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Bachler, Freiheitsbeschränkungsmittel – Einst und Heute | AUFSÄTZE GuP 2/2017 | 59 25 Großkopf, Haftungsrechtliche Aspekte einer entbürokratisierten Pfle- gedokumentation, in: RDG 2016 , 174. 26 Großkopf, Haftungsrechtliche Aspekte einer entbürokratisierten Pfle- gedokumentation, in: RDG 2016 , 174. 27 OLG Zweibrücken, Urt. v. 13.5.1997 – 5 U 7/95. Sicher ist es auch jede Unterstützung wert, der Pflegewissenschaft zur Frage, welche Interventionen grundsätzlich Routineschritte sind, eine stärkere Geltung zu verschaffen. Jedoch führt dies, wenn die Frage der Aufzeichnungspflicht alleine in die Hände der Pflegeexpertise übergeben wird, zu erneut juristischer Un- sicherheit, die den Pflegenden keinen sicheren Rahmen bietet. Insoweit bliebe es gerade im Haftungsprozess problematisch, wenn ein Pflegeexperte nicht aus der ex-ante-Sicht die in der tat- sächlichen Situation im Einzelfall schwierige Frage zu entscheiden hätte, ob es sich um eine aufzeichnungspflichtige Maßnahme gehandelt hat oder nicht. E.  Fazit Insofern verbleibt es dabei, dass der „Immer-so-Beweis“ greift und nicht immer jede einzelne Leistung zu dokumentieren ist. Die Unterscheidung zwischen Grund- und Behandlungspfle- ge ist wie oben dargestellt weder stets hilfreich noch generell notwendig, sondern entscheidend ist, dass die allgemeinen Ab- läufe der Pflege in Form von übergeordneten Beschreibungen schriftlich niedergelegt werden, die individuellen Besonderheiten der Durchführung der Maßnahme beschrieben sind, die Pflege- und Betreuungskräfte hierüber informiert und geschult sind, im Rahmen der Organisationsverantwortung die Kenntnisnahme durch das Pflegepersonal durch Gegenzeichnung hinterlegt ist, das Qualitätsmanagement eine Sicherstellung gewährleistet und Änderungen der Maßnahmenplanung stets dokumentiert werden. All dies ist mit der geltenden Rechtsordnung und der herrschen- den Rechtsprechung – wie oben aufgezeigt – zu vereinbaren. V.  Andere Sichtweise? Der Frage der Beweislast in der Pflege widmete sich auch Groß- kopf 25 . Er geht von dem Grundsatz aus, dass es dem Sachverstän- digen auf Grundlage der pflegerischen Dokumentation zu entschei- den obliege, ob das streitige Vorgehen tatsächlich den Vorwurf der Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt zum Zeitpunkt der Behandlung und damit die Annahme eines Behandlungsfehlers rechtfertige. Eine derartige Beweiswirkung führe zu dem Irrtum, dass die Pflegedokumentation unangemessen umfangreich ausge- staltet werden müsse 26 . Die Erfassung der Dokumentation diene nicht den Juristen, sondern sei vielmehr dem Umstand geschuldet, einen Behandlungs- und Pflegeprozess sach- und fachgerecht durchführen zu können. Diese Annahme habe auch das OLG Zweibrücken 27 bestätigt, wenn es ausgeführt habe, dass sich der Umfang der Dokumentationspflicht nicht daran auszurichten habe, wie am besten Beweise für einen eventuell anschließenden Arzthaftungsprozess zu sichern seien, sondern vielmehr am Ziel der Wahrung der therapeutischen Belange und dem Informations- transfer zwischen den Behandlern. Aufzeichnungspflichtig seien daher solche Maßnahmen, deren Dokumentation für eine sach- und fachgerechte pflegerische Versorgung und einen lückenlosen Informationstransfer essentiell seien. Dies zu klären, obliege nicht einem Juristen, sondern einer Pflegeexpertise. Auch danach ist der Verzicht auf die Dokumentation einzelner Maßnahmen der Grundpflege, die zur Routine gehören, unschäd- lich, wenn sie durch die Erfassung der Informationen für die Maß- nahmenplanung und die Maßnahmenplanung selbst überflüssig werden und keinen für den Pflegeprozess relevanten Beitrag leisten. Mithin gelangt Großkopf insoweit zu dem gleichen Ergebnis, greift jedoch einen völlig anderen Ansatz auf, der bedenklich erscheint und auch das Problem dogmatisch nicht erfasst. Insbe- sondere übersieht er, dass die oben zitierte bis heute herrschen- de Rechtsprechung des BGH nicht durch das Urteil des OLG Zweibrücken obsolet ist. * Dr. Tamara Bachler, Wien. 1 Vgl. Witry, Die einstige Behandlung der Geisteskranken (1905) 200ff. 2 Vgl. John Conolly (1794 – 1866), britischer Arzt für Psychiatrie. 3 Vgl. Pfersmann, Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie aus historischer Sicht (2010) 34. 4 Vgl. Dörner/Plog, Irren ist menschlich oder Lehrbuch der Psychiatrie/Psy- chiatrie6 (1982) 439. Um Wahnsinnige „zum Stillstand zu bringen“ sind zu Beginn des 19 Jahrhunderts unter anderem Zwangskörbe, Zwangsbet- ten und Zwangswesten eingesetzt worden. Zudem existierte ein sogenanntes „Zwangsstehen“. 1 Ab Mitte des 19 Jahrhun- derts wurden primär Überlegungen angestellt, wie „Verrückte“ möglichst zwangsfrei „geheilt“ werden konnten. Conolly 2 setz- te sich für einen weitgehenden Verzicht von Zwangsjacken und Fixierungen an das Bett ein, nur die Türen blieben versperrt. 3 A.  Historischer Rückblick Die chemische Fixierung begann erst Mitte des letzten Jahrhun- derts 4 . Anfang der 50iger wurden das erste Mal Psychopharmaka Freiheitsbeschränkungsmittel – Einst und Heute von Dr. Tamara Bachler*

Freiheitsbeschränkungsmittel – Einst und Heute · BUCHBESPRECHUNGEN GuP 2/2017 | 61 12 Hochpotent. 13 Schwachpotent. 14 Vgl. Poehlke, Psychiatrie, 18. Aufl. 2010, S. 92 f. bzw

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Bachler, Freiheitsbeschränkungsmittel – Einst und Heute | A U F S ÄT Z E

GuP 2/2017 | 59

25 Großkopf, Haftungsrechtliche Aspekte einer entbürokratisierten Pfle-gedokumentation, in: RDG 2016 , 174.

26 Großkopf, Haftungsrechtliche Aspekte einer entbürokratisierten Pfle-gedokumentation, in: RDG 2016 , 174.

27 OLG Zweibrücken, Urt. v. 13.5.1997 – 5 U 7/95.

Sicher ist es auch jede Unterstützung wert, der Pflegewissenschaft zur Frage, welche Interventionen grundsätzlich Routineschritte sind, eine stärkere Geltung zu verschaffen. Jedoch führt dies, wenn die Frage der Aufzeichnungspflicht alleine in die Hände der Pflegeexpertise übergeben wird, zu erneut juristischer Un-sicherheit, die den Pflegenden keinen sicheren Rahmen bietet.

Insoweit bliebe es gerade im Haftungsprozess problematisch, wenn ein Pflegeexperte nicht aus der ex-ante-Sicht die in der tat-sächlichen Situation im Einzelfall schwierige Frage zu entscheiden hätte, ob es sich um eine aufzeichnungspflichtige Maßnahme gehandelt hat oder nicht.

E.  Fazit

Insofern verbleibt es dabei, dass der „Immer-so-Beweis“ greift und nicht immer jede einzelne Leistung zu dokumentieren ist. Die Unterscheidung zwischen Grund- und Behandlungspfle-ge ist wie oben dargestellt weder stets hilfreich noch generell notwendig, sondern entscheidend ist, dass die allgemeinen Ab-läufe der Pflege in Form von übergeordneten Beschreibungen schriftlich niedergelegt werden, die individuellen Besonderheiten der Durchführung der Maßnahme beschrieben sind, die Pflege- und Betreuungskräfte hierüber informiert und geschult sind, im Rahmen der Organisationsverantwortung die Kenntnisnahme durch das Pflegepersonal durch Gegenzeichnung hinterlegt ist, das Qualitätsmanagement eine Sicherstellung gewährleistet und Änderungen der Maßnahmenplanung stets dokumentiert werden. All dies ist mit der geltenden Rechtsordnung und der herrschen-den Rechtsprechung – wie oben aufgezeigt – zu vereinbaren.

V.  Andere Sichtweise?

Der Frage der Beweislast in der Pflege widmete sich auch Groß-kopf25. Er geht von dem Grundsatz aus, dass es dem Sachverstän-digen auf Grundlage der pflegerischen Dokumentation zu entschei-den obliege, ob das streitige Vorgehen tatsächlich den Vorwurf der Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt zum Zeitpunkt der Behandlung und damit die Annahme eines Behandlungsfehlers rechtfertige. Eine derartige Beweiswirkung führe zu dem Irrtum, dass die Pflegedokumentation unangemessen umfangreich ausge-staltet werden müsse26. Die Erfassung der Dokumentation diene nicht den Juristen, sondern sei vielmehr dem Umstand geschuldet, einen Behandlungs- und Pflegeprozess sach- und fachgerecht durchführen zu können. Diese Annahme habe auch das OLG Zweibrücken27 bestätigt, wenn es ausgeführt habe, dass sich der Umfang der Dokumentationspflicht nicht daran auszurichten habe, wie am besten Beweise für einen eventuell anschließenden Arzthaftungsprozess zu sichern seien, sondern vielmehr am Ziel der Wahrung der therapeutischen Belange und dem Informations-transfer zwischen den Behandlern. Aufzeichnungspflichtig seien daher solche Maßnahmen, deren Dokumentation für eine sach- und fachgerechte pflegerische Versorgung und einen lückenlosen Informationstransfer essentiell seien. Dies zu klären, obliege nicht einem Juristen, sondern einer Pflegeexpertise.

Auch danach ist der Verzicht auf die Dokumentation einzelner Maßnahmen der Grundpflege, die zur Routine gehören, unschäd-lich, wenn sie durch die Erfassung der Informationen für die Maß-nahmenplanung und die Maßnahmenplanung selbst überflüssig werden und keinen für den Pflegeprozess relevanten Beitrag leisten.

Mithin gelangt Großkopf insoweit zu dem gleichen Ergebnis, greift jedoch einen völlig anderen Ansatz auf, der bedenklich erscheint und auch das Problem dogmatisch nicht erfasst. Insbe-sondere übersieht er, dass die oben zitierte bis heute herrschen-de Rechtsprechung des BGH nicht durch das Urteil des OLG Zweibrücken obsolet ist.

* Dr. Tamara Bachler, Wien.1 Vgl. Witry, Die einstige Behandlung der Geisteskranken (1905) 200ff.2 Vgl. John Conolly (1794 – 1866), britischer Arzt für Psychiatrie.3 Vgl. Pfersmann, Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie aus historischer

Sicht (2010) 34.4 Vgl. Dörner/Plog, Irren ist menschlich oder Lehrbuch der Psychiatrie/Psy-

chiatrie6 (1982) 439.

Um Wahnsinnige „zum Stillstand zu bringen“ sind zu Beginn des 19 Jahrhunderts unter anderem Zwangskörbe, Zwangsbet-ten und Zwangswesten eingesetzt worden. Zudem existierte ein sogenanntes „Zwangsstehen“.1 Ab Mitte des 19 Jahrhun-derts wurden primär Überlegungen angestellt, wie „Verrückte“ möglichst zwangsfrei „geheilt“ werden konnten. Conolly2 setz-te sich für einen weitgehenden Verzicht von Zwangsjacken und Fixierungen an das Bett ein, nur die Türen blieben versperrt.3

A.  Historischer Rückblick

Die chemische Fixierung begann erst Mitte des letzten Jahrhun-derts4. Anfang der 50iger wurden das erste Mal Psychopharmaka

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Page 2: Freiheitsbeschränkungsmittel – Einst und Heute · BUCHBESPRECHUNGEN GuP 2/2017 | 61 12 Hochpotent. 13 Schwachpotent. 14 Vgl. Poehlke, Psychiatrie, 18. Aufl. 2010, S. 92 f. bzw

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erfolgreich getestet. Verbunden mit innovativen sozialpsychia-trischen Einrichtungen wurde die Aufenthaltsdauer in psych-iatrischen Einrichtungen verringert. So wurde im Jahre 1953 das Monohydrochlorid – Chlorpromazin als Antipsychotikum, Neuroleptikum und Psychosedativum von Rhône-Poulenc als Patent angemeldet.

B.  Direkte Freiheitsbeschränkungsmittel

Direkte Fixierung bezeichnet freiheitsentziehende Maßnahmen, welche die Bewegungsfreiheit fast oder vollkommen einschränken.

Dazu zählen unter anderem: n Fixiergurte (Drei-, Fünf- oder Neunpunkt – Fixierung5) auf

einer Liege, einem Bett, sowie n Bettseitenstützen (deshalb gemeinhin Bettgitter genannt) undn Zwangsjacken6 oder Netzbetten.

Zwischen 1999 und 2004 hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte insgesamt 30 Sterbefälle in Verbindung mit Fixiergurten (davon 29 in Deutschland, ein Fall in Österreich) ermittelt. Hierbei passierten elf Fälle in Spitälern, 18 Fälle in Pflegeheimen und in ein Fall in einem Privathaushalt.

Alle Verstorbenen hatten das Bett teilweise oder ganz verlassen.

Bei einer knienden oder halbsitzenden Position war der Gurt in den Thoraxbereich geglitten, so dass der Tod zumeist durch Blut- und Sauerstoffminderversorgung erfolgte.

In Kopftieflage bzw. der hängenden Position starb hingegen der Patient an einem Herz – Kreislaufversagen bzw. Aspiration.

Auffallend war, dass in den meisten Fällen die Seitenbefestigung (daher die Rückhaltegurte) nicht existent waren. In einigen Sterbefällen war ein Bettseitenteil hochgestellt. In vier dieser Fälle entsprachen die Bettseitenteile de facto nicht den aktuellen Normanforderungen.7

Das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinpro-dukte empfahl zur Verbesserung der Sicherheit bei Fixierungen folgende Maßnahmen:n „Bauchgurte, die keine seitlichen Rückhaltevorrichtungen

(Riemen) haben oder bei denen die zugehörigen Vorrichtun-gen separat beiliegend geliefert wurden, sind zurückzurufen oder mit dauerhaft und fest am Bauchgurt angebrachten Vorrichtungen aufzurüsten.

n Bauchgurte zur Fixierung sind am Bett derart anzubringen, dass ein Verrutschen in den Thoraxbereich verhindert wird. Am Bauchgurt integrierte seitliche Rückhaltevorrichtungen sind beizubehalten.

n Die Fixierung darf nur durch Personal durchgeführt werden, welches im Umgang mit dem Produkt geschult wurde.

n Die Anwender sind sowohl über die Produkte, als auch über das genaue Anlegen der Gurte zu informieren, um die fach-gerechte Handhabung sicherzustellen.8“

Bewegungen während einer Fixierung sind aus dekubitusprophylak-tischer Sicht als sehr bedenklich zu betrachten, da Reibungskräfte auftreten, die den Zustand der Haut und deren physiologische Durchblutung verändern und dementsprechend einen Dekubitus

begünstigen. Zudem kommt es durch die passive Lagerung mittels Fixiergurten zu Pneumonie, Kontrakturen oder Thrombosen.

Zudem muss bedacht werden, dass eine direkte Fixierung eine gravierende Auswirkung auf die Psyche hat, welche sogar psy-chotische Symptome hervorrufen bzw diese verstärken kann.

In weiterer Folge entstehen Aggressionen und neurotische bzw psychotische Krankheitssymptome9.

Auch kann ein Bauchgurt möglicherweise als „Schlange“ gesehen werden, die sich dem Patienten den Bauch schlingt.10 Besonders die Fünf – Punkt – Fixierung löst mMn bei weiblichen Patienten Gefühle der Scham, Erniedrigung und Ohnmacht aus, da sie eventuell mit „gespreizten Beinen“ im Bett verharren müssen. Bei weiblichen Patientinnen, welche sexuell missbraucht worden sind, kann es dementsprechend zu einer Retraumatisierung kommen

Ein wesentlicher Punkt bei den Fixierungen ist zudem, dass selbst bei sogenannten gelinderen Mitteln die Option besteht, dass die „gelinderen Mittel“ Menschen noch mehr in ihrer Menschen-würde verletzen können.

C.   Chemische Freiheitsbeschränkungsmittel

Eine „Liste“ von „freiheitsbeschränkenden Medikamenten“ kann nicht angegeben werden.11

Die häufigsten Fixierungen sind mit Psychopharmaka verbunden, daher mit Neuroleptika bzw. Tranquillantien.

Neuroleptika bzw. auch Antipsychotika genannt, sind Beruhi-gungsmittel, welche antipsychotisch wirken.

Bei einer Vielzahl von Neuroleptika kommt es neben der an-tipsychotischen Wirkung, zudem zum Auftreten extrapyrami-dalmotorischer Nebenwirkungen (die antipsychotische Wirkung setzt aber erst nach Tagen bis Wochen ein, die Nebenwirkungen setzen hingegen sehr viel schneller ein).

Eine Nebenwirkung von Neuroleptika ist der Blutdruckabfall. Generell beeinträchtigen Psychopharmaka die Reaktionsfähig-keit, als auch die Bewegungskoordination.

5 Vgl. Henke, Fixierungen (2006), S. 49f.6 Vgl. Henke, Fixierungen (2006), S. 49f.7 Henke, Fixierungen (2006), S. 52f.8 Vgl. auch Bredthauer/Becker/Eicher/Koczy/Nikolaus, Factors relating

tot he use of physical restraints in psychogeriatric care; a paradigm for elder abuse. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 38 (2005) 10-18.

9 Vgl. Henke, Fixierungen (2006), S. 70f.10 Eine Verabreichung von Schlafmitteln wie dämpfende Antidepressiva,

Benzodiazepinen, Opioiden, aber auch dämpfende Neuroleptika zu „Unzeiten“ (sprich mitten am Tag) stellt eine Freiheitsbeschränkung dar. Diese fällt dann aber weg, wenn die Medikamente hingegen abends und zur Behandlung einer diagnostizierten Schlafstörung ge-geben werden, unter der der Patient subjektiv leidet.

11 Eine Freiheitsbeschränkung liegt zudem vor, wenn Medikamente ge-geben werden, ohne die Zustimmung des Patienten, mit dem Ziel, den Bewegungsdrang zu unterbinden bzw zu dämpfen, selbst dann, wenn dieses Ziel nur eines unter etlichen Zielen ist, vgl: OGH v. 29. 5. 2008 – 2 Ob 77/08z, bzw. auch OGH v. 25.4.2012 – 7 Ob 62/12m.

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Page 3: Freiheitsbeschränkungsmittel – Einst und Heute · BUCHBESPRECHUNGEN GuP 2/2017 | 61 12 Hochpotent. 13 Schwachpotent. 14 Vgl. Poehlke, Psychiatrie, 18. Aufl. 2010, S. 92 f. bzw

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12 Hochpotent.13 Schwachpotent.14 Vgl. Poehlke, Psychiatrie, 18. Aufl. 2010, S. 92 f. bzw. Fleischhacker/

Hinterhuber, Lehrbuch Psychiatrie (2012), S. 133 f.15 Vgl. Poehlke, Psychiatrie, 18 Aufl. 2010, S. 99 f. bzw. Fleischhacker/

Hinterhuber, Lehrbuch Psychiatrie (2012), S. 175 f.

Tranquilizer mit einer schwachen Wirkung sind unter anderem Demetrin®, Frisium®, Tafil®.

Eine mittlere Wirkungsweise haben unter anderem Adumbran®, Lendormin®, Librium®, Lexotanil®, Tavor®, Tranxilium®.

Hingegen starke Tranquilizer heißen unter anderem Dal-madorm®, Remestan® oder Valium®.15

Zu den typischen Neuroleptika zählen Dapotum®, Fluanxol®, Dapotum®, Glianimon®, Haldol -Janssen®.12 Als auch Atosil®, Dipiperon®, Melperon beta®, Neurocil® und Truxal.13

Atypische Neuroleptika sind hoch antipsychotisch, zeigen hinge-gen dennoch wenig bis kaum extrapyramidalmotorischer Neben-wirkungen; zu diesen atypischen Neuroleptika zählen Abilify®, Leponex®, Seroquel®, Solian®, Risperdal® und Zyprexa®.14

Beruhigungsmittel ohne antipsychotischen Effekt heißen Tranqui-lizer. Sie wirken anxiolytisch (angstlösend), sedativ (beruhigend) und hypnotisch (daher schlaffördernd).

Trotzdem kommt es insbesondere bei Kindern, als auch bei älteren Patienten zu „paradoxen Reaktionen“ (Agitation und Aggression).

des SGB XI im Jahr 1994 aus dem SGB V teilweise abgeleitet und über 20 Jahre Rechtsentwicklung sprechen, letztlich mag die Bewertung jedoch dahinstehen.

Die gründliche Erarbeitung des Vorranggrundsatzes im SGB XI überzeugt in jeder Hinsicht und dieser gebührte allein eine Ver-öffentlichung. Die gesamte Spannbreite des Leistungsspektrums des SGB XI wird im Lichte des Vorranggrundsatzes untersucht und jeweils bewertet. Dies gilt auch für die Kombinierbarkeit ambulanter und stationärer Leistungen in der sozialen Pflegeversi-cherung, die für das SGB XI in einem immer wieder abgeänderten Umfang relevant ist (vgl. bereits Tobias Linke in NZS 2005, 14). Zu Recht wird § 3 SGB XI mit dem Vorrang ambulanter Pflege als Programmsatz reduziert beschrieben und auf die nach wie vor „dominante Stellung der ambulanten Pflege“ (S. 67) hingewiesen.

Diesen Ausführungen schließt eine kritische Auseinandersetzung mit dem Vorranggrundsatz (S. 68 ff.) an, die mit einer sorgfälti-gen Tatsachen- und Rechtsanalyse zu Recht einen Schwerpunkt bei den „Anreizen im Leistungssystem zur Inanspruchnahme ambulanter Pflege“ legt. Daran habe der Gesetzgeber der Pfle-gestärkungsgesetze (PSG I und II) festgehalten (vgl. S. 110 ff.) und auch das zeitlich zur Arbeit nachfolgende PSG III hat hieran nichts geändert, wie der Rezensent meint. Als „Anreize“-System wird dieses Vorrangsystem korrekt beschrieben, weil es weitge-hend im Sinne von Obliegenheiten – vornehmlich finanzielle und leistungserweiternde – Vergünstigungen bei einer Wahl von Leis-tungen bereit hält, wenn diese Wahl den gesetzgeberischen Ziel-vorstellungen entspricht (bis zum Vorrang von Sachleistungen vor Geldleistungen etwa, verbunden mit finanziellen Vorteilen). Im Zusammenhang mit der Finanzierbarkeit der Pflegeversicherung wird die Frage nach der „heutigen Rechtfertigung des Vorrang-grundsatzes“ (S. 199 ff.) mit der Feststellung beantwortet, dass abgesehen von der Kostengrenze des § 13 Abs. 1 Satz 3 SGB XII (und auch möglicher Grenzen durch die Rechtsprechung) durch den Vorrang ambulanter Leistungen keine Ausgabenbegrenzung

Katrin von Mielecki, Grenzen des Vorrangs der ambulanten vor der stationären Pflege in der sozialen Pflegeversicherung, 212 Seiten, 69,90 €, ISBN 9783428151172, Verlag Duncker und Humblot, Berlin 2016

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2016 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Uni-versität Freiburg als Dissertation angenommen (betreut von Prof. Dr. Katharina von Koppenfels-Spies und Zweitgutachten von Prof. Dr. Sebastian Krebber). Es gehört Mut dazu, in einer Umbruchsituation eines Rechtsgebiets, hier dem Pflegeversiche-rungsrecht mit dem Schwerpunkt der sozialen Pflegeversicherung mit einem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff sowie einem neuen Begutachtungsassessment, in diesem Rechtsgebiet eine wissen-schaftliche Arbeit zu schreiben. Vorab sei bereits festgestellt, dass diese Ausgangssituation bestens bewältigt wurde, was belegen mag, dass das Thema wohl in die Zeit eingebunden und damit von Gewicht ist, zugleich aber durch eine gewisse Zeitlosigkeit bestimmt und den Gesetzgeber wie auch die Rechtsprechung noch lange beschäftigen wird.

In der Tat stellen sich Fragen nach der Abgrenzung wie auch der Verbindung von ambulanten und stationären Leistungen über das SGB XI hinaus im Sozialrecht vielfach. Dies mag vorrangig für das Krankenversicherungsrecht des SGB V gelten, wobei noch vor 20 Jahren als unüberwindbar geltende Abgrenzungen sich heute in ein Gebot der Leistungsvielfalt gewandelt haben (spezialfachärztliche ambulante Leistungen durch Krankenhäuser, Medizinische Versorgungszentren mit dem Gebot der Zusam-menarbeit mit stationärer Leistungserbringung usw.). Ob diese Entwicklungen, auch im Sinne einer Rangfolge, eigenständig auf das jeweilige Rechtsgebiet innerhalb eines Sozialgesetzbuchs be-schränkt gesehen und zu bewerten sind, wie von Mielecki meint (vgl. S. 160 ff.), mag aus der Sicht eines Richters mit langjähriger Erfahrung in verschiedenen Rechtsgebieten fraglich erscheinen, zumal die Rechtsentwicklung im SGB V Thesen der Autorin zum SGB XI zu unterstreichen vermag. Dafür mögen die Entstehung

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