter-) Bildungsunterlagen und pädagogischen Konzepten auf den höherenBildungsbereich zu beschränken, im Gegenteil: Bildung als zentrale Währung der Wissens-ökonomie kann von freier digitaler Verfügbarkeit nur profitieren. André Gorz, französischerPhilosoph drückt dies in seinem Buch „Wissen, Wert und Kapital. Zur Kritik derWissensökonomie“ so aus: "Wissen ist keine ordinäre Ware, sein Wert ist unbestimmbar,es lässt sich, insofern es digitalisierbar ist, endlos und kostenlos vermehren, seine Verbreitungsteigert seine Fruchtbarkeit, seine Privatisierung reduziert sie und widerspricht seinemWesen". Wissen mehrt sich demnach, wenn es geteilt wird. Durch die Digitalisierung diesesWissens kann es endlos und nahezu kostenlos vermehrt werden. Der Inhalt wird gehaltvoller,ein Abschotten des Wissens schadet. Wissen baut Hürden zwischen Kulturen und inHierarchien ab. Damit einher geht eine Emanzipation des/r Einzelnen. Eine Parallele zuden Denkansätzen der Aufklärung könnte gezogen werden. Forderten Philosophen wieKant und Lessing die Menschen auf, sich aus ihrer „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ zu

Lehrmaterialien frei zugänglich zu machen ist auch das Ziel eines neuen Schwesternprojekts vonder Online Enzyklopädie Wikipedia. Im August 2006 stellte Wikipedia-Gründer Jimmy Wales dasProjekt mit dem Namen „Wikiversity“ bei der alljährlich stattfindenden Wikipedia-Konferenz inHarvard vor. Es handelt sich dabei um eine auf dem Wiki-Prinzip aufgebaute Plattform speziellfür Lehrmaterialien. Gesammelt werden Lehrinhalte jeglicher Art, die von den BenutzerInnengelesen, verwendet, sowie ohne große Vorkenntnisse verändert werden können. Eine vorläufigeWebseite gibt es schon, seit September 06 ist sie online. Die Gründer/innen sprechen von einervirtuellen Universität, in der Wissen und Lehre gemeinsam erarbeitet werden kann. Das WikipediaPrinzip macht es dabei den BenutzerInnen überall auf der Welt möglich, in sehr kurzer Zeit mitminimalem Aufwand durch Informationen rund um die Lehre zu navigieren.

Wikis für Open Courseware der nächsten Generation

FREIE NETZEFREIES WISSEN

Thema

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befreien, sind Wissenschaftler/innen gefordert, ihr Wissen den Menschen frei zugänglichzu machen. Eng verbunden mit Open Courseware sind dementsprechend Versuche mitdem Namen „Open Access“, sämtliches wissenschaftliches Wissen frei zugänglich zu machen(vgl. Kapitel 8 in diesem Band). In beiden Fällen, Open Courseware und Open Access giltes aber, auf lokaler Ebene den Anfang zu machen, auf dass sich viele weitere anschließenund folgen. Oder zumindest ein wenig an den Pool freien Wissens zurückzugeben, ausdem man sich selbst jederzeit bedienen und als Inspirationsquelle nutzen kann.

Linz: Closed vs. Open Courseware

So profitieren auch in Linz eine Vielzahl von Bildungsinstitutionen vom freien Angebotan Lehrmaterialien, jedoch in der Regel ohne eigene Anstrengungen im Bereich digitalerLehrunterlagen. Grund dafür ist aber keineswegs mangelndes technisches Verständnis oderfehlende digitale Angebote. Im Gegenteil: Die Johannes Kepler Universität Linz warPionierin bei Multimedia-Studien über das Internet. Es gibt seit längerem die Möglichkeit,Jus völlig unabhängig von Zeit und Ort zu studieren. Gerade für Berufstätige, die fernabvon einer Universität leben und arbeiten, ein großer Vorteil. Gleichzeitig sind nicht nurdas Studium selbst dank Studiengebühren und hoher Multimedia-Pauschale sondern auchdie notwendigen digitalen Unterlagen für die Studierenden mit hohen Kosten verbunden.Obwohl die digitalen Lernunterlagen mit öffentlichen Geldern finanziert und vonUniversitätsangehörigen erstellt wurden sowie ihre Verbreitung im Internet mit äußerstgeringen Kosten verbunden wäre, sind Interessierte inner- und außerhalb der Universitätvon ihnen ausgeschlossen.

Neben vollständigen Online-Studiengängen fördert die Universität Linz universitätseigeneProjekte zum Thema „Neue Medien in der Lehre“, allerdings ohne sie in größere Kontexterund um Open Coursware/Content einzubetten. So steckt hinter der Bezeichnung CSCLein Projekt mit dem Namen „Computerunterstütztes kollaboratives Lernen mit Wiki, Chatund Forum.“ Kollaborative Lernstrategien sollen dabei erprobt und evaluiert werden. AuchProjekte wie der Online-Methodenbaukasten35, harrt noch einer umfassenderen institutionellenUnterstützung und Einbettung. Auf die Frage, was passieren muss, dass es Open Coursewarein Linz gibt, antwortet Professor Bernard Batinic denn auch: „Die Online-Umsetzung derMaterialien ist ein nicht zu vernachlässigendes Problem und verursacht sicherlich aucheinige Kosten. Grundsätzlich müsste sich aber eine Initiative bilden, die Open Coursewarein Linz unterstützt.“ Diese Initiative hat sich einstweilen noch nicht gefunden.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Thema

Ähnlich das Bild abseits der Universität: Aufgeschlossenheit für neue Medien und Techno-logien trifft auf wenige bis gar keine institutionellen Strategien für vernetzte Angebote undden Austausch freier Inhalte. Stefan Giegler, als Direktor der Linzer Übungshauptschulein die LehrerInnenausbildung der Pädagogischen Akademie des Bundes eingebunden: „NeueMedien werde von der jüngeren Lehrgeneration sehr gut aufgenommen und genützt. Esbesteht auch ein Interesse daran, dies auszubauen.“ Gerade für die Aneignung von Wissensieht er in Open Courseware Vorteile, warnt aber auch: „Wissen ist nicht gleich Bildung.Gibt es das Angebot, so werden es Menschen aber auch nützen, der Bildungsgrad wirdsteigen.“

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„Offene Systeme sinddie Zukunft“

Interview: Anne MarguliesAls Leiterin des Open Courseware-Programms am Massachusetts Institute of Technology (MIT) istAnne Margulies verantwortlich für das größte Angebot an freien Lehrinhalten im Internet.Die Pionierleistung des MIT hat inzwischen an zahlreichen Universitäten innerhalb und außerhalbder USA Nachahmer/innen gefunden.

Foto: MIT Open Courseware

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Interview

Wie lautet Ihre Definition von OpenCourseware? Was ist zentral, wo sind dieGrenzen?

Anne Margulies: Open Courseware ist diefreie und offene digitale Veröffentlichungvon qualitativ hochwertigen Ausbildungs-materialien in Kursform. Mit Hilfe des Inter-nets hat MIT Open Courseware (OCW)Lehrmaterialen seiner Professorinnen undProfessoren Lehrenden und Studierendenauf der ganzen Welt – insbesondere auchin den Entwicklugnsländern -zugänglichgemacht. Sie alle können nun diese Unter-lagen entweder für die Entwicklung eigenerKurse nutzen oder für die individuelle Aus-und Weiterbildung. Insofern hat MITOCW keine Grenzen, ist wirklich global.Die OCW Website http://ocw.mit.edu wurdeseit ihrem Start am 30. September 2002von Personen aus 215 Ländern besucht undMaterialien wurden inzwischen in mind-estens zehn Sprachen übersetzt.

Was sind die politischen und philosophi-schen Überlegungen hinter Open Course-ware? Gibt es dabei auch ökonomischeÜberlegungen?

Anne Margulies: Bei MIT Open Course-ware geht es um Ideale und Werte. DieLehrenden am MIT glauben fest und leiden-schaftlich an das Ziel offener Verbreitungvon Wissen und Informationen zum großen

Vorteil für die gesamte Menschheit. Es war1999, als der frühere Hochschulleiter RobertA. Brown um eine strategische Ausrichtungdes MIT im Bereich eLearning bat. DasErgebnis – die Idee von Open Courseware– stimmte mit dem fundamentalen Ziel desMIT überein, nämlich bei der Förderungneuer Erkenntnisse und der Ausbildung vonStudierenden in der Wissenschaft an derSpitze zu stehen. Open Courseware ist einneues Modell zur Verbreitung von Wissenund Zusammenarbeit unter Studierendenund Forschern auf der ganzen Welt undleistet einen Beitrag zur gemeinsamenWissensallmende. Die Kursunterlagen desMIT Open Coursewareprogramms könnenvon jedem überall auf der Welt verwendet,kopiert, verbreitet, übersetzt und modifiziertwerden. Die einzige Bedingung ist die nicht-kommerzielle Verwendung und das Zitierender Originalautoren bei einer allfälligenWiederveröffentlichung. Außerdem müssenveränderte Versionen im gleichen Maßezugänglich gemacht werden wie die Ur-sprungsmaterialien.

Würden Sie zustimmen, dass Open Course-ware Teil einer größeren Bewegung hinzu freiem Wissen, Freier Software undfreier Kultur und in diesem Sinne eineArt neue soziale Bewegung ist?

Anne Margulies: Diejenigen, die das MITOCW-Projekt entwickelt haben, waren

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überzeugt, dass Open Source Software undoffene Systeme die Zukunft sind. Letztlichglauben wir, dass der Trend zu offenemWissen Menschen aus den verschiedenstenBereichen zusammenbringen und das gegen-seitige Verständnis verbessern wird.

Wir organisieren auch eine “Open Course-ware-Bewegung” rund um das Open Course-ware Consortium. Dort versuchen mehr als100 höhere Bildungseinrichtungen einenbreiten und tiefgehenden Stock an offenemBildungsangebot auf Basis von Gegenseitig-keit zu etablieren. Das Ziel ist die Ausbildungzu verbessern und die Menschen auf derganzen Welt selbst zu ermächtigen. Nebendem MIT nehmen zum Beispiel auch dieJohns Hopkins Universität, die Tufts Uni-versität, die Utah State Universität und mehrals 50 andere Einrichtungen in China, Frank-reich, Japan, Indien, Spanien und Vietnamteil.

Gibt es einen Unterschied zwischen eLear-ning und Open Courseware? Wenn ja,welchen?

Anne Margulies: MIT Open Coursewareunterscheidet sich von anderen webbasiertenBildungsangeboten dadurch, dass es frei ist,durch die Breite und Tiefe des Angebotsund weil es ein institutioneller Ansatz derOnline-Veröffentlichung von Kursen ist.Dabei ist es keine Initiative für Fernlehre,

weil keine Interaktion zwischen den Lehr-kräften und den Studierenden stattfindet.Fernlehre ist außerdem meistens beschränktauf Zahlungskräftige und -willige. Gleich-zeitig soll Open Courseware herkömmlicheLehr- und Kursangebote nicht ersetzen. Essoll vielmehr Inhalte anbieten, die Bildungfördern. Viele Lehrkräfte nutzen das Internetohnehin sehr stark, um Kursunterlagen fürihre Studierenden zugänglich zu machen.Aber diese Homepages sind oft nur für dieStudierenden der jeweiligen Institutionaufbereitet und zugänglich. Mit 1.400 onlineverfügbaren Kursen ist MIT OCW eineinmaliges Angebot von bislang nie dagewe-senem Umfang an frei verfügbaren Unter-lagen.

Wer sind die Hauptzielgruppen des OCW-Angebots?

Anne Margulies: Lehrkräfte, Studierendeund Autodidakten. Die Lehrkräfte nutzendie Unterlagen für das Design ihrer eigenenKurse, Studierende und Autodidakten aufder ganzen Welt verwenden sie zur Aus-und Weiterbildung oder als Ergänzung. Seitdem offiziellen Start 2003 versuchen wirregelmäßig so genau wie möglich herauszu-finden, wer unser Angebot wie und warumnutzt und ob die Initiative einen Unterschiedmacht. Die Auswertungen haben ergeben,dass die Materialien im Allgemeinen als sehrhilfreich empfunden werden.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Gibt es irgendeine Form der Interaktionzwischen den Lehrkräften und den Online-Studierenden?

Anne Margulies: MIT OCW ist ein riesigesOnline-Projekt, aber kein Online-Studium.Es liefert Unterlagen von MIT-Kursen aberist kein Ersatz für diese. Die Interaktion imKlassenzimmer vor Ort ist ein fundamentalerEckpunkt des Lernprozesses am MIT, genau-so wie die Zusammenarbeit der Studieren-den am Campus. Ein direkter Kontakt mitden Autoren der freien Kursunterlagen istdaher nicht vorgesehen. Nachfragen zuspeziellen Unterlagen werden aber weiterge-leitet, auf Grund der enormen Menge anAnfragen warden in der Regel aber nichtalle E-Mails beantwortet.

Bitte vervollständigen Sie den folgendenSatz. Aus meiner Sicht ist das Ziel vonOpen Courseware….

Anne Margulies: …die Förderung vonBildung auf der ganzen Welt durch dasoffene Teilen von Ausbildungsunterlagenund der damit verbundenen Anregung, an-dere mögen dasselbe tun.

Wie ist ein derartiges, kostenloses Angebotüberhaupt leistbar?

Anne Margulies: Bis jetzt haben die Williamand Flora Hewlett Foundation, die Andrew

W. Mellon Foundation, und das MIT selbstden größten Teil der finanziellen Aufwändegetragen. Neue Unterstützer und Partnersind in jüngerer Zeit dazugestoßen, unteranderem die Ab Initio. Aber vor allem exis-tiert das OCW-Angebot dank der Großzügig-keit der MIT-Lehrkräfte, die sich entschlos-sen haben, ihre pädagogischen und inhalt-lichen Inhalte zur Verfügung zu stellen

Im Falle des MIT: Wie passen hohe Stu-diengebühren und Open Courseware zu-sammen?

Anne Margulies: Es gibt keinen finanziellenZusammenhang zwischen einem gebühren-abhängigen MIT-Studium und der OCW-Initiative.

Wie haben sie den Lehrkörper überzeugenkönnen, ihre Unterlagen kostenlos zurVerfügung zu stellen?

Anne Margulies: Obwohl die Teilnahmefreiwillig ist, haben mit 7. Juni 2006 mehrals 75 Prozent des Lehrkörpers zu demOCW-Projekt beigetragen. Wir leisten profes-sionelle Unterstützung bei der Aufbereitungder Unterlagen und versuchen, die Teil-nahme so einfach wie möglich zu gestalten.Die individuellen Gründe für die Teilnahmesind vielfältig. Sie reichen von besserer Sicht-barkeit der eigenen Forschung und Lehreüber den Nutzen des Austauschs mit Kol-

Interview

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03 | OFFENE LEHRE IST FREIE LEHRE IST GUTE LEHRE

legen bis hin zum Ausbau beruflicher Netz-werke. Open Coursware ist in diesem Sinneein echtes Beispiel für institutionelle undpersönliche Philanthropie.

Wie stellen Sie die dauerhafte und gleicheQualität eines derart großen Angebots anMaterialien sicher?

Anne Margulies: Wir haben klassischeQualitätssicherungsprozesse mit strengenStandards. Für die Kurserstellung selbst gibtes eine Reihe von formalen und technischenRegeln, die befolgt werden müssen, bevorein Text online geht.

Was waren die größten Hürden bei derEinführung des Open Courseware-Projekts?

Anne Margulies: Die größte Herausforder-ung war die Gestaltung der Web-Oberfläche,die strukturiert, kostengünstig und einfachzu durchsuchen, aber trotzdem flexibelgenug für die Anpassung an die diversestenUnterrichtsstile am MIT ist. Wir habenKurse, die als Vorlesung, Seminar oder Pro-jekt organisiert sind und die alle verschiedeneAnforderungen an die Webseite stellen. Aberwir wollten ein einheitliches Design undeine einheitliche Suchfunktion. Wir musstenalso die Balance finden zwischen der Einzig-artigkeit der Kurse und einer einheitlichenStruktur des Webangebots.

Was kann eine Stadt wie Linz mit ca.200.000 Einwohner/innen tun, um OpenCourseware zu unterstützen?

Anne Margulies: Ich glaube es ist wichtig,die zahlreichen positiven Folgen von OCWfür Bildungseinrichtungen, Forschungsinsti-tutionen und die einzelnen Professoren undStudierenden herauszustreichen. Zu diesenVorteilen zählt beispielsweise der Stolz derMitglieder von Institutionen, die „dasRichtige“ tun. Es erhöht die Sichtbarkeitder eigenen Arbeit und dient den Zielenvon Bildungseinrichtungen. Es fördert In-novation. Es beschleunigt die Anwendungwebbasierter Lehrmethoden. Es fördert dieZusammenarbeit der Lehrkräfte untereinan-der. Für die Lehrkräfte selbst ist OCW einweiterer Weg, einen Beitrag für ihre For-schungsdisziplin zu leisten und gleichzeitigein relativ unaufwendiger Weg zur Publi-kation der eigenen Arbeit. Außerdem werdendadurch automatisch die eigenen Lehrunter-lagen archiviert und verfügbar gehalten.Schließlich unterstützt OCW die Studieren-den bei ihrer Studienplanung,

Bislang ist Open Courseware vor allemeine universitäre Angelegenheit. Ist dasKonzept auch für Schulen, Kindergärtenund Erwachsenenbildungseinrichtungenanwendbar?

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Anne Margulies: Wir glauben, dass OpenCourseware auf allen Ebenen von Bildungund Ausbildung sehr viel beitragen kann.

Was ist Ihre Vision von Open Courseware?Was sind Gefahren, was sind Chancen?

Anne Margulies: Die ersten Vertreter derOCW-Bewegung bauen gerade neue elektro-nische Publikationsmodelle für Ausbildungs-unterlagen auf. Wir erwarten, dass mit tech-nologischen Weiterentwicklungen eine breiteAuswahl an Einrichtungen aus verschiedens-ten Disziplinen auf dem Feld höhrer Bildungihre Kurse publizieren und Best Practicesoffen austauschen wird.

Sie hatten bereits verantwortungsvollePositionen im Bereich Informationstechno-logie an der Harvard Universität inne.Warum sind Sie zum MIT gewechselt, umLeiterin der OC Initiative zu werden?

Anne Margulies: Mich hat die Gelegenheitgereizt, an etwas mitzuarbeiten, das das Po-tential hat, sehr positive Auswirkungen aufdas Leben der Menschen auf der ganzen Weltzu haben.

Als Beraterin: Welchen Rat würden Sieeiner kleinen europäischen Universitätgeben, die selbst Open Courseware an-bieten will? Bitte nennen Sie uns ihre dreiwichtigsten Punkte.

Anne Margulies: Erstens gibt es mit derUniversität Klagenfurt bereits eine Univer-sität, die Mitglied im OCW Consortiumist und vielleicht als Vorbild dienen könnte.

Zweitens glauben wir am MIT, dass dieVorteile und Chancen von OCW die Kostenund Bedenken bei weitem überragen undwir haben bewiesen, dass die Problemehandhabbar sind. Wir haben sogar ein „HowTo Create an Open Course Ware“-Paket aufunserer Hompage platziert.36 Wir hoffen,dass unsere Erfahrungen den Lernprozessvon nachfolgenden Einrichtungen verkürzen.

Drittens erfordert Open Courseware denEinsatz der Professorinnen und Professorenfür die Lehre und die Weitergabe von Wissen.Die Mithilfe zumindest einer Kerngruppedes Lehrkörpers ist ein zentraler Faktor beider Etablierung eines Open Courseware-Programms.

Interview

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03 | OFFENE LEHRE IST FREIE LEHRE IST GUTE LEHRE

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„Die Veröffentlichungvon Lehrmaterialien mussselbstverständlich werden!“

Interview: Thomas PfefferDer Soziologe Thomas Pfeffer forscht an der Alpen Adria Universität Klagenfurt und ist dortverantwortlich für die Publikation von Lehrmaterialien als frei und kostenlos zugängliche „OpenCourseware“. Die Universität Klagenfurt ist in diesem Zusammenhang als erste österreichischeUniversität Mitglied des internationalen OpenCourseWare-Consortiums.

Foto: Thomas Pfeffer

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Interview

Was bedeutet für Sie „Open Courseware“?Was fällt auf keinen Fall darunter?

Thomas Pfeffer: Nach meinem Verständnisist Open Courseware (OCW) die Publika-tion von Lehrmaterialien in einem bestimm-ten Format, dem „Kurs“. Es stellt damiteine Festlegung auf ein bestimmtes Format,eine bestimmte Größenordnung dar, ähnlichder Festlegung auf das Format „Buch“ oder

„Artikel“. Inhaltlich enthält ein OCW-Kursdie Unterlagen (z.B. Skripten, Präsentations-folien) einer ganzen Lehrveranstaltung, sowieKontextinformationen (z.B. Zeitplan undTermine, Zielsetzungen, Prüfungskriterien).Im Fall des OCW-Pioniers MassachusettsInstitute of Technology, dem MIT, handeltes sich bei OCW Kursen um „post-teachingpublications“. Das sind Unterlagen, die imUnterricht verwendet und nachträglich ver-öffentlicht wurden.

Woran ist „gute“ Open Courseware zuerkennen?

Thomas Pfeffer: Erstens liefert gute OpenCourseware tatsächlich verwendete Mater-ialien für ganze Kurse und nicht nur einzelneSkripten in einer halbwegs standardisiertenDarstellungsform. Zweitens sind diese Un-terlagen völlig frei – also ohne Registrierung– zugänglich und kostenlos nutzbar. Drittensmuss sich die Bildungseinrichtung als Her-ausgeber oder Verleger verstehen und ent-

sprechende Unterstützung anbieten. Dabeihandelt es sich aber ausschließlich um Lehr-materialien, die noch keinen Ersatz für dieLehre an sich bieten. Weder kann ein Zeug-nis über den Kurs erlangt werden, nochbesteht Interaktion mit den Vortragenden.Aus diesen Kriterien folgt außerdem, dassunverbundene Materialien, einzelne Bruch-stücke oder Skripten, Materialien ohnedirekten Zusammenhang mit Lehrveranstal-tungen, kostenpflichtige Materialien oder

„private“ Lehrhomepages ohne institutionel-le Strategie nicht Open Courseware sind.

Kann oder soll OCW Bücher ersetzen?

Thomas Pfeffer: Ich glaube, in einem erstenSchritt ist es einfach eine neue, zusätzlichePublikationsform, die den neuen Informa-tions- und Kommunikationstechnologienund dem Internet angemessen ist. Vielleichtangemessener, als herkömmliche Bücher.Ich glaube nicht, dass OCW generell Bücheroder andere Quellen ersetzen kann.

Die Alpen-Adria-Universität Klagenfurtist die erste Universität in Österreich, diedem OCW Beispiel des MIT folgt. Waswar ausschlaggebend OCW einzuführen?

Thomas Pfeffer: Die Idee gibt es seit ein-einhalb Jahren und seit Mitte 2005 arbeiteich an der Umsetzung. Im Rahmen meinerForschung über die Virtualisierung von

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Universitäten bin ich auf das Konzept vonOCW gestoßen. Aus mehreren Gründenbin ich von dessen Sinnhaftigkeit für dieUniversität Klagenfurt und für österreich-ische Universitäten insgesamt überzeugt.

Erstens muss im Zuge der Einführung voneLearning (Lehrangeboten über das Internet,Anm.) ohnedies elektronisches Lehrmaterial produziert werden. Es innerhalb der einzel-nen Lehrveranstaltung zu „verstecken“ wäreVerschwendung. Erst die Veröffentlichungschafft die Möglichkeit für zusätzliche Nut-zung.

Zweitens sind wir in Klagenfurt noch relativam Anfang mit der Einführung von eLear-ning. OCW bietet ein Modell dafür, wieMaterialien strukturiert und bereitgestelltwerden können, und soll so die breite Ein-führung von eLearning erleichtern.

Drittens basierte wissenschaftliche Kommu-nikation immer schon auf freiem Wissen-saustausch. Akademisches Wissen setzt sichdurch Publikation aller seiner Teile (Theorie,Methode, Ergebnis) öffentlicher Kritik ausund ermöglicht dadurch Wissenstransfer,Qualitätsverbesserung, aber auch Prestigege-winne.

Viertens muss es der Universität Klagenfurtein Anliegen sein, ihren Angehörigen nichtnur Zugang zu den Produkten der zuneh-

mend virtuellen Wissensgesellschaft zu ver-schaffen, sondern sie muss auch die Produk-tionsmittel bereitstellen. Volle Teilnahmean der virtuellen Wissensgesellschaft er-schöpft sich nicht in der passiven Rezeption,sondern wird nur durch aktive Beiträgemöglich.

Ist das MIT das große Vorbild?

Thomas Pfeffer: Ja, definitiv. Nur muss inKlagenfurt das OCW Modell auf lokaleGegebenheiten heruntergebrochen und esmüssen übertriebene Kosten vermiedenwerden. Denn im Gegensatz zum MITfehlen uns gewisse organisatorische Voraus-setzungen und vergleichbare ökonomischeRessourcen.

Sie erwähnten institutionelle Publikati-onsstrategien. Gibt es in Klagenfurt, wiebeispielsweise am MIT, eine „Redaktion“zum Publizieren der Lehrmaterialien?

Thomas Pfeffer: Das MIT hat ein großesRedaktionsteam und eine eigene technischeInfrastruktur geschaffen. In Klagenfurt mus-sten wir eine low-cost Strategie entwickeln.Statt einer separaten technischen Infrastruk-tur verwenden wir unser Lehrmanagement-system „Moodle“. Das Redaktionsteam istnoch sehr klein – es besteht derzeit nur ausmeiner Person.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

In der Bildungslandschaft in Österreichsieht es zurzeit trist aus. Geld fehlt anallen Ecken und Enden. Was brachte Siedazu jetzt diese Initiative zu starten?

Thomas Pfeffer: Im letzten Jahr hat dasBundesministerium für Bildung, Wissen-schaft und Kultur in einem WettbewerbFördergelder für institutionelle eLearningStrategien vergeben. Die Universität Klagen-furt war mit dem Projekt „Offene Alpen-Adria Universität“ erfolgreich, die Konzep-tion von OCW Klagenfurt konnte zum Teildaraus finanziert werden. Diese Anschubfi-nanzierung war sehr wichtig.

Welchen Zeitplan verfolgen Sie mit demProjekt?

Thomas Pfeffer: Viel Zeit ist in die Entwick-lung einer lokalen Umsetzungsstrategie, etwafür Entscheidungen über die technischeLösung, geflossen, die jetzt im Wesentlichensteht. Wir haben uns dazu entschlossen, dieebenfalls im vergangenen Jahr implementier-te Lernplattform Moodle auch zur Publika-tion von OCW Kursen zu nutzen. Links zuden OCW Kursen werden auf einer separa-ten Homepage zusammengefasst, die auchein Handbuch zur Materialproduktion ent-halten soll. Im Herbst 2006 waren so bereitsdie ersten 10 Kurse vorhanden. Zusätzlichwurde eine institutionelle Kooperation derUniversität Klagenfurt mit dem internatio-

nalen OpenCourseWare Consortium erar-beitet. Wie es dann weitergeht, wird Gegen-stand von Verhandlungen sein. Das bisherigeProjekt war nur mit der Anschubfinanzier-ung des Ministeriums möglich. Da denösterreichischen Universitäten finanziellextrem enge Grenzen gesetzt sind, bleibtkaum Spielraum für Investitionen.

Was sollten Hintergedanken der Förde-rung von OCW von seiten der öffentlichenHand sein?

Thomas Pfeffer: Aus Sicht der öffentlichenHand würde ich dazu raten, die systema-tische Veröffentlichung elektronischer Lehr-materialien zu forcieren, um die Nachhaltig-keit öffentlicher Investitionen im BereicheLearning zu fördern. OCW ist dafür einesvon mehreren möglichen Konzepten.

Sehen Sie dann überhaupt eine Chanceim aktuellen, finanziellen Rahmen OCWzu verwirklichen?

Thomas Pfeffer: Kommt darauf an, inwelchen Zeiträumen man denkt und wiestrategisch. Für einzelne Institutionen erhöhtder sichtbare Einsatz von neuen Informa-tionstechnologien und das Bereitstellen vonWissensprodukten ihre Legitimation undAttraktivität. Für nationale Systeme würdeOCW Innovationsvorteile bedeuten. Gewin-ne aus Innovationen sind freilich nicht

Interview

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einfach zuzuordnen und nicht sehr schnellzu lukrieren. Mein Argument lautet hierimmer: „Erkläre mir den Gewinn oder dieEinsparung durch Email!“

Wie können Angehörige der Universitätmotiviert werden, ihre Lehrmaterialienzu veröffentlichen?

Thomas Pfeffer: Eines ist klar, das Erklärendes Konzepts allein reicht nicht. Derzeit binich dabei, Beispielfälle zu schaffen, indemich Kurse online stelle. Daneben ist aberauch das klare Bekenntnis und die Unter-stützung der Universitätsleitung notwendig,um das institutionelle Interesse sichtbar zumachen. Man kann nur dann viele Lehrendemotivieren, wenn die offizielle Anerkennungdieser Leistung erwartbar ist.

Kommen wir auf die Publikationsformenzurück, die Sie zu Beginn erwähnten. Wasgenau meinten Sie damit?

Thomas Pfeffer: Informations- und Kom-munikationstechnologien sind vergleichs-weise jung. Bisher haben sich noch keineadäquaten Publikationsformen oder literari-sche Formen entwickelt. Nehmen wir alsBeispiel den Buchdruck. Auch hier hat eseine Zeit gedauert, bis sich Bücher, wissen-schaftliche Journale und Zeitschriftenartikelals literarische Formen (z.B. gegenüber ein-zelnen Zetteln oder unabgeschlossenen Text-

konvoluten) durchgesetzt haben. SolcheFormen sind wichtig, um Texte auf breiterBasis austauschen und archivieren zu können,aber auch als Orientierung für Autoren undLeser. In OCW sehe ich eine solche Publi-kationsform, die ein relativ standardisiertesFormat besitzt und die sich allmählich ver-breitet.

Wie könnte Ihrer Meinung nach eineStadt wie Linz Open Courseware fördern?

Thomas Pfeffer: Indem sie den Aufbauvon Redaktionsstrukturen und Publikations-plattformen fördert. Ich selbst bin Univer-sitätsangehöriger, weshalb ich es auch nahe-liegend fände, die Universität Linz zu fördernund zu fordern: Publiziert doch, was ihrlehrt, damit das die Menschen auch sehenund eventuell davon profitieren. Oder, wennman über OCW hinausgeht, können auchForschungsförderungen an die elektronischePublikation der Forschungsergebnisse gebun-den werden.

Werden bisher Förderungszusagen an dieelektronische Publikation von Forschungs-ergebnissen gebunden?

Thomas Pfeffer: In Österreich nicht, aberandere Länder wie England oder auch dieUSA beginnen darauf Wert zu legen. Förder-institutionen realisieren, dass sie zweimalzahlen: Einmal für die Produktion von

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Wissen und ein zweites Mal - über Litera-turbudgets - dafür, dass es von der gleichenForschungscommunity gelesen wird. Ichsehe es als wichtig an, diese Förderungenan „freie“ elektronische Publikation zu bin-den.

An wen richtet sich OCW vor allem? Werist die Hauptzielgruppe?

Thomas Pfeffer: Ich glaube OCW richtetsich vor allem an Lehrende, da über Institu-tionsgrenzen hinweg ein Vergleich mit Fach-kolleginnen und –kollegen möglich wird.Bisher war die Lehre ein sehr einsamesGeschäft, da alles in geschlossenen „Klassen-zimmern“ stattgefunden hat. Die eigeneSichtbarkeit als auch die Kritisierbarkeitwird damit erhöht und man muss nichtjeweils das Rad neu erfinden.

Da braucht es wohl eine ziemliche Kehrt-wende im Lehrverständnis. Inwiefernmuss sich das Lehrverständnis ändern?

Thomas Pfeffer: Klarerweise löst das ersteinmal Unsicherheit in der Lehre aus, ob-wohl es in der Forschung tagtäglich so ge-handhabt wird. Ich glaube, erst jetzt wirdes langsam möglich, Lehre als etwas zu ver-stehen, das nicht nur von (der Summe) dereinzelnen Lehrenden ausgeht, sondern dassneben dem Klassenzimmer auch andereQuellen und Lernumgebungen existieren.

Lernmaterialien haben erstmals das Potential,sich zu akademischen Publikationsformenzu entwickeln.

Was ist Ihrer Meinung nach eines derwichtigsten Vorteile von OCW beziehungs-weise einer der Hauptgründe OCWeinzuführen?

Thomas Pfeffer: Wenn man davon ausgeht,dass es eine zentrale Aufgabe von Universitä-ten ist, Alphabetisierung auf akademischemNiveau zu betreiben – d.h. den Umgangmit wissenschaftlichen Texten und die Fähig-keit zum wissenschaftlichen Schreiben zuvermitteln – , dann ist heutzutage Alphabet-isierung auch im Umgang mit neuen Medi-en gefragt. Universitäten müssen sich imUmgang mit ihnen üben, denn das ist eineneue Kulturtechnik. Dazu gehört ein Übensowohl der kritischen Rezeption, als auchder anspruchsvollen Produktion. OCW istein kleiner Schritt in diese Richtung.

Ist ein Ja oder Nein zu OCW eine politi-sche Frage?

Thomas Pfeffer: Die allgemeinere Frage,wie mit akademischen Wissensressourcenumgegangen werden soll, ist eine eminentpolitische Frage. Es kann nicht sein, dassakademische Wissensproduktion öffentlichgefördert wird, aber private Verlage an denCopyrights für genau diese Produkte horr-

Interview

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ende Summen verdienen. Für die Öffent-lichkeit ist es günstiger, die durch sie geför-derten Forschungsergebnisse frei zugänglichzu machen, und notfalls die Publikationselbst punktuell zu subventionieren. Wobeiich dazusagen muss, dass ich nicht dagegenbin, dass private Dienstleister für Serviceleis-tungen bezahlt werden, zum Beispiel wennsie die öffentliche Bereitstellung effizientmanagen. Ich bin nur dagegen, dass sie überdie Copyrights Eigentumsrechte an akade-mischen Wissensressourcen erhalten.

Was sind Ihre Visionen bezogen auf OCWund die Zukunft?

Thomas Pfeffer: Ich träume davon, dass esbald technisch möglich wird, zu jeder Lehr-veranstaltung eine begrenzt zugänglicheInnen- und eine frei zugängliche Außenseitezu schaffen. Das heißt, die Veröffentlichungvon Lehrmaterialien sollte ein möglichstselbstverständlicher Vorgang werden, derschon in den Lehrprozess eingebunden ist.Derzeitige Lernplattformen setzen leidernoch zu sehr auf das Konzept des abgeschlos-senen Klassenzimmers. Im größeren Kontexthoffe ich, dass mehr Universitäten auf OCWaufspringen und es sich als verbreiteterStandard durchsetzt. Die öffentliche Handkönnte Veröffentlichung von Lehrmateria-lien beispielsweise zu einem Teil ihrer Leis-tungskriterien bei den anstehenden Ziel-und Leistungsvereinbarungen mit den Uni-

versitäten machen. Je mehr kostenfrei publi-ziert wird, desto besser für das gesamte Wis-senschafts- und Bildungssystem.

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LINZ.STADT DER

FREIEN NETZE

Thema

Interview

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PROJEKT: Open Courseware an Linzer Grundschulen

An Volks- und Hauptschulen werden jedes Jahr aufs neue grundlegendes Wissen undsoziale Fähigkeiten vermittelt. Auch abseits reformpädagogischer Ansätze kommen dabeiviele verschiedene Zugänge und Methoden zum Einsatz. Ein aneinander Weiterentwickelnund voneinanderer Lernen anhand konkreter Konzepte findet zwischen den Pädagoginnenund Pädagogen aber nicht oder nur in engem Rahmen statt. Open Courseware an LinzerGrundschulen könnte helfen, die Vielfalt der Methoden an verschiedenen Schulstandortenzu vernetzen. Lehrende könnten sich von Lehrkonzepten und Vermittlungsarten an anderenGrundschulen inspirieren lassen´, auf erprobtes KollegInnenwissen zurückgreifen oder dieeigenen Ideen öffentlicher Kritik zugänglich machen.

Jede der 40 Volks-, 19 Haupt-, 4 Sonderschulen sowie der 2 polytechnischen Schulen inLinz verfügt inzwischen längst über eine eigene Homepage. Die technischen (Mindest-)Voraussetzungen für institutionelle Publikation von Lehrunterlagen auch im Grundschul-bereich sind also bereits vorhanden. Die völlig selbstständige Publikation von Lehrunterlagendurch die Schulen würde aber die Chancen von Open Courseware nicht völlig ausschöpfen:Die Ressourcen einzelner Schulen sind verglichen mit Universitäten einfach zu gering. Umdie Sichtbarkeit zu verbessern, den Vergleich der jeweiligen Online-Angebote zu erleichternund die einzelnen Schulen und Lehrenden zu entlasten, drängt sich eine überschulische,zentrale Koordination auf. Für den gesamten Grundschulbereich ist eine Person alsKoordinatorin vom Magistrat abgestellt. Sie stellt an den einzelnen Schulen das Konzeptvor, hilft beim Aufbau des eigenen Angebots und führt die Unterlagen der einzelnen Schulenzusammen. An den Schulen selbst bildet je ein/e Open Courseware-Referent/in dieSchnittstelle zwischen der zentralen Koordination und den Lehrenden an der Schule.Auftakt für den Start des Online-Angebots und in der Folge jährliches Vernetzungstreffenbildet eine zweitägige Konferenz zu Open Courseware an Linzer Grundschulen. Kernstückder Konferenz sind einerseits Vorträge von ExpertInnen und Workshops zu Themen wiezum Beispiel „Wie veröffentliche ich gute Open Courseware?“ oder „Was soll ich veröffent-lichen?“

Ein nächster Schritt könnte die Integration weiterer Linzer Open Courseware-Angebote(zum Beispiel der Johannes Kepler Universität oder diverser Erwachsenenbildungseinricht-ungen in den ohnehin notwendigen Web-Auftritt darstellen – ein Open Courseware-Portalfür Linz.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Projekte

Online-Archiv von frei und öffentlich zugänglichen Unterrichtsunterlagen,Lehrmethoden und -konzepte von Lehrerinnen und Lehrern an Linzer Grundschulen

- Web-Auftritt- Zentrale Koordinationsstelle- Unterstützung und Anreize für Beiträge der Lehrer/innen

Lehrer/innen der (nicht nur) Linzer Grundschulen

Stadt Linz in Zusammenarbeit mit den Schulen

- DirektorInnen- Bildungsreferent d. Stadt Linz- Lehrer/innen und ihre Verbände

Vorbereitung ab 2007, Testphase 2008, offizieller Start 2009

Aufbau und Betrieb der zentralen Koordinationsstelle

PROJEKTSKIZZE:Open Courseware an den Linzer Grundschulen

Projektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

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PROJEKT: Digitale Volkshochschule Linz

Sämtliche ProponentInnen von Open Courseware-Initiativen nennen regelmäßig zweiHauptzielgruppen für ihr Engagement: Lehrende, die für ihre Unterlagen ein breites Publi-kum, Kritik und Anregungen finden sollen, und Autodidakten. Gerade an letztere, nämlichan selbstständiger (Weiter-)Bildung abseits und nach üblichen (Aus-)Bildungswegeninteressierte, Gruppe richten sich auch die Angebote von Erwachsenenbildungseinrichtungenwie die Volkshochschulen, das Berufsförderungs- und das Wirtschaftsförderungsinstitut.

Sie alle bieten Kurse zur beruflichen und persönlichen Weiterentwicklung in denverschiedensten Themenbereichen an. Die Lehrunterlagen dieser Kurse schrittweise digitalzu erfassen und online zugänglich zu machen, wäre nicht nur eine sinnvolle Ergänzungdes ohnehin öffentlichen Bildungsauftrags dieser Einrichtungen, es wäre auch ein Schrittin Richtung Qualitätsförderung und -sicherung.

Genauso, wie Programmierer/innen von Freier Software weniger schlampig programmierenund einen „schöneren“, das heißt besser gegliederten und kommentierten, Quellcodeschreiben, wirkt die freie Veröffentlichung der eigenen Lehrunterlagen automatisch qualitäts-steigernd – vom Vorteil auf das inhaltliche und didaktische Know-how von KollegInnenzurückzugreifen ganz zu schweigen.

Als Anreiz für das zur Verfügungstellen der Materialien bietet sich eine Pauschalgebührpro Kurs an – die Kursleiter/innen sind in der Regel ja nur nebenberuflich für die Weiter-bildungseinrichtungen tätig. Zusätzlich zur Sammlung der Unterlagen bedarf es einerzentralen Stelle zur Kontrolle und Umsetzung einer institutionellen Publikationsstrategieim Rahmen des Internetauftritts der Volkshochschule bzw. im Rahmen einer Open Course-ware Plattform Linz. Nach einer Pilotphase könnte dann die schrittweise Einbeziehungweiterer Erwachsenenbildungseinrichtungen angedacht werden.

Eine Teilnahme der verantwortlichen Personen an einer jährlich stattfindenden OpenCourseware-Konferenz zur Vernetzung sämtlicher Linzer Open Courseware-Angebote istnatürlich ebenso sinnvoll wie wünschenswert.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Projekte

Langfristig alle Kurse der Volkshochschule (VHS), des Berufsförderungsinstitutsund des Wirtschaftsförderungsinstituts online als Open Courseware frei zugäng-lich zu machen.

Aufbau einer Open Courseware-Struktur an der Linzer VHS

- Kursleiter/innen- Menschen mit Interesse an Aus- und Weiterbildung

Magistrat Linz bzw. VHS Linz

- Volkshochschule-Öffentliche oder sozialpartnerschaftliche Weiterbildungseinrichtungen-Bildungsreferent der Stadt Linz

Vorlaufzeit bis zum Start zu Jahresbeginn 2009 ca. 1 Jahr, danach Dauerbetriebbzw. laufende Erweiterung

- Pauschalgebühren für Aufbereitung und zur Verfügung stellen der Kursunterlagen- Personalkosten für Betreuung des Open Coursewarengebots- Aufbau und Betrieb des Online-Auftritts

Projektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

PROJEKTSKIZZE:OCW für Erwachsenenbildung

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03 | OFFENE LEHRE IST FREIE LEHRE IST GUTE LEHRE

PROJEKT: Öffnung der Lehre an der Johannes Kepler Universität

Ein Engagement der Linzer Johannes Kepler Universität im Bereich frei im Internetverfügbarer Kursunterlagen wäre nicht einmal mehr in Österreich eine Pionierleistung –die Klagenfurter Alpen Adria Universität ist als Mitglied im internationalen Open CoursewareConsortium hier längst zwei Schritte voraus. Ein Vorsprung, der aber dank der bereitsbestehenden Erfahrungen und Einrichtungen in verwandten Bereichen wie e-Learningund Multimedia-Studien leicht aufgeholt werden könnte – das offizielle und finanzielleBekenntnis zu Open Courseware vorausgesetzt.

Im Rahmen des Instituts bzw. der Abteilung „e-Learning – Lehren und Lernen mitNeuen Medien“ könnte das OCW Projekt an der Johannes Kepler Universität entstehen.Neben einer über das Klagenfurter (Minimal-)Vorbild hinausgehenden personellen undinfrastrukturellen Ausstattung könnte ein vom Hochschulfond dotierter Open Courseware-Wettbewerb den Startschuss für die Erfassung von Lehrunterlagen bilden.

Ein nächster Schritt könnte die schrittweise Erfassung und Eingliederung bereitsvorhandener, digitaler Lehrangebote in ein Open Courseware-Angebot der Universität sein.An erster Stelle wäre hier das qualitativ äußerst hochwertige und umfassende Angebot desMultimedia-Studiums Jus zu nennen, das aber bislang nur gegen erhebliche Zuzahlungauch Präsenzstudierenden zur Verfügung steht. Zumindest bei der Planung und Umsetzungweiterer Auflagen sowie der Ausdehnung des Konzepts auf andere Studienrichtungen und–angebote, sollte die Vergabe öffentlicher Fördermittel an die freie Publikation als OpenCourseware geknüpft werden.

Schließlich sollte die Publikation von Lehrunterlagen als Open Courseware als einerPublikation vergleichbare Leistung bei der (Weiter-)Beschäftigung von DozentInnen Berück-sichtigung finden, um auch hier Anreize zu möglichst umfassender Beteiligung zu liefern.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

OCW für UniversitätenPROJEKTSKIZZE:

Projektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

Projekte

- Langfristig alle Kurse der Universität online stellen- Mittelfristig (nächsten 2 Jahre) solle jedes Institut einen Kurs online stellen

Aufbau eines umfassenden Open Courseware-Angebots an der Johannes KeplerUniversität Linz

- Lehrende und Studierende an der Universität Linz- Sonstige Lehrende, Studierende und Interessierte

Johannes Kepler Universität Linz

- Rektorat- Stadt, Land und Bund- Hochschulfond

Vorlaufzeit bis zum Start zu Jahresbeginn 2009 ca. 1 Jahr, danach Dauerbetriebbzw. laufende Erweiterung

- Personalkosten für Betreuung des Open Coursewareangebots- Aufbau und Betrieb des Online-Auftritts

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04 | FREIE SOFTWARE FÜR FREIE BÜRGER/INNEN

„Software ist wie Sex - sie ist besser, wenn sie frei ist.“

(Linus Torvalds, Gründer des freien Betriebssystems Linux)

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

FREIE SOFTWAREFÜR FREIEBÜRGER/INNEN

FREIE SOFTWAREFÜR FREIEBÜRGER/INNEN

Leonhard Dobusch und Jakob Huber

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04 | FREIE SOFTWARE FÜR FREIE BÜRGER/INNEN

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Kommunale Chancen und Aufgaben bei der Verwendung Freier undOpen Source Software

Ubuntu ist ein Wort der afrikanischen Sprache Zulu und steht dort für „Menschlichkeit“und „Gemeinsinn“, aber auch für den Glauben an ein „universelles Band des Teilens, dasalles Menschliche verbindet“. In Europa wurde dieses Wort aber erst in den letzten Jahrenbekannt als Name einer populären Version des Computerbetriebssystems Linux. Vonseinem größten Konkurrenten Windows unterscheidet sich Ubuntu weniger in seinerBenutzerInnenführung oder in seinen Funktionen, sondern durch zwei andere Eigenschaften:Es ist kostenlos erhältlich. Und jede/r, der/die möchte, darf es verändern, erweitern undan Freunde und Bekannte weitergeben. Diese Unterschiede zu Windows machen auchdeutlich, warum der südafrikanische Ubuntu-Gründer Marc Shuttleworth diesen speziellenNamen für die Software ausgewählt hat: Er unterstreicht, dass Ubuntu nur durch diegemeinschaftliche Zusammenarbeit vieler Menschen möglich ist, die zwar über die ganzeWelt verstreut, aber durch das Internet miteinander verbunden sind.

Die Ubuntu-Community ist dabei nur eine von unzähligen weltweit, die sich dergemeinschaftlichen Erstellung von Freier bzw. Open Source Software verschrieben haben.37

Nahezu jedes kommerzielle Computerprogramm hat mittlerweile freie Open-Source-Pendants, die nicht nur kostenlos erhältlich sondern teilweise sogar funktional überlegensind. Der freie Internet-Browser Firefox löst auf immer mehr PCs Microsofts InternetExplorer ab. Statt Briefe in Word und Tabellen in Excel zu erstellen, nutzen immer mehrMenschen die Programme Writer oder Calc des freien Programms OpenOffice (in Tabelle1 findet sich eine Auflistung der wichtigsten Softwareprogramme).

Dieses Phänomen, nämlich dass Menschen Ergebnisse ihrer Arbeit frei und für jede/nzugänglich machen, hat (nicht nur) ÖkonomInnen verblüfft und ratlos gemacht: Warumbeteiligen sich so viele Menschen an der Entwicklung von Freier Software? Wieso funktioniertdieses Entwicklungsmodell? Ist Open Source Software vielleicht sogar eine Gefahr für dieWirtschaft, eine Art Cyber-Kommunismus im Internet? Darf und kann mit Freier SoftwareGeld verdient werden?

Mit Fragen und Vorwürfen dieser Art schlägt sich der Pionier der Open-Source-Bewegung,Richard Stallman, seit der Gründung der Free Software Foundation (FSF) regelmäßigherum (siehe auch Interview). Zumindest auf die Frage nach den Gründen für Einzelne,sich an der gemeinschaftlichen Erzeugung von Freier Software zu beteiligen, hat er eine

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Thema

ausführliche Antwort parat: Die Gründe reichen vom reinen Spaß am Programmierenüber Nächstenliebe und Dankbarkeit bis hin zu politischem Idealismus oder doch auchGeld.38 Letzteres steht für Stallman keineswegs im Widerspruch zum Freiheitsideal. Wennjemand mit frei zugänglicher Software Geld verdienen kann, dann soll er oder sie das auchdürfen, solange damit nicht die gemeinschaftlichen Rechte und die gemeinsame Weiterent-wicklung eingeschränkt werden.

Als wesentlichste Voraussetzung dafür gilt der Zugang zum Quelltext („Source Code“)eines Computerprogramms. Dieser enthält die für Menschen lesbaren Anweisungen anden Computer und gibt Auskuft darüber, wie Computersoftware funktioniert. Zu Beginndes Computerzeitaltersbestand jede Software nur aus solchen Quellcodes und war damit

„Open Source“.

Eine kurze Geschichte Freier Software

So beginnt auch der Präsident der Free Software Foundation Europe, Georg Greve,Vorträge zum Thema Freie Software meist mit folgendem Satz: „Am Anfang war alleSoftware frei.“ Zeitlich lag dieser Anfang in den 1960er Jahren. Computer gab es nur anwenigen Forschungsinstituten, wie zum Beispiel den „Labs“ des Massachusetts Instituteof Technology (MIT), und an den Räume füllenden Maschinen arbeiteten große Teams.Für die ForscherInnen war es selbstverständlich, jede Idee, jeden Verbesserungsvorschlag,jede Programmzeile mit KollegInnen zu teilen und gegenseitig zu überprüfen („Peer

Free/Libre/Open Source Software

GNU/Linux (z.B. Ubuntu, Suse, RedHat…)

Mozilla Firefox, Konquerer, Seamonkey

Mozilla Thunderbird,

OpenOffice.org (Writer/Calc/Impress/Base)

GIMP

Scribus, Inkscape

VLC Media Player

eMule, Gnutella, Azeurus

PNG-Format, OGG-Format

Closed Source Software

Microsoft Windows, Apple MacOS

MS Internet Explorer, Opera, Safari

MS Outlook (Express), Lotus Notes

MS Office (Word/Excel/Powerpoint/Access)

Adobe Photoshop

Adobe Illustrator, Quark Xpress

MS Media Player

eDonkey, KaZaA, Bittorrent

GIF-Format, MP3-Format

Verbreitete Software und ihre kostenlosen Pendants mit freiem Quellcode

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Review“). Software war kein eigenes Produkt, sondern wurde eher als „Zugabe“ zurHardware verstanden - praktisch jedes Computer-Programm war damals „Open Source“.

In dieser Zeit etablierte sich auch die „Hacker-Kultur“, wobei die Bezeichnung „Hacker“damals keinen negativen sondern eher einen anerkennenden Beigeschmack hatte. Dem2001 in Bielefeld verstorbenen Computer-Aktivisten der ersten Stunde Wau Holland wirddabei folgende Erklärung zugeschrieben: „Wenn man die Kaffeemaschine benutzt, weilder Herd nicht geht, um Wasser heiß zu machen, das dazu verwendet wird, die Fertigmischungfür Kartoffelbrei zuzubereiten, dann ist man ein Hacker.” Auch das damals leistungsfähigsteBetriebssystem Unix war maßgeblich von den Hackern einiger amerikanischer Universitätenentwickelt worden. Der US-Telekommunikationskonzern AT&T besaß zwar die Rechtedaran, dessen kartellrechtliche Probleme ermöglichten es aber den EntwicklerInnen, auchKopien des für Menschen lesbaren Unix-Quellcodes weiterzugeben. Die folgenden Jahrewaren von großen Fortschritten bei der Leistungsfähigkeit, Stabilität, Portabilität aufverschiedene Systeme und vor allem die Fähigkeit sich an Netzwerke anzuschließen, geprägt.

Als aber mit dem Aufkommen der PCs ein immer größerer Markt für Software entstand,begannen Softwarefirmen ihre Programme unter Lizenz zu stellen und nur mehr den fürMenschen unlesbaren Maschinen-Code („Binaries“), bestehend aus Einsern und Nullen,weiterzugeben. Auch AT&T startete 1983 den ausschließlichen Vertrieb seiner Unix-Version als proprietäre Software. Eine an der Universität Berkley entwickelte, freie Unix-Version namens BSD39 sollte gleichzeitig durch Klagen vom wachsenden Markt verdrängtwerden. Freie Software schien als Fußnote der Softwaregeschichte zu enden, die immermehr von Herstellern proprietärer Software wie Apple oder Microsoft geschrieben wurde.

Manche Hacker wollten sich aber nicht mit der Situation abfinden, dass andere mit denErgebnissen ihrer Arbeit Profite einfuhren und sie selbst nicht einmal mehr Zugriff aufden Quellcode hatten. Mehr noch, sie wollten auch verhindern, dass sich eine Geschichtewie die rund um Unix noch einmal wiederholen könnte. Einer dieser Hacker war RichardStallman vom MIT. Er begann noch im selben Jahr mit dem GNU-Projekt (GNU stehtals rekursives Akronym für „GNU’s Not Unix“) zur Entwicklung eines freien Unix-Klons,der der Community frei zur Verfügung stehen sollte. Um das Projekt dauerhaft zu schützen,entwickelte Stallman das Copyleft-Prinzip, das Urheberrechte gerade dafür einsetzt, diefreie Verwendbarkeit des Werkes zu garantieren. Zwei Jahre später gründete er als Trägerindes GNU-Projekts und zur Förderung Freier Software die Free Software Foundation.Gemeinsam mit dem Rechtsprofessor Eben Moglen fasste Stallman schließlich 1989

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Thema

verschiedene Copyleft-Lizenzen unter der „GNU Public License“ (GPL) zusammen. Damitwaren alle wichtigen Grundsteine Freier Software gelegt, zum endgültigen Durchbruchfehlte aber noch etwas: das Internet.

Bevor es im Internet einfach und schnell möglich war, immer wieder immer neueVersionen des Quellcodes einer breiten und über die ganze Welt verstreuten EntwicklerInnen-gemeinde zukommen zu lassen, mussten die PionierInnen Freier Software Disketten mitdem Quellcode per Post verschicken. Entsprechend langsam verlief die Weiterentwicklungin der Zeit vor dem Internet. Dass der Aufstieg des heute größten und bekanntesten StücksFreier Software, Linux, mit dem des Internets zusammenfällt, ist somit auch alles andereals ein Zufall.

Weil er gerne Unix-Software auf (relativ) billiger PC-Hardware verwenden wollte, bastelteder finnische Student Linus Torvalds an einem eigenen Betriebssystemkern namens „Freax“und stellt erste Ergebnisse auf einem Internet-Server zur Verfügung. Da dem Verantwortlichendes Servers der Name Freax nicht gefiel änderte er den Namen des Verzeichnisses auf

„Linux“ – Linus’ Unix. Zusammen mit Software aus dem GNU-Projekt, dem genau soein Kern noch gefehlt hatte, gab es damit plötzlich ein völlig freies Betriebssystem und jedeMenge Software für PCs. Nach einem Seminar bei Stallman in Helsinki stellte Torvaldsauch Linux unter die GPL-Lizenz des GNU-Projekts und veröffentlichte 1994 schließlichLinux in der Version 1.0. Zum offiziellen Logo von Linux wurde ein Pinguin auserkoren,dessen Name Tux für „Torvald’s Unix“ steht und gleichzeitig ein Wortspiel mit derenglischen Bezeichnung für Frack („Tuxedo“ oder einfach „Tux“) ist.

Free vs. Open Source Software

Während in den 1990er Jahren gemeinsam mit dem Internet die Community vonNutzerInnen und EntwicklerInnen Freier Software exponentiell wuchs, wurde ihr imSchatten von Microsofts Aufstieg zum profitabelsten Konzern der Welt zumindest in derGeschäftswelt nur geringe Aufmerksamkeit zu teil. Die doppelte Bedeutung von „free“ als

„frei“ und „gratis“ im Englischen hatte daran sicher ihren Anteil.

Nach der Niederlage im „Browserkrieg“ gegen Microsoft und der Übernahme durchAOL gab Netscape 1998 den Quellcode des vormaligen Marktführers unter den Internet-Browsern, „Netscape Communicator“, unter dem Projektnamen „Mozilla“ frei.40 EineGruppe von HackerInnen wollte diese Situation für eine Verankerung Freier Software im

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Businessbereich nutzen. Einer von ihnen, Eric Raymond, formuliert es rückblickend so:“Wir begriffen, dass Netscapes Ankündigung ein kostbares Zeitfenster geöffnet hatte, indem es uns endlich gelingen könnte, die Unternehmenswelt dazu zu bringen, sich anzuhören,was wir ihr über die Überlegenheit eines offenen Entwicklungsmodells beizubringen hatten.Wir erkannten, dass es an der Zeit war, die Konfrontationshaltung abzulegen, die in derVergangenheit mit der ‚Freien Software’ in Verbindung gebracht wurde, und die Ideeausschließlich mit den pragmatischen, wirtschaftlichen Argumenten zu verkaufen, die auchNetscape dazu motiviert hatte.”

Noch im selben Jahr folgte das Gründungstreffen der Open Source Initiative. DerVorschlag anstatt von „Freier“ nur noch von „Open Source Software“ zu sprechen, gehtauf Christine Peterson41, einer der (bislang) wenigen führenden Frauen in der Open-SourceBewegung, zurück. Die Gründungsversammlung sah damit ein Problem gelöst: Die Zwei-deutigkeit von „frei“ (free) im Sinne von Freibier und/oder Freiheit. Außerdem war damiteine Abgrenzung zu dem als (zu) „ideologisch“ betrachteten Ansatz der Free SoftwareFoundation (FSF) verbunden. Diese sahen aber wiederum die Freiheit als Kern ihrerIdentität an und befürchteten mittelfristig eine Schwächung Freier Software. Die Diskussionenüber die Werte und Ziele Freier Software spaltete die Community und bis heute bestehenein Free-Software- und ein Open-Source-Lager.

Wer dabei an die Spaltungen sozialer Bewegungen in den 1960er Jahren denkt, hat nurteilweise Recht. Zwar stimmen beide Seiten darüber überein, dass sie unterschiedlichePrinzipien haben. „Open-Source ist eine Entwicklungs-Methode, Free-Software ist einesoziale Bewegung. (...) Für die Open-Source Bewegung ist nicht-Freie Software einesuboptimale Lösung. Für die Free-Software Bewegung ist sie ein soziales Problem und Free-Software die Lösung,“42 lautet der gängige Vergleich, den die Free-Software-Foundationverwendet. Dabei ist man sich „in den praktischen Ableitungen und Handlungsempfehlungenmehr oder weniger einig.“ Diese Einschätzung spiegelt sich auch im „Alltag“ der EntwicklungFreier Software wieder, wo die Unterschiede keine große Rolle spielen und auch die wenig-sten sich genau einem Lager zuordnen würden.

Ein Grund dafür ist, dass nach der Open-Source-Definition der Open Source Initiative(OSI) Freie Software immer auch Open Source Software ist. Die drei Grundpfeiler dieserDefinitions sind nämlich weniger streng als die Definition Freier Software der Free SoftwareFoundation: Erstens müssen die Quelltexte vorliegen, zweitens muss das Programm beliebigkopiert, verbreitet und genutzt werden dürfen und drittens muss das Programm verändert

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Thema

verbreitet werden dürfen. Ohne Copyleft fehlt den Open-Source-Lizenzen aber die Auflage,veränderte Programme der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.

Ironischerweise ist in jüngster Zeit verstärkt auch die Vieldeutigkeit von „Open Source“ein Problem: Quellcode, der einsehbar ist, aber nicht verändert werden darf, ist zwar

„quelloffen“ aber eben nicht „Open Source“ im Sinne der Definition. Ein Open-Source-Gütesiegel konnte sich wohl auch deshalb nie durchsetzen, da selbst überwiegend proprietäreSoftware in den Regalen als „Open Source“ verkauft wurde. Der Autor der Open SourceDefinitions und OSI-Mitgründer, Bruce Perens wechselte nach einem Jahr dennochzufrieden die Lager. Die OSI habe ihre Aufgabe, der Nicht-HackerInnen-Welt die FreieSoftware nahe zu bringen, erfüllt: „Und jetzt ist es Zeit für die zweite Phase: Jetzt, wo alleWelt zusieht, ist es für uns an der Zeit, Sie über Freie Software aufzuklären. Beachten Sie,ich sagte Freie Software und nicht etwa Open Source“.

Viele Augen sehen mehr

So umstritten die „richtige“ Lizenz und die „richtige“ Bezeichnung unter Programmierer-Innen Freier Software ist, so überzeugt sind sie in der Regel von den Vorzügen ihres Entwick-lungsmodells. Auch wenn sich freie und proprietäre Software auf den ersten Blick nur durchdie Softwarelizenz unterscheiden, sind die Konsequenzen dieses Unterschieds für ihreHerstellung („Softwareentwicklung“) enorm. Während proprietäre Software ähnlich her-

Open Source SoftwareOpen Source Initiative (OSI, opensource.org) veröffentlicht Kriterien als Grundlage für ein „Open-Source“Gütesiegel. Quelltexte müssen offen, veränderbar und verbreitbar sein. OSI präsentiert sich bewusstunpolitisch. Bekannteste Lizenz: Mozilla Public License.

Free Software (Freie Software)Bezeichnet Software, die in der Regel dem Copyleft unterliegt (dadurch automatisch auch Open Source,aber nicht umgekehrt). Free Software Foundation fördert nicht nur Verbreitung, sondern auch Aufklärung. Bekannteste Lizenz: GNU-General Public License (GPL)

FreewareKostenlose Programme, deren Quellcode nicht unbedingt frei zugänglich ist.

Public DomainSoftware, an der alle Urheberrechte abgegeben worden sind. Damit auch nicht z.B. durch Copyleft „geschützt“.

Überblick: Mehr oder weniger Freie Software

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kömmlicher Industrieprodukte in Firmen unter größter Geheimhaltung des Quellcodesgefertigt, getestet und schließlich ausgeliefert wird, dreht sich dieser Prozess bei Freier Softwarequasi um und ähnelt am Ende mehr und mehr wissenschaftlichen Methoden. Aber der Reihenach.

Am Anfang eines Freien Softwareprojekts steht meist jemand, der ein Problem hat undseine (rudimentäre) Lösung anderen zugänglich macht. Die Veröffentlichung steht somitam Anfang und nicht am Ende des Softwareprojekts. Leute mit ähnlichen oder gleichenProblemen müssen in der Folge nicht mehr bei Null beginnen und das sprichwörtlicheRad neu erfinden, sondern können auf der bestehenden Vorarbeit aufbauen. Indem anderedie Software unter anderen Bedingungen (andere Hardware, anderer Betriebssystemversionetc.) anwenden, treten oftmals Fehler zu Tage, die dem/der ursprünglichen Entwickler/inverborgen geblieben wären. Solche „Bugs“ genannten Softwarefehler können nun imInternet einfach zurückgemeldet oder – dank des offen liegenden Quellcodes – gleich selbstkorrigiert werden. Zumindest potentiell ist damit die Dauer und Vielfalt der Fehlertestsbei Freier Software jener bei proprietärer Software weit überlegen. In seinem richtungswei-senden Aufsatz „Die Kathedrale und der Basar“43 prägte Eric Raymond entsprechend denSatz „Given enough eyes, all bugs are shallow“ – wenn nur genug Entwickler/innen hinsehen,wird jeder Fehler gefunden.

Aber nicht nur Bugs, auch die vorgeschlagene Lösung selbst steht nach ihrer Veröffent-lichung in der Kritik der jeweiligen Community. Ist sie voller Fehler - also völlig „verbugt“– kann es durchaus sein, dass jemand einen anderen Vorschlag zur Bewältigung des gleichenProblems liefert. Wer hilfreiches Feedback auf „seinen“ Code bekommen möchte, istaußerdem angehalten, sauber und übersichtlich zu programmieren. Alles Umstände, diedazu beitragen, die Qualität des Quellcodes und damit des Computerprogramms zu heben.Und alles Umstände, die dem Ideal wissenschaftlicher Forschung relativ nahe kommen.Auch dort sollen Ergebnisse so bald als möglich veröffentlicht und der Kritik zugänglichgemacht werden. Auch dort sollen gegenseitige Anregungen und Kritik die Ergebnissebesser, robuster machen. Gerade dort ist man sich der Bedeutung des Satzes „Standing onthe shoulders of Giants“44 bewusst, nämlich dass Fortschritte und Weiterentwicklung aufder Vorarbeit zahlreicher anderer davor aufbauen. So braucht es nicht mehr zu verwundern,dass Open Source Programmierer/innen genauso wie Forscher/innen Communities bilden:In beiden Gruppen stehen die Mitglieder zwar im Wettbewerb zueinander, erreichen abernur durch Kooperation ihr gemeinsames Ziel.

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Gleichzeitig ist die Entwicklung Freier Software noch einen Tick demokratischer als derWissenschaftsbetrieb: Wer sich dem „Mainstream“ nicht anschließen und ein Softwareprojektlieber in eine andere Richtung weiterentwickeln möchte, der kann das auch tun. Voraussetzungdafür ist nur, genügend Mitstreiter/innen zu finden, um das Projekt am Leben zu halten.In der Geschichte des bereits erwähnten, freien Betriebssystems BSD-Unix gab es gleichmehrere derartiger, „Fork“ genannter Spaltungen der Community: Während NetBSD dieUnterstützung vielfältigster Hardwareplattformen ins Zentrum rückte, konzentrierten sichdie OpenBSD-Entwickler/innen vor allem auf Sicherheitsaspekte und ihre KollegInnenvon FreeBSD auf größtmögliche Freiheit des Quellcodes. Die Projekte befruchten undergänzen sich dabei – dank des offenen Quellcodes – gegenseitig.

Sämtliche Vorzüge des kollektiven Entwicklungsmodells Freier Software sind in denGrundregeln Freier Softwarelizenzen bereits angelegt: Indem sie zur Offenlegung vonWeiterentwicklungen an Freier Software verpflichten, ermöglichen sie erst eine umfassendeQualitätskontrolle in der Community und liefern gleichzeitig den Anreiz, den eigenenCode auch offenzulegen.

Was nichts kostet, ist nichts wert?

Viele der Eigentümlichkeiten Freier Softwareentwicklung münden unmittelbar in Vorteileauf Seiten der Anwenderinnen und Anwender. Der Wegfall der Lizenzkosten ist dabei –vor allem bei größeren Unternehmen oder Verwaltungen - noch der geringste Vorzug. Vielwichtiger ist beispielsweise der Sicherheitsaspekt: Jeder Programmierfehler ist eine potentielleSicherheitslücke. Selbst wenn Freie Software nicht besser programmiert ist als proprietäre,45

so werden durch den offenen Quellcode Fehler in der Regel schneller gefunden undkorrigiert. Dieses Konzept der Sicherheit durch Transparenz steht diametral dem proprietärenAnsatz der Sicherheit durch Unübersichtlichkeit („security through obscurity“) entgegenund wird von öffentlichen Stadtverwaltungen wie Wien oder München als ein Grund fürden verstärkten Einsatz von Freier Software angeführt.

Direkt mit dem Zugang zum Quellcode ist eine größere Flexibilität Freier Software verbunden,„was nicht passt, wird passend gemacht“ könnte das Motto lauten. Dabei wird aber gleichzeitigdeutlich, dass Freie Software selten kostenlos ist. Für die Anpassung von Software an individuelleBedürfnisse wollen natürlich Programmierer/innen beschäftigt und bezahlt werden. ImGegensatz zu herkömmlicher Software gibt es dann aber zahlreiche Anbieter/innen derartigerDienstleistungen und man ist nicht auf den/die Hersteller/Herstellerin angewiesen.

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HerstellerInnenunabhängigkeit spielt nicht nur bei der Anpassung an individuelle Bedürf-nisse eine große Rolle. Die Möglichkeit Lizenzgebühren, zu sparen und gleichzeitig diejeweils lokale Softwareindustrie zu fördern, hat Freie Software vor allem in Entwicklungs-und Schwellenländern populär gemacht. Der forcierte Einsatz von Linux in Schulen undöffentlicher Verwaltung in Brasilien nach dem Wahlsieg des linken PräsidentschaftskandidatenLuiz Inácio Lula da Silva entsprang derartigen Überlegungen. Dieser musste sich aber amWeltsozialforum 2005 im brasilianischen Porto Allegre dennoch die Kritik gefallen lassen,dass Brasilien immer noch mehr Geld für Softwarelizenzen als für den Kampf gegen denHunger ausgebe.46

Wie fundamental die (auch: mittelbaren) Auswirkungen eines Umstiegs auf Open SourceSoftware sein können, durfte die Stadt München nach ihrer Entscheidung zum Wechselvon Windows NT auf Linux am Behördendesktop im Jahr 2003 erfahren: Auf einmalkonnte (und musste) die Vergabe der Softwareumgebung wieder formal ausgeschriebenwerden und es fand ein Wettbewerb diverser Anbieter/innen statt. Gleichzeitig war mansosehr an die Dominanz eines Herstellers gewohnt, dass hunderte größere und kleinereFachanwendungen erst mühsam plattformunabhängig gemacht werden mussten. DieserAufwand wurde aber in dem Wissen in Kauf genommen, sich nicht neuerlich in dieSackgasse einer Abhängigkeit von einem Hersteller zu begeben: Durch die Wahl der völligfreien Linux-Distribution Debian ist sichergestellt, dass die Stadtverwaltung auch inZukunft aus einer Reihe von AnbieterInnen und DienstleisterInnen wählen wird können.

Geld verdienen mit „Gratis“-Software

Der Vorteil, bei der Verwendung Freier Software aus einer Vielfalt an AnbieterInnenauswählen zu können, ist auch ein Hinweis auf zahlreiche Varianten mit vermeintlichkostenlosen Programmen Geld zu verdienen. Das ist wenig überraschend, da auchHersteller/innen proprietärer Software oft mit Service- und Dienstleistungsverträgen vielmehr als mit den Softwarelizenzen selbst verdienen. In großen Organisationen wieUnternehmen und öffentlichen Verwaltungen ist die Betreuung der Software ohnehin einelaufende Aufgabe.

Spätestens aber seit auch die „Big Player“ der High-Tech-Industrie, wie IBM, Intel oderder Großrechnerhersteller Sun Microsystems, verstärkt auf Freie Software setzen, zweifelnnur noch die wenigsten an deren wirtschaftlichem Potential. Sun leistet sich seit kurzemsogar einen offiziellen Open-Source-Evangelisten („Chief Open Source Officer“) namens

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Simon Phipps. Zu Besuch in Deutschland bei einer Konferenz mit dem Titel „Open Sourcemeets Business“ lieferte der auch gleich eine ganze Liste mit Möglichkeiten, wie sich mitFreier Software auch (gut) bezahlte Arbeitsplätze schaffen lassen. In Tabelle 2 finden sichPhipps Aufzählung von Open Source Software-Geschäftsmodellen, die von dualen Lizenzenüber Betreuung und Beratung bis hin zur „versteckten“ Nutzung Freier Software in Hard-ware-Produkten reicht.

Aber auch wenn es vor allem ums Geld verdienen geht, bleiben immer noch gar nichtso kleine Unterschiede zwischen freier und proprietärer Software bestehen. Die größteIronie ist dabei, dass die unmittelbar auf Kooperation angewiesene Freie Software zustärkerem Wettbewerb in allen Bereichen der Wertschöpfungskette von Software führt.Denn das Programmieren des Quellcodes ist nur eine von mehreren geldwerten Leistungenrund um Software.

Freie Betriebssysteme wie Linux sind dafür ein gutes Beispiel: Prinzipiell sind alle Bestand-teile auch der umfangreichsten Version frei und kostenlos im Internet als Downloaderhältlich. Die meisten haben aber nicht den Überblick oder die Zeit, um sich selbst ihreWunschsoftware zusammenzusuchen. Firmen wie RedHat oder Novell-Suse nehmen sich

a) Duale Lizenz Neben der Freien Software mit entsprechender Lizenz wird weiterhinein proprietäres Produkt unter proprietärer Lizenz gepflegt. Verbesse-rungen am freien Produkt werden laufend in das proprietäre integriert,das zusätzlich um spezifische Fähigkeiten erweitert wird. (z.B.:Rechtschreibprüfung in Suns OpenOffice-Klon StarOffice)

b) Abonnement Kombination von betreuter Freier Software mit einem Supportangebot:Der/die Abonnent/in erhält laufend und automatisch immer die neuestenUpdates. (z.B. RedHat oder Novell-Suse Linux)

c) Betreuung/Hosting Die Software wird von dem/der Anbieter/in betrieben, angeboten wirddas Service (z.B. kommerzielle Wikis/Datenbanken auf Basis freierWiki/Datenbank-Software)

d) Beratung/Consulting Beschränkung auf Beratung beim Einsatz Freier Softwareprodukte

e) Embedded-Bereich Einsatz von Freier Software gemeinsam mit einem verkaufbaren Produkt,insbesondere Hardware. Die Palette reicht dabei von der Waschmaschineüber den Handheld (PDA) bis hin zur Playstation III von Sony.

f) „Stewardship“ Entwicklung und Kontrolle von (offenen) Standards, finanziert von denNutznießerInnen dieser Standards.

Verschiedene Geschäftsmodelle mit Freier Software

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nun dieser Arbeit an, bündeln die Softwareteile aus verschiedensten Quellen und stellensie zu praktischen Komplettpaketen zusammen und verkaufen diese dann zum Beispielgemeinsam mit Handbüchern. An der Freiheit der Software ändert sich dadurch natürlichnichts.

Wer Lust hat, kann jede einzelne Komponente rund um Freie Software, vom Quelltextüber die Handbücher bis hin zu regelmäßigen Updates von verschiedenen Firmen beziehenund manche Aufgaben davon selbst übernehmen. Letzteres ist eine Strategie, die die WienerStadtverwaltung rund um ihr „Wienux“-Projekt gewählt hat: „Wienux“ ist eine an diespezifischen Wiener Bedürfnisse angepasste Version von Linux und wurde fast zur Gänzein der hauseigenen Magistratsabteilung (MA) 14 entwickelt. Dass es auch komplett andersgeht, beweisen die Münchner Kollegen, die für die Entwicklung des Behördendesktop

„Limux“ nach breiter Ausschreibung zwei mittelständische Firmen der Region beauftragten.

In beiden Fällen, sowohl dem der Wiener als auch dem der Münchner Stadtverwaltung,gilt aber, dass der verstärkte Einsatz Freier Software eine diskrete Form lokaler Wirtschafts-förderung sein kann.

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Bei proprietärer Software muss in der Regelein großer bzw. der größte Teil der Wertschöp-fungskette von einem Hersteller bezogenwerden.

Bei Open Source Software können im Unter-schied zu proprietärer Software sämtlichewertschöpfenden Bereiche von verschiedenenHerstellern bezogen werden. Gleichzeitigsind in sämtlichen Bereichen die Marktein-trittsbarrieren relativ gering, da kein hoherKapitalaufwand notwendig ist.

Wertschöpfungsbereicheim Softwarebusiness

• Sourcecode/Quelltext• Ausführbare Software/Binaries• Dokumentation• Fehlerbehebung• Schulung/Ausbildung• Garantie• Haftung (z.B. wegen Patentverletzungen)• Support

(z.B. regelmäßige Sicherheitsupdates)

Wertschöpfende Tätigkeiten rund um Software

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Hürden am Weg zur Freien Software-Welt

Trotz der Initiativen in München oder Wien ist der Einsatz Freier Software im großenStil immer noch alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Neben Wissensdefiziten undVorurteilen gegenüber dem früheren „Hacker/innen“-Betriebssystem Linux gibt es dafüreine Reihe von Gründen. Zentral ist sicherlich, dass Softwaremärkte Netzwerkmärkte sind.Je mehr Menschen ein Programm verwenden, desto besser in der Regel auch für den/dieindividuelle/n Anwender/in. Einfacherer Dateiaustausch, größere Auswahl an Zusatzpro-grammen und mehr ausgebildete Fachkräfte sprechen meist für das Produkt mit demgrößten Marktanteil. Neue (Open Source) Software hat außerdem mit dem Problem zukämpfen, dass potentielle Benutzer/innen ihr bereits erworbenes Know-how bei einemWechsel nicht zur Gänze auf die Alternative übertragen können.

Diese strukturellen Schwierigkeiten sind aber noch längst nicht alles, das einer freierenSoftwarelandschaft entgegensteht. Die größte Gefahr droht von juristischer Seite: Wie jedeFreiheit ist auch die von Software auf rechtlichen Schutz angewiesen. Das bislang fürSoftware zuständige Urheberrecht leistete hier in Form des Copyleft auch gute Dienste.Doch Bestrebungen und Lobbying vor allem finanzstarker Konzerne zur Patentierbarkeitvon Quellcode könnten der Dynamik Freier Software schnell ein Ende bereiten. DasNachprogrammieren bestimmter Funktionen wäre dann nämlich nur noch gegenLizenzgebühren möglich. Die nahtlose Integration patentierter Algorithmen wie despopulären Musikformats MP3 und des Bildformats GIF in Freie Software ist schon heuteaus genau diesem Grund unmöglich. „Europa muss vor Softwarepatenten bewahrt werden,“fordert daher auch der Freie-Software-Pionier Richard Stallman bereits seit Jahren.47

Eine ähnliche Bedrohung sind geschlossene, proprietäre Standards und Formate, dieaber nicht nur Freie Software sondern auch Institutionen wie das Internet bedrohen. Einwesentlicher Grund für den Erfolg des Internets sind seine völlig offenen und freienKommunikationsstandards,48 die es den verschiedensten Computern mit den unterschied-lichsten Betriebssystemen ermöglichen, miteinander zu kommunizieren. In gleichem Maßeist die proprietäre Natur des DOC-Formats von Microsofts Word eine Hürde für alle(Open Source) KonkurrentInnen, die mühsam versuchen müssen, solche Dateien zuimportieren.

Denn logischerweise räumen etablierte Platzhirsche wie Microsoft oder Adobe ihrekomfortable Position nicht freiwillig. So finanziert Microsoft eine Unmenge an Studien,

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um die Unwirtschaftlichkeit von Freier Software zu „beweisen“ und bedient sich einer als„FUD – Fear, Uncertainty and Doubt“ bekannten Taktik gezielter Desinformation undVerunsicherung. Beliebtes Instrument dabei ist sogenannte VaporWare, vom IT-JournalistenJoachim Berger wie folgt erklärt:49 „Dieses Kunstwort aus den englischen Begriffen fürDunst und Ware bezeichnet die Ankündigung von Produkten lange vor ihrer eigentlichenVerfügbarkeit und nicht selten mit falschen oder verschleiernden Angaben über denwirklichen Erscheinungstermin. Mit einer solchen Ansage können einflussreiche Unternehmeninnovativere Konkurrenten aushebeln. Warum sollte ein Käufer sich für das Produkt einesunbedeutenden Herstellers entscheiden, wenn der Marktprimus und Betriebssystemhersteller'in Kürze' ein womöglich besseres Gegenstück auf den Markt bringt?“ Die große Bedeutungeines strategischen und frühzeitigen Schürens von Erwartungen in diesem Sinne hatMicrosoft unter anderem bei der Markteinführung des über Jahre mit verschiedenenNamen angekündigten und schließlich als „Windows 95“ veröffentlichten Betriebssystemsoder des ewig überfälligen Internet Explorer 7 demonstriert.

Von destruktivem zu kooperativem Wettbewerb

Die verstärkte Nutzung Freier Software in München und Wien war auch begleitet vongroßem medialem Trommelwirbel, der nur am Rande mit technischen Details derUmstellungen zu erklären ist. Vielmehr wurde die politische Bedeutung des Einsatzes vonFreier Software zum Thema gemacht. Während die einen in der Entscheidung fürGNU/Linux einen ideologisch motivierten Akt linker Stadtverwaltungen sahen, ginganderen das Engagement der beiden Städte für Freie Software noch lange nicht weit genug.Letzteres war sicherlich auch Folge der städtischen Kommunikationspolitik sowohl inMünchen als auch in Wien: In beiden Fällen bemühten sich die Politiker/innen jedepolitische und ideologische Komponente ihrer Entscheidung weit von sich zu weisen undbetonten ihre rein technisch-wirtschaftlichen Beweggründe.

Abgesehen von den Untiefen vergaberechtlicher Regelungen stellt sich natürlich die Frage,ob die Förderung Freier Software eine öffentliche Aufgabe ist oder sein sollte. Geht es hiernur um verschiedene Technologien, oder gar nur um verschiedene Produkte? Oder ist dieVerwendung Freier Software auch eine politische Frage, spricht man doch von Softwareals „öffentlichem Gut“? Für die Free Software Foundation und ihren Präsidenten RichardStallman ist die Antwort hier klar: Freie Software ist ein Menschenrecht, das politischgesichert werden muss. Je wichtiger Software für das Leben in modernen Internet-Gesellschaften wird, desto wichtiger ist auch der freie und gleiche Zugang zum Quelltext.

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Diesen politischen Willen vorausgesetzt, bleibt die Frage, welche Möglichkeiten dieöffentliche Hand zur Förderung Freier Software hat. Eine zentrale Rolle spielt hier, welcheSoftware in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen eingesetzt wird. So ist es nichtGroßzügigkeit oder Nächstenliebe sondern purer Geschäftssinn, dass Microsoft seineSoftware an Schulen und Universitäten extrem billig oder sogar zum Nulltarif lizenziert.Die Herstellung der dafür notwendigen Kopien kostet nichts, der Return on Investmentin Form späterer, auf Microsoft konditionierter Anwenderinnen und Anwender ist enorm.Denn auch Unternehmen legen sich natürlich jene Programme zu, mit denen ihreMitarbeiter/innen schon in der Schule gelernt haben, umzugehen.

So hat in Österreich das Bildungsministerium 2003 stolz einen Generalnutzungsvertragmit Microsoft präsentiert. Die rund 50.000 PCs im Besitz der Bundesschulen mitsamtden dazugehörigen Servern und die Privat-PCs der LehrerInnen werden mit der komplettenMicrosoft-Produktpalette (Windows XP, Office, Encarta, etc.) ausgestattet. Microsofterhält dafür vom Bildungsministerium jährlich mindestens 2,5 Millionen Euro undjahrgangsweise SchulabsolventInnen, die in der Regel nur Microsoft Produkte kennengelernt haben. Die Schule hat aber nicht die Möglichkeit, alle SchülerInnen mit der Soft-ware für den Heimcomputer auszustatten. Wenn Linux oder Open Source Software zumEinsatz kommt, dann nur auf Initiative einzelner Lehrer/innen. Das gilt für alle mittlerenund höheren Schulen, die Situation an den Pflichtschulen unterscheidet sich davon kaum.Auch eine Auftragsstudie des Wirtschaftsministeriums kommt zu dem Schluss, dass OpenSource ExpertInnen in der Regel einen akademischen IT-Hintergrund oder die Kenntnissezu einem großen Teil autodidaktisch erworben haben. Die ExpertInnen für proprietäreProdukte stammen hingegen meist von einer Fachhochschule oder HTL.

Wie es anders gehen könnte, zeigt das Beispiel Schleswig-Holstein, wo das Landesbildungs-amt mit kmLinux eine für den Bildungsbereich adaptierte Linux-Distribution entwickelte.Die erste Auflage in der Höhe von 5000 CDs war binnen Wochen vergriffen. Schulenin Schleswig-Holstein werden kostenlos ausgestattet. Viele der Anwendungen, die im Laufedes Projekts entwickelt und gesammelt wurden, sind dabei web-basiert und somit völligplattformunabhängig – sie funktionieren sowohl mit Linux als auch mit Windows. Einigedeutsche (vorwiegend technische) Schulen nutzen den Einsatz von Open Source Softwareauch zur Lösung der schulischen IT-Probleme: Schüler/innen arbeiten direkt an der Softwareund verbessern zum Beispiel die hauseigene Verwaltungs-Software und werden dafürprämiert. Auch die eingangs erwähnte Linux-Distribution Ubuntu hat mit Edubuntu aucheinen eigenen Ableger speziell für Ausbildungszwecke gegründet.

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Bei all diesen Initiativen fällt auf, dass sie sich nicht in die Dichotomie Privat vs. Staatzwängen lassen. Wenn die öffentliche Hand auf Freie Software setzt und damit zu Softwareals öffentlichem Gut beiträgt, hat das dennoch nichts mit „Verstaatlichung“ zu tun. ImGegenteil, gerade Freie Software ist auf individuelle Initiative und Beiträge angewiesen.Gleichzeitig kann niemand vom Gebrauch ausgeschlossen werden – bei Freier Softwarehandelt es sich per Definition um ein Gemeingut. Verschiedene Freie Softwareprogrammestehen in starkem Wettbewerb um die beste Lösung. Die schaffen aber wiederum diejenigen,die die meisten Entwickler/innen und Anwender/innen zur Kooperation bewegen können.Der Wettbewerb bei der Entwicklung Freier Software ist in diesem Sinne ein kooperativerund produktiver. An (und in) der öffentlichen Hand liegt es, diesen kooperativen Wettbewerbzu ermöglichen und zu fördern.

Freie Software: Die Situation in Linz

Die Möglichkeiten der Einflussnahme auf den Bildungsbereich sind für eine Kommunewie Linz natürlich nicht besonders groß. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass Städtennicht auch eine Verantwortung im Bereich Freier Software zukommt.

„Bis jetzt lautete die Strategie: Wenn es am Markt einen Standard gibt, dann entscheidenwir uns ausschließlich für diesen“, erklärt Gerald Kempinger, Leiter der IT-Abteilung derStadt Linz. „Wir haben in Linz ein unglaubliches Portfolio an Produkten mit sehr vielenSchnittstellen und spezialisierten Anwendungen. Diese Komplexität erfordert Homogenität.“Kempinger betreut mit seinem rund 80-köpfigen Team derzeit die EDV-Infrastruktur vonMagistrat, Allgemeinem Krankenhaus und SeniorInnenzentren. Aber auch die Pflichtschulenwerden im Auftrag des Schulerhalters ausgestattet. Alle „seiner“ Rechner laufen unterMicrosofts „Windows XP“ als Betriebssystem und Microsoft Office als Hauptanwendung,lediglich einige wenige Server laufen unter Linux.

„Manchmal würde ich mir eine grüne Wiese wünschen“, sinniert Kempinger, der imApril 2006 von IBM zur Stadt Linz wechselte, „aber die gibt es nie. Also machen wir es

„step by step.“ Deswegen kann er sich den Einsatz von offener Software auch schon vordem nächsten Generationswechsel vorstellen. „Warum nicht den Leuten Open Office aufWindows Systemen anbieten?“

Wenn auch Wien und München andere Voraussetzungen vorgefunden hätten als Linz,steht er dem flächendeckenden Einsatz von Open Source Software in der Verwaltung

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Thema

grundsätzlich offen gegenüber. „Ob eine bestimmte Art von Software wie etwa OpenSource Software „gepusht“ wird oder nicht, ist nicht unsere Entscheidung – das liegt ander Politik“, meint Kempinger, der Wert darauf legt „kein Glaubenskrieger“ zu sein. Beider Wahl der Software geht es ihm vor allem um Wirtschaftlichkeit und Funktionalität,aber auch der Wettbewerb unter den Anbietern und die Offenheit der Standards rückenimmer mehr ins Interesse. „Die Abhängigkeit von einem Anbieter kann nicht das Ziel sein,das ist dauerhaft nicht gut“. In den verschiedenen Produktabhängigkeiten – Programmeerfordern andere Programme vom/von der gleichen Anbieter/in – sieht Kempinger auchdie größten Hürden für den verstärkten Einsatz Freier Software.

Trotz des zurückhaltenden Einsatzes Freier Software in Linz gibt es dennoch einen Grund,warum viele in der Open Source Community etwas Positives mit Linz verbinden: BeimPrix Ars Electronica 2005 – den „Oscars“ elektronischer Kunst - nahm Richard Stallmanfür die Free Software Foundation einen Preis in der Kategorie Digital Communitiesentgegen. Ob Linz selbst bald Teil dieser preisgekrönten, digitalen „Free Software Community“sein wird, ist eine politisch noch unentschiedene Frage.

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„Die Bewegung für freieSoftware ist eine Bewegungfür Menschenrechte und fürsoziale Veränderung.“

Interview: Richard M. StallmanDer Pionier Freier Software Richard Stallman startete in den 80er Jahren am Massachusetts Instituteof Technology (MIT) das GNU-Projekt (GNU steht für “GNU is Not Unix” und ist ein wesentlicherBestandteil jeder Linux-Distribution), entwarf mit der GPL (General Public License) die wichtigsteCopyleft-Lizenz für Freie Software und gründete 1985 die Free Software Foundation, deren Präsidenter heute noch ist.

Foto: Bild vom Cover, Buch:„Free as in Freedom: Richard Stallman's Crusade for Free Software“von Sam Williams, published on March 1, 2002 unter the GFDL

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Interview

So kurz wie möglich: Was ist die politischeund philosophische Basis von Freier Soft-ware?

Richard Stallman: Freie Software bedeutetdie Freiheit der Nutzer zu respektieren. Esgibt vier grundsätzliche Freiheiten, die FreieSoftware definieren:

Freiheit 0: Die Freiheit, die Software so zuverwenden, wie man will.Freiheit 1: Die Freiheit, den Quelltext zulesen und das Programm so zu verändern,wie man will.Freiheit 2: Die Freiheit, anderen Kopiendes Programms zu geben. Das entsprichtder Freiheit, deinem Nächsten zu helfen.Freiheit 3: Die Freiheit, modifizierte Versio-nen zu vertreiben. Das ist die Freiheit, deinerGemeinschaft zu helfen.Das sind Menschenrechte, die jede/r Soft-warenutzer/in haben sollte. Es ist falschirgendjemandem diese Rechte zu verwehren.Proprietäre Software – also nicht-Freie Soft-ware – verschafft den Entwicklern eineMachtposition über die Nutzer und führtunter ihnen zu Uneinigkeit und Hilflosigkeit.Das ist falsch, es ist ein soziales Problem.Unser Ziel ist, dieses Problem zu lösen.

Glauben Sie, man kann von einer “Beweg-ung für Freie Software“sprechen”? WürdenSie zustimmen, dass es sich dabei um einesoziale Bewegung handelt?

Richard Stallman: Definitiv. Die Bewegungfür Freie Software ist eine Bewegung fürMenschenrechte und für soziale Veränderung.Und als solche habe ich sie von Beginn angesehen.

Wie definieren Sie die Beziehung vonFreier Software zu ähnlichen Bereichenwie „Freiem Wissen“ oder „Freier Kul-tur“? Was sind die Ähnlichkeiten? Wassind die Unterschiede?

Richard Stallman: In den 90er Jahren kamich zum Schluss, dass alle geschriebenenWerke, die einen praktischen Zweck für dieGesellschaft erfüllen, in gleichem Sinne freisein sollten. Werke für praktische Zweckeinkludiert Software, Kochrezepte, Lehr-bücher und Nachschlagewerke. Wenn manTexte für praktische Aufgaben in seinemLeben verwendet, muss man die Kontrolledarüber haben.

Dieses Argument gilt jedoch nicht für Kunst-werke oder Meinungsäußerungen. Ich glau-be nicht, dass diese auch frei sein müssen.Ich glaube aber sehr wohl, dass jede/r dasRecht haben muss, exakte Kopien dieserWerke für nichtkommerzielle Zwecke weiter-zugeben.

Was kann eine Stadt wie Linz mit ca.200.000 EinwohnerInnen Ihrer Meinungnach tun, um sowohl das Konzept bzw.

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Idee von als auch Freie Software an sichzu unterstützen?

Richard Stallman: Sie kann in der Stadtver-waltung zu Freier Software wechseln. Aberviel wichtiger ist es, in den Schulen FreieSoftware zu verwenden und zu unterrichten.Ich weiß aber nicht genau, wie groß der Ein-fluss der Stadtverwaltung auf die Schulenin Österreich ist.

Wie können Städte und Stadtverwaltun-gen im Allgemeinen zum Universum FreierSoftware beitragen?

Richard Stallman: Gleiche Antwort wievorhin. Außerdem können größere Städtedie Entwicklung von speziellen Programmenfinanzieren, die sie für ihre Verwaltungsarbeitbrauchen.

Wie würden Sie die Rolle der Universi-täten in der Entwicklung von mehr undbesserer Freier Software einschätzen?

Richard Stallman: Alle Schulen solltenihren SchülerInnen und Studierenden helfen,als Mitglieder einer freien Gesellschaft zuleben und das bedeutet auch die Verwend-ung Freier Software. Das gilt wiederum fürUniversitäten genauso wie es für Grundschu-len gilt.

Im Jahr 2005 bekam die Free SoftwareFoundation einen Anerkennungspreis beider Prix Ars Elextronica in Linz. Ist mitFreier Software eine spezielle „Kunst“ oder

„Kultur“ verbunden?

Richard Stallman: Ich glaube, Software isteine Handwerkskunst, verglichen mit denschönen Künsten. In diesem Sinne also ja.Kultur wiederum sind alle Muster von Hand-lungen und Gedanken, die zwischen Men-schen ausgetauscht werden. Software istsomit Kultur, egal ob sie frei ist oder nicht.

Was sind die Gefahren für den weiterenErfolg und die weitere Verbreitung FreierSoftware? Was sind die Herausforderun-gen?

Richard Stallman: Das größte Hindernissind Gesetze in vielen Ländern, die FreieSoftware verbieten. In Frankreich wurdekürzlich ein Gesetz verabschiedet, das denBesitz einer Kopie von DeCSS (ein freies

Programm zur Entfernung des DVD-Kopier-

schutzes, Anm.) zu einem Verbrechen macht.Gleichzeitig will die Weltorganisation fürgeistiges Eigentum (World Intellectual Property

Organisation – WIPO, Anm.) bei der Überar-beitung des “Broadcast-Treaty” die Verwen-dung Freier Software für softwareunterstütztesRadio quasi unmöglich machen und dieEuropäische Union will Radioübertragungenim Internet ebenfalls reglementieren.

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Warum verabschieden scheinbar demokrati-sche Regierungen solche Gesetze? -Weil dieDemokratie von Mega-Konzernen unter-graben wird.

Sie betonen immer den Unterschied zwi-schen Freier Software und Open SourceSoftware. Warum?

Richard Stallman: Die Bewegung für FreieSoftware basiert auf den ethischen Grundsät-zen der Freiheit und der Gemeinschaft. AlsGNU/Linux und andere Freie Software inden 90er Jahren voll entwickelt waren, stell-ten sie sich als machtvoll und verlässlichheraus und Millionen von Menschen began-nen sie zu verwenden. Aber viele von denenteilten nicht unsere Werte, viele hatten sogarnie von ihnen gehört.

Der Begriff “Open Source” wurde 1998kreiert mit dem Zweck, von Freier Softwarezu sprechen, ohne unsere Ideale zu erwähnen.Die Open-Source-Kampagne zitiert prak-tische Werte, wie die Qualität und Robust-heit, aber sie verschweigt ethische Wertewie Freiheit. Deshalb gibt es in unsererGemeinschaft jetzt zwei Lager, das Freie-Software-Lager und das Open-Source-Lager.

Im Bereich der praktischen Aktivitätenmachen beide Lager ähnliche Arbeit; Men-schen mit verschiedenen Ansichten arbeitenzusammen. Das Open-Source-Lager hat

weichere Kriterien als wir, weshalb mancheOpen-Source-Lizenzen nicht kompatibelmit Lizenzen Freier Software sind. Da dieseaber nicht sehr weit verbreitet sind, sindpraktisch alle Open Source Programme auchFreie Software.

Falls wir uns nur mit der Entwicklung FreierSoftware beschäftigen würden, wäre esvielleicht von Bedeutung, welche der beidenPhilosophien die Leute vertreten. Aber wennwir eine Gesellschaft mit nachhaltiger Frei-heit schaffen wollen, dann müssen wir vorallem den Wert der Freiheit betonen undauch andere lehren, ihn zu schätzen.

Was sind die Hauptgründe für die explo-sionsartige Verbreitung Freier Software,ihr unglaubliches Wachstum in den letztenJahren?

Richard Stallman: Ich kann nur raten, abervielleicht liegt es daran, dass wir jetzt be-queme graphische Benutzeroberflächen ha-ben, sodass Freie Software genauso einfachzu lernen ist wie proprietäre Software.

Wie würden Sie eine/n Nutzer/in, der/diemit seinem/ihrem Computer einfach nurarbeiten will und sich überhaupt nichtfür technische Details interessiert, voneinem Wechsel hin zu Freier Softwareüberzeugen?

Interview

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Richard Stallman: Ich verwende meineEnergien nicht darauf, die Leute von einemWechsel zu Freier Software zu überzeugen.Viele andere Leute tun das, sodass ich michmit etwas Wichtigerem beschäftigen kann.Ich versuche, die Ideale der Freiheit und derGemeinschaft den Millionen von Menschennäher zu bringen, die bereits Freie Softwareverwenden oder darüber nachdenken, siezu verwenden, aus welchem Grund auchimmer.

Zum Abschluss, bitte nennen Sie uns nochIhre persönlichen Lieblingssoftwareprojek-te der letzten Jahre.

Richard Stallman: Ich versuche nicht beiden aktuellsten Programmen von FreierSoftware auf dem Laufenden zu bleiben, daich die meiste Zeit nur Texte schreibe, Mails,Programme und Artikel. Diese Arbeit erle-dige ich mit GNU Emacs. Man könnte alsosagen, GNU Emacs ist mein liebstes StückFreie Software.

Wenn ich an Freie Softwarepakete denke,dann denke ich nicht hinsichtlich meinereigenen Softwarebedürnisse. Ich denke daran,was die Community braucht, um der Freiheitzum Triumph zu verhelfen. Gnash, GNUClasspath und GNOME sind in diesemSinne einige der wichtigsten Freien Pro-gramme.

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„Das Kooperationsmodellvon Freier Software ist inden meisten Gesellschafts-bereichen anwendbar.“

Interview: Anne ØstergaardAnne Østergaard ist Juristin mit Schwerpunkt Urheber- und Patentrecht und Vorstandsmitgliedder „GNOME Foundation“, dem Verein zur Förderung dieses Projekts. Außerdem engagiert sie sichstark für eine stärkere Beteiligung von Frauen im gesamten Prozess Freier Softwareentwicklung.

Foto: Anne Östergaard

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Interview

Frau Østergaard, geht es nach Ihren Schät-zungen und FLOSSPOLS,50 ist gerade dieOpen Source Bewegung sehr männlichdominiert - nur 1,5% der Communitysind Frauen, im Vergleich zu 28% beiherkömmlich-proprietärer Software. Wa-rum dieser große Unterschied?

Anne Østergaard: Das spiegelt die Gesell-schaft der meisten Länder wider. Nur wenigeFrauen wählen Informatik oder ähnlicheStudienrichtungen. Das ist eine Schande,weil wir die weibliche Perspektive brauchen.Wenn es uns nicht gelingt, das Interesse dernoch sehr jungen Mädchen zu wecken, wirdsich an der Situation nichts ändern. Es gibtaber erste Schritte in die richtige Richtung.So werden zum Beispiel in Extremadura inSpanien oder in Brasilien Mädchen ermutigt,den Umgang mit Computern zu erlernen.Ich hoffe, dass sich dieser Trend ausbreitetund fortsetzt und, dass diese Mädchen späterfür fortgeschrittenere Informatik bereit sind.Diesen Sommer hat das GNOME Women’sSummer Outreach Programm 2006 mit derUnterstützung von Google sechs Projektefür junge Frauen gesponsort.51

Sie wurden in das „Board of Directors“,also den Vorstand der GNOME Founda-tion gewählt. Welche Hindernisse musstenSie dabei überwinden?

Anne Østergaard: Vor allem meine Schüch-ternheit – für die Präsentation meiner Kan-didatur musste ich mein ganzes Selbstver-trauen zusammenraffen. Im ersten Jahrmeiner Kandidatur war ich dann auch nureinen Platz von einem Vorstandssitz entferntund zuversichtlich, dass es beim nächstenMal mit einer besseren Wahlkampagne klap-pen könnte.

Ich bin seit der GNOME Entwickler/innenund User/innen Konferenz (GUADEC)2001 in Kopenhagen Teil der Communityund habe seither alle Konferenzen besucht.Einige Jahre lang habe ich selbst im GUA-DEC-Planungsteam gearbeitet. Damals habeich erstmals rechtliche Sachfragen in einzelneWorkshops eingebracht. Die Software-Patent-Richtlinie der EU und die Überarbeitungder GNU General Public License (GPLv3)sind nur zwei Beispiele. Offene Standardsund Dateiformate sind auch sehr wichtigfür Programmierer/innen, um einen fairenWettbewerb zu gleichen Bedingungen sicher-zustellen.

Was sind Ihre persönlichen Beweggründe,an Freier Software mitzuarbeiten?

Anne Østergaard: Als Juristin mit inter-nationaler Erfahrung kann ich einiges zurCommunity beitragen. In diesen spannen-den Zeiten, wo Gesetze und Vorschriftengrenzüberschreitend und in einer globalen

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Gesellschaft anwendbar sein müssen, habenwir große Herausforderungen vor uns. Ichbin überzeugt und fasziniert, dass das Ent-wicklungs- und Kooperationsmodell vonFreier Software in den meisten anderenGesellschaftsbereichen anwendbar ist. Be-sonders das Teilen von Wissen mit anderenrund um den Globus ist der richtige Wegum eine freie und nachhaltige Informations-gesellschaft aufzubauen. Das ist auch einegute Möglichkeit, aktive demokratische De-batten zu starten und voranzutreiben.

Der Freie Software-Pionier Richard Stall-man betont regelmäßig die Unterschiedezwischen Freier und Open Source Software.Wie stehen Sie zu dieser Unterscheidung?Wo würden Sie sich verorten?

Anne Østergaard: Ich persönlich bin einegroße Bewunderin der Ideen und Ethikhinter der Freien Software Bewegung.Richard Stallman hat einen enormen Ein-fluss darauf, wie Freiheit für Individuen,Software und andere Werte in unseremLeben geteilt, erhalten und erkämpft werden.Es ist die Ethik hinter der Free SoftwareFoundation und Bewegung, die wir unserenKindern mitgeben sollten, damit sie in einerbesseren Welt leben können. Die Ideenhinter der GNU General Public License,die für Freie Software geschrieben wurde,verbreiten sich sehr schnell auf verschiedenstekreative und künstlerische Arbeiten. Zumin-

dest einer oder eine profitiert immer, wennandere teilen. Es ist möglich, auf verschie-denste Weise zur Community beizutragen.Die Free Software Gemeinschaft muntertzu Beiträgen jeder Art auf, sogar sehr kleineBeiträge summieren sich. Das hat positiveAuswirkungen für Entwickler/innen undNutzer/innen.

Warum engagieren Sie sich persönlich sostark für Freie Software, auch abseits des

„bloßen“ Mitarbeitens?

Anne Østergaard: Ich fühle mich nur wohl,wenn ich Freie Software verwende. DerGrund, warum ich mich in der Freien Soft-ware Bewegung engagiere, ist, dass die Ent-wicklung Freier oder Open Source Softwarenicht ohne Anstrengungen und Aufklärungweitergeht. Es gibt sehr starke finanzielleInteressen, die andere Ziele haben. MeineÜberzeugungen verbieten es mir, nur zuzu-sehen und nichts zu tun, obwohl ich dieKonsequenzen vorhersehen kann. Freiheitist nicht etwas, dass du gewinnst und dannals „gewährt“ betrachten kannst. Der Kampffür Freiheit und Demokratie für alle ist einandauernder und globaler Prozess. Wirmüssen den Leuten diese Werte vermitteln,damit sie diese verstehen und danach lebenkönnen.

GNOME ist eines der erfolgreichsten undumfangreichsten Kapitel der Geschichte

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Freier Software, vor allem, weil dessenBenutzerInnenfreundlichkeit wesentlichzur breiteren Akzeptanz von Linux beige-tragen hat. Wie würden sie technischenLaien ihre Community beschreiben?

Anne Østergaard: GNOME ist wegen derLeute, die daran arbeiten, ein Erfolg. DieGNOME Community hat viele Mitwirken-de zur Freien Software gebracht. Der dezen-trale Charakter – die meiste Arbeit geschiehtvia E-Mail und Chat – ist sehr populär ge-worden. Das Internet beseitigt die physischeDistanz zwischen Menschen. Wir dürfenaber nicht die „face to face“ Treffen vergessen,das ist es, was Konferenzen wie die GUA-DEC so beliebt macht.

Im Alltag der Entwicklung Freier Software:Was macht Ihnen dabei am meisten dasLeben schwer? Und was motiviert Sie,trotzdem weiterzumachen?

Anne Østergaard: Es wird mit jedem Tageinfacher, Freie Software zu verwenden.Mein Traum ist es, dass Freie Software zurersten Wahl für Millionen von Menschenwird: Freiheit, Zugang, BenutzerInnen-freundlichkeit, Verlässlichkeit und Langlebig-keit. Mich motiviert, dass ich die ganze Zeitso viel dazulerne und Freundschaften mitMenschen, die die selben Ideale und Zieleverfolgen, auf der ganzen Welt schliessenkann. Unser Ideal ist, dass alle Menschen

Zugang zu Wissen haben. Es ist mir auchsehr wichtig, dass jede/r mitarbeiten undteilnehmen kann. Die Kontrolle über dieeigene Software zu haben, ist der Schlüsselzum Einfluss auf Software.

Sie sehen die Aufgabenaufteilung zwischenFrauen und Männern innerhalb der Com-munity als ein Teil des Problems. Unter-scheidet sich die Open Source Communityvon anderen Bereichen?

Anne Østergaard: Ich denke, unsere Com-munity sollte alle Beiträge willkommenheißen. Auch Männer wollen für Über-setzungsarbeit Anerkennung. Auch Frauenwollen programmieren und in neue Projekteeingebunden werden. Ich glaube nicht, dassFrauen weniger Fantasie und innovativeFähigkeiten besitzen als Männer. Ich habeaber herausgefunden, dass wir Frauen unsan die männliche Kultur anpassen und ent-sprechend verhalten müssen, damit wirgehört werden und ein Teil des Spiels sind.

Viele machen auch den Umgangston aufMailinglisten und in Foren für den gerin-gen Frauenanteil verantwortlich. StimmenSie dem zu?

Anne Østergaard: Der Umgangston kannschon sehr provokant und rau sein, eskommt auch zu „flame wars“, also sehr un-sachlichen und teilweise beleidigenden Dis-

Interview

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kussionen. Das kann viele Leute abschreckenund vertreiben. Wir brauchen einen Ver-haltenskodex oder ethische Richtlinien, aufdie wir verweisen können, wenn jemandmeint, er/sie habe das Recht auf einenschlechten Tag in einer Mailing-Liste. Mei-ner Meinung nach solltest du einen schlech-ten Tag nicht mit allen teilen, sondern offlinelassen. Man muss sich schon genau Ge-danken darüber machen, was wir schreiben,weil es einfach schwierig ist, bei schriftlicherKommunikation Launen wie Humor oderIronie zu inter-pretieren.

Bedeuten weniger Frauen im Entwicklungs-prozess schlechtere Software?

Anne Østergaard: Wenn wir zur Kenntnisnehmen, dass Frauen und Männer verschie-den sind, dann werden wir die Ideen derFrauen und ihren Blickwinkel auf die Weltvermissen. Wir wählen eine bestimmte in-formationstechnologische Lösung, weil wirsie brauchen, und ich denke nicht, dass nurMänner das Recht haben sollten, die Ent-scheidungen für alle, also Männer und Frau-en, zu treffen. Wir sollten die Agenda ge-meinsam festlegen.

Was schlagen Sie vor, um mehr Frauenin die Entwicklungsarbeit einzubeziehen?

Anne Østergaard: Wir müssen bei denKindern sehr früh beginnen. Die Erfahrun-

gen mit dem Extremadura Projekt inSüdwest-Spanien zeigen uns: Wenn kleineMädchen mit dem gleichen Computer-Wissen ausgestattet werden, bleiben 80%am Thema interessiert und werden vielleichteines Tages selbst Programme an ihreBedürfnisse anpassen. Sie teilen Inhalte mitihren Freundinnen und Freunden und ler-nen frei und unabhängig zu sein. Das zeigt,dass wir als Gesellschaft an den traditionellenGeschlechterrollen arbeiten müssen. Wirmüssen die stereotypen Rollenerwartungen,die uns auferlegt wurden und uns von Ge-burt an beeinflussen und formen, ändern.Wenn das Design von Computern, Handys,etc. vernünftiger wäre, würden sie sowohlmehr Frauen und Mädchen als auch mehrBurschen ansprechen. Ein gutes Beispiel istdas „100-Dollar-Laptop-Project“52, ich wetteSie wollen auch einen haben!

Kommen wir nun zur Anwender/innen-Seite. Sie fordern vor allem im Bildungs-und Gesundheitsbereich den stärkerenEinsatz von Open Source Software. War-um ist für Sie gerade die Öffentliche Handso wichtig und welche Maßnahmen for-dern Sie im Allgemeinen?

Anne Østergaard: Die Antwort ist einfach:Wegen all der lang- und kurzfristigen Vor-teile, die mit dem Einblick in und der Kon-trolle über die eigene Software verbundensind, egal ob Regierung, privates Unterneh-

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men, Organisation oder Privatperson. Regie-rungssoftware wird in der Regel mit Steuer-geldern bezahlt - auch aus ökonomischenGründen sollten die Steuerzahler/innennicht für dieselben Programme wieder undwieder bezahlen.

Der Einsatz Freier Software ist notwendig,um das Versprechen des Staates, der dieDaten der BürgerInnen besitzt und verarbei-tet, mit drei Prinzipien einzuhalten. Erstensist das Sicherheit: Niemand sollte diejenigen,die das Recht besitzen auf die Daten zuzu-greifen, daran hindern können. Zweitensbraucht es Ausdauer: Wie lange die Datenverwendbar sind, muss durch die Regierungfestgelegt werden. Drittens ist Transparenznotwendig: Handlungen, die im Auftrageines Gesetzes getätigt werden, müssen fürdie BürgerInnen nachprüfbar sein.

Was sind Ihrer Meinung nach die größtenHürden und Bedrohungen für das weitereWachstum und die weitere VerbreitungFreier Software?

Anne Østergaard: Vor allem, dass Regier-ungen zu lange brauchen, um zu entscheiden,dass ausschließlich offene Standards undDateiformate für den staatlichen Einsatzakzeptabel sind. Ich glaube aber, dass geradeeine Ära der raschen Veränderungen beginnt.Wir haben Fallbeispiele aus vielen Ländernder Welt. Nicht zuletzt ist Europa der größte

Entwickler von Freier und Offener Software,wenn wir die ganzen kleinen und mittlerenSoftwareunternehmen zusammenzählen.

Welche Möglichkeiten haben Kommunenwie Linz, Freie Software zu fördern?

Anne Østergaard: Ohne die spezielle Situ-ation von Linz zu kennen, bin ich sicher,dass mit der Verwendung Freier Softwareschnellere Entwicklungsfortschritte, mehrUnabhängigkeit, besserer Einsatz öffentlicherMittel und mehr lokale Jobs verbundenwären. Es gibt sehr erfolgreiche Beispiele inSchwäbisch-Hall (Deutschland), Bergen(Norwegen) oder Extremadura (Spanien).

Das österreichische Bildungsministeriumhat einen Generalvertrag mit Microsoftfür alle Bundesschulen abgeschlossen. Da-mit kommen Schulen an sehr günstigeLizenzen für alle Microsoft Programme.Abseits des Kosten-Arguments, warumsollte sich eine Schule für Open SourceSoftware entscheiden? Welche erfolgreichenBeispiele fallen Ihnen ein?

Anne Østergaard: Es ist wichtig, dassSchüler/innen nicht nur als Software Kon-sumentInnen, sondern auch als Produzen-tInnen gesehen werden. Ohne die FreiheitenFreier Software ist es nicht möglich, heraus-zufinden, wie guter Quellcode aussieht.Wenn du nicht sehen kannst, wie etwas

Interview

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programmiert wurde, wirst du keine Pro-gramme selbst produzieren oder reprodu-zieren können. Abgesehen davon beinhaltetFreie Software ein eingebautes Modell, umWissen mit anderen zu teilen und Zusam-menarbeit zu fördern, das darauf wartet, inallen anderen Lebensbereichen eingesetztzu werden. Das früh zu lernen, davon profi-tieren unsere Kinder und wir selbst.

Wie die Schulen ist auch die öffentlicheVerwaltung sehr zögerlich, wenn es umFreie Software geht. Unter welchen Beding-ungen macht ein Wechsel von proprie-tärer zu Freier Software für eine Verwal-tung Sinn? Welche Risiken sind damitverbunden?

Anne Østergaard: Das ist ein langer Prozess.Zunächst muss eine vollständige Studie überdie Bedürfnisse durchgeführt werden, da-nach ein Umstellungs-Plan. Das kann allmäh-lich und schrittweise erfolgen. Ein natür-licher Startpunkt wäre die Server-Seite. DieBenutzer/innen würden davon nichts mit-bekommen. Es gibt eine Reihe von „Migra-tions-Leitfäden“ die zu Rate gezogen werdenkönnen.

Sie haben auch mit der Kommission derEU und der dänischen Regierung zusam-mengearbeitet; welchen Beitrag leistendiese Institutionen zur Verbreitung vonFreier Software?

Anne Østergaard: Ich habe mit der EU-Kommission vor allem am IDABC Projekt53

gearbeitet – Zweck des Programms ist es,Verwaltungen, Unternehmen sowie Bürger-innen und Bürgern europaweite, elektroni-sche Behördendienste zur Verfügung zustellen. Es gibt ein Netzwerk zwischen allenEU-Mitgliedsstaaten, in dem Nachrichten,Initiativen, Fortschritte und Best-PracticeBeispiele ausgetauscht werden. Ich kannallen Interessierten empfehlen, den Newslet-ter zu lesen. Die Vorsicht der Staaten resul-tiert vor allem daher, weil viele Regierungenzuschauen mussten, wie große informations-und kommunikationstechnologische Inves-titionen gescheitert sind. Es besteht immerein großes finanzielles Risiko, und Regier-ungen wollen nicht erklären müssen, dassGeld verschwendet wurde und das Problemnoch ungelöst ist.

Wie würden sie Österreich im Vergleichzu anderen Ländern beurteilen?

Anne Østergaard: Ich denke, Österreichhat großes Potential, einer der Spitzenreiterin Sachen Freier Software zu werden. Einegut gebildete Bevölkerung und eine starkeVerbreitung des Internets sind eine ausge-zeichnete Startvoraussetzung. Es gibt vielzu gewinnen, finanziell aber auch zum Bei-spiel durch ein Programm wie Skolelinux54

an allen Schulen, nicht nur in Österreich.Skolelinux hatte sehr viel Erfolg in einigen

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Ländern in relativ kurzer Zeit. Die Schüler/-innen können die Programme mit nachHause nehmen, sie können die Programmeund das neu gewonnene Wissen mit ihrenEltern, Großeltern und FreundInnen teilen.Viele Schulen in ganz Europa haben dasschon zu ihrem Vorteil genutzt.

Interview

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PROJEKT: Freie Software für alle

Dass Freie Software noch lange nicht gratis sein muss, ist die Binsenweisheit der OpenSource Community. Auch wenn sich das Problem gleichen Zugangs zu aktueller Softwarefür alle mit Freier Software leichter lösen lässt, ist es noch nicht völlig gelöst. Was nütztbeispielsweise freie Verfügbarkeit im Internet, wenn der Breitband-Internetzugang für denDownload mehrerer Gigabyte an Daten unerschwinglich ist? Wie erschließen sich einemLaien die Chancen und Vorteile Freier Software, wenn er oder sie am Beginn von derriesigen Vielfalt mehr verwirrt als beeindruckt wird?

Das Projekt „Freie Software für alle“ soll an beiden Punkten ansetzen. Zur Verringerungder finanziellen Hürden bei der Verwendung Freier Software eignen sich „Freedom Toaster“55

an Bibliotheken und anderen öffentlichen Orten. Ausgestattet mit einem CD- oder DVD-Rohling können an diesen Geräten, die aus einem Computer mit robustem DVD-Brennerbestehen („Toaster“ ist ja die englische Bezeichnung für CD- und/oder DVD-Brenner),sehr einfach CDs und DVDs mit Freier Software erstellt werden. Die dafür notwendigenServer mit Freier Software auch an die bestehenden, öffentlichen Hotspots(www.hotspotlinz.at) für drahtlosen und kostenlosen Internetzugang anzubinden, solltein der Folge sehr einfach möglich sein. Größte Herausforderung ist denn auch weniger dieBereitstellung der Infrastruktur als vielmehr die übersichtliche Darstellung und kontinuierlicheWartung des Downloadangebots.

Als Ergänzung und gleichzeitige Vermarktung dieses Angebots drängt sich die Erstellungeiner „Linz09-Software-DVD“ mit einem Linux-Live-System auf. Derartige Systemeermöglichen das einfache und ungefährliche Testen Freier Software ohne Installation auchauf Windows-Computern. Die Stadt Wien unterstützt ein derartiges Projekt mit demNamen „Jux“ (jux.netbridge.at), das sich speziell an Kinder und Jugendliche wendet. Inentsprechender Auflage hergestellt, wäre eine derartige DVD „Linx09“ eine nützlicheAufmerksamkeit für Besucherinnen und Besucher während des Kulturhauptstadtjahres.

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Projekte

PROJEKTSKIZZE:Freie Software für alle

Schaffen von Anreizen für und Erleichterung von Verwendung Freier Softwaredurch Linzerinnen und Linzer.

- Einrichtung/Anmietung und Wartung eines zentralen Servers der Freie undOpen Source Software für die gängigsten Anwendungsgebiete in aktuellerVersion bereit hält und Verlinkung dieses Angebots mit den Startseiten alleröffentlichen Hotspots.

- Einrichtung und Wartung von „Freedom Toastern“, d.h. PCs mit CD/DVD-Brennerund einfachem Interface zur Erstellung von Datenträgern mit Freier Software,mit Zugriff auf diesen Server in sämtlichen Bibliotheken und ausgewähltenVolkshäusern zur Erstellung von CDs/DVDs mit Freier Software für Menschenohne (High-Speed-) Internetzugang.

- Distribution einer eigenen Linz09-Software-DVD mit einem Linux-Live-Systemin großer Auflage zur freien Distribution während des Kulturhauptstadtjahres.

- Völlige Neulinge im Umgang mit Freier Software jeden Alters, denen einAusprobieren so leicht wie möglich gemacht werden soll

- Sozial schwache Softwarenutzer/innen, die nicht über Breitbandinternetund/oder mobile Computer für öffentliche Hotspots verfügen.

Stadt Linz

- Bibliotheken und Volkshäuser (für die Aufstellung der „Freedom Toaster“)- Distributionsstellen für Linz09-DVDs- ggf. API der Stadt Linz

Vorlaufzeit bis zum Start zu Jahresbeginn 2009 ca. 1 Jahr; danach Dauerbetriebbzw. laufende Erweiterung

Neben den Anschaffungskosten für „Freedom Toaster“ und DVDs fallen laufendKosten für den Betrieb des Freie Software Servers an.

Projektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

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PROJEKT: Freie Software für Linz

Alle Stadtverwaltungen, die wie Wien oder München in jüngster Zeit verstärkt auf FreieSoftware setzen wollten, standen beim Wechsel von Windows vor großen Problemen. Undzwar steckten diese weniger in Fragen wie Funktionalität oder Umschulungsaufwand alsvielmehr in versteckten Details. Unzählige kleine und kleinste Fachanwendungen arbeitenbeispielsweise ausschließlich mit Microsoft Word zusammen. Verzweifelt berichtenAdministratorInnen sogar von Web-Anwendungen, die eigentlich mit jedem beliebigenInternet-Browser funktionieren müssten, die aber nur mit Microsofts Internet Explorerkompatibel sind.

Regelmäßig berichten IT-Verantwortliche, dass die Einführung von PCs genauso wie dieVerwendung von Windows „passiert“ sei. Was beim Aufkommen völlig neuer Technologiennoch entschuldbar sein mag, gilt sicher nicht im Wiederholungsfall. Der Ausweg aus der(teuren) Abhängigkeit von einem Hersteller erfordert denn auch einen langen Atem undstrategische Planung. „Plattformunabhängigkeit“ lautet in diesem Zusammenhang dasGebot der Stunde. Offene Schnittstellen, Standards und Dateiformate, Web-Anwendungenfür alle neuen Dienste und Leistungen sowie Ausschreibungen, die Anbieter Freier Softwarenicht benachteiligen, sind der Weg zur Erfüllung dieses Gebots.

Für Linz bedeutet das die eingehende und transparente Beschäftigung mit der Software-verwendung, sowohl in der städtischen Verwaltung als auch in anderen Bereichen wie derLinz AG oder dem städtischen Allgemeinen Krankenhaus. So gibt es gerade im Gesund-heitsbereich inzwischen zahlreiche Open-Source-Lösungen, die längerfristige Hersteller-Innenunabhängigkeit möglich machen. All das fordert aber zuerst ein deutliches politischesBekenntnis zum übergeordneten Ziel der Plattformunabhängigkeit, was im ZweifelEntscheidungen gegen kurzfristige Kostenvorteile mit langfristiger Abhängigkeit und damitfür die Freiheit von Software und AnwenderInnen bedeutet.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Projekte- Plattformunabhängigkeit im Softwarebereich der städtischen Verwaltung undBetriebe

- Förderung Freier Software: Im Zweifel für die Freiheit

- Erstellung einer Studie über die EDV-Situation in der Stadt Linz und den LinzerBetrieben mit dem Ziel, eine Roadmap zur Erreichung des Ziels

„Plattformunabhängigkeit“ zu erstellen- Verfassung einer mittel- und langfristigen IT-Strategie für die Stadt Linz unterEinbeziehung der Betriebe im Unternehmensnetzwerk Linz mit verbindlichenKriterien für künftige Ausschreibungen und Beschaffungsvorgängen.

- Die politischen und administrativen IT-Verantwortlichen in der Linzer Verwaltungund den städtischen Betrieben

- Mittelbar die Kooperationspartnerinnen und –partner sowie die städtischenIT-Bezugsquellen

Amt für Informationstechnologie der Stadt Linz, evtl. Fremdvergabe der Studie

- Amt für Informationstechnologie- Politik- IT-Verantwortliche in den Linzer Betrieben

Erstellung der Studie sowie der Roadmap bis 2009, danach Beginn der operativenUmsetzung und Ausdehnung auf städtische Betriebe

Kein übermäßiger Finanzierungsbedarf, allenfalls Anschubfinanzierung zurErstellung der Studie

Projektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

PROJEKTSKIZZE:Freie Software für Linz

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04 | FREIE SOFTWARE FÜR FREIE BÜRGER/INNEN

PROJEKT: Freie Software für Linzer Schulen

Auf den ersten Blick mag es noch sinnvoll erscheinen, an Schulen die „gängigste“ Softwareeinzusetzen und zu unterrichten. Auf den zweiten Blick überwiegen jedoch die Nachteileder gegenwärtigen Microsoft-Monokultur: Schüler/innen erlernen nicht den Umgang miteiner Technologie, sondern nur mit einem Produkt. Die günstige Ausstattung der Schulenmit Microsoft-Software ist vor diesem Hintergrund auch alles andere als selbstlos odersoziales Engagement – ganze Generationen von Schüler/innen werden so zu künftigenMicrosoft-KundInnen herangezogen. Außerdem ist es bei proprietärer Software nichtmöglich, den Schüler/innen diese einfach auch für den Einsatz zu Hause mitzugeben: Inder Regel müssen die Eltern dafür (tief ) in die Tasche greifen.

In Anlehnung an erfolgreiche Open-Source-Projekte im Bildungsbereich wie die Linux-Distribution des Schleswig-Holsteiner Bildungsamts (kmLinux) oder Edubuntu soll eineDVD für Linzer Schulen zusammengestellt werden. Sie enthält nicht nur ein freiesschülerInnenfreundliches Betriebssystem, sondern auch eine Vielzahl an pädagogischenProgrammen. Die Auswahl ist gigantisch: Von Vokabeltrainern über Erkundungssoftwarezum Periodensystem bis hin zur Geometrie wird jedes Fachgebiet abgedeckt. Selbst eineProgrammiersprache für Kinder wurde entwickelt. Auch für Lehrer/innen ist etwas dabei,z.B. Programme zur Zusammenstellung und Auswertung von Tests und Verwaltung vonSchülerInnendaten und Leistungen. Anfangs sollten zumindest alle Lehrer/innen mit derDVD ausgestattet werden, mittelfristig können auch alle Schüler/innen einbezogen werden.Da die Software frei ist, dürfen aber ohnehin jederzeit und für jeden Zweck auch in derSchule Kopien angefertigt werden.

Interessierte Lehrkräfte hätten über das Internet bereits heute Zugang zu diesen Programmen.Die Bereitstellung der Software alleine ist deshalb noch nicht genug, um für mehr Vielfaltin schulischen Softwarelandschaften zu sorgen und möglichst vielen LehrerInnen undSchülerInnen die Chancen Freier Software zu eröffnen. Deswegen sollten begleitendeFortbildungskurse für Lehrer/innen an den beiden Pädagogischen Hochschulen angebotenwerden. Dabei soll zwischen den unterschiedlichen Fachbereichen (Software für den Einsatzin Volksschulen, in der Sekundarstufe oder im Informatikunterricht) unterschieden werden.Ziel ist es, diese Kurse über den offiziellen Fortbildungstopf für Lehrer/innen anzubieten, ummöglichst viele Lehrkräfte zum Einsatz von Freier Software zu befähigen und zu motivieren.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Freie Software für Linzer SchulenPROJEKTSKIZZE:

Projektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

Projekte

- Unterstützung Linzer Lehrer/innen beim Einsatz von Freier Software im Unterrichteinzusetzen

- Schaffung einer größeren Vielfalt in der schulischen Softwarelandschaft inLinz

- Entwicklung eines Fortbildungskurses für interessierte Lehrer/innen an derPädagogischen Hochschule

- Distribution einer DVD mit Freier Software, abgestimmt auf den Einsatz imUnterricht und zu Hause

- Interessierte Lehrer/innen verschiedener Schultypen und Unterrichtsgegenständesowie angehende Lehrer/innen

- Schulleiter/innen

- Pädagogische Hochschule- Schulamt der Stadt Linz

- Pädagogische Hochschule- Bezirksschulrat, Landesschulrat- IT-Verantwortliche und EDV-Lehrer/innen der Linzer Schulen

Entwicklungszeit für Kurs und DVD ca. 1 Jahr

Anlaufkosten: Entwicklung eines Kurs-Konzeptes, Erstellen von Kursunterlagen,Auswahl der SoftwareLaufende Kosten: Abhalten der Kurse, Vervielfältigung der DVDs

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05 | ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT DES INTERNET

„Stell dir eine Welt vor, in der jeder einzelne Mensch auf

dem Planeten freien Zugang zum gesamten menschlichen

Wissen hat. Das ist es, was wir tun. “

(Jimmy Wales, Co-Gründer der Online-Enzyklopädie Wikipedia)

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Laura Kepplinger und Josef Zehetner

ZURÜCK IN DIEZUKUNFTDES INTERNETS

ZURÜCK IN DIEZUKUNFTDES INTERNETS

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05 | ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT DES INTERNET

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Blogs und Wikis bringen das Internet näher an seinen Ursprung

Die meisten, die dieses Buch lesen, hatten vermutlich einen ähnlichen „Einstieg“ in dieWelt des Internets wie viele junge Linzer/innen. Zum Beispiel gibt es jene, die ihren erstenKontakt mit dem Internet in der Skylounge des Ars Electronica Centers (AEC) hatten.Dort oben saßen in den ersten zwei Jahren nach der Eröffnung fast nur Jugendliche undsuchten erstmals Informationen im Netz. Gut, in Wahrheit kamen die meisten, um dasChatten auszuprobieren. Die anderen machten den ersten Kontakt in ihrer Firma odersogar zu Hause am eigenen Personal Computer (PC). Das Internet wirkte wie ein riesigerMoloch, der aus Porno-Seiten (das meistgesuchte Wort war und ist noch immer Sex), Infos,komischen und gewagten persönlichen Homepages und natürlich Chatrooms bestand. Daswar natürlich nicht das World Wide Web, das sich seine Entwickler/innen vorgestellt hatten.Als Idee hatte das Internet viel mehr mit öffentlichem Raum und Meinungsfreiheit als mitSpam, Sex und nervig-aufspringenden Pop-Up-Werbefenstern zu tun.

Das unentdeckte Land

Als das World Wide Web (WWW) Anfang der 90er Jahre in Betrieb ging, hatten seineErfinder/innen und die ersten PionierInnen etwas ganz anderes vor: Das World Wide Websollte ein Sammelplatz für Informationen werden. Eine weltweite Plattform für kritischenAustausch und Dialog. Gleichzeitig stießen sie aber auch auf ein Problem. Der digitaleRaum war zwar unendlich, für den Großteil der Bevölkerung aber auch unendlich schwerzu handhaben. Nur ein kleiner Teil verwendete das World Wide Web, um Informationenzu suchen oder zur Verfügung zu stellen. Der zweite Ansatz war daher demokratischer.Informationen im World Wide Web sollten nicht nur jedem und jeder zugänglich sein,sondern jeder und jede sollte die Möglichkeit haben, Beiträge auch zu bearbeiten und zugestalten. Die Kluft zwischen Personen, die Zugang zum Internet haben und jenen, dievon ihrer Benutzung ausgeschlossen sind, ist eines der Themen, mit dem sich die OpenSource-Bewegung seit ihrer Entstehung beschäftigt. Der Abbau dieser Barrieren kann nichtdurch einfachere Bedienungskonzepte passieren, sondern erfordert auch „Empowerment“– die Selbstermächtigung der Nutzerinnen und Nutzer. Sie sollen das Medium nicht nurbenutzen sondern auch selbst gestalten können. Denn prinzipiell ist im Internet jedeInformation, egal ob sie aus Asien, Europa oder den USA stammt, nur einen Klick weitentfernt.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

So klar den VordenkerInnen eines demokratischeren und freieren Internet-Medienzeitaltersalso die Notwendigkeit einfacheren Zugangs zur aktiven Teilnahme für breite Bevölkerungs-kreise war, so ratlos waren sie, wenn es um die konkrete Umsetzung dessen ging. Und alsmanche/r schon das emanzipatorische Potential des Mediums Internet als vergeblicheHoffnung auf dem Friedhof gescheiterter Utopien begraben wollte, bewiesen zweiAnwendungsformen längst bekannter Technologien, dass der Schlüssel tatsächlich in simplen,aber dafür umso sozialeren Anwendungen liegt: Wikis und Blogs. Während es Blogsermöglichen, die eigene Meinung schnell und unkompliziert im World Wide Web zuveröffentlichen, sind Wikis die Werkzeuge, um Informationen digital zu organisieren odergemeinsam zu erstellen. Gemeinsam ist Blogs und Wikis, dass erst die dichte Verlinkungund Diskussion der Inhalte in einer räumlich getrennten, aber digital vernetzten Online-Gemeinschaft – der Community – ihre Potentiale zum Leben erweckt.

Blick in die Blogosphäre

JournalistInnen bloggen. DissidentInnen bloggen. China zensiert beide. Die deutscheBundeskanzlerin Angela Merkel bloggt. Sogar die Geschwerkschaft tut es. Der Chefredakteurvon ZEIT-Online, Gero von Randow, schreibt denn auch über Blogs: „Diktatoren fürchtensich vor dieser neuen Medienmacht“. Dabei sind „Blogs“ oder „Weblogs“ auf den erstenBlick nur wenig mehr als Websites, auf denen regelmäßig persönlich gefärbte Beiträge derAutorin/des Autors in chronologischer Reihenfolge veröffentlicht werden. Mit minimalemAufwand können die Texte um Fotos oder Videos, vor allem aber Kommentaren derBesucherinnen und Besucher ergänzt werden. Das Resultat sieht wie eine normale Websiteaus, auf der die aktuellsten Beiträge immer an oberster Stelle aufscheinen.

Durch die Ausdehnung der „Blogsphäre“ – der Gesamtheit aller miteinander verlinkterBlogs – auf immer mehr Länder und Themenbereiche hat das Internet in den letzten fünfJahren eine Wandlung zum Massenmedium vollzogen. Allerdings ein Massenmediumneuen Stils: Nicht aus einer zentralen Redaktion per Radio, Fernsehen oder Zeitung fürdie Masse der MedienkonsumentInnen, sondern ein dezentrales Netzwerk unzähligerIndividuen, die erst über ihre wechselseitige Verlinkung mehr und mehr Aufmerksamkeitauf sich ziehen – oder auch nicht. Es gibt weltweit ca. 200 Millionen Weblogs56, davonwurden ca. 300 000 in Deutschland gestartet und geschätzte 20.000 davon sind österreichischeBlogs.

Thema

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05 | ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT DES INTERNET

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Bis auf eine Tatsache haben die meisten Blogger/innen nicht viel gemeinsam: Sie schreibenOnline-Tagebücher, um gelesen zu werden. Blogs sind keine mit kleinen Metallschlösserngeschützte Bücher in Pastellfarben, sondern das genaue Gegenteil. Diese „Tagebücher“sollen von anderen gelesen und kommentiert werden. Im Optimalfall ge- oder missfälltein Beitrag einer Person so sehr, dass sie in ihrem eigenen Blog – natürlich per Hyperlink

- darauf verweist und zur Diskussion einlädt.

Die Demografie der Blogger/innen ist bei allen Blogging-Services in etwa gleich: Rund92% der Blogs werden von unter 30-jährigen angelegt, 56% der Blogger/innen sindweiblich.57 Im deutschsprachigen Raum haben sich 5.000 Personen an einer Umfragebeteiligt und auch hier zeigt sich: Der/die typische Blogger/in ist nicht männlich. Insgesamtsind die Männer im deutschen Sprachraum aber noch leicht im Vorteil, in der Gruppe derunter 20-jährigen gibt es aber bereits mehr Frauen als Männer.

Trotz - oder gerade wegen - der unglaublichen Menge an tages- oder wochenaktuellenWeblogs betrachten immer noch viele die Blogosphäre als Medienhype, der schon baldwieder vorüber, jedenfalls aber auf Dauer keine ernstzunehmende mediale Rolle spielenwird. Und tausende Blogs über persönliche Befindlichkeiten, das Frühstück und das Wetterscheinen sie in ihrer Skepsis mehr als zu bestätigen.

Worum geht es in Weblogs?

„Was heute in der "Bild"-Zeitung steht, steht morgen überall. Vielleicht sollte man sich alsomal genauer anschauen, was sie schreibt. Die kleinen Merkwürdigkeiten und das großeSchlimme.“ So beantwortet der bekannteste und meistbesuchte deutschsprachige Blog –BILDblog.de – die selbstgestellte Frage: „Was passiert hier?“. Implizit ist diese Antwort inihrer Spezifizität für alle Blogs gültig: Jede/r Blogger/in sucht sich selbst das Thema, dem mansich ihrer oder seiner Meinung nach annehmen sollte. Konsequenterweise geht es in Weblogsum alles und nichts. Zu versuchen, zu beschreiben, worüber die Leute bloggen, ist wie denInhalt von Büchern daran festzumachen, dass er eben in Büchern steht. Blogs sind genausonur das Medium, aber mit zwei entscheidenden Vorteilen. Keiner der Filter, die bei sonstigenMedien wirken, wie zum Beispiel die Entscheidung des/der HerausgeberIn, finanzielleSchwierigkeiten oder von einem Verlag beachtet zu werden, greift bei Blogs. Blogger/innensind ihre eigenen Korrekturleser/innen, Herausgeber/innen und ProduzentInnen. Der Kontaktzwischen LeserInnen und AutorInnen ist direkter als in Printmedien – eine Antwort, einKommentar oder das Kundtun einer anderen Meinung ist immer nur einen Klick weit entfernt.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Thema

Während die meisten Weblogs eine Reichweite von vielleicht hundert LeserInnen haben,schaffen es nur wenige, mehrere hundert oder tausend Leser/innen anzuziehen. „Salam Pax“berichtete 2003 aus dem Irak, als der Krieg begann. Sein Blog „dear Raed“58 wurde vonbis zu drei Millionen Leuten pro Tag gelesen. Die meisten Blogs werden als öffentlicheTagebücher verwendet. Dazu eignet sich das Medium auch optimal, denn selbst wenn esum persönliche Erfahrungen wie den Alltag in der Schule, Stress mit den Eltern oderProbleme in der Arbeit geht, SympathisantInnen sind nur einen Klick entfernt. DieGeschichte einer Studentin über die Bürokratie der Bibliothek an ihrer Universität magniemanden interessieren, es sei denn sie ist besonders humorvoll und gut geschrieben.Niemanden bis auf andere StudentInnen, egal wo auf der Welt. Würde die Studentin ihreGeschichte nicht in einem Blog, sondern in einer Zeitschrift auf ihrem Campus veröffentlichen,hätte sie eine geografisch eingeschränkte Zielgruppe. Diese gibt es bei Blogs nicht.

Neben persönlichen Blogs gibt es eine weitere Gruppe, den „Tagebüchern“ zwarzahlenmäßig weit unterlegen, aber dafür umso lauter. Diese Blogger/innen betreibenJournalismus im weitesten Sinne: Sie kritisieren, decken auf und kommentieren. Diesekritisierenden und kommentierenden Blogs werden „Watchblogs“ genannt – Aufpasser-Blogs. Sie schauen der PR-Szene (www.spin-doktor.de), den Massenmedien(www.medienrauschen.de) oder dem freien Markt (blog.zeit.de/herdentrieb/) auf die Finger.Die meisten dieser Blogs werden von ExpertInnen auf ihren Gebieten geschrieben. Robertvon Heusinger, Autor des Herdentriebs ist Finanzkorrespondent der deutschen Qualitäts-zeitung Die ZEIT und schreibt über das lemmingartige Verhalten neoklassischer Wirtschaft-streibender und -forscher. Im Herdentrieb veröffentlicht er Informationen, die er in seinenArtikeln nicht unterbringen konnte. Printjournalismus und Blogs, insbesondere Watchblogs,ergänzen sich gegenseitig, und zwar weil sie – im Unterschied zu herkömmlichen Massen-medien - eine völlig unterschiedliche Herangehensweise an die Veröffentlichung undAuswahl von Informationen haben.

Alte Zwänge, neue Freiheit

Radio, Fernsehen und Printmedien erfüllen in unserer Gesellschaft seit jeher zweiFunktionen. Sie dienen zur Unterhaltung und Information. Medien bieten AkteurInnender Gesellschaft dabei auch einen öffentlichen Raum für Diskussion und Meinungsäußerung.Die zunehmende Kommerzialisierung der Medien allerdings drängt informative undjournalistische Berichterstattung zusehends in den Hintergrund oder führt zu unvermeidlichenInteressenskollisionen. „Infotainment“, eine Mischung aus Information und Entertainment

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ist die Norm der zeitgenössischen Berichterstattung, auch abseits von Boulevardblättern.Qualitätszeitungen gleichen sich unter ökonomischem Druck dem Mainstream und damiteiner sehr unterhaltungslastigen Art des Journalismus an. Das liegt einerseits an derErfahrung, dass sich Information und kompliziertere Sachverhalte in unserer Aufmerksam-keitsökonomie nicht mehr oder zumindest schwerer verkaufen lassen, andererseits an derfinanziellen Abhängigkeit der Medien selbst. Printmedien finanzieren sich nur noch zueinem Bruchteil durch ihre Verkaufserlöse, sondern vor allem über Inserate oder dieZugehörigkeit zu einem Konzern.

Der Linguist und Medienkritiker Noam Chomsky charakterisierte die Angleichung an eineNorm in seinem „Propagandamodell“. Laut Chomsky gibt es fünf Filter, die eine Meldungdurchlaufen muss, um zur Nachricht zu werden.59 An erster Stelle stehen die Herausgeber/innen.Konzerne beschränken sich nicht mehr auf eine Sparte von Produkten, sondern sind überallvertreten. Medienkonzerne besitzen zum Beispiel Anteile an Buchverlagen, Filmstudios,Radiostationen und Printmedien. Dadurch ergeben sich für Medien gewisse „Tabuzonen“,über die nicht negativ berichtet werden darf – immerhin gehören sie zur (Konzern-)Familie.

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Blogroll: Vorschläge für den Einstieg in die Blogosphäre

• Bildblog – www.bildblog.deDas Team um den Bildblog fühlt der mächtigsten Zeitung Deutschlands auf den Zahn.

• Netzpolitik.org – www.netzpolitik.orgNetzpolitik beschäftigt sich mit der Informationsgesellschaft und BürgerInnenrechten im digitalenZeitalter.

• Herdentrieb - http://blog.zeit.de/herdentrieb/Betrachtungen über die freie Marktwirtschaft und die ihr folgende Herde. Von Zeit-Redakteur Robertvon Heusinger

• PressThink - http://journalism.nyu.edu/pubzone/weblogs/pressthink/Der, anspielend auf George Orwells „Newspeak“ benannte, Blog beobachtet Entwicklungen in derMedienkonzernlandschaft und versucht, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen.

• Glutter - http://glutter.typepad.com/Yan Shan-Shackelton bloggt über Politik, Kunst und Zensur in China.

• Blog - http://www.williamgibsonbooks.com/blog/blog.aspUrgestalt der Open Source Bewegung und Gründer des Cyberpunk-Genres („Neuromancer“) WilliamGibson schreibt über Parkplätze, seine Bücher und Politik.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Thema

Gleichzeitig muss Information schneller, besser und exklusiver sein, um Auflage zusteigern. Für viele Medien ist es nicht leist- oder machbar für flächendeckende Außenkor-respondenz zu sorgen oder auf allen wichtigen Pressekonferenzen anwesend zu sein.Nachrichtenagenturen wie die Austria Presse Agentur (APA) oder Reuters nutzen diesesDilemma und selektieren Informationen über Geschehnisse und filtern damit die Recherchevon JournalistInnen. Ein anderers Beispiel für vorgefilterte Informationen, die von Medienübernommen werden, ist die Praxis des „embedded journalism“, des „eingebettetenJournalismus“. JournalistInnen begleiteten US-amerikanische Truppen bei ihren Einsätzenim Irak und berichteten „hautnah“ über die Geschehnisse.60 Die letzten Filter sind „Anti-Ideologien“ und „Flak“. In jedem Kulturkreis gibt es Ideologien, die nicht toleriert werdenund Feindbilder darstellen. Über diese wird entweder gar nicht, oder nur unausgewogenberichtet. Chomsky führt sozialistische bzw. kommunistische Ideologien als Beispiel fürdie USA an. „Flak“ beschreibt die Intervention von Interessensgruppen, die es durchgesellschaftliche oder finanzielle Macht schaffen, Artikel im letzten Moment zu ihrenGunsten zu beeinflussen oder einfach zu verhindern.

Diese Filter führen zu einem medialen Mainstream in Form von Meinungshomogenitätund einseitigen Blattlinien. Blogger/innen stehen nun vor demselben Problem wie traditionelleMedien: Sie müssen sich im Zeitalter der Aufmerksamkeitsökonomie durchsetzen, umgelesen zu werden. Eine Nachricht wird in der Blogosphäre aber auf eine völlig andere Artzur Nachricht als in den Printmedien. Weder die oben beschriebenen Filter, noch die sogenannten Nachrichtenfaktoren, wie Aktualität, Betroffenheit oder Zielgruppeninteressetreffen hier zu. Geschrieben wird grundsätzlich über alles, selektiert wird später - und nichtanders herum, wie in den Printmedien. Die Blogger/innen entscheiden durch Verweise,Hyperlinks und Diskussionen in ihren eigenen Blogs, ob ein Thema interessant genug ist.Je mehr also über ein Thema geschrieben wird, je interessanter es gestaltet wird, und jemehr nach anderen Meinungen gefragt wird, desto eher wird es wahrgenommen. DieAlgorithmen moderner Suchmaschinen wie Google, die besonders auf die Häufigkeit undAktualität von Links für die Reihung ihrer Suchergebnisse abstellen, verstärken diesenEffekt noch weiter. Jay Rosen, Professor für Journalismus an der Universität von New Yorksieht in Blogs die Chance, den „Geist der Demokratie in der Maschine“ am Leben zuerhalten. In seinem Blog PressThink – eine Anlehnung an George Orwells „Neusprech“ - kommentiert er medienpolitische Entwicklungen und setzt sich dafür ein, dass Blogs alsGegenöffentlichkeit wahrgenommen werden.61

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Chomsky hat sein Propagandamodell in den 1980ern entworfen. Seine Beobachtungentreffen heute noch stärker zu als vor zwanzig Jahren zu. So ist es auch wenig verwunderlich,dass Blogs gerade als Folge der medialen Gleichschaltung im „Krieg gegen den Terror“ ihrenersten großen Boom erlebt haben und „Watchblogs“ zu einer der populärsten Blogformwurden. Das Bedürfnis nach öffentlicher Diskussion ist vorhanden und wird von dentraditionellen Medien nicht abgedeckt. Blogs füllen ein Lücke, die professioneller Journalismusin jüngerer Zeit eröffnet hat: Die des kritischen Korrektivs.

Mythos oder Meinungsfreiheit?

Die alte Medienlandschaft ist sich deshalb selbst nicht sicher, wie sie mit dem Phänomenumgehen soll. Ist es Journalismus? Eine Nische ohne Qualitätskontrolle? Dürfen sie dasüberhaupt? Julian Paine, Mitarbeiter der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ sieht Blogsals „die neuen Vorboten freier Meinungsäußerung.“62 Blogger/innen seien in Krisengebietenoft die einzig richtigen JournalistInnen, wenn die Mainstream-Medien zensiert werden,meint Paine. Gerade in solchen Ländern zeigen Blogs eine andere journalistische Qualität,nämlich die der Primärrecherche. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ erkennt dieWichtigkeit von Blogs im Kampf für Meinungsfreiheit an und veröffentlichte sogar ein

„Handbuch für Cyber-Dissidenten“63. Der Grund für die Entstehung des Handbuchs istdie zunehmende Zensur auch im virtuellen Raum, vor allem dort, wo es keine andereMöglichkeit zu regimekritischer Berichterstattung gibt. Blogger/innen in China könnenzum Beispiel vielfach ihre eigenen Blogs nicht sehen, sondern halten sie via Email auf demneuesten Stand: Denn die meisten Blogservices erlauben es, einen neuen Eintrag per E-Mail zu übermitteln, der dann automatisch auf dem Blog erscheint.

Zensur des World Wide Web passiert dabei meistens in Zusammenarbeit von Regierungund Firmen wie Microsoft oder Google. Liefert eine Bildersuche auf google.com – der US-Version - nach "Tian'anmen" („Platz des Himmlischen Friedens“) Bilder des Massakers,zeigt google.ch – der chinesische Google-Ableger - Tourismusfotos aus einem Hochglanz-prospekt. In dieser Umgebung versuchen Regimegegner/innen gehört zu werden - und dasgelingt ihnen vielfach nur mittels Blogs. „Wir können in Blogs frei schreiben,“ meint ArasSigarchi im „Handbuch für Cyber Dissidenten“. Der iranische Journalist konnte inPrintmedien nicht frei über die Zustände in seinem Land berichten, der Einfluss derRegierung und von Interessensgruppen sei zu groß. Sigarchi wurde 2005 wegen Dissidenzzu 14 Jahren Gefängnis verurteilt, er wartet noch auf seine Anhörung.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Thema

In Europa müssen Blogger/innen zwar nicht mit Gefängnis, dafür aber mit Schmähungenrechnen. Mal sind sie „[eine] kleine, elitäre Runde mit homöopathischer Größenordnung“.64

Dann treiben sie wieder „studentische Späße“, es sind sogar „wirklich studentische Späße“,wie Nicolaus Fest, Chefredakteur der BILD-Sonderausgaben noch einmal bekräftigt. Und:

„Die BILD-Zeitung verliert dadurch nicht an Glaubwürdigkeit.“ Wenn man es nicht besserwüsste, würde man meinen, die BILD-Zeitung – Deutschlands größtes und berüchtigtesBoulevardblatt - sei nervös. Und zwar so nervös, dass sie ihre Gegner/innen lächerlich zumachen sucht.

Der bereits erwähnte BILDblog.de ist ein Watchblog dessen Betreiber/innen „das Bedürfnishatten, die kleinen und größeren Ungereimtheiten in der BILD-Zeitung festzuhalten“.65

Und das machen sie. Seit mehr als zwei Jahren kommentiert das BILDblog-Team Artikel,Meinungsmache und Enten der BILD-Zeitung. Ihre Funde unterteilen sie in Kategorienwie „Grob Fahrlässiges“, „Unsportliches“ oder „Vermischtes“. Dabei wagen sich dieBILDblogger/innen nie auf juristisches Glatteis, sondern bleiben, im Gegensatz zu ihrerNamensgeberin, bei der Wahrheit. Wenn Bild über Susanne Osthoff - jene deutscheBürgerin, die sich nach ihrer Geiselnahme im Irak und ihrer Freilassung nicht so verhielt,wie es sich die Medien von einer Ex-Geisel wünschen - schreibt, sie sei undankbar, dannkorrigiert der BILDblog postwendend: „Mag sein, dass sich Frau Osthoff nach Meinungder nationalen Punktrichter von BILD nicht genug bedankt hat. Aber bedankt hat sie sich.Vor einem Millionenpublikum am 9. Januar 2006 in der ARD-Talkshow „Beckmann“. Siesagte wörtlich: ‚Ich bin jedem dankbar, der sich für mich engagiert hat und für mich seineZeit geopfert hat.’ […] Das wäre eigentlich auch für Herrn Voigt [zuständiger Redakteur,Anm.] nicht so schwer herauszufinden gewesen. Wenn er es denn gewollt hätte.“66

Gemeinsam statt einsam

Die Redaktion des BILDblogs ist nicht allein. Neben einem Kern an Personen, die fürden Blog verantwortlich sind, bauen die Betreiber/innen auf ihre Leser/innen. DieCommunity ist aufgefordert zu kritisieren und den Blog mit „Informationsspenden“ überFalschmeldungen der BILD zu unterstützen. Neben journalistischen Grundsätzen wieGenauigkeit, Unabhängigkeit und Faktentreue, ist die Kommunikation mit LeserInnenund Gleichgesinnten zentral für den BILDblog. Die Zusammenarbeit mir ihrer Community,die neben den LeserInnen auch aus anderen medienkritischen Websites besteht, macht dieBerichterstattung dynamischer und aktueller als jede nicht-virtuelle Publikation über dieBILD-Zeitung je sein könnte. Durch die Nähe zu ihrem Publikum können journalistische

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Blogs Themen besser aufgreifen und von ihrer kritischen LeserInnenschaft profitieren.Fehler werden schneller korrigiert, Übersehenes aufgegriffen und - vielleicht am wichtigsten

- die Zusammenarbeit mit der Community bedeutet nicht zuletzt Werbung für den Blog.Das zeigt sich auch deutlich in den deutschen Blogcharts: BILDblog.de hat täglich ca. 40000 Zugriffe und führt seit 33 Wochen die deutschen Blogcharts an.67 Die Popularitätvon Blogs wird dabei nicht nur in der Anzahl der Zugriffe („Hits“) gemessen, sondern vorallem daran, wie oft ein Blog verlinkt wurde, das heißt, wie oft von einer anderen Websiteauf ihn verwiesen wurde.

Diese Verweise zwischen den Blogs, die Hyperlinks sind das Geheimnis hinter dem Erfolgvon Blogs. Hyperlinks oder Links gibt es natürlich schon so lange wie das World WideWeb, aber erst in Blogs und Wikis entfalten sie ihre revolutionierende Wirkung. Ein Blogalleine ist nicht stark. Ein Blog entfaltet erst seine volle Wirkung, wenn er mit anderenverlinkt ist und gemeinsam in einem RSS-Feed auftaucht – einer Art digitales Blog-Abonnement, das neue Einträge automatisch anzeigt. Ein Blog alleine ist gar nichts,gemeinsam in der Blogosphäre, verknüpft über unzählige Hyperlinks werden Blogs zu dempopulären Medium, das sie mittlerweile sind. Informationen und Meinungen werden dabeivon Personen ins Netz gestellt, die HTML, Java und andere Programmiersprachen nichteinmal vom Namen her kennen. Die „Digital Gap“ – die Lücke zwischen technischversierten und technisch uninformierten Internet-Nutzer/innen - ist ein wenig kleinergeworden und das Internet näher an seinen Ursprung geführt worden. Informationen vonjedem und jeder für jeden und jede.

Die Macht der Hyperlinks und der möglichst einfache Zugang zu eigenen Beiträgen undVeröffentlichungen ist denn auch die große Stärke von Wikis, die auf den ersten Blick sowenig mit Blogs gemein haben: Denn während der/die Autor/in beim Blog ganz zentralund Selbstdarstellung wesentlicher Teil des Konzepts ist, verschwinden bei Wikis diezahlreichen AutorInnen (fast) völlig. Was von ihnen übrigbleibt, ist der gemeinsamgeschaffene Inhalt, ein kollektiv-kooperatives Werk.

Hey, hey Wiki, zieht fest die Segel aa-aan!

Die freie Online-Enzyklopädie Wikipedia, das Online-Wörterbuch Wiktionary und vieleandere Wikis erobern zwar erst seit kurzem, dafür umso stürmischer das Internet. Wikissind dabei keine kleinen Skandinavier mit guten Ideen, dafür aber die wahrscheinlich beste

„kleine“ Idee seit es das Internet gibt. Eine kleine Idee, nämlich Webseiten direkt von

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Thema

Besucherinnen und Besuchern quasi „in Echtzeit“ ändern zu lassen, die die große Visiondes Internets, nämlich alle Informationen für alle Menschen frei zugänglich zu machen,der Verwirklichung einen riesigen Schritt näher brachte. Eine Vision, die bereits derSchriftsteller Douglas Adams in seinem Buch „Per Anhalter durch die Galaxis“ formulierte.Dort träumt der Autor von einer Enzyklopädie, die frei ist und das Wissen des Universumsenthält. Ein Vorläufer der freien Internet-Enzyklopädie war dann auch eine BBC-Seite, diesich H2G2 (h2g2.com) nennt und „Hitchhiker’s Guide to Galaxy“ abkürzt. Benutzer/innenkonnten nach dem Registrieren Beiträge selbst gestalten und online stellen. H2G2 warleider etwas überreguliert – die BBC zensierte viele politische Beiträge und auch Namenwie Osama bin Laden wurden genauso wie Kriegskritik (zum Beispiel am Irak-Krieg)schnell eliminiert. Und während sich der kommerzielle Teil des Internets sehr schnell füllte,dauerte es einige Jahre bis Ward Cunningham, der schon seit Jahren an der Vereinfachungvon Internetsprachen arbeitete, sein „WardsWiki“ herausbrachte - sozusagen die Mutterdes modernen Wikis. Damit war ein wichtiger Schritt gemacht, in die Richtung, die demInternet eigentlich von seinen ErfinderInnen vorgesehen war.

Die Bezeichnung Wiki stammt von der Urlaubsinsel Hawaii. Wenn Hawaiianer undHawaiianerinnen etwas „wikiwiki“ machen, dann machen sie es schnell. Mehr noch alsBlogs arbeiten Wikis mit einer Vielzahl an (Wiki-)Links, mit denen man schnell durch dieInformationen navigieren kann. Dazu haben Wikis immer eine Bearbeitungsfunktion, mitder Beiträge online schnell und einfach bearbeitet, korrigiert, oder erweitert werden können.Zum Gestalten eines Artikels oder auch nur für einen kleinen Beitrag zu einem bestehendenist es, dank Wikis, nicht mehr notwendig, einen Volkshochschulkurs für HTML68 zuabsolvieren oder viel Zeit ins Selbststudium zu investieren. Ein Computer und ein paarMinuten Zeit, um sich mit den Regeln vertraut zu machen, sind für eigene Beiträge inWikis völlig ausreichend.

Bevor er sein Ur-Wiki veröffentlichte, hatte sich Ward Cunningham schon zehn Jahrelang mit der Entwicklung von „Pattern Languages“ besprochen, die für Wikis essenziellsind. Denn einen Text online lesbar und gegliedert zu ändern, erfordert ein vernünftigesWissensmanagementsystem im Hintergrund. Am Ende der Entwicklungsarbeit von WardCunningham stand eine Mail an einen seiner Freunde, ein Software Designer aus OregonNamens Steve: „Steve – Ich habe eine neue Datenbank auf meinem Server installiert undbitte dich, mal einen Blick darauf zu werfen. Es bietet die Möglichkeit, ohne HTML-Kenntnisse und ohne Formulare Text zu editieren. Es wäre schön, wenn du mitmachenkönntest,.... Die URL http://c2.com/cgi-bin/wiki“

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Inzwischen gibt es die verschiedensten Typen von Wikisoftware, die wiederum in denverschiedensten Gebieten zum Einsatz kommen. Das bekannteste Wiki-Projekt Wikipediazum Beispiel verwendet die Freie Software MediaWiki. Andere bekannte Wiki-Enginessind MoinMoin und das UseModWiki. Die Wiki Software kann auch auf einem privatenServer genutzt werden oder auch auf einem Schul- oder Universitätsserver, also überall, woWissensmanagement notwendig ist. Der Vorsitzende des deutschen Wikipedia-TrägervereinsWikimedia, Kurt Janssen, nutzt beispielsweise privat gleich zwei Wikis: Ein öffentliches,um für Freunde und Bekannte interessante Neuigkeiten und Links zur Verfügung zu stellenund ein persönliches zur Ordnung der eigenen Daten, Lieblingswebseiten, Termine undKontakte. Das schnelle und breite Wachstum von Wikis wird auch dadurch erleichtert,dass die große Mehrzahl der Wiki-Programme als Freie oder Open Source Software gratisim Internet erhältlich sind.

Free Wiki!

Mittlerweile können sich die Erfinder des World Wide Web bequem zurücklehnen unddie Show genießen. Denn so wie Wikipedia funktioniert, hätte ursprünglich wohl ihrTraum über das Internet ausgesehen. Informationen für alle von allen, und das natürlichauch noch kostenlos. Wikipedia hat das geschafft. Die größte Enzyklopädie der Welt istnicht mehr um teures Geld in dutzenden Büchern erhältlich, sondern für alle frei onlinezugänglich. Und alle können daran mitarbeiten. Und während Wikis die technischeVoraussetzung für diese neue Informationsfreiheit sind, sichern clevere Lizenzmodelle, dassdas Wissen auch noch in Zukunft frei verfügbar sein wird. Richard Stallman, der Pionierder Bewegung für Freie Software,69 hatte nämlich neben Lizenzen für Software-Quellcodeauch gleich eine Lizenz für die dazugehörigen Software-Handbücher mitentworfen. Beidebasieren auf dem Prinzip „Wie du mir, so ich dir!“: Jede/r darf die Inhalte frei verwenden,weitergeben und auch verändern, solange diese Veränderungen wieder zu gleichenBedingungen frei verfügbar sind. Neben Stallmans GNU Free Documentation Licensegibt es inzwischen weitere freie Lizenzmodelle, allen voran die vom Stanford-JuristenLawrence Lessig ausgearbeiteten Creative Commons-Lizenzen70, die sich zur Sicherungfreier Inhalte in Wikis eignen. Besonders die Creative Commons-Initiative hat sich dennauch bemüht, die Lizenzwahl genauso einfach zu gestalten, wie das Editieren eines Wikis:Auf der Homepage des Projekts hat der/die Benutzer/in die Möglichkeit durch anklickenvon Kategorien und Bedürfnissen, eine Lizenz zusammenzustellen, die auf seine/ihreBedürfnisse abgestimmt ist. Stallman und Lessig arbeiten im Moment gemeinsam daran,ihre beiden Modelle zueinander kompatibel zu machen.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Thema

Die Wikipedia hat daneben bereits ausgeklügelte Verfahren für eine systematischeArtikelprüfung als Qualitätssicherung entwickelt – denn klarerweise ermöglicht völligeFreiheit auch Vandalismus und Zerstörung. Es gibt beispielsweise eine Beobachtungslistefür kürzlich geänderte Seiten, es gibt „Sysops“ genannte AdministratorInnen, die sich umdiesen Status bewerben und von der Community gewählt werden, es gibt die Kategorien-systeme und – wohl am wichtigsten – es gibt eine umfassende Versionsgeschichte, die dasschnelle und unkomplizierte Wiederherstellen verunstalteter Artikelversionen ermöglicht.Bei den Kategoriensystemen ist dabei wahrscheinlich der wichtigste Punkt jener der

„umstrittenen Neutralität“. Unter dieser Kategorie finden wir zum Beispiel Artikel über„Kreationismus und das intelligente Design“, welches vor allem von den radikal-christlichenGemeinden in den USA propagiert wird und in Kardinal Schönborn auch einen österreichi-schen Anhänger hat. Während in der deutschsprachigen Wikipedia der Irak-Krieg-Artikelnicht unter einem Neutralitätsproblem leidet, ist dies in Amerika sehr wohl der Fall.Natürlich sind auch der Nahost-Konflikt, die Balkankriege und die Rolle Serbiens Themen,deren Darstellung auf der – für jeden Artikel verfügbaren – Diskussionsseite heftig umstrittenist. Zwischen den verschiedenen Versionen und Ansichten hat es dann auch schon öfterso genannte „Editier-Kriege“ („Edit-Wars“) gegeben. Dabei laden mindestens zweiProtagonistInnen ihre jeweilige Version ständig über die des anderen, in der Hoffnung, dieanderen zum Aufgeben zu bewegen und die „eigene“ Version zu etablieren. Die Wikipedia-Community versucht so etwas so gut wie möglich zu unterbinden. Die meisten Konflikteentstehen aber, wenn es um Religion und Poltik geht. Auf Wikipedia kann man sich aberauch über umstrittene und nicht sehr bekannte Projekte der US-Geheimdienste FBI undCIA informieren, zum Beispiel über MIKULTRA, wo mit dem Einsatz von DrogenVersuchspersonen zu willenlosen Sklaven werden sollten. In den kommerziellen Enzyklopädiensteht darüber kein Wort. Diese Liste lässt sich auch noch mit Skandalen und Politprogrammenerweitern, über die man nirgendwo sonst ausführlich lesen kann.

Wikipedia wird damit für kommende Generationen der Inbegriff einer Enzyklopädiesein – etwa so wie es jetzt im deutschsprachigen Raum noch Brockhaus ist. Denn wer wirdsich in Zukunft noch 30 dicke Wälzer ins Arbeits- oder Wohnzimmer stellen, wenn einkurzer Blick ins Internet und ein Abstecher zu Wikipedia ausreichen? Noch dazu, wo dieQualität der Wikipedia laut einer Studie des US-Wissenschaftsmagazins „Nature“ durchausmit der einer renommierten „Enzyklopedia Britannica“ vergleichbar ist.71 Und noch dazu,wo die Kosten für einen Brockhaus bei 83 Euro liegen – einen von 30 Bänden derGesamtausgabe. Mehr als ein bürgerliches Statussymbol wird von den teuren Enzyklopädienwohl nicht übrig bleiben. Ein ziemlicher Erfolg für ein Freiwilligen-Projekt, das nicht

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kommerziell orientiert ist und noch dazu zu diesem Zeitpunkt gerade einmal drei Jahreexistierte. Wikipedia gibt es mittlerweile in mehr als 100 verschiedenen Sprachen und dasWachstum hat sich in jüngster Zeit noch weiter beschleunigt. Zu den größten zählen,neben der englischen und der deutschen Ausgabe, die japanische, die französische und diepolnische Wikipedia. Aber auch kleinere Sprachen wie das Katalanische oder sogar diebesonders leicht erlernbare Kunstsprache Esperanto haben bereits eigene Wikipedia-Ausgaben.Das chinesische Wikipedia-Projekt kämpft – genauso wie die Vielzahl an chinesischenBloggerInnen – immer wieder gegen die Zensur und wird dadurch oft zurückgeworfen.

Wiki Wiki Wiki – Projekte, die über Wikipedia hinaus gehen

Wikipedia umfasst mittlerweile eine derartige Menge an Artikeln, dass Google bei fastjeder Suche auch einen Wikipedia-Eintrag als Ergebnis liefert. Das hat natürlich dazugeführt, dass Wikipedia immer mehr auch zur Recherche eingesetzt wird. Ein Referat fürdie Schule beginnt oft damit, dass sich Schüler/innen zuerst einmal bei Wikipedia schlaumachen. Auch bei Arbeiten für die Universität muss Wikipedia regelmäßig für die Abklärungvon Begriffen und die ersten Recherche-Schritte herhalten. Durch die Vielzahl der Links,die von Begriff zu Begriff, von Thema zu Thema führen, ermöglicht sie einen erstenÜberblick und liefert gleichzeitig weiterführende Literatur zum Thema.

Trotz der ermutigenden Ergebnisse von Vergleichsstudien mit etablierten Enzyklopädienwie der bereits erwähnten „Nature-Studie“, sorgen immer wieder falsche Wikipedia-Einträgefür Schalgzeilen und Zweifel an der Verlässlichkeit der Informationen. Immerhin kann jederund jede dort einen Artikel verfassen, erweitern oder gar von anderen Artikeln eine völligneue Version schreiben. Dazu hat die IBM Studie „History Flow“ herausgefunden, dassVandalismus bei großen Artikeln „gewöhnlich extrem schnell repariert wird – so schnell, dassdie meisten Nutzer/innen die Fehler nie zu Gesicht bekommen.“ Die Erklärung dafür ist,dass AutorInnen über die Funktion „Artikel beobachten“ sehr komfortabel ein Auge auf „ihre“Artikel haben können. Auch die renommierte deutsche Wochenzeitung Die ZEIT hat dieVerlässlichkeit der Informationen auf Wikipedia geprüft. ExpertInnen vom jeweiligen Fachwurden dazu einzelne Artikel zur Bewertung vorgelegt. Diese stellten der Wikipedia dabeiein extrem gutes Zeugnis aus und reihten Wikipedia noch vor dem Brockhaus.

Rund um das Flaggschiff-Projekt Wikipedia wird die Community rund um Wikipedia-Gründer Jimmy Wales immer erfinderischer. Das Wiki-Prinzip soll auch auf andere Bereicheausgeweitet werden. Im Rahmen von Wiki-News werden Nachrichten abseits kommerzieller

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Thema

und nicht-kommerzieller Medien nach dem Wiki-Prinzip erstellt. Quasi das Wiki-Gegenstückzu journalistischen Nachrichten-Blogs: Wieder ist die Community selbst für die Nachrichtenverantwortlich, entsprechend dem Wiki-Prinzip steht am Ende aber eine einheitlicheMeldung. Der Anspruch ist dabei, so neutral wie möglich zu sein. Eine weitere Idee beidiesem Projekt sind politische Kommentare zu einem Thema, die von den unterschiedlichenDenkrichtungen gemeinsam veröffentlicht werden - alle Artikel zu einem Thema zur selbenZeit. Wiki-Books wiederum soll „Open-Content“-Bücher ermöglichen, um die Kosten fürLehrbücher zu reduzieren. Außerdem werden ältere Bücher, bei denen Urheberrechtsschutzabgelaufen ist, zugänglich gemacht.

Lokale Wiki-Projekte

Nach einem Pilotprojekt in der deutschen Stadt Karlsruhe hat sich im Jahr 2005 auchder Verein „Stadtwiki - Gesellschaft zur Förderung regionalen Freien Wissens“72 gegründetund versucht, lokale Anwendungen des Wiki-Konzepts zu fördern. Detailreicher undvollständiger als für eine Enzyklopädie sollen in lokalen Wikis Informationen über dieRegion gesammelt und einfach – auch mobil – zugänglich gemacht werden. Das KarlsruherStadtwiki fasst mittlerweile mehr als 8.000 Artikel mit eigenen Portal-Seiten zu Themenwie Geschichte, Tourismus und Informationen für Neubürger/innen.

Schon ein Jahr vor dem Karlsruher Stadtwiki startete in Linz das Projekt „Wikimap“ –eine Verknüpfung von Wikis und einem digitalen Stadtplan von Linz. In der ersten Versionkonnten Bürger/innen den Stadtplan um Kommentare, Fotos, Audio- und Videodateienerweitern. Mittlerweile lassen sich thematisch sortierte Zusatzinformationen im Rahmender Wikimap-Linz anzeigen: Die Bandbreite der – natürlich einfach und frei erweiterbaren– Wikimaps reicht von „Wissensraum Stadt“ über „Stadt der Frauen“ bis hin zu „Fabelwesenin Linz“73. Zum Beispiel können Menschen in der Unterkategorie „Stadt der Frauen“besondere „Frauenorte“ ausmachen, geschichtliche wie auch kulturelle. Mit diesem seit2005 bestehenden Projekt war Linz auch eine der VorreiterInnen unter den europäischenStädten, die auf ihrer offiziellen Seite ihre offizielle Karte als Wiki Projekt verwirklichte.

Gemeinsam haben die lokalen mit ihren globalen Wiki-Geschwistern, dass sie dieBesucher/innen von reinen KonsumentInnen – wie bei herkömmlichen Webseiten – zuraktiven Teilnahme und Mitgestaltung anregen. In diesem Sinne sind sie – wie eben auchWeblogs – Instrumente zur Demokratisierung des Internets. Durch sie erhält jeder undjede die Möglichkeit, Beiträge ins Netz zu stellen. Wikis und Weblogs schaffen eine

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Plattform für Öffentlichkeit abseits medialer Konzentration und finanzieller Zwänge. ImZentrum steht immer eine Community gleichberechtigter Individuen, die im Zusammen-wirken – sei es über Verlinkungen oder über gemeinsam verfasste Texte – (viel) mehr alsdie Summe der einzelnen Beiträge erzielen. Sie sind dabei keine vorübergehendenErscheinungen sondern drücken das Bedürfnis einer breiten Öffentlichkeit nach freienInformationen und einer freien Meinungsäußerung aus. Sie sind gekommen, um zu bleiben.

7 Dinge über Wikis & Blogs

7 Dinge über Wikis

1.) Jeder und Jede kann bei (freien) Wikismitschreiben,

2.) Und das sogar, wenn man keine Ahnungvon Programmiersprachen hat,

3.) Die Wikipedia-Enzyklopädie ist gratis – unddie Inhalte frei verwendbar.

4.) Die Software dazu ist gratis – du kannst diralso dein eigenes Wiki basteln

5.) Die Informationen auf Wikipedia sind zumüberwältigenden Teil korrekt

6.) Wikipedia hat, das beweisen Projekte wieSemapedia und Wikimedia-Commons,enormes Potential

7.) In Wikis findet man sich schnell zurecht,weil die Hyperlinks einen wie Wegweiserbegleiten

7 Dinge über Blogs

1.) Es gibt Blogs zu allen erdenklichen Themen.2.) Egal, was es ist, es gibt da draußen immer

eine andere Meinung. Und eine andereMeinung zur anderen Meinung.

3.) Einen Blog zu erstellen dauert ungefähr dreiMinuten.

4.) Manche Verhaltenstheorien sind empirischbewiesen.

5.) Im Internet könnte jede/r ein Hund sein.7.) Blogs können die Welt verändern

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LINZ.STADT DER

FREIEN NETZE

Thema

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„Kein Vertrieb,kein Verkaufspreis,keine Abhängigkeiten.“

Interview: Christoph SchultheisBildblog.de verfolgt und widerlegt täglich die Berichterstattung von Deutschlands größterBoulevardzeitung BILD in Form eines vielbesuchten Online-Blogs. Gründer der inzwischen voneinem Team aus Redakteurinnen und Redakteuren betriebenen Website ist der Berliner JournalistChristoph Schultheis.

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Foto:http://bc08.vhb.de/pswiwo/fn/ww2/sfn/loadbin/picid/102211/

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Interview

FREIE NETZEFREIES WISSEN

Wie ist BILDblog.de eigentlich entstan-den? Die BILD ist ja dank Wallraff, Böllund vielen anderen ein viel bearbeitetesThema.

Christoph Schultheis: Tatsächlich ist dieKritik an BILD wohl so alt wie die BILD-Zeitung selbst. In den letzten Jahrenallerdings bekommt der Widerstand eineandere Qualität: Er ist weniger ideologischgeworden, aber immer mehr Prominenteweigern sich, mit BILD zu kooperieren.Prominente, Politiker und Privatpersonenversuchen, zum Teil mit großem Erfolg mitrechtlichen Mitteln gegen BILD vorzugehen.Und als Teil dieses Widerstandes verstehenwir auch BILDblog.de. Wenn der Volks-mund sagt „BILD lügt“, zeigt BILDblogwo und wie. Das war auch der ursprünglicheAnlass: Öffentlich machen, wo und wieBILD falsch, fehlerhaft, sinnentstellend oderirreführend berichtet und Persönlichkeits-rechte verletzt.

Hat sich der BILDblog über die Jahrehinweg verändert? In den häufig gestelltenFragen (FAQs) auf BILDblog.de steht, dasses das Wort „Watchblog“ nicht einmalgab, als das Projekt startete.

Christoph Schultheis: In den FAQs steht,wir kannten den Ausdruck nicht, als wiranfingen. Verändert hat sich unsere Arbeitinsofern, als wir anfangs davon ausgingen,

dass unsere Arbeit vor allem die Medien-branche interessieren könnte. Stattdessenhaben wir offenbar auch sehr viele branchen-fremde Leser. Deshalb setzen wir mittlerweileweniger Vorkenntnisse voraus.

Warum haben Sie das Internet als Medi-um gewählt, und, sagen wir, kein Buchgeschrieben?

Christoph Schultheis: Um eine möglichstgroße Öffentlichkeit zu erreichen, ist nichtsnaheliegender als das Internet. Auch wegendes geringen finanziellen, technischen undlogistischen Aufwands: kein Verlag, keineDruckerei, kein Vertrieb, kein Verkaufspreisund keine Abhängigkeiten...

BILD druckt Falschmeldungen – mehr-mals täglich. Glauben Sie, dass man mitBlogs hier Veränderungen erreichen kann?

Christoph Schultheis: BILDblog.de gehtes nicht in erster Linie darum, BILD zuverändern bzw. zu verbessern. Dafür istBILD gefälligst selbst zuständig. Uns gehtes darum, die öffentliche Aufmerksamkeitauf den in jeder Hinsicht mangelhaftenJournalismus bei BILD zu lenken. GünterWallraff hat einmal geschrieben: „GegenBILD hilft vor allem Aufklärung.“ Das sehenwir genauso.

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Wie viel tragen die Leserinnen und Leserzum Bildblog bei, gibt es eine aktive Com-munity, die bei der Recherche hilft?

Christoph Schultheis: Ähnlich wie die„Leser-Reporter“, die neuerdings ja auch vieleZeitungen unterstützen sollen, unterstützenauch die BILDblog-Leser unsere Arbeit mit

„sachdienlichen Hinweisen“, die sie uns perMail zukommen lassen. Vieles wäre unsohne die Hinweise womöglich entgangen - sei es, weil es sich um Fehler oder ähnlichesaus BILD-Ausgaben handelt, die uns nichtvorliegen, oder weil sich jemand in einemThema einfach gut auskennt. Täglich er-halten wir Dutzende solcher Hinweise, de-nen wir nachgehen und die wir danngegebenenfalls mit Dank an den Hinweis-geber veröffentlichen. Mittlerweile ist eingroßer Teil der BILDblog-Einträge durchLeserhinweise initiiert. Und es gibt unterunseren Lesern auch solche, die sich immerwieder mit Hinweisen an uns wenden.

Gab es seitens des Springer Verlags schonVersuche, Bildblog.de zu klagen? Undwenn ja, wie war das Urteil?

Christoph Schultheis: Nein, solche Ver-suche gab es nicht. Wir wüssten auch keinenAnlass.

Wie viele Falschmeldungen wurden seitEntstehung des Bildblogs katalogisiert?

Christoph Schultheis: Auf BILDblog.dewurden bislang weit über 1.500 Einträgeveröffentlicht - wobei es uns darin nichtausschließlich um Falschmeldungen inBILD geht.

Es gibt mittlerweile eine große „Blogo-sphäre“, also eine unglaubliche Menge anBlogs. Wird sich der Trend fortsetzen oderbleiben in ein paar Jahren nur mehr dieübrig, die sich einem spezifischen Themawidmen, wie der Bildblog?

Christoph Schultheis: Im Gegenteil: Eswird – auch im „Blog-Entwicklungsland“Deutschland – voraussichtlich noch vielmehr Blogs geben als heute.

Glauben Sie, dass Sie mit ihrer Arbeit beiden zuständigen BILD-Redakteurinnenund -Redakteuren einen Nachdenkprozessauslösen? Immerhin werden einige, auchwenn sie es verneinen, euren Blog verfolgen?

Christoph Schultheis: Das wäre schön.Wahrscheinlich ist es auch so. Doch selbstwenn, ist es dem Produkt BILD leider nichtbesonders anzumerken...

Gibt es auch Rückmeldungen von BILD-Abonnentinnen und -Abonnenten, diekritisieren oder loben, oder welche, dieBild nicht mehr lesen, seit sie den BILD-blog entdeckt haben?

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Christoph Schultheis: Der überwiegendeTeil unserer Leserschaft ist vermutlich nichtBILD-Leser. Aber es gibt auch Emails, indenen uns Leser schreiben, sie sähen BILDnun mit anderen Augen, das heißt wenigerals lustige Unterhaltungslektüre. Und esgibt Leser, die uns beispielsweise schreiben,sie würden im Frühstücksraum ihrer Firma,in dem viel BILD gelesen wird, ausgedruckteBILDblog-Einträge auslegen.

Passieren auch euch manchmal Fehler,zum Beispiel, dass eine Geschichte derBILD eigentlich doch stimmt?

Christoph Schultheis: Ja, leider sind unsin den zwei Jahren auch Fehler unterlaufen

- ungefähr fünf oder sechs. Wir haben dieEinträge daraufhin komplett durchgestrichenund uns in einem Nachtrag bei unserenLesern für den Fehler entschuldigt.

Nochmal zur Blogosphäre: Auf den Deut-schen Blogcharts regieren die sogenannten

„Watchblogs“, also Blogs, die gesellschaftli-che Veränderungen kritisch beobachten.Ist das Internet eine neue, die neue Platt-form für eine kritische Zivilgesellschaftoder was muss sich noch verändern, damites zu einer wird?

Christoph Schultheis: Das Internet imAllgemeinen ist ein Medium, das sich aufunterschiedlichste Weise nutzen lässt, genau-

so wie der Weblog als Publikations-Tool imspeziellen. Mit anderen Worten: Ich kanndie Frage leider nicht wirklich beantworten.

Interview

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„Da hat es klick gemachtund ich dachte: Geil.“

Interview: Kurt JanssonDer Berliner Soziologiestudent Kurt Jansson ist seit dessen Gründung im Jahr 2004 erster Vorsitzenderdes Vereins „Wikimedia Deutschland – Gesellschaft zur Förderung Freien Wissens e.V.“ – der erstelokale Ableger des US-amerikanischen Wikipedia-Betreibers, der Wikimedia Foundation.

Foto: Kurt Jansson

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Interview

Wie hast Du eigentlich begonnen, Dichin der Wikipedia zu engagieren und wa-rum?

Kurt Jansson: Ich bin auf die deutscheWikipedia gestoßen, kurz nachdem sie imSommer 2001 gegründet worden ist. Ichhabe mich davor schon sehr lange mit FreierSoftware beschäftigt und bin auch seit 1991im Internet. Ich fand das von Anfang ansuper spannend und habe mich in ensprech-enden Online-Communities aufgehalten.Aber es gab damals keine, bei der ich totalaufgegangen bin. Während des Studiumshabe ich mich dann damit beschäftigt, war-um Leute Freie Software schreiben. In Mai-linglisten lief die Diskussion über die gesell-schaftlichen Aspekte dieser Entwicklungrund um die Frage der Übertragbarkeit aufandere Bereiche. Dort wurde dann auch

„Nupedia“, das Vorgängerprojekt der Wiki-pedia angekündigt.

Was ist aus dieser „Nupedia“ geworden?

Kurt Jansson: Die Nupedia war sehr hier-archisch organisiert, mit sehr vielen Zwischen-stufen der Prüfung. Das ist natürlich fürdie Verlässlichkeit eine ganz tolle Sache, hataber die Menschen unglaublich demotiviert,weil es eine unglaublich lange Zeit gebrauchthat, diese Hierarchien zu durchdringen. DasProjekt ist, kann man sagen, ziemlich gegendie Wand gefahren. Alle hatten zwar das

Gefühl, es braucht eine freie Enzyklopädieim Netz, aber es gab bis dahin kein Projekt,das funktioniert hatte. Dann kam JimmyWales auf die Idee, ein Wiki aufzusetzen.Am Anfang noch als Idee mehr für eine

„Kladde“, also einen Bereich zum Herum-probieren. Nach einigen Wochen war derErfolg aber so groß, dass man der Kladdeden Namen „Wikipedia“ gegeben hat. DieNupedia war dann schnell tot.

Wie bist du dann selbst eingestiegen?

Kurt Jansson: Ich habe zum ersten Maldann auf diesen Link geklickt „Seitebearbeiten“ und stand dann eigentlich mitoffenem Mund vor dem Rechner, fragtemich „Wie kann das sein?“. Da hat es Klickgemacht und ich dachte: Geil. (lacht)

Und wie bist du dann in die Wikipedia-Community gekommen, also vom Autorzum Aktivisten geworden?

Kurt Jansson: Als immer mehr Leute aufdie Wikipedia aufmerksam geworden sind,habe ich irgendwann angefangen etwas Pres-searbeit zu machen. Wir wurden also größer,wir wuchsen. Wir hatten den 10.000stenArtikel, den 50.000sten und ungefähr dawar der Punkt, wo sich alles verselbstständigthat und das Projekt von einem Menschennicht mehr zu überschauen war. Ich warselber da auch erstaunt. Ich behaupte einmal,

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dass ich schon von Anfang an überzeugtgewesen bin, dass es ein Erfolg wird, aberich hätte nicht gedacht, dass es sich der-maßen verselbständigt. Das ist auch etwas,das mich motiviert.

Wann ist dann die Wikimedia gegründetworden? Was sind ihre Aufgaben?

Kurt Jansson: Am Anfang hat der JimmyWales das Projekt aus eigener Tasche bezahlt.Das waren zu Beginn drei Server, das konnteman sozusagen nebenbei finanzieren. Mitdem Wachstum stiegen aber Kosten undOrganisationsaufwand und führte damit2003 zur Gründung der Wikimedia Foun-dation in den USA. In Deutschland habenwir 2004 den Verein gegründet. Am Anfanghaben wir gesagt, wir wollen das Projektweiterhin ohne Werbung finanzieren.Bislang funktioniert das erstaunlich gut.

Erst später haben wir langsam gemerkt, dassder Verein auch für viele andere Sachen wich-tig ist. Vertreter von Organisationen warenfroh, endlich einen Ansprechpartner zu haben.Als Firma postet man nicht auf irgendeinerMailingliste, wo 100 Leute mitlesen.

Wie koordinieren sich diese verschiedenenProjekte? Gibt es eine internationale Platt-form, denn es gibt ja in verschiedenenLändern Wikimedia-Vereine, wenn auchnicht in jedem?

Kurt Jansson: Nicht in jedem, aber esgründen sich immer mehr. In Europa habenwir schon eine ganze Menge.

Gibt es aber eine Art Dachverband?

Kurt Jansson: Es gibt keinen Dachverband.Die Wikimedia Foundation, die Stiftungin den USA ist Betreiberin der Projekte,weiterhin. Die eigenen Länderorganisationen,wir nennen sie „Chapter“, betreiben diejeweiligen Plattformen nicht selbst. DieAufgabe von den Chaptern ist eher lokal.Sie kümmern sich vor allem darum, wo dieOnline-Community an ihre Grenzen stößt,in der phyischen Welt. Zum Beispiel gab esan der Uni Göttingen im Jahr 2006 dieerste „Wikipedia Academy“, wo wir versuchthaben, neue Autoren zu gewinnen. An-sonsten gibt es vor allem Veranstaltungenfür die Community wie die „Wikimania“.Außerdem treffen sich viele Wikipedianerzu lokalen Stammtischen, um Probleme zubesprechen oder einfach nur, um sich kennenzu lernen.

Was wäre, wenn zum Beispiel die Wiki-pedia oder die Wikimedia in Italien oderirgendeinem anderen Land sagt „Wirführen auf unseren Seiten Werbung ein.“?Dürften die das?

Kurt Jansson: Sie können es gar nicht. Alsotechnisch nicht, weil sie nicht Betreiber sind.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Betreiber ist die Foundation, weltweit, füralle Sprachen. Alles läuft auf den Servernder Foundation. Wir betreiben selbst keineneinzigen Server. Die größte Kontrolle wirdtrotzdem nicht von den Organisationenausgeübt, sondern die größte Kontrolle wirdvon der Community ausgeübt. Wir könnennichts machen, womit die Community nichteinverstanden ist. Oder sagen wir, nur sehrbegrenzt. Wir sind der Community verpflich-tet. Man könnte sogar soweit gehen, zusagen, wir sind Dienstleister für die Com-munity.

Mit Wikis wird in den verschiedenstenBereichen experimentiert, auch im engerenUmfeld der Wikipedia gibt es neben derEnzyklopädie eine Reihe weiterer Wiki-Projekte. Wo siehst du Potentiale undEinsatzbereiche für Wikis im Allgemeinenund wo sind Wikis eher fehl am Platz?

Kurt Jansson: Wikis funktionieren in denBereichen nicht, wo Leute nicht bereit sind,vom Autorenprinzip abzurücken. Wikis sindauch schlechte Content-Management-systeme für einfache Firmenwebseiten. Dasist auch nicht die Idee. Die Idee ist, Wikisvor allem für gemeinsames Schreiben vonTexten zu benützen. Da kann man dannschön an Hand der Versionsgeschichte er-kennen, wer etwas und was sich am Textverändert hat. Allerdings hat nicht eineeinzelne Person die Kontrolle über den Text.

Das letzte Projekt, das wir gemacht haben,ist das Wikiversity-Projekt, eine Plattformfür E-Learning-Kurse. Dort wird zur Zeitsogar mit richtigen Forschungsprojektenexperimentiert, die dort dokumentiert undgemeinsam betrieben werden. Ich finde dasspannend, weiß aber nicht, ob es funk-tionieren wird. Das gute ist, dass wir ganzviele Freiheiten haben, die Firmen nichthaben. Wir können auch Sachen probieren,und wenn es nicht funktioniert, dann ist esnicht tragisch.

Als Vorsitzender von Wikimedia Deutsch-land, wo würdest du sagen, sind derzeitdie größten Gefahren für die Wikipediaoder für die ganze Wikipedia-Familie?

Kurt Jansson: Es gibt Gefahren rechtlicherArt. Ein spezifisch deutsches Problem sindzum Beispiel Abmahnwellen. In den USAmuss zuerst eine Take-Down-Notice aneinen Webseitenbetreiber geschickt werden,wenn Rechte verletzt werden und wenndieser Folge geleistet wird, ist die Sacheerledigt. Hier ist gleich die erste Abmahnungkostenpflichtig ist. Das ist zum Beispiel eineSache, die uns zum Glück jetzt als Orga-nisation nicht bedroht, aber die für vieleLeute, die Wikis einsetzen, schnell proble-matisch werden kann.

Das ist ein exogene Gefahr. Gibt es auchendogene Gefahren, die durch Wachstum

Interview

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und Weiterentwicklung der Wiki-Projekteentstehen können?

Kurt Jansson: Ich habe da natürlich meineeigene Brille auf, aber ich persönlich binsehr optimistisch, auch was Fragen der Qua-lität und der Sicherung des bereits Erreichtenangeht. Ich glaube eher, dass die Ansprüchein der Community steigen werden. Wirhaben zum Beispiel ein Verfahren, um exzel-lente Artikel auszuwählen. Einzelne Nutzerkönnen Artikel für das Prädikat „exzellent“vorschlagen und nach einer öffentlichenDiskussion kann das dann zuerkannt werden.Inzwischen sind Artikel, die vor zwei Jahrendiesen Exzellenz-Status bekommen haben,wieder abgewählt worden, weil mittlerweiledie Ansprüche gestiegen und diese Artikelnicht mehr als exzellent zu bezeichnen sind.

Gibt es auch noch andere Initiativen dieQualität der Wikipedia zu steigern?

Kurt Jansson: Die deutsche Wikipedia wirddie erste mit stabilen oder besser geprüftenVersionen sein, wo Autoren die Möglichkeitbekommen, bestimmte Artikelversionen -also nicht einzelne Artikel, wie das bei denexzellenten der Fall ist - zu „flaggen“, alsozu kennzeichnen. Damit verbürgen kompe-tente Autoren, eine Artikelversion ist richtig,die Behauptungen sind korrekt, belegt undder Artikel ist auch einigermaßen vollständig.Die Leser können nachher entscheiden,

möchten sie eine ältere Version ansehen, dievon Experten aus der Community geprüftworden ist, oder eine aktuelle Version, dieaber möglicherweise von niemandem bishergenauer in Augenschein genommen wordenist. Die kann auch richtig, sogar aktuellersein, aber ist dann eben noch nicht geprüft.

Noch eine Frage zu diesem Wikiversum:Was ist eigentlich, abgesehen von derWikipedia selbst, dein Lieblingsprojekt?

Kurt Jansson: Das ist natürlich schwierig.Was ich toll finde, ist Wikimedia Commons.Das ist ein Projekt, wo alle anderen Projekteihre Mediendateien abspeichern können.Bilder, Audiodateien und Filme, dienatürlich alle unter freien Lizenzen stehen

- zum größten Teil unter Creative Commons-Lizenzen - die dann auch eine Weiternut-zung außerhalb der Wikimedia-Projekteerlauben. Dieses Archiv ist mittlerweile riesiggeworden und wird zu unserem Stolzmittlerweile auch neben der Wikipedia alsVorzeigeprojekt wahrgenommen.

Kommen wir zu lokal verankerten Wikis.Was sind deine Erfahrungen mit Stadtwi-kis? Was gibt es da und welche Potentialehaben die?

Kurt Jansson: In der Stadtwiki-Szene binich nicht so drin. (lacht) Es gibt einendeutschen Verein für Stadtwikis, der die

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Satzung der Wikimedia mehr oder wenigerübernommen hat. Wir heißen ja „Wiki-media Deutschland – Gesellschaft zur För-derung freien Wissens e.V.“ und die heißen

„Gesellschaft zur Förderung lokalen freienWissens e.V.“. Ich glaube Stadtwikis könnenmit Sicherheit funktionieren. Die Informa-tionen, die da drinnen stehen, sind dannnatürlich aber ganz andere als die in derWikipedia. Das Dilemma ist manchmal,dass Leute glauben, dass Wikis nur einePlattform seien, um Enzyklopädien zu er-stellen. Das ist natürlich Unsinn. Eine En-zyklopädie ist fast ein untypisches Wiki-Projekt. Da wird das Wiki-Konzept auchunterschätzt.

Was sind dann deiner Meinung ganz all-gemein Chancen und Potentiale für Wiki-Technologie?

Kurt Jansson: Nette Sachen. Ich habe selberzwei Wikis. Ein öffentliches Wiki, wo ichzum Beispiel Weblinks für Freunde speichere.

Warum machst du da dann ein Wiki undkeinen Blog?

Kurt Jansson: Meine Sortierung ist nichtzeitlich. In einem Blog rutschen die Sachenirgendwann unten raus und im Wiki weißich immer, auf welcher Seite ich etwas ge-speichert habe, auch wenn das inzwischendrei Jahre her ist. Da muss ich nichts durch-

suchen, sondern habe das thematisch sortiert.So denke ich auch persönlich eher. Dannhabe ich noch ein zweites, passwortge-schütztes Wiki, das ich als Notizblock be-nutze, einfach, weil das so komfortabel zubedienen ist.

Aber wo ich glaube, dass wirklich ein großesPotential ist, das in den USA von vielenFirmen bereits erkannt worden ist – aberwie immer noch zwei bis drei Jahre dauernwird, bis es in Deutschland angekommenist –, sind Wikis im Intranet von Firmen.Ende der 90er haben viele Firmen unglaub-lich viel Geld in Knowledge-Management-Systeme – und man muss das sagen – ver-senkt, die dann von den Mitarbeitern nichtangenommen worden sind. Weil sie zukompliziert sind, weil sie hierarchisch orga-nisiert sind, weil sie ein komplexes Rechte-management haben, wer was wo bearbeitendarf und dabei lustigerweise häufig ohneVersionsgeschichte. Deshalb ist da dannauch diese komplizierte Rechteverwaltungnotwendig.

Welche Vorteile bieten Wikis dann imGegensatz zu diesen herkömmlichen Know-ledge-Management-Systemen?

Kurt Jansson: Immer mehr Organisationenerkennen, dass es besser ist, den anderenWeg zu gehen, den Leuten alles zu erlaubenund dann aber nachzuvollziehen, wer etwas

Interview

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gemacht hat. Und die Erkenntnis ist ebendie, Firmenangestellte betreiben keinenVandalismus in Intranet-Wikis, sondern esist für viele eine sehr motivierende Sache.Man sieht sofort: Es ist gespeichert, andereLeute haben darauf Zugriff. Mitarbeiterfangen dann an, daran zu schreiben, wennsie selber schon einen Nutzen daraus gezogenhaben. Häufig fängt man an mit Mensa-Speiseplänen oder Busfahrplänen vor demWerkstor und dann wächst so langsam derübrige Content.

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Interview

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PROJEKT: Linz Public Space Server

Öffentlicher Raum liegt seit jeher in der Verantwortung der öffentlichen Hand. So folgtaus den Grundrechten auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit nicht nur das Recht derMenschen, öffentliche Räume zur Verbreitung ihrer Botschaften und Anliegen zu nutzen,es ist auch die Pflicht des Staates, genau das allen zu gleichen Bedingungen zu ermöglichen.Es gibt nun keinen Grund, warum es bei virtuellem öffentlichen Raum anders sein sollte.Dieser ist jedoch bis dato ziemlich rar. Die meisten Plattformen für virtuell-öffentlicheMeinungsäußerungen oder virtuelle Versammlungen wie Blogs oder allgemeiner Webspacewerden von Firmen angeboten – mit spezifischen Nutzungsbedingungen. Youtube.combeispielsweise, ein Webangebot, das Platz zum Speichern von Videodateien zur Verfügungstellt, sichert sich über seine Nutzungsbedingungen automatisch das Eigentum an allengespeicherten Dateien. Dasselbe gilt für diverse Blogging-Services, wie Livejournal oderVox. Das ist nicht nur für – angehende – Künstler/innen problematisch, sondern für jedePerson, die ihre Meinung im Web veröffentlichen möchte. Die Alternative, nämlich privatfinanzierter Webspace, kann im Falle hoher BesucherInnenzahlen schnell sehr teuer unddamit sozial exklusiv werden.

Mit der steigenden Bedeutung von Online-Journalismus steht auch die Presseförderungvor neuen Herausforderungen. In der „analogen“ Welt gibt es über den gefördertenPostversandtarif von Zeitungen ein – in letzter Zeit stark beschnittenes – Instrument zurFörderung der Medienfreiheit und –vielfalt abseits von willkürlichen und/oder politischenDirektsubventionen. Das Pendant dazu im Internet wäre die Finanzierung virtuell-öffentlicherRäume in Form von Server-Kapazitäten. Mit der Anmeldung eines Hauptwohnsitzes inLinz sollte automatisch das Anrecht auf eine bestimmte Menge an Webspace am öffentlichen

„Linz Public Space Server“ verbunden sein.

Im Rahmen der Kulturhauptstadt 2009 könnte es zusätzlich ein – ähnlich dem Kulturserverservus.at – Projekt geben, das es ermöglicht, für zumindest drei Jahre ab 2008 ohne KostenWebspace speziell für Blogging- und Wikisoftware zu beziehen. Mitmachen kann jede/r,egal ob sie/er in Linz lebt oder nicht, die Kulturhauptstadt ist zu einem großen Teil auchein internationales Projekt. Die einzige Bedingung: Alle Websites sind unter „Linz 2009“syndikalisiert und werden auf einem zentralen Hub verlinkt.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Projekte

PROJEKTSKIZZE:Linz Public Space Server

- Schaffung digital-öffentlicher Räume für alle- Förderung des Online-Journalismus und anderen Nutzungsformen des Internets

- Einrichtung/Anmietung von Serverkapazitäten- Möglichkeit der Online-Freischaltung für alle Hauptwohnsitz-Linzer/innen- Einrichtung eines Sonder-Servers für das Linz2009-Projekt

Alle Linzerinnen und Linzer

Stadt Linz

- Stadt Linz- Bürgerinnen und Bürger

Start noch im Jahr 2007

Kosten für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur sowie die Administrationder Webspace-Zuteilung

Projektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

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05 | ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT DES INTERNET

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PROJEKT: Virtual Space Invaders

Obwohl „Bloggen“ für viele junge Österreicher/innen kein Fremdwort mehr ist, ist esfür nicht-BloggerInnen schwierig, sich unter der „Blogosphäre“ – also einer Vielzahlmiteinander vernetzter oder gar die Gesamtheit aller Blogs – etwas vorzustellen. DieBlogosphäre sichtbar zu machen und auf diesem Wege etwas von ihrer Faszination zuverbreiten, ist das Ziel dieses Projektes. Dabei ist es auch wichtig, Blogs nicht als bloße,isolierte Websites darzustellen, sondern einerseits die Community, andererseits die

„Linksphäre“, also das Netz sichtbar zu machen. Im Kontext der Kulturhauptstadt 2009ist natürlich jener Teil der Blogosphäre, der sich mit Linz 2009 auseinandersetzt, Kunstund öffentlichen Raum diskutiert, besonders spannend.

„Virtual Space Invaders“ ist an ein Projekt des Berliner Netzkunstfestivals Transmedialeangelehnt. Gefragt war, den „realen“ öffentlichen Raum von seinem virtuellen Gegenstückzu informieren und anzuecken. Der Chaos Computer Club (CCC) verwandelte aus diesemAnlass die Fassade des „Haus des Lernens“ in Berlin in eine riesige, blinkende Leinwand,auf der Personen Botschaften in die weite Welt hinaus schicken konnten. Dasselbe soll dasProjekt „Virtual Space Invaders“ für Blogs bewirken: Zeigen, dass es sie gibt, und sie indie „reale“ Welt tragen.

Aus diesem Grund sollen an Knotenpunkten der Kulturhauptstadt (Ars ElectronicaCenter, Lentos, Musiktheater) Leinwände aufgestellt werden, auf die Blogs, die sich zumBeispiel über „linz2009:blogs“ syndikalisiert haben, projiziert werden. Wichtig ist dabei,dass es eben nicht nur eine Leinwand mit einem Blog gibt, sondern mehrere davon.Zusätzlich können alle syndikalisierten Blogs zu einem RSS-Feed zusammengefasst werden,so dass das Bloggeschehen um Linz 2009 auch bequem online verfolgt werden kann.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Projekte

Die Blogosphäre im realen Raum sichtbar machen

- Leinwände und Beamer für die Projektion von Blogs- Standorte in der Linzer Innenstadt

Alle Besucher/innen von Linz im Jahr der Kulturhauptstadt 2009

Linz 2009

- Linz 2009- Stadt Linz

Vorbereitung (technisch, redaktionell) ab 2007, Durchführung ab 2008 möglich

Kosten für die technische Infrastruktur und die redaktionelle Betreuung

Projektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

PROJEKTSKIZZE:Virtual Space Invaders

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05 | ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT DES INTERNET

PROJEKT: Wiki-Graffity „Semapedia“

Graffity wird oft mit Schmierereien an Hauswänden und natürlich Zügen gleichgesetzt,ist aber inzwischen auch schon zu einer anerkannten Kunstform geworden. Trotzdem mages verwunderlich sein, wenn hier zum „Beschmieren“ der Linzer Hauswände aufgerufenwird. Noch dazu wenn es um die Wände von Kulturgütern und Sehenswürdigkeiten wiedem Museum Lentos, dem Stifterhaus, den beiden Rathäusern oder dem Neuen Dom geht.Ja, wir rufen dazu auf, die Häuser mit Graffitys zu versehen - jedoch mit Wiki-Graffitydes Projekts „Semapedia“, das die physische mit der virtuellen Welt verlinkt. Die Erfinder,ein Wiener Student und ein New Yorker Software Architekt, nennen es auch „physischeHyperlinks“. Das Prinzip ist relativ einfach. Der Link zu einem Wikipedia-Artikel wirdin Barcodes in Form von schwarz-weiß Grafiken verwandelt. Diese können dann ausgedrucktund auf dem Gegenstand angebracht werden, über den die entsprechende Wikipedia-Seiteinformiert. Mit Mobiltelefonen und Digicams können diese Wiki-Graffities oder Barcodesdann fotografiert werden und mit Hilfe der freien Software Semacode-Reader automatischdie dazugehörige Wikipedia-Seite mit den Informationen über das Gebäude, die Statue,den Park oder andere reale Objekte aufgerufen werden.

Derzeit gibt es ca. 1000 Codes auf Objekten mit den dazugehörigen Infomationen aufWikipedia, 600 davon alleine in New York. Derzeit wird bei Semapedia vorwiegend aufdie Möglichkeiten im Bereich des Tourismus gesetzt. So liegt es auch in Linz nahe, dasssich das Tourismus-Service der Stadt dem Projekt der möglichst vollständigen Erfassungtouristisch interessanter Gebäude durch Semapedia-Graffities widmet. Angebracht an einemder beiden Rathäuser würden die dazugehörigen Wikipedia-Seiten Interessierte dann mitInformationen über die Geschichte der Stadt, die EinwohnerInnenzahl, den Bürgermeisteroder auch nur Informationen über das Gebäude selbst versorgen. So können sich TouristInnenauch ohne Fremdenführer/in über Linz informieren – gratis und zu jeder Tageszeit.Gleichzeitig könnte die Erfassung der Stadt Linz im Rahmen der Wikipedia bei dieserGelegenheit vervollständigt werden und gleich eine eigenes Wikipedia-Portal mit Informa-tionen zur oberösterreichischen Landeshauptstadt gefüllt werden.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Wiki-Grafitty „Semapedia“PROJEKTSKIZZE:

Projektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

Projekte

- Erfassung der wesentlichsten Linzer Orte und Gebäude über die Semapedia- Ausbau bzw. Erstellung der entsprechenden Informationen in der Wikipedia(z.B. im Rahmen der Erstellung einer Portal-Seite für Linz)

- Umsetzung eines sinnvollen und freien touristischen Angebots

Erstellung der Wiki-Graffities und Anbringung derselben

An Linz interessierte Spaziergänger/innen

Stadt Linz

- Stadt Linz- Verantwortliche der einzelnen Gebäude

Start noch im Jahr 2007

Erstellung und Anbringung der Graffities

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06 | ARS ELECTRONICA ACTIVA - DIE KUNST DES DIGITALEN LEBENS

„Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit.“

(Friedrich Schiller)

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ARS ELECTRONICAACTIVA - DIE KUNSTDES DIGITALEN LEBENS

ARS ELECTRONICAACTIVA - DIE KUNSTDES DIGITALEN LEBENS

FREIE NETZEFREIES WISSEN

Miriam Köck und Stefan Augustyn

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06 | ARS ELECTRONICA ACTIVA - DIE KUNST DES DIGITALEN LEBENS

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Potentiale des erweiterten Ars Electronica Centers für die „DigitalCommunity“

Sonntag Abend, am 10. September 2006 im Linzer Donaupark. Wie jedes Jahr verfolgenzehntausende Besucher/innen die Linzer Klangwolke. Das Eröffnungskonzert des Bruckner-festes mit dem Bruckner Orchester Linz, unter der Leitung von Dirigent Dennis RussellDavies, beginnt mit Igor Strawinskys konzertantem Stück für Klavier und Orchester

„Petruschka“, das nicht visualisiert wird. Die darauf folgende Visualisierung von IgorStrawinskys „Le Sacre du Printemps“ – in einer Co-Produktion mit dem Ars ElectronicaFuturelab – geht den Weg der Aufsehen erregenden, pionierhaften Aufführung von Wagners

„Rheingold“ im Jahr 2004 weiter. Choreograph Klaus Obermaier inszeniert eine dreidimensionale,interaktive Bilderwelt mit der Tänzerin Julia Mach, die die Zuschauer/innen im GroßenSaal des Brucknerhauses und im Donaupark mit 3D-Brillen verfolgen.74

Die Geschichte des erweiterten Ars Electronica Centers – des „Future Parks“ auf derUrfahraner Seite der Donau – beginnt fast 30 Jahre davor, als 1979 im Rahmen desdamaligen Brucknerfestes die „Ars Electronica“ Premiere feierte. Nicht ohne Stolz in derStimme verkündete der damalige Linzer Bürgermeister Franz Hillinger: „Erstmals in Europawird während dieses Symposions ein Heimcomputer vorgestellt, der auch von Laien alsKunstproduktionsgerät eingesetzt werden kann.“ 1979 ahnen erst wenige, welchengravierenden Einfluss dieser Heimcomputer und seine Nachfolgemodelle auf unser allerLeben haben würden. Einer, der schon damals die Zeichen der Zeit erkannte und dieAuswirkungen voraussah, welche die neuen Technologien in der Zukunft haben würden,ist der 1927 in Wien geborene Herbert W. Franke. Franke – Höhlenforscher, promovierterPhysiker, einer der bekanntesten deutschsprachigen Science-Fiction-Autoren und Mitinitiatorder Ars Electronica: „Bisher hat der technische Fortschritt in einer recht simplen, unreflek-tierten Weise Eingang in die Gesellschaft gefunden, die Auseinandersetzung mit bedenklichenSekundärerscheinungen erfolgte erst in der Konfrontation mit den fest etablierten Systemen.“75

Kultureller Aufbruch einer Stahlstadt

1979 kämpft Linz noch um seine Positionierung als Stadt der Kultur. Mit Linz verbindetman zu dieser Zeit noch eher die Stahlstadt an der Donau mit der schlechten Luft – erstder heftig umstrittene Bau des Brucknerhauses in den 1970ern und das Brucknerfest lassendie kulturelle Zukunft der Industriestadt erahnen. Als am 18. September 1979 die ersteArs Electronica im Rahmen des internationalen Brucknerfestes mit der ersten Linzer

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Klangwolke und der Musik von Bruckners 8. Symphonie eröffnet wird, ist die zukünftigeEntwicklung der Ars Electronica noch nicht absehbar. ORF-Landesintendant HannesLeopoldseder, Elektronikpionier Herbert W.Franke, der Elektronikmusiker HubertBognermayr und der Musikproduzent Ulli A. Rützel entwickelten das Konzept für die ArsElectronica als einem mehrtägigen Festival, das sich mit den aufkommenden neuen Medienund Technologien im Spannungsfeld von Kunst, Technologie und Gesellschaft auseinandersetzt.Als Veranstalter treten zu Beginn das Brucknerhaus gemeinsam mit dem ÖsterreichischenRundfunk (ORF) und dessen Landesstudio Oberösterreich auf.76 Die Erwartung derOrganisatorinnen und Organisatoren, dass rund 10.000 Menschen dieses neue kulturelleEreignis im Linzer Donaupark besuchen würden, wurde um das zehnfache übertroffen.Das neue Festivalkonzept, das die Besucher/innen aktiv in das Geschehen einbindet undvor allem einen Zugang außerhalb bisheriger, elitärer Strukturen der österreichischen (Hoch-)Kultur ermöglichte, war ein durchschlagender Erfolg. 1979 war noch nicht sicher, ob dieIdee einer eigenen, unverwechselbaren kulturellen Identität für die Stadt Linz durch diesesneue Projekt gestärkt werden könnte. Die Geschichte hat gezeigt, dass es den Verantwortlichenin der Stadt, der Linzer Medienlandschaft und auch den unzähligen Künstlerinnen undKünstlern gelungen ist, Linz ein von Wien und Salzburg völlig unabhängiges, unverwech-selbares Gesicht zu geben.

Dieses Profil ist nicht zuletzt auch dem Prix Ars Electronica zu verdanken. Der knappzehn Jahre später, 1987, ins Leben gerufene internationale Wettbewerb widmet sichausschließlich digitalen Medien und deren Entwicklungen und Möglichkeiten. 1987 warder Computer längst zu einer wichtigen Inspirationsquelle und einem unersetzbarenInstrument für viele Künstler/innen geworden. In drei Kategorien – Computeranimation,Computermusik und Computergrafik – wurden bereits im ersten Jahr des Wettbewerbsüber 700 Arbeiten eingereicht.

Ziel des Prix Ars Electronica war und ist es, neben dem Kunst- und Kulturfestival ArsElectronica eine dauerhaft tragende Verbindung zu Künstlerinnen und Künstlern zu schaffenund dadurch auch am Puls der Zeit zu bleiben. Denn gerade im schnelllebigen Terraindigitaler Medien ist es immer wieder der Prix, der aktuelle Strömungen aufzeigt und dasKommende erahnen lässt.

Thema

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06 | ARS ELECTRONICA ACTIVA - DIE KUNST DES DIGITALEN LEBENS

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Die Ars Electronica bekommt ein festes Zuhause

In den 1990er Jahren ist das Festival mit dem Prix Ars Electronica bereits in Linz etabliertund bringt jedes Jahr aufs neue internationale Aufmerksamkeit. Ziel ist es, Kunst undWissenschaft auf hohem Niveau begreif- und erlebbar zu machen. Während das Festivalvor allem eine experimentelle Spielwiese darstellt, bringt der Prix als größter und wichtigster

Die „Goldenen Nicas“ des Prix Ars Electronica sind in der digitalen Welt ebenso begehrt wiedie „Oscars“ in Hollywood und werden ebenso in mehreren Kategorien verliehen.

• Computeranimation / Visual Effects• Digital Musics• Interaktive Kunst• Net Vision• Digital Communities• u19 – freestyle computing• [the next idea] Kunst- und Technologiestipendium

Vor allem die neueren Kategorien wie „u19 – freestyle computing“, „Digital Communities“ und„the next idea“ widmen sich jüngeren Feldern digitaler Innovation. Dass vor allem auch immerwieder sehr junge Menschen kreative und technische Höchstleistungen erbringen, wird seit 1998mit der Kategorie „u19“ berücksichtigt. Bei diesem Jugendwettbewerb kann alles eingereichtwerden, was mit Hilfe des Computers erstellt wurde – und das ohne Einschränkung der Mittelund Methoden – freestyle eben! Die Preise werden von der Jury nach Kriterien wie Kreativität undtechnische Umsetzung verliehen.

Die Kategorie „Digital Communities“ wurde gemeinsam mit „the next idea“ im Jahr 2004 alsneue Rubrik zum 25-jährigen Jubiläum des Ars Electronica Festivals in die Ausschreibung mitaufgenommen. Die Kategorie „Digital Communities“ würdigt dabei das (gesellschafts-) politischePotential digitaler und vernetzter Systeme und spricht ein breites Spektrum von Projekten,Programmen, Initiativen und Phänomenen an, in denen soziale Innovation gewissermaßen inEchtzeit und mit Computerunterstützung stattfindet.77

Im ersten Jahr wurden zwei „Goldene Nicas“ verliehen – zum einen an ein Projekt mit dem Namen„The World Starts with Me“, das eine digitale Lernumgebung für junge Menschen in Uganda zuThemen wie sexuelle Gesundheit, AIDS-Prävention oder kreative Fähigkeiten im Umgang mitInformations- und Kommunikationstechnologie bildet. Die zweite „Goldene Nica“ wurde eineminnovativen und mittlerweile wohl fast jedem/r Internetbenutzer/in bekannten Projekt verliehen– der Wikipedia, einem Internetnachschlagewerk von UserInnen für UserInnen, das nicht nurstatisches Wissen druckt und veröffentlicht, sondern auch auf demokratische Art und Weise dieBenutzer/innen partizipieren lässt.

“And the Prix goes to ...”

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Wettbewerb neben dem so wichtigen Verbindungsglied zu den Künstlerinnen und Künstlernvor allem eines: Einen kleinen Blick in die Zukunft. Dabei ist der Prix mit einem Preisgeldvon 117.500 Euro jährlich der höchstdotierte Preis für Computerkunst weltweit – sicherlichein Faktor für die große Zahl an teilnehmenden Kunstschaffenden. Viele der über 30.000Einreichungen seit dem Bestehen des Preises im Jahr 1987 haben in sehr frühen Stadienaufgezeigt, in welche Richtung sich die digitale Welt entwickeln könnte. Projekte wie das2004 preisgekrönte Onlinelexikon Wikipedia78 zeigen auch, wie schnell sich der Sieger ineiner Kategorie des Prix Ars Electronica zu einer weltweit genutzten Selbstverständlichkeitentwickeln und selbst zum Vorbild für zahlreiche Nachahmer werden kann. Die Frage, wiedie Ars Electronica neben dieser internationalen Dimension auch für Linz, seine Bürger/innenund vielleicht auch der Linzer Wirtschaft besser nutzbar zu machen sei, gewann mit derinternationalen Aufmerksamkeit an Bedeutung. Der Versuch, für breite BevölkerungsschichtenZugang zu meist noch sehr elitären Technologien zu ermöglichen und gleichzeitig Vermittlungs-und Erklärungsarbeit in Zusammenhang mit neuen Technologien zu leisten, mündet inden 1990ern im Bau des Ars Electronica Centers (AEC). 1996 wird es mitten in Linz als

„Museum der Zukunft“ eröffnet.Trotz eines umfassenden Konzeptes, einer großen Mach-barkeitsstudie und der Einholung von Expertisen aus der ganzen Welt war damals nochnicht klar, wie die Idee des Ars Electronica Centers tatsächlich funktionieren kann. Es gabauf der einen Seite Hoffnungen und Erwartungen in die neue Technologie, die sich bisheute nicht erfüllt haben, auf der anderen Seite gab es technische Durchbrüche in Bereichen,wo niemand damit gerechnet hätte. Schon eher war klar, was das Ars Electronica Centernicht sein sollte: Ein weiteres Wissenschafts- oder Technikmuseum, wie es in sämtlichengrößeren Städten vorhanden ist. Ein Anspruch, dem das AEC im weiteren Verlauf zwarnicht immer, aber doch in größten Teilen – vor allem geschuldet dem jährlichen Festivalund dem starken Bezug zur digitalen Kunst – gerecht werden konnte.

Gleichzeitig war aber das AEC auch nie als (reines) Kunstmuseum geplant – eine Tatsache,die auch für Kritik aus der Kunstszene gesorgt hat. Der größtenteils selbstgewählte Auftragdas AECs war vielmehr über breite Bildungsarbeit Zugang zu neuen Medien und Technologiensowohl in einem sehr realen Sinn im Haus selbst als auch in einem weiteren Sinn über denunmittelbaren AEC-Besuch hinaus. Dieser bewusste Bildungsschwerpunkt erklärt auchdie starke Ausrichtung des Centers auf Kinder und Jugendliche, die – wenn es nach derCenter-Leitung geht – in Zukunft sogar noch ausgebaut werden soll. Neben diesem ehergesellschaftspolitischen Auftrag wuchs aber auch der Druck, Bedürfnisse und Erwartungender lokalen Wirtschaftstreibenden zu erfüllen. Dass mit fortschreitender digitaler Revolutionein Umbruch fast aller bestehenden Arbeitsstrukturen und Prozesse einhergehen würde,

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06 | ARS ELECTRONICA ACTIVA - DIE KUNST DES DIGITALEN LEBENS

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wurde zu diesem Zeitpunkt immer mehr Menschen bewusst. Das ebenfalls 1996 gegründeteArs Electronica Futurelab wurde als Forschungs- und Entwicklungslabor mit stärkeremBezug zur Wirtschaft gegründet. Entwicklungen für namhafte Firmen wie die VOEST-Alpine oder Siemens sind genauso Gegenstand der täglichen Arbeit des „Zukunftslabors“,wie dessen ursprünglich Aufgabe, nämlich Entwicklungen für das Center selbst.

Im Laufe der Zeit kristallisierte sich ein weiterer Schwerpunkt heraus: die Entwicklunginteraktiver Installationen mit jeder Art von physikalischem Interface. Schließlich beganndas Futurelab, Virtual-Reality-Applikationen und -Installationen auch für externe Auftraggeberzu entwickeln.80 In den meisten Fällen kommen die Ideen für Projekte des Futurelabs vonBeteiligten der Ars Electronica und werden beim „Pixelspaces Symposion and Exhibition“während des Festivals präsentiert. „Mosaik“, „Autobahnsimulation“, „Fronius“, „TheExplorer“ sind nur einige der Projekte, die vom Futurelab im Laufe seines zehnjährigenBestehens realisiert wurden – wenn das im konkreten Kontext gerade eben Virtualisierungbedeuten kann.

Die in den jüngeren Futurelab-Projekten feststellbare, stärkere Orientierung hin zuInteraktions- und Gestaltungsmöglichkeiten durch die User/innen (vgl. das Projekt „GulliversWelt“) folgt eben jenem Trend hin zu digitalen Gemeinschaften („Communities“), demim Rahmen des Prix durch die Einführung der Kategorie „Digital Communities“ Rechnunggetragen wurde.

2009 der Future Park - das zweite gläserne Schiff an der Donau

2009 wird sich das Ars Electronica Center in ein gläsernes Schiff verwandeln und somitden architektonischen Dialog mit dem am gegenüberliegenden Donauufer gelegenenKunstmuseum Lentos noch stärker aufnehmen. Das SiegerInnenprojekt des ArchitektInnen-wettbewerbes setzt durch die Verbindung von Bestand und Neubau in Form einer Stahl-undGlaskonstruktion ein skulpturales Zeichen. Der Erweiterungsbau des Wiener ArchitektenAndreas Treusch, sieht dabei drei Elemente vor: Einen mehrgeschoßigen Glaskubus mitdoppelschaliger Fassade, der an das bestehende Haus anschließt. Die Glasflächen werden teilstransparent, teils matt ausgeführt und können im Zwischenbereich beleuchtet werden. Generellkann der Kubus als Projektionsfläche genutzt werden, sozusagen als bespielbare Hülle. Aucheine Bestückung mit LCD-Bildschirmen ist möglich. Im Anschluss an den Kubus folgt einabgesenkter Bereich mit unterirdischen Ausstellungsflächen, die flexibel unterteilt werdenkönnen. Zur benachbarten Kirche hin werden im Medienkunstlabor die bereits erwähnten

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Thema

Future Labs untergebracht. Das begehbare „Oberdeck“ bietet zusätzlich Freiflächen fürAusstellungen und Veranstaltungen. Für die Besucher/innen sind Sitzstufen vorgesehen undein großzügiger Veranstaltungsplatz ist das Kernstück der Anlage und soll sich in die Kulisseaus Donaulandschaft, historischer Bausubstanz und bestehendem AEC gut einfügen.81

Eines der neueren Futurelab-Projekte ist „Gullivers Welt“, das in den Räumen des Ars Electronica Centersgezeigt wird und von den Besucherinnen und Besuchern nicht nur angesehen, sondern auch „bespielt“werden kann. In sieben Stationen kann von der Landschaft bis hin zu den Details der Charaktere allesselbst bestimmt und so Teile der virtuellen „Gullivers Welt“ gestaltet werden. Die zentrale Herausforderungdes Projekts ist die Positionierung eines neuartigen Mediums zwischen Theater, Film und Installation.

Die Stationen im Kurzüberblick:

Der ModelliertischAuf dem Modelliertisch kann der/die Besucher/in die Requisite für Gullivers Welt aus Plastilin erschaffen.Das Erschaffene wird von einem digitalen Scanner „gescannt“ und erscheint dann digitalisiert inGullivers Welt.ReißbrettDas Reißbrett dient zur Gestaltung von sogenannten Rotationsobjekten (z.B. Bäume) die auf einemObjektträger gespeichert werden. Aus dem zweidimensionalen Bild wird durch den Computer ein drei-dimensionales Bild generiert.LandschaftsmalerAuf dem globusförmigen Landschaftsmaler können Benutzer/innen die Landschaft der Welt mitgestalten.Es stehen viele verschiedene Landschafts-Texturen zur Verfügung, die mittels Pinsel auf den Globusübertragen werden. Die gespeicherten Modelle der ersten beiden Stationen können hier geladen undin die Welt integriert werden.FigurenwerkstattIn der Figurenwerkstatt werden die eigenen Schauspieler/innen gestaltet und mit Fähigkeiten wieGehen, Fliegen, und so weiter ausgestattet.GreenboxDie Greenbox dient dazu, Besucher/innen abzufilmen, die sich vor grünem Hintergrund bewegen. Dieaufgenommenen Bewegungen und Emotionen werden durch eine spezielle Software analysiert.Virtuelle ExpeditionBei dieser Station können Besucher/innen in einen Avatar – den/die virtuelle/n Stellvertreter/in einerPerson in der Virtual Reality – schlüpfen und mittels ausgefeilter Kameratechnik selbst die virtuelleWelt Gullivers erkunden.Gullivers Welt – BühneDie Bühne ist das zentrale Element dieses Projektes. Hier läuft alles zusammen was an den anderensechs Stationen kreiert wurde. Spielfiguren interagieren miteinender, laufen durch den Wald oderschwimmen durchs Wasser.

Im Rahmen des Projektes Gullivers Welt werden auch Workshops für Kinder und Jugendliche angeboten. Siekönnen so ihre eigenen Geschichten entwickeln. Sie lernen mit Unterstützung, Charaktere zu erschaffenund ihnen Leben einzuhauchen.

Gullivers Welt

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Erweiterung des Hauses = Erweiterung der Perspektiven?

Das Herannahen des Kulturhauptstadtjahres 2009 hat für das Ars Electronica Centerden Boden für den großzügigen Erweiterungsbau – von 2.500 auf 6.500 Quadratmeter– bereitet. Derart große öffentliche Investitionen brauchen allerdings eine stärkere Begründungals bloß den Reiz einer neuen, das Stadtbild prägenden Architektur oder schlicht „mehrPlatz“. Es stellt sich die Frage nach dem Nutzen des Future Parks – für die Stadt, die LinzerBevölkerung und sonstige Teile der Ars Electonica Community.

Neben der Schaffung von Raum für Kunst, Kultur und Experimente könnte der KommuneLinz und der weit über Linz hinausreichenden, weltweiten Community weiterer Nutzenaus einem vergrößerten Haus erwachsen. So hat sich die Frage des Zugangs zu neuenMedien und digitaler Technologie als eine der zentralen Fragen für den demokratischenund sozialen Fortschritt einer Gesellschaft mit der technologischen (Weiter-) Entwicklungzwar auf andere Bereiche verschoben – zum Beispiel ist kostenloser Internetzugang keineAEC-Attraktion mehr – aber in keinster Weise als Problem- und Betätigungsfeld erledigt.So sieht sich in den letzten Jahren auch die rasant wachsende Gruppe der Seniorinnen undSenioren im Internet um – allerdings mit ganz anderen Zielen, Wünschen und Bedürfnissen,als es die bisherige AEC-Hauptzielgruppe der Jugendlichen tut.

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Thema

1979 wurde mit der Veranstaltung der ersten Linzer Klangwolke eine Möglichkeitgeschaffen, Kunst und Kultur ohne Zugangsbeschränkungen zu konsumieren. Viel wichtigerals der Abbau der materiellen Zugangsschranken waren dabei der Abbau der kognitiv-kulturellen Barrieren, die herkömmliche Kulturveranstaltungen zu beinahe hermetischabgeschlossenem und hochsubventioniertem Vergnügen für die ganz wenigen machen. Fürdie Pionierleistung der Klangwolke war also das kostenlose Angebot nur die Grundvoraus-setzung, die Akzeptanz bei einem breiten Publikum aber das eigentliche Kunststück.

War im Jahre 1979 noch der freie und breite Zugang zur Hochkultur als Zielsetzungauch für die Gründung der Ars Electronica mitentscheidend, so hat sich mit der Einbindungder Universalmaschine Computer in ein weltweites Internet das Thema Zugang zumkulturellen Fokus erweitert: Der Zugang zu Wissen, zu Information, zu Software undHardware, kurz: Zugang zu den neuen Formen der Kommunikation und deren effektiverNutzung ist wie von alleine zum Thema auch der Ars Electronica geworden.

Gleichzeitig ist aber – wie bei der Klangwolke der Verzicht auf Eintrittsgelder – auch beineuen digitalen Informationstechnologien der Zugang erst die Grundvoraussetzung fürdie eigentlichen „Kunststücke“: Breite Teilhabe und Teilnahme, allgemeine Mitbestimmungund Mitgestaltung. Der Standford-Professor und Pionier freier Inhalte Lawrence Lessighat mit seiner Beschreibung des potentiellen Übergangs vom passiven „Read-only“ hin zueinem aktiven „Read/Write“ bereits den Imperativ für eine emanzipierte Nutzung digitalerInformationstechnologien formuliert.

Das Ars Electronica Center in seiner bestehenden Form ist hauptsächlich auf dasKonsumieren ausgerichtet und nicht auf das Mitbestimmen und Mitgestalten durch dieBesucher/innen – ist also in vielen Bereichen „Read-only“. Projekte wie das „erweiterteKlassenzimmer“, das laut Gerfried Stocker im Future Park Platz finden soll, sind ein Schritthin zu mehr Mitgestaltung und Mitbestimmung: Nicht Lehrer/innen konfrontieren dieSchüler/innen mit Wissen, sondern die Schüler/innen erarbeiten und recherchieren Themenselbst und bereiten sie für andere Schüler/innen auf. Dadurch wird der Stoff im Stile des

„learning by doing“ erlernt und zugleich auch in einer Art und Weise aufbereitet, dass andereSchüler/innen ihn leichter erfassen und auf Vorarbeiten aufbauen können.

Wie bereits erwähnt, war eine der Hauptattraktionen des AEC kurz nach seiner Eröffnungder freie Zugang zu Computern mit Anschluss ans Internet. Heute sind Computer- undInternetzugänge leistbarer und durch die relativ weite Verbreitung in der Arbeits-, Bildungs-

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und Lebenswelt nichts Ungewöhnliches mehr. Über Projekte wie die Linzer Hotspot-Initiative, die an zahlreichen Stellen im Linzer Stadtgebiet Internet gratis zugänglich macht,sind bis zu einem gewissen Grad der totale Triumph des damaligen AEC-Angebotes.Gleichzeitig ist das ursprüngliche Pionierangebot aber durch seine nahtlose Integration inden öffentlichen Raum selbst völlig sinnlos geworden. Ganz in diesem Sinne müssen neueProjekte zur Vermittlung des Wissens um die Fähigkeiten und Möglichkeiten neuer Medienund Technologien darauf abzielen, der Community letztlich selbst die Werkzeuge in dieHand zu geben und das ursprüngliche Angebot wieder überflüssig zu machen. Ein Ziel,das über Wissens(mit)gestaltung im Sinne einer „Ars Electronica Activa“ sicher besser alsdurch bloße Wissenskonsumation erreichbar sein wird.

Neues Haus, neue Inhalte?

Das Ars Electronica Center hatte von Anfang an den Auftrag, in dem Spannungsfeldzwischen Kunst, Technologie und Gesellschaft Vermittlungsarbeit zu leisten. Über die Jahrehinweg kristallisierte sich der Bildungsschwerpunkt als der zentrale Auftrag an das AECheraus. Jede/r, der/die selbst einmal das AEC besucht hat, ist zumindest einer Schulklassebegegnet. Und auch der Future Park soll, wenn es nach Gerfried Stocker und der lokalenPolitik geht, diesen Bildungsschwerpunkt beibehalten, ja sogar noch weiter ausbauen. DieZielgruppe der Kinder und Jugendlichen wird also im neuen Haus noch mehr Bedeutungerhalten als schon bisher.

Als das AEC gegründet wurde, war es vor allem das Klassenzimmer mit seiner modernenComputer-Ausstattung, das viele Schulklassen in das Museum der Zukunft lockte. InZeiten, in denen die Linzer Schulen in den meisten Fällen selbst über derartiges Equipmentverfügen, muss in neuen Dimensionen gedacht werden. Das Team des AEC ist aber auchgefordert, neben Kindern und Jugendlichen, die sich mit neuen Technologien ohnehinleichter auseinandersetzen und anfreunden können, andere Zielgruppen stärker in denBlick zu nehmen. Gute Ansätze wie Internetkurse für SeniorInnen reichen nicht aus, umeinem umfassenden bildungs- und gesellschaftspolitischen Anspruch gerecht zu werden.

AEC und Future Park werden auch die inhaltliche Auseinandersetzung, welchen Einflussneue Technologien auf unsere Gesellschaft haben, intensiver führen müssen als bisher.Diesen Punkt anerkennt auch der aktuelle AEC-Leiter Gerfried Stocker: “Die neuenHerausforderungen für uns, wenn es um den Bildungsauftrag geht, sind nicht mehr nurdie Beschäftigung mit Computer und Informationstechnologien, sondern wir müssen uns

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Thema

auch mit Dingen wie Nanotechnologie, Quantentechnologie, und vor allem Gen- undBiotechnologie auseinandersetzen.“

Eine Neuorientierung steht im Zuge der Erweiterung für das Future Lab an. Das Futurehat sich ohnehin schon in den letzten Jahren räumlich und personell stark vergrößert. Mitrund 60 MitarbeiterInnen auf derzeit über 600 Quadratmetern ist das Lab mittlerweileso etwas wie das Flaggschiff der Ars Electronica geworden. Rund zwei Drittel der Installationenim Center sind Eigenproduktionen, die auch in zunehmendem Maße internationalvermarktet werden. Eine engere Integration des Future Lab im gemeinsamen, neuen Haushat allerdings nicht nur eine starke symbolische Wirkung, sondern auch den Hintergrund,die Arbeit des Future Labs mehr in die Vermittlungsprogramme des Future Parks einbindenzu können. Geplant ist ein Labor, halb Future Lab - halb Museum, in das Projekte ausdem geschlossenen Future Lab Bereich dann übersiedeln, wenn für die Besucher/innen einerleb- und begreifbares Ergebnis vorliegt. Pläne, Benutzer/innen und Besucher/innen schonwährend der Entwurfs- und Erstentwicklungsphasen einzubauen, gibt es bislang jedochnoch keine.

Die Entwicklung der Ars Electronica in den nächsten Jahren - bis zum Kulturhauptstadtjahrund darüber hinaus - ist eine Chance für die Stadt Linz, ihren Ruf in der internationalenKunst- und Kulturszene weiter auszubauen und auf Jahre hinaus zu gewährleisten.Voraussetzung dafür ist aber, sich gerade nicht auf Erfolgsrezepte der vergangen Dekadezu verlassen, sondern den neuen Raum auch auf neue Arten zu nutzen, zu bespielen.Technologische Entwicklungen wie ein allgegenwärtiges Internet, immer leistungsfähigereRechner, immer schnellere Verbindungen und die virtual reality bieten die Möglichkeit,nicht nur ausgestellt zu werden, sondern den Besucher/innen eines „Museums der Zukunft“auch für eine aktive Beteiligung zur Verfügung gestellt zu werden.

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„Mischung aus Best-ofund Labor“

Interview: Gerfried StockerGerfried Stocker ist Geschäftsführer und künstlerischer Leiter des Ars Electronica Centers in Linzsowie mitverantwortlich für das jährlich stattfindende Ars Electronica Festival. In beiden Bereichenkann er auf seine eigene Erfahrung als Medienkünstler, Musiker und Ingenieur für Nachrichtentechnikund Elektronik zurückgreifen.

Foto: Ars Electronica Center

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Interview

Sie sind seit 1995 künstlerischer Leiterder Ars Electronica und Geschäftsführerdes Ars Electronica Centers. Welche Visi-onen, welche Ziele hatten Sie, als sie 1995Ihre Stelle antraten?

Gerfried Stocker: Ich glaube darauf gibt eszwei Antworten. 1995 hat keiner gewußt,wie die Idee eines Ars Electronica Centers(AEC) tatsächlich funktionieren soll. Es gabein tolles Konzept und Experten aus derganzen Welt wurden befragt. Ich kann michda an Dinge erinnern, die dermaßen ScienceFiction waren, dass man nur schmunzelnkonnte. Das war damals eine Zeit, wo manHoffnungen und Erwartungen in die Tech-nologie gesetzt hat, die sich in manchemerfüllt haben, sogar übererfüllt, in manchemaber überhaupt nicht. Die konkreten Vor-stellungen von technologischen Entwicklun-gen waren zum Teil noch sehr nebulös. Den-noch war unser zentrales Ziel die Ver-mittlung und Erklärung des Ganzen. Eswar klar – wenn man sich die Geschichteder Ars Electronica seit 1979 ansieht – , dasswir es mit einer Technologie zu tun haben,die eine massive kulturelle und gesellschaft-liche Dimension und Auswirkung hat. Demauf den Grund zu gehen, es irgendwie sorunterzubrechen, dass es die Leute auf derStrasse auch verstehen können. Nicht indem Sinne, dass man Ihnen Programmierenbeibringt oder wie genau ein Computerfunktioniert mit seinen Bits und Bytes, son-

dern das Verstehen, was das für ihr Lebenbedeutet. Also es gab eine Vision und zumersten Mal überhaupt weltweit die Möglich-keit so eine Art von Museum bzw. Einrich-tung aufzubauen. Das was es bis dorthingab, waren irgendwelche Science Centeroder Technologie Museen wie in Wien oderMünchen. Aber auf der Basis von Computer-und Informationstechnologie hat so was jakeiner vorher gemacht.

Der zentrale Punkt in der Konzeptiondes Ars Electronica Centers war also vorallem der Aspekt der Vermittlung?

Gerfried Stocker: Das war wirklich derzentrale Angelpunkt bei der Konzeption desAEC. Darum wurde es ja von Anfang annie als Kunstmuseum geplant. Wir habenjahrelang gebraucht, bis das in der Kunst-szene einigermaßen akzeptiert wurde. Wirhaben viel harsche Kritik bekommen fürunsere Ausstellungen. Vor allem der C.A.V.E.und dessen Verwendung wurden kritisiert.Unser Ansatzpunkt war: Für die Kunst wird

- unter Anführungszeichen - genug getan.Wir haben ein Festival und wir haben denWettbewerb „Prix Ars Electronica“, die beidestark auf den Kunstbereich ausgerichtet sind.Wir brauchten da nicht noch ein weiteresdraufsetzen, sondern wir mussten undmüssen mit dem AEC in den Vermittlungs-bereich gehen.

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06 | ARS ELECTRONICA ACTIVA - DIE KUNST DES DIGITALEN LEBENS

Welchen Schwerpunkt wählt sich hier dasAEC?

Gerfried Stocker: Das Center hat eigentlichden Schwerpunkt Bildung. Deswegen auchdie stärkere Ausrichtung auf den klassischenBildungsbereich. Von unseren Internetkur-sen für Seniorinnen und Senioren bis hinzu einem ganzen Schulprogramm. Im glei-chen Ausmaß, indem sich das Future Labeher für den Wirtschafts- und Erwachsenen-bereich etabliert hat, haben wir das Centerdann stärker im Bereich der Kids und Ju-gendlichen entwickelt. Das ist unser Eiertanz,wo wir ständig versuchen, uns mit den 4Beinen, die wir haben – Festival, Wettbewerb,Center und Future Lab – so aufzustellen,dass wir ein möglichst breites Spektrumhaben, lokal und international.

Sie haben soeben in wenigen Worten dasArs Electronica Center und die FutureLabs charakterisiert, vielleicht könntenSie uns kurz die Bedeutung von Festivalund Prix aus Ihrer Sicht erläutern?

Gerfried Stocker: Während das Museummit über 60 Prozent der Besucherinnen undBesucher aus Linz und Oberösterreich einenstarken regionalen Bezug hat, sind das Fest-ival und der Prix sehr international ausge-richtet. Mit einem stolzen und selbstbewus-sten Commitment zu einem bestimmtenNiveau und zu einer bestimmten Elite. Es

ist aber dennoch kein Geheimnis, dass wiruns auch mit dem Festival sehr stark be-mühen, aus diesen engen Schranken heraus-zukommen. Deshalb machen wir jedes Jahrein Spektakel am Hauptplatz und gehenauch bewußt mit weniger kompliziertenProjekten hinaus an die Öffentlichkeit. Dasgehört einfach zum Grundwesen der ArsElectronica. Der Prix ist der größte undwichtigste Wettbewerb weltweit, das klingtimmer so überheblich, aber das ist wirklichso. Der Prix setzt auf Spitzenleistungen. Dawerden die weltweit besten Werke aus demBereich der Computerkunst prämiert undpräsentiert. Das ist quasi Best of.

Das Festival hat dazu immer auch nocheinen sehr starken Laborcharakter. Oft liefertman sich einfach neuen Fragen, Experi-menten aus. Da machen wir Projekte, beidenen wir im Vorhinein nicht wissen, obdie Künstler bis zum September das wirklichso hinbekommen, wie sie das wollen. Dazeigen wir Arbeiten die „in progress“ sind,da veranstalten wir selbst Workshops. Dasist, glaube ich, eine ganz gute Mischungzwischen „Best of“ und Laborcharakter, zwi-schen Experiment und etablierter guterArbeit. Aber von der Zielgruppenausrich-tung haben beide diese Internationalitätund das Künstlerische, Wissenschaftlicheals Schwerpunkt.

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Welche Rolle spielte und spielt das kom-mende Kulturhauptstadtjahr 2009 fürdie Erweiterung des AEC?

Gerfried Stocker: Die Ars Electronica istdie Topmarke des Linzer Kulturbereichs. Esgibt keine zweite Marke, keinen zweitenNamen, der international eine dermaßenhohe Bekanntheit hat. Da kann der guteAnton Bruckner bei weitem nicht mithalten,obwohl der schon relativ lange im Rennenist. Im Jahr der europäischen Kulturhaupt-stadt 2009, auch wenn es Linz anders anlegtals Graz, kommt man nicht umhin und solleine Kulturhauptstadt einfach auch Schau-fenster sein. Da spielt natürlich auch dieArs Electronica eine sehr starke Rolle.

Ist der „future park“ nur ein neues,größeres Gebäude oder wird sich auchinhaltlich etwas ändern?

Gerfried Stocker: Es geht beim „futurepark“ sehr stark darum, wie auch bisherbeim AEC, einen Bildungsauftrag zu erfüllen.Dieser Bildungsauftrag muss sich aber er-weitern. Wir haben in sehr vielen Fällen dieErfahrung gemacht, dass es für unser Publi-kum in letzter Zeit auch immer interessantergeworden ist, mehr hinter die Kulissenunserer tollen Anwendungen und Projekte,die wir zeigen, schauen zu können. Gleich-zeitig will ich aber auch mit allen Mittelnverhindern, dass wir ein typisches Science

Center werden, wie es sie überall in Amerikaoder auch schon in manchen europäischenStädten gibt. Dort steht dann ein aufgeschnit-tener Computer und man zeigt den Kindern,wie eine Festplatte oder eine CPU oderähnliches im Inneren aussieht. Projekte wiezum Beispiel „Gulliver’s Welt“ im erstenGeschoss des AEC, wo die Leute mit einerunheimlichen Motivation dazu gebrachtwerden, darüber nachzudenken, wie dieseganze Computerwelten überhaupt funk-tionieren, wo die Kids integriert werdenund selbst ihre Geschichten schreiben, sinddoch viel spannender. Es geht darum, ihnenzu zeigen, dass es vielleicht viel lustiger undspannender ist, eine eigene Computerge-schichte oder ein eigenes Computerspiel zuentwickeln, als nur eines zu kaufen unddamit zu spielen. Oder allgemeiner die Idee,den Leuten zu zeigen, dass es viel spannenderist, Produzent und Creator zu sein, statt nurKonsument. Das will ich nicht aufgeben.Unsere Installationen, die sehr attraktiv sind,weil sie durch die Interaktivität einen hohenEntertainmentfaktor erreichen, brauchenaber eine Ergänzung um die technischenHintergründe. Das braucht einfach Platz.

Bedeutet das, die bereits bestehende Aus-richtung auf junge Leute, Kinder, Jugend-liche und Schulen wird noch stärker wer-den?

Interview

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Gerfried Stocker: Es wird auf jeden Fallein Hauptsschwerpunkt sein. Das ist unserRückgrat. Mittlerweile beinhaltet der Bild-ungsauftrag nicht mehr nur Computer undInformationstechnologien, sondern Dingewie Nanotechnologie, Quantentechnologie,vor allem Gen- und Biotechnologie müssenBeachtung finden. Das Erfolgsrezept dafürhaben wir noch nicht in der Tasche. Ichglaube aber, dass wir aufgrund unserer Er-fahrungen mit multimedialen Vermittlungs-techniken durch 10 Jahre Museumsbetriebsehr gute Vorraussetzungen haben. Wasbedeutet, dass wir in der Lage sind, diesesehr komplexen und schwierigen Themenauch vermitteln zu können.

Darüber hinaus müssen wir Konzepte ent-wickeln, die über 2009 hinausgehen. Even-tuell die Vergrößerung des Einzugsgebietesdes AEC auf ganz Österreich und seinerNachbarländer, um das AEC auch touris-tisch besser zu nutzen. Denn die circa 80.000Besucher, die wir 2006 haben werden, sinddas ungefähr erreichbare Maximum in derbestehenden Region.

Gibt es neue Konzepte für Jugendlicheund Schüler/innen in Hinblick auf dieErweiterung des AEC?

Gerfried Stocker: Ein ganz wichtiger Aspektfür uns ist das Weiterdenken eines elektro-nischen Klassenzimmers. Wir wollen neue

Wege ausprobieren. Eine Möglichkeit istein Lernstudio, in dem wir das Lernen undAuseinandersetzen mit Themenstellungenin der Form von Webcasting durch dieSchülerinnen und Schüler betreiben. DieJugendlichen erarbeiten und recherchierendabei Themen und vermitteln ihre Ergeb-nisse über Internet-TV und Online-Stream-ing. Die Themen sollen je nach Entwicklungweiter aufbereitet werden und in eine Daten-bank einfließen, auf die wiederum andereJungendliche zugreifen können. Durch dieseKontinuität wird dieses Studio gleichzeitigzu einem Element der Ausstellung.

Es geht immer darum, Impulse zu setzenund etwas prototypisch zu zeigen. Damitzeigt man Interessierten, in welche Richtunges gehen kann, um zu erreichen, dass sie dasdann auch umsetzen. Wir wollen mit diesem

„Science Newsroom“ – ein Arbeitstitel – dasArbeiten mit dem Wissen zum Kernpunktdes Lernens machen. Die pädagogischenTheorien dazu haben nicht wir entwickelt,die waren schon vorhanden. Darüber hinausstehen wir im Zuge der Entwicklung inKontakt mit Lehrerinnen und Lehrern.

Werden diese Theorien gelehrt oder gargelebt?

Gerfried Stocker: Wir haben den Vorteil,dass wir sie nicht leben müssen. Wir arbeitennur prototypisch. Die Schulen stehen da

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vor einem wesentlich größeren Problem.Ihnen fehlt das Geld für die Infrastrukturund für die technische Betreuung. Es zeich-net ein Museum in unserer Zeit aus, dasses die Möglichkeit hat, etwas prototypischher- und vorzuzeigen. Ein Ideal zu präsen-tieren. Üblicherweise tragen wir dazu bei,dass das Hergezeigte mit etwas Verzögerungumgesetzt wird.

Wir haben gehört, dass es im vergrößertenSky-Loft Zugang zu bestimmten Daten-banken geben soll, zu denen man bisherals Normalbürger/in nicht so leicht Zuganghat. Wie soll das aussehen?

Gerfried Stocker: Es gibt im Grunde ge-nommen wenig Informationen, zu denenman nicht eh irgendwie kommen könnte,wenn man sich gut auskennt. Aber das tunsehr viele Leute nicht, beziehungsweisehaben ja viele gar nicht die Zeit, dass siesich zum „Überdrüber-Googler“ oder Ha-cker entwickeln, um an Informationen zukommen.

Die Frage ist, was ein Äquivalent zu einemKaffeehaus sein kann, wo man vier bis fünfTageszeitungen, ein paar Wochenmagazineund vielleicht sogar internationale Zeitungenhat. Das ist dieser stehende Mythos vomguten Kaffeehaus. Die Frage ist jetzt, waskann das in unserer Zeit heißen?

Was könnte es heißen?

Gerfried Stocker: Das Äquivalent könnteim AEC der Zugang zu großen, inter-nationalen Datenbanken sein. Wir könntenuns Mitgliedschaften und Abonnements beigrößeren Nachrichten-, Wissenschafts- undvielleicht auch irgendwelchen Finanzdaten-banken organisieren und sie dann im Sky-Loft zugänglich machen. Wir werden eswahrscheinlich nicht schaffen, Bloombergoder ähnliches dort oben frei zugänglich zumachen, aber ich glaube, dass die Ideegrundsätzlich schon funktionieren kann.Ob das jetzt die große Nutzenstiftung desneuen „future parks“ ist, glaube ich ehernicht. Das hat mehr mit einem Image-Faktor zu tun.

Eine letzte Frage noch: Wie wird die ArsElectronica 2017 oder 2025 ausschauen?Also in einem sehr viel weiter entferntenZeitraum.

Gerfried Stocker: Schwer zu sagen. Wirbefinden uns im Moment in einer entscheiden-den Phase, in der es darum geht, ob die ArsElectronica diesen internationalen Stellenwertlangfristig halten kann. Wir hatten diesenriesigen Startvorteil, dass bereits 1979 einpaar Leute in Linz so clever waren, zu erkennen,dass die computertechnische Entwicklungetwas Spannendes wird. Vor allem, dass dasetwas mit Kultur und Gesellschaft zu tun hat.

Interview

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Künstlerinnen und Künstler als Katalysa-toren in diesen Entwicklungsprozessen zwi-schen Technologie und Gesellschaft einzu-setzen, ist vielleicht irgendwann gar nichtmehr so notwendig. Ich glaube zwar nichtdaran, weil sich neue technologische Felderergeben werden, aber vielleicht sind es irgend-wann einmal nicht technologische Fragen,sondern andere, wo wiederum die Rolle derKünstlerinnen und Künstler wichtig ist. Ichglaube, so lange wir es schaffen, auch allunseren UnterstützerInnen - also der öffent-lichen wie der privaten Seite - glaubhaft zuvermitteln, dass der Beitrag der Kunst undder Künstler etwas sein kann, das auch derGesellschaft einen Nutzen bringt, habenwir einen gesellschaftspolitischen Auftrag.

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Interview

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„Nicht nur einweiteres Museum“

Interview: Herbert W. FrankeProfessor Herbert W. Franke ist einer der profiliertesten deutschen Science Fiction Autoren und alsWissenschaftler unter anderem in den Bereichen Zukunftsforschung und Computerkunst tätig.1979 war er einer der Mitbegründer der Ars Electronica.

Foto: Aus: Wikipedia Auf Nachfrage am 23.06.2004 von Herrn Franke zur Verfügung gestellt,Fotograf: Andreas Hübner (http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/ac/Prof_Dr_Herbert_W_Franke.jpg)

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Interview

Herr Franke, Sie waren 1979 maßgeblichan der Gründung der Ars Electronica alsverbindendes Festival von Technologie,Kunst und Gesellschaft in Linz beteiligt.Welche Erinnerungen haben Sie an den18. September 1979 als in Linz das ersteArs Electronica Festival eröffnet wurde?

Herbert W. Franke: Nach der arbeitsreichenZeit der Vorbereitungen herrschte bei allenBeteiligten eine einmalige Aufbruchsstim-mung, verbunden mit großen Erwartungen,aber auch mit einer gewissen Unsicherheitdarüber, wie unsere Initiative aufgenommenwürde. Doch im Laufe der Veranstaltungfestigte sich der Eindruck eines beachtlichenErfolgs, der sich in den nächsten Jahren –unter wachsender internationaler Beteiligung– noch steigerte.

Was waren Ihre Visionen bei der Gründ-ung der Ars Electronica und welche Vor-stellungen hatten Sie von der weiterenEntwicklung des Festivals?

Herbert W. Franke: Ich war damals schonüberzeugt – und bin es heute noch – , dassdie Wechselwirkungen zwischen Kunst, Wis-senschaft und Technik für alle Beteiligtenzu einer wünschenswerten Horizonterweiter-ung führen, und dass die Anwendung tech-nischer Mittel erhebliche Erweiterungender Gestaltungs- und Ausdrucksmöglich-keiten mit sich bringt. Die Ars Electronica

sollte zu einem Kommunikationszentrumfür alle daran Interessierten werden – undwurde es ja auch.

Was halten Sie von dem im Jahr 1996gegründeten Ars Electronica Centers inLinz?

Herbert W. Franke: Schon in den erstenJahren der Ars Electronica erwies es sich alsbedauerlich, dass es außerhalb der Festspiel-aktivitäten keine Ansprechstation für Inter-essenten aus aller Welt gab. Als wünschens-wert erschien es weiter, im Bereich derMedienkunst auch selbst produktiv zu wer-den. Nachdem die Ars Electronica ersteinmal fest mit Linz verbunden war, solltenEinwohner wie auch Besucher auch imübrigen Teil des Jahres Gelegenheit zurInformation über den aktuellen Stand derEntwicklungen bekommen. Das Ars Electro-nica Center ist also nicht nur ein weiteresMuseum, sondern hat im Rahmen der Akti-vitäten eine bedeutende Aufgabe.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung desPrix Ars Electronica in den letzten 10Jahren? Was halten Sie von der Einführ-ung der Kategorien „Digital Communities“und „U19 – freestyle computing“

Herbert W. Franke: Da ich mich nachBeendigung meiner Aktivitäten in Linz aufandere Aufgaben konzentrierte, kann ich

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kein kompetentes Urteil über die Entwick-lungen abgeben. Ich bin der Meinung, dassdie Programmgestaltung keinem starrenPrinzip folgen, sondern das Interesse desPublikums berücksichtigen soll, und dazumüsste man die Resonanz der Veranstalt-ungen genau analysieren. In diesem Sinnist es durchaus legitim, auch Themen aufzu-greifen, die die mit ihnen verbundenenErwartungen vielleicht später nicht erfüllen.

Wie und in wie weit weicht das jetzige„Erscheinungsbild“ der Ars Electronica vonIhren eigenen Vorstellungen ab?

Herbert W. Franke: Die Art, wie sich dieArs Electronica h:eute präsentiert, hat alleErwartungen der Anfangszeit weit über-troffen – sie hat eine feste und einmaligePosition unter allen vergleichbaren Initia-tiven erlangt. Im Hinblick auf meine Aus-führungen zur vorhergehenden Frage mussdas Erscheinungsbild einer solchen Veran-staltung ständig neu definiert werden, wennsie aktuell und lebendig bleiben soll. Speziellin einer Beziehung – und das ist subjektivin meiner Herkunft von der Naturwissen-schaft begründet – könnte ich mir eineErgänzung des Programms vorstellen. Eswar von Anfang an mein Wunsch, nichtnur die Künstler an die neuen Methodender digitalen Technik heranzuführen, son-dern auch den Wissenschaftlern und Tech-nikern die Kunst näher zu bringen; man

sollte dieser Zielsetzung wieder mehr Beach-tung widmen.

Welches Bild haben Sie vor Augen, wennSie an die Ars Electronica im Jahr 2027denken?

Herbert W. Franke: Es ist meine Überzeu-gung, dass die Möglichkeiten der digitalenElektronik auch 2027 noch längst nichtausgeschöpft sein werden, beispielsweise imZusammenhang mit Fortschritten im Be-reich der Neurologie und der KünstlichenIntelligenz. Wenn es erst einmal so weit ist,wird beispielsweise auch die Literatur zumThema der Ars Electronica werden. Wennes gelingt, den bisher eingeschlagenen Wegweiter zu verfolgen, ohne den modischenStrömungen allzu viel Raum zuzugestehen,dann könnte die Ars Electronica auch in 20Jahren noch das Forum sein, das sie heuteist.

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Interview

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PROJEKTE: Gulliver im World Wide Web

Die virtuelle Welt von Gulliver82 ist eine der bekanntesten Entwicklungen des Futurelabs.Die Möglichkeiten der aktiven Beteiligung von UserInnen wurden durch Weiterentwicklungenbereits ausgebaut.

Ein weiterer Schritt um dieses Projekt zu attraktivieren und gleichzeitig eine bessereAnbindung des Ars Electronica Centers an die weltweite „Digital Community“ könnte dasÖffnen des Projektes in Richtung Internet sein. User/innen könnten nicht nur an demProjekt teilhaben, indem sie das AEC besuchen und dort die sieben Stationen von „GulliversWelt“ bedienen. Jede/r könnte von zu Hause aus, über den eigenen PC mit Internetverbindung,die Geschicke Gullivers und seiner GefährtInnen lenken.

Über diesen Weg könnten eigene Welten innerhalb Gullivers Welt entstehen. GulliversGalaxis ist der Rahmen und jeder kann seine eigene Welt erschaffen, seinen eigenen Planetenmit Landschaft, Wetter, Lebewesen, Bauwerken, usw.

Im täglichen Betrieb des AEC sind Schulklassen und Kindergruppen ein nicht wegzu-denkender Bestandteil. Im Zuge dieses Projektes können die Schüler/innen in Form vonProjektarbeiten in der Schule oder zu Hause mit dem PC ihre eigene Welten entwickeln,ihre eigenen Spielfiguren erschaffen. Vielleicht die Form ihres Zusammenlebens in IhrerWelt bestimmen. Eine weitere Möglichkeit ist das Experimentieren mit politischen Systemen.Die von den Jugendlichen kreierten Spielfiguren praktizieren Demokratie oder Ständestaat,vielleicht je nachdem welches Kapitel gerade im Geschichtsunterricht behandelt wird. Einezusätzliche Entwicklungsmöglichkeit des Projektes ist die Fähigkeit der User/innen, überIhre Avatare miteinander zu kommunizieren.

Die Kreationen werden über das Internet in Gullivers Galaxis integriert und somit Teildes Ganzen. Ein wesentlicher Effekt ist das „Beobachten“ der anderen Gruppen und dasvoneinander lernen. Am Ende der Gestaltung der jeweiligen Welt, steht dann natürlichder (gemeinsame) AEC-Besuch, wo die dezentral entworfenen Welten dann „virtuell-real“erlebt werden können.

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PROJEKTSKIZZE: ProjekteGuliver im World Wide Web

- Vermittlung von technologischem Wissen.- Wecken des Kreativ-Potentials von Kindern und Jugendlichen

Öffnen von „Gullivers Welt“ für das Internet duch Schaffung der notwendigenSchnittstellen durch das Future Lab und Entwickeln der notwendigenWebplattform

- Schulen- Kindergärten- Jugendzentren- computerinteressierte Menschen

AEC und Futurelab gemeinsam mit den Linzer Bildungseinrichtungen

- AEC- Futurelab- Schulen

Entwicklung bis 2008, Start 2009

Erstellung des Webauftrittes und Entwicklung durch das Futurelab

Projektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

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PROJEKTE: Community-Fabber im AEC

So wie der Personal Computer (PC) mit Internetanschluss als Universalmaschine für dieErstellung diversester digitaler Güter – von Texten über Musik bis hin zu Videos gilt –träumen manche Forscher/innen von vergleichbaren Universalmaschinen für die reale Welt.Analog zum PC werden derartige universale Produktionsmaschinen „Personal Fabricator“oder „Fabber“ genannt. Was sich wie totale Science Fiction anhört, ist in Gestalt vonGeräten zum „Rapid Prototyping“ jedoch bereits (teure) Wirklichkeit.

Der gute alte Neun-Nadel-Matrix Drucker bildete – begleitet durch ohrenbetäubendenLärm – den Anfang dieser Entwicklung. Zum ersten Mal konnte jede/r, der/die einenComputer zu Hause hatte, auch die Texte und einfach gestrickte Grafiken zu Papier bringen.Die Entwicklung dieser Geräte nahm bis heute kein Ende. Noch mehr Pixel, noch brillantereFarben, noch weniger Tintenverbrauch, noch mehr Seiten pro Minute.

Fabber beziehungsweise Geräte für Rapid Prototyping schließen nun an diese Entwicklungan und drucken ebenfalls – nur in 3D. Nicht die Pläne eines zu bauenden Hauses drucken,sondern ein Modell des zu bauenden Hauses „fabbern“. Aufgrund der bislang geringenAnwendungsbereiche und des frühen Entwicklungsstadiums steht diese Technologie (sieheKasten) allerdings nur hoch technologisierten Forschungseinrichtungen und der Industriezur Verfügung.

Das Ars Electronica Center konnte schon einmal als erster eine hochkomplexe Technologie,die zuvor nur elitären Einrichtungen vorbehalten war, einem breiten Publikum zugänglichmachen, indem es einen öffentlichen C.A.V.E. einrichtete. Besucher/innen können invirtuellen Welten spazieren und sich beispielsweise das neue Linzer Musiktheater von innenansehen, bevor es fertiggestellt ist.

Stichwort: Rapid Prototyping

Es gibt unterschiedliche Techniken des Rapid Prototyping. Eine davon ist die Stereolithografie: Einlichtaushärtender Kunststoff (Photopolymer), z.B. Epoxidharz, wird von einem Laser in dünnen Schichten(Standardschichtstärke im Bereich 0,05 ... 0,25 mm, bei Mikrostereolithografie auch darunter) ausgehärtet.Die Prozedur geschieht in einem Bad, welches mit den Basismonomeren des lichtempfindlichen(photosensitiven) Kunststoffes gefüllt ist. Nach jedem Schritt wird das Werkstück um den Betrag einerSchichtstärke abgesenkt und der flüssige Kunststoff an der Oberfläche durch einen Wischer gleichmäßigverteilt. Dann fährt ein Laser, der von einem Computer über bewegliche Spiegel gesteuert wird, auf derneuen Schicht über die Flächen, die ausgehärtet werden sollen. Nach dem Aushärten erfolgt der nächsteSchritt, sodass nach und nach ein 3D-Modell entsteht.Nach: http://de.wikipedia.org/wiki/Stereolithographie [17.10.2006]

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Mit dem Fabber bietet sich für das AEC eine weitere Chance, eine hoch entwickelteTechnologie für eine Community nutzbar zu machen. Durch Veröffentlichung dernotwendigen Schnittstellen sowie der Entwicklung freier Gestaltungssoftware soll technischInteressierten und Künstler/innen die Möglichkeit gegeben werden, ihre eigenen, amComputer entworfenen Modelle oder Kunstwerke im AEC-Fabber in 3D „auszudrucken“.Je nach Nachfrage müsste ein geeigneter Modus in Form von Wettbewerben oderBeschränkungen gefunden werden.

PROJEKTSKIZZE:

Projekte

Nutzbar machen der Fabber-Technologie für die (nicht nur) Linzer DigitalCommunity

Anschaffung eines Fabbers und des Zugangs über das Internet – Betreuungvor Ort und über Internet durch geschultes Personal

Am Rapid Prototyping für nicht-kommerzielle Zwecke Interessierte auf derganzen Welt

AEC

- AEC- Futurelab

Anschaffung und Einrichtung bis Ende 2008

Anschaffungskosten Fabber sowie Entwicklungs- und Betreuungskosten fürAufbau und (Software-)Anbindung einer Community

Projektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

Community-Fabber im AEC

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06 | ARS ELECTRONICA ACTIVA - DIE KUNST DES DIGITALEN LEBENS

PROJEKTE: Raum für die Community

Die Erweiterung des Ars Electronica Centers bietet eine gute Möglichkeit, interessierteTeile der lokalen und internationalen Online-Community verstärkt in und rund um das

„Museum of the Future“ einzubinden und es damit von einem Haus über digitale Technologiennoch stärker zu einem Haus der digitalen Technologie zu machen.

Eine Variante wäre, der Online-Community die Möglichkeit zu geben, in einem Raum(mit der notwendigen technischen Ausrüstung) an der Gestaltung des Stadtbildes der StadtLinz mitzuwirken. Als Weiterentwicklung von Projekten wie der Linzer Wikimap83 könntenauf einem dreidimensionalen, digitalen Plan der Stadt an einem bestimmten Ort Umgestal-tungen vorgenommen werden. Sei es das eigene Haus, in dem man wohnt, die eigeneSchule oder vielleicht das Rathaus – Ziel wäre die Schaffung eines virtuellen Möglichkeitsraumsfür individuelle Stadt(mit)gestaltung.

Die Stadt Linz könnte dieses Projekt ebenfalls als Plattform nützen. Projekte, die dieStadt Linz plant, wie beispielsweise die Erweiterung des AEC könnten hier bereits in denStadtplan integriert werden und so der Linzer Bevölkerung veranschaulicht werden.

Als Ausbaustufe dieses Projektes könnte in diesen Raum ein C.A.V.E. ähnliches Virtual-Reality-System integriert werden, das den UserInnen das Herumspazieren in ganz Linzermöglichen würde.

Städtebauliche Projekte könnten, sobald die Pläne dafür fertig sind, virtuell zugänglichgemacht werden und auf diese Art und Weise die oft existierende Skepsis der Bevölkerunggegenüber neuen Projekten abbauen helfen. Denn wie das Beispiel des KunstmuseumsLentos beweist, wandelt sich Ablehnung oft in begeisterte Zustimmung, kaum dass derhässliche Rohbau hinter einer leuchtenden Fassade verschwunden ist. Vor allem schafftman dadurch aber auch Möglichkeiten für die Bevölkerung, an der Stadtgestaltungmitzuwirken. Die InitiatorInnen dieses Projektes könnten Wettbewerbe veranstalten unddie besten Projekte könnten realisiert werden.

Zentral für das Projekt wäre aber eine niederschwellige Möglichkeit der Online-Mit-gestaltung zu ermöglichen, deren Ergebnisse dann vor Ort im AEC betrachtet werdenkönnen.

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Raum für die CommunityPROJEKTSKIZZE:

Projektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

Projekte

Schaffung eines von der online-Community gestaltbaren Raumesim erweiterten AEC

- Raumreservierung im neuen AEC- technische Planung des Projektes- Bewerbung

Lokale und internationale Interessierte

Stadt Linz und AEC

- Stadtplanung- AEC- Future Lab

Fertigstellung bis Ende 2008, Start 2009

Anschaffung der technischen Infrastruktur, Betreuung des Projekts

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07 | FREIHEIT DER KUNST DURCH FREIE WERKE

„Es gibt keine Kunst, die nichts wiederverwendet.“

(Lawrence Lessig, Gründer von Creative Commons)

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

FRIEHIET DER KUNSTDURCH FREIE WERKE?FREIHEIT DER KUNSTDURCH FREIE WERKE?

Thomas Gegenhuber und Stefan Bräu

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07 | FREIHEIT DER KUNST DURCH FREIE WERKE

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Kunst und Kultur im Zeitalter digitaler Remixes.

Linz. Wir schreiben das Jahr 2009. Die zahlreichen SeniorInnenklubs der Stadt Linzbieten nicht nur kreatives Arbeiten an. Im Rahmen vom Handarbeiten werden die Stickereiender einzelnen Heime eingescannt und über das Internet ausgetauscht. Stickerei-Interessierteaus ganz Europa greifen auf die Seiten der SeniorInnenzentren zu. Die Downloadzahlenkönnen sich sehen lassen.

Nein, das ist keine Satire. Etwas ähnliches hat es in den USA tatsächlich gegeben. Es istein Beispiel, das zeigt wie vielfältig die Bereiche für freien Austausch von Ideen sein können,aber auch dafür, wie Interessen von Einzelnen die Kreativität von Vielen hemmen können.Der Autor Janko Röttgers beschreibt den Stickmuster-Fall in seinem Buch “Mix, Burn &R.I.P – das Ende der Musikindustrie” so: Ältere Menschen haben das Netz für sich entdecktund wurden zu wahren NetzpiratInnen. Die Firma Pegasus Original verkauft Stickmuster,musste allerdings feststellen, dass die Verkäufe zurückgingen. Die SeniorInnen scanntenihre Stickmuster ein und tauschten sie über das Netz aus. Die Firma Pegasus war empörtund setzte auf juristische Schritte - mit begrenztem Erfolg. Trotzdem ist eine Diskussionentbrannt: Werden die Künstler/innen, die die Stickmuster entwerfen, gut genug bezahlt?Wieso versucht die Firma nicht, Muster als Download anzubieten?

Dieses Beispiel weist einige Parallelen zur Musik- und Medienindustrie auf. So wurde1999 die Musiktauschbörse Napster gegründet, die sich zur ersten weltumspannendenAnbieterin von Musik entwickelte. Das zum besten Preis – die MP3s konnten gratisheruntergeladen werden. MP3 ist ein revolutionäres Audioformat, dass die Größe vonMusikdateien so weit reduziert, dass sie schnell über das Netz verschickt werden können.Auch die Auswahl an Musik ließ kaum zu wünschen übrig – von bekanntesten Acts biszu NischeninterpretInnen war alles dabei. Die Musikindustrie schaute dem Treiben nichtlange zu. Napster, wie auch diverse Nachfolgetauschbörsen, wurden mit Klagen eingedeckt.Die dezentrale Peer-to-Peer-Struktur (P2P) der zweiten Generation von Tauschbörsenmachte eine juristische Verfolgung aber schwieriger. Denn während Napster auf zentraleServer setzte, basiert P2P auf einer Vielzahl an direkten Rechner-zu-Rechner Verbindungen.Über P2P Netzwerke wie beispielsweise eMule oder Bittorrent werden dabei längst nichtnur Musikdateien heruntergeladen – das Angebot umfasst inzwischen Filme, Textdateien,Videos und Computerprogramme. „P2P bietet Zugriff auf unzählige Musiktitel, die es beiiTunes & Co nie geben wird: Fan-Remixe, rare Bootlegs, Mashups etc.“, erläutert JankoRöttgers einen der Vorzüge dieser halblegalen Online-Tauschbörsen.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Tötet kopieren Musik?

Mit dem Argument „Copy kills music“ setzt sich die Musik- und Medienindustrie alsReaktion auf die neuen Verbreitungsmöglichkeiten im Internet für ein restriktiveresCopyright ein – mit Erfolg. In den letzten Jahren wurde Copyrightgesetze zunehmend denWünschen der Medienindustrie angepasst. So wurde in Deutschland die Frist, nach derWerke in das Allgemeingut übergehen, von 30 Jahren zur Jahrundertwende auf 70 Jahrenach dem Tod des/der Künstlers/Künstlerin erhöht. Somit verlängerte sich auch derVerwertungszeitraum, in dem die Musikkonzerne Geld mit den Veröffentlichungen verdienenkönnen. Auch der Druck auf die Downloader/innen wird juristisch und medial erhöht. InKino und Radiospots wird Filesharing mit Raub gleichgesetzt und mit Horrorstrafen von5 Jahren Haft gedroht – die natürlich nur für gewerbsmäßige Urheberrechtsverletzungenund keinesfalls für privaten Dateiaustausch verhängt werden kann. Eine Gleichsetzung, dieMedientheoretiker/innen wie Röttgers sauer aufstößt: „Urheberrechtsvergehen sind nichtdas gleiche wie Diebstahl, da geistige Eigentümer vom Gesetz anders behandelt werdenals materielle. Schließlich geht auch ein Stuhl nicht 70 Jahre nach dem Tod seines Fabrikantenin den Allgemeinbesitz über”.

So ist es kein Wunder, dass auch der Widerstand gegen derartige Kampagnen wächst.Gegenstand der Kritik sind dann oft veraltete und ungerechte Verwertungsstruktuen. Dieherkömmlichen Verträge im Musikbereich sind meist zum Nachteil der Künstler/innen.In den Verträgen sind die Kosten der Promotion nicht enthalten, der Anteil am Verkaufserlösder CDs ist minimal. Sämtliche Rechte gehen meist direkt in den Besitz des Labels über.Die Vertragsdauer kann bis zu 25 Jahren betragen, ein Recht auf Nachverhandlung derVerträge gibt es nicht. In Europa sind die Verträge zwar künstler/innenfreundlicher als inden USA, im Ergebnis jedoch ähnlich. Selbst etablierte Künstler/innen verdienen mitPlattenverträgen wenig bis gar nichts. Johannes Grenzfurthner von der Wiener KunstgruppeMonochrom führt Courtney Love als prominentes Beispiel an: „Es gibt einen Text vonCourtney Love über Piraten. Sie twisted das und sagt, die eigentlichen Piraten sind dieLeute in der Musikindustrie. Klingt zwar etwas nach ‘Ätsch-Selber!’-Retourkutsche, aberich fand es dann doch interessant, dass Courtney Love so was sagt. Sie verdient aus denVerkäufen der CDs relativ wenig. Sie macht ihr Geld über Livekonzerte und Merchandising.”

Vertreter/innen der Musikindustrie argumentieren im Gegenzug, dass illegaler Downloadder Förderung von NachwuchskünstlerInnen schade. Janko Röttgers bezweifelt das:

„Natürlich wird es auch in Zukunft noch Superstars geben, genau wie es in Zukunft noch

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Massenmedien geben wird. Doch die Idee, aus jeder Band Stars mit Millionen vonPlattenverkäufen machen zu wollen, die 95 Prozent, für die es dann doch nicht klappt,und die Verträge, die Bands über Jahrzehnte an ihre Plattenfirma zu binden – all das wirdzunehmend absurd erscheinen. Und das nicht nur, weil es in Zukunft womöglich keinePlattenverkäufe mehr geben wird.“84 Ein anderer Kritikpunkt an restriktivem Copyrightist die Einschränkung von kreativem Potential. Lawrence Lessig, Begründer der CreativeCommons-Bewegung, formuliert es so: “There is no art, that doesn´t re-use.“ (“Es gibtkeine Kunst, die nicht wiederverwendet.”)

Ausgangspunkt von Creative Commons85 (CC) ist dabei folgender: Wenn jemand eineschöpferische Arbeit leistet, ist diese automatisch vom Copyright geschützt – ob man willoder nicht. Creative Commons-Lizenzen bieten KünstlerInnen die Möglichkeit, selbst zuentscheiden, welche Rechte anderen KünstlerInnen oder KonsumentInnen zugesprochenwerden sollen. Die CC-Lizenzen basieren dabei auf bestehendem Copyright, ohne ihm zuwidersprechen und wurden inzwischen auch an österreichisches Recht angepasst. KonkretesAnwendungsgebiet im musikalischen Bereich ist beispielsweise der große Bereich des

„Samplings“. Sampling ist die Verwendung eines Teils einer Musikaufnahme, dem “Sample”,in einem neuen musikalischen Kontext – eine Technik, die Stilrichtungen wie Hip-Hopund elektronische Musik erst möglich macht. Auch wenn ein Sample nur wenige Sekundendauert, sind für diese kurzen Ausschnitt die Rechte abzuklären und anfallende Gebührenzu bezahlen. Selbst wenn Künstler/innen ihre Stücke für Sampling freigeben wollen:Plattenfirmen, die oft die Rechte besitzen, haben hier ein anderes Interesse. Besondersproblematisch ist das, wenn mehrere Samples aus verschiedenen Stücken von verschiedenenAutorInnen verwendet werden sollen, die vielleicht alle ihrerseits selbst wieder auf Samplesanderer AutorInnen zurückgegriffen haben. Das Abklären der verschiedenen Rechte wirdda sehr schnell zu einem Ding der Unmöglichkeit.

Dieses schon bisher bestehende Problem wird im Zuge neuer digitaler Möglichkeitenfür Sampling und Remix und darauf aufbauender Musik- und Kunstrichtungen von einembloßen Ärgernis zu einer echten Barriere für künstlerische Freiheit und Gestaltung. LawrenceLessig verweist denn auch auf diese neue Remix-Kultur wenn er die Erlaubnis einfordert,Teile anderer Arbeit zu verwenden, um etwas Neues daraus zu kreieren. In einem Videoauf creativecommons.org werden die angebotenen Sampling-Licences als Einladung anandere gesehen, mit einem Teil der eigenen Arbeit kreativ tätig zu werden.

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Der legale Download

Einen konfliktfreien Weg mit der Musikindustrie geht die Online-MusikplattformTonspion.de. „Die Plattform durchforscht das Netz nach guter Musik im MP3 Format,kostenlos und legal für alle“, fasst Udo Raaf, der Leiter das Ziel des Musikportals zusammen.Neben dem Verweis auf kostenlos verfügbare Musik bietet Tonspion auch ein kommerziellesAngebot an legalen MP3s, beschränkt sich dabei aber ausschließlich auf kopierschutzfreieStücke. Dieses Angebot ist nur möglich, da zahlreiche Musiker/innen und Plattenfirmenentdeckt haben, dass verschenkte Songs eine gute Werbung für Platten, vor allem aber Live-Auftritte von MusikerInnen sein können. Der Mehrwert von MP3-Compilations wieTonspions “Vol.27 – Viva La MP3 Revolution!” liegt vor allem in der Vorselektierung undKritik durch eine fachkundige Musikredaktion. Daneben bietet Tonspion einen MP3 Shopund aktuelle Artikel rund um MP3s, UrheberInnenrechte und VerbraucherInnenschutz.

Neben Online-Musikmagazinen hat sich binnen weniger Jahre eine weitere Form virtuellenMusikjournalismus etabliert: Podcasts, Radiosendungen als Download für den mobilenMP3-Player. Der Begriff Podcast ist selbst ein Remix aus dem Namen des mobilen MP3-Players der Firma Apple „iPod“ und dem im englischen Wort „Broadcast“ (Rundfunk).Die Stärke von Podcasts liegt im „on demand“ Konzept: Die User/innen können sie, wannund wo sie wollen anhören und sind nicht an das strikte Programmkorsett eines Senders

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Sampling: Mit dieser Lizenz können Leute einen Teil des Werkes verwenden und verändern - für jedenZweck außer für Werbung. Kopieren und Verbreiten des aus dem Sampling entstandenenMusikstücks ist verboten.

Sampling Plus: Mit dieser Lizenz können Leute einen Teil der Arbeit verwenden und verändern - fürjeden Zweck außer für Werbung. Nicht-kommerzielles Kopieren und Verbreiten (File-Sharing)des aus dem Sample entstandenen Musikstücks ist erlaubt.

Noncommercial Sampling Plus. Mit dieser Lizenz können Leute Teile der Arbeit verwenden und sie(ausschließlich) für nicht-kommerzielle Zwecke nützen. Nicht-kommerzielles Kopieren undVerbreiten (wie File-Sharing) des aus dem Sampling entstandenen Musikstück ist erlaubt.

Die Sampling Licence ist vor allem in Kombination mit dem „ccmixter.org“ interessant. Ccmixter.orgsammelt gemeinsam mit dem „thefreesoundprojekt“ Samples, die unter Sampling Licences stehen,macht sie für Künstler/innen frei zugänglich und veranstaltet regelmäßig Remix-Wettbewerbe. Esist auch nachvollziehbar, wer wen remixed - umso öfter, desto höher schlägt das MusikerInnenherz.Bekannte Bands wie Thievery Coorperation oder die Beasty Boys unterstützen das Projekt – auchindem sie eigene Samples zur Verfügung stellen. Das ambitionierte Ziel ist der Aufbau einer soumfangreichen Sample-Datenbank, dass Künstler/innen auf mühsames Abklären von Rechtenverzichten können.

Creativ Commons Sampling Licenses

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gebunden. Weiters gibt es inzwischen große „Kataloge“ (zum Beispiel www.podcast.de) imInternet, die die Unmenge an Podcasts in Themengebiete einteilen und das Finden voninteressierenden Beiträgen erleichtern. Wesentlicher Grund für den Erfolg von Podcastsist aber die Möglichkeit, sie quasi zu abonnieren. Mithilfe eines RSS-Feeds (RSS = ReallySimply Syndication) werden automatisch neue Sendungen auf den PC geladen und aufWunsch auf den mobilen MP3-Player übertragen.

Aber nicht nur der Bezug, auch die Herstellung von Podcasts ist sehr einfach möglich.Ein Aufnahmegerät – wie zum Beispiel einen Minidisc-Recorder mit USB-Ausgang - undein Mikrofon reichen. Das aufgenommene Material wird dann mithilfe einer Audiosoftwarebearbeitet und geschnitten. Hier können Podcaster/innen, also Podcast ProdzentInnen, aufFreie Software, wie beispielsweise auf das Audio-Schnitt-Programm Audacity,86 zurückgreifen.Die sehr einfache und kostengünstige Herstellung sowie die genauso einfache und quasikostenlose globale Verbreitung eines Mediums wie Radio, macht Podcasts zum Paradebeispielfür die großen Möglichkeiten und Verändungen der digitalen Revolution. Denn mit seinenGeschwistern, den Videotagebüchern (Videocasts) und Onlinetagebüchern (Blogs), habenPodcasts gemeinsam, dass sie in medialen Bereichen wie Radio, Fernsehen oder Printjour-nalismus, die bislang einer kleinen und elitären Minderheit vorbehalten waren, breitesteBeteiligung möglich machen.

Dank dieses relativ niederschwelligen Zugangs wächst das Angebot der Podcasts auchrasant. Apple-Chef Steve Jobs definiert Podcasts – in Anlehnung an einen Film über einenPiratensender – als „Waynes World of Radio“. Das Angebot reicht von vielen privatenPodcasts, die in der Garage produziert werden, bis zu professionellen Angeboten vonTageszeitungen oder herkömmlichen Radiosendern. Der österreichische JugendkultursenderFM4 stellt – neben dem herkömmlichen Radio-Stream, also der Möglichkeit live über dasInternet den Sender zu empfangen – verschiedene Sendungen als Podcast zur Verfügung.Zahlen zur Podcast-Nutzung sind bislang nur aus den USA bekannt, zumindest der Trenddürfte aber auch im deutschen Sprachraum vergleichbar sein. Das MarktforschungsinstitutNielsen berichtet, dass bislang rund 6,6 Prozent der US-InternetnutzerInnen auf einenAudio-Podcast zurückgegriffen haben. Die Zahlen sind jedoch umstritten, ein halbes Jahrdavor sprach ein anderes Marktforschungsinstitut von lediglich einem Prozent.87

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Indies brauchen Podcasts

Podcasting macht viele bislang „Nur-KonsumentInnen“ zu „Auch-ProduzentInnen“. DasPortal podshow.com wirbt konsequenterweise mit „Most People are DJs“ für eine Show,die nach eigenen Angaben aus „Radio-Frustration“ geboren wurde. Dabei stehen Podcas-ter/innen vor Problemen, wenn sie in ihren Sendungen kommerzielle Musik verwenden– und sei es nur kleine Schnipsel in kurzen Jingles. Prinzipiell müsste eine Nutzungsbewilligungfür die Songs bei einem Label eingeholt und eine Werknutzungsbewilligung von derzentralen Verwertungsgesellschaft (in Österreich AKM, in Deutschland die GEMA)erworben werden. Eine Prozedur, die für eine/n einfache/n Hobby-Podcaster/in viel zuumständlich ist. Die Wahrscheinlichkeit, von der AKM beim Podcast-„Schwarzsenden“erwischt zu werden, ist zwar relativ gering, doch steigt das Risiko steil mit dem Erfolg dereigenen Sendung an. Um den Konflikt mit dem Urheberrecht aus dem Weg zu gehen,verwenden die meisten Podcaster/innen sogenannte „Podsafe“–Musik, die meist unter einerCreative Commons Lizenz steht. Auch Netlabels wie magnatune.com, die die Songs derKünstlerInnen nur über ihre Homepage vertreiben, bieten diesen Service an. In den FAQs(Frequently Asked Questions, die häufigsten Fragen und Antworten) wird die Frage nachMissbrauch wie folgt beantwortet: „Wer das System ausnützen will, schafft es. Die Zielgruppevon magnatune.com sind User, die ehrlich für die Musik zahlen wollen. Für Alben gibtes eine Preisempfehlung, der/die User/in kann aber so viel zahlen, wie sie will. Der Betragwird zwischen magnatune.com und dem/der Künstler/in halbe-halbe aufgeteilt.“ DieseAufteilung ist ein Gegenkonzept zum Entlohnungskonzept der Musikindustrie – bei derselbst für bekannte KünstlerInnen vom CD Verkauf nicht viel übrig bleibt. Er sieht seinModell als Alternative zu Apples Musicstore (0,99 Euro pro Song) und anderen Online-Angeboten der Musikindustrie und lässt sich gerne mit „Wir sind nicht die Bösen“ zitieren.Daneben bietet die US-Plattform Promonet Podcaster/innen Musik aus dem Katalog von

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Was macht einen guten Podcast aus?

Nur weil neue digitale Technik einer breiten Masse das Werkzeug für eigen Radio- oder Videosendungenund ihre Verbreitung in die Hand gibt, wissen diese klarerweise noch nicht automatisch damitumzugehen. Janko Röttgers spart deshalb auch nicht mit Kritik an Themenwahl und Umsetzung,liefert aber auch konkrete Tipps für (angehende) Podcaster/innen: „1. Andere Podcasts hören. 2. Eingutes Mikrofon kaufen 3. Loslegen!“

Neben einer brauchbaren technischen Ausrüstung, vorbereiteter und klar gesprochener Moderationstexte,und passender Musik gilt es vor allem, sich eine eigen Nische mit echten Mehrwert für die Hörer/innenzu suchen. Ein Podcast sollte lieber kürzer sein, dafür aber regelmäßig erscheinen. Podcasts, die nuralle zwei Monate aktualisiert werden, geraten schnell in Vergessenheit.

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Indie-Labels an.88 Der/die Podcaster/in muss lediglich auf der Homepage beziehungsweisewährend den Beiträgen den Ursprung des Liedes ersichtlich machen. Ziel ist auch in diesemFall, unbekannten Künstler/innen Öffentlichkeit außerhalb herkömmlicher Formatradioszu verschaffen.

Während die einen mit dem Aufkommen von Podcasts auch eine allgemeine Renaissancedes Mediums Radio an sich erwarten, sind andere wie der FM4-Redakteur Martin Piperskeptisch: „Die Vision, alles sofort ‘on demand’ zu bekommen, ist ein bisschen unheimlich.“Neben vereinzelten Podcasts verlegen sich die bestehenden Radiosender deshalb in derRegel auf Streaming-Angebote, die Radio live über das Internet auf der ganzen Weltempfangbar machen. Sämtliche österreichischen Radioprogramme sind auf diesem Wegim Netz verfügbar, vereinzelt ziehen auch Fernsehsender nach. In Linz bietet der ORFOberösterreich über LIWEST-Streaming-Server die Landesnachrichtensendung „Oberösterreichheute“ on demand an. Neben diesem Zusatzangebot klassischer Radio- und Fernsehsendergibt es auch reine Webradios, die nur Online abrufbar sind. „Webradios heben sich vomUKW Einheitsbrei beträchtlich ab, weil sie Musiksparten abdecken können, die anterrestrischen Stationen nicht gespielt werden“, so Thomas Zubrunnen vom SchweizerNetzradio „Lounge Radio“. Der Sender hat 2001 mit 10 ZuhörerInnen angefangen, 2006besuchen fast 10.000 UserInnen die Website von lounge-radio.com und im Schnitt hören7.000 Personen fünf bis zehn Minuten pro Tag rein.

Neben diesen Audio- und Video-Streams, die den ganzen Tag Programm liefern, gibtes auch “music or video on demand” Streaming-Angebote. Bei diesen wird die MP3-Dateiim Unterschied zu Podcasts nicht auf den Computer kopiert, sondern direkt von derHomepage abgespielt. So bieten Plattenlabels von ihren Alben Streams zum Probehörenan. Da es grundsätzlich möglich ist, auch Streams mithilfe von Programmen am Computerzu speichern89, sind die meisten Labels aber auf kurze Musikausschnitte umgestiegen. ImUnterschied zu Podcasts ist der Aufwand zum Betrieb von Streaming-Angeboten – egalob sie live oder wie Podcasts on demand verfügbar sind – aber ein beträchtlicher, der dieGruppe der Anbieter/innen automatisch stark einschränkt.

Genauso wie Podcaster/innen kämpfen aber auch die Betreiber/innen kleinerer Webradiosmit den Verwertungsgesellschaften. Die rechtliche Situation ist immer noch ein Graubereich,die Kosten für den Betrieb eines Webradios sind aber inzwischen in die Höhe geschnellt.

„Wir müssen im Jahr mit 7.500 Euro rechnen, um unser Radio in der Schweiz legal zubetreiben“, erklärt Thomas Zumbrunnen. Diese Kosten haben den Boom von Internetradios

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mit Vollprogramm gestoppt und einige Opfer gefordert. So beispielsweise das „DepartmentDeluxe Radio“ des Berliner Nu-Jazz und Funk DJs Jan Sigmund, das aufgrund einerErhöhung der Gebühren in Deutschland eingestellt werden musste. In Österreich lässt sichdie Frage nach der Höhe des zu zahlenden Nutzungsentgelts für das Betreiben einesWebradios nicht beantworten, die Tarife müssen individuell mit Austro Mechana90 vereinbartwerden. Generell hängen die Kosten von der Kommerzialität, der Maximalzahl technischmöglicher Hörer/innen und dem durchschnittlichen Musikanteil des Projekts ab.

Auch wenn viele Künstler/innen Podcasts und Webradios zur Verbreitung ihrer Werkenutzen, zielen sie damit in der Regel auf gesteigerten Verkauf herkömmlicher CDs ab. Einezunehmende Minderheit versucht aus verschiedensten Gründen auf den „Umweg“ CDzu verzichten und ausschließlich im Internet zu veröffentlichen. Neben herkömmlichenPlattenlabels gründen sich in diesem Zusammenhang Labels, die auf den Online-Vertriebspezialisierte Labels: Netlabels.

Netlabel - der freie Vertrieb

Rosa L. ist eine junge Drum´n´Bass-Künstlerin. Dieses Musikgenre ist mit 150 bis 190Beats pro Minute (BPM) nichts für schwache Gemüter. Rosa L. produziert ihre eigenenTracks, tritt auf Veranstaltungen in der Linzer Stadtwerkstatt und oberösterreichweit aufund mit ihrer Crew ist sie auf dem oberösterreichischen Drum´n´Base-Community-Portalzive.at vertreten. Für einen Release auf Vinyl (Schallplatte) oder auf CD über einIndependentlabel reichte jedoch das Geld nicht aus, da die Einnahmen vom Verkauf sehrwahrscheinlich nicht einmal die Produktionskosten decken würden. Trotz ihrer Liebe zumVinyl entschied sie sich deshalb für eine Publikation auf einem Netlabel.

Netlabels spezialisieren sich in der Regel auf eine Musikrichtung und bieten einzelneMusikstücke (Tracks) oder mehrere Tracks in Form eines Albums – größtenteils kostenlos– zum Download an. Ein Großteil bewegt sich im weiten Feld elektronischer Musik undhat sich oft aus speziellen Communities heraus mit dem Ziel entwickelt, die eigene Musikbekannter zu machen. Der finanzielle Aufwand für den Aufbau eines Netlabels ist imVergleich zu einem herkömmlichen Label gering: Kosten für technisches Equipment(Computer und Drucker), Internetzugang, Bewerbung und Veröffentlichungen. Dengrößten Brocken der laufenden Kosten machen die Aufwände für den notwendigenWebspace aus – ein im Erfolgsfall nicht unerheblicher Betrag.

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“Mehr Selbstbeherrschung, bitte!” lautete denn auch der Subhead zu einem Artikel überNetlabels im renommierten Magazin für elektronische Lebensaspekte, Musik, Medien undKultur De:Bug. Die Songs von MöchtegernmusikerInnen werden teilweise sofort insInternet gestellt, frei nach dem Motto: „Es kostet ja (fast) nichts – dann schadet es auchnicht“. Die Anzahl der Netlabels ist so hoch, dass das Angebot für den/die User/in kaumüberschaubar ist. Der Musik-Journalist Jochen Kleinherz formulierte es so: „Es mangeltderzeit nicht an Musik im Netz – aber an Musik von Musikern“. Wie schon bei Podcastsund Webradios stellen sich auch bei Netlabels die Probleme der Qualitätskontrolle undder Übersicht. Bei der Musik der herkömmlichen Labels erfüllen Magazine wie The RollingStone, Visions oder Musik Express diese Funktion. Im Internet beginnen sich derartigeAutoritäten erst langsam herauszubilden. Das deutsche Magazin für Musik- und Netzkulturphlow.net oder igloomag.com im englischsprachigen Raum sind die ersten Beispiele fürReviews von ausschließlich online veröffentlichter Musik. Netaudio-DJs veröffentlichenMixes von Netlabel Releases, andere Netlabels wie subsource.de konzentrieren sich auf DJ-Sets. Ein weiterer Filter besteht in MP3-Blogs, die Podcasts aus den Katalogen der Netlabelszusammenstellen. Ein Teil der Lösung des Qualitäts- und Ordnungsproblems mit denneuen digitalen Veröffentlichungswegen scheint also in genau diesen digitalen Veröffentli-chungswegen selbst zu stecken.

Wer trägt die Kosten?

Schon für größere Schwierigkeiten als die Qualitätssicherung sorgt da schon die dauerhafteFinanzierung sowohl von Netlabels als auch der mit ihrer Hilfe veröffentlichendenKünstlerInnen. Zwar erreichen letztere mit Hilfe der Netlabels ein größeres Publikum, alsüber einen kleinen Release bei einem konventionellen Label, diese Aufmerksamkeit führtaber nicht automatisch zu kommerzieller Verwertung. Ein Effekt ist aber die mit dersteigenden Bekanntheit in der Regel zunehmenden Gelegenheiten für bezahlte Live-Auftritte– eine gerade im unter Netlabels dominierenden elektronischen Bereich eher bescheideneEinnahmequelle. Mehr Hoffnungen setzen Netlabels deshalb in Micropayment-Systemewie PayPal, die sehr einfach die Überweisung auch kleinster Beträge ermöglichen. DasNetlabel thinner.cc ruft bei Gefallen zu Spenden auf, die per Micropayment direkt an dieKünstler/innen gehen. Schließlich kann der/die Künstler/in in Eigenregie eine konventionelle(Klein-)Auflage von CDs auf den Markt bringen, sofern das Netlabel auf eine Gewinn-beteiligung verzichtet. Selbst diese kleine Auflage bringt dem/der Künstler/in in der Regelmehr Einnahmen als eine Vinylauflage.

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Für Netlabels selbst haben sich noch keine dominanten Geschäftsmodelle herausgebildet.Die meisten Projekte halten sich mehr schlecht als Recht durch Werbeeinkünfte, denVerkauf von Merchandising Produkten, kostenpflichtige Premiumangebote oder denVerkauf von Netlabel-Sammlungen - das komplette Archiv eines Netlabes auf DVD –sowie Provisionen für die Vermittlung von Auftritten ihrer Künstler/innen über Wasser.Vorschläge zur Erschließung neuer Einnahmequellen tauchen immer wieder auf.

Den in Frankreich andiskutierten Modellen eine “Kulturflatrate” – einem Pauschalver-gütungssystem auf Basis einer öffentlichen Abgabe für Internetanschlüsse – stehen diemeisten Netlabe-Betreiber/innen hingegen reserviert gegenüber. Auch ExpertInnen wieJanko Röttgers sind mit der Forderung nach Einführung einer Kulturflatrate sehr zurück-haltend: „Ich würde mir statt einer Kulturflatrate eher eine marktwirtschaftliche Lösungwünschen, für die ich im Musikbereich am ehesten eine Chance sehe: Kreative könnensich freiwillig dazu entscheiden, ihre Werke zum Tausch im Netz freizugehen – und imGegenzug z.B. über Provider und Verwertungsgesellschaften Pauschalen dafür einziehen.Diese Idee ist in den USA unter dem Begriff „Voluntary Collectiv Licensing“ bekannt.”

Aber selbst wer sich ohne freiwillige Kollektivlizenz zur Freigabe seiner Werke entschließt,kann mit bestehenden Verwertungsgesellschaften Probleme bekommen. So übertragenAKM-Mitglieder ihre urheberrechtlichen Nutzungsrechte an der öffentlichen Aufführung,der Sendung und der Zurverfügungstellung (“interaktives Anbieten in Netzen”) zurtreuhändigen Wahrnehmung. Die AKM besteht dabei auf dem Außschließbarkeitsprinzipund der Verpflichtung, alle Werke bei der AKM anzumelden. Es ist nicht möglich, nurausgewählte Werke anzumelden und andere beispielsweise per Creative Commons-Lizenzfreizugeben. Für Netlabels hat diese Urheberrechtssituation teilweise fatale Konsequenzen.So gibt es immer wieder Fälle, in denen Plattenlabels Songs von Netlabels gestohlen haben.Um die eigenen Werke vor derartigen Übergriffen zu schützen wären Lizenzen a la CreativeCommons (CC) notwendig. Diese stehen jedoch in Konflikt mit der AKM. Zwar könnenauch Urheber/innen, die bereits vor ihrem Beitritt Werke unter die CC-Lizenz gestellthaben, der AKM beitreten. Werke, die sie einmal unter CC-Lizenz gestellt haben, dürfensie jedoch nicht bei der AKM anmelden. Für die Nutzung dieser Werke gibt es natürlichauch keine Tantiemen von der AKM. Wenn ein Werk erst einmal unter CC-Lizenz gestelltwurde, können die Rechte an dem Werk auch nicht mehr zurückgerufen werden.Künstler/innen müssen sich nun entweder für CC Lizenzen oder die AKM enscheiden.

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Dieter Strauch, Mitglied der elektronik/rock/pop Band MERKER.TV, DJ und Filmemacher:„Ohne Plattenverträge geht nichts. Ein kleiner Vertrag bei einen kleinem Label ist ein guterBeginn. Aber du musst gehört und gesehen werden. Und um Geld zu verdienen, ist dieAKM ein Muss.“ Eine Mischform würde für die Verwertungsgesellschaften einen admini-strativen Mehraufwand bedeuten. In Deutschland versucht die CC-Initiative mit demdeutschen AKM-Pendant GEMA Gespräche zu führen, um die Kompatibilität zu verbessern.In Österreich ist über Gespräche in dieser Hinsicht nichts bekannt.

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FM4 Soundpark (http://fm4.orf.at/soundpark)

Der FM4 Soundpark ist zwar kein Netlabel, arbeitet aber auch nach dem Prinzip: Kostenlose Downloadssind die beste Visitenkarte.

„Der Soundpark ist eine Plattform für österreichische Musik. Jede und jeder, der hierzulande Musikmacht, kann ihre oder seine Musik mit Foto und Text vorstellen. Unser Vorteil gegenüber ähnlichenPlattformen: Wir haben einen Radiosender im Hintergrund, der besonders tolle Songs gleich in dieRotation aufnehmen kann.“ so Stefan Trischler von FM4. Er stellt die zahlreichen neuen Bands undMusiker/innen online und sorgt dafür, dass die FM4 Musikredaktion die besten Songs zu hörenbekommt. Der Soundpark ist ein international anerkanntes Projekt zur Förderung der Nachwuchsszene.

„Die grundlegende Idee ist, gute Musik aus Österreich auf schnellstem Wege vom Proberaum oderHeimstudio ins Radio, auf Bühnen und CDs zu bringen“, fügt Stefan Trischler hinzu. Mit Erfolg, dersich messen lässt. Der FM4 Soundpark registriert täglich ca. 10.000 Pageviews pro Tag, die Anzahlder Bands, die sich im Soundpark präsentieren, liegt beinahe bei 4000. Regelmäßige Soundpark-Compilations inklusive Cover-Artwork sollen hier ordnend wirken. „Die Compilations werden von denUserInnen als Orientierungshilfe geschätzt“, erklärt Stefan Trischler. Auch ein Soundpark Podcastwird angeboten, der bei den iTunes-Downloadcharts in der oberen Liga mitspielt. Besonders guteLieder finden schließlich sogar Platz auf der FM4 Soundselection und damit einer “echten” CD. Weiterswerden Soundparkkünstler/innen über das Vermitteln von Live-Auftritten unterstützt. Der Sprung vomSoundpark zum Plattenvertrag kann gelingen. „TNT Jackson, Wedekind oder Zeebee hatten es durchdas Airplay relativ leicht, eine Plattenfirma zu finden“ nennt Stefan Trischler als Beispiele. Aucherfahrene Musikschaffende publizieren Texte im Soundpark, bei denen sie Neulingen Tipps undRatschläge beim Musikmachen geben. Ein besonderes Angeobt sind die Remix-Contests. Die BerlinerBand Virginia Jetzt! stellte von ihrer Single „Bitte bleib nicht, wenn du gehst“ Gesangs- und Drumspurenim Soundpark zur Verfügung. Aus diesem Basismaterial wurden von User/innen neue Tracks erstellt.Als Belohnung erschien der Sieger/innen-Remix auf einer Maxi-CD der Band.

„Die KünstlerInnen geben uns eine nicht-exklusive, sachlich und territorial unbeschränkteWerknutzungsbewilligung. Alle Rechte für die Songs bleiben bei ihnen. Wenn jemand daran interessiertist, einen Song für Videos oder Musikuntermalung zu verwenden, muss er/sie das direkt mit denKünstlerInnen absprechen,“ erläutert Stefan Trischler die urheberrechtlichen Regelungen, „Wir habenvor dem Start mit der AKM und AustroMechana gesprochen, die unsere Plattform unterstützen. Fürim Radio gespielte Songs gibt es hier genauso Geld, wie bei nicht im Soundpark vertretenenMusikerInnen.“

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Die Möglichkeiten verändern das Verhalten

Manche trotzen den rechtlichen Fallstricken und publizieren ihre Werke – mit Unterstützungvon Künstler/innen-Communities – in Eigenregie. Die Hip-Hop-Künstler/innen Tenderboyund Mieze Medusa sind Mitglieder im Linzer Kunstkollektiv Backlab, das die unterschied-lichsten Stilrichtungen vereint: Musik von Noise bis Hip-Hop, Webdesign, Film, Video,Malerei, Literatur. “Es geht um künstlerische Freiheit. Die Basis von Backlab ist dieFreundschaft”, so Tenderboy und Mieze Medusa, “Man tritt als Künstler/in ohne Vorgabenvon Backlab auf. Man kann sich aber ans Kollektiv wenden, wenn man etwas braucht.Dadurch ist es ein starkes Netzwerk.” Auf backlab.at/rufzeichen sind auch einige Tracksvon Mieze Medusa und Tenderboy als Download zu finden. “Wir machen das, um Leuteanzuteasen. Es ist sozusagen eine PR/Werbung, aber auch eine Möglichkeit, um schnellFeedback zu bekommen”. Auch das gemeinsam mit temp-records veranstaltete Temp-Festival setzt auf diese Art der Bewerbung. Im Vorhinein wird eine Temp-Compilationangeboten, auf der die Künstler/innen, die auf dem Festival spielen, vertreten sind. Tenderboyund Mieze Medusa: “2005 wurde die Compilation 20.000 mal heruntergeladen. Also alledrei CDs jeweils 20.000 mal”. Zusätzlich zur Online Version bietet Temp-Records einestreng limitierte Auflage von 100 Exemplaren an – handbeschriftet und nummeriert imdreifach Jewelcase um 12 Euro. Also sehr preiswert. Das Ziel, die Qualität der Off-Szenezu präsentieren, dürfte mit dem gesamten Angebot erreicht werden.

Gleichzeitig erreichen Bands über frei zugängliche Musikangebote auch den Mainstream,das Web schafft sich seine ersten Musiksuperstars. Im weltweit größten Portal für “SocialNetworks” MySpace pflegen Bands mit Hilfe von Band-Spaces Kontakte zu Fans und bietenHörproben als Download an. Zum Vorbild für tausende Nachwuchskünstler/innen entwickeltesich der Erfolg der Rockband Artic Monkeys. Das zunächst in MySpace kostenlos veröffentlichteMonkeys-Album verkaufte sich, als die Band einen Plattenvertrag bekam, schneller als jezuvor ein Album in der britischen Popgeschichte. Udo Raaf von der Plattform Tonspion siehtdieses Phänomen nicht nur positiv: „Überzogene Hypes wie sie derzeit um MySpace gemachtwerden, halte ich für gefährlich, weil dieser Hype suggeriert, die wären die einzigen, die imNetz etwas reißen würden.“ Auch Dieter Strauch kritisiert: „Alle sind dort. Shy, Velojet aberauch neue Bands wie The Trans Ams, die ihre erste CD herausbringen. Myspace ist überrannt,die meisten Bands werden von ihren Labels angehalten, eine Seite auf diesem Portal einzurichten.Alle laufen in dieses Spinnennetz der guten Verheißung. Der niederschwellige Zugang ist da,der eigentliche Zweck jedoch abhanden bekommen. Wenn alle nur einem nachlaufen, wirdes irgendwann uninteressant. Myspace.com monopolisiert anstatt zu demokratisieren.“

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Ob sich die freie Musik langfristig durchsetzen kann? „Das hängt davon ab, was manunter durchsetzen versteht. Das Internet besitzt nur wenige Stars – aber das Potential fürviele, weltweit in ihrer jeweiligen Nische erfolgreich zu sein.“, meint Janko Röttgers.Während demnach noch unklar ist, ob und in welchem Umfang Musik in Zeiten desInternets frei verfügbar sein wird, scheint eine Änderung der derzeit vorherrschendenVerwertungspraxis sicher zu sein. John Buckman from “Open Source Platten Label”Magnatune ist denn auch zuversichtlich, was neue und freie Musikvertriebskanäle betrifft,schon alleine, weil die Musikindustrie “verhasst” sei und das Geschäft als “schmutzig” gelte.91

Und so wie mit der neuen Technologie der Schallplatte erst die moderne Musikindustrieentstanden ist, dürfte auch mit der neuen MP3-Technologie ein neues Verwertungsregimebevorstehen. Ob es nachwuchsfreundlicher als das bestehende ist und zu mehr musikalischerVielfalt führen wird, lässt sich zwar noch nicht abschätzen – ist angesichts des aktuellenMainstream-Angebots aber gar nicht einmal so unwahrscheinlich.

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LINZ.STADT DER

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„Das ist wie beimHamburger: am wenigstenhat davon die Kuh.“

Interview: Johannes GrenzfurthnerDer Künstler, Autor, Kurator und Regisseur Johannes Grenzfurthner ist Gründer und Mitglied derKunst- und Theoriegruppe „monochrom“, die besonders im Bereich neue Medien und Urheberrechteaktiv ist. Daneben hat er einen Lehrauftrag an der FH Johanneum im FachhochschulstudiengangInformationsdesign mit dem Thema „Kunsttheorie und ästhetische Praxis“. Im Themenbereich

„Podcasts“ holte Johannes Grenzfurthner sich Unterstützung in Person von Thomas Teichberg vonder benachbarten Kunstformation Team Teichberg.

Foto: Monochrom

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Interview

Du bist Gründer der Wiener Künstler-gruppe „monochrom“. Was ist monochromeigentlich genau?

Johannes Grenzfurthner: Monochrom isteine Kunsttheorie- und Bastelgruppe. ImKern bestehen wir aus 9 Personen. Wir sindeine politische Gruppe, die in ganz verschie-denen künstlerischen Formen und MedienStatements platzieren möchte. Uns geht esdarum, Content zu produzieren und zuspreaden, wenngleich wir uns als Kinderder Postmoderne natürlich bewusst sind,dass das nie wirklich gelingen wird. Aberwir suchen zumindest passende Medien.Einmal ist es ein Kurzfilm, ein anderes Malein Artikel, ein Computerspiel oder eineAktion im öffentlichen Raum. Man hat unsschon als Kontext-Hacker bezeichnet, eineKategorisierung, die ich nicht von der Bett-kante stoßen würde.

Welche Rolle spielt das Internet in eurerArbeit?

Johannes Grenzfurthner: Ohne elektro-nische Netzwerke wäre die Gründung vonmonochrom anders, möglicherweise garnicht verlaufen. Der Ursprung von mono-chrom liegt jetzt 13 Jahre zurück, seitherentzieht er sich unaufhörlich. Damals wollteich eine Zeitschrift oder ein Fanzine überTechnik, Kunst und kulturelle Auseinander-setzung haben. Was es natürlich so nicht

gab, höchstens im Internet. Ich habe meineAnfrage ins Netz gestellt, und Franky Alb-linger hat sich noch am gleichen Tag gemel-det. So waren wir innerhalb eines Tagesschon zwei. Heute wäre es ohne Internetschwer, unsere Arbeit zu koordinieren. Wirsind über die westeuropäische Planeten-Cityverstreut, deshalb verwenden wir Mailinglis-ten und Wikis um zu kommunizieren.

Wer auf wikipedia.de unter monochromnachschlägt, findet auch das Schlagwort

„Digital Art Community“. Ist monochromeine Digital Art Community?

Johannes Grenzfurthner: Monochromstand immer schon zwischen den Konzepten.Wir haben nie rein ausgeprägte bildende –in Deutschland heißt das so! – Kunst, niereine Medienkunst oder Performance ge-macht. Wir wechseln die Medien, weil wirohnehin nie die mögliche Brillanz und Meis-terInnenschaft in einem Medium erreichenwürden. Das überlassen wir gerne denSpezialistInnen, die mit der Limitierungund verwalteten Weltsicht, die ihr Job ist,besser klarkommen. Nimm unseren Kurz-film zum Thema Überwachung, „Im Som-mer“, der auf einigen Kurzfilmfestivals lief.Er entspricht filmisch sicher nicht demKubrick’schen Reinheitsgebot, aber war inunserem Sinne damals einfach das geeigneteMittel zum gesellschaftsgeschichtlich vorge-gebenen Zweck. Und die Aussagenessenz

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oder -substanz, wenn ich mich ausnahms-weise mal so ausdrücken darf, tritt ja vorder Kontrastfolie des nicht gänzlich be-herrschten Mediums viel klarer raus, als –sagen wir – in einem ultimativen Hollywood-machwerks-Brett zum Thema, wo die Anlie-gen dann immer zwischen der zu beurteilen-den Güteklasse der SchauspielerInnen-performance, dem Feststellen je aktuellerTricktechnik-Geschichtskämme usw. gewis-sermaßen herumschwimmen. Beim Udo-Proksch-Musical „Udo 77“ haben wir mitdem Rabenhof Theater zusammengearbeitet.Dadurch war das erstmal eine extrem pro-fessionalistische Angelegenheit, die in demFall, würde ich sagen, auch gut ausgegangenist. Andererseits war das aber zeitweise auchäußerst furchtbar. Professionalität ist einhierarchisches Konzept und ein Militarismus.Und es schleppt einen Rattenschwanz anAusbeutungsverhältnissen hinter sich her.Und Perfektion bis ins letzte Prozent schafftman sowieso nicht. Heisenbugs gibt’s überall.

Aber um auf die Digital Community zurück-zukommen: Das Internet ist das perfekteMedium, um schnell zu kommunizieren.Bei vielen Projekten arbeiten wir auch mitMenschen zusammen, die nicht zum mono-chrom-Kernteam gehören. Wir nennen diedann „SatellitInnen“, denn sie umkreisenunseren Himmelskörper natürlich meist ehschon länger. Daher bietet es sich an, mitihnen zusammenzuarbeiten oder nicht. Die

Möglichkeiten, im Netz kollaborativ zuarbeiten sind ideal. Das könnte als DigitalArt Community bezeichnet werden.

Was unterscheidet euch von der „normalen“Kunstszene?

Johannes Grenzfurthner: Die Kunstszeneist extrem darauf bedacht, symbolischesKapital zu binden und in reales Kapitalgleichsam umzumünzen. So funktionierenGalerien. So funktionieren Sammlungen.So funktionieren Feuilletons. Ein Beispielaus den bildenden Künsten: Ein Künstlermalt Ölgemälde, und ist dabei bedacht,seinen Marktwert zu erhöhen durch Verknap-pung. Darauf haben wir zum Beispiel nieWert gelegt. Wir zerstören unseren Markt-wert ständig selbst, indem wir produzierenwie Sau. Und noch dazu mit vielen anderenin Kooperation. Uff!

Sprechen wir mal vom Spannungsfeld„lokal verankert, global agieren“. Könnteman als KünstlerInnen nicht auch ohnelokale Verankerung mithilfe des Internetsauskommen?

Johannes Grenzfurthner: Ja könnte man.Es gibt auch KünstlerInnen wie jodi.org,die sich ihre Öffentlichkeit nur im Netzschaffen – und aufgrund der Immaterialitätihrer Arbeit, auch nur im Netz anbietenkönnen. Bei jodi.org habe ich lange ge-

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

braucht, um herauszufinden, dass sie in denNiederlanden sitzen. Auch egal. Ist ja einschönes Land. Es gibt Leute, zum BeispielFotografInnen, die Internetplattformen nut-zen, um ihre Arbeiten zu verbreiten. SolcheLeute nehmen dann etwa an Photoshop-Contests teil, mit wirklich beeindruckendenArbeiten. Manchmal ist es einfacher, reineNetzprojekte zu machen. Monochrom wirdaber eher als Wiener Kunstgruppe wahrge-nommen. Hat wohl damit zu tun, dass wireinfach viele Realraumprojekte hier durch-führen, und das ist uns auch sehr wichtig,denn nur im Realraum erfährt man, waseinem das Netz bietet.

Welche Erfahrungen habt ihr mit CreativeCommons?

Johannes Grenzfurthner: Gute! Wir veröf-fentlichen die meisten Arbeiten unter Crea-tive Commons. Beim Theaterstück „Wartenauf GOTO“, aufgeführt im Volksthea-ter/Hundsturm und aufgezeichnet vomWiener Community-Sender Okto TV, unddem Adventure-Game „Sowjet-Unterzögers-dorf/Sektor 1“ haben wir noch mal explizitdarauf hingewiesen.

Welche Motivation steckt dahinter, Arbei-ten mit Creative Commons Lizenz zuveröffentlichen?

Johannes Grenzfurthner: Creative Com-mons ist nicht die ultimative Lösung, son-dern ein Attachment zum Copyright. Eshängt sich an das bestehende Copyright anund versucht es aufzuweichen. Es ändertjedoch nichts am grundsätzlichen Problemdes Copyrights. Das steckt so tief in derbürgerlichen Gesellschaft, wie nur irgendgeht. Ist vielleicht sogar eines ihrer Quellge-biete. Und lästig! Wenn man jedoch denLeuten das Prinzip von Creative Commonserklärt, fangen sie an, über das Urheberrechtnachzudenken. Und wenn Urheber derge-stalt überhaupt mal von „gut“ und „wichtig“nach „gesellschaftliches Problem“ gewuchtetwird, dann ist schon etwas erreicht. Daskollektive Semi-Bewusstsein ist ja be-kanntlich ein Stein, der mit lächerlicherMuskelkraft einen Hang hinauf transportiertwerden muss. Ich bin ja Science-Fiction-Fan. Cory Doctorow hat beispielsweise alleseine Bücher als Creative Commons veröf-fentlich. Sein Verlag war zwar anfangs dage-gen und hatte Angst, aber er hat sich durch-gesetzt. Heute sind alle seine Bücher alsASCII-Files im Netz zu finden. Und daswar gute Werbung für ihn. Und gibt ihmzugleich die Gewissheit, dass sein Werk auchweiterhin frei zugänglich sein wird, auchwenn der Verlag zum Beispiel Konkursanmeldet.

Interview

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Ein Spruch der Musikindustrie ist: Copykills Music…

Johannes Grenzfurthner: Ja, viele denkensich halt, es helfe den KünstlerInnen, wennes so etwas wie ein Copyright gibt. Das istaber zu kurz gedacht. Die Musikindustriewählt als Beispiel natürlich das schwächsteGlied in der Verwertungskette. Sie sagen:

„Die Künstler werden ärmer, wenn ihr bösenKonsumenten MP3s über Peer-to-Peer-Netzwerke herunterladet.“ Sie lagert damitihre Verantwortung aus, denn den betreffen-den KünstlerInnen oder – um es auf copy-rightistisch zu sagen – den „Urheber“, wirdimmer noch das kleinste und dürftigsteGewinnkuchenstück zugeschoben, damitsie nicht verhungern müssen. Das ist wiebeim Hamburger: Am wenigsten hat davondie Kuh.

Was ist deine Vision – Urheberrecht ab-schaffen?

Johannes Grenzfurthner: Man kann dasUrheberrecht nicht einfach abschaffen, daswäre einer der verheerendsten Dominosteinein der mühsam arrangierten Systemland-schaft. Urheberrecht ist ein fundamentalerBestandteil des Kapitalismus. Es geht umGeld, und wie mit Reproduktion Geld ver-dient werden kann. Es ist aber wichtig,strukturelle Kritik zu üben. Creative Com-mons kann die Situation verbessern, aber

nicht grundlegend umdrehen. Zumal es janoch noch den Spagat zwischen zwei unter-schiedlichen Rechtssystemen bewältigenmuss. Im US-Recht kann das so genannteCopyright veräußert werden. Im kontinen-talen Rechtssystem ist das nicht möglich,man kann nur Verwertungsrechte definieren.

Habt ihr bei Kooperationen Problemegehabt, Stücke als Creative Commons zuveröffentlichen?

Johannes Grenzfurthner: Auf unserer Ho-mepage sind alle Stücke Creative Commons.Jedoch nicht alle Stücke sind online, besonders,wo es rechtliche Bedenken gibt. Ein Beispiel:Wir haben für „Udo 77“ mit dem FM 4Soundpark und dem Rabenhof zusammen-gearbeitet. Wir haben die Texte geschriebenund im Rahmen eines Contests auf Sound-park Leute gebeten, Lieder daraus zu machen.Hier sind wir dann in einen kleinen ideolo-gischen Konflikt mit der AKM (der österreichi-

schen Verwertungsgesellschaft für KomponistIn-

nen, AutorInnen und Musikschaffende, Anm.),dem Rabenhof und den MusikerInnen ge-kommen. Die Musiker/innen haben gefragt:Was springt für uns dabei raus? Honorarbekommen wir ja keines. Also wollen wir,dass die Lieder bei der AKM gemeldet werden.Wenn es dann im Radio oder im Theatergespielt wird, bekommen wir Tantiemen. Wirselbst haben mit diesem Projekt auch nichtviel verdient. Da geht es schon auch um die

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Psychologie der Musiker/innen. Ich bin danicht ganz schlau geworden.

Bietet ihr die Stücke von „UDO 77“ zumDownload auf eurer Homepage an? Wäredas nicht ein Widerspruch zum Ausschließ-barkeitsprinzip der AKM?

Johannes Grenzfurthner: Die Lieder, diebei der AKM gemeldet sind, können wirnicht zum Download anbieten. Leider! DieTextrechte liegen zwar bei uns, die Musik-rechte aber bei den MusikerInnen.

Sind KünstlerInnen in der Frage vonCreative Commons gespalten?

Johannes Grenzfurthner: Ja, sicher. Siesind ja nicht per se progressiv denkendeMenschen. Wir stellen unsere Stücke aberbewusst unter Creative Commons. Medienwie ORF-Futurezone, FM4 und Der Stan-dard berichten darüber. Das ist Werbungfür Creative Commons, und ebenso fürunsere Produkte.

KünstlerInnen müssen sich auch überWasser halten. Haben KünstlerInnen einProblem mit dem Prinzip: Freie Distribu-tion über das Netz – höherer Bekanntheits-grad = mehr Live-Auftritte?

Johannes Grenzfurthner: Es gibt einen Textvon Courtney Love über Piraten. Sie twisted

das und sagt, die eigentlichen Piraten sinddie Leute in der Musikindustrie. Klingt zwaretwas nach „Ätsch-Selber!“-Retourkutsche,aber ich fand es dann doch interessant, dassCourtney Love so was sagt. Sie verdient ausden Verkäufen der CDs relativ wenig. Siemacht ihr Geld über Livekonzerte und Mer-chandising. Ihr ist es egal, ob Leute ihre CDherunterladen. Im Gegenteil! Wenn man denTrack downloadet, und ihn leiwand findet,geht man vielleicht auch zum Konzert. DieProzesse und Kampagnen gegen dieUser/innen repräsentieren die etwas zu kopflosgeführten Rückzugsgefechte der Musik- undMedienindustrie. Bei denen natürlich – wiebei allen symbolischen Gefechten zur Ge-sichtswahrung – reale historische Subjektezumindest symbolisch draufgehen, also zumBeispiel User/innen, deren Realleben ja durchirgendwelche exemplarische Strafaktionennachhaltig ruiniert wurde, damit die dämlicheMusikindustrie nicht ihr dämliches Gesichtverliert oder so tun kann, als hätte sie es nichtverloren. Und das gilt für die gesamte Medien-industrie, die halt ganz typisch patriarchalischeVerhaltensweisen ausbildet. Nehmen wir dasVideo-Portal YouTube. Die Konzerne regensich auf, dass bei einem Video drei Sekundeneiner Talkshow zu sehen sind. Aber wer würdeschon für einen dreisekündigen Ausschnittaus der Letterman-Show zahlen wollen? ImEndeffekt ist es eine Werbung für den Letter-man. Ein verschämter Reflex seiner Wichtig-keit aus dem Kulturgesamt. Also was wollen

Interview

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die? Dass nur noch aus Talkshows gesampeltwird, die Reklame nötiger haben als er. Und:Wollen wir Letterman überhaupt eineWichtigkeit hinkonstruieren, indem wir ihnsampeln?! Ich würde sagen: Nein! Egal wiewir’s machen, ist’s falsch.

Wecken Portale wie YouTube ein Kreati-vitätspotential?

Johannes Grenzfurthner: Auf jeden Fall!Ich rede jetzt aber nur in westlichen Dimen-sionen. Nicht vom Trikont, die haben grademal die Möglichkeit von Raubkopien, aberder Zugang zum Computer ist kaum gege-ben. Wir sind an einem Punkt angelangt,an dem fast jede/r in der industrialisiertenWelt die Möglichkeit hat, an einen Compu-ter ranzukommen. Und damit relativ einfachkreativ-schöpferische Arbeiten herzustellen.Das eröffnet eine potentiell unendlicheKreativitätsblase, die aber aus rechtlichenGründen oft dann doch nicht so darf, wiesie könnte. Kreative Möglichkeiten undrechtliche Einschränkungen driften immerweiter auseinander. Das ist, wie wenn daserste Auto nicht gebaut werden darf, weildie Firma, der alles Öl auf der Welt zufälliggehört, lieber darin badet, als es auszuschen-ken. Naja, ein schiefes Bild für eine genausoschiefe Wirklichkeit. Als Beispiel kann hierder Hip-Hop dienen. In den 90er Jahrenhat ein Label ein anderes wegen eines Samp-les verklagt. Das war der Startschuss für

einen gangfight-förmigen Klagekrieg, dersich wiederum als spürbarer kreativer Ein-bruch im Genre selbst verewigt hat. Undda haben dann alle am selben Stamm gesägt,damit der Ast, auf dem der jeweils anderesitzt, abbricht. Samples nicht länger freiverwenden zu dürfen, hat den Hip-Hop jawie abgeschnürt. Die ganze Szene hat dieRestriktion zu spüren bekommen – dasFehlen von etwas, was zuvor erklärtermaßenUsus, ja genuines Genremerkmal war. AlsScience-Fiction-Leser weiß ich sehr gut: 90Prozent aller kulturellen Erzeugnisse sindzu 100 Prozent Scheiße. Auch auf YouTube.Das wird aber hoffentlich niemanden daranhindern, selber kreativ tätig zu werden. Esgeht um den Erhalt von Möglichkeitsraum.

Verfügt monochrom auch bereits übereinen eigenen Podcast?

Johannes Grenzfurthner: Noch nicht. War-te einmal – ich hol Dir den Thomas vonunserem Nachbarn Team Teichberg. Mitdenen wollen wir einen Podcast machen.(Thomas vom Team Teichberg kommt)

Woran arbeitet ihr gerade?

Thomas Teichberg: Wir arbeiten an einemOpen-Source-Projekt, mit dem wir es er-leichtern wollen, den Audio-Content freierRadios auszutauschen. Es gibt große Radios,die massig Content produzieren. Kleine

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Radiosender wären froh, wenn sie mehrContent hätten.

Was haltet ihr vom Begriff „Podcast“. Dieerste Silbe kommt von Apples iPod. Störteuch das nicht?

Johannes Grenzfurthner: Es denkt fastniemand mehr an den iPod beim Begriff

„Podcast“. Das wird genauso ein wertfreierBegriff werden wie „Walkman“.

Wie schätzt ihr die Zukunft von Podcas-ting in Österreich ein?

Thomas Teichberg: In Österreich hat sichPodcasting noch nicht durchgesetzt. Aberes fängt an zu wachsen. Im Vergleich zu denUSA ist die Bedeutung von Podcasts nochrelativ gering. Im Musikbereich muss mansich auch die Medienlandschaft in den USAanschauen. Die USA hat ein scheiß Radio– aber auch ein anderes Medienverständnis.Privatradio ist der Backbone. Und Privat-radio heißt auch: man macht das Radioprivat. In Österreich ist der Backbone staat-lich. Ich sehe darin auch den Grund, warumin den USA Blogging eher politisch-jour-nalistisch ist, und bei uns eher tagebuchartig.

Bleiben wir beim Musikbereich. Die Ös-terreichische Radiolandschaft bietet einrelativ breites Angebot. Das FM4-Sound-parkprojekt hilft NachwuchskünstlerInnen,

und Podcasts werden auch angeboten.Warum sollte ich dann einen Podcastmachen?

Johannes Grenzfurthner: Man hat größereFreiheiten. Beim Soundpark werden dieStücke der Reihe nach reingelassen. JedenTag ein paar Lieder, man steht eine Zeit inder Warteschlange. Beim Podcasten kannstdu machen, was du willst.

Thomas Teichberg: Podcast ist jetzt aufdem Stadium, wo man früher gesagt hat:Ich mache mir meine eigene Website. Alsomit einfachen Bildern, einfachen Schriftartenwie ComicSans, grellen Farben und under-construction-Männchen. Das hat sich ent-wickelt. Heute ist die private Nutzung vonWebseiten professioneller, es werden Blogseingebaut. Die „Some kind of cyber existence“hat sich über 15 Jahre entwickelt. Das gleichegilt für Podcasts. Das braucht Zeit.

Wie kann man diese oder andere Commu-nities fördern?

Johannes Grenzfurthner: Ich tu mir beisolchen Fragen schwer. Solche Sachen ent-stehen einfach. Communities leben von derEntfaltung. Manche werden größer, manchemachen drei Wochen etwas und brechenwieder zusammen. Ich kann nur raten, sichzu engagieren. Hier, da und am besten auchdort.

Interview

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„Ich glaube nicht an dieeierlegende Wollmilchsau.“

Interview: Udo RaafUdo Raaf hat vor der Gründung der Online-Musikplattform Tonspion.de – dessen Herausgeber undleitender Redakteur er ist - als Musiker in verschiedenen Bands gespielt, als freier Autor überMusik geschrieben, sowie in den TV-Redaktionen der Harald-Schmidt-Show und der Wochenshow(Brainpool) gearbeitet. Tonspion.de war einer der Nominierten für den Grimme Online Award 2005.

Foto: Tonspion.de

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Interview

Eure Online-Musikplattform nennt sich„Tonspion“. Was spioniert ihr aus und vorallem für wen?

Udo Raaf: Wir durchforschen das Netznach guter Musik im MP3 Format, kostenlosund legal für alle.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, ton-spion.de zu gründen?

Udo Raaf: Ich habe Ende der 90er einfachnach einem Angebot gesucht, dass mir guteMP3s serviert, weil ich es sensationell fand,dass man sich Musik im CD-Formatplötzlich direkt auf die Festplatte ziehenkann. Aber die Qualität der Musik warmeistens grauenhaft. Die meisten Anbieterhaben nur so einen technischen Ansatzgehabt oder nur irgendwelche Amateurbandsangeboten. Dann hab ich einfach selbst soeine Seite ins Netz gestellt, am Anfang mitnur 10 MP3 Tipps... inzwischen sind esviele tausend geworden. Und täglich kom-men neue dazu.

Reden wir über Zahlen. Wie vieleMenschen besuchen eure Seite täglich?Wie viele Nutzer/innen loggen sich täglichbei euch ein?

Udo Raaf: Derzeit besuchen rund 25 000Musikfans täglich den Tonspion, um sichüber neue MP3s oder auch News zum

Thema Musik im Internet zu informieren.

Welchen Vorteil bietet ihr regristriertenUserInnen?

Udo Raaf: Registrierte User können ihreeigenen MP3-Tipps im Tonspion veröffent-lichen, eigene "MP3 Mixtapes" zusammen-stellen und selbstgestaltete CD-Coverausdrucken. Außerdem können sich Nutzermit ähnlichem Musikgeschmack suchenund finden und dann austauschen. Aller-dings steht das bei uns nicht ganz so imVordergrund, wie die Musik.

Was bietet tonspion.de noch an?

Udo Raaf: Neben Downloads und Newsgibt es auch die Möglichkeit, über unserenMP3 Shop komplette Alben zu fairenPreisen zu kaufen. Und zwar ohne Kopier-schutz und sonstige Einschränkungen. Undunser Forum freut sich immer über Linkszu empfehlenswerten MP3 Downloads, dabekommen wir oft die besten Tipps. Dennbei dem riesigen Angebot im Netz, kannman auch mit einer großen Redaktion nichtimmer den Überblick behalten. Deshalbzählen wir da auf die Bereitschaft unsererNutzer, Information mit anderen zu teilen.

Wie finanziert ihr euch bzw. welchesAngebot ist eure Haupteinnahmequelle?

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Udo Raaf: Wie alle kostenlosen Angebotemüssen wir uns über Werbung finanzieren.Das funktioniert inzwischen ganz gut, weilsich der Markt nach dem großen Dot-com-Crash erholt hat. Auch die Motive sindinzwischen weniger nervig als früher. Inhalt-lich sind wir aber vollkommen unabhängig,weil die Vermarktung durch eine Agenturgemacht wird, die sich nicht in unsere re-daktionelle Arbeit einmischt. Werbung undInhalt bleiben also klar getrennt.

In eurem MP3 Shop kostet ein Song 0,89cent. Somit billiger als iTunes. Wie großist euer Katalog und wie schafft ihr es, soeinen günstigen Preis anzubieten?

Udo Raaf: Die Preise variieren, weil jedesLabel selbst bestimmt, wieviel die Songskosten. Komplette Alben sind dabei fastimmer viel günstiger als einzelne Songs.Mitunter kostet ein Song so umgerechnetoft nur 50 Cent. Leider ist es schwer, so einAngebot neben den Riesen iTunes oderMusicload durchzusetzen.

Da wir nur Labels im Angebot haben, dieauf Digital Rights Management – alsoKopierschutz – verzich-ten, können wirleider nicht alles anbieten, sondern nurMusik von Independentlabels. Aber dieLeute wollen halt doch immer gerne dasgroße komplette Angebot, dazu gehöre icheigentlich auch. Da ist das letzte Wort aber

auch noch nicht gesprochen. Ich finde nochkeinen der Downloadshops ansatzweisebefriedigend.

Eine Frage steht oft im Raum: Warumbieten KünstlerInnen gratis MP3s an.Somit bekommen sie weniger Geld, oder?

Udo Raaf: Quatsch, die Behauptung, dassjeder Download auch gekauft worden wäre,ist wohl eher ein Wunschtraum. Manbraucht immer kostenlose Angebote, umdie Leute überhaupt mit neuen Künstlernvertraut zu machen. Früher hat das dasRadio oder das Musikfernsehen erledigt,heute informiert man sich über Musik –vor allem abseits von Mainstream undCharts – am besten im Internet. Wenn mandann zu den Konzerten der Künstler gehtoder auch die Alben holt, dann verdienendie Künstler durch kostenlose Downloadsam Ende mehr und nicht weniger.

Wie betrachtet euch die große Musik-industrie?

Udo Raaf: Die „große Musikindustrie“ istzwar ein Lieblingsfeindbild, gibt's aber inWirklichkeit natürlich so nicht. Es sind jaam Ende alles nur Menschen, die da ihrenJob machen. Wir arbeiten hier in Deutsch-land auch mit einigen Majorlabels sehr gutzusammen, wobei es da aber meistens schonklare Anweisungen „von oben“ – also

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meistens aus den USA - gibt, keine kosten-losen Downloads im MP3 Format zuveröffentlichen. Was für Megaseller dannso auch stimmen mag, wird trotzdem immerwieder von den Künstlern selbst durch-brochen. Wir haben auch immer wiederSongs von Madonna oder Robbie Williamsund Co. im Angebot. Man kann da alsonicht immer verallgemeinern. Inzwischenwerden wir aber als eigenständige Stimmeim Internet respektiert und werden auchbemustert. Viele Branchen-Insider nutzenden Tonspion auch als Informationsquelle,für viele ist das Thema ja auch noch relativneu. Dass wir eher mit Indiefirmen zusam-menarbeiten, liegt in der Natur der Sache.Charthits zu verschenken macht nun wirk-lich keinen Sinn. Bei uns geht es immerwieder darum, neue Sachen zu entdecken.Darin liegt auch der Reiz. Hits abnudelnkann jeder.

In Amerika dienen Podcast dazu, Indie-Musik zu promoten. Wie beurteilst dudie Entwicklung von Podcasts in Deutsch-land?

Udo Raaf: Podcasts sind eher ein Nischen-phänomen derzeit. Zwar können großeSender ihre Programme nun auch zeit- undortsunabhängig als Podcast anbieten, dochGeld lässt sich damit momentan nichtverdienen, weil es keine entsprechendenWerbeformen gibt. Insofern sind Podcasts

derzeit eher ein zeitintensives und teuresHobby, wenn man kein öffentlich-recht-licher Sender ist. Man muss neuen Ent-wicklungen im Internet einfach auch malZeit geben und darf nicht immer gleich vonWundern oder Revolutionen ausgehen. DerHype ums Podcasting war der Sache leidernicht unbedingt zuträglich. Uns wurdenfast täglich Podcasts von Markenartiklernangeboten, die dachten, es sei cool, versteckteWerbung über einen schicken Podcast zuverschicken. Find ich nicht!

Wie steht ihr zum aktuellen Urheberrecht?Würdet ihr euch Veränderungen wün-schen? Welche?

Udo Raaf: Das Urheberrecht ist schon eineganz grundlegende Sache für die Kreativen.Aber im Internet ist es eigentlich in derbisherigen Form nicht mehr durchzusetzen– es wird massenhaft gebrochen, kaum einkostenloser Download oder Film ist wirklichlegal im Netz. Zudem behindert das bis-herige Urheberrecht die Kreativität mehr,als dass es sie unterstützt. Deshalb brauchtes einen ganz neuen Umgang mit demUrheberrecht, der auch im Internet sinnvollist für alle Beteiligten. Creative Commonssind da zum Beispiel ein Ansatz, allerdingsfehlt damit leider noch die Möglichkeit fürdie Urheber, den gerechten Lohn für ihreArbeit zu bekommen. Es ist noch ein weiterWeg...

Interview

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Haben Creative Commons Lizenzen Aus-wirkungen auf deine Arbeit?

Udo Raaf: Nein, derzeit leider noch nicht,weil sie zu wenig verbreitet sind und auchnoch nicht wirklich reif sind, dass sie auchfür große Labels attraktiv werden, damit essich durchsetzen kann. Für uns und alleanderen wird das erst dann interessant, wennes auch interessante Inhalte, also Musik vonvielen guten Künstlern unter solchen Li-zenzen gibt. Für kommerzielle Zwecke, alsowenn ein Künstler auch von seiner Arbeitleben möchte, sind diese Lizenzen aber nichtwirklich geeignet in der jetzigen Form.

Wie stehst du zu Kultur-Flatrate-Modellen,wie sie in Fankreich von KünstlerInnen-plattformen gefordert werden?

Udo Raaf: Prinzipiell halte ich das langfristigfür die einzige Möglichkeit, wie man dasMusikgeschäft im Netz massiv ankurbelnkann und den Musikkäufern durch niedrigeFlatrates das Downloaden von Musik – woauch immer – vereinfacht. Die bisherigenModelle sind zu kompliziert, zu teuer undzu wenige profitieren davon. Jeder hörtMusik und jeder, der Musik liebt oderzumindest respektiert, wird bereit sein, dafüreinen gewissen Beitrag zu bezahlen, wenner dann nicht mehr behelligt wird durchDrohungen oder Kopierschutz-Systeme.Davon bin ich überzeugt.

Aber die Majors sind leider noch nicht bereitdazu, ihr Tonträger-Geschäft aufzugeben.Denn das wäre wohl das Ende der CD.Deshalb wird wohl weiterhin versucht,Downloads möglichst unattraktiv zu machen.Meinem Eindruck nach wird dieses Themanoch nicht einmal ansatzweise ernsthaftdiskutiert in der Branche, obwohl es umihre Zukunft geht. Das hätte aber natürlichdrastische Konsequenzen auf das Urheber-recht in seiner jetzigen Form und auch daist leider kaum Bewegung drin oder dieBereitschaft, überhaupt etwas zu ändern.Die jetzigen Großverdiener werden das zuverhindern wissen und haben – leider –auch die mächtigste Lobby.

In welchem Verhältnis steht ihr zu Net-labels, also Labels, die nur im Internetveröffentlichen? Wieviele habt ihr gelistet?Wie beurteilt ihr deren Potential?

Udo Raaf: Es gibt einige musikalischherausragende Netlabels, die wir auch bereitsim Tonspion vorgestellt haben. Aber dasPotenzial würde ich eher vorsichtig bewerten:Wo kein Geschäftsmodell ist, da gibt esauch kein Geschäft. Wir werden von keinemeinzigen Netlabel bemustert, es gibt dakeinen Ansprechpartner, der versucht, seineKünstler bei uns zu platzieren. Ganz andersverhält sich das bei den „normalen“ Labels,die dafür Leute eingestellt haben und ständigversuchen, neue Künstler bei uns zu platz-

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

ieren. Die Konkurrenz im Musikmarkt istriesig. Man kann Musik nicht nur veröffent-lichen, sondern muss auch mit der Musikarbeiten, damit sie einen größeren Kreis vonLeuten erreichen kann. Ansonsten bleibtman eben unter sich, und das hat ja auchwas Schönes, ist aber eben nur ein Hobby.Es bleibt aber die Gefahr, dass die wichtig-sten Protagonisten der Szene irgendwannkeine Lust mehr haben und halt auch ganzeinfach Geld verdienen müssen durch andereJobs. Jeder muss Miete und Essen zahlenoder irgendwann eine Familie ernähren.

Im Bereich Musik im Internet gibt esimmer mehr Vorschlagssysteme (alsoProgramme, die zum Beispiel über Aus-wertung einer Musikbibliothek dazu-passende Titel empfehlen), wie zumBeispiel Pandora.com. Beteiligt ihr euchauch an einem dieser Projekte?

Udo Raaf: Pandora ist eine geniale Plattform,die ich selbst sehr gern benutze. Tonspionhat ein anderes Konzept, das auch funkt-ioniert, ist aber mehr Magazin als Radio.Ich glaube an die Vielstimmigkeit und dasNebeneinander verschiedener Anbieter undnicht an die eierlegende Wollmilchsau.Überzogene Hypes wie sie derzeit umMySpace gemacht werden, halte ich dagegenfür gefährlich, weil dieser Hype suggeriert,die wären die einzigen, die im Netz wasreißen würden. Das ist aber ein Trugschluss,

nur heiße Luft. Es gibt viel interessantereAnbieter als MySpace. Und es gibt vieledavon. Das ist das Gute im Internet. Undum das zu dokumentieren, haben wir nununsere zweite Website Netselektor.de insNetz gestellt, mit der wir diesen Anbieternneben dem Mainstream eine Plattformgeben wollen. Übrigens nicht nur zumThema Musik.

Welche Motivation treibt euch jeden Tagan?

Udo Raaf: Die Freiheit, vorstellen zukönnen, was uns gefällt und dass unserAngebot, so wie es ist, dankbar angenommenwird, ist Motivation genug. Wir haben auchnicht den Anspruch, alles vorzustellen,sondern wirklich nur das, was wir bemerkens-wert finden. Denn das ist tatsächlich auchein Nachteil des Internet: es gibt einfach zuviel von allem. Das gilt vor allem für Musik.

Interview

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PROJEKT: Linz 2009 Commons

Jänner 2010. Das Kulturhauptstadtjahr ist vorbei. Was bleibt Linz vom Kulturhauptstadt-jahr? Zumindest ein digitales Archiv aller kulturellen Ereignisse in Linz. Für alle freizugänglich und verwertbar, wird das digitale Kulturarchiv zur digitalen Kulturallmende.

Das Kulturhautptstadtjahr ist ein besonderes Ereignis für Linz. Opern, Theater, Konzerte,Installationen im öffentlichen Raum – 2009 wird sich Linz von seiner kulturell vielseitigstenSeite zeigen. So wird es für Gäste, wie für Linzer/innen, unmöglich sein, alle Veranstaltungenzu besuchen. Aus zeitlichen, vielleicht aber auch aus finanziellen Gründen. Interessiertewollen auf Audio-, Video- oder Fotodaten der Veranstaltungen zugreifen? Kein Problem.Linz bietet über eine Homepage ein riesiges Archiv aller im Kulturstadtjahr geschaffenenWerke an. Zum Download. Kostenlos. Nicht nur Linzer/innen würden profitieren. Menschenaus der ganzen Welt bekommen so einen Einblick in die Kulturhauptstadt Linz, Anregungenund Material für weitere Arbeit.

Die Werke werden unter eine Creative Commons Lizenz gestellt. Bei der Wahl derLizenen sollten die Künstler/innen die Möglichkeit haben, aus dem Pool der Lizenzenauszuwählen. Jedenfalls aber soll sämtliches, dokumentatives Material rund um die Linz09-Projekte unter möglichst freien Creative Commons-Lizenzen zugänglich gemacht werden:Es ist das ein Bekenntnis der Europäischen Kulturhauptstadt Linz zu einem möglichst freizugänglichen Gemeingut Kultur.

Sollten die Verhandlungen mit der AKM und den KünstlerInnen zur Veröffentlichungvon Werken unter Creative Commons-Lizenzen scheitern, könnte das Archiv zumindestüber Streaming-Angebote zugänglich gemacht werden. Streaming ist mit den Richtliniender AKM absolut vereinbar, der zu zahlende Betrag ist Verhandlungssache.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

ProjekteProjektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

Die geschaffenen Werke des Kulturhauptstadtjahrs sollen in einem digitalenInternetarchiv gespeichert und zum kostenlosen Download zur Verfügung stehen

- Ein benutzerInnenfreundliches Internetarchiv.- Verhandlungen mit KünslterInnen, ihre Arbeiten unter Creative Commons zuveröffentlichen

- Verhandlungen mit AKM/AUME, um etwaige Lizenzkonflikte zu vermeiden.- Serverkapazität. Ein frei zugängliches Archiv hat einen hohen Traffic undbenötigt große Speicherkapazitäten

- Besucher/innen der Kulturhauptstadt.- Linzer/innen- Kulturinteressierte aus der ganzen Welt, die nicht die Möglichkeit haben, dieKulturhauptstadt zu besuchen

Stadt Linz in Zusammenarbeit mit dem Ars Electronica Center

- Künstler/innen- Stadt Linz- Ars Electronica Center- Kulturhauptstadt 2009

Vorlaufzeit bis zum Start zu Jahresbeginn 2009 ca. 1 Jahr; danach Dauerbetriebbzw. laufende Erweiterung

- Aufbau und Wartung der Infrastruktur- Füllung des Archivs, Koordination mit den KünstlerInnen

PROJEKTSKIZZE:Linz 2009 Commons

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PROJEKT: Förderung der Linzer Creative Commons Kultur

Die Creative Commons-Initiative hat 2004 den „Golden Nica Net Vision“-Preis beimPrix Ars Electronica gewonnen. Prämiert wurde dabei ganz klar das kreative Potential derIdee – die Vision eben – denn im Alltag der großen Mehrheit der Kulturschaffenden spielenCreative Commons-Lizenzen immer noch eine untergeordnete Rolle. Höchste Zeit also,Creative Commons als Konzept zur Förderung und Sicherung kultureller Freiheit sichtbarerzu machen. Konkret geht es darum, von Seite der Stadt Linz öffentliche (auch: finanzielle)Anreize zu schaffen, Werke verschiedenster Art mit Hilfe von Creative Commons-Lizenzender „kreativen Allmende“ zugänglich und nutzbar zu machen.

Schon decken die Förderkriterien der Stadt Linz verschiedene Bereiche ab und fordernbeispielsweise neben Linz-Bezug, Professionalität und Wirtschaftlichkeit auch Faktorenwie die Sicherstellung der Parität der Fördermittel für Frauen und Männer sowie dieÜberprüfung von Notwendigkeit, Angemessenheit und Subsidiarität.92

Die Frage der Lizenz, unter der städtisch geförderte Werke letztlich veröffentlich werden,sollte so schnell wie möglich Teil dieses Förderkriterienkatalogs werden. Insbesondere beiWerken, die zum größten Teil aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, sollte mit derVergabe der Gelder auch gleichzeitig der Zugriff anderer KünstlerInnen und der nicht-kommerziell interessierten Öffentlichkeit gesichert werden.

So sollte in Hinkunft prinzipiell die Verwendung von Creative Commons-Lizenzen fürdie Zuerkennung öffentlicher Fördermittel vorgesehen werden – natürlich mit der Möglichkeitaus individuellen Gründen auch davon abzusehen. In Bereichen, wo die Verwendung vonCreative Commons-Lizenzen mit finanziellen Einbußen für die Künstler/innen verbundenwäre, sollte je nach Freiheitsgrad der gewählten Lizenzform eine Zusatzförderung für dieWahl freier Lizenzmodelle gewährt werden.

Klarerweise sollte sich diese Förderung freier Lizenzen nicht auf Creative Commons-Lizenzen beschränken, sondern auf sämtliche vergleichbaren Lizenztypen (wie beispielsweisedie GNU Free Documentation License) genauso angewendet werden.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Projekte

Aufbau und kontinuierliche Vergrößerung einer „kreativen Allmende“ mit freizugänglichen und frei (weiter-) nutzbaren Werken von Linzer Kunst- undKulturschaffenden

- Reform bzw. Erweiterung der städtischen Kulturförderkritieren in Zusammenarbeitmit dem Kulturbeirat

- Informationsoffensive zu Creative Commons für Linzer Kulturschaffende

Potentielle KulturförderungsempfängerInnen in Linz

Stadt Linz

- KünstlerInnen- Stadt Linz

Mit Beginn des nächsten Kulturförderzyklus für das Jahr 2008

Zusatzmittel für Sonderförderung von einkommensrelevanten Creative Commons-Lizenzierungen

Projektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

PROJEKTSKIZZE:Förderung der Linzer Creative Commons Kultur

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07 | FREIHEIT DER KUNST DURCH FREIE WERKE

PROJEKT: Linz Public Culture Server

Der Berliner Open-Source-Vordenker Volker Grassmuck nennt drei grundlegendeBausteine der digitalen Revolution: Die Universalmaschine Computer. Das Internet, dasunzählige Computer miteinander verbindet. Und schließlich der Speicher im Netz, dersicherstellt, dass die am Computer geschaffenen und über das Internet ausgetauschtenWerke sich nicht einfach verflüchtigen sondern dauerhaft zur Verfügung stehen – dieVoraussetzung dafür, auf der Arbeit anderer auf- und weiterzubauen.

Dieser öffentliche Speicherplatz ist auch Grundvoraussetzung für zahlreiche künstlerischeAktivitäten im Netz: Netlabels, Podcaster/innen und Videokünstler/innen brauchen aufGrund der von ihnen angebotenen Daten – speicherfressende Musik- und Videodateien -sogar besonders viel davon. Wobei weniger der Platz als vielmehr der Traffic – dasHerunterladen großer Datenmengen – die Kosten schnell in lichte Höhen steigen lassenkann.

Die derzeit im Internet verfügbaren Angebote für billigen oder sogar kostenlosenSpeicherplatz sind wiederum mit zahlreichen Nachteilen verbunden: Oft verlieren dieKulturschaffenden dabei Nutzungsrechte, müssen Werbung auf ihren Seiten dulden undhaben keinerlei Sicherheit oder Kontrolle darüber, dass ihre Daten (zum Beispiel im Falledes Konkurses des/der Anbieters/Anbieterin) auch morgen noch verfügbar sein werden.

Wie an anderer Stelle in diesem Band bereits für den Bereich kritischer (Internet-)Medienöffentlichkeit gefordert, wäre ein öffentlich gewarteter Public Space Server alsInfrastrukturförderung für Linzer Kulturinitiativen eine Möglichkeit, hier mit wenigAufwand große Möglichkeitsräume zu erschließen.

Während es gerade für im Internet tätige Künstler/innen oder Kulturschaffende prinzipiellgleichgültig ist, wo sie in der realen Welt tätig sind, könnten sie mit dem Angebot einesLinz Open Culture Servers nach Linz geholt oder hier gehalten werden, um die urbaneSzene zu beleben.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Linz Public Culture ServerPROJEKTSKIZZE:

Projektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

Projekte

- Bereitstellung digital-öffentlicher Räume für Linzer Kulturschaffende- Förderung der Linzer (Online-) Kulturszene

- Einrichtung/Anmietung von Serverkapazitäten- Möglichkeit der Freischaltung für Linzer Kulturinitiativen

Linzer Kunst- und Kulturschaffende

Stadt Linz

- Stadt Linz- Linzer Kunst- und Kulturschaffende

Start noch im Jahr 2007

Kosten für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur sowie die Administrationder Webspace-Zuteilung

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08 | DIGITALE FREIHEIT FÜR FORSCHUNG UND FORSCHER/INNEN

“Wenn ich weiter als andere gesehen habe, dann nur deshalb,

weil ich auf den Schultern von Riesen stand.”

(Isaac Newton, ursprünglich Didacus Stella)

244

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

DIGITALE FREIHEITFÜR FORSCHUNG UNDFORSCHER/INNEN

DIGITALE FREIHEITFÜR FORSCHUNG UNDFORSCHER/INNEN

Michaela Mader und Bettina Langeder

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08 | DIGITALE FREIHEIT FÜR FORSCHUNG UND FORSCHER/INNEN

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Open Access macht wissenschaftliche Publikationen frei verfügbar.Und Wissenschaft besser.

Eine Studentin, die vor 20 Jahren ihre Diplomarbeit an der Linzer Universität geschriebenhat, fand eine sehr überschaubare Infrastruktur vor. Eine Bibliothek mit schon damalsnicht sehr aktuellem Bestand und die dazugehörigen Karteikarten. Sie verwendete einegeraume Menge ihrer Zeit darauf, sich einen Überblick über die brauchbare Literatur zuihrem Thema zu verschaffen. Neben Büchern konnte sie auch die Jahrgänge der einen oderanderen Zeitschrift Stück für Stück durchforsten. Stellte sie auf eine bislang unbekannteWeise fest, dass in anderen Bibliotheken – beispielsweise in Wien oder auch im nahenAusland – relevante Zeitschriften und Bücher geführt werden, konnte sie sich über Fernleiheeine Kopie gegen Entgelt bestellen. Die Verarbeitung der Literaturquellen und die Erstellungder Arbeit erfolgte dann mittels einer Schreibmaschine – die Auswertung empirischerForschungsergebnisse und die Einbettung von Grafiken machten größte Mühe. AlsAusgangslage für die wissenschaftliche Arbeit standen ihr weder die globale Fülle an Wissennoch der tatsächliche „State of the Art“ der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung.Ihre Arbeit baute auf Quellen auf, die lokal verfügbar waren, determiniert von der Einkaufs-politik der Linzer Uni-Bibliothek.

Die Fähigkeit, schnell und flexibel auf veränderte Rahmenbedingungen zu reagieren, istaber inzwischen längst nicht nur in der Wirtschaft notwendig, sondern ist auch Alltag undAnforderung moderner Wissenschaft. Der Trend zur Internationalisierung von Forschungund Wissenschaft ermöglicht und verlangt einen zeit- und ortsunabhängigen Zugriff aufwissenschaftliche Forschungsmaterialen und Publikationen. Innerhalb kürzester Zeit werdenüber das Internet meist mit sehr geringem Aufwand wissenschaftliche Arbeiten einerweltweiten Leser/innenschaft zugänglich gemacht. Dabei ist es nicht notwendig, das Radneu zu erfinden, sondern vielmehr knüpft die Gewinnung neuer Erkenntnisse an bereitsBestehendes an und entwickelt es weiter. Das Internet eröffnet hierbei ganz neue Wege,die die Forschung zweifellos effizienter und effektiver agieren lässt.

Im Jahr 2006 steht der Diplomandin an der Linzer Universität dementsprechend eineSuchmaschine im Internet zur Verfügung, mit der nicht nur Werke der Linzer Bibliotheksondern aller österreichischen Bibliotheken gefunden werden können. Zusätzlich kann siemittels CD-ROM und weiterer Suchmaschinen in beinahe allen Zeitschriften dieser Weltsuchen und Abstracts – also kurze Inhaltsangaben - dieser Artikel abrufen. Sobald ihr diegenaue Quellenangabe bekannt ist, macht sie sich auf die Suche nach der Vollversion des

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Artikels. Und obwohl das Internet den Zugang zu wissenschaftlichen Arbeiten einfacher,schneller und damit effizienter macht, fühlt sie sich bei der Frage nach der Vollversion desgewünschten Artikels doch wieder einige Jahre zurückversetzt. Denn wenn diese Zeitschriftnicht in der heimischen Bibliothek geführt wird, bleibt ihr meistens noch die Möglichkeiteine elektronische Version des Artikels gegen (empfindliches) Entgelt zu bestellen oder umden gleichen Preis herunterzuladen. Die Preise für einzelne Ausgaben von Journalen sinddabei –trotz günstiger Online-Vertriebswege sogar steil angestiegen. Warum aber stehender Studentin die wissenschaftlichen Werke und Forschungsergebnisse nicht online undvor allem unentgeltlich zur Verfügung?

Um darauf eine Antwort zu finden, muss man einen Blick auf die Praxis des wissenschaft-lichen Publizierens werfen. Will eine junge Wissenschaftlerin einen Artikel in eineranerkannten Fachzeitschrift veröffentlichen, muss dieser erst einmal einem „Peer Review“standhalten. Die Überprüfung des Fachbeitrags auf seine wissenschaftliche Qualität undhinsichtlich potenzieller Plagiate wird von gleichgestellten Fachleuten – den sogenanntenPeers – geleistet. Etablierte Fachzeitschriften haben einen Pool an renommierten Gutach-ter/innen, die alle selbst im jeweiligen Fachgebiet wissenschaftlich tätig sind. Kritiker/innenbemängeln an diesem System, dass Gutachter/innen sich regelmäßig gegenseitig begutachtenund es so kritische und neue Beiträge schwerer, etablierte Autor/innen umso leichter haben.Da es sich bei den meisten Gutachten um Einzelstückbegutachtungen handelt, ist es beinaheunmöglich, tatsächliche Fälschungen aufzudecken. Durch die Einzelstückbegutachtungenwerden vielmehr Redundanzen gefördert und idente Visualisierungen nicht erkannt. Nichtzuletzt durch Plagiatsskandale und innovationsfeindliche Tendenzen ist in jüngerer Zeitdas Vertrauen in das Peer-Review-System stark gesunken.

Da Bekanntes meist gefördert und Unbekanntes behindert wird, muss die junge Autorinwohl mit einem bedeutenden und beliebten Thema aufwarten, denn solchen Fragestellungenwerden bessere Chancen bei der Begutachtung eingeräumt. Das Gutachter/innensystementscheidet oft über wissenschaftliche Karrieren, die finanzielle Mittelverteilung und dieAuswahl von PreisträgerInnen. Die Intention der AutorInnen liegt meist darin, dass diePublikation an einem möglichst angesehenen Ort veröffentlicht wird, um Forschungsgelderzu sichern. Der Kampf um Forschungsmittel ist für den/die einzelne/n Forscher/in in derRegel gleichbedeutend mit dem Kampf um die Veröffentlichung des eigenen Artikels inder besten Fachzeitschrift.

Thema

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08 | DIGITALE FREIHEIT FÜR FORSCHUNG UND FORSCHER/INNEN

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Kreisläufe der Forschungsfinanzierung

Ein Blick auf die Forschungsfinanzierung in Österreich und den meisten Ländern derErde zeigt denn auch, dass öffentliche Gelder am Anfang und am Ende des Forschungspro-zesses stehen. Die meisten Forscherinnen und Forscher sind als Arbeitnehmer/innen beistaatlichen Institutionen wie beispielsweise Universitäten oder in – meist öffentlichfinanzierten – außeruniversitären Forschungszentren angestellt. Auch wenn ihre Gehälterzum größten Teil aus öffentlichen Mitteln bezahlt werden, sind die Forschungsergebnissejedoch geistiges Eigentum dieser Personen und werden von ihnen auch in Form vonPublikationen verwertet. Erscheint nun die Fachzeitschrift mit dem publizierten Artikel,so werden von den öffentlich finanzierten Bibliotheken der Universitäten und Forschungs-einrichtungen die publizierten Forschungsergebnisse quasi „zurückgekauft“. Angesichtsdieser paradoxen Situation über den Einsatz öffentlicher Mittel zur Unterstützung vonWissenschaft und Forschung ist die Kernfrage zulässig, wie sie die deutsche Forscherin undHerausgeberin eines sozialwissenschaftlichen Open-Access-Journals, Katja Mruck formuliert.Sie stellt die Frage, „ob wissenschaftliche Informationen und Wissen als in der Regel durchöffentliche Mittel subventionierte Ergebnisse der Wissensproduktion und daher alsGemeinschaftsgut – ähnlich wie Gesetze und Urteile – für alle Interessierten ohneNutzungsentgelte zugänglich sein sollten.“ Salopp formuliert: Warum zweimal bezahlen?Die Kosten des angesprochenen Review-Prozesses alleine können die teuren Preise geradeder etablierten Wissenschaftsjournale jedenfalls nicht rechtfertigen – sind die Reviewer/innenin der Regel doch ebenfalls öffentlich Bedienstete, die außerdem für ihre ExpertInnengutachtenkein Geld bekommen.

Gerade im globalen Maßstab ist die Versorgung mit Informationen asymmetrisch, Wissenist ungleich verteilt. Die Studentin in Österreich findet wesentlich bessere Voraussetzungenfür ihre Diplomarbeit vor, als eine Studentin in Uganda. Die Linzer Universitätsbibliothekkann sich – trotz verminderter Anschaffungsquoten in den letzten Jahren – mehr, teurereund inhaltlich relevantere Zeitschriften leisten als die große Mehrheit der Bibliotheken inEntwicklungs- oder Schwellenländern. Wer Zugang zu modernen Kommunikationstechnikenhat, hat bessere soziale, wirtschaftliche und eben auch wissenschaftliche Entwicklungschancen.Der ungleich verteilte Zugang zum Internet und anderen digitalen Informationstechniken,der unter anderem stark von sozialen Faktoren abhängt, zeigt auch im Wissenschaftsbereichseine Auswirkungen. Ärmere Länder müssen Bibliotheken erhalten, deren Finanzierungsie grundlegend überfordert. Und das, obwohl es gerade dank des Internets eigentlich nurnoch notwendig wäre, den Internetanschluss zu finanzieren, um Universitäten an den

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

aktuellsten Forschungsdiskurs anzubinden. Von den weltweit rund 24.000 existierendenwissenschaftlichen Zeitschriften, in denen Forscher/innen ihre Ergebnisse veröffentlichen,können die meisten Bibliotheken nur einen geringen Anteil in ihrem Bestand halten. Durchimmer weiter steigende Preise gerade der „wichtigsten“ Zeitschriften ist es aber auch denBibliotheken und Forschungseinrichtungen in Industrieländern mit vorgegebenen Biblio-theksbudgets unmöglich, die Anzahl der abonnierten Journale und damit die wissenschaftlicheVielfalt auch nur konstant zu halten.

Globale Wissenschaft – globaler Zugang?

Dass im dritten Jahrtausend trotz mächtiger Technologien eine derartige Asymmetrie inder Informationsversorgung besteht und für viele kaum überwindbare Barrieren den Zugangzu Wissen versperren, sorgt allerdings gerade unter den Wissenschaftler/innen selbst fürsteigenden Unmut. Gerade die paradoxe Entwicklung, dass in den letzten Jahren trotzgünstigerer und einfacherer Verbreitungsmöglichkeiten über das Internet, die Anzahl derJournale und ihre Verfügbarkeit in den lokalen Bibliotheken zurückging, ließ eine Reihean Initiativen entstehen. Im Jahr 2001 bekannten sich mit der Budapest Open AccessInitiative93 (BOAI) erstmals offiziell Wissenschaftler/innen zu einem gewagten Ziel. Sieverabschiedeten eine Deklaration zu „Open Access“ („freier Zugang“), die fordert, dasswissenschaftliche Literatur kostenfrei und öffentlich im Internet zugänglich sein sollte.Interessierte sollen die Volltexte lesen, herunterladen, kopieren, verteilen, drucken, in ihnensuchen, auf sie verweisen und sie auch sonst auf jede denkbare legale Weise benutzenkönnen. Dabei sollten die Benutzer/innen mit keinen finanziellen, gesetzlichen odertechnischen Barrieren jenseits von denen, die mit dem Internet-Zugang selbst verbundensind, konfrontiert werden. In allen Fragen des Wiederabdrucks und der Verteilung, undin allen Fragen des Copyrights überhaupt, sollte die einzige Einschränkung darin bestehen,den jeweiligen Autorinnen und Autoren die Kontrolle über ihre Arbeit zu belassen undderen Recht zu sichern, dass ihre Arbeit angemessen anerkannt und zitiert wird. Mit dieserDeklaration war die Open Access-Bewegung geboren, die seither einerseits um denkostenfreien Zugang zu elektronischen Publikationen via Internet und andererseits um dieuneingeschränkte Nutzung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse - frei von Lizenzbe-schränkungen, die den wissenschaftlichen Austausch auf vielfältige Weise behindern –kämpft.

In Übereinstimmung mit den Zielen der BOAI, der ECHO-Charta und der Bethesda-Erklärung (Bethesda Statement on Open Access Publishing) schlossen sich 2003 zahlreiche

Thema

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08 | DIGITALE FREIHEIT FÜR FORSCHUNG UND FORSCHER/INNEN

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deutsche Forscher/innen in einer Berliner Erklärung diesen Forderungen an. Auch ihreIntention ist, das Internet als Instrument für eine globale Basis wissenschaftlicher Kenntnisseund geistiger Reflexion zu nutzen. Daraus leiten die Unterzeichner/innen Maßnahmen ab,die von PolitikerInnen, Forschungsorganisationen, Förderinstitutionen, Bibliotheken,Archiven und Museen umgesetzt werden sollen. Die Inhalte von Open Access Systemensowie der Zugang und Verwendung publizierter Artikel ist wesentlich weiter gefasst, alses von den Budapester PionierInnen formuliert worden war. Der freie Zugang „solle nebenden neuesten Resultaten der Wissenschaft auch dem gesamten „kulturellen Erbe“ gewährtwerden. Neben dem Recht des freien Zugangs müsse dazu auch das Recht gehören, fremdePublikationen zur Grundlage weiterer Bearbeitung machen zu dürfen.“94

Insgesamt haben schon mehr als 180 etablierte Forschungseinrichtungen und Wissen-schaftsorganisationen die Erklärung unterzeichnet95 - unter ihnen die ÖsterreichischeRektorenkonferenz sowie der Wissenschaftsfonds FWF. In den drei Jahren seit derVerabschiedung der Berliner Erklärung operieren bereits zahlreiche Fachzeitschriften undWissenschaftsserver unterschiedlichster Disziplinen auf Basis von Open Access im Internet.Das wichtigste Verzeichnis von Open Access Zeitschriften www.doaj.org wies im August2006 insgesamt 2.340 zugängliche Journale mit insgesamt 105.494 Fachbeiträgen auf.Dennoch kann noch lange nicht von einem Durchbruch gesprochen werden. Wie man inder Graphik deutlich erkennen kann, wird der Großteil an Fachbeiträgen noch immer aufkonventionellem Weg – also als kostenpflichtige Printversion - publiziert. Die geringeAnzahl an Veröffentlichungen in frei zugänglichen Datenbanken und in elektronischenJournalen weist unter anderem ein Gefälle zwischen Naturwissenschaften, mit den meistenOpen Access-Publikationen, und den Geisteswissenschaften, mit einem sehr geringen Anteil,auf.

Das britische Verlagshaus BioMedCentral (BMC)96 mit etwa 140 E-Journalen zählt zuden größten Anbietern. German Medical Science97 und Digital Peer Publishing (DPP)NRW98 gehören zu den wichtigsten deutschen Verlagen. Anfangs war es für die einigenwenigen AutorInnen, die ihre Artikel nicht nur auf konventionellem Wege publizierenwollten, kaum möglich, sich gegen „ihre“ Verlage durchzusetzen. Die Verträge mit demVerlag erlaubten es ihnen schlicht und einfach nicht, den Artikel zumindest zusätzlichonline und unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Mittlerweile erlauben aber immer mehrinternational tätige Verlage die Zweitpublikation der Fachbeiträge in Open Access-Zeitschriften, die Konditionen variieren aber stark von Verlag zu Verlag und von Land zuLand.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

„Grüne“ und „Goldene“ Wege zu Open Access

Um hier einen akzeptablen Weg sowohl für AutorInnen als auch für Verlagshäuser zufinden, schlagen die Open Access Initiativen zwei verschiedene Publikationsarten vor, undzwar eine „grüne“ („Green Road to Open Access“) und eine „goldene“ („Golden Road toOpen Access“). Der goldene Weg zeichnet sich dadurch aus, dass die Publikation derFachbeiträge kostenlos in barrierefreien Onlinezeitschriften erfolgt. Die Auswahl der Artikelfür die Fachzeitschrift erfolgt im Wege des klasssichen Peer-Review-Verfahrens, bei demFachleute die Beiträge und deren Qualität bewerten. Die AutorInnen bzw. die Forschungs-einrichtungen zahlen – im Falle der Publikation – die Gebühren für die Durchführungdieses Verfahrens selbst. Diese Gebühren dienen dazu, die Publikationskosten zu decken.Dadurch wird eine entgeltlose Nutzung der Publikation für andere Forscher/innen undsonstige Interessierte sichergestellt. Dem gegenüber steht der grüne Weg, der eine individuelle,dezentrale Zweitveröffentlichung der Dokumente auf geeigneten Online-Plattformenvorsieht. Während also die offizielle Veröffentlichung der Werke in einer Fachzeitschrifterfolgt, werden die Forschungsergebnisse zusätzlich noch von den AutorInnen selbst (zumBeispiel auf Universitätsservern) frei zugänglich gemacht. Der grüne Weg der Publikationgewährleistet, dass jede/r auf die Forschungsergebnisse uneingeschränkt und kostenlos ohnejegliche Zensur durch ein Peer-Review-Verfahren Zugriff hat und die Publikationen ohneLizenzbeschränkungen genutzt werden dürfen.

Thema

Anteil der Veröffentlichungen in Open Access - ZeitschriftenZeitschriftenpublikationen der letzten 5 Jahre nach Wissenschaftsbereichen in %

Lebenswiss.

Naturwiss.

Geistes- u.Sozialwiss.

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keine Open Access-Publikationen

Open Access-Publikationen

Quel

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08 | DIGITALE FREIHEIT FÜR FORSCHUNG UND FORSCHER/INNEN

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Neben all den verschiedenen Verfahren und Ansätzen macht aber gerade das gemeinsamevon „grünem“ und „goldenem“ Weg deutlich, worin der Sinn aller Open Access Initiativenund Modellen liegt: Mehr Menschen sollen auf Basis – und das impliziert eben auchwechselseitige Kritik – des bestehenden wissenschaftlichen Wissens neue Erkenntnisseerzielen. Ähnlich wie die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern zu einerVerbesserung und Beschleunigung menschlicher Wissensakkumulation geführt hat, solldurch Open Access das vergleichbare Potential digitaler Verbreitungsmöglichkeiten genutztwerden.

Diesen Zweck erfüllen Open Access Journale und Archive, indem sie dem eigentlichenZiel des wissenschaftlichen Publizierens besser als herkömmliche Publikationsformen dienen.Denn der potenzielle Einfluss („Impact“) eines wissenschaftlichen Artikels drückt sich nichtin Honoraren und Verkaufszahlen aus, sondern lässt sich am besten daran festmachen, wieviele andere ForscherInnen ihn rezipieren und zitieren und so die eigene Forschung ebenan bestehende Wissensbestände andocken.99 Zumindest potentiell schwinden mit demInternet Zugangsbarrieren, steigen Karriereaussichten auch abseits gelegener Forscher/innen,können künftige Forschungsvorhaben besser positioniert werden und steigt die Forschungs-produktivität, da für mehr Forscher/innen der direkte Anschluss an relevante Forschungs-ergebnisse uneingeschränkt möglich ist. Einen Beitrag zur Erhöhung der Produktivitätkönnte auch die Größe und Vielfalt des Netzes leisten, an die Bibliotheken niemalsherankommen können.100 Die größte Barriere zur Nutzung dieser derzeit nur im Konjunktivbestehenden Potentiale stellt dabei das prä-digitale wissenschaftliche Verlagssystem dar.

Open Access vs. Digital Divide

Neben ungenutzten Möglichkeiten ist ebendieses etablierte Verlagssystem auch ein Faktor,der die ohnehin bestehenden Ungleichheiten im Zugang zu digitalen Wissensressourcen– oft als „Digital Divide“ bezeichnet – noch weiter vertieft. Kein Wunder, dass geradeForscher/innen in ärmeren Ländern besonders nachdrücklich die (barriere-) freie Publikationvon Forschungsergebnissen einfordern. Neben der Verringerung der „digitalen Kluft“ imklassischen Sinne, besitzen Open Access Initiativen auch das Potenzial, das wechselseitigeLernen zwischen „information rich“ und „information poor“ zu fördern.101 Denn sobaldeine Publikation weltweit zur Verfügung steht und nicht nur in dem Land, in dem dieZeitschrift erscheint, haben Forscher/innen aus benachteiligten Ländern, die sich keinePublikationen leisten können, Zugriff und damit auch die Möglichkeit der Kritik aus ihrerspezifischen und strukturell unterrepräsentierten Position im Wissenschaftssystem.102 Dieser

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Thema

Aspekt gilt besonders stark in den Sozial- und Geisteswissenschaften, die aber gleichzeitignoch die wenigsten frei zugänglichen Open Access-Journale aufweisen.

Daneben bieten Open Access Journale ganz praktische Vorteile gegenüber dem konven-tionellen Publizieren. Zum einen werden die Wartezeiten zwischen Manuskriptablieferungund Erscheinen der Publikation verkürzt, was besonders AutorInnen von Fachgebietenfreut, die sehr schnelllebige Themengebiete bearbeiten. Zum anderen wird es einfacherund kostengünstiger, Bilder oder multimediale Materialien in die Publikationen zuintegrieren103, genauso wie umfangreiche Anhänge. Neben der wissenschaftlichen Publikationan sich – meist in Form eines Artikels – sind auch alle qualitativen wie quantitativen Datenfür weiterführende Forschung und wissenschaftliche Qualitäts- und Plagiatskontrollerelevant. Auf jenen Materialien, die sich im Zuge der Arbeit von WissenschaftlerInnenergeben, wie beispielsweise statistische Reihen oder Forschungs- und Zwischenergebnisse– könnte in digitalen Journalen viel einfacher freier Zugriff gewährt werden. Von Relevanzsind neben den herkömmlichen „Papierergebnissen“ eben zunehmend auch Multimedia-Dateien, Videos und Fotografien. Noch Zukunftsmusik sind Überlegungen, sämtlicheMaterialen und Daten, die während eines Forschungsprozesses entstehen, in das wissen-schaftliche Erbe einzugliedern und auch den zukünftigen ForscherInnen zur Verfügungzu stellen.

Wer soll das alles bezahlen?

Der Hauptgrund, warum die neuen technischen Möglichkeiten noch nicht einmal imAnsatz ausgeschöpft werden und Open Access-Publikationen immer noch einen sehrgeringen Anteil am Gesamtpublikationsvolumen einnehmen, ist mit Sicherheit, dass sichnoch kein neuer Finanzierungsstandard etabliert hat. Da Open Access Publikationen schonper Definition den NutzerInnen kostenlos zur Verfügung stehen, entfallen Erlöse beispielsweisedurch den Verkauf von Zeitschriften zur Gänze. Und selbst wenn in digitalen Journalenund Archiven die Kosten für Produktion und Vertrieb auf ein Minimum sinken, gilt dasnatürlich nicht für die anderen Teile des wissenschaftlichen Publikationsprozesses, allenvoran die Organisation des Peer-Review-Prozesses und der Betrieb der Infrastruktur.Prognosen privater AnalystInnen haben ergeben, dass internationale Publikationssystemein etwa vierzig Prozent ihrer Kosten einsparen könnten, wenn sie auf Open Access umstellenwürden. Da diese Journale frei zugänglich sind, fallen neben geringerer Herstellungskostenauch keine Entwicklungskosten hinsichtlich Zugangssicherung und BenutzerInnenverwaltungsowie keine administrativen Kosten betreffend Abo- und Lizenzverwaltung an.104 Aber

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08 | DIGITALE FREIHEIT FÜR FORSCHUNG UND FORSCHER/INNEN

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selbst wenn die Gesamtkosten bei Open Access Publikationen weitaus geringer sind, alsdie Kosten im traditionellen wissenschaftlicher Verlagswesen, eine Einnahmequelle, die dieVerkaufserlöse von Journalen ersetzt, ist damit aber auch noch nicht gefunden. Eine Frage,die vor allem in einer Übergangsphase zu einem allgemeinen Open Access-System vonhoher Relevanz ist: Die Mittel für etablierte und teure Journale müssen weiterhin bezahltwerden, Gelder für neue Open Access-Journale stehen aber noch nicht zur Verfügung.

Unumgänglich scheint die Verwendung öffentlicher Projektfördermittel an Universitätenund Foschungsinstituten zur Finanzierung eines freien Publikationssystems.105 Schließlichdürfen den Autorinnen und Autoren durch das Open Access Publizieren keine Nachteileerwachsen, wie Klaus Graf, Professor an der Uni Freiburg, beschreibt:„Die Open AccessBewegung möchte keinen Autor um seine Einkünfte bringen. Sie zielt nur auf jenen Teildes Publikationssektors, in dem die Autoren ohne Anspruch auf finanzielle Vergütungagieren.“ Wissenschafter/innen selbst wissen aber ohnehin noch viel zu wenig über OpenAccess und die neuen Möglichkeiten von Online-Publikation ihrer ForschungsergebnisseBescheid. Eine repräsentative Studie der Deutschen Forschungsgemeinschaft106 hat ergeben,dass nicht einmal einem Viertel der befragten Wissenschaftler/innen Open Access alsPublikationsmedium bekannt ist. Die Bedeutung hochschulinterner Informationstätigkeitenüber Hintergründe, Ziele und Chancen von Open Access für die Akzeptanz eines freienwissenschaftlichen Publikationswesens ist deshalb auch nicht allzu gering zu schätzen.

Die Ignoranz unter den WissenschaftlerInnen selbst ist auch deshalb verwunderlich,weil gerade in dem Bereich, der für die Resonanz der eigenen Arbeit zentral ist – der Impact

Bekanntheit von Open Access als Publikationsmedium

Lebenswiss.

Naturwiss.

Geistes- u.Sozialwiss.

Igenieurwiss.

0 10 20 30 40 50

nach Wissenschaftsbereichen in %

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der eigenen Forschung – schneiden Open Access-Publikationen äußerst gut ab. „Wird einArtikel in einem Open Access Journal veröffentlicht, führt dies dazu, dass dieser Artikeldeutlich häufiger gelesen wird”, konzediert Jan Neumann denn auch im Open SourceJahrbuch 2006. Der Hauptgrund für die Skepsis vor allem unter Nachwuchswissenschaft-lerInnen dürfte daher auch mit befürchteten negativen Konsequenzen für die eigenewissenschaftliche Karriere zusammenhängen: Open Access Veröffentlichungen werden inder internen universitären Leistungsbewertung nur minimal honoriert107, denn Veröffent-lichungen in führenden, etablierten Journalen zählen einfach mehr.

„Der Impact-Faktor von Open Access-Artikeln ist nachgewiesener Maßen sehr hoch, sieerreichen eine größere Reichweite als konventionelle Drucke und gebührenpflichtige Online-Angebote“, weiß Klaus Graf von der Uni Freiburg über die Wirkung von Open AccessPublikationen. Der Impact-Faktor einer Fachzeitschrift ist ein Maß dafür, wie oft, statistischgesehen ein Artikel aus dieser Zeitschrift in anderen Zeitschriften zitiert wird. Je höher derImpact-Faktor, desto angesehener ist in der Regel auch eine Fachzeitschrift. Dies hat imGegenzug wieder Rückwirkungen auf die akademische Beurteilung von WissenschaftlerInnen:Wer in Zeitschriften mit höherem Impact-Faktor publiziert, hat bessere Karrierechancen.Das Institute for Scientific Information berechnete erstmals in den 1960er Jahren denScience Citation Index. Gegenwärtig werden mehrere verschiedene Indizes publiziert, dieneben dem Peer-Review-Verfahren als Kriterium zur Bewertung von wissenschaftlichenPublikationen herangezogen werden. Auch wenn sämtliche dieser Zitations-Indexe sehrumstritten sind, ist der Nachteil von Open Access Journalen jener, dass sie – nicht zuletzt

FREIE NETZEFREIES WISSEN

Thema

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Anreize für Publikationsorgane, ihre Beiträge imInternet für den entgeltfreien Zugriff anzubieten

Förderung sollte auf Konkurenzfähigkeit mitkonventionellen Zeitschriften abzielen

Einrichtung von entgeltfreien, zentralendisziplinspezifischen Archiven im Internet

Förderung der Diskussionen um Open Accesin Universitäten und Forschungsinstituten

Wissenschaftler sollten aufgefordert werden, ihreeigenen Arbeiten auch im Internet bereitzustellen

Verbesserung der Beratung und Information imBereich des Open Access für Wissenschaftler

Autorenverträge sollten entgeltfreieVeröffentlichung im Internet zulassen

Verbesserung des Angebots an Schulungskursenund Publikationstechniken für Wissenschaftler

86,2

75,0

73,2

73,1

71,5

70,6

68,4

31,6

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

Frage:Welche Maßnahmenzur Unterstützungvon open Accesshalten sie für sinnvoll?

Präferierte Maßnahmen zur Unterstützung von Open Access

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08 | DIGITALE FREIHEIT FÜR FORSCHUNG UND FORSCHER/INNEN

aufgrund ihrer vergleichsweise kurzen Existenz – gar nicht oder nur vereinzelt in diesenIndizes gerankt werden.

Obwohl sie selbst noch immer sehr wenige Artikel tatsächlich in Open Access-Zeitschriftenpublizieren, befürworten 82 Prozent der befragten Wissenschaftler/innen im Jahr 2005 dieFörderung von E-Journalen und erachten es für sinnvoll, wissenschaftliche Arbeiten freizugänglich auf Open Access-Datenbanken zur Verfügung zu stellen. Unterschiede zwischenden einzelnen Wissenschaftsbereichen spielen hier eine eher untergeordnete Rolle. Derhohe Anteil an Zustimmung bei gleichzeitig geringer Anzahl an Open Access-Veröffentlichungen zeigt, dass sich Open Access ohne institutionelle Förderung nur schwerdurchsetzen wird können. Die Studie der Deutschen Forschungsgemeinschaft kam in dieserHinsicht zum Ergebnis, dass vor allem durch Anreizsysteme bestehende Journale dafürgewonnen werden müssen, ihre Fachbeiträge im Internet entgeltfrei zur Verfügung zustellen. Eine weitere Unterstützung könnte darin bestehen, zentrale, disziplinspezifischeund entgeltfrei zugängliche Archive im Internet einzurichten, in denen entsprechendeArbeiten abgelegt und abgerufen werden können.

Gründe für die anhaltende Skepsis trotz prinzipieller Zustimmung zu Open Access inder Scientific Community sind auch die Furcht vor Plagiaten – eine eher irrationale Angst,sehen doch führende Plagiatsforscher/innen wie der Linzer Professor Gerhard Fröhlichgerade in Open Acces einen besseren Schutz vor Plagiaten. Verwunderlich auch, dass 60Prozent der befragten Wissenschaftler/innen der Meinung sind, dass die Qualität im OpenAccess Bereich nicht in gleicher Weise sichergestellt ist, wie bei traditionellen Publikationen.Denn die Systeme der Veröffentlichung und die der wissenschaftlichen Qualitätssicherung– zum Beispiel eben Peer Reviews – sind voneinander prinzipiell unabhängig. So gibt eseine Reihe von Vorschlägen für die Umsetzung von (auch: verbesserter) Peer-Review-Systemen für Open-Access-Veröffentlichungen. Eine Möglichkeit wäre beispielsweise ein

„Multi-Level Peer Review“, bei dem die Veröffentlichung von der Begutachtung entkoppeltwird. Eine Möglichkeit dafür wäre eine Art „Gütesiegelprinzip“. Dieses Prinzip würdequalitative Kriterien vorschlagen, um einen Mindeststandard abzusichern und hätte denVorteil, dass Verzerrungen im bestehenden System – Top-Journale sind vor allem auchdeshalb Top-Journale, weil sie als solche die meisten Einreichungen bekommen und ihrendominierenden Status so selbst reproduzieren – sich verringern würden.108

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Hürden für freie Forschungspublikationen

Dem tatsächlichen Durchbruch von Open Access stehen demnach noch einige Hürdenim Weg. Und auch die gewachsene Struktur der bestehenden Open Access Journale imNetz weist sehr unterschiedliche informationstechnologische Niveaus auf. Viele Journalesind aufgrund von Initiativen einzelner Personen und Institutionen entstanden undentsprechen oft nicht aktuellen Standards in Sachen Benutzer/innenkomfort undDatenverfügbarkeit. Auch urheberrechtliche Unklarheiten müssten beseitigt werden, umdie Veröffentlichung von Forschungsarbeiten als Open Access zu erleichtern. Die geltendenurheberrechtlichen Bestimmungen verhindern in manchen Bereichen die Publikation inOpen Access Journalen oder Archiven. So verlangen viele Verlage von ihren AutorInnendas ausschließliche Nutzungsrecht und verhindern so, dass wichtige ZeitschriftenbeiträgeEingang in Open Access Archive finden.109 Gerade junge Forscher/innen, die auf dieVeröffentlichung in den Verlagen mehr angewiesen sind als die Verlage auf deren Beiträge,sind hier in einer schlechten Verhandlungsposition.

Eine Gruppe österreichischer Wissenschafter/innen hat bereits letztes Jahr in einer „WienerErklärung“110 Neuregelungen gefordert. Aus Sicht der Verfasser/innen müssen Maßnahmenzur Gewährung des bestmöglichen Zugangs zu Informationen und Wissen ergriffen werden,zu denen sowohl eine Reform des Urheberrechts zwecks Erhaltung der freien Werknutzungfür Forschung, Lehre und Bildung als auch der unentgeltliche Zugang zu Ergebnissenstaatlich finanzierter Forschung zählt. Hinzu kommt die Forderung nach Informationenfür Urheber/innen über alternative rechtliche Regelungssysteme, wie insbesondere Open-Content-Lizenzen.111 Schließlich verlangt die Erklärung auch eine Prüfung auf (rechts-)politischer Ebene, ob das Gleichgewicht zwischen UrheberInnen, VerwerterInnen sowieder Allgemeinheit weiterhin unter den neuen digitalen Voraussetzungen in gebotener Weisegarantiert ist. Die Wissenschaftler/innen scheuen sich dabei auch nicht, den Staat in diePflicht zu nehmen. Es sei seine Aufgabe, zu verhindern, dass der fehlende technische undfinanzielle Zugang zu Informationen zu einem Verlust von Wissen führt. Bildungsmaßnahmen,Rechtsänderungen und Geld seien dafür erforderlich. Nicht zuletzt müsse der Staat alsVorbild im Umgang mit Informationen dienen. „Er hat daher den Zugang zu öffentlichenInformationen technisch und rechtlich bestmöglich zu erleichtern. Die Schaffung einesdurchsetzbaren Rechts der Bürger auf Zugang zu staatlichen Informationen auf der Basiseines österreichischen bzw. EU-weiten Informationsfreiheitsgesetzes nach internationalemVorbild sowie die wirksame Kontrolle der Gebarung der staatlichen elektronischen Registerund Daten, ist zu thematisieren,“ heißt es weiter in der Wiener Erklärung.

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Thema

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Veränderungen im Publikationsprozess bedingen auch Veränderungen der Kultur undder Verhaltensweisen der am Prozess beteiligten Menschen, wie auch die Veränderung vonetablierten Rahmenbedingungen. Neben der Tendenz, wissenschaftliche Ergebnisse zumWohle der Gesamtheit einzusetzen, hat es auch Tendenzen gegeben, andere vom Wissenauszuschließen. Der Open Access Gedanke fordert ein radikales Umdenken in diesemBereich. Öffentlich zugängliche und entgeltfreie Publikationen, bereitgestellt in Online-Journalen und -Archiven, haben als vorrangiges Ziel die uneingeschränkte Verteilung vonWissen. Das neue System der Publikation hat zur Folge, dass sich Einstellungen undWertesysteme verändern müssen. Aus makroökonomischer Perspektive ist es noch offen,wie genau Open Access-Bewegungen das wissenschaftliche Publikationswesen verändernwerden. Die verstärkte Konkurrenz durch Open Access-Journale wird die Verlage im Idealfalldazu zwingen, die Preise jener Abonnements zu senken, die sie auch künftig auf traditionellemWege vertreiben werden.

Sicher ist, dass eine Änderung der wissenschaftlichen Publikationskultur Grundvoraus-setzung für eine erfolgreiche Open Access-Bewegung ist. Im Erfolgsfall wird dann eineLinzer Studentin im Jahr 2026 alles an Wissen und Informationen für ihre Diplomarbeitim Internet finden – ohne Zugangsbarrieren und unentgeltlich.

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Thema

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„Die Journalbranche hatGewinnraten wie derWaffen- und Drogenhandel“

Interview: Gerhard FröhlichGerhard Fröhlich ist Professor am Institut für Philosophie und Wissenschaftstheorie der JohannesKepler Universität Linz sowie Lehrbeauftragter an den Universitäten Hannover, Erlangen-Nürnberg,der Wirtschaftsuniversität Wien und der Donauuniversität Krems. Seine Schwerpunkte in Lehreund Forschung sind Wissenschaftsforschung, Informationswissenschaft sowie Kultur- undMedientheorie. Unter anderem ist er auch als Experte im Bereich der Plagiate in der Wissenschaftund Peer-Review Systemen bekannt.

Foto: Gerhard Fröhlich, JKU

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Interview

Wie und wo ist Ihr persönlicher Zugangzur Thematik Open Access im wissenschaft-lichen Publikationswesen?

Gerhard Fröhlich: Ich habe durch meineForschungen herausgefunden, dass die Papier-form der Journale und Bücher Betrugs- undPlagiatsaffären begünstigt. Man könnte,wenn man alles digital zugänglich macht,viel leichter mit Plagiatsüberprüfungspro-grammen Fälschungen aufdecken. Zum Teilakzeptieren die Wissenschaftsjournale auchjetzt schon die Publikation nur, wenn mandas Rohmaterial irgendwo deponiert, damitandere die Möglichkeit haben, es eventuellauch überprüfen zu können. Durch dieseForschungsergebnisse ist natürlich der Vor-wurf, dass Open Access Initiativen, Tür undTor für Betrugsaffären öffnet, widerlegt.

Open Access Publikationen ermöglichenden Leserinnen und Lesern die Fachbei-träge direkter und öffentlicher zu kritisie-ren. Sehen Sie darin ein Hindernis?

Gerhard Fröhlich: Es gibt unterschiedlicheAnsatzpunkte. Der eine ist die klassischeWissenschaftstheorie. Popper hat beispiels-weise gesagt, Wissenschaft definiert sichüber Kritik und über gelungene Wissen-schaftskommunikation. Kritiker müsseneinander zur Kenntnis nehmen. Kritik,Theorienkonkurrenz und Wissenschafts-kommunikation sind das A und O der Wis-

senschaft. Es ist kein Beiwerk, sonderntatsächliche Wissenschaft. Wenn wir Kritikverbieten, verlassen wir den Sektor der Wis-senschaft. Würde Robinson Crusoe auf einerInsel einsam alles richtig machen, wäre dasnoch lange keine Wissenschaft.

Warum könnte Robinson Crusoe keinWissenschaftler sein?

Gerhard Fröhlich: Wissenschaft bestehtdarin, dass andere uns kritisieren und disku-tieren. Wissenschaft ist ein kollektives Un-ternehmen, wir brauchen intersubjektiveÜberprüfbarkeit, darum muss man auchzitieren. Öffentlichkeit ist also äußerst wich-tig, damit man überhaupt die Wissenschaftals rationales Unternehmen deklarieren kann.Jetzt ist es natürlich so, dass viele Wissen-schaftler schon ein wenig Angst haben oderes unangenehm empfinden, kritisiert zuwerden und alle möglichen Verteidigungs-strategien aufbauen.

Welche Rolle spielt die öffentliche For-schungsförderung für Open Access-Publi-kationen?

Gerhard Fröhlich: Die wichtige Grund-lagenforschung wird vom Steuerzahler finan-ziert und da ist es sehr seltsam, wenn dieöffentliche Hand etwas fördert, wo aufeinmal der Zugriff völlig beschränkt ist. DieGewinnraten in der Journalbranche sind

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horrend. Ich sage immer, man kann nurmit Waffenhandel oder mit legalem undillegalem Drogenhandel genauso viel verdie-nen. Ansonsten kann ich jedem nur emp-fehlen: „Investieren sie in Wissenschafts-journale!“. Es handelt sich hier um logarith-mische Gewinnkurven und das halte ichnicht nur für ethisch bedenklich, sondernes hindert ja wirklich das weitere wissen-schaftliche Wachstum.

Können Verlage überhaupt mit den sichveränderten Rahmenbedingungen im Pu-blikationswesen umgehen?

Gerhard Fröhlich: Schon bisher habenwissenschaftliche Gesellschaften, Vereine,Gruppen und Einzelpersonen Zeitschriftengegründet, um sich mit ihren neuen Auffas-sungen durchzusetzen. Nun gibt es auchdie Möglichkeit, dass man die Verbreitungüber E-Mail-Listen und Preprint-Servermacht. Ich glaube, nicht zuletzt aufgrundder Suchmöglichkeiten in Datenbankenund Suchmaschinen, wird sich diese Ent-wicklung fortsetzen. Nämlich das individu-alisierte Lesen von jenen Texten, die manbenötigt und nicht irgendetwas auf Vorrat– „Just in Time“ sozusagen. Wenn ich miransehe, was die Verlage so machen, so imi-tieren sie schon fast Open Access, nur ver-langen sie Geld dafür. Die meistenGroßverlage haben ein Konsortium. Dieseverkaufen Online 100 bis 200 Zeitungen.

Innerhalb dieses Pools kann man suchenund wird sofort mittels Querverweise aufandere Fachbeiträge anderer Zeitungen indiesem Konsortium verwiesen. Das einzelneJournal ist jetzt schon ziemlich entmachtetoder wertlos. Es gibt Preprint-Server, woman jene Artikel ansehen kann, die schonvon Peers abgesegnet wurden, aber nochnicht gedruckt werden können. Diese Fach-beiträge kann man vorab im Internet anse-hen.

Widerspricht sich Online-Publizieren mitdem System der Peer-Reviews, also der(anonymen) Begutachtung durch KollegIn-nen?

Gerhard Fröhlich: Zwischen Open Accessoder Online-Publizieren und Peer-Reviewbesteht in keiner Weise ein Widerspruch.Es gibt eigentlich kein einheitliches Peer-Review-System. Wenn man genau hinsieht,macht jedes Journal, jeder Wissenschaftsför-derungsfond oder jede Organisation dasSystem anders. Vor allem in jener Hinsicht,wer ein Peer sein darf. Man kann ohneProbleme Peer-Review und Open Accessverbinden. Es gibt auch genug Journale, diedas machen. Aber alle großen Affären undBetrugsangelegenheiten sind nicht von Gut-achtern aufgedeckt worden, sondern vonnormalen Lesern.

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Steckt das System der Peer-Reviews nichtin einer Krise, vor allem im Hinblick aufdie bekannt gewordenen Plagiatsfälle?

Gerhard Fröhlich: Man muss eigentlichschon sagen, dass das Peer-Review-Systemin der Krise steckt. Der in Südkorea stattge-fundene Klonskandal hat weltweit zumErgebnis gebracht, dass alle Topjournale dieden Artikel gedruckt haben, die Verfälschungnicht entdeckt haben. Dazu anmerken mussman aber auch, der Begutachter macht nurEinzelbegutachtung und der Leser hatbeispielsweise fünf Aufsätze von einem Autorund kann dadurch sehr gut vergleichen, obErgebnisse oder Passagen ident sind.

Wie sehen sie den Bekanntheitsgrad vonOpen Access-Journalen unter den Wissen-schaftlern und Organisationen selbst?

Gerhard Fröhlich: Es ist alles ein Generati-onenkonflikt. Wir haben zum Beispiel hierim Hause (der Johannes Kepler Universität

Linz, Anm.) selbst sehr viele Diskussionenüber diese Thematik. Aber dieser Konfliktist eine Sache der Zeit. In 10 bis 20 Jahrensind viele Kritiker in Pension. Natürlichgibt es aber auch ein Gefälle von den Natur-wissenschaften zu den Computerwissenschaf-ten hin zu den Geisteswissenschaften.

Sehen Sie noch andere Problemfelder imBereich Online-Publizieren?

Gerhard Fröhlich: Man muss auch offensagen, dass es momentan noch Probleme inder elektronischen Archivierung gibt. Wirwissen nicht, wie lange bestimmte Speicher-medien halten und im Internet verschwin-den alle möglichen Sachen wieder. Mankann sich nicht darauf verlassen, dass es ineinem Jahr auch wiederzufinden ist. Hiergibt es einen gewissen Unsicherheitsfaktor,der zu berücksichtigen ist. Aber es sind imGegenzug auch schon ganze Bibliothekenverbrannt.

Können sie sich vorstellen an der JKUeinen Lehrstuhl einzurichten, der sich mitder Thematik Open Access intensiv be-schäftigt bzw. ein E-Journal aufbaut?

Gerhard Fröhlich: Ich habe da natürlichnichts dagegen. Ich bin aber ehrlich gesagtein Gegner von so genannten Einpunktbe-wegungen in der Wissenschaft. Eigentlichhaben wir den Trend, dass die kommerziellenFächer wie Soziologie etc. alle aufgelöstwerden und es nur mehr Exzellenz-Zentrengeben soll, welches sich mit engen Problem-stellungen beschäftigen soll. Ich würde vor-schlagen, dass die Thematik Open Accesssowie ein daran geknüpfter Lehrstuhl inden Kontext Wissenschaftskommunikationgehört sowie zu den Themen Impact-Faktoren, Peer-Review und so weiter.

Interview

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Wie würden Sie das Institut ausrichten?

Gerhard Fröhlich: Wir müssen uns vorerstauch selber als Wissenschaftler überlegen,was ist die optimale Art und Weise zu publi-zieren. Wir müssen vorher wertemäßigeVorgaben liefern und entscheiden, ob wirfür revolutionäre Wissenschaft sind, d.h. essoll möglichst viel Kritik geben, oder sindwir für Normalwissenschaften. Normalwis-senschaften in dem Sinne, dass wir immernur ein bisschen genauer messen, aber keinRisiko eingehen. Ich bin nicht der Ansicht,dass bei dem vielen Geld, welches weltweitin die Wissenschaft hineingesteckt wird,furchtbar viel herauskommt und es liegtschon zum Teil daran, dass die Leute sofurchtsam sind. Es kann natürlich einmaldaneben gehen, aber ich finde, wenn jemandetwas probiert hat und es stellt sich heraus,dass es ein Irrtum war, ist das nichts Peinli-ches. All diese Fragen gehören in dem Kon-text eines eigenen Instituts erörtert. Es wärekeinerlei Problem, dass wir in Linz auch einInstitut etablieren, wobei ich sogar soweitgehen würde, dass ein eigenes Institut garnicht notwendig wäre.

Wo sehen Sie ansonsten die Notwendig-keit?

Gerhard Fröhlich: Es gibt ein großes Pro-blem. Zurzeit leben wir in einem Zeitalter,wo behauptet wird, jede Universität muss

ihr eigenes Profil entwickeln und mussUnternehmen sein. Ich hab das immer einbisschen absurd gefunden, weil ich meinenFachkollegen und meinen eigenen Themenhinterher jage und mich mit denen auchverbunden fühle. Aufgrund weltweiter Serverkenn ich Leute von Mexiko bis Neuseelandund die sind mir in gewissem Maße näher,als ein Nachbar im Nebenzimmer, der ir-gendeiner anderen Forschungsrichtung nach-geht. Das heißt, jeder Wissenschaftler istirgendeiner Worldcommunity verpflichtetoder zumindest einer nationalen Wissen-schaftsgesellschaft. Daher gibt es ja überalldiese Preprint-Server schon. Es läuft allesfachspezifisch ab.

Wie schätzen Sie die Zukunftsaussichtenvon Open Access ein?

Gerhard Fröhlich: Ich kann mir nicht vor-stellen, dass diese Entwicklung aufzuhaltenist. Ich glaube aber auch nicht, dass dieseEntwicklung der Ruin von Verlagen sein wird.Einerseits werden sie sich von ihren Gewinner-wartungen entfernen müssen und zweitenswird es immer wieder neue Verlage geben,die bestimmte Nischen abdecken. Natürlichist es wichtig, wie die Handlungsweisen dereinzelnen Forschungsförderungsgesellschaftenaussehen. Würde man die Finanzierungskri-terien umstellen, ist es eine Sache von Mona-ten, dass sich jene Leute, die immer dagegenwaren, auf einmal umstellen.

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Interview

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„Politiker müssen sich zuOpen Access bekennen“

Interview: Melissa HagemannMelissa Hagemann ist Programmverantwortliche der „Open Initiative“ innerhalb desInformationsprogramms des Open Society Institute (OSI) in Budapest, das seit der „BudapesterErklärung“ im Dezember 2001 an der Open Access Bewegung mitwirkt. Im Rahmen des „ElectronicInformation for Libraries“-Netzwerk, versucht sie, den Nutzen von Open Access unter den Mitgliederndes Netzwerks in 50 Entwicklungs- und Schwellenländern zu verbreiten.

Foto: Melissa Hagemann, Open Society Institute

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Interview

Wie sind Sie mit dem Thema Open Accesserstmals in Berührung gekommen?

Melissa Hagemann: Im Open Society Ins-titute (OSI) habe ich zwei Programme gelei-tet, die das Ziel hatten, Bibliotheken wissen-schaftliche Inhalte zur Verfügung zu stellen.Das erste war das „Regional LibraryProgram“, das ich von unserem BudapesterBüro aus von 1995 bis 1997 koordinierthabe. Das zweite war das „Science JournalsDonation Program”, das von 1998 bis 2000lief. Mit beiden Programmen haben wirausgehend von Problemen in den wissen-schaftlichen Kommunikationssystemen alsGanzes versucht, herauszufinden, welcheanderen – vor allem nachhaltigen - Modelleentwickelt werden könnten. Darum hat dasOSI im Dezember 2001 ein Treffen derführenden Personen, die an alternativenPublikationsmodellen forschten, in Budapesteinberufen. Bei diesem Treffen wurde dieBudapest Open Access Initiative (BOAI)geboren und dabei die erste Definition vonOpen Access festgeschrieben.

Wann haben Sie begonnen, die OpenAccess Bewegung zu unterstützen?

Melissa Hagemann: OSI hat mit dem Tref-fen 2001 in Budapest begonnen, die entste-hende Open Access Bewegung zu unter-stützen. Aber lange vor diesem Treffen hatdas OSI bereits Peter Suber soweit unter-

stützt, dass er den „Free Online ScholarshipNewsletter“ herausgeben konnte, aus demspäter die „Open Access News“ wurden -die gegenwärtig beste Quelle für Informa-tionen über die Open Access Bewegung.

Wovon fühlen Sie sich persönlich betroffen?Was muss sich ändern?

Melissa Hagemann: Die wichtigste Ver-änderung, die stattfinden muss, ist, dass dieForschungsförderungseinrichtungen ihreForschung als Open Access in Auftrag geben.Der „Wellcome Trust“ - eine gemeinnützigeOrganisation in Großbritannien, die For-schung finanziert – hat als erste diesen Wegeingeschlagen, Open Access nicht nur zufördern, sondern auch zu fordern.

Welche Erfahrungen haben Sie währendIhrer Zeit bei der BOAI gemacht? Waswar die wichtigste „Lesson learned“?

Melissa Hagemann: Als die Initiative zweiStrategien um OA umzusetzen – die Ent-wicklung von Archiven (Repositories) undvon Open Access Journalen – festgelegthatte, gab es einen kritischen Erfolgsfaktor.Es war wichtig, dass die beiden Communi-ties, die die jeweilige Strategie unterstützten,zusammenarbeiten. Das war aus meinerSicht die wichtigste Erkenntnis, die sich inder Budapester Initiative herauskristallisierthat – die Notwendigkeit für Gruppen, die

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auf den ersten Blick widersprüchliche An-sätze verfolgen, weiterhin zusammen zuarbeiten, um ein gemeinsames Ziel zu er-reichen.

Was ist das Open Society Insitute? Wiekam es dazu, Open Access zu unterstützen?

Melissa Hagemann: Das OSI ist eine Privat-stiftung, die zum Ziel hat, auf Basis öffent-licher Grundsätze demokratische Regier-ungsführung, Menschenrechte und öko-nomische, rechtliche und soziale Reformenvoran zu treiben. Auf der lokalen Ebeneimplementiert OSI eine Reihe von Initiati-ven um die Regelungen von Recht, Bildung,Gesundheit und unabhängiger Medien zuunterstützen. OSI unterstüzt Open Accessdurch die „Information Program’s OpenAccess“-Initiative, die bislang mehr als 2,4Millionen Dollar für OA-Projekte zurVerfügung gestellt hat.

Die Budapester Open Access Initiative istinzwischen eine weltweite Bewegung ge-worden. Welche Beobachtungen machenSie in Entwicklungsländern und wie schät-zen Sie die dortige Situation ein?

Melissa Hagemann: Viele Ärzte, Wissenschaf-ter und Akademiker in Entwicklungs- undSchwellenländern sind frustriert, weil siekeinen Zugang zu wichtigen Forschungser-gebnissen haben, die sie für ihre Arbeit brau-

chen, die aber nur in teuren Zeitschriftenpubliziert werden. Open Access kann diesenMenschen in den Entwicklungsländern so-wohl dabei helfen, an frei zugängliche Inhaltezu gelangen, als auch dabei, ihre lokal produ-zierten Inhalte weit zu verbreiten. Das kanndurch die Entwicklung von Online-Archivenund die Ermutigung der Autoren in diesenLändern, ihre Artikel in Open Access Journalszu publizieren, bewältigt werden. Heute sinddie meisten lokal produzierten Inhalte ent-weder gar nicht publiziert oder nichtaußerhalb des eigenen Landes. Was bedeutet,dass die wichtige Arbeit, die diese Wissen-schafter produzieren, verloren geht.

Denken Sie, dass mit Hilfe von OpenAccess auch Plagiate bekämpft werdenkönnen?

Melissa Hagemann: Ja, ich denke, dassOpen Access dazu beitragen kann, Plagiatezu reduzieren. Es stimmt, dass heute mancheAutoren Angst haben, dass durch eine wei-tere Verbreitung, die Open Access möglichmacht, die Zahl der Plagiate steigt. Wennaber Material online frei zugänglich gemachtwird, ist die Chance, Plagiate zu erkennenund aufzuzeigen wesentlich höher.

Wie kann die Qualität von Online-Publikationen sichergestellt werden, wennes beispielsweise kein Peer-Review-Systemgibt?

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Melissa Hagemann: Ich möchte eines klar-stellen: die Open-Access-Bewegung trittnicht für die Abschaffung von Peer-Review-Systemen ein. Tatsächlich ist ein Kriteriumfür die Aufnahme einer Zeitschrift in das

„Directory of Open Access Journals“www.doaj.org, dass diese Qualitätskontrollenin Form von bestätigten Papers durch einPeer Review System durchlaufen hat.

Angenommen, die Forschungsfinanzierungwürde sich ändern. Könnte das die Aus-weitung von Open Access fördern?

Melissa Hagemann: Ja, das sehe ich alsSchlüssel zur weiteren Entwicklung vonOpen Access. Wie ich schon vorher erwähnte,ist es essentiell wichtig, dass die Verpflichtungzu Open Access zu einer Voraussetzung fürden Genuss von Forschungsförderung wird.

Nur wenige Wissenschafter/innen kennenOpen Access und seine Möglichkeiten. Wiekann der Bekanntheitsgrad von OA erhöhtwerden? Kennen Sie gegenwärtige Akti-vitäten?

Melissa Hagemann: Bedenkt man, dassOpen Access erst 2002 überhaupt definiertwurde, hat die Bewegung in kurzer Zeitschon sehr viel erreicht – wenn auch nochviel mehr notwendig ist. OSI und auchandere unterstützen die Bewusstseinsbildung,indem sie Workshops veranstalten und Open

Access auf vielen Konferenzen präsentieren.Es wäre sehr hilfreich, wenn Open Accessöfter Thema bei wissenschaftlichen Konfer-enzen wäre. Dadurch könnten mehr Wis-senschafter und Forscher direkt erreichtwerden.

In diesem Band findet sich unter anderemder Vorschlag, an der Linzer Universitäteinen Stiftungslehrstuhl für Open Accesan der Linzer Universität einzurichten.Wie denken Sie über diese Idee? WelcheZiele und Aufgaben sollte Ihrer Meinungnach dieser Lehrstuhl haben?

Melissa Hagemann: Das ist sicher einespannende Entwicklung und soweit ich weiß,wäre dies der erste Lehrstuhl für Open Access,der jemals etabliert wurde. Es wäre wichtig,wenn der Lehrstuhl als Koordinator inner-halb der Uni fungieren könnte und dabeiOpen Access bewerben könnte. Im speziellensollte er mit der Uni-Verwaltung, der Bibli-othek und der zentralen Datenverwaltungzusammenarbeiten, um ein institutionellesOnline-Archiv zu etablieren und dafür zusorgen, dass die Forschungsergebnisse derUniversität dort abgelegt werden. Der Direk-tor der „Open Access Repositories“ hat einTool entwickelt, das Administratoren dabeihelfen soll, ihre Repository-Grundsätze zuformulieren. 112Weiters könnte der LehrstuhlDiskussionen anregen, wie man Forscherder Universität unterstützen könnte, die

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ihre Arbeiten in Open Access Journals pu-blizieren. Zum Beispiel mit einem Pool anfinanziellen Mitteln, aus dem heraus diePublikationskosten übernommen werden.Aber ich glaube, die wichtigste Rolle einessolchen Lehrstuhls ist einerseits Open Accessgegenüber den Fakultäten und der Verwal-tung zu verteidigen und andererseitsUnterstützung für Open Access auf derganzen Universität anzubieten.

Fallen Ihnen sonst noch Dinge ein, dieauf (lokal-)politischer Ebene unternom-men werden können, um freies wissen-schaftliches Wissen zu fördern?

Melissa Hagemann: Es ist wichtig, dasssich Politiker dazu bekennen, Open Accessbei allen Forschungen mit öffentlichen Gel-dern zu unterstützen. Das kann die Entwick-lung von Online-Archiven, aber auch diefinanzielle Unterstützung von Autoren sein,die in Open Access Journalen publizieren.

Eine Studie der europäischen Kommissionzur ökonomischen und technischen Entwick-lung des wissenschaftlichen Publikations-marktes in Europa schloss aus den 174Kommentaren, die als Antwort in die Studieeingingen, dass die öffentliche Verwaltungeiner gründlichen Überarbeitung des wissen-schaftlichen Publikationssystems in Europapositiv gegenüber steht. Für das größteInteresse sorgte dabei jener Vorschlag, den

freien Zugang zu den Ergebnissen öffentlichfinanzierter Forschung zu garantieren.

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PROJEKT: Open Science Stiftungslehrstuhl an der Universität Linz

Ein Merkmal aufgeklärter Wissenschaft war immer auch die kritische Auseinandersetzungmit sich selbst, ihren eigenen Strukturen und Logiken. Mit dem Institut für Philosophieund Wissenschaftstheorie gibt es auch an der Linzer Johannes Kepler Universität eineEinrichtung, die sich vor allem dieser Aufgabe in Forschung und Lehre widmet. Die mitder digitalen Revolution einhergehenden, neuen Möglichkeiten im und für den Bereichder Forschung, lassen eine verstärkte Auseinandersetzung mit diesem Bereich als sinnvollund notwendig erscheinen.

Gerade auch weil neue Möglichkeiten in weiten Bereichen immer noch ungenutzt bleiben,gilt es die Gründe für diese Trägheit zu ergründen und auf neue Chancen beispielsweiseim Bereich freien Publizierens („Open Access“) hinzuweisen. Die Etablierung eines möglichstfreien und flächendeckenden Zugangs zu wissenschaftlichen Fachbeiträgen und die praktischeUmsetzung der Maxime, dass öffentlich finanzierte Forschungsleistungen ein öffentlichesund allgemein zugängliches Gut darstellen sollten, erfordert Anstrengungen in Forschungund Lehre moderner Universitäten.

Die Einrichtung eines „Open Science“-Stiftungslehrstuhls wäre hier eine sinnvolleVerstärkung bereits vorhandener Strukturen an der Johannes Kepler Universität. Er könntein enger Zusammenarbeit mit dem bestehenden Institut für Philosophie und Wissenschafts-theorie die Möglichkeiten und Barrieren freier Forschungspublikations- und –redaktions-systeme untersuchen und über Einbindung in die Lehre für kritische Reflexion desherrschenden wissenschaftlichen Publikationsregimes über die Disziplinen hinweg sorgen.Zentrale Aufgabe des Instituts sollte auch die Koordination und Betreuung von OpenAccess-Publikationsvorhaben an der Johannes Kepler Universität und anderen LinzerUniversitäten sein.

Als „Geburtshelfer/innen“ für die ersten Jahre müsste wahrscheinlich ein öffentlicherStifter wie die Stadt Linz oder der Linzer Hochschulfonds fungieren. Der Stiftungslehrstuhlwürde als eigenes Institut an der Johannes Kepler Universität verankert sein und sollte nachAblauf der Stiftungsfinanzierung als reguläres Institut der Universität weitergeführt werden.

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PROJEKTSKIZZE:

ProjekteProjektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

Open Science Institut an der Universität

- Untersuchung freier Publikations- und Forschungsformen im Kontextbestehender Forschungsstrukturen in Forschung und Lehre

- Sensibilisierung der Linzer Forscher/innen für die Thematik

- Fixierung der finanziellen Mittel durch Fördergeber/innen- Gespräche mit div. Interessensgruppen und der JKU betreffend derZielorientierung

- Festlegung der Forschungsziele und der notwendigen Ausrichtungen- Suche nach einem geeigneten Institutsvorstand und MitarbeiterInnen- Ständige Evaluierungen von Forschungsergebnissen

- Forscher/innen an der Universität Linz- Studierende- Interessensgruppen, die sich mit der Thematik Open Accessauseinandersetzen

- Stiftungskuratorium- Johannes Kepler Universität Linz

- Johannes Kepler Universität (Rektorat,…)- Stadt Linz- Land OÖ- Hochschulfonds

Start des Instituts im Wintersemester 2008/2009

Finanzierung von Lehre und Forschung des neuzuschaffenden Instituts

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PROJEKT: Linzer Open Access Award

Obwohl die Publikation von Forschungsergebnissen in Open Access Journalen oderArchiven sowohl für die Forschung – durch einfachen Zugang für Wissenschaftler/innenrund um den Globus – als auch für die öffentliche Hand – keine hohen Kosten für den(Rück-) Erwerb von Forschungsergebnissen in teuren Journalen – von Vorteil ist, wird siebislang nur von einem geringen Teil der Wisssenschaftler/innen in Anspruch genommen.

Um dem Thema freies Publizieren unter den Linzer ForscherInnen mehr Aufmerksamkeitzu verschaffen und gleichzeitig wissenschaftliche Exzellenz zu fördern, sollte von Stadt Linzund Land Oberösterreich jährlich ein „Open Access Award“ ausgeschrieben und mit denKosten für dreimal je eine einjährige Mitarbeiter/innen-Stelle zur weiteren Forschungsarbeitdotiert werden. Der Award soll in den drei Kategorien Technisch-Naturwissenschaftlich,Sozialwissenschaftlich und Geisteswissenschaftlich vergeben werden.

Für die Zuerkennung der Preise sollen alle wissenschaftlichen Arbeiten in Frage kommen,die von in Oberösterreich tätigen WissenschaftlerInnen im vorhergehenden Jahr in freizugänglichen Journalen veröffentlicht worden sind und sich um den Award beworbenhaben. Über die genaue Besetzung eines Vergabekommitees und allfällige weitere Preisesollten sich die zuständigen politischen Stellen verständigen.

Abgesehen davon kann für die Vergabe bestehender Förderpreise die Art der Veröffent-lichung zumindest als ein Kriterium in den Beurteilungsprozess einfließen. Durch diejährliche Vergabe des Preises ist auch ein längerfristiger Effekt zu erwarten und einandauernder Anreiz für freies Publizieren geschaffen. Die eigenen Kategorien für den sozial- und geisteswissenschaftlichen Bereich versprechen einen besonderen Effekt gerade inBereichen, wo noch besonders wenig im Sinne von Open Access publiziert wird.

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PROJEKTSKIZZE:

Projekte

- Sensibilisierung für Open Access Publikationsmöglichkeiten unter oberöster-reichischen WissenschaftlerInnen

- Förderung frei zugänglicher Forschung

- Dotierung des Awards- Jährliche Vergabe

Forscher/innen an oberösterreichischen Forschungseinrichtungen

Stadt Linz und Land Oberösterreich als Stifter des Awards

Stadt Linz

Erstmalige Vergabe des Awards im Jahr 2008, Ausschreibung für dasJahr 2007

Jährliche Dotierung des Award

Projektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

Linzer Open Access Award

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09 | DIE VORAUSSETZUNGen DER FREIHEIT

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„Die Bewegung für Freie Software ist eine Bewegung für

Menschenrechte und für soziale Veränderung.“

(Richard Stallman)

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DIE VORAUSSETZUNGENDER FREIHEITDIE VORAUSSETZUNGENDER FREIHEIT

Christian Forsterleitner und Stefan Pawel

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09 | DIE VORAUSSETZUNGen DER FREIHEIT

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Die Bewegung für freies Wissen und ihre Bedeutung für die Stadt.

Das Internet verändert sich. Bis vor kurzem war es nur ein nützliches Instrument, beidem die Mehrzahl der Anwender/innen Informationen abriefen, die wenige andere zurVerfügung stellten. Heute wächst von Tag zu Tag die Zahl derer, die selbst aktiv werden.Was Tim O’Reilly mit dem Begriff Web 2.0 benannte, ist für Millionen von Menschenaus ihrem Alltag nicht mehr wegzudenken: Sie schreiben ihre eigenen Blogs, treffen sichin Chatrooms, tauschen Musik, Videos und andere Dateien, veröffentlichen Bücher imNetz, helfen Online-Enzyklopädien zu verbessern, arbeiten gemeinsam an der Verbesserungvon Open Source Programmen - kurz: das Internet hat sich vom eher statischen WorldWide Web zum dynamischen Web 2.0 entwickelt. In den aktuellen Entwicklungen stecktein enormes Potential für unsere Gesellschaft. ZEIT-Autor Thomas Groß analysiert dieaktuellen Entwicklungen mit den Worten „Die Diskussion um das Internet ist in Wahrheiteine Diskussion um seine sozialen und ökonomischen Folgen. Wie wird die Medienzukunftaussehen? Wer hat Platz darin und wer nicht? Und womit wird noch Geld verdient, wenndas Publikum sich selbst unterhält?“

Wenn die Entwicklungen im „Netz“ so rasant vor sich gehen und weltweit Veränderungenin der Gesellschaft hervorrufen, müssen auch auf lokaler Ebene Antworten gefunden werden– und die richtigen Fragen gestellt werden. Ob die neuen Technologien Fluch oder Segenwerden, kann auch in einer Kommune wie der Stadt Linz mitgestaltet werden. Um zuerahnen, wohin die Reise gehen könnte, lohnt oftmals ein Blick dahin zurück, woher mangekommen ist. Die Entwicklung des Internets, der Abkürzung für „interconnected Networks“

- „zusammengeschaltete Netzwerke“, lässt sich, grob eingeteilt, in drei Phasen darstellen.

Phase 1 - Kommunikation

Vor vier Jahrzehnten begann die zivile Nutzung des ursprünglich für militärische Zweckeentwickelten Internets. Was für die unzerstörbare Kommunikation nach einem Atomkrieggedacht war, hat sich zu einer wichtigen Kommunikationsform entwickelt. 1969 entstanddas ARPANET, das die Universitäten und Forschungseinrichtungen vernetzte, um dieknappen Rechnerleistungen sinnvoll zu nutzen. Erstmals wurden E-Mails geschrieben undverkürzten damit nicht nur die Übermittlungszeit von Nachrichten, sondern auch dieKosten dafür. Nicht zu vergessen natürlich die wachsenden Möglichkeiten, ganze Datenpaketezu versenden.

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Phase 2 – World Wide Web

Den nächsten großen Sprung in der Entwicklung bildet das World Wide Web, das mitdem ersten grafikfähigen Browser namens Mosaic arbeitete. Damit wurde Laien zumindestdas Bewegen bzw. „Surfen“ im Internet eröffnet. Homepages zu erstellen und zu gestaltenwar aber keineswegs selbstverständlich. Nach und nach stellten Unternehmen ihre Angeboteins Internet, Universitäten ihre Lehrpläne und auch immer mehr Privatpersonen ihreHobbys und Interessen. Trotzdem war die Anzahl derer, die aktiv teilnahmen und nichtnur Informationen konsumierten, genauso gering wie Projekte, die sich die potentielleVielzahl an Tausenden von BenutzerInnen auch wirklich zu Nutze machten.

Phase 3 – Web 2.0

Durch die rasante Verbreitung von Breitband-Internet verfügen heute - zumindest inden Ballungsräumen der Industriestaaten - immer mehr Menschen über einen schnellenund leistungsfähigen Internetzugang.114 Aber weniger die schnelleren und besserenVerbindungen als vielmehr kreative Softwareinnovationen läuteten eine neue Phase desInternets ein. Im Web 2.0 ist es auch Laien möglich, sehr einfach Texte, Grafiken, Bilderund Videos im WWW zu veröffentlichen. Der von Tim O’Reilly113 eingeführte Begriffdes Web 2.0 beschreibt eine neue interaktive Phase, in der Millionen von NutzerInnenweltweit das Netz mitgestalten – und zwar nicht nur nebeneinander auf eigenen Webseiten,sondern vor allem miteinander vernetzt. Sie bloggen in Online-Tagebüchern, genannt

„Weblogs“, tauschen Dateien, Musik und Informationen und kommunizieren direkt perPC über alle Kontinente und Sprachen hinweg.

Web 2.0 – Die Wende im Web

Das Platzen der Börsenblase im Jahr 2001 kann als einer der Wendepunkte vom statischen,klassischen Web-Begriff zum interaktiven Web 2.0 gesehen werden. Nachdem große Teileder alten, eher konservativ angelegten Internetfirmen mit der alten Logik hierarchischerMassenmedien vom Markt verschwunden waren, war Platz für neue Unternehmen undnicht-kommerzielle Initiativen, die ihren NutzerInnen (Raum für) Interaktion anboten.115

Was unterscheidet jetzt aber genau das alte World Wide Web von dem vielfach alsMedienhype denunzierten Web 2.0? Der Hauptunterschied besteht darin, dass die Menschensich von bloßen KonsumentInnen zu InformationslieferantInnen wandeln. „Das Internet

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hat sich vom Verbreitungsmedium zum Marktplatz gewandelt, auf dem selbst produzierteInhalte die Regel sind“ meint Thomas Groß in der ZEIT. In Blogs, Podcasts und Videosstellen Nutzer/innen ihr Wissen und meist ihre sehr privaten Erfahrungen einer breitenÖffentlichkeit zur Verfügung. Das Kennenlernen von anderen UserInnen, das sich Mitteilenund „Fame“ – Reputation - innerhalb einer Community stehen im Vordergrund.116 EinComputer braucht nicht viel mehr als einen Browser der zahlreiche Funktionen ehemaligerProgramme abdeckt. Der Vision des „Webtops“ kommen wir damit wesentlich näher.117

User/innen können mit Google Earth die schönsten Plätze in der Urlaubsregion auswählen,mit Google Maps die Anreise planen und die Urlaubsfotos auf Homepages wie flickr.comverwalten. Die individuellen Erfahrungen aus dem Urlaub und mit dem Hotel werden ineigenen Blogs oder auf speziellen Reise-Seiten, wie zum Beispiel Travel-Wikis, als Feedbackfür potentielle andere Besucher/innen zur Verfügung gestellt.

Nicht die Information durch eine „übergeordnete“ Firma oder eine/n Serviceanbieter/inist gefragt, die Menschen im Web haben gelernt, sich selbst zu organisieren und sichgegenseitig Hilfe zu geben. Zahlreiche Foren, Wikis und Blogs bieten Hilfe in fast allenerdenklichen Lebenslagen. Kein Wunder, dass immer mehr auch der Begriff von „sozialerSoftware“ die Runde macht. Die Interaktion zwischen den UserInnen steht im Vordergrund.Von der Software erwarten sie Interaktivität, das heißt, dass die Software den BenutzerInnenEingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten gibt. Die Auswahl und die Art der Darstellungvon Informationen soll dem Vorwissen, den Interessen und Bedürfnissen der Lesendenanpassbar sein bzw. von diesen manipuliert werden können, damit ein individualisiertesLernen ermöglicht wird.118 Autor Michael Kunze beschreibt das Potential der neuenInternets so: „Endlich lässt das Web die Gestalt eines personalisierten Echtzeit-Multimediumsmit Gedächtnis erahnen, jene synergetische Kombination aus Buch, Zeitung, Telefon,Radio und Fernsehen, die uns Visionäre seit Jahren versprechen. So wie diese Medienjeweils für sich genommen den kommunikativen Abstand zwischen Individuen verringerthaben, wird das neue Web ihn noch einmal um ein Vielfaches verkürzen – bis zum Peer-to-Peer-Publishing.“119 Die Möglichkeiten des Web 2.0 haben schon jetzt ein gewisserevolutionäre Kraft, die gesellschaftliche Veränderungen bewirken kann. Wie die weiterenEntwicklungen für die nächsten 10 Jahre aussehen, kann momentan nur vermutet werden.Derzeit streiten sich Trendforscher/innen, MedienpionierInnen und Werbeleute, ob dieEroberung des Netzes durch Laien stattfindet oder ob das Internet im „Trash der Massen“versinken wird.

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Software: Freiheit und Kooperativer Wettbewerb

Grundlegend für jede weitere Entwicklung im Internet-Bereich ist Software und wie freisie zugänglich ist. Trotz (oder gerade wegen) der Bemühungen internationaler Konzerne,ihre Produkte durch Urheberrecht und Patente zu schützen, hat die Open Source Bewegungin den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Open Source Software – Ausgangs-punkt der vielfältigen Einsatzbereiche des Open Source Prinzips - legt den Quellcode vonProgrammen offen und ermöglicht damit gemeinsame Weiterentwicklung. Oft fällt derBegriff der Wissens-Allmende mit gemeinsam genutzten Ressourcen.120 Dazu zählt manneben Software wie dem Computer-Betriebssystem Linux oder dem freien Internet-BrowserFirefox auch Wikis zur gemeinschaftlichen Erstellung freier Inhalte (Open Content). BeiAllmenden im gebräuchlichen Wortsinn („was allen gemein ist“) handelt es sich um einKollektiveigentum an natürlichen Ressourcen. Jede/r hat das Recht zur Nutzung. Siewerden bei der Nutzung allerdings verbraucht, z.B. bei der Nutzung einer Weide für Kühe,oder der Überfischung des Meeres, und müssen sich danach (zumindest teilweise) wiederregenerieren. Bei der Form von Allmenden, die auf Informationen als Ressource basieren,kommt die Allmendeproblematik alten Stils nicht zum Tragen: Informationen verlierennicht an Wert, wenn sie häufiger genutzt werden. Im Gegenteil, oft gewinnen Informationenan Wert (oder Popularität), wenn sie sich mehr und mehr verbreiten. Die Wissensallmendewird daher als Gegenbegriff gegen die irreführende Bezeichnung „geistiges Eigentum“propagiert.

Grundsätzlich wird bei der Entwicklung von freien Inhalten – sei es nun Open SourceSoftware oder eine freie Enzyklopädie wie Wikipedia – wesentlich modularer und inkleineren Teilen gearbeitet, als bei Projekten, die von Unternehmen entwickelt werden.Dies ist auch logisch, da ja oft viele über die ganze Welt verstreute Personen mitarbeiten.Bei Software, die kommerziell verkauft wird, sollen die KundInnen ein möglichst großesund umfangreiches Paket bekommen, der Wechsel zu einem anderen Produkt soll möglichsterschwert werden. Bei Open Source Projekten besteht eine permanente Konkurrenzzwischen Debugging (Fehlerbehebung) und Design (Entwicklung), was zu einer raschenWeiterentwicklung der Software führt. Die besten Programmierer/innen werden nicht nurdie Entwicklung des Produktes auf einer Meta-Ebene vorantreiben, sondern sie werdenauch selber programmieren und Fehler beheben, wodurch die Arbeitsleistung der Beteiligtenbesser genutzt werden kann. Außerdem kann Vorhandenes übernommen oder weiterent-wickelt werden, ohne immer wieder bei Null beginnen zu müssen.121

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Oft werden ganz unterschiedliche Programme, Programmteile und Inhalte miteinanderverbunden und ergeben etwas völlig Neues. Dabei spricht man vom „mashing“, oder wieman auf gut österreichisch sagen würde „vermanschkern“. Durch Re-Kombination vonBestehendem entsteht Neues, Besseres. Die Idee ist nicht neu, der Spruch „Auf den Schulternvon GigantInnen“122 ist zum geflügelten Wort in der Web-Community geworden. DiesesGleichnis bezeichnet die Charakteristik wissenschaftlichen Arbeitens: Die Giganten sind diefrüheren Wissenschaftler/innen, auf deren Schultern Generationen späterer Wissenschaft-ler/innen ihre Forschungsarbeiten aufbauen - es soll Bewusstsein für die Vorleistungen andererschaffen. Die Aussage erinnert daran, dass wissenschaftliche Forschung nie geschichtslosentsteht, sondern immer vor dem Hintergrund des (frei) verfügbaren Wissens. In diesemProzess wird festgehalten und dokumentiert, welche Idee von welchen „GigantenInnen“stammt und welche neu ist (Ideengeschichte). Dieser Prozess wird auch als Wissenskommu-nismus der Wissenschaften bezeichnet und dient dazu, die Entstehung von neuem Wissentransparent, nachvollziehbar und kritisierbar zu machen. Gerade wegen dieser Prinzipieneignet sich das Gleichnis so perfekt für die Idee eines offenen und freien Internets.

Mischformen machen die Stärke sämtlicher Open Source Ansätze aus, egal ob imwirtschaftlichen, im sozialen oder im digitalen Bereich. Durch die neuen Formen vonZusammenarbeit, wie bei der Entwicklung von freier Software entsteht dabei so etwas wie

„kooperativer Wettbewerb“. In einem dialektischen Miteinander entsteht, beispielhaftgesprochen, aus zwei guten Ideen eine bessere Dritte. Die Entwickler/innen oder AutorInnenstehen einerseits miteinander im Wettbewerb um den besten Algorithmus, die beste Lösungfür ein Problem oder den besten Artikel zu einem Thema. Nie in Frage gestellt wird dabeiaber das Miteinander, die Kooperation als gemeinsame Basis und Voraussetzung für eingemeinsames Endprodukt. Durch den freien Zugang haben alle Beteiligten zumindestprinzipell das gleiche Ausgangsmaterial. Dieser kooperative Wettbewerb hat nicht diezerstörerische Kraft, die sonst im freien Wettbewerb am Markt stattfinden kann, weil nichtversucht wird, die KonkurrentInnen vom Markt zu drängen. Die KonkurrentInnen sindgleichzeitig immer auch Partner/innen, mehr ist immer besser als weniger. Diese Variantebirgt auch großes volkswirtschaftliches Potential, weil in Summe von kooperativem Verhaltendie ganze Wirtschaft profitiert, wie die Spiel- und Kooperationstheorien zeigen.123 DasPotential ruht in der Innovationsorientierung des kooperativen Wettbewerbs, weil sie eineForm von „kollektiver Innovation“ darstellt, wo viele gemeinsam noch mehr Neues schaffen.Es erhöht sich das Tempo von Innovationen. Und sie ist aus sozialer Sicht überlegen, weilsie Zusammenarbeit fördert, sich gegen einseitiges Gewinnmaximieren auf Kosten andererrichtet, und den gesellschaftlichen Fortschritt unterstützt.

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Freier Zugang zu den Netzen

Doch was bringt die beste Technologie, die beste Software, wenn die Mehrheit derMenschen keinen Zugang dazu hat? Obwohl die Internetnutzung in den letzten Jahrenrasant gestiegen ist, haben immer noch viele keinen oder nur einem stark begrenztenZugang zur digitalen Welt. Das liegt zum einen an fehlendem Wissen (das betrifft vorallem die ältere Generation, die nicht mit dem Internet aufgewachsen ist), zum anderenan den technischen Möglichkeiten (besonders am Land sind oft nur langsame Telefonver-bindungen statt leistungsfähigen Breitband- oder Funkverbindungen verfügbar). Derwahrscheinlich wichtigste Grund ist aber der Kostenfaktor. Eine schnelle Internetverbindungkostet Geld. Rund 40 Euro pro Monat kostet im Schnitt eine einigermaßen leistungsfähigeNetzanbindung und das können und wollen sich viele Menschen nicht leisten. Hiererwachsen Kommunen wie der Stadt Linz in der Abhilfe völlig neue Aufgabenfelder. DieLinzer „Hotspots“, die an öffentlichen Orten wie Bibliotheken oder dem Donaupark,Gratis-Internetzugang per Funk anbieten124, sind hier ein Schritt in die richtige Richtung– aber auch noch nicht viel mehr. Wer sich selbst keinen Internetzugang leisten kann, hatmeist auch nicht die finanziellen Mittel für moderne Laptops.

Wenn aber der Zugang zum Internet für möglichst alle Menschen Wirklichkeit gewordenist, werden der Nutzen und das soziale Veränderungspotential erst voll zur Geltung kommen.Wie in den Phasen der Entwicklung zu Beginn des Artikels beschrieben, wandelt sich dasNutzungsverhalten. Der Stanford-Professer Lawrence Lessig beschreibt die stattfindendenVeränderungen als Übergang von der „Read-only“ Gesellschaft zur „Read/Write“ Gesellschaft.Die ständig wachsende Anzahl der Mitgestalter/innen der Online-Welt stärkt auchdemokratische Strukturen. Wenn viele dazu beitragen, Themen zu diskutieren und ihnendadurch Wichtigkeit verleihen, beeinflussen sie damit die Entwicklung der Gesellschaft.Politik und Medien können im Idealfall an gewissen Themen nicht vorbei und setzen sieauf die Tagesordnung. In der Theorie nennt man das „Agenda-Setting“ – und zwar „bottomup“, also von der Basis zur Spitze, von den Menschen zu ihren Regierungen, von denKonsumentInnen zu den ProduzentInnen. Solche Entwicklungen führen heute schon dazu,dass bestehende Medien, wie zum Beispiel Tageszeitungen, massiv an Marktmacht verlieren.Sie bedeuten, dass etablierte Massenmedien ein wenig von ihrem Monopol darauf verlieren,zu bestimmen, was eine Meldung wert ist. Diese werden versuchen, die Qualität ihrerProdukte zu steigern und selbst die neuen Technologien zu nutzen, oder versuchen,Zugangsbeschränkungen für freie Anbieter/innen über technische wie rechtliche Wege zuerreichen.

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Das Internet ist in diesem Sinne kein klassisches Massenmedium, auch wenn allemiteinander verbunden sind und Zugriff auf jede Information haben. Denn gerade dieserZustand führt zu einer ungeheuren Vielfalt an Informationen und Meinungen. Eine

„Kontrolle“ der Meinung ist nicht in derselben Form möglich, wie es zum Beispiel beimFernsehen möglich ist, bei dem die wenigen Fersehanbieter/innen relativ leicht kontrollierbarsind. Das Internet folgt viel mehr einer „Schwarmintelligenz“. Die Masse an Userinnenund Usern bestimmt, welche Nachrichten und Meldungen relevant sind und welche nicht.Wenn genug Menschen auf dieselbe Seite per Hyperlink verweisen, gewinnt diese aufverschiedenstem Weg Besucher/innen und damit an Bedeutung: Einerseits direkt über dieeinzelnen Links, andererseits aber auch indirekt über die Algorithmen von Suchmaschinen,die bei der Analyse der Relevanz einer Webseite besonders auf die Anzahl der auf sieverweisenden Links hinweisen. Durch gemeinsames und gezieltes Verlinken schaffen esso auch private und soziale Initiativen zu größerer Popularität und Themen abseits des(medialen) Mainstreams auf die Agenda.

Das Zeitalter von Altruismus und Gemeinsinn?

Die große Menge an gemeinschaftlichem und unentgeltlichem Engagement im Internetals Voraussetzung für viele dieser neuen Phänomene sorgt dabei regelmäßig für Verwunderung.Die Frage, warum Menschen freiwillig, unentgeltlich und für das Gemeinwohl Leistungenerbringen, untersuchen Forscher/innen zumindest seit 100 Jahren. Und während die einenden tief innewohnenden Altruismus beschwören, sehen die anderen bloß den „homooeconomicus“ am Werk, den allein der eigene Nutzen interessiert. Vielleicht ist es auchdie Dominanz dieses kurzfristig-nutzenmaximierenden Denkens in den 1990er Jahren, dieauf den ersten Blick uneigennütziges Engagement so „unnatürlich“ erscheinen lässt.Gleichzeitig gibt es gerade auch in Österreich eine lange Tradition ehrenamtlichenEngagements – von der freiwilligen Feuerwehr, über die Rettungsorganisationen bis hinzu diversen politischen Tätigkeiten. Die Mitarbeit in freien Online-Projekten wie derWikipedia ist davon nicht völlig verschieden, sie bietet nur mehr Spielraum, vor allemauch für geistig Tätige. Die traditionelle Hilfe in der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatzwird weiter bestehen, aber soziales Engagement für die Allgemeinheit wird auf breitererBasis möglich, die Universalität von PC und Internet bietet für jede und jeden individuelleAnknüpfungspunkte.

Eine Kommune wie die Stadt Linz hat hier verschiedene Möglichkeiten, dieses Engagementzu unterstützen. Ganz egal, warum jemand mitmacht und sich engagiert, die Stadt sollte

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dieses Engagement fördern und durch eigene Initiativen zum Mitmachen anregen. Einewesentliche Aufgabe des Ars Electronica Centers (AEC) beispielsweise, das bis 2009 nichtnur flächenmäßig sondern auch inhaltlich erweitert werden soll, ist die Ermutigung derMenschen zu Teilnahme und Teilhabe an der Read/Write-Gesellschaft. Das AEC könntedas Symbol für eine Linzer „Community“ im Internet sein und auch einen entsprechendenRaum schaffen, der diesen NutzerInnen zur Verfügung steht und den Einstieg in dievielfältigen Möglichkeiten der neuen, sozialen Softwareangebote ermöglicht.

Tagging: „Soziale Lesezeichen“

So hat sich in den letzten Jahren eine Vielzahl von neuen Varianten der Partizipationim Internet entwickelt. Blogs, Wikis und Tagging sind die bekanntesten davon. Gemein-schaftliches Indexieren (englisch: collaborative tagging oder social tagging)125 durchZusammenführung individuell-thematischer Markierung oder Zuordnung – im Netjargonals „tagging“ bezeichnet – ist ein besonders anschauliches Beispiel für die bereits zitierte

„Schwarmintelligenz“ des Web 2.0. Einzelne Benutzer/innen ordnen Inhalten „Tags“genannte Schlagwörter zu, die über soziale Software auch allen anderen BenutzerInnenweiterhelfen. Bei den „getaggten“ Objekten handelt es sich beispielsweise um Lesezeichen(„Bookmarks“), Blogeinträge, Fotos oder Videos. Die Idee ist, dass sich aus den individuellenBeiträgen einer großen Anzahl von NutzerInnen nach einiger Zeit ein von den UserInnenselbst erstelltes, umfassendes Schlagwortsystem ergibt. Für ein bestimmtes Thema ergibtsich dadurch eine Sammlung von Begriffen, die zum Beispiel für Recherchen verwendetwerden können. Versehe ich meine Fotos vom letzten Chicago-Urlaub in Flickr mit demTag „Chicago“, ermögliche ich es anderen NutzerInnen, die sich für Fotos, die mit Chicagoin Verbindung stehen, interessieren, über die Tagsuche auch meine Fotos aus Chicago zufinden.

Auch bei Wikis und Blogs - zwei weiteren Spielformen des Web 2.0 - kontrollieren unddisziplinieren sich die AutorInnen selbst. Bei Wikis haben alle Anwender/innen das Ziel,Informationen in einem Themenbereich zu sammeln und zusammenzuführen. Und obwohlin der Regel jede/r die Informationen in einem Wiki ändern kann, sorgen eine genaueVersionsgeschichte und die Wachsamkeit der jeweiligen AutorInnen dafür, dass (seltener)Vandalismus meist binnen kürzester Zeit behoben ist. Anders läuft es in diesem Fall beiBlogs, wo immer nur ein/e Autor/in für seinen/ihren gesamten Blog verantwortlich ist.

„Bloggen“ ist die Kunst, sein Tagebuch so im Internet zu veröffentlichen, dass es auchandere interessiert. Die können dann auf die Einträge antworten, sie kommentieren und

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verlinken. Der Versuch, die Spreu vom Weizen zu trennen, läuft hier über das Communi-tybuilding. Blogger mit verwandten Themen, ähnlichen Interessenslagen oder Bedürfnissenschließen sich zusammen und verlinken ihre Blogs untereinander. Diese Art von Qualitäts-sicherung erinnert stark an die Anfänge des Internets, in denen die Verlinkung unter deneinzelnen Homepages das Wichtigste war und Portalseiten den Weg in das World WideWeb öffneten.

Während Blogs ihre Informationen chronologisch geordnet anbieten und klar ersichtlicheAutorInnen haben sind Wikis thematisch strukturiert und ein Text hat viele AutorInnen,die als solche überhaupt nicht in Erscheinung treten. Beiden gemeinsam ist ihre aufKooperation, Vernetzung und freien Austausch basierende Stärke und beide sind durchdie notwendige aktive Beteiligung der Besucher/innen ein Ausdruck der neuen Read/Write-Kultur im Netz. Umstritten ist dabei noch, ob Blogs und Wikis nicht nur zu einemdemokratischeren und emanzipierteren Web führen, sondern ebenso auf die gesamteGesellschaft ausstrahlen (können).

Viel Potential für mehr Demokratie

Zahlreiche Artikel und Bücher beschäftigen sich mit dem Zusammenhang zwischenDemokratie und Internet. Dabei wird immer wieder angeführt, dass repressive Regimeswie China oder Kuba den Zugang zum Internet oder zumindest zu bestimmten Angebotenwie Blogs oder sogar der Wikipedia einschränken. Vielleicht machen gerade diese aufwändigen(auch technologischen) Zensurbestrebungen deutlich, wie sehr das Internet für Redefreiheit,Globalisierung, Zivilgesellschaft und Emanzipation steht oder zumindest stehen könnte.Die Frage, die sich jedoch stellt, lautet: Wie demokratisch ist das Internet selbst und gibtes im Internet überhaupt Demokratie? Im Vergleich zum World Wide Web, bei dem dasPublizieren von Informationen technischen SpezialistInnen oder großen Medienkonzernenvorbehalten war, hat die Entwicklung des Web 2.0 zwar jeden Menschen in die Lageversetzt, Informationen im Internet zur Verfügung zu stellen, aber ist das alleine schoneine Demokratisierung? Die Information für sich ist im Internet kaum auffindbar – außerman kennt die genaue Adresse, wo sie zu finden ist. Meist bedarf es Suchmaschinen, umdiese Informationen für andere Menschen auffindbar zu machen. Die wohl größte undbekannteste in diesem Bereich ist Google, die mit Hilfe ihres genialen PageRank-Algorithmusdie verschiedenen Homepages im Suchergebnis reiht. Dieser Such-Algorithmus hat dieStruktur des Internet stark geprägt und die reichhaltige Verlinkung des Netzes noch weitergefördert. Links sind zu einer Art „Währung“ innerhalb des Netzes geworden und wer

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sichtbar und somit auffindbar sein will, muss sich anderen gegenüber öffnen, seinen eigenenBeitrag leisten und zu anderen verlinken.126 Das trägt natürlich gleichzeitig wiederum dazubei, dass Google immer bessere Suchergebnisse liefern kann. Google bündelt hier dieVerlinkungen der weltweit verstreuten User/innen zu einer Art „Mega-Schwarm“ und gibtdiese Information an andere weiter. Die User/innen müssen für dieses Wissen oder dieweitergegebene Information nicht zahlen, sondern Google verkauft über ein ausgeklügeltesAnzeigenkonzept die besten Plätze an zahlungswillige Kundschaften. Das Beinahe-Monopolvon Google sowie dessen Mitarbeit bei chinesischen Zensurbestrebungen zeigt abergleichzeitig, wie problematisch es sein kann, wenn Schlüsseltechnologien wie die Internetsuchenicht frei sind. Erste Versuche von Open Source Suchmaschinen mit freien Suchalgorithmensind bislang allerdings nicht von Erfolg gekrönt gewesen.

Aber auch in anderen Bereichen gibt es sogenannte Gatekeeper, die Informationenkontrollieren. Wenn Google der Torwächter geistiger Aktivitäten ist, dann sind eBay undAmazon für die materiellen Dinge im Internet zuständig. Auf eBay wird nach Schnäppchenaus der Garage der virtuellen NachbarInnen gesucht. Dabei ist das soziale Prinzip derBewertung durch die Verkäufer/innen der Grundbaustein, der eBay so erfolgreich gemachthat. Nur wer viele positive Bewertungen durch seine KundInnen bekommt, wird erfolgreichseine Waren und „Schätze“ verkaufen können. Amazon hat mit einem anderen Featureden Sprung nach ganz oben geschafft. Was in jeder Buchhandlung in Form von Hitlistenzu finden ist, wurde bei Amazon zu einem individuell spezialisierten Service geändert.Amazon bietet seinen KundInnen Informationen, welche Artikel häufig gemeinsam bestelltworden sind. Dadurch wird der eigene Verkauf angekurbelt und die KundInnen fühlensich gut beraten. Wieder sind es aber erst die gebündelten und ausgewerteten Informationeneiner Vielzahl von BenutzerInnen, die gute Empfehlungen möglich machen. Der Inhaltim Netz wird zwar sicher durch immer mehr Menschen gestaltet, aber Beispiele wie Googleoder Amazon zeigen, dass die Entscheidung über Relevanz von Informationen nicht immerso „bottom up“ ist wie bei Blogs und Wikis.

Die „dunkle Seite“ des Web

So bezweifeln Kritiker/innen, dass der wachsende Anteil an sozialer Software das Netzauch wirklich „sozialer“ und „kollaborativer“ machen. Sie sehen nur eine scheinbareDemokratisierung des Internets. Die „Architektur der Partizipation“ wie sie O’Reilly127

nennt, sei nur eine Vordergründige. Im Hintergrund stünden Megafusionen, wie zumBeispiel der Kauf des Videoportals YouTube durch Google oder des Telefondienstes Skype

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durch Ebay, die eine kommerzielle Logik des Web 2.0 offenbaren. Ob kommerzielleInteressen das Web 2.0 dominieren oder ob die Beteilung der Menschen zu einerDemokratisierung beitragen kann, wird sich erst in den nächsten Jahren herausstellen.128

Unumstritten ist aber, dass es wesentlich davon abhängen wird, wie sehr sich freie undoffene Standards in den einzelnen Bereichen durchsetzen können.

Andere negative Seiten des Webs, die auch von einer breiteren Öffentlichkeit wahrge-nommen werden, sind schon seit längerem bekannt. Für Bombenbastel-Anleitungen imInternet, rechtsradikale Propaganda, Kinderpornos und ähnliches gilt leider dasselbe Prinzip:Wenn alle Informationen im Web Platz finden, dann auch gesellschaftlich Unerwünschte.Neben diesen Problemen gibt es weitere Bedrohungen der noch jungen digitalen Freiheitenim Internet. Einige Unternehmen planen Beschränkungen des freien Datentransfers mitHilfe technischer Maßnahmen. Konkret geht es darum, ob Netzbetreiber/innen bestimmteDatenpakete in ihren Netzen „diskriminieren“ und andere „bevorzugen“ dürfen. Bislangist es auf Ebene der Datenübertragung im Internet völlig gleichgültig, welcher Inhalt –Mails, Dokumente, Videos oder Audio-Dateien – von einem Ort zum anderen weitergeleitetwerden. Dank neuer Technologien könnten bald Daten zahlungskräftiger KundInnenpriorisiert und lästige oder unprofitable Dienste wie Internet-Telefonie oder Filesharing-Netzwerke nachgereiht werden. Die Auswirkungen für digitale Informationsfreiheit imAllgemeinen und für freie und wenig finanzkräftige Projekte, wie zum Beispiel Wikipedia,im speziellen wären verheerend. Mit ihrer Forderung nach gesetzlichem Verbot derartigerUngleichbehandlung ist die „Save the Internet“ Koalition allerdings im ersten Anlauf imUS-Repräsentantenhaus an der republikanischen Mehrheit gescheitert. Im Unterschied zuEuropa ist aber in den USA der Kampf gegen ein Zwei-Klassen-Internet zumindest aufder politischen Tagesordnung.129

Die größte Gefahr für das Demokratisierungspotential des Internets sehen auch Forscherwie Benkler130 und Lessig131 nicht in dessen aktueller, kleinteilig-fragmentierter Struktursondern in grundlegenden Änderungen an der Technik im Hintergrund des World WideWeb. Neben staatlichen Zensurbestrebungen und den Plänen der Betreiber der großeninterkontinentalen Leitungsnetze, sind es aber auch weitere Verschärfungen des ohnehinrestriktiven Urheberrechts, die eine Bedrohung für die noch jungen Freiheiten im Cyberspacedarstellen.

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Die Krux mit dem Urheber/innenschutz

Manch rechtliche Frage war vor dem Internetzeitalter einfacher zu entscheiden. Schondavor waren Urheberrechte für künstlerische Werke Gegenstand heftiger Auseinandersetzung– zur Förderung künstlerischen Schaffens ins Leben gerufen, entpuppten sie sich alsVerwertungsrechte in der Hand von Konzernen oftmals als Behinderung künstlerischerKreativität und so manche/r Künstler/in änderte sogar ihren Namen, um dem Plattenkonzernein Schnippchen zu schlagen. Dabei entsteht urheberrechtlicher Schutz automatisch mitder Erstellung eines Werkes und muss – im Unterschied zu Patenten – nicht erst bei einerBehörde angemeldet werden. Freie, verfügbare Werke wurden also entweder explizit vonihren SchöpferInnen freigegeben oder die gesetzliche Schutzfrist ist inzwischen abgelaufen.Diese Schutzfristen wurden in den letzten Jahren immer weiter ausgedehnt - vorangetriebenwurde diese Entwicklung von großen Konzernen, die ihre monopolisierten Nutzungsrechtean Werken von Künstlern wie Elvis oder den Beatles noch länger abschöpfen wollen. Dabeiwird aber oft übersehen, dass der Großteil der Werke gar nicht mehr kommerziell genutztwird, aber trotzdem von einer Verlängerung der Schutzfristen betroffen ist. Diese Werkewären längst Teil eines öffentlichen Kulturpools und damit eine breite Basis für daraufaufbauende Wieder- oder Weiterverwendung durch aktuelle Künstler/innen.

Auch für Software-Quellcode gilt das Urheberrecht, jedoch manifestierten sich dort alsGegenbewegung die bereits angesprochenen AktivistInnen für Freie und Open SourceSoftware. Mit Hilfe von Copyleft-Lizenzen – als Gegenstück zu Copyright – wurdenurheberrechtliche Barrieren für freien Austausch gegen sich selbst gekehrt: Auf Basis desUrheberrechts wird bei Freier Software rechtlich sichergestellt, dass auch Modifikationenund Weiterentwicklungen von Werken weiterhin frei und öffentlich zugänglich sind. DieseIdee haben Leute wie Lawrence Lessig aufgegriffen und auf andere Urheberrechtsbereicheübertragen, um auch Werke wie Bücher, Videos, Bilder und Musik mit Hilfe von Lizenzendauerhaft freigeben zu können. Die digitale Verbreitung über das Internet wird dabeierleichtert, ohne dass die frei gewählten Rechte der KünstlerInnen verletzt oder eingeschränktwerden.

Im Gegensatz dazu stehen technische Modelle digitaler Rechteverwaltung, die von ihrenBefürworterInnen als Digital Rights Management, von ihren GegnerInnen als DigitalRestrictions Management bezeichnet und in beiden Fällen mit DRM abgekürzt werden.Digitale Film- oder Tonaufnahmen, aber auch Software oder elektronische Dokumentewerden hier mit Hilfe von elektronischen Maßnahmen (z.B. elektronischem Wasserzeichen)

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geschützt, um durch technische Überwachung der Nutzer/innen auch in Zeiten des Internetsdie völlige Kontrolle über die Werksnutzung zu behalten. Ziel dieses Ansatzes ist meist,eine möglichst genaue Abrechnung (Pay per View) bei der Nutzung des Werkes zu ermög-lichen. Bedenklich wird dieser digitale Schutz, wie es Volker Grassmuck im Interview indiesem Band anspricht,132 wenn er mit Maßnahmen im Hardwarebereich kombiniert wird.Als paradoxe Konsequenz könnten dank DRM trotz der neuen Verbreitungsmöglichkeitenund Freiheitspotentiale des Internets am Ende sogar bisher selbstverständliche Freiheitenwie die Privatkopie für den besten Freund unmöglich gemacht werden.

Musik im Web: Die Enkel von Napster

Als Urknall der modernen Urheberrechtsdiskussion kann ohne Übertreibung der Streitum legale oder illegale Downloads von MP3-Musikdateien aus dem Internet mit Hilfe desProgramms Napster Ende der 90er Jahre bezeichnet werden. Dabei haben sich dieUntergangsprophezeiungen der Unterhaltungsindustrie trotz neuer und immer bessererProgramme zum Austausch von Musik- und Videodaten nicht bewahrheitet. Im Gegenteil:Es wurde im DVD-Bereich noch nie soviel Geld verdient wie heute. Aber auch derMusikbereich im Internet entwickelt sich weiter. Längst gibt es verschiedene kommerzielleDownload-Plattformen und nicht alle setzen dabei auf strenge DRM-Systeme wiebeispielsweise Apple. Dass Radios wie Ö1 oder FM4 auch einen Livestream ins Internetübertragen, ist schon eine Selbstverständlichkeit geworden. Gleichzeitig haben auchAußenseiter/innen eine Chance, sich zu positionieren oder gar völlig neue Modelle fürInternetradio wie beispielsweise pandora.com133. Sie bieten freies Web-Radio an, das sicham Geschmack der Benutzer/innen orientiert und über Bewertung der einzelnen Titeldurch die Benutzer/innen „lernen“. Während sich pandora bei der Auswahl der Songs aufdie professionelle Bewertung durch MusikexpertInnen und daraus generierte Vergleichsal-gorithmen verlässt, gibt es andere Radios, die Lieblingslisten oder Musikbibliotheken vonihren HörerInnen auswerten und so gerade die Musik vorschlagen, die zum ermitteltenMusikgeschmack passen könnte.

Wissen für alle

Das Internet eröffnet die Möglichkeit, das gemeinsame kulturelle Erbe in einem bislangundenkbaren Ausmaß zu sichern, zugänglich und für neue Kreativität nutzbar zu machen.Das betrifft Musik und Kunst genauso wie Literatur – also all das, was die Menschheit intausenden Jahren an Wissen und kulturellen Schätzen angehäuft hat. Doch Verschärfungen

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des Urheberrechts und immer umfangreichere Kopierschutztechnologien stellen sichzunehmend diesem Fortschritt in den Weg. Gleichzeitig sorgen aber auch die „viralen“Folgen des Copyleft-Prinzips – was einmal freigegeben ist, bleibt frei und alles was daraufaufgebaut wird, ebenso – für eine immer umfangreichere Wissensallmende, die allenMenschen zur Verfügung steht. Wie auch bei anderen kollektiven Gütern (z.B. Umweltschutz)ist der Schutz und die Pflege dieser neuen Allmende eine öffentliche Aufgabe auf denverschiedensten Ebenen.

Denn auch wenn Städte wie Linz keinen großen Einfluss auf Urheberrechtsregimesnehmen können, gibt es genug Möglichkeiten für kommunale Beiträge zum Ausbau dergemeinschaftlich-digitalen Commons. Bereits bestehende Projekte zeigen auch, welchgroße Vorbildwirkung erste Schritte in Richtung digitaler Freiheit entfalten können. VielBeachtung finden klarerweise die Verleihung des Prix Ars Electronica an freie Projekte wiedie Free Software Foundation oder Wikipedia in der Kategorie „Digital Communites“.Der großzahlige Ausbau öffentlicher Internet-Hotspots, der kostenlosen Internetzugangper Laptop ermöglicht, hat weit über Österreich hinaus für Aufsehen gesorgt. Das Bestean der Linzer Hotspot-Initiative ist, dass viele profitieren aber nur ein minimaler (Kosten-)Aufwand mit ihnen verbunden ist. Auch wenn es in Linz vielleicht manche wundert, aberLinz hat in diesem Bereich eine Vorreiter/innenrolle inne.

Und genau um diese Vorreiter/innenrolle geht es in doppelter Hinsicht. Einerseits kanndas, was heute geschaffen wird, in den nächsten Jahren ein echter Standortvorteil für Linzsein. Andererseits gilt es gerade für die Heimatstadt der Ars Electronica zu zeigen, was aufkommunaler Ebene mit neuen Technologien zum Vorteil aller möglich ist. Linz könntesich als Ziel setzen, der „Leuchtturm digitaler Freiheiten“ Mitteleuropas zu werden.

Die vorangegangen Beiträge in diesem Band beinhalten auch eine Bestandsaufnahmedessen, was es in Linz bereits gibt. Und zeigen über konkrete Projekte den Weg auf, derbeschritten werden könnte. Wenn man die Stadt Linz als Raum für eine offene, sozialeund demokratische Gesellschaft begreift, bietet ein reflektierter, auf Zugang und Freiheitorientierter Einsatz neuer Technologien ein breites Feld für positive Weiterentwicklung:

• Für die Menschen die hier leben mehr Lebensqualität, mehr Möglichkeiten, mehrKombinationen, mehr Chancen.

• Für die Betriebe ein attraktives, anregendes Umfeld, die Chance für Klein- undMittelbetriebe mit (Nischen-)Produkten einen großen Markt zu bedienen.

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• Für die Ausbildung die Möglichkeit, neue Wege zu beschreiten, um Menschen mehrund bessere Bildung zu vermitteln.

• Für Kunst und Kultur über das Projekt „Europäische Kulturhauptstadt 2009“ hinausnie dagewesene Möglichkeiten, die Menschen zu erreichen, zu ermahnen, zuprovozieren, zu faszinieren.

In diesem Sinne ist der Titel dieses Bandes, „Freie Netze. Freies Wissen.“ auch wenigerals Beschreibung denn vielmehr als kommunalpolitischer Imperativ zu verstehen. Der Bandselbst ist ein Beitrag dazu, ihm nachzukommen.

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Die folgende Vision könnte in Linz in wenigen Jahren Realität sein: ThemaDie digitalen Potentiale und das Web sind allgegenwärtig. Wenn man sich in der Stadt bewegt, nutzt

man ganz selbstverständlich die neuen Möglichkeiten, weil sie Teil des Lebens geworden sind. AlleLinzer/innen verfügen über einen schnellen, kostenlosen Zugang zum Internet. Sie haben – unabhängigvon ihrem Alter – die Chance wahrgenommen, die ihnen geboten wurden und kennen sich im „Netz“aus. Allen, die sich nicht so gut auskennen, wird schnell, kostengünstig und ganz selbstverständlichgeholfen. Die Stadt Linz bietet dazu regelmäßige Kurse in den Einrichtungen der Volkshochschuleund Bibliotheken an und die Bürger/innen helfen sich auf Plattformen wie dem Linzer Stadtwikiuntereinander. Für den Einstieg in die vernetzte Welt stellen die Stadt Linz und ihre Partner/innenLaptops und DVDs mit Freier Software zur Verfügung. Die meisten bürokratischen Wege könnenelektronisch und damit viel schneller und effizienter abgewickelt werden. Die Kommunikation zwischender Kommune und den BürgerInnen erfolgt immer öfter auf elektronischem Weg. Dabei spielt dieKommunikation über die Entwicklung der Stadt eine wichtige Rolle und die Bewohner/innen partizipierenmit ihren Ideen und Vorstellungen. Die Leute setzen sich aktiv mit ihren Möglichkeiten auseinander.Weil sie ihre Ideen einbringen, und diese ernst genommen werden, machen sie Linz zu einer „denkendenStadt“.

Die Menschen haben neue Formen der Zivilcourage und der Solidarität entwickelt – sie helfen sichgegenseitig auf verschiedene Weise. Mit Informationen, mit Leistungen, sie prangern Unrecht an undschließen sich zusammen. Die Bedeutung von Zeitungen und anderer Medien verändert sich imregional-digitalen Diskurs. Jede und jeder ist ein Teil der Stadtgeschichte. Und sie schreiben dieseStadtgeschichte mit und überlassen es nicht allein den ExpertInnen und HistorikerInnen.

Die Bibliotheken und in ihrem Zentrum der Wissensturm stellen ein umfangreiches Archiv an FreienInhalten/Open Content zur Verfügung, das für alle zugänglich ist, die Möglichkeit zur Weiterbildungbietet und den kostengünstigen Zugang zu Kultur und Hochkultur ermöglicht. Der offene Zugang zuWerken von anderen KünstlerInnen belebt die Kunstszene in Linz, arrivierte und frische, jungeKunstschaffende arbeiten in enger Symbiose an Kunstprojekten. Die Stadt Linz zieht weitereKulturschaffende aus ganz Europa an – die digitale Öffnung der Stadt führt zu ihrer realen Öffnung.

Der Geist der Kreativität und der Interaktion führt zu einem kooperativen Wettbewerb und wird zumStandortvorteil für Linz. Im engen Kontakt mit der Universität und den lokalen Unternehmen entwickelnLinzer Programmierer/innen Freie Software für die unterschiedlichsten Anwendungen. Das gesammelteund offen zur Verfügung stehende Know-how zieht weitere Unternehmen an und schafft zahlreicheArbeitsplätze, nicht nur in der EDV-Branche, sondern auch in verwandten Berufen. Die Stadt Linzunterstützt all diese Initiativen und spornt sie an, weil in Linz verstanden wurde, dass das Web keinentweder/oder, sondern ein sowohl als auch ist. Linz ist der digitale Leuchtturm Mitteleuropas geworden,besonders die Region um Linz profitiert mit von der Entwicklung.

Die Stadt Linz mit all ihren Einrichtungen, wie dem AEC, dem Wissensturm, konnte ihren internationalenBekanntheitsgrad weiter steigern und gilt weltweit als Ideal einer „digitalen Open Source Kommune“.Linz ist nicht mehr nur als soziale sondern auch als digitale Musterstadt bekannt. Aus diesem „Fame“ergeben sich zahlreiche Beratungstätigkeiten, bei denen die Erfahrungen aus den Entwicklungen undProjekten der letzten fünf Jahre an andere weitergegeben werden.Eine logische Folge all dieser Entwicklung ist, dass Linz Tagungsort für digitale Medien ist. DieKonferenzen finden sowohl virtuell als auch real, also auf Linzer Boden, statt. Weil die Menschen trotzund wegen dem Web noch mehr miteinander reden und diskutieren.

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Der Weg zu einer Stadt der freien Netze

In den vorangegangen Kapiteln dieses Buches wurden zahlreiche Projekte formuliert.Ihre Realisierung skizziert den Weg zu einer „Stadt der freien Netze“. Hier eine Auswahlvon Projekten mit einer kurzen Beschreibung:

Internet Grundversorgung

Für die Grundversorgung mit Internetdiensten baut die Stadt Linz in Kooperation mitstadteigenen Betrieben ein Linz überspannendes, kostenloses Funknetz für freien Zugangzum Internet auf. Der Zugang zum World Wide Web ist damit keine finanzielle Fragemehr, sondern ein Grundrecht für alle Linzer Bürger/innen und verringert die sozialeDimension der digitalen Spaltung.

Open Content Library Service

Die Linzer Bibliotheken erfassen und strukturieren urheberrechtsfreie literarische,musikalische und visuelle Werke nach bibliothekarischen Kriterien und stellen diese ineiner Webothek zur Verfügung. Nicht Hitlisten, sondern assoziative Verknüpfungen stehenim Vordergrund. Auf Wunsch können die freien Inhalte auch „offline“ auf Papier bestelltund ausgeliehen werden.

Open Course Ware

Die Lehrenden der Johannes Kepler Universität stellen ihre Kursunterlagen online zurVerfügung. Damit stellen sie sich dem internationalen Wettbewerb und profitieren vominternational vernetzten Wissen anderer ProfessorInnen. Ähnliche Projekte werden anWeiterbildungseinrichtungen für Erwachsene und in den Schulen umgesetzt. Die Trai-ner/innen, Lehrer/innen und ProfessorInnen tauschen ihre Bildungsunterlagen miteinanderaus und profitieren vom Wissen der anderen. Sie können sich inspirieren lassen und arbeitengemeinsam an der Verbesserung der Unterrichtsmaterialien und –methoden.

Freedom Toaster / Linz09-Linux-Live-DVD

Freie Software steht nicht nur als Download zur Verfügung, sondern kann in Bibliothekenund anderen öffentlichen Plätzen von PC’s auf DVD gebrannt werden. Ergänzend dazu

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Thema

bietet die Stadt Linz eine gratis DVD mit einem Linux-Live-System und freien Programmenan.

Plattformunabhängigkeit, offene Schnittstellen, Standards und vielseitige Dateiformatesind die Grundprinzipien bei der Anschaffung neuer Software und werden bei allenöffentlichen Ausschreibungen berücksichtigt. Die Linzer Schulen sind mit Freier Softwareausgestattet, die eine Vielzahl an pädagogischen Programmen bietet und die den Kindernkostenlos für zu Hause zur Verfügung steht. Die Kinder – die User/innen von morgen -erlernen den Umgang mit der Technologie und nicht nur den Umgang mit einzelnenProdukten wie Microsoft.

Syndikatisierung der Linz09-Blogosphäre

Auszüge aus der zusammengeschlossenen Blog-Szene „linz2009:blogs“ werden auf großenLeinwänden an den Knotenpunkten der Kulturhauptstadt visualisiert und vermitteln damiteinen Eindruck der vielfältigen Szene. Das Web wird damit in die reale Welt getragen.

Einrichtung eines Linz-Public-Space-Server

Als Ergänzung zu kommerziellen Serverangeboten stellt die Stadt Linz ihren Bürgerinnenund Bürgern auch digitalen, öffentlichen Raum zur Verfügung: Bürger/in der Stadt Linzzu sein, geht einher mit dem Recht auf Webspace und dessen Nutzung für private Zwecke.

AEC Community Nutzung

Die Linzer/innen selbst greifen als Städteplaner/innen im Internet in die zukünftigeGestaltung der Stadt ein. Über eine dreidimensionale Wikimap können Gebäude oderganze Straßenzüge verändert und umgestaltet werden.

Webprototyping

Nach dem C.A.V.E behält das AEC mit einem dreidimensionalen Drucker weiter seineRolle als Museum der Zukunft. Die neueste Technologie wird SchülerInnen für denUnterricht, ArchitekturstudentInnen für Projekte und KünstlerInnen zur Verfügung gestellt.

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Linz 09 creative commons

Unter einer Creative Commons Lizenz stehen sämtliche Dokumente, Audio-, Video-und Fotofiles auf der linz09 Homepage zur Verfügung. Damit ist es allen Menschenmöglich, am Kulturangebot teilzunehmen und auf den Leistungen der Künstler/innenaufzubauen.

Studiengang „Web-Wissenschaft“ an der JKU

Ein eigenes Institut an der JKU beschäftigt sich mit der Zukunft des Webs auf einersozialen, gesellschaftlichen, rechtlichen und technischen Ebene. Dabei werden Entwicklungenund ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft beleuchtet. Im Studienzweig Web-Wissenschaftenbekommen die Studierenden eine umfassende, interdisziplinäre Ausbildung und lernenZusammenhänge zwischen den unterschiedlichen Fachbereichen kennen.

Die Priorität, welche Projekte als erstes umgesetzt werden, hängt letztlich von derKooperationsbereitschaft der benötigten Partner/innen ab. Natürlich sind für die Realisierungfinanzielle Mittel notwendig. Die Erfahrung zeigt aber, dass interessante Neuerungen ofterstaunlich günstig realisiert werden können, wenn man auf bestehendem Wissen undStrukturen aufbaut – die es in Linz zweifelsfrei gibt. Sowohl das Know-how einzelnerAkteurInnen als auch das in den Institutionen schlummernde Wissen kann gemeinsamgeweckt und zusammengefügt werden. Ganz getreu einem der Leitsätze dieser neuensozialen Bewegung rund um das Internet: Auf den Schultern von GigantInnen.

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Thema

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„Die Abrechnung mitdem 20. Jahrhundert“

Interview: Volker GrassmuckVolker Grassmuck ist Soziologe und Medienforscher am Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik derHumboldt-Universität zu Berlin. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit ist er Projektleiter desUrheberrechts-Informationsportals „iRights.info“ und der internationalen Konferenzreihe „Wizardsof OS“, die sich mit den verschiedensten Bereichen freier Inhalte – von Software über Kunst undKultur bis hin zu Gesellschaftspolitik – beschäftigt.

Foto: http://www.wizards-of-os.org/presse/pressebilder.html

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Interview

Freie Software, A2K – Access to Knowledge,Open Access, Free Culture und viele anderesoziale Bewegungen rund um das Internetwerden oft in einem Atemzug genannt,sind auch alle auf der von Ihnen organi-sierten Konferenz „Wizards of OS“ vertre-ten. Was ist eigentlich der gemeinsameNenner dieser verschiedenen Bereiche?

Volker Grassmuck: Was sie zunächst einmaleint, sind die gemeinsamen Möglichkeits-bedingungen von Wissensfreiheit. Die sindgegeben durch die digitale Revolution mitden beiden Elementen Produktions- undDistributionsmittel informationeller Güter,also PC und Internet. Beides ist wichtig:Der Möglichkeit digitaler Verbreitung überdas Internet geht ja die Möglichkeit derProduktion informationeller Güter jeglicherArt voraus. Beides alleine reicht aber nicht.Wir hatten eine Phase in den 80ern, woPCs in den Haushalten verfügbar waren,aber das Netz noch nicht so richtig. Erstmit dem Internet wurde der Boom ausgelöst,der dann die Kooperation und Austausch-prozesse wie bei Freier Software und in derWikipedia erst möglich gemacht hat. DasInternet alleine wäre, jetzt natürlich hypo-thetisch gedacht, eher etwas geworden wieder Amateurfunk. Ein Medium ohne Spei-cher und ohne Verarbeitungsmöglichkeitvon Information. Tatsächlich ist das Internetsowohl Übertragungs- wie Speichermedium.

Welche Rolle hat dabei eigentlich FreieSoftware gespielt?

Volker Grassmuck: Freie Software war dieVorreiterin, die Eisbrecherin. Dabei war derBeginn völlig unplausibel: Zu einem Zeit-punkt, wo Software bereits zu einem eigenstän-digen Produkt geworden ist, zurückzugehenzu einer Phase, wo freier Austausch gang undgäbe war. Bei Radio und anderen Mediengab es eine Frühphase, wo noch unklar war,was dieses Medium eigentlich bedeutet. Eswird viel ausprobiert, letztlich entscheidetdie Gesellschaft, was es bedeutet. So hat esin der Computergeschichte anfangs auchausgesehen. Erstmal gibt es Großrechner unddie Vorstellung, man bräuchte nur zwei Com-puter für die ganze USA, einen an derWestküste und einen an der Ostküste. Soft-ware war damals nur Dreingabe zur Hardwareund der Austausch der Nutzer untereinanderist noch aktiv gefördert worden. Dann kamdie Phase, wo sich ein Markt ausdifferenzierthat und mit Microsoft und anderen eigen-ständigen Softwarefirmen losgelöst von Hard-ware-Herstellern entstanden sind. Ende derGeschichte, sollte man meinen. Doch dannhaben Leute den praktischen Sinn gesehen,weiterhin dieses Wissen über Softwaremiteinander auszutauschen. Also weder Re-voluzzer, die eine neue Gesellschaft bauenwollen, noch Gegner von irgendwas. ImUnterschied zur Anti-AKW-Bewegung gibtes nicht den Bauzaun, an dem gerüttelt wird.

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Können Sie ein Beispiel für den prakti-schen Sinn von Freier Software nennen?

Volker Grassmuck: Richard Stallmanerzählt immer wieder diese Ursprungsge-schichte vom Drucker am Netz, dem er eineAnzeigefunktion über den Papiervorrat hinzu-fügen wollte, damit man nicht immer erstins Nachbargebäude rennen musste, umdann festzustellen, dass der Druckauftragnoch nicht ausgefüllt worden ist, weil dasPapierfach leer war. Der Druckerherstellerhat ihm aber einen Blick in den Software-Quellcode verweigert, was bis dahin selbst-verständlich gewesen war. Genauso wie einAtomphysiker mit Kollegen seine For-schungsergebnisse austauscht, weil dadurchsein Wissen bereichert und der gemeinsamePool an Wissen vorangetrieben wird. Genauin dieser wissenschaftlich-technischen Tra-dition haben die Programmierer das anfangseben auch gemacht. Im Zuge der Gründungvon Softwareunternehmen aus der Uniheraus haben beispielsweise am MIT dieProgrammierer auch am Biertisch nichtmehr miteinander über das gesprochen, wassie eigentlich beschäftigt, nämlich Program-mieren. In dieser aufkommenden Stimmunghat Richard Stallman dann gegen eines dieserUnternehmen alleine anprogrammiert. Alsodas, was ein ganzes Team gemacht hat, hater frei nachentwickelt und dann dem Kon-kurrenten zur Verfügung gestellt, um denfreien Austausch zu fördern. Das ist eine

verrückte Geschichte, vor allem, dass dieserMensch dann die Notwendigkeit gesehenhat, das auf eine solide vertragliche Basis zustellen und die GNU General Public Licenseverfasst hat. Weil Freiheit eben nicht einfachnur heißt „Ich lege das offen. Macht damit,was ihr wollt!“, sondern, dass Freiheit Me-chanismen braucht, um sich wehren zukönnen gegen Missbrauch.

Wie sieht Missbrauch der Freiheit ausoder wie könnte er aussehen?

Volker Grassmuck: Missbrauch bei im-materiellen, nicht-erschöpflichen Güternist natürlich nicht die Übernutzung wiebeim klassischen Allmende-Problem, aberes gibt auch eine knappe Ressource: DieMotivation von Leuten, weiterhin zu solchenfreien Projekten Beiträge zu leisten. Wenndie sehen, dass der gemeinsame Pool immerwieder abgeschöpft wird und separat weiter-entwickelt wird, ohne dass diese Weiterent-wicklungen in den gemeinsamen Poolzurückfließen, dann werden die sagen

„Warum soll ich denen zuarbeiten und dieverdienen das Geld damit und wir habennichts davon?“ Das verhindert die GPL.

Einzelne Bereiche wie Freie Software be-zeichnen sich selbst als „soziale Bewegung“.Würden Sie sagen, dass das auch für dieGesamtheit gilt? Gibt es eine – wie auchimmer zu bezeichnende – digitale, soziale

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Bewegung wie beispielsweise die früheÖkologiebewegung eine war?

Volker Grassmuck: Die Analogie zur Öko-logiebewegung ist in der Tat die beste, dieich kenne und ich kann sie nur unterstützen.Die Idee, dass wir uns alle in einer gemein-samen Wissensumwelt bewegen und dasshier verschiedene Interessen, aber auch ver-schiedene Gefahrenpotentiale zusammen-kommen. Da gibt es Leute, die spezialisierensich eher auf die Luft, Leute, die sich eherfür das Wasser interessieren oder für alterna-tive Energiekonzepte. Aber wenn Not amMann ist, wenn es irgendwo richtig zuknallen droht, dann schließen sich alle zu-sammen, auch wenn das jetzt nicht ihrSpezialgebiet ist. Aktuelles Beispiel: Software-patente.

Das waren natürlich nicht nur Programmie-rer bei dieser Bewegung gegen Einführungvon Softwarepatenten in Europa, sondernauch viele andere, die das Gefahrenpotentialerkannt haben. Benutzer von Software, dieverstehen, dass die Freiheit Freier Softwarenicht bedeuten muss, dass sie selber dieSoftware modifizieren. Aber die Tatsache,dass andere das können oder dass sie anderedamit beauftragen können, bedeutet auchfür diese Nutzer Freiheit.

Einen wirklich griffigen Namen habenwir noch nicht gefunden?

Volker Grassmuck:„Digitaler Umweltschutz“hat schon was, aber es ist trotzdem nocherklärungsbedürftig.

Welche (politische) Organisationsformund damit verbunden auch Artikulations-form erscheint Ihnen für diese Bewegungangemessen? Insbesondere auch im Ver-hältnis zu herkömmlichen Parteien – Stich-wort: Piratenparteien.

Volker Grassmuck: Netzwerke. Ein zen-trales Thema ist ja auch die Abrechnungmit dem 20. Jahrhundert: Die Massengesell-schaft, Massenfabrikation, Massenkonsum,Massentourismus und eben auch Massen-parteien, Massendemokratie und natürlichauch Formen von Massenkollektivismus.Jetzt geht es darum, der „kollektivenIntelligenz“ eine „konnektive Intelligenz“entgegenzustellen. Bei Massenstrukturendes 20. Jahrhunderts, entscheidet der oderdie Einzelne letztlich nur als agglomerierteSumme wie bei einer Wahl. Bei der konnek-tiven Intelligenz ist jeder einzelne Knotenfraktal das Ganze. Nicht in der Auflösung,in jedem Detail wie der nächste oder derübernächste Knoten, aber das, was sich ausder Vernetzung solcher Knoten ergibt, isteben ein komplexeres Bild, und einzelneStimmen können hier sehr viel mehr bewe-gen. Es gibt die bekannten Verstärkereffekte,dass Leute auf ihren privaten Blogs etwassagen, das wird von anderen Blogs über-

Interview

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nommen oder es wird darauf gelinkt, irgend-wann entdeckt das die Presse und es wirdMainstream – wobei die Frage, was dannder Mainstream hier ist, sich auch nocheinmal anders stellt. Denn natürlich habenauch die Massenmedien des 20. Jahrhun-derts heutzutage ihre Bedeutung verloren.

Piratenparteien sind dann eher ein Irrwegoder Teil dieses Netzwerks?

Volker Grassmuck: Ein Teil des Netzwerks.Ich glaube auch nicht, dass es so gedacht ist,wie eine Massenpartei des 20. Jahrhunderts.Schon alleine, dass hier ein Einzelthemazum Ausgangspunkt einer Parteiengründunggemacht wird, macht es, glaube ich, ziemlichdeutlich. Es ist eine Form, die man benutzt,eine Möglichkeit, Leute einzubeziehen, zumobilisieren und eine Botschaft rüber-zubringen. Es wird definitiv nicht die Avant-garde der gesamten Bewegung werden, diedas bündelt, was sich in diesem Netzwerkartikuliert, und dann den Präsidenten stellt.

Wer ist dann die Avantgarde der Bewe-gung?

Volker Grassmuck: Das sind die einzelnenKnoten. Ich glaube nicht, dass man sagenkann, hier ist eine Gruppe, die in der Ge-samtbewegung allen anderen voraus ist unddie Zeichen setzt. Natürlich gibt es einzelne,die hervortreten, wie Richard Stallman oder

andere im Bereich Technik. Shawn Fanninghat mit Napster beispielsweise eine neueNetzarchitektur erfunden, die dazu führt,dass Leute auf eine andere Weise miteinanderin Informationsbeziehung gesetzt werden.Oder Ward Cunningham mit WikiWiki.Vor zwanzig Jahren war Virtual Reality dieZukunft: 3D mit Datenbrille und –hand-schuh. Dass Text auf frei schreibbaren Webs-eiten eine viel größere Bedeutung bekom-men würde, hätte sich damals niemandvorstellen können. Das sind so geniale Ein-fälle zum rechten Zeitpunkt am rechten Ort.Das wird aufgegriffen und kann sich verstär-ken, ohne dass Leute dann tatsächlich zuFührern werden. Richard Stallman ist soein Zwischending, der natürlich noch etwasvon einer Führerfigur hat und das auchinszeniert. Auf der Wizards of OS 1999 hater am Schluss den St. iGNUtius gemacht,mit der Magnetplatte aus einem Groß-rechner als Heiligenschein, dem Notebookals der Bibel unter dem Arm, einer Kutteumgeworfen und gesagt „Ich verkünde euchdie Freiheit! Ihr sollt kein anderes Betriebs-system auf eurem Laptop haben neben mei-nem!“ Das war natürlich als Spaß für dieGeeks (Computerfreaks, Anm.) gedachtund ich glaube nicht, dass irgendjemanddas missverstanden hat, dass er sich tat-sächlich selber in der Rolle des Prophetensieht. Aber er spielt auf jedem Fall mit denstarren Strukturen des 20. Jahrhunderts. Ichglaube, das wird immer weniger werden.

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Aber was es weiterhin geben wird, sindLeute, die gute Ideen zum richtigen Zeit-punkt haben. Diese Art von Avantgardewird es mit Sicherheit weiter geben.

Wenn das Netzwerk die Organisations-form dieser Bewegung ist, wie soll dieseVernetzung am besten funktionieren?

Volker Grassmuck: Über soziale Software.Also, Voraussetzung ist der eigene PC oderZugang dazu. In der dritten Welt ist Zugangzu Hardware natürlich noch einmal ein an-deres Thema. Zugang zum Internet. Dassind die Voraussetzungen. Dann Speicherplatzim Internet. Das ist jetzt nicht wirklich dasProblem, aber es ist ein konstitutives Element.Und das kann durchaus problematisch wer-den, wenn zum Beispiel MySpace aufgekauftwird und man nicht weiß, was mit den Sa-chen passiert, die dort von ganz vielen abgelegtworden sind. Gegenmodell dazu wäre Archi-ve.org, wo der Gründer Brewster Kahle inder Integrität seiner Person dafür gerade steht,dass das weiter zur Verfügung stehen wird.Das ermöglicht dann die vernetzte Organisa-tion und auch die muss wieder nicht komplexsein: E-Mail, Mailinglisten für Gruppenkom-munikation, Wikis für gemeinsames Editieren,Blogs für ein gemeinsames Kommentierenund für Nachrichten, Kryptografie, damitnur die mitlesen, die mitlesen sollen. Daslässt sich dann zu Kooperations- oder Kam-pagnenumgebungen zusammenstellen.

Was sind ihrer Meinung nach die größtenGefahren und Potentiale über die verschie-denen Bereiche hinweg? Was steht auf der(politischen) Agenda ganz oben?

Volker Grassmuck: Da die offene Architek-tur der Universalmaschine Computer Grund-voraussetzung für alles ist, entstehen Ge-fahren durch Eingriffe in diese Architektur.Der Hauptbereich hier sind Digital Restric-tions Management (DRM) und TrustedComputing, die im Interesse von Rechtein-habern dazu dienen sollen, aus dieser Uni-versalmaschine eine Kontrollmaschine zumachen. Die zweite Gefahr ist eine Verän-derung des Internets. Heute ist es ein „dum-mes“ Transportnetz für beliebige Inhaltemit Intelligenz an den Endpunkten. In demAugenblick, wo diese Netzneutralität durchBevorzugung von zahlungskräftigen Kundenoder Zensur autoritärer Regime wie Iran,China oder Nordrhein-Westfalen (lacht)gefährdet wird, ist die Informationsfreiheitbedroht.

Das waren jetzt die größten Bedrohungen.Wie sieht es mit Potentialen und Chancenaus? Wo sollte die Reise hingehen?

Volker Grassmuck:Das große Versprechenist Zugang zu Wissen für alle. Nun kannman sagen, Leute in Entwicklungsländernwerden von Informationen nicht satt, diebrauchen erstmal Nahrung, sauberes Wasser,

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Medikamente. Das ist alles viel wichtiger.Aber Information hilft tatsächlich Lebenretten. Frauen, die über Kleinkindpflegeinformiert sind, reduzieren die Kindersterb-lichkeit deutlich gegenüber Frauen, die dieseInformationen nicht haben. Leute könnenInformationen über die Agrar- oder Hand-werksprodukte abfragen, die sie herstellenund besser auf den Markt reagieren. Siekönnen ihre Produkte aber auch direkt imInternet anbieten. Eine Näherin im Nord-osten Brasiliens, einer der ärmsten Regionen,ist nicht mehr darauf angewiesen, dassZwischenhändler ihre Jacken zum lokalenPreis aufkaufen, um sie dann im Europa fürdas zigfache zu verkaufen. Sie kann überdas Internet ihre Arbeiten direkt den Kundenin Europa anbieten. Mit einem Mal stehtdiese Frau in einem abgelegenen Weltteilim Zentrum eines weltweiten Distributions-netzes. Information kann Leben retten, dasLeben lebenswerter machen. Und Bildungist natürlich ein Wert an sich. Kultur ist einGutteil Befriedigung in sich, im Sinne desMusikmachens um des Musikmachens wil-len. Die breite Teilhabe an Kultur jeglicherArt ist ein großes Versprechen, aber eigent-lich sind wir da schon mittendrin.

Das ist dann aber doch anders als bei derÖkologiebewegung?

Volker Grassmuck: Das ist richtig: Ja, esist eine soziale Bewegung, aber auf eine

andere Weise, als diese Anti-Bewegungender 60er, 70er, 80er Jahre des 20. Jahr-hunderts, wo ein Problem, eine Bedrohung,ein Gegner, der Klassenfeind die Dingewaren, an denen man sich abgearbeitet hat.Von den vorher geschilderten Bedrohungender Grundlagen dieser Freiheit einmal abge-sehen, wo wieder alle zusammenkommenund es zu einer ganz klassischen sozialenBewegung mit Lobbying, Parteigründungund Kampagnen wird. Wenn man das In-ternet und diese freie Kultur in Ruhe lassenwürde, wenn es nicht immer wieder Neideroder Ewiggestrige gäbe, die mit den Ge-schäftsmodellen des 20. Jahrhunderts ins21. Jahrhundert gehen wollen, dann würdesich die freie Kultur einfach weiterentwickeln.Wohin? Völlig unklar. Klar ist nur: Wir sindnoch in den ersten Anfängen.

Einer der größten Diskussionspunkte inden verschiedenen Communities ist immerwieder das derzeitige Urheberrechtsregime.Wo sehen Sie in diesem Bereich Hand-lungsbedarf?

Volker Grassmuck: Zunächst einmal sindfreie Kultur und Urheberrecht kein Wider-spruch. Ein Hauptproblem ist aber dierechtliche Absicherung für technischeSchutzmaßnahmen, wobei ein technologi-scher Trend der Rechteverwerter gesetzgebe-risch unterstützt wird. In den 80er Jahrenist in den USA dieses magische Denken

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entstanden: Die Wunde, die das Schwertschlug, kann nur vom selben Schwert – alsoTechnologie – wieder geheilt werden. Inden USA sind die Rechteinhaber mit einemUmgehungsschutz für DRM nicht durchge-kommen. Dann sind sie nach Genf zur WI-PO (UNO Weltorganisation für GeistigesEigentum) gegangen und haben das mit demWIPO Copyright Treaty von 1996 auf derweltweiten Ebene durchgesetzt. Das hatjedenfalls schon eine Menge Schaden ange-richtet. DRM gefährdet Datenschutz, Tech-nologieentwicklung, Sicherheitsforschungund die Wahrnehmung von urheberrechtli-chen Bürgerrechten. Dass der Gesetzgeberhier nicht etwa die Bürger vor solcher Tech-nologie schützt, sondern umgekehrt, ist einesder großen Konfliktfelder im Urheberrecht.In jedem Fall ist es wichtig, hier weiter impolitischen Raum zu argumentieren.

Das Internet ist ein weltweites Netzwerk.Viele dieser Fragen und Bewegungen sinddaher fast schon selbstverständlich inter-national. Mit einem Spruch der Globali-sierungsbewegung gesprochen: „Globaldenken“ ist sehr weit verbreitet, aber wiesieht es mit dem lokalen Handeln aus?Was ist auf lokaler Ebene möglich?

Volker Grassmuck: Lokal leben wir. UnsereKörper sind lokal, unser physikalisches In-terface zum globalen Netz ist lokal. Dasheißt für Kommunalpolitik beispielsweise,

Zugangsmöglichkeiten zu Rechnern undzum Internet zu unterstützen, zum Beispielüber öffentliche Terminals und freie Funk-netze. Das ist eine wichtige kommunaleAufgabe. Auch wenn wir heute über dieWelt jetten können, letztendlich ist manimmer an einem Ort. Was Lebensqualitätausmacht, ist einfach lokal. Die Dichte desInformationsaustausches ist auf lokaler Ebe-ne natürlich auch eine ganz andere. Wirkönnen per E-Mail über die ganze Weltkommunizieren und dennoch hat ein lokalesZusammentreffen von Menschen – unddeshalb macht man Konferenzen wie dieWizards of OS – eine andere Qualität.

Jetzt gibt es auch Vorwürfe an diese Bewe-gung, interessanterweise aus zwei verschied-enen Seiten. Der eine ist der Vorwurf des

„Wissenskommunismus“ bzw. dem Kom-munismus das Wort zu reden. Der andereVorwurf wäre, die Propagierung des tota-len Wettbewerbs mit Selbstausbeutungder beteiligten Individuen.

Volker Grassmuck: Der Kommunismusgehört auch in die massengesellschaftlichenStrukturen des 20. Jahrhunderts und deshalbist das allenfalls metaphorisch zu verstehen.Wissenskommunismus schränkt das außer-dem noch einmal ein, aber der Sache nachist das natürlich völlig richtig. Informationensind öffentliche Güter. Das ist nichts Revo-lutionäres, sondern das sagen die Ökonomen.

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In dem Augenblick, wo Information veröf-fentlicht ist, ist sie frei. Diese Qualität istsolange nicht voll zum Tragen gekommen,wie Information noch an physikalische Trä-ger gebunden war. Mit der Digitalisierungund dem Internet ist dieser Mangel aufge-hoben und veröffentlichte Information füralle zugänglich und gehört allen.

Und die andere Seite der Vorwürfe? Dertotale Wettbewerb? Die Leute bekommenkein Geld für ihre Arbeit? Luxus undgleichzeitig Selbstausbeutung, weil nur inreichen Ländern die Menschen überhauptdie Zeit für das Erstellen freier Güterhaben?

Volker Grassmuck: In jedem Fall machendie Menschen freie Güter wie Software oderKunst einmal für sich selbst. Aber natürlichmüssen die Menschen in der Situation sein,wo sie das überhaupt tun können. Siemüssen also in der Tat den freien Raumund die freie Zeit haben. Wenn jemand wiein Indien 16 Stunden am Tag lohnprogram-miert, dann wird er nicht nach Hause kom-men und noch mal 16 Stunden Freie Soft-ware programmieren. Ich will aber nichtsagen „Luxus“. Alle, die Informationenproduzieren, können die im Prinzip auchmit anderen teilen. Das ist zwar eine kleinezusätzliche Anstrengung, aber wenn manals Lehrer ohnehin etwas für eine Schulklassevorbereitet, dann ist es kein Problem, diese

Information so aufzubereiten, dass sie100.000 anderen Lehrern und Schülernauch zur Verfügung steht. Der Lehrer wirddafür bezahlt, solche Sachen zu machen,aber nicht im Stücklohn. Das heißt, wenner das für alle macht, verdient er nichtweniger. Insofern ist das eine etwas andereSituation als die der Auftragsprogrammiererin Indien. Ideal wäre es natürlich, wenn dieAuftragsprogrammierer in Indien bezahltwürden, Freie Software zu programmieren.Das hätte auch Vorteile für ihre Auftraggeber:Wenn sie in der Umgebung von Freier Soft-ware operieren, dann können sie auf einenviel größeren Pool von Lösungen zurück-greifen und ihre Arbeit besser und effizientermachen, als wenn sie das Rad immer neuerfinden müssten. Dadurch geht die Arbeitschneller von der Hand, die Qualität istbesser.

Und wie sieht es allgemein mit der Bezah-lung aus?

Volker Grassmuck: Noch einmal zurückzum Kommunismus: Eine Definition läuftja über Eigentum an Produktions- undDistributionsmittel. Mit PC und Internetfür alle kann jede nach ihren Fähigkeitenund Neigungen zum Wohl aller beitragen.Dann bleibt natürlich die Frage, wie allennach ihren Bedürfnissen gegeben wird. Dagibt es eine Reihe von Ansätzen, unter an-derem Pauschalvergütungsmodelle. Die wer-

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den gerne als kommunistisch diffamiert,sind aber in Wahrheit auch Marktmodelle.Wessen Werke häufiger heruntergeladenwerden, wessen Videos häufiger angesehenwerden als andere, kriegt dadurch auchmehr Zahlungen. Daneben ist natürlichauch das gerade in Konjunktur befindlicheModell des garantierten Grundeinkommensein Denkansatz, der eine Menge Sinn macht.Das wird auch mit großer Wahrscheinlich-keit auf der Tagesordnung der nächstenWizards of OS stehen.

Last but definitely not least: Thema Frau-en. Warum sind es vor allem im BereichFreier Software so wenige, nämlich nochweniger als im Bereich herkömmlicherSoftwareerzeugung? Wie lässt sich dasändern?

Volker Grassmuck: Natürlich reicht esnicht, Probleme zu benennen. Zunächstmal geht es um Freie Software. In den meis-ten anderen Bereichen der Bewegung rundum freie Kultur sind Frauen nicht unterre-präsentiert. Es hat also etwas zu tun mitTechnik und mit der Sozialisierung im Hin-blick darauf. 2001 hat Rishab Ghosh ineiner Untersuchung herausgefunden, dassin herkömmlichen Informatikbereichen 28Prozent Frauen sind und in der freien Soft-ware nur 1,5 Prozent. Das ist natürlich eindramatischer Unterschied. Wobei man ein-schränken muss, dass sich diese 1,5 Prozent

auf Freie Softwareprojekte beziehen – Firmen,die Freie Software produzieren, sind dabeiherausgerechnet. Was immer wieder alsUrsache genannt wird, ist ein rüder Um-gangston auf den Mailinglisten. Ein Sich-beweisen-müssen und mit Ellenbogen Argu-mentieren. Männer engagieren sich in derfreien Software, weil sie freiheitliches Denkenschätzen, sich selber befreit wähnen vonallen möglichen Zwängen, sehr individualis-tisch, sehr auf Selbstverwirklichung hinorientiert sind. Die können sich dann letzt-endlich gar nicht vorstellen, dass sie durchihr Verhalten Frauen keinen Raum geben.Die Vorschläge zur Behebung der Situationin der aktuellen EU-Studie von BernhardKrieger und anderen sind teilweise sehrtraditionell, wie beispielsweise Ausschreib-ungen mit Bonus für Firmen mit aktiverFrauenförderung. Die Projektleiter sollenangehalten werden, auf sexistisches Verhaltenin Projektkommunikation zu achten. Dasist sicherlich gut gemeint, wie viel estatsächlich dann nützt, müssen wir sehen.Ein interessanter Vorschlag sind auch ge-meinsame Projekte mit Ländern, wo dieserLink zwischen Technologie und Männlich-keit nicht so stark existiert, wie beispielsweiseMalaysia.

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PROJEKT: Institut und Studium der „Webwissenschaften“ an der Universität Linz

Der allgegenwärtige Einsatz von Computern und Internet wird heute, analog zurindustriellen, als „digitale Revolution“ bezeichnet. Die Möglichkeit, Inhalte verschiedensterArt – Informationen, Musik, Bilder etc. – quasi kostenlos zu vervielfältigen und weltweitanzubieten, ist in ihren Konsequenzen und Potentialen nur in Ansätzen erahnbar. DieBeeinflussung des menschlichen Lebens ist dabei total: Beruf und Freizeit, Politik undUnterhaltung, Kunst und Kultur – alles wird von neuen digitalen Chancen und Gefahrenbeeinflusst und verändert. Doch oft fehlt der Blick für das große Ganze, das Verstehen „wiedas Web tickt“. Doch ein solches, besseres Verstehen ist notwendig, wenn man die enormensozialen, politischen und gesellschaftlichen Implikationen mitsteuern und mitgestalten will.

In einem Artikel im renommierten Wissenschaftsmagazin „Science“ erschien im August2006 ein Plädoyer vom Begründer des World Wide Web, Tim Berners-Lee, und anderenfür die Einführung eines Studiums der Webwissenschaften.135 Sie argumentieren dort, dasInternet habe enorme Fortschritte und Veränderungen für unsere Gesellschaft gebrachtund müsse daher systematisch untersucht und weiterentwickelt werden. Der Beitrag fordertdie Untersuchung von sozialen und rechtlichen Zusammenhängen sowie der technischenWeiterentwicklung in einem fächerübergreifenden Studium.

Warum neues Forschungsgebiet und Studium?

Ein spannender Vorschlag für einen interdisziplinären Forschungsbereich, den es in dergeforderten Form noch nirgends auf der Welt gibt. Zwar beschäftigen sich die meistenUniversitäten in ihren Teilbereichen mit Aspekten des Internets, ein integrativer, ganzheitlicherAnsatz existiert aber noch nicht. Dabei würde es durchaus Sinn machen, ein derart komplexesThema nicht nur in seinen Puzzleteilen zu untersuchen, sondern die Stücke systematischzusammenzusetzen. Das Web ist schließlich auch eine Einheit. Eine Einheit, die mehr istals die Summe der einzelnen Teile.

Für Forscher/innen in aller Welt ist es inzwischen selbstverständlich, über das Internetnicht nur Informationen auszutauschen, sondern auch mit KollegInnen zu kommunizieren,Forschungsinhalte zu diskutieren und gemeinsam Projekte zu bearbeiten. Durch die

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zunehmende Globalisierung hat interdisziplinäre Forschung, also fächerübergreifendesZusammenarbeiten mehrerer Disziplinen, an Bedeutung gewonnen. Strukturiertes undmiteinander vernetztes Arbeiten kann gerade im Bereich des Internet zu einem besserenVerständnis und einer rascheren Weiterentwicklung führen. Gleichzeitig lassen sich vieleneue Fragen nur ungenügend in den Einzelwissenschaften beantworten und verlangengeradezu interdisziplinäre Herangehensweisen. Die Idee, ein Institut der Webwissenschaftenmit dazugehörigem Studium zu kreieren, greift sowohl die erweiterten Möglichkeiten alsauch den gestiegenen Bedarf an interdisziplinärer Forschung konstruktiv auf.

Warum Linz als Forschungsstandort für Webwissenschaften?

Ein derartiger Studiengang wäre im Moment zumindest europaweit einzigartig undkönnte unter den guten Voraussetzungen der Johannes Kepler Universität auch denUniversitätsstandort Linz aufwerten. In Linz gibt es bereits die wichtigsten Fachbereicheund Institute, die für ein Studium der Webwissenschaften zentral sind. Denn Instituteund Lehrangebote der bestehenden Studienrichtungen Wirtschaftswissenschaften, Philosophie,Informatik, Mathematik, Statistik, Soziologie, Jus und Wirtschaftsinformatik liefern dieprinzipiellen Voraussetzungen für ein Studium Webwissenschaften. Ein eigenes,fakultätsübergreifendes Institut für Webwissenschaften hätte dann die wichtige, wieherausfordernde Aufgabe der Integration in ein einheitliches Studium.

Das Studium selbst sollte seinen Schwerpunkt in den sozialwirtschaftlichen undgesellschaftlichen Auswirkungen des Internets auf Basis technologischen Grundverständnisseshaben. Die Umsetzung des im Bakkalaureat erworbenen Wissens soll dann je nach Interesseund Bereich in verschiedenen – technisch, wirtschaftlich oder soziologisch orientierten –Masterprogrammen weiterentwickelt, spezifiziert und angewendet werden.

Die Aufgaben für die Lehre

Das Lehrprogramm des Studiengangs „Webwissenschaft“ sollte die wesentlichen Elementeaus den oben genannten Studienrichtungen beinhalten, diese verknüpfen sowie in einzelnenBereichen Vertiefungen anbieten. Zu Beginn wird das Kennenlernen und Verstehenverschiedenster Computernutzungsmöglichkeiten, Programmiersprachen und Algorithmennotwendig sein. Auch die Kenntnis der rechtlichen Rahmenbedingungen und Möglichkeitenim Umgang mit neuen Informations- und Kommunikationstechnologien sind wichtig.Erst wenn diese verstanden werden, können auch Analysen der Auswirkungen neuer

Projekte

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Informations- und Kommunikationstechnologien auf die Gesellschaft sowie deren sozialeund politische Implikationen betrachtet werden. Darauf aufbauend können spezielleBereiche untersucht werden, wie z.B. die wirtschaftlichen Besonderheiten internetbasierterTeilbereiche der Ökonomie (Stichwort: „New Economy“), die Analyse von Informations- und Kommunikationssystemen , die Einsatzbereiche und die Übertragbarkeit digitalerEntwicklungs- und Informationssysteme auf andere Bereiche und die Veränderungensowohl technischer Natur als auch im menschlichen Nutzungsverhalten zu beobachtenund zu interpretieren.

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Projekte

Ein neues Institut „Webwissenschaften“ mit Studienzweig alsinterdisziplinären Forschungsgegenstand soll an der Uni Linzentstehen

Vorschläge zur Implementierung und Curriculum

- Potentielle Studierende der Uni Linz- Lehrende an der Uni Linz

Johannes Kepler Universität Linz

- Bundesministerium- Uni Linz- Stadt Linz- Land Oberösterreich

Entwicklung 2006 bis 2007, Einführung 2008

Lehrstühle und –aufträge an der Universität Linz

Projektziele

Projektbestandteile

Projektzielgruppen

Projektträger

Dialoggruppen

Zeitraum

Finanzierungsbedarf

PROJEKTSKIZZE:Webwissenschaften an der Uni Linz

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Bakkalaureatsstudium

1. Allgemeine Webwissenschaften SSt [ECTS]1.1. Grundzüge der Allgemeinen Webwissenschaften 4 SSt [6]1.2. Technische Grundlagen der Webwissenschaften 2 SSt [3]1.3. Mathematik und Statistik 4 SSt [8]1.4. Interdisziplinäres Forschen in den Webwissenschaften 4 SSt [8]1.5. Internetökonomie 4 SSt [8]1.6. Wissenschaftliches Arbeiten: Schreibwerkstatt 4 SSt [8]1.7. Informations- und Kommunikationssysteme 2 SSt [3]1.8. Innovations- und Technologiemanagement (Wissensmanagement) 1 SSt [2]1.9. Erstellung semantischer Datenmodelle 2 SSt [4]

2. Praktische Informatik 2.1. Algorithmen 2 SSt [3]2.2. Betriebssysteme und Datenbanken 4 SSt [8]2.3. Programmiersprachen (z.B. PHP, ASP.NET, Javascript, Java) 4 SSt [8]

 

Das Curriculum

Die Einheit von Forschung und Lehre ist ein wichtiger Grundsatz unserer Universitäten.Um diesem gerecht zu werden und nicht nur die Aufgaben der Forschung zu betonen, solldiese Skizze eines Curriculums als Ausgangspunkt für eine Diskussion rund um dieEinführung der neuen Studienrichtung dienen können. Selbstverständlich kann dieserVorschlag für ein Bakkalaureats- und Masterstudium nicht jeden Aspekt eines Studiumsim Detail beinhalten. Die genauen Stundenzahlen, die Inhalte der Lehrveranstaltungen,deren Bezeichnungen und fachliche Zugehörigkeiten und vieles mehr müssen von deneinzelnen ExpertInnen miteinander diskutiert werden. Dieser Vorschlag kann also bestenfallsAusgangspunkt für diese Diskussion bilden.

Bakkalaureatsstudium Webwissenschaften

Dauer: 3 Jahre / 6 Semester. Im Bakkalaureatsstudium sind folgende Pflichtfächer zuabsolvieren:

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Projekte

3. Recht: Urheberrecht, Lizenzen3.1. Grundzüge des Rechts 2 SSt [3]3.2. Urheberrecht national und international 4 SSt [8]3.3. Open Source / Creative Commons IK 4 SSt [8]

4. Wirtschaftswissenschaften 4.1. Individuum, Gruppe und Organisation 2 SSt [3]4.2. Einführung in die Mikroökonomie 4 SSt [8]4.3. Einführung in die Makroökonomie 2 SSt [4]

5. Einführung in die Informationstechnologie 5.1. Einführung in die Informationstechnologie 1 SSt [2]5.2. Einführung in die Informationstechnologie (Praktikum) 2 SSt [4]

6. Englisch speziell für Webwissenschaften 4 SSt [6]

7. Soziologie und Philosophie 7.1. Gesellschaftliche, soziale und ethische Implikationen (Philosophie des Web)2SSt [3]7.2. Einführung in die empirische Sozialforschung 4 SSt [8]

8. Vertiefungsfach 8.1. Vertiefung Soziologie:

Empirische Sozialforschung im InternetEvolutionäre Entwicklung und PfadabhängigkeitenCurrent Issues soziologischer Forschung zum Internet 3 Module à 4 SSt [36]

8.2. Vertiefung Urheberrecht:Rechtliche Rahmenbedingungen von Internet-Handel und E-CommerceRechtliche Fragen verschiedener LizenzmodelleInternationales Privat- und Handelsrecht 3 Module à 4 SSt [36]

8.3. Vertiefung Struktur des WebNetzwerktheorie: Standards und AlgorithmenEvolutionäre Entwicklung und PfadabhängigkeitenZugänge- und Beschränkungen im Web 3 Module à 4 SSt [36]

9. Freie Wahlfächer 9 SSt [18]

Gesamtstundenanzahl 89 SSt [180]

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Masterstudiengänge WebwissenschaftenDauer 2 – 3 Semester

Masterstudium: Vertiefung E-Economy

1. Informationstechnologien: Grundlagen des E-Business 4 SSt [8 ECTS]2. E-Business: Projektmanagement 4 SSt [8 ECTS]3. Knowledge Management 4 SSt [8 ECTS]4. E-Marketing 4 SSt [8 ECTS]5. Venture Capital Finanzierung und Corporate Governance 4 SSt [8 ECTS]6. Network Economics (1 UK BWL, 1 UK VWL) 4 SSt [8 ECTS]7. Seminar 1: Aktuelle Fragen 4 SSt [8 ECTS]8. Seminar 2: Aktuelle Anwendungen 4 SSt [8 ECTS]9. Wahlfach 1 4 SSt [8 ECTS]10. Wahlfach 2 4 SSt [8 ECTS]11. Freie Wahlfächer 5 SSt [10 ECTS]Gesamtstundenanzahl 45 SSt [90 ECTS]

Masterstudium: Vertiefung Soziologie des Web

1. Politik und Internet: Regulierung des Netzes und seiner Inhalte,E-Government und E-Partizipation 4 SSt [8 ECTS]

2. Theorien computervermittelter Kommunikation 4 SSt [8 ECTS]3. Zum Verhältnis von Internet-Technologie und -Nutzung 4 SSt [8 ECTS]4. Empirische Befunde zur Soziologie des Web 4 SSt [8 ECTS]5. Veränderungen in der Bürokratie 4 SSt [8 ECTS]6. Makrosoziologie des Internet -

Befunde und methodologische Herausforderungen 4 SSt [8 ECTS]7. Seminar 1: Aktuelle Fragen 4 SSt [8 ECTS]8. Seminar 2: Aktuelle Anwendungen 4 SSt [8 ECTS]9. Wahlfach 1 4 SSt [8 ECTS]10. Wahlfach 2 4 SSt [8 ECTS]11. Freie Wahlfächer 5 SSt [10 ECTS]Gesamtstundenanzahl 45 SSt [90 ECTS]

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Projekte

Masterstudium: Vertiefung Internettechnik

1. Wissenskommunikation und Visualisierung inwissensbasierten Projekten 4 SSt [8 ECTS]

2. Datenmodellierung, Algorithmen, Datenstruktur 4 SSt [8 ECTS]3. Web-Programmierung (z.B. ASP.NET, AJAX, Flash, Flex) 4 SSt ([8 ECTS]4. Webdesign (XHTML,CSS), Usability 4 SSt ([8 ECTS]5. Social Software, Tools of Collaboration, Web 2.0 4 SSt [8 ECTS]6. Information Engineering, Software Engineering 4 SSt [8 ECTS]7. Seminar 1: Aktuelle Fragen 4 SSt [8 ECTS]8. Seminar 2: Aktuelle Anwendungen 4 SSt [8 ECTS]9. Wahlfach 1 4 SSt [8 ECTS]10. Wahlfach 2 4 SSt [8 ECTS]11. Freie Wahlfächer 5 SSt [10 ECTS]Gesamtstundenanzahl 45 SSt [90 ECTS]

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ANHANG

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ANHANG:TEAMGLOSSARANMERKUNGEN

ANHANG:TEAMGLOSSARANMERKUNGEN

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ANHANG

[email protected] Augustyn (30) studiert Rechtswissenschaften an der Universität Linz und arbeitet im BereichVeranstaltungsmanagement.

[email protected] Bräu (25) studiert Sozialwirtschaft an der Universität Linz und ist Vorsitzender des LinzerJugendkulturvereins JUMP (Jugendzentrum, Magazin & Podcast).

[email protected] Dobusch (26) ist studierter Jurist und Betriebswirt und promoviert derzeit im Graduiertenkolleg

„Pfade organisatorischer Prozesse“ an der Freien Universität Berlin.

[email protected] Eidenberger (30) ist studierter Betriebswirt und arbeitet im Bereich Öffentlichkeitsarbeit undpolitische Kommunikation.

[email protected] Forsterleitner (29) ist studierter Betriebswirt und Mitglied des Linzer Gemeinderats.

[email protected] Gegenhuber (22) studiert an der Linzer Universität Sozialwirtschaft und ist Mitglied des LinzerJugendbeirats.

[email protected] Hiesmair (24) studiert Sozialwirtschaft an der Universität Linz und arbeitet gerade an ihrerDiplomarbeit zum Thema „Digital Divide“.

[email protected] Hofmann (24) studiert Rechtswissenschaften an der Universität Linz.

[email protected] Huber (23) studiert Wirtschaftswissenschaften und Statistik an der Universität Linz und ist Mitglieddes Linzer Jugendbeirates.

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Folgende Menschen haben als Autorinnenund Autoren bzw. als Grafiker an der Entstehungdieses Bandes mitgewirkt.

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[email protected] Kampl (22) studiert Sozialwirtschaft an der Universität Linz und ist dort auch Referentin fürFrauen und Genderangelegenheiten der HochschülerInnenschaft.

[email protected] Köck (29) ist studierte Juristin, Mitglied im Linzer Gemeinderat und derzeit von ihrer Stelle imSozialressort des Landes Oberösterreich karenziert.

[email protected] Langeder (28) ist studierte Betriebswirtin und Assistentin der Linzer Vizebürgermeisterin IngridHolzhammer.

[email protected] Mader (30) ist studierte Betriebswirtin und arbeitet im Bereich IT-Beratung in Stuttgart.

[email protected] Kepplinger (22) studiert Soziologie an der Universität Linz und ist auch Mitglied der entsprechendenStudienvertretung.

[email protected] Ortner (29) ist studierter Jurist und arbeitet im Bereich Presse und Öffentlichkeitsarbeit.

[email protected] Pawel (29) studiert Wirtschaftswissenschaften an der Universität Linz und arbeitet im BereichOnline-Marketing.

[email protected] Schmadlbauer (25) studiert Wirtschaftswissenschaften an der Universität Linz und arbeitetals freiberuflicher Grafiker.

[email protected] Zehetner (24) studiert Soziologie an der Universität Linz und ist Mitglied des Linzer Gemeinderates.

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ANHANG

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Statt eines Glossars:

Digitale Freiheit von A bis ZFür die Erstellung des (Nicht-)Glossars wurde mehrfach auf die Beschreibungen der jeweiligenBegriffe und Themen in der freien Online-Enzyklopädie Wikipedia zurückgegriffen.

A2K – Access to Knowledge: Mit dem Kürzel A2K werden verschiedenste sozialeBewegungen, Gruppen und Individuen zusammengefasst, die den freien Zugang zuverschiedensten Arten von Wissen mit grundsätzlichen Prinzipien von Gerechtigkeit,Freiheit und wirtschaftlicher Entwicklung verknüpfen.

Allmende (engl.: Commons) ist ursprünglich die von allen EinwohnerInnen gemeinsamgenutzte „Dorfweide“, bezeichnet aber auch allgemein eine derartige Form von Eigentum.Die in der Wirtschaftswissenschaft thematisierte „Tragödie der Allmende“ durch Übernutzungist schon in der Realwirtschaft umstritten, im Bereich digitaler Güter aber obsolet, weshalbder Begriff im übertragenen Sinne im Bereich freien Wissens („Wissensallmende“) undfreier digitaler Güter (vgl. die Sammlung freier Inhalte „Wikimedia Commons“) sehrpositiv besetzt ist. Er steht für den Gesamtbestand des ständig wachsenden Pools an freiverfügbaren Inhalten im Internet.

Anonymiser: Programme, die es BenutzerInnen gestattet, anonym im Internet zu posten,ihre Beiträge können nicht zurückverfolgt werden.

Ars Electronica: Die Ars Electronica wurde am 18. September 1979 im Rahmen desinternationalen Brucknerfestes als verbindendes Festival vonTechnologie, Kunst undGesellschaft gemeinsam mit der ersten Linzer Klangwolke und der Musik von Brucknersachter Symphonie eröffnet. Inzwischen wurde es um den international höchstdotierten

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Wettbewerb für digitale Kunst, den Prix Ars Electronica mit der Verleihung der „GoldenenNica“ sowie ein eigenes Haus, das Ars Electronica Center (AEC), ergänzt.

Blog (auch: Weblog): Eine Website, auf der Benutzer/innen persönlich gefärbte Beitrageveröffentlichen. Die neueste Nachricht erscheint immer zuoberst. Blogs verweisen mit einerListe von Links (ihrer Blogroll) auf andere Blogs und bilden so eine gemeinsame Blogosphäre– die Gesamtheit aller miteinander vernetzter Blogs.

Bookmarks (engl. für Lesezeichen) sind Online-Lesezeichen, die schnellen undeinfachen Zugriff auf (meist: häufig genutzte) Webseiten ermöglichen.

Breitband bzw. Breitband-Internetzugang bezeichnet eine Verbindung zum Internetmit einer relativ hohen Datenübertragungsrate, die auch Anwendungen wie Internet-Telefonie und Video-Streaming ermöglicht.

Commons: siehe Allmende.

Community: Als Community bezeichnen sich im Internet Gruppen von Personen, diegemeinsames Wissen entwickeln, Erfahrungen teilen und dabei eine eigene Identitätaufbauen. Im Bereich Freier Software oder freier Inhalte kann mit der Community einekonkrete Gruppe rund um ein Projekt (z.B. die Wikipedia-Community) oder die abstrakteCommunity all derjenigen gemeint sein, die zu freien Projekten beitragen.

Copyleft: Vom Gründer der Free Software Foundation Richard Stallman entwickeltesKonzept, durch Lizenzen die dauerhafte Freiheit von Inhalten nach dem „Wie du mir, soich dir“-Prinzip sicherzustellen. Bekannteste Anwendungen sind die GNU-Lizenzen (GeneralPublic License für Software, GNU Free Documentation License für Texte) und CreativeCommons-Lizenzen mit „Share Alike“-Bedingung (dt.: „Weitergabe unter gleichenBedingungen“).

Copyright: siehe Urheberrecht.

Creative Commons: Creative Commons ist eine gemeinnützige Gesellschaft, die imInternet verschiedene Standard-Lizenzverträge veröffentlicht, mit denen AutorInnen an

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ihren Werken, (Texte, Bilder, Musik etc.) der Öffentlichkeit Nutzungsrechte einräumenkönnen. Die Lizenzen sind nicht auf einen einzelnen Werkstyp zugeschnitten und bieteneine starke Abstufung der Freiheitsgrade: von Lizenzen, die sich kaum vom völligen Vorbehaltder Rechte unterscheiden, bis hin zu Lizenzen, bei denen auf das Copyright ganz verzichtetwird.

Digital Community bezeichnet die Gesamtheit aller Menschen, die (potentiell) überdas Internet miteinander verbunden und somit „online“ sind. Daneben trägt eine Kategoriedes Prix Ars Electronica den Titel „Digital Communities“ und zeichnet innovative digitaleCommunity-Projekte aus. Zu den PreisträgerInnen gehörten beispielsweise die freie Online-Enzyklopädie Wikipedia sowie die Free Software Foundation (FSF).

Digital Divide (auch: Digitale Spaltung, Digitale Kluft) bezeichnet das Phäno-men, dass bestimmte Teile der Gesellschaft aus verschiedenen (strukturellen) Gründenungleichen Zugang zu neuen Informations- und Kommunikationstechnologien sowie derenNutzung haben.

Digital Rights Management bzw. Digital Restrictions Management (DRM;engl. für „Digitales Rechtemanagement“): DRM-Systeme versuchen mittelstechnischer Verfahren die Urheber- und Vermarktungsrechte an digitalen Werken zuschützen. Gemeinsam mit entsprechender Hardware ermöglichen manche DRM-Systemeeine lückenlose Überwachung des Mediennutzungsverhaltens der Anwender/innen.Weildadurch die Rechte und Möglichkeiten der Nutzer/innen (wie z.B. die Privatkopie) sehrstark eingeschränkt werden können, sprechen Kritiker/innen meist an statt von DigitalRights Management von Digital Restrictions Management.

Freie Inhalte: Die oft auch als mit dem englischen Begriff Open Content bezeichnetenFreien Inhalte bezeichnen frei zugängliche und frei weiterverwendbare Werke, derendauerhafte Freiheit in der Regel über Lizenzen (z.B. von Creative Commons) rechtlichabgesichert ist. Freie Inhalte stellen damit eine Gegenposition zu Werken auf, bei denender Schutz des geistigen Eigentums, insbesondere das Urheberrecht, der Verbreitung desWerks enge Grenzen auferlegt.

Freie Software ist Software, deren Lizenz es ausdrücklich erlaubt, sie für jeden Zweck

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zu benutzen, sie zu studieren, zu verändern und in ursprünglicher oder geänderter Formweiter zu verbreiten – was eine kommerzielle Verwertung explizit einschließt, solange dieFreiheiten nicht beschnitten werden. Freie Software ist nicht Freeware, die bloß gratis ist,aber keinen Zugang zum Quelltext bietet und wird oft auch von Open Source Softwareabgegrenzt, die auch freie Lizenzen ohne Copyleft umfasst.

GNU: GNU ist ein rekursives (also sich selbst inkludierendes) Akronym und bedeutet„GNU’s Not Unix“, das von Richard Stallman als Bezeichnung für sein freies Softwareprojektgewählt wurde, das zwar als Software wie Unix arbeitet, aber eben – da mit Copyleftausgestattet – nicht Unix ist.

Hacker/in: Ein/e Hacker/in ist ein/e Computerbenutzer/in, der/die sich mit dem Erstellenund Verändern von Computersoftware oder -hardware beschäftigt und dabei ein überdurch-schnittliches Fachwissen aufweist.

Hotspot (auch: WLAN-Hotspot) bezeichnet eine Sendestation, die in ihrem näherenUmkreis Computern den kabellosen Zugang zum Internet per Wireless LAN ermöglicht.Neben kostenpflichtigen Hotspots betreiben viele Cafés und öffentliche Einrichtungenauch kostenlose Hotspots.

Hyperlink: siehe Link.

Internet (Kurzwort für „Interconnected Networks“; engl. für „zusammen-geschaltete Netzwerke“) bezeichnet die weltweite Vernetzung von Computern undComputernetzwerken, die so miteinander kommunizieren können, d.h. Daten verschiedensterArt austauschen.

Link (engl. für „Verbindung“): Ein Link oder Hyperlink ist die Verbindung zweierWebseiten und eines der Grundelemente des World Wide Webs. Moderne Suchmaschinenschließen von der Anzahl der auf eine Seite verweisenden Links auf die Bedeutung dieserSeite.

Linux (auch GNU/Linux) ist ein freies und plattformunabhängiges Betriebssystemfür Computer, das Unix ähnlich ist. Erstmals eingesetzt wurde Linux 1991 nach der

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Veröffentlichung durch den Gründer Linus Torvalds. Das Symbol für Linux ist ein Pinguinmit dem Namen Tux (engl. Kurzwort für Tuxedo, also Frack, und gleichzeitig die Abkürzungfür „Torvald’s Unix“)

Mashup bezeichnet die Erstellung neuer Webinhalte durch die nahtlose (Re-)Kombinationbereits bestehender Webinhalte und -angebote. So stammt der Begriff auch aus der Weltder Musik und bedeutet dort im Englischen soviel wie Remix. In den deutschen Sprachraumwurde der Begriff rund um das Schlagwort Web 2.0 importiert, da Mashups als einwesentliches Beispiel für das Neue an Web 2.0 angeführt werden.

Mesh-WLAN: Durch die Verbindung („Vermaschung“) mehrerer unabhänigiger WLAN-Knoten oder Hotspots kann ein viel größeres, Mesh-WLAN genanntes, Netzwerk entstehen.

Netzneutralität / Net Neutrality: Die Frage der Neutralität des Internets stellt sich,weil es neue Technologien den NetzwerkbetreiberInnen möglich machen, bestimmteDatenpakete (z.B. zahlungskräftiger Unternehmen) zu priorisieren und andere nachrangigzu behandeln. Manche sehen dadurch die Freiheit des Internets bedroht und fordern einVerbot dieser Verfahren.

Newsfeeds (z.B. RSS-Feed) bezeichnet Techniken, die es NutzerInnen ermöglichen,die Inhalte einer Webseite – oder Teile davon – zu abonnieren oder in andere Webseitenzu integrieren. Insbesondere Blogs oder Podcasts mit (un)regelmäßig erscheinendenBeiträgen eignen sich für diese Technologie.

Open Access (engl. für freien, kostenlosen Zugang) bezeichnet das Ziel einerBewegung zahlreicher Forscher/innen und Forschungseinrichtungen, wissenschaftlicheLiteratur und Materialien im Internet frei (kostenlos und ohne Lizenzbeschränkungen)zugänglich zu machen. Prinzipiell werden zwei Formen von Open Access-Publikationenunterschieden: Die freie Veröffentlichung zusätzlich zur herkömmlichen Publikation (zumBeispiel in einem Online-Archiv der Universität) oder gleich die Veröffentlichung in einemfreien Journal. Einen Überblick über die freien Open Access Journale liefert das Directoryof Open Access Journals unter http://www.doaj.org

Open Content: siehe Freie Inhalte.

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Open Courseware (OCW; engl. für „Offene Kursunterlagen“) bezeichnet freiund kostenlos zugängliche Unterlagen im Rahmen eines institutionellen Rahmens. Siesollen Studierenden und AutodidaktenInnen als Lernunterlage und anderen Lehrkräftenals Anregung und Unterstützung dienen. Universitäten und andere Bildungseinrichtungenmit derartigen Angeboten haben sich im Open Courseware Consortium zusammengeschlossen.

Open Source: Ursprünglich nur für den Bereich von Open Source Software verwendet,findet das Prinzip des offenen Zugangs zu Inhalten inzwischen auch in anderen BereichenAnwendung, wie Open Content (z.B. Wikipedia) oder Open Courseware.

Open Source Software bezeichnet Software, die es ermöglicht, Einblick in den Quelltexteines Programms sowie die Erlaubnis zu haben, diesen Quellcode auch beliebig weiterzugebenoder zu verändern. Die Definition der Open Source Initiative (www.opensource.org) istdabei etwas weiter als jene der Free Software Foundation (www.fsf.org) für Freie Software.

Peer-to-Peer (P2P): (engl. peer für „Gleichgestellte/r“, „Ebenbürtige/r“oder „Altersgenosse/-in“) und Rechner-Rechner-Verbindung sind synonyme Bezeich-nungen für eine Kommunikation unter Gleichen, hier bezogen auf ein Netzwerk vonComputern, das ohne zentralen Server auskommt, der die Kommunikation der einzelnenComputer unter- und miteinander koordiniert.

Podcast: Podcasting bezeichnet das Produzieren und Anbieten von Mediendateien (Audiooder Video) über das Internet. Die Bezeichnung setzt sich aus den beiden Wörtern iPodund Broadcasting (engl. für „Rundfunk“) zusammen. Ein einzelner Podcast ist somit eineSerie von Medienbeiträgen (Episoden), die meistens per Newsfeed automatisch bezogen(also quasi „abonniert“) werden können. Man kann Podcasts als Radio- oder Fernsehsen-dungen auffassen, die nicht mehr zu einer bestimmten Zeit konsumiert werden müssen.

Post, posten (engl. für „ankleben“): Ein Textbeitrag eines/einer Besuchers/Besucherinauf einer Website, in einem Online-Forum oder einem Homepage-Gästebuch, bzw.bezeichnet „Posten“ das Verfassen solcher Beiträge.

Privatkopie bezeichnet die (in der Regel rechtmäßige) Kopie eines urheberrecht geschütztenWerkes für die nichtgewerblich und nichtöffentliche Nutzung durch den/die Besitzer/in

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des Originals oder durch dessen/deren Freundeskreis. Neue Digital Rights Management(DRM) Systeme und gesetzliche Bestimmungen, die deren Umgehung verbieten, schränkenoft das bislang selbstverständliche Recht auf die Privatkopie ein.

Prix Ars Electronica: siehe Ars Electronica.

Proprietär ist alljene unfreie Software, die durch herkömmliche SoftwarelizenzenVervielfältigung, Weitergabe und Veränderung verbietet und ohne (Zugang zum) Quelltextvertrieben wird.

Provider: Firma, die gegen Entgelt einzelnen den Zugang zum Internet ermöglicht.

Raubkopie ist ein irreführender Begriff der insbesondere von Rechteverwertern eingesetztwird, um (auch: nur scheinbar) rechtswidrige Kopien von urheberrechtlich geschütztenInhalten zu bezeichnen. Irreführend schon deshalb, weil Raub das Vergehen der Urheber-rechtsverletzung in die Nähe eines Verbrechens rückt, was aber nur in großen, gewerbs-mäßigem Maßstab der Fall ist und weil oft auch die legale Privatkopie fälschlicherweiseals Raubkopie diffamiert wird.

Read/Write-Gesellschaft: Der Creative Commons-Gründer und Stanford-ProfessorLawrence Lessig bezeichnet eine Gesellschaft, in der die Mehrheit nicht nur vorgefertigteInhalte konsumiert, sondern sich auch selbst zu größten Teilen an der Erstellung dieserInhalte aktiv beteiligt als Read/Write-Gesellschaft. Read/Write steht dabei im Gegensatzzu der rein passiv-konsumptiven Read-Only-Kultur der Massenmedien des 20. Jahrhunderts.

RechteverwerterInnen sind Organisationen, die sich die aus dem Urheberrechtergebenden Rechte zusichern lassen, um wiederum Unter-Rechte (Lizenzen) zu erzeugenund diese weiter zu verkaufen oder selbst zu verwerten. Dies kann z. B. die Herstellungvon Kopien oder anderen Reproduktionen eines Werkes und deren Verkauf sein.

RSS-Feed: siehe Newsfeed.

Semapedia: Projekt, das die digitale mit der realen Welt durch einen Code verknüpft.Dieser Code wird auf realen Objekten angebracht, kann einfach (zum Beispiel per Handy-

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

Kamera) digitalisiert werden und führt dann automatisch zu der das Objekt beschreibendenSeite der Online-Enzyklopädie Wikipedia.

Soziale Software (auch: Social Software) hat sich um 2002 in Zusammenhang mitneuen Anwendungen wie Wikis und Blogs etabliert; der Begriff kann aber auch bereitsvorher existierende Dienste umfassen. Den Systemen ist gemein, dass sie Aufbau und Pflegesozialer Netzwerke und von Communities unterstützen und weitgehend mittels Selbstor-ganisation funktionieren.

Soundpark: Internet-Plattform des östereichischen Radiosenders FM4, auf der Nach-wuchsmusiker ihr Material kostenlos im Netz veröffentlichen können. Eine wöchentlicheSendung stellt Neuigkeiten sowie die Musiker/innen vor.

Stallman, Richard: Pionier digitaler Freiheiten im Allgemeinen und Freier Softwareim speziellen. Präsident der Free Software Foundation, Erfinder des Copyleft-Prinzips undGründer des GNU-Projekts. Ein Interview mit ihm findet sich in Kapitel 4 in diesem Band.

Streaming (Media) ist der Oberbegriff für Streaming Audio und Streaming Video undbezeichnet aus einem Computernetzwerk empfangene und gleichzeitig wiedergegebeneAudio- und Videodaten. Den Vorgang der Übertragung selbst nennt man Streaming. Oftfinden sich auch die Bezeichnungen Web-TV bzw. Web-Radio für entsprechende Angebote.

Tagging: Gemeinschaftliches Indexieren (englisch: „collaborative tagging“ oder „socialtagging“) ist eine Form der Indexierung, bei der Deskriptoren (tags) durch eine größereGruppe und mit Hilfe verschiedener Arten von Sozialer Software zugeordnet werden. DieIndexierer/innen kommen dabei (spontan) in offenen Gemeinschaften zusammen, ohnedass vorher detaillierte Indexierungsregeln festgelegt worden wären. Bei den indexiertenObjekten handelt es sich beispielsweise um Bookmarks (“Social Bookmarks”), Blog-Einträge oder Fotos. Die durch gemeinschaftliches Indexieren erstellten Sammlungen vonTags werden auch Folksonomies bezeichnet.

Tux: siehe Linux.

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Unix: Ein ursprünglich für Großrechner vor allem an Universitäten entwickeltesBetriebssystem, das in verschiedenen freien und nicht-freien („proprietären“) Versionenexistiert.

Urheberrecht: Das Urheberrecht bezeichnet das ausschließliche Recht des/der Urhe-bers/Urheberin an seinem/ihrem Werk. Diese Rechte können allerdings (zu allergrößtenTeilen) an Verwertungsgesellschaften und/oder RechteverwerterInnen übertragen oder(z.B. mit Creative Commons-Lizenzen) dazu eingesetzt werden, die dauerhaft freieZugänglich- und Verwertbarkeit sicherzustellen.

Verwertungsgesellschaften sind private Einrichtungen, denen zur Wahrnehmungöffentlicher Aufgaben in vielen Ländern eine gesetzliche Monopolstellung zugewiesenwurde. Ihr Charakter liegt zwischen der quasi-gewerkschaftlichen Funktion einer Solidar-gemeinschaft der Urheber/innen gegenüber den wirtschaftlich stärkeren RechteverwerterInnenund einer quasi-amtlichen Funktion, die Einhaltung der Meldepflicht von Vervielfältigungs-stücken, öffentlichen Aufführungen und – mit dem neuen Medium Radio auch Sendungenzu kontrollieren.

Web 2.0 ist ein Oberbegriff für die Beschreibung einer Reihe neuer interaktiver Technikenund Dienste des Internets – speziell des WWW – und einer geänderten Wahrnehmungdes Internets. Der Begriff wurde ursprünglich durch den O’Reilly-Verlag für die gleichnamigeKonferenzreihe geschaffen. Die Änderungen beziehen sich vor allem auf die verstärkteEinbindung der Nutzer/innen in die Erstellung der Inhalte, die (freie) Re-Kombinationbestehender Inhalte (z.B. für Mashups) und generell das Aufkommen von „sozialerSoftware“.

Weblog: siehe Blog.

Weltfrieden: Weltfrieden bezeichnet den Zustand weltweiten Friedens, also das Endealler Feindseligkeiten und aller Kriege. Er beinhaltet das Ideal von Freiheit, Frieden undGlück für alle Menschen und Nationen.

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Wikis (hawaiianisch für „schnell“) ermöglichen die einfache Veränderung einerWebseite in Echtzeit, d.h. die Änderungen sind sofort wieder online sichtbar. Das größteWiki der Welt ist die freie Online-Enzyklopädie Wikipedia, die von Tausenden von Laienund ExpertInnen in zahlreichen Sprachen das Wissen der Welt sammelt.

Wikimaps: Im Internet zugängliche Landkarten oder Stadtpläne, die von allen BenutzerInnenfrei nach dem Wiki-Prinzip mit ortsbezogenen Informationen ergänzt werden können.

Wikipedia: siehe Wikis.

WiMax: Eine Weiterentwicklung der WLAN-Technologie für höhere Datenübertragungsratenund größere Übertragungsreichweite.

Wireless LAN (auch: WLAN) bezeichnet den Übertragungsstandard für kabellose,lokale Netzwerke zwischen Computern zum Austausch von Daten aller Art (LAN stehtfür „Local Area Network“). Die Daten werden dabei per Funk in einem freien Frenquenzbandentweder direkt zwischen zwei Computern mit WLAN-Modulen („WLAN-Knoten“)gesendet oder der Computer stellt über einen Hotspot Kontakt mit dem Internet her undkann so mit anderen Rechnern kommunizieren. Die Reichweite beträgt ohne spezielleAntennen zwischen 30 und 100 Metern.

Wissensallmende: siehe Allmende.

World Wide Web (auch: WWW, Web): Das World Wide Web wird häufig mit demInternet gleichgesetzt, ist aber nur die häufigste Nutzungsform des Internets. Im Wesentlichenumfasst es die Möglichkeit, Daten verschiedenster Art per PC am Bildschirm zu betrachten,die untereinander über Links verbunden sind.

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ANHANG

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AnmerkungenAnmerkungen zu Kapitel 0:

1 Vgl. zum Beispiel http://www.heise.de/ct/hintergrund/meldung/68064 [25.10.2006]

Anmerkungen zu Kapitel 1:

2 http://www.linz.at/Verwaltung/verwaltung_15727.asp [20.11.2006] zeigt die e-government Angebote der StadtLinz

3 Vgl. http://www.gfk.at/de/download/PRESS/GfK_Online_Monitor_1_Qu_06.pdf [20.11.2006]4 Vgl. http://www.ntia.doc.gov/ntiahome/fallingthru.html5 Vgl. http://mediaresearch.orf.at/c_internet/console/console.htm?y=5&z=1 [Abruf und Stand vom 20.10.2006]6 Daten der Erhebungen aus den Jahren 1997, 2000 und 2006 (persönlich von Integral angefordert); Zahlen beziehen

sich auf Öterreicher/innen über 14 Jahren.7 Adaptiert nach http://www.oeaw.ac.at/ita/ebene5/GAdigitaldivide.pdf [26.10.2006]8 Medosch, A. (2003): Freie Netze - Geschichte, Politik und Kultur offener WLAN-Netze. Das Buch ist vollständig

unter ftp://ftp.heise.de/pub/tp/buch_11.pdf [20.22.2006] als Download verfügbar.9 Vgl. http://freifunk.net/downloads/050406_ffn_present_v10_jpn.pdf [24.10.2006], S. 1710 Vgl. http://www.heise.de/mobil/artikel/68923 [25.10.2006] für die technischen Hintergründe für Mesh-WLAN.11 Vgl. http://www.telepolis.de/r4/artikel/22/22454/1.html [25.10.2006]12 ”Typically, the people who need internet access the least are the ones who use municipal Wi-Fi the most.“, vgl.

http://www.theregister.co.uk/2006/04/08/google_sf_muni_wifi/ [25.10.2006]13 Vgl. http://www.telepolis.de/r4/artikel/22/22454/1.html" [25.10.2006]14 Vgl. http://www.heise.de/mobil/artikel/55325/0 [25.10.2006]15 Vgl. http://www.heise.de/newsticker/meldung/51802 [25.10.2006]16 Vgl. das Projekt “Wiki-Graffity ‘Semapedia’“ im fünften Kapitel dieses Bandes bzw. die Webseite

http://www.semapedia.org" [25.10.2006]17 Vgl. http://www.hotspotlinz.at [25.10.2006]18 Vgl. http://www.olsr.org [06.11.2006]

Anmerkungen zu Kapitel 2:

19 Vgl. Euler, E. (2006): CreativeCommons: Mehr Innovation durch die Öffnung des Urheberrechts?, In: Drosou,O./Krempl, S./Poltermann, A. (2006): ◊Die wunderbare Wissensvermehrung. Wie Open Innovation unsere Weltrevolutioniert. Heise Verlag, ab S. 152

20 ”US-Musikmarkt schlägt sich besser als erwartet“ In: http://www.welt.de/data/2004/01/05/219055.html [20.11.2006]21 “Internet Archive“, vgl. http://www.archive.org22 “Our music saved through illegal taping”, In:

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

http://copyfight.corante.com/archives/2005/06/30/home_taping_saves_shared_culture.php#36673 [15.11.2006]23 Vgl. O’Reilly, T. (2005): “Search And Rescue” In: The New York Times,

http://www.nytimes.com/2005/09/28/opinion/28oreilly.html?ex=1162530000&en=5de6b7cc4fd1494d&ei=5070[10.10.2006](Kostenlose Registrierung notwendig; der Text findet sich aber auch unterhttp://www.radar.oreilly.com/archives/2005/09/ny_times_op_ed_on_authors_guil.html [22.11.2006]), (eigeneÜbersetzung)

24 Vgl. Lessig, L. (2004): Free Culture. How big media use technology and the law to lock down culture and controlcreativity. New York (Penguin), S. 213 – 247; unter Creative Commons-Lizenz frei verfügbar unter http://www.free-culture.cc

25 Vgl. Lessig (2004); S. 255 (eigene Übersetzung).26 Vgl. “Creative Commons“,http://www.creativecommons.org27 Vgl. http://www.gnu.org/philosophy/free-sw.html [23.11.2006]28 Vgl. http://www.gnu.org/licenses/ [23.11.2006]29 Vgl. Röttgers, Janko (2004): Freie Bücher – CreativeCommons-Lizenzen in der Praxis. In: Telepolis,

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/17/17672/1.html [20.11.2006]30 Eldred kämpfte gemeinsam mit Lessig vor dem Obersten Gerichtshof der USA gegen die pauschale Verlängerung

von Copyrights, Anm.31 Damit könen Suchmaschinen gezielt frei lizenzierte Inhalte finden, Anm.32 Recording Industry Association of America, eine der mächtigsten Lobbying-Organisationen im Kampf gegen

“Piraterie“ im Internet und für strengeres Urheberrecht

Anmerkungen zu Kapitel 3:

33 Vgl. http://ocw.mit.edu [15.11.2006]34 Vgl. http://www.ocwconsortium.org/ [15.11.2006]35 Vgl. http://elearning.jku.at/mbk [15.11.2006]36 Vgl. http://ocw.mit.edu/OcwWeb/HowTo/index.htm [15.11.2006]

Anmerkungen zu Kapitel 4:

37 Freie Software ist nach der Definition der Free Software Foundation (http://www.fsf.org) immer auch Open SourceSoftware. Umgekehrt muss das nicht gelten und hängt wesentlich davon ab, welcher Software-Lizenz das Programmunterliegt.

38 Nach: Möller, E. (2005): Die heimliche Medienrevolution – Wie Weblogs, Wikis und Freie Software die Weltverändern. Heise Verlag, S. 63 f.

39 BSD steht für “Berkley Software Distribution”40 Der zu komplizierte Code wurde von der Community vereinfacht und aufgeteilt und vier Jahre später unter den

Namen “Firefox” (Browser), “Thunderbird” (Mail-Programm) und “Sunbird” (Kalendersoftware) veröffentlichtund weiterentwickelt.

41 Die Chemikerin versucht in ihrem Brotberuf für das Foresight-Institut Medien und Politik-Verantwortlichen überNanotechnologie und ihre Langzeitfolgen aufzuklären. Ihr Ziel ist ein Techonolgieeinsatz zum Wohle der Umweltund der Menschen.

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42 http://www.gnu.org/philosophy/free-software-for-freedom.html [20.11.2006]43 Raymond, E. (1999): Die Kathedrale und der Basar. Nach: http://gnuwin.epfl.ch/articles/de/Kathedrale/ [26.08.2006]44 Mehr über den Spruch, der auch Googles Wissenschaftssuchmaschinge Google Scholar (http://scholar.google.com)

ziert: http://en.wikipedia.org/wiki/Stand_on_the_shoulders_of_giants [16.08.2006]45 Studien weisen darauf hin, dass die Fehlerhäufigkeit beispielsweise bei Linux geringer ist als bei Windows, vgl.

Online-Standard unter: http://derstandard.at/?url=/?id=1891556.46 Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 01.02.2005, http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/75/47028/index.html

[22.11.2006]47 Vgl. http://www.heise.de/tp/deutsch/special/wos/6437/1.html [18.07.2006]48 Das gilt sowohl für das Datenübertragungsprotokoll TCP/IP als auch für die Seitenbeschreibungssprache HTML.49 Berger, J. (1997): Die Redmond-Strategie: Schlüssel für Microsofts Erfolg. In: c’t-Magazin 14/97, S. 8850 Free/Libre/Open Source Software Policy Support51 Vgl. http://www.gnome.org/projects/wsop [20.11.2006]52 Vgl. http://da.wikipedia.org/wiki/100-dollar-laptop bzw. http://laptop.org/ [15.11.2006]53 Interoperable Delivery of Pan-European eGovernment Services to Public Administrations, Business and Citizens54 Vgl. http://www.skolelinux.no [22.11.2006]55 Der Name und die Idee des “Freedom Toaster”-Projekts gehen auf Shuttleworth-Stiftung des Ubuntu-Gründers

und Millionärs Marc Shuttleworth zurück, der zahlreiche Freedom Toaster in Südafrika finanziert.

Anmerkungen zu Kapitel 5:

56 Vgl. http://www.blogherald.com/2006/02/02/the-blog-herald-blog-count-february-2006-200-million-blogs-in-existence/ [11.10.2006]

57 Vgl. http://perseus.com/blogsurvey/thebloggingiceberg.html [11.10.2006]58 Vgl. http://dear_raed.blogspot.com/ [11.10.2006]59 Vgl. Chomsky, N. (1994): Manufacturing Consent,Vintage, S. 260 Vgl. http://www.heise.de/newsticker/meldung/3557 [11.10.2006]61 Vgl. http://journalism.nyu.edu/pubzone/weblogs/pressthink/2003/08/18/introduction_ghost.html [11.10.2006]62 Vgl. http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21015/1.html [11.10.2006]63 Vgl. http://www.rsf.org/rubrique.php3?id_rubrique=542 [18.08.2006]64 Vgl. http://www.bildblog.de/faq.html [18.08.06]

65 Vgl. http://www.bildblog.de/faq.html [11.10.2006]66 Vgl. http://www.bildblog.de/?p=1359 [18.08.06]67 Vgl. http://www.deutscheblogcharts.de [18.08.06]68 HTML ist die Seitenbeschreibungssprache des World Wide Webs und steht für Hyper Text Markup Language“69 siehe auch das Interview mit Richard Stallman in Kapitel 4 in diesem Band.70 Vgl. http://creativecommons.org [12.10.2006]71 “Internet encyclopaedias go head to head” In: Nature 438 (7070) S. 900-901; http://dx.doi.org/10.1038/438900a

[12.10.2006]

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FREIE NETZEFREIES WISSEN

72 Vgl. http://www.stadtwiki.net/ [15.11.2006]73 Vgl. http://wikimap.hotspotlinz.at/de/index.php [15.11.2006]

Anmerkungen zu Kapitel 6:

74 Vgl. http://www.klangwolke.at [15.11.2006], Klassische Linzer Klangwolke 200675 Franke, H.W. (1979), In: Linzer Veranstaltungsgesellschaft (Hrsg.): Ars Electronica 1979 im Rahmen des interna-

tionalen Brucknerfestes 79 Linz, S. 976 Vgl. http://www.aec.at [15.11.2006], Ars Electronica Archiv – Die Archive77 Vgl. http://www.aec.at [15.11.2006], Ars Electronica Archiv – Die Archive78 Vgl. http://www.wikipedia.org79 Vgl. http://www.aec.at/de/futurelab/projects_sub.asp?iProjectID=1227380 Vgl. http://www.aec.at/de/futurelab81 Vgl. http://www.linz.at, Aktuell, News vom 24.Mäz 2006 [15.11.2006]82 für eine nähere Projektbeschreibung siehe den Textkasten in diesem Kapitel83 Vgl. http://wikimap.hotspotlinz.at/de/index.php [17.10.2006]

Anmerkungen zu Kapitel 7:

84 Röttgers, J. (2003): Mix, Burn & R.I.P – Das Ende der Musikindustrie. Heise Verlag, S. 12285 Vgl. http://www.creativecommons.org/ [21.11.2006]86 Vgl. http://www.audacity.de/ [21.11.2006]87 Vgl. http://www.netzwelt.de/news/74373-blogs-und-podcasts-populaerer-denn.html88 Vgl. http://promonet.iodalliance.com [21.11.2006]89 Dabei gibt es verschiedene Technologien - ein häufig verwendetes ist das Open Source Programm “Streamripper”

(http://streamripper.sourceforge.net/).90 Vgl. http://www.aume.at [22.11.2006]91 Vgl. http://www.heise.de/newsticker/meldung/78229 [21.11.2006]92 Vgl. http://www.linz.at/Kultur/kultur_10924.asp [21.11.2006]

Anmerkungen zu Kapitel 8:

93 Vgl. http://www.soros.org/openaccess/read.shtml [18.10.2006]94 Open Source Jahrbuch 2006 – Artikel von Lambert Heller, S. 354; Online abrufbar unter:

http://www.opensourcejahrbuch.de/2006/abstracts/kapitel_07/osjb2006-07-03-heller.html [18.10.2006]95 Vgl. http://oa.mpg.de/openaccess-berlin/signatories.html [18.10.2006]95a Vgl. http://www.cms.hu-berlin.de/ueberblick/veranstaltungen/kolloquium/jahreskolloquium06/ebel.pdf [22.11.2006]96 Vgl. http://www.biomedcentral.com [18.10.2006]97 Vgl. http://www.egms.de/de [18.10.2006]

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98 Vgl. http://www.risk-insurance.de" [18.10.2006]99 Mruck, K./Gradmann, S./Mey, G. (2004): Open Access: Wissenschaft als Öffentliches Gut. Verfügbar über:

http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/2-04/2-04mrucketal-d.htm [18.10.2006], Abs. 12100 Open Source Jahrbuch 2006 – Artikel von Mathias Liebig, online abrufbar unter:

http://www.opensourcejahrbuch.de/2006/einleitungen.html#liebig101 Mruck, K./Gradmann, S./Mey, G. (2004): Open Access: Wissenschaft als Öffentliches Gut. Verfügbar über:

http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/2-04/2-04mrucketal-d.htm [18.10.2006]102 Graf, K. (2004): Wissenschaftliches E-Publizieren mit “Open-Access”-Initiativen und Widerstände. In: Historical

Social Research, Vol. 29, No. 1, S. 64-75103 Ebd.104 Open Source Jahrbuch 2006 – Artikel von Jan Neumann, S. 323; online abrufbar unter:

http://www.opensourcejahrbuch.de/2006/abstracts/kapitel_07/osjb2006-07-01-neumann.html [18.10.2006]105 Sietmann, R. (2006): Open Access: Auf dem Weg zu einem neuen Publikationsmodell für die Wissenschaft,

http://www.heise.de/newsticker/meldung/71547 [27.7.2006]106 Vgl. http://www.dfg.de [18.10.2006]106a Vgl. http://www.cms.hu-berlin.de/ueberblick/veranstaltungen/kolloquium/jahreskolloquium06/ebel.pdf [22.11.2006]107 Mruck, K./Gradmann, S./Mey, G. (2004): Open Access: Wissenschaft als Öffentliches Gut. Verfügbar über:

http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/2-04/2-04mrucketal-d.htm, Abs. 24107a Vgl. http://www.dfg.de/dfg_im_profil/zahlen_und_fakten/statistisches_berichtswesen/ib/download/ib01_2005.pdf

[22.11.2006]108 Vgl. http://www.dini.de/dini/zertifikat/zertifiziert.php [18.10.2006]109 Mruck, K./Gradmann, S./Mey, G. (2004): Open Access: Wissenschaft als Öffentliches Gut. Verfügbar über:

http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/2-04/2-04mrucketal-d.htm, Abs. 24110 Vgl. http://www.chaoscontrol.at/2005/we.htm [18.10.2006]111 Vgl. http://creativecommons.org [18.10.2006]112 Vgl. http://www.opendoar.org/tools/en/policies.php [04.11.2006]

Anmerkungen zu Kapitel 9:

113 O’Reilly T. (2005): What is Web 2.0,http://www.oreillynet.com/pub/a/oreilly/tim/news/2005/09/30/what-is-web-20.html [22.10.2006]

114 Spectra – Umfrage zur Internetnutzung für Österreich, September 2006115 O’Reilly T. (2005): What is Web 2.0,http://www.oreillynet.com/pub/a/oreilly/tim/news/2005/09/30/what-is-web-

20.html [22.10.2006]116 Groß, T. (2006): Per Anhalter durchs Pluriversum, http://www.zeit.de/2006/38/Popkomm [18.09.2006]117 Sixtus, M. (2006): Das Netz erfindet sich neu. In: c't 5/2006, S. 144118 Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Interaktivität (25.09.2006)119 Kunze, M. (2006): Verflochtenes Leben. In: c't 1/2006, S. 174120 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Allmende [23.09.2006]121 Hackl, F. (2006): Unterlagen zur Lehrveranstaltung „New Economy“ im Sommersemster 2006 an der Johannes

Kepler Universität Linz

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122 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Auf_den_Schultern_von_Giganten [10.11.2006]123 Z.B. Axelrod, R. (2000): Die Evolution der Kooperation. Oldenbourg Verlag124 Vgl. http://www.linz.at/hotspot [29.08.2006].125 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Gemeinschaftliches_Indexieren126 Kunze, M. (2006): Verflochtenes Leben. In: c't 1/2006, S. 174127 O’Reilly T. (2004): The Architecture of Participation,

http://www.oreillynet.com/pub/a/oreilly/tim/articles/architecture_of_participation.html [19.09.2006]128 Vgl. http://www.computerwelt.at/detailArticle.asp?a=98104&n=2 [19.09.2006]129 Dobusch, L. (2006): Netzneutralitä vs. Zwei-Klassen-Internet. In: PROGRESS, Ausgabe 06/2006130 Benkler, Y. (2006): The Wealth of Networks: How Social Production Transforms Markets and Freedom. Yale

University Press.131 Lessig, L. (2004): Free Culture. Penguin.132 Vgl. das Interview mit Volker Grassmuck in diesem Band.133 Vgl. http://www.pandora.com [26.08.2006]134 http://flosspols.org/deliverables/FLOSSPOLS-D16-Gender_Integrated_Report_of_Findings.pdf [22.11.2006]135 Berners-Lee, T./Hall, W./Hendler, J./Shadbold, N./Weitzner, D.J. (2006): Creating a Science of the Web. In:

Science, Vol 313, vom 11. August 2006

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