Freistil 05-20 Fernsehserie (Oelze Luerweg) · 2 OOO-O---Ton 1Ton 1Ton 1 Ausschnitt the Wire „Wie hieß dein Kumpel?“ „Rotz“ „Rotz – stand er auf den Namen?“ „Ja,

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Sonntag,Sonntag,Sonntag,Sonntag, 20 20 20 20. Mai 2012 (11:05. Mai 2012 (11:05. Mai 2012 (11:05. Mai 2012 (11:05----11112222:00 Uhr) KW 20:00 Uhr) KW 20:00 Uhr) KW 20:00 Uhr) KW 20

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Fortsetzung folgtFortsetzung folgtFortsetzung folgtFortsetzung folgt ––––

Die Fernsehserie zwischen Trash und KunstformDie Fernsehserie zwischen Trash und KunstformDie Fernsehserie zwischen Trash und KunstformDie Fernsehserie zwischen Trash und Kunstform

Von Susanne LueVon Susanne LueVon Susanne LueVon Susanne Luerweg und Sabine Oelzerweg und Sabine Oelzerweg und Sabine Oelzerweg und Sabine Oelze

Redaktion: Klaus PilgerRedaktion: Klaus PilgerRedaktion: Klaus PilgerRedaktion: Klaus Pilger

M a n u s k r i p tM a n u s k r i p tM a n u s k r i p tM a n u s k r i p t

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OOOO----Ton 1Ton 1Ton 1Ton 1 Ausschnitt the Wire

„Wie hieß dein Kumpel?“

„Rotz“

„Rotz – stand er auf den Namen?“

„Ja, Rotzkolben“.

„Und wer hat Rotz erschossen?“

OOOO----ToToToTon 2n 2n 2n 2 Udo

„Wenn man sich zwei Stunden vornimmt können schon vier bis fünf draus werden, aber man muss sich auch

disziplinieren und sagen: Morgen ist auch noch ein Tag.“

OOOO----Ton 3Ton 3Ton 3Ton 3 O-Ton Ausschnitt Breaking Bad

„Wann wollten Sie es mir sagen? Was sagen? Krebs? Haben Sie doch! Und in welchem Stadium? 3A.“

OOOO----Ton 4Ton 4Ton 4Ton 4 Schabacher

„Das ist hier mein DVD-Regal. Ziemlich mittig zwischen all den Büchern...“

OOOO----Ton 5Ton 5Ton 5Ton 5 Ausschnitt Mad Men

„Wir haben Doktor Scholl verloren“.

„An wen?“

„An Leo Burnet“t.

„Wahrscheinlich war es nicht hilfreich, dass unsere Rechnungen immer höher wurden. Irgendwann liest die

Rechnungen ja auch ein Buchhalter“.

„Heute soll um 4 ein Casting stattfinden. Nicht vergessen, Don: Wenn Gott eine Tür schließt, dann öffnet sich

ein Kleid“.

OOOO----Ton 6Ton 6Ton 6Ton 6 Rick

„Fernsehen und Kino sind unterschiedliche Medien“.

OOOO----Ton 7Ton 7Ton 7Ton 7 Ausschnitt O-Ton Sopranos, (du schießt nur in Bein)

“Du schießt nur einmal auf mich in den fleischigen Teil des Schenkels, ja?”

OOOO----Ton 8Ton 8Ton 8Ton 8 Benedict

„Mein Bekenntnis geht aber soweit, dass ich mehr Zeit vor amerikanischen Serien verbringe.“

SprecherSprecherSprecherSprecher::::

Fortsetzung folgtFortsetzung folgtFortsetzung folgtFortsetzung folgt

Die Fernsehserie zwischen Trash und KunstformDie Fernsehserie zwischen Trash und KunstformDie Fernsehserie zwischen Trash und KunstformDie Fernsehserie zwischen Trash und Kunstform

Von Von Von Von Susanne Luerweg und Sabine OelzeSusanne Luerweg und Sabine OelzeSusanne Luerweg und Sabine OelzeSusanne Luerweg und Sabine Oelze

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Sprecherin 1: Sprecherin 1: Sprecherin 1: Sprecherin 1:

Neue Serien werden in den USA wie am Fließband produziert.

Sprecher:Sprecher:Sprecher:Sprecher:

The Sopranos: 6 Staffeln, 86 Episoden, ein Kleinstadt-Mafia-Boss geht zur Psychotherapie. Fesselnde Studie von

Machtverhältnissen, 5 Golden Globes, 21 Emmys. Produktionsjahre 1999 - 2007.

Sprecher: Sprecher: Sprecher: Sprecher:

Mad Men, 4 Staffeln , 52 Episoden, Serie aus dem Werbemilieu der 60er Jahre in Amerika. 4 Emmys, 4 Golden

Globes. Produktionsjahre: Seit 2007.


Eine neue Stunde des Fernsehens hat geschlagen. Es hagelt Emmys, Golden Globes, Kritikerpreise.


Für Serien? Die Kellerkinder des Fernsehens?

Sprecherin 1:Sprecherin 1:Sprecherin 1:Sprecherin 1:

Serien sind Kunst. Medien-Kritiker kriegen sich kaum ein vor Begeisterung. Manche verlangen sogar einen

„Nobelpreis“ für Serien…


Für Serien?


Für: Broadcast Literature: gesendete Literatur! Megamovies! So heißen die Tragödien, Thriller, Dramen,

Komödien oder Fantasy-Formate, die ihre Fans vor den Fernseher locken. Wie gebannt sitzen sie auf ihren Sofas

und können sich kaum regen. Hypnotisiert.


The Wire:

5 Staffeln, 60 Episoden, Serie über Drogenmafia in Baltimore mit realistischer Figurenzeichnung. Von Kritikern

und in Intellektuellenkreisen als Kultserie gehandelt. Diverse Male als bester Krimi ausgezeichnet.

Produktionsjahre von 2002 bis 2008.


Boardwalk Empire:

2 Staffeln, 24 Episoden, Im Mittelpunkt stehen die dubiosen Machenschaften des Gangster und

Stadtkämmerers Nucky Thompson. Es geht um Prohibition und korrupte Politiker in Atlantic City. Zwei Golden

Globes. Produktionsjahre: Von 2009 bis heute.

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Besonders amerikanische Pay-TV-Sender wie HBO und AMC machen Jagd auf eine Publikumsschicht, die

jahrzehntelang die Nase rümpfte über Serien: Bildungsbürger, Intellektuelle, Akademiker.

OOOO----Ton 9 Ton 9 Ton 9 Ton 9 Udo Löffler

„Serien waren für mich vorher billige Vorabendserien, so bin ich in den 70er und 80er Jahren aufgewachsen, das

war für mich nicht Fernsehen mit Qualität. /// In den Folgejahren haben die Amerikaner es geschafft, Serien auf

den Markt zu bringen, die viel besseres Fernsehen sind als wir hier haben, und teilweise auch besser als

Kinofilme sind, sowohl von der Handlung und dem Budget. //Und es ist klar, wenn man 70 bis 80 Stunden mit

den Figuren verbringt, dass man eine andere Bindung entwickelt als wenn man einen 90 Minuten Kinofilm

anguckt“.


Udo Löffler sieht sich erst seit zehn Jahren Serien an. Manchmal kann er es kaum erwarten, bis von seiner

Lieblingsserie eine neue Staffel produziert ist.


Staffel? Das klingt ja wie beim Militär.

OOOO----Ton 10 Ton 10 Ton 10 Ton 10 Andreas Jahn Sudmann

„Also die Staffel ist eine ästhetische Einheit, die eine bestimmte Anzahl von Episoden einschließt. Sie ist eine

ganz zentrale Einheit der seriellen Gestaltung , insofern sie das Alte und Neue auch immer verbindet und die

Staffel darauf aufmerksam macht, dass Serien ja nicht nur fortgesetzte Handlungen sind, sondern tatsächlich

auch auf Unterbrechungen hin gestaltet werden“.


Andreas Jahn Sudmann, Medienforscher an der Uni Göttingen, ist seit einiger Zeit auch ein Serienjunkie.


Wer Serien schaut, braucht also Ausdauer?


Jede Staffel besteht aus mindestens zehn Folgen und gleicht einem Etappenziel auf einer Bergwanderung. Der

Zuschauer arbeitet sich langsam den Spannungsberg hoch, erst auf dem Gipfel erkennt er den Sinn aller Höhen

und Tiefen.


Klingt nach viel Mühsal und nicht nach Vergnügen.

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Auch wer Serien schreibt, braucht Ausdauer.

Drehbuchautoren sind nicht mehr „nur“ Drehbuchautoren.

Sie dürfen sich „Creator“ nennen – Schöpfer. Kurz: Fernsehgötter. Serien laufen sogar auf Filmfestivals, als

Konkurrenz zum Kinofilm. Menschen verbringen Tage und Nächte mit Laptops im Bett, um noch eine und noch

eine Episode dieser von ihnen heiß geliebten Formate zu sehen.

OOOO----Ton 11 Ton 11 Ton 11 Ton 11 Tom

„Mitunter guckt man so ein zwei Folgen zum Einschlafen im Sinne von einem Fernsehprogramm. Was da

gerade Neues da ist und ansonsten guckt man genauso wie man einen epischen Roman liest, eine Serie am

Stück“.

SprecherSprecherSprecherSprecher

Klappe 1: Was ist die „neue“ Serie? Klappe 1: Was ist die „neue“ Serie? Klappe 1: Was ist die „neue“ Serie? Klappe 1: Was ist die „neue“ Serie?


Aufwendige moderne US-Serien wie Mad Men, The Wire oder Breaking Bad stehen für hohe Handwerkskunst,

arrangiert von professionellen Regisseuren, inszeniert mit sehr guten Schauspielern. Diese Serien haben den

entscheidenden Flügelschlag mehr, den es braucht, um aus einer 44-Minuten-Folge ein intellektuelles

Vergnügen zu machen.

OOOO----Ton 12 Ton 12 Ton 12 Ton 12 Gabriele Schabacher

„Man hat eben erst den Piloten und wenn der gut ankommt, dann produziert man 12 Episoden und später wird

man dann noch mal nachlegen. Aber es ist nicht so, dass alles von Anfang da wäre“.


Sagt Gabriele Schabacher. Die Medienwissenschaftlerin ist eigentlich promovierte Germanistin. Mittlerweile

setzt sie sich wissenschaftlich mit dem Phänomen Serie auseinander.

OOOO----Ton 13 Ton 13 Ton 13 Ton 13 Schabacher

„Fortsetzungsserien der heutigen Art erlauben nicht, dass man eine Folge auslässt und dann trotzdem noch

mitkommen könnte //das ist etwas, was die heutigen Televisionsserien berühmt gemacht hat, weil sie eine

gehörige Aufmerksamkeit von den Zuschauern verlangen.“


Das Prinzip der Serie, als sie nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA erfunden wurde, hieß doch auch:

Weiterschauen.

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Früher aber – zu Zeiten von Lassie, Fury und Bonanza – konnte jeder Zuschauer jederzeit einsteigen. Es war

egal, ob er die Charaktere und die Zusammenhänge kannte oder nicht. Die Schauspieler verkörperten meist

stereotype Charaktere. Auf Wandlungsfähigkeit wurde nicht so viel Wert gelegt. Wer böse war, blieb auch böse.

Jede Folge war eine in sich abgeschlossene Einheit und folgte einem Schema: Steigerung, Höhepunkt, Schluss.

Die neuen, anspruchsvollen TV-Serien nach amerikanischem Modell funktionieren anders. Sie verlangen vom

Zuschauer Zeit, um die Charaktere erst einmal kennen zu lernen.

OOOO----Ton 14 Ton 14 Ton 14 Ton 14 Silja Clemens

„Es wird immer unterschieden zwischen horizontalen und episodischen Erzählen. Beim episodischem Erzählen

sind die Figuren sehr statisch, wenn die sich überhaupt entwickeln, dann dürfen die sich nur in der

Geschwindigkeit eines Gletschers entwickeln. Sondern eigentlich muss am Ende der Folge alles wieder

hergestellt sein. Klassisches Beispiel: beim Großstadtrevier – es wird ein Fall gelöst, dann ist die Folge zu Ende.

Die Figuren verändern sich kaum. Beim horizontalen Erzählen da gibt es gar keine Fälle, oder zumindest stehen

die nicht im Vordergrund. Sondern es geht darum, eine fortlaufende Geschichte in 13 Teilen zu erzählen.

Normale Staffeln haben ja 13 Folgen.“


Drehbuchautorin Silja Clemens hat selbst gerade eine Jugendserie fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen

geschrieben – und sich dabei an einer US-Serie mit acht Staffeln orientiert. Es muss aber nicht immer so lang

sein.

So genannte Mini-Serien bestehen nur aus drei Episoden, wie im Fall von „Dreileben“. Entwickelt von den drei

Regisseuren Dominik Graf, Christian Petzold und Christoph Hochhäuser. Sie erzählen eine Geschichte aus

verschiedenen Perspektiven. Regisseur des Teils „Unter dir die Stadt“ ist Christoph Hochhäusler.

OOOO----Ton 15 HochhäuslerTon 15 HochhäuslerTon 15 HochhäuslerTon 15 Hochhäusler

„Es gibt im Fernsehen eine Art Frühling des Erzählens./// Und ja das ist aufregend, das ist romanhaft, das ist

komplex, wie das Hollywood-Kino selten nur noch ist, aber das gegeneinander auszuspielen, finde ich albern.“


Klappe 2: Serie als LifestyleKlappe 2: Serie als LifestyleKlappe 2: Serie als LifestyleKlappe 2: Serie als Lifestyle

OOOO----Ton 16 Ton 16 Ton 16 Ton 16 Stephan Rick

„So wie man früher vielleicht auf Parties über Kinofilme geredet hat, so macht man das heute über Serien.“


Meint Fernseh-und Kinoregisseur Stephan Rick. Fernsehen als Gesprächsthema Nummer eins auf Parties? Ist

das nicht der Untergang des Abendlandes?

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„Das ist auch so ein Teil von so einer Gegenwartskultur. // Ich rede lieber über Serien als über Kunst zu

sprechen. Auf jeden Fall.“

SprechSprechSprechSprecherin 2:erin 2:erin 2:erin 2:

Sogar Kuratoren und Gestalter wie Tom Lingnau interessieren sich neuerdings für Serien?

OOOO----Ton 18 TomTon 18 TomTon 18 TomTon 18 Tom

„Es ist mir fast peinlich – es hat angefangen in den frühen 90ern mit Star Trek –die Next Generation und alles

was popkulturell oder subkulturell angelegt war, aber Hongkongfilme und japanische Animé, zum Beispiel auch

Science Fiction-Serien, die gab es dann damals eigentlich nur in Comicläden, also auch in so einer verklemmten

nerdigen Nische wurde das teuer eingekauft diese VHS-Videokasseten. 40 Mark in so einer Box und da hat es für

mich auch aufgehört, dass ich so reguläres deutsches Fernsehen geguckt habe und seitdem nur noch

Originalversionen schaue.“

Sprecherin 2Sprecherin 2Sprecherin 2Sprecherin 2::::

Sag mir, welche Serie du schaust, und ich sage dir, wer du bist.


Serien werden immer mehr zum Lifestyle-Thema, prägen Trends, vermitteln Status und beeinflussen unser

Konsumverhalten.


Ach. Wenn ich mich bei den Vampiren von „True Blood“ wohlfühle, bin ich fürs Abgründige zu haben? Oute ich

mich als „The Wire“-Fan, der den Drogenbossen von Baltimore beim Dealen zusieht, lebe ich dann meine

kriminelle Neigung aus? Und beim hochpolierten Chic des Werbermilieus in „Mad Man“, schmeiße ich meine

Jeans weg und kaufe mir sexy Kostüme?

OOOO----Ton 19 Ton 19 Ton 19 Ton 19 Jahn-Sudmann

„Wenn ich allein an die mir bekannten Milieus denke, weiß ich, dass die Zuschauer schon sehr, sehr

unterschiedliche Serien wahrnehmen einerseits und andererseits// eine Serie wie True Blood oder The Wire

auch schon von sehr, sehr unterschiedlichen Leuten angeschaut wird. Im Hinblick auf ganz unterschiedliche

Merkmale, sei es jetzt Bildung, Einkommen, Alter, Geschlecht oder an was man auch immer denken kann.“

OOOO----TTTTon 20 on 20 on 20 on 20 Sex and City

„Meine Güte Samantha, das läuft ja super. Stimmt, ich James und sein kleiner Penis. Zusammen sind wir eine

glückliche Familie.“


Sex and the City:

6 Staffeln, 94 Episoden. Zwei Spin- off Kinofilme. Vier Grossstädterinnen reden über Sex und wurden zu

Vorbildern für Frauen ab 30. 7 Emmys, 8 Golden Globes. Produktionsjahre 1998 - 2004.

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"Sex and the City" bleibt das Paradebeispiel für das Identifikationspotential von Serien. Über Jahre hat der Sex-

Talk von vier Single-Frauen in New York Modehäuser und Frauenmagazine mit Ideen und Themen beliefert.


Okay – aber für Menschen mit Hirn hat Sex and the City auch nicht mehr Niveau als Germanys next Topmodel.


Schnee von gestern. Sex and the City war ja auch nur ein Vorbote für das goldene Zeitalter der Serie. Inzwischen

sind auch Wissenschaftlerinnen infiziert und analysieren die komplexen Geschichten der Serien wie Romane.

Auch Gabriele Schabacher, Medienwissenschaftlerin an der Universität Siegen, hält dazu regelmäßig Seminare

ab und besucht Tagungen, die sich mit dem Phänomen auseinandersetzen.


„Ich bin von einer Serientagung mit einer Liste zurückgekommen. Früher habe ich Serien identifikatorisch

geguckt, mittlerweile genieße ich aber, dass es immer wieder neue Ideen gibt, was man als Ausgangspunkt für

eine Serie benutzen kann, jetzt habe ich gerade „Sons of Anarchy“ geguckt, diese Bikergang, das hätte ich mir

früher nicht träumen lassen, dass ich mal eine Serie über Biker sehen würde, ich fand es aber interessant.“

OOOO----Ton 22 Ton 22 Ton 22 Ton 22 Heike Melba-Fendel

„Serie ist ja ein Format, das dem Fernsehen sehr gerecht wird. Viel mehr als das so genannte TV-Movie, dass

wie der Name ja schon sagt – das ist viel näher am Film. Die Serie, die in regelmäßigen Abständen in die

Häuser der Zuschauer kommt, ist eine sinnfällige Form Fernsehen zu machen, weil es Zuschauer bindet, weil

man das Gefühl hat, man kennt die Menschen usw. und diese so viel beschworene Geborgenheit im Ritual

bieten ja die Fernsehserien“.

OOOO----Ton 23Ton 23Ton 23Ton 23 Ausschnitt Sopranos

„…wie stellt sich im Augenblick die Situation in den Reihen der Mafia dar?//Durch die harte Regierungspolitik

seit zwei Jahrzhenten hat die Mafia ihre Köpfe verloren.“ ///

OOOO----Ton 24 Ton 24 Ton 24 Ton 24 Udo

„Bei den Sopranos, der Mafia-Serie, gibt es den Tony Soprano, das ist die Hauptfigur, der ist kein

Sympathieträger, der ist gewalttätig und jähzornig. // Und es war dann bei der Serie so, // dass ich bei der

vorletzten Folge zwei Wochen Pause machen musste, weil ich nicht wollte, dass die Serie zu Ende geht, weil die

Familie, auch wenn es eine Mafiafamilie ist, mittlerweile eine Ersatzfamilie geworden ist, schon ein Teil der Zeit

damals war für mich.“


Leben wir jetzt nur noch in einer Parallelwelt? Virtuelle Freunde bei Facebook, familiäre Wärme aus der DVD-

Box?

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Sprecherin 1 Sprecherin 1 Sprecherin 1 Sprecherin 1::::

...lieber einen psychotischen Mafia-Boss, der zur Therapie geht als einen aalglatten, eindimensionalen Bösewicht

mit einem Alkoholproblem wie JR Ewing als Ersatzvater. Dallas – aus heutiger Sicht – das Neolithikum des

Fernsehens.


Immerhin gibt es eine Entwicklung. Das klingt nach Evolution.


Das Leben auf der Southfork-Ranch war eine Kunstwelt. Wer kennt schon Ölbarone, die mit dem Privatjet zu

Terminen fliegen? Aber selbst Dallas hat es bereits Ende der 1970er Jahre geschafft, gesellschaftliche Themen

wie unter einem Brennglas zu sehen.

OOOO----Ton 25 Ton 25 Ton 25 Ton 25 Sudmann

„Ich würde sagen, dass Dallas eine durchaus interessante Fernsehserie war, in der Art und Weise, das ja wir

auch immer an dem Leben von JR und Bobby Ewing ablesen konnte, in weit sich das Leben der Superreichen

von unserem Leben unterscheidet, wie dort Konflikte gelöst werden im Alltag und gewissermaßen auf der Ebene

eines emotionalen Realismus immer so eine Verbindung auch zu diesen vermeintlich sehr realitätsfernen

Figuren hergestellt werden konnte und ich denke, das ist etwas wo deutlich wird, dass die Serie schon seit jeher

schon immer eine Showbühne der Lebensführung war.“


Neu ist: Serien gelten nicht mehr nur als bloße Unterhaltung, sondern als komplexe und intelligent inszenierte

Kulturprodukte. Wer dabei versucht, ein Hemd zu bügeln, kann es lieber gleich lassen.


Möglichst viele Folgen hintereinander weggucken...


... die DVD-Box macht es möglich.


„Das ist hier mein DVD-Regal, ziemlich mittig zwischen all den Büchern, man sieht vorne steht „24“. Das

finde ich im nachhinein ganz gut, weil das die Serie ist über die sich alle streiten, ob die Quality Television ist

oder nicht und ich würde sagen, sie haben eines der entscheidenden Experimente gestartet und damit viel

losgetreten, gerade weil es kein Pay-TV-Sender war, der das produziert hat.“

OOOO----Ton 27 Ton 27 Ton 27 Ton 27 Ausschnitt aus 24

„Die folgenden Ereignisse zwischen Mitternacht und 1 Uhr morgens statt. Am Tag der kalifornischen Vorwahl

zur amerikanischen Präsidentschaft. Alles was sie sehen, geschieht in Echtzeit“.

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„24“ Oder englisch „twenty four“. 8 Staffeln, 192 Episoden.

24 erzählt die Geschichte von Jack Bauer, einem Agenten der Counter Terrorist Unit, CTU, in Los Angeles, der

die USA vor den Angriffen von Terroristen beschützt. 2 Golden Globes, Nominiert für zahlreiche Emmys.

Produktionsjahre 2001 - 2010.


„Damals habe ich mit meiner Exfreundin 24 geguckt, vier bis fünf Stunden an einem Samstagabend, dann war

es so spannend, dass wir gesagt haben. Sonntag egal, aufstehen, frühstücken vor den Fernseher und dann

haben wir zehn Stunden am Stück geguckt.“


„… ja, stimmt. Das war zumindest die erste Season eine Überraschung, da ja die Folgen dramaturgisiert waren

in Echtzeit und das war was, wenn man das ganze Boxset dann auch in Echtzeit gucken musste und was eine

unheimliche Spannung und Dramatik und immer weitergucken bedingt hat, dass man bis in die frühe

Morgenstunden auch geguckt hat. Das war noch sehr schön. Ansonsten ist 24 ja auch ganz grauenhaft, und bis

hin zu faschistischen Tendenzen konservativ, aber damals tolle Unterhaltung.“


2002 erscheinen die ersten Staffeln der Serie 24 mit Kiefer Sutherland in der Hauptrolle auf DVD. Ab 2003 laufen

sie in Deutschland bei RTL.


Aber die Serie ist doch umstritten? Immerhin vergleicht der Philosoph Slavoj Zizek Jack Bauer und seine

Kollegen der CTU mit den Nazis.

Ich zitiere: „Die moralisch verkommenen Hersteller von 24 sind die Himmlers von Hollywood.“ Die

Protagonisten schrecken schließlich vor nichts zurück, Verdächtige, Familienangehörige und selbst eigene

Kollegen und deren Familienangehörige werden gefoltert – und manchmal auch umgebracht.


Jack Bauer ist tatsächlich eher ein Held vom alten Schlage.


„Zu Jack Bauer kann man keine Verbindung aufbauen ///das ist wie Videospiele, Hit and Run, das ist kein

komplexer Charakter,mit dem man sich identifizieren könnte“.


Was Jack Bauer als Figur so unglaubwürdig macht: Er steht sogar von den Toten wieder auf. Aber eins ist „24“

gelungen: Die Serie beschreitet ästhetisch Neuland. Die Geschichte spielt sich nicht nur in Echtzeit – also in 24

Stunden – ab. Sondern: mit Hilfe von Splitscreens werden Handlungen parallel erzählt.

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OOOO----Ton 32 Ton 32 Ton 32 Ton 32 (Udo weiter)

„Hinzu kommt ,dass dieses Ticking-Bomb-Szenario, mit dem fast jede Staffel der Serie spielt, natürlich dazu

verleitet die Legitimität von Folter an so ganz extremen Fällen zu plausibilisieren und zu legitimieren und das ist

sicher auch was Problematisches. Und dennoch würde ich jederzeit sagen, 24 wurde deswegen oder stand

deswegen so sehr im Zentrum der Kritik eben wegen 9/11, eben wegen des anschließenden Kriegs gegen den

Terrors, wo man eben diese Parallelität und offensichtlich Parallelen hat zwischen der Serie als solchen und der

Politik. Ansonsten wäre die Serie sicherlich, wenn es die Ereignisse nicht gegeben hätte, nicht in der Art und

Weise kritisiert worden. Das darf man nicht aus dem Blick verlieren.“

Sprecherin 2: Sprecherin 2: Sprecherin 2: Sprecherin 2: (ironisch)

Die neue Serienwelt scheint ja schön bunt zu sein: Mafia-Bosse, die auf die Couch müssen und staatlich

sanktionierte Folterknechte. Das ist die viel beschworene Realitätsnähe?


Es gibt nichts, was es nicht gibt: So vielfältig wie das Leben, so verschieden sind auch die Geschichten der

Serien. Ob Kliniken, Praxen, Familien und Freundeskreise, ob Mörder, Psychopathen, Sexbesessene, Mütter,

Väter, Biker, Gangs, Vampire, Zombies. Es herrscht kein Mangel an originellen Schauplätzen und schrägen

Geschichten. Das Publikum, das sie konsumiert, will Abwechslung und viele Wahlmöglichkeiten.

OOOO----ton 34 ton 34 ton 34 ton 34 Schabacher

„Was ich glaube ist, dass unsere Medienlandschaft komplexer ist. ///Die Serien brauchen eine komplexere

Medienlandschaft, um sich entfalten zu können, sie brauchen die diversen Abspielkanäle, sie brauchen

Menschen, die gewohnt sind zwischen Medien zu switchen. Fans, die bei Wikipedia nachlesen, was passiert ist.

Gleichzeitig ist es so, dass die Serien ein Ausdruck sind dafür, dass die Medienlandschaft komplexer geworden

ist, dass da was möglich wird, was durch eine Entwicklung auf anderen ebenen ins Leben gerufen worden ist“.


Klappe 3: Vorbild „Twin Peaks“Klappe 3: Vorbild „Twin Peaks“Klappe 3: Vorbild „Twin Peaks“Klappe 3: Vorbild „Twin Peaks“

OOOO----Ton 35Ton 35Ton 35Ton 35 Ausschnitt Twin Peaks

„Gerade haben Sie über Laura Palmer gesprochen“.

„Ja?“

„Eines Tages wird Ihnen dieses Scheit etwas über Laura Palmer erzählen. Mein Scheit hat in dieser Nacht

nämlich etwas gesehen“.

„Tatsächlich“.

„Was hat es denn gesehen?“

„Fragen Sie es doch“.

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Twin Peaks. 2 Staffeln. 29 Episoden. Die Krimiserie erzählt von der Aufklärung des Mordes an Laura Palmer

offenbart Abgründe des Kleinstadtlebens in den USA. Produktionsjahre 1990 - 1991.


„Twin Peaks ist bestimmt die Mutter aller Serien zu nennen. Horizontal ist schön beschrieben, weil da zum

ersten mal der Episodencharakter zugunsten einer weitläufigen Erzählung aufgehoben wurde und weil aber auch

zum ersten Mal andere filmische und erzählerische Strukturen eingeführt worden sind in so ein Format, das es

vielleicht früher nur im Kino gab“.

Sprecherin 1Sprecherin 1Sprecherin 1Sprecherin 1

Die erste Serie, die in Künstler- und Intellektuellenkreisen Kultstatus bekam. Sie gilt als Prototyp für die

Neuerfindung des seriellen Erzählens im Fernsehen.

Es begann mit dem Fund von Laura Palmer, einer wunderschönen Wasserleiche im amerikanischen Nirgendwo

vor 22 Jahren. Sheriffs wie Zuschauer rätselten, wer Laura Palmer so schlimm zugerichtet hatte.

OOOO----ToToToTon 37 n 37 n 37 n 37 Schabacher

„Also Dallas wird 1991 eingestellt und Twin Peaks läuft 1990/1991 und da ist noch die Konkurrenz sichtbar

zwischen einem Primetimeformat wie Dallas und einem Format wie Twin Peaks, das genau deshalb auch nicht

verstanden wurde, Twin Peaks ist ja gefloppt, wird aber immer als großes Vorbild der heutigen Serien

verstanden“.


Twin Peaks startete am 8ten April 1990 auf ABC Network. Die deutschsprachige Erstausstrahlung fand am 10ten

September 1991 bei RTL statt.


„Als wir das damals zum ersten Mal gesehen haben, das war während des Studiums, da waren wir noch Kids.

Da ging es einfach um eine Story. Um eine völlig neue andersartige seltsame Geschichte und die Art und Weise

der Auflösung der Erzählstruktur, des linearen Helden, der Parallelstruktur// daskommt ja aus dem Roman, das

ist ja in dem Sinne nicht neu. Das ist eine der Strukturen, wo es in der Länge umkippen kann, im Roman sowohl

wie in der Serie, // das ist vielleicht auch woran Twin Peaks gescheitert ist, weil es dann so schwierig war den

multiplen Handlungssträngen so zu folgen.“


Twin Peaks ist Philosophie als Serie verpackt. Postmodernes Erzählen – ohne Anfang, ohne Ende, ohne

Zentrum, ohne Peripherie. Jeder Protagonist hatte zwei Seiten, eine gute und eine schlechte – und galt damit als

potentieller Mörder von Laura Palmer. Um das Format mit den vielen Parallelschauplätzen und -Handlungen

dem Publikum nahe zu bringen, wurde eigens eine Agentur beauftragt. Heike Melba-Fendel von Barbarella-

Entertainment war so etwas wie die wandelnde Twin-Peaks Litfasssäule.

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OOOO----Ton 39Ton 39Ton 39Ton 39 Melba-Fendel

„Wir haben selber Fanzines gebastelt// Es ging ja immer darum den Kult zu behaupten, es ging ja darum zu

sagen Deutschland ist im Twin Peaks Fieber. //. Wir haben dann son Beamer ins Auto gepackt und sind von

Programmkino zu Programmkino gefahren und haben dann da Videos der Folgen gezeigt und haben uns selbst

verkleidet als Protagonistinnen und irgendeiner hat es schon immer fotografiert und davon was erzählt. Wir

haben Todesanzeigen geschaltet für Laura Palmer. Also man würde es heute integriertes Marketing nennen“.


Heike Melba-Fendel bekam deshalb eine besondere Aufgabe: sie übernahm die Twin Peaks-Hotline, um

Zuschauern, die den Faden verloren hatten, Zusammenhänge zu erklären. Deshalb wurde während der Serie

ihre Telefonnummer eingeblendet.

OOOO----Ton 40 Ton 40 Ton 40 Ton 40 Melba-Fendel

„Wir kamen am nächsten Tag ins Büro: es war Wahnsinn, wer überhaupt da durch kam. Es wurde tatsächlich bei

der ersten Ausstrahlung unsere ganz normale Telefonnummer eingeblendet. Es wurde dann noch formalisiert,

es ging dann noch an ein eigenes Unternehmen, die das gemacht haben. Aber es führte dazu: Solange die Serie

ausgestrahlt wurde, dass eine stark sehbehinderte Frau immer bei uns anrief und sagte, sie fände das alles so

schön und ob wir ihr das noch mal erklären könnten. So dass wir ihr am Tag nach der Ausstrahlung, der fast

blinden Frau, die Folgen nacherzählt haben.“


Die Sache hatte doch noch einen zweiten Haken.


Die Einschaltquote fiel. Der Grund: Neid.

OOOO----Ton 41 MelbaTon 41 MelbaTon 41 MelbaTon 41 Melba----FendelFendelFendelFendel

“…dann wurde vom Konkurrenzsender , nämlich von Sat 1, der Mörder verraten“.


Twin Peaks – die Mutter der modernen Serie – war am Ende. Der amerikanische Regisseur David Lynch

produzierte zwar noch eine zweite Staffel, aber die wollte schon kaum noch jemand sehen. Seitdem ist Lynch

raus aus dem Seriengeschäft.


„Es fehlte einerseits so ein bisschen das kulturelle Klima, um solche sehr ungewöhnlichen Fernsehserien auch

wohlwollend aufnehmen zu können. Es ist immer so, dass was Neues es schwer hat sich durchzusetzen , auch

wenn es in gewisser Weise einen natürlichen Bruch mit alten Sehgewohnheiten markiert. Das war bei Twin

Peaks sicher der Fall. Andererseits ist Twin Peaks ohne Zweifel eine Fernsehserie, die natürlich Anschluss

gehalten hat an die Fernsehkonventionen und auch die Tradition der soap opera. Ich würde sagen, dass bei

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Twin Peaks der Übergang von der ersten zur zweiten Staffel darin bestand, dass man so ein bisschen, sagen wir

mal, die Kohärenz der Serie aus dem Blick verloren hat. Man wusste nicht ganz genau, wohin steuert die Serie

und ich erinnere mich an den Kommentar eines Rezensenten, der schrieb: Interessiert sich eigentlich noch

irgendjemand dafür, wer Laura Palmer ermordet hat? Und ich glaube, diese Frage würde man vor dem

Hintergrund der heutigen Serienlandschaft so nicht mehr stellen.“


All das hat ARTE aber nicht davon abgehalten, die Serie im Jahr 2011 nochmal auszustrahlen..


„Das ist eine der wenigen Serien, die // eigentlich gewinnen und //eigentlich noch surrealer werden“.


Klappe 4: Neue ErzählmusterKlappe 4: Neue ErzählmusterKlappe 4: Neue ErzählmusterKlappe 4: Neue Erzählmuster


David Lynch setzte also trotz allem mit Twin Peaks neue Maßstäbe?


Vielschichtige Figuren, surreale Landschaften, eindringliche Filmmusik, Detailfreude und eine Geschichte, die

unvorhersehbare Wendungen nimmt. Das machte Twin Peaks zum Vorbild für nachfolgende Produktionen.

OOOO----Ton 44 Ton 44 Ton 44 Ton 44 Sopranos

„Ich will nicht wissen, wann das passiert. Entscheidest du. (Schuss) ah, mein arsch. Er hat mir in den Arsch

geballert. Scheiße...“


Der Hype setzte in Amerika ein mit den Sopranos.// Als die Sopranos aufhörten, gab es schlimme Szenen, kein

Mensch wollte das. Die sind ja in Deutschland gar nicht so erfolgreich gelaufen, aber ich würde sagen, Ende der

90er setzte der Hype ein, dann kam 2001 24, 2004 kam Lost, das ist eine langsam sich aufbauende Gruppe von

Serien, die ähnlichen Kriterien unterliegen.


Von Twin Peaks lernen, heißt also zur ästhetischen und dramaturgischen Avantgarde zu gehören?


Genauso vielschichtig wie die Figuren neuer Serien sind die Schauplätze. Das hat Twin Peaks vorgemacht. Auch

erfolgreiche Serien wie „The Sopranos“ oder „Lost“ werden nicht mehr nur im Studio gedreht. Authentizität ist

die Prämisse. Deshalb entsteht die Mafiaserie "The Sopranos" in den Straßen von New Jersey oder die Mystery-

Serie "Lost" auf Hawaii. Die Drehbücher haben eine eindeutige Handschrift.

15


Also wie in der Literatur?!


Genauso wie in der Literatur ein Jonathan Franzen anders schreibt als ein T. C. Boyle, so legen auch

hochklassige Seriendrehbuchautoren Wert auf einen unverkennbaren Stil. Leser, die wie selbstverständlich den

neuen Franzen kaufen, schauen sich neuerdings auch Serien, der von ihnen geschätzten Drehbuchautoren an.

Der so genannte Creator ist eben nicht nur Texter, häufig produziert er die Serie , führt Regie und sucht auch

die Schauspieler aus. Literatur und Kino sind seine Vorbilder.


Broadcast-Literature. Mega-Movie – also Fernsehen, das gar kein Fernsehen mehr sein möchte.

OOOO----Ton 46 Ton 46 Ton 46 Ton 46 Sudmann

„Ehrlich gesagt, habe ich ein bisschen Probleme mit diesen Begriffen, weil sie nahe legen, dass Fernsehen nur

dann gut ist, wenn es wie ein Kinofilm daher kommt. Also da weiß ich, dass viele meiner

fernsehwissenschaftlichen Kollegen sich durchaus zu Recht aufregen, weil Fernsehen ist ja nicht nur dann

interessant, wenn es mit einem cineastischen Look operiert, zumal die Ästhetik von Fernsehserien wie z.B. Lost

oder 24 ja keineswegs eine Kinoästhetik ist, sondern in erster Linie wirklich eine Fernsehästhetik“.

OOOO----Ton 47Ton 47Ton 47Ton 47 Breaking Bad

„Wieviel ist das? 26 große Lappen. Ist das alles? Ihr Anteil ist 13. Das ist inakzeptabel. ///wow. Das haut rein

wie ein Maultier, dem man die Eier mit Klebeband umwickelt...“


Breaking Bad, Fünf Staffeln, 62 Episoden. Ein Chemielehrer produziert synthetische Drogen, nachdem er eine

Krebsdiagnose erhalten hat. Sechs Emmys. Produktionsjahre: 2007 bis heute.


„Breaking Bad – das gucken ja gerade alle und man will den Leuten, die das nicht sehen, entgegenrufen, sich

das anzuschauen, weil das so eine fantastische Serie ist und da ist es das Problem, weil man immer wartet. Es

gibt erst die dritte Staffel in Deutschland, dann kann man die vierte in England bestellen, und dann gibt es noch

eine 5. Staffel, ich weiß gar nicht, ob die schon produziert wird. Auf jeden Fall ist jetzt Pause und das ist

schlimm, weil man will einfach wie es weitergeht“.


„Bei Breaking Bad würde ich sagen, das Besondere der Serie liegt darin, eine Figur zu sehen, die unauffällig,

unscheinbar ist und plötzlich sich so durch eine Verkettung von Umständen, die nicht allein in der Entscheidung

der Figur begründet sind, sich radikalisiert.“

16


Als Breaking Bad am 20ten Januar 2008 das erste Mal in den USA ausgestrahlt wurde, hat niemand mit einer so

großen Fangemeinde gerechnet. Erzählt wird die Geschichte von Walter White: Chemielehrer und Prototyp eines

Wissenschaftlers: Er beherrscht zwar sein Fach, versteckt sich ansonsten aber lieber hinter den dicken Gläsern

seiner schwarzen Brille. Eines Tages erhält er eine erschütternde Diagnose: Krebs.


Das alleine reicht aber nicht, um eine Erfolgsserie zu werden.


Das hat sich Vince Gilligan, „Creator“ von Breaking Bad auch gedacht. Walter ist natürlich kein Langweiler. Mit

der Krebsdiagnose ändert er sein Leben und sein Aussehen. Er verlottert zusehends, braut in Unterhose die

Droge Chrytal Meth und verkauft sie – zusammen mit einem ehemaligen Schüler - an Meistbietende. Mit dem

Geld finanziert er seine Therapie und den Lebensunterhalt seiner Familie.

OOOO----Ton 50 Ton 50 Ton 50 Ton 50 Vince Gilligan

“As we all know that most people are neither good nor bad television has started to reflect that in recent years. It

is nice to be able to have characters and narrative be more complex and to do it in a hyper-serialized television

show, which requires an audience to watch very attentively from week to week.”

Übersetzung Übersetzung Übersetzung Übersetzung SprecherSprecherSprecherSprecher::::

Wie wir alle wissen, sind Menschen nicht einfach nur gut oder nur böse. Und genau das hat das Fernsehen in

den letzten Jahren widergespiegelt. Es ist schön, dass man echte Typen erschaffen und vielschichtig erzählen

kann. Und das ganze in eine abgedrehte Fernsehserie verpackt, die von den Leuten verlangt, sie jede Woche

ganz aufmerksam zu gucken.


Weise Worte von Vince Gilligan, der in einem Skype-Interview auf der Tagung „Besser als Kino“ im Dezember

2011 über den Erfolg von Breaking Bad Auskunft gibt. Das Filmbüro Nordrhein-Westfalen diskutierte in Köln mit

deutschen Filmemachern über die Chancen auf dem internationalen Markt.


Tipps vom Meisterdenker aus L. A., ...


Der aber leider auch keine Geheimformel in petto hat.

Die Serie bescherte dem amerikanischen Sender AMC von Staffel zu Staffel zwar steigende Zuschauerzahlen.

Aber Vince Gilligan musste auch lange kämpfen, um die Geschichte an den Kunden zu bringen.

OOOO----Ton 51 Ton 51 Ton 51 Ton 51 Gilligan

“I came up with the idea for ‘Breaking Bad’ in an unusual way. I was talking to a writer friend of mine about what

we were gonna do now that the “X-Files” was over. ‘Gee, we had this great job. We’re out of money. What’ll we

17

do next?’ My buddy said ‘Why don’t we buy a camper and put a meth lab in the back and drive around cook

crystal meth and make money?’ I laughed and said ‘That’s a great idea for a TV show.’”

Übersetzung Übersetzung Übersetzung Übersetzung SprecherSprecherSprecherSprecher::::

Ich bin auf schräge Weise auf die Geschichte zu Breaking Bad gekommen. Ich sprach mit einem

Drehbuchkollegen darüber, was wir machen sollten, nachdem „Akte X“ zu Ende war. Wir hatten diesen tollen

Job. Und jetzt hatten wir kein Geld mehr. Was sollten wir als nächstes tun? Mein Kumpel sagte“ Warum kaufen

wir uns nicht einen Camper, packen ein Drogenlabor in den hinteren Teil, fahren herum, kochen Chrystal Meth

und machen dicke Kohle? Ich habe gelacht und gesagt: „Das ist eine Riesenidee für eine Fernsehserie.“

OOOO----Ton 52Ton 52Ton 52Ton 52 Ausschnitt Breaking Bad

„…ein genialer Plan kumpel. Du hast bloß eins missverstanden. Das ist kein Meth (Explosion)...“


Serien wie Breaking Bad spiegeln unsere globalisierte Welt wider mit dem ständigen Spagat zwischen analogen

und digitalen Anforderungen. Serien bilden die Probleme in einem sich stetig veränderndem Arbeitsumfeld ab.


Die Serie als Psychotraining für die neoliberale Arbeitswelt?


„Serien thematisieren Stresssituationen, zeigen permanent wie Figuren fortlaufend strapaziert werden// Und

ansonsten hat natürlich eine Figur wie etwa Walter White, dass er sein Privatleben, also sein familiäres Leben

und sein Leben als Lehrer jetzt mit seiner kriminellen Karriere irgendwie in Einklang bringen muss und das

funktioniert natürlich nur sehr bedingt. Und das erinnert uns schon daran wie auch wir in unserem Alltag viele

auch widersprüchliche Anforderungen an uns zu managen. Das wir Freizeit und Beruf irgendwie übereinbringen,

das wir ja versuchen öffentliches und Privates auseinanderzuhalten und gleichzeitig zu verbinden und irgendwie

merkt man, dass man permanent auch in Situationen rein gerät wo unvermeidlich die Dinge auch kollidieren

können und in sehr extremer Weise beobachten wir das auch in Fernsehserien.“

SprechSprechSprechSprecherin 2erin 2erin 2erin 2::::

Selbst Serienkiller können zu Sympathieträgern werden?

OOOO----Ton 53a Ton 53a Ton 53a Ton 53a Jahn Sudmann (weiter)

„…wie z.B in der Serie Dexter, die sich gar nicht so sehr unterscheidet von unserem Leben. Dass diese Person

uns auch dadurch sympathisch ist, weil gewissermaßen immer eine Überforderung stattfindet// Einerseits

Menschen umzubringen, von denen die Figur glaubt, dass sie es verdient haben, dem nachzugehen, und

gleichzeitig auch noch ein guter Familienvater zu sein und gleichzeitig auch noch gute Polizeiarbeit zu leisten.“

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OOOO----Ton 54 aTon 54 aTon 54 aTon 54 a Ausschnitt aus In treatment

„…jeder braucht an irgendeinem Punkt seines Lebens Hilfe. Ich soll Ihnen mitteilen. Alle halten mich für dick.

Sie haben mir nicht zugehört. Sie wissen, dass Therapie, das einzige ist, was ich Ihnen bieten kann...“


In Treatment:

3 Staffeln, 106 Episoden. Ein Psychotherapeut empfängt in seiner Praxis Patienten und redet, redet, redet. 2

Emmys, 1 Golden Globe. Produktionsjahre: 2007 bis 2010.


Neben brutalen und ‚lauten’ Thrillern haben auch leisere Geschichten eine Chance. Zum Beispiel “In

Treatment“. Ursprünglich hieß die Serie „Be Tipul“ und spielte in der jüdischen Mittelschicht. Der

amerikanische Bezahlsender HBO erwarb die Verwertungsrechte und gab eine Adaption in Auftrag. „In

Treatment“ gleicht einem Kammerspiel. Der Schauplatz ist die Praxis von Dr. Paul Weston, einem

Psychotherapeuten.

OOOO----Ton 54 Ton 54 Ton 54 Ton 54 Stephan Kolditz

„Dieses Modell zwei Schauspieler in einem Raum, die über menschliche Abgründe reden, über Sehnsüchte und

Versagen. Das ist hervorragend geschrieben, das ist für mich eine der wenigen Fernseherfahrungen gewesen,

dass ich nicht davor saß, sondern drin gesessen habe, und gedacht habe, das bist du auch. Das ist ein Modell,

das in Deutschland funktionieren müsste, weil es kein Argument finanzieller Art geben dürfte oder der

Zusammensetzung des Publikums oder wie auch immer“


Stephan Kolditz, Drehbuchautor verschiedener historischer Serien wünscht sich mehr Mut, solche Formate fürs

deutsche Fernsehen zu produzieren.


Das deutsche Fernsehen übersetzt solche Serien ins Deutsche, aber das war´s dann auch schon.


Die Amerikaner beobachten den Fernseh-Markt in Europa. Sie picken sich gerne die Rosinen heraus und passen

sie ihren Marktbedürfnissen an. Sie klauen die Geschichte und schreiben sie um – für die amerikanischen

Zuschauer.


Ganz die alten Kulturimperialisten.

19


Die Dänen haben mehr Mut als die Deutschen. Sie sehen die Qualitäten der amerikanischen Vorbilder, erfinden

aber ihre eigenen Helden und lassen sie andere Geschichten erleben. Das ist auch Thomas Disch,

Programmplaner der Cologne Conference aufgefallen.

OOOO----Ton 55 Ton 55 Ton 55 Ton 55 Thomas Disch

„Dänisches Fernsehen ist ja sowieso gerade der Schwedenkrimi des Fernsehen geworden. Dänisches Fernsehen

ist ein Gütesiegel. Kommissarin Lund ist sehr erfolgreich gewesen. In England hat es einen regelrechten Hype

erlebt. Also dänisches Fernsehen steht da für Qualität. Nachdem Kommissarin Lund dort eingeschlagen ist wie

eine Bombe, haben die ganzen englischen Sender um sich geschaut, was zu holen ist auf dem dänischen

Markt.“

OOOO----Ton 56 Ton 56 Ton 56 Ton 56 Ausschnitt Kommissarin Lund

„Geh noch mal alles durch. Wir sind das schon zweimal durchgegangen. Hier Lund ich höre. Die Hunde haben

eine neue Spur entdeckt. Etwas zwei Kilometer südwestlich...“


„Kommissarin Lund – oder das Verbrechen“. Deutsch – Dänische Koproduktion. 2 Staffeln, 20 Episoden. Sarah

Lund ist eine dänische Ermittlerin, die an ihrem letzten Arbeitstag einen Mord an einem Mädchen aufklären will.

Nominiert für den Emmy als beste Dramaserie. Produktionsjahre 2007 und 2009


Kommissarin Sarah Lund ist kein Mafiaboss, kein durchgeknallter Chemielehrer, aber sie hat trotzdem alles, was

eine gute Serienheldin braucht:


Ecken und Kanten? Ein Leben, das aus dem Ruder läuft?


Sarah Lund ist im schönsten Wortsinne „normal“. Sie lebt getrennt, hat einen Sohn und hadert mit ihrer neuen

Liebe. Sie ist intelligent, manisch-perfektionistisch und immer unzufrieden. In der ersten Staffel schafft sie es

vor lauter Arbeit noch nicht einmal sich umzuziehen. Sie trägt zehn Folgen lang einen zu kleinen Strickpullover.


Klingt nach einem dicken Fisch, den sich das ZDF da an Land gezogen hat.


Der deutsche ZDF-Produzent Peter Nadermann ist über den Erfolg auf jeden Fall froh.

OOOO----TonTonTonTon 57 Nadermann

„Man muss natürlich auch sehen, dass hier wirklich die Qualität der Geschichte, wie es gefilmt ist, eine Rolle

20

spielt. Und das, obwohl es für unsere Zuschauer erstmal schwieriger ist, denn es sind Schauspieler, die man

nicht kennt. Es sind Plätze, die man nicht kennt. Es sind Gesellschaften, in die man sich einfühlen muss. Darin

liegt aber auch der Reiz.“

OOOO----TonTonTonTon 58 58 58 58 Disch

„Ich glaube, dass die Dänen sich mehr Zeit für Charakterentwicklungen lassen, man sieht bei Lund //, dass es

alles sehr langsam aber nicht langweilig erzählt ist, aber näher an der Person dran. Das ist irgendwie

kennzeichnend, dass es in deutsch Kommissarin Lund hieß, also nah an der Person dran, und nicht the Killing

wie es im englischen hieß , oder das Verbrechen auf dänisch“.


Typisch deutsch. Wir brauchen eben unseren Kommissar Rex, unseren Derrick und unseren Bergdoktor! Dabei

gab es doch mit „Heimat“ von Edgar Reitz schon einmal eine deutsche Serie, die durchaus mit den heutigen

neuen Formaten mithalten konnte, sie sogar vorweg nahm. 1984 war die erste Staffel der Hunsrück-Geschichte

nicht nur ein Kritiker-, sondern auch ein Quotenerfolg - mit neun Millionen Zuschauern im Durchschnitt.


Das Projekt „Heimat“ wurde 1993 und 2004 fortgesetzt – künstlerisch anspruchsvoll, aber es war kein Erfolg

mehr beim Publikum. Sucht der deutsche Zuschauer lieber weiter nach einer einzelnen Identifikationsfigur zur

Orientierung? Die amerikanischen Serienmacher brauchen gleich eine ganze eigene Welt. Sie haben zum

Beispiel auch die Qualität der dänischen Serien erkannt. Doch im Unterschied zu Europa trauen die US-

Produzenten ihren Zuschauern nicht zu, sich in fremde Welten einzufinden. „Kommissarin Lund“ wurde

adaptiert. Neue Schauspieler, neues Setting, gleicher Fall: Die Geschichte spielt allerdings nicht in Kopenhagen

– sondern in Seattle.


Klappe 5: Deutsche SerienKlappe 5: Deutsche SerienKlappe 5: Deutsche SerienKlappe 5: Deutsche Serien

OOOO----Ton 59Ton 59Ton 59Ton 59 Ausschnitt Im Angesicht des Verbrechens.

„Großmutter hat gesagt: Unter Wasser siehst du den Mann den du liebst./ Du bist Polizist geworden und ich

hab einen Russen geheiratet – schlimmer hätte es die Familie nicht treffen können.//. Mischa wir wissen wer

das war. // Die Zeit der Unschuld ist jetzt vorbei.“


Im Angesicht des Verbrechens. 1 Staffel. 10 Folgen.

Zwei junge Polizisten kämpfen gegen Korruption in den eigenen Reihen und gegen das organisierte Verbrechen

in Berlin. Deutscher Fernsehpreis, Grimme Preis, Bayrischer Fernsehpreis. Erscheinungsjahr 2010.


„Im Angesicht des Verbrechens war eine super Serie und man weiß, dass in Deutschland gute Serien selten auf

21

den Markt kommen. Es war eine tolle Geschichte: Russenmafia in Berlin. Das war auch vom ästhetischen

Anspruch und den Charakteren her – da hat einfach alles gestimmt und man würde sich freuen, wenn Sender

mehr Mut hätten so etwas auf den Markt zu bringen.“


„Im Angesicht des Verbrechens“ des deutschen Regisseurs Dominik Graf läuft 2011 zunächst auf ARTE und

dann in der ARD. Russische Bösewichte, korrupte Polizisten, schöne Frauen.

Sprecherin 1Sprecherin 1Sprecherin 1Sprecherin 1:

Das Feuilleton feiert vor der Ausstrahlung „Im Angesichte des Verbrechens“ in seitenlangen Artikeln und doch

schalteten zu wenig Zuschauer am Freitagabend ein. Peter Nadermann, der deutsche Produzent von

„Kommissarin Lund“, bedauert, dass eine solche Qualitätsserie an der Quote scheiterte.

OOOO----Ton 61 Ton 61 Ton 61 Ton 61 Nadermann

„…da ist meinem Freund ein tolles Programm gelungen, das in der Fachpresse anerkannt worden ist, aber in der

Ausstrahlung nicht den richtigen Platz gefunden hat. Es ist sehr wichtig, dass der Zuschauer weiß, wo er was

finden kann. Und wenn er das nicht findet, dann sucht er sich das woanders und holt sich eine DVD und guckt

sich das selber an.“

OOOO----Ton 62 Ton 62 Ton 62 Ton 62 Disch

„Wenn man über das Thema Serien in Deutschland spricht, wird immer wieder im Angesicht des Verbrechens

angesprochen, was tolles Programm war, aber verwurstet wurde. Es wurde vorher schon auf Arte ausgestrahlt,

dann auf ARD als Premiere verkauft und viele, die es interessiert hat, hatten es vorher schon gesehen.“


Mit anderen Worten: Die ARD hat es versemmelt...


Das sagen zumindest Medienkritiker. Experimente, die Sehgewohnheiten hinterfragen, sind im öffentlich-

rechtlichen Fernsehen inzwischen Mangelware. Dafür gibt es jede Menge Serien-Einheitsbrei wie Verbotene

Liebe, Rote Rosen und Um Himmels Willen.

Splitscreens, also geteilte Bildschirme, auf denen parallel Handlungen erzählt werden, schnelle Schnitte,

mehrere Hauptcharaktere – das alles wollen viele Zuschauer von ARD und ZDF nicht sehen, befürchten

inzwischen auch Drehbuchautoren wie Stephan Rick.

OOOO----Ton 63 Ton 63 Ton 63 Ton 63 Stephan Rick

„Ein anderer Aspekt ist, dass das deutsche Fernsehen sehr zielgruppenaffin ist, dass heißt es gibt Sendeplätze,

auf denen eine bestimmte Zielgruppe erwartet wird. Und es gibt keine Bereitschaft zu sagen, wir verändern den

Sendeplatz zugunsten einer anderen Zielgruppe. Das scheint die größte Angst der Redakteure, so eine

Veränderung zu machen, weil das mit Fluktuation zu tun hätte, weil älteres Publikum abschalten würde und

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vielleicht jüngere Zuschauer nicht dazukommen. Das ist ein Risiko, aber wenn es nicht im öffentlich-rechtlichen

stattfindet wo dann?„


Im Privatfernsehen?


Nur bedingt. Der kommerzielle Druck ist hoch. Hier entscheidet erst recht die Quote, nicht die Qualität, ob eine

Serie eine Chance bekommt. Ein Thema, das immer Erfolg verspricht, ist die deutsche bzw. die deutsch-

deutsche Vergangenheit. Wie das Beispiel „Weissensee“, die Geschichte einer Familie in der DDR, zeigt.

OOOO----Ton 64 Ton 64 Ton 64 Ton 64 Clemens

„…ich habe auch das Gefühl, dass es zu wenig Durchhaltevermögen gibt. Ich weiß von Serien, die nach der

ersten nicht gut gelaufenen Folge schon in den Giftschrank gestellt wurden.“


Klappe 6: Die LindenstraßeKlappe 6: Die LindenstraßeKlappe 6: Die LindenstraßeKlappe 6: Die Lindenstraße

OOOO----Ton 66 aTon 66 aTon 66 aTon 66 a Ausschnitt: Lindenstraße mit Moritz

„Ich habe mit Susanne gesprochen“.

„Mh, und was sagt sie zu den einzigartigen Memoiren des Klaus B. aus M.“?

„Es hat sie sehr interessiert. Du hattest Recht“.

„Siehst du“.

„Sie fragt jetzt mal bei ihrem Verlag. Die machen ja so Titel und ich muss zugeben. Es tut mir gut“.//

„Und die Bezahlung?“

„Eins nach dem anderen.“


Lindenstraße: Start 1985. 1370 Episoden, Die Serie läuft seit 27 Jahren und beschreibt die Auf und Abs der

Bewohner der Lindenstraße in München. Eine Goldene Kamera, ein Bambi und ein Grimme Preis.

Produktionsjahre1985 bis heute.

OOOO----Ton 66 b Ton 66 b Ton 66 b Ton 66 b Moritz Zielke

„Mo geht es gerade ganz gut. Er hat ja Psychologie studiert. Ist jetzt ein Coach, coacht jetzt gerade Menschen,

was ja auch ganz lustig ist. // Momo ist solo gerade aktuell. War ja mal in Angelina verknallt, seine

Mitbewohnerin, obwohl die ja mal so ein bisschen aneinandergerasselt waren. Angeblich versuchte

Vergewaltigung. Die fand ich ja auch so ein bisschen unausgegoren die Geschichte. Aber okay, muss man

irgendwie spielen.“

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Insiderwissen von Moritz Zielke, der seit mehr als zwanzig Jahren in der Lindenstraße mitspielt. Die

Zuschauerzahlen der Lindenstraße sind in den letzten Jahren enorm gesunken, aber immer noch hoch. Sie

haben sich von ehemals neun auf ungefähr dreieinhalb Millionen Zuschauern eingependelt. Die Macher

bemühen sich modernen Sehgewohnheiten gerecht zu werden: die Folgen sind schneller geschnitten, die

technische Auflösung entspricht neuesten Standards.


Trotzdem scheint die Lindenstraße von den neuen amerikanischen Serien so weit entfernt wie der Nord- vom

Südpol.

OOOO----Ton 68 Ton 68 Ton 68 Ton 68 Zielke

„Klar. Lindenstraße ist jetzt keine wahnsinnig stylische oder hippe Serie.“

OOOO----Ton 69 Ton 69 Ton 69 Ton 69 Jahn

„Ich glaube die Serie gibt es deswegen so lange, weil es sie schon so lange gibt. Also sie ist zu einer kulturellen

Institution geworden. Wir sind ja in einer Welt sich permanent verändernder Angebote auch immer dankbar für

bestimmte Konstanten und das gilt sicher ebenso für den Tatort wie für die Lindenstraße.“


Klappe 7: Making ofKlappe 7: Making ofKlappe 7: Making ofKlappe 7: Making of

OOOO----Ton 70 Ton 70 Ton 70 Ton 70 Ausschnitt The Wire


„Ich habe gerade The Wire angeguckt. Eine Serie über Polizisten in Baltimore. Eine kluge Serie, in der nicht nur

der Kampf Gut gegen Böse da ist, das wird aus allen Perspektiven beleuchtet. Mal sind es die Medien, mal die

Polizisten, mal die Dealer.“


The Wire – eine typische Serie des amerikanischen Bezahlsenders HBO.


Home Box Office – das ehrgeizige Ziel, aus Fernsehen Kino zu machen, steckt schon im Namen. HBO ist der

älteste Bezahlsender in den USA. 1972 ging er mit dem Slogan „It’s not Television, it’s HBO“ an den Start.

OOOO----TonTonTonTon 72 72 72 72 Schabacher:

„HBO hatte immer den Vorteil, dass durch ihren Charakter als Pay TV-Sender sie nicht so abhängig waren und

die Leute auf den ersten Schlag gesagt haben: Hey, super.“

24


Klingt nach einem großen Geschäft. Haben die Deutschen das auch verschlafen?


Seit Juni 2009 gibt es in Deutschland den Bezahlsender „TNT-Serie“. Ein Ableger der amerikanischen Turner

Broadcast Company. Rund um die Uhr laufen Frauenkultserien wie die „Gilmore Girls“, 90er Jahre

Entdeckungen wie „Ausgerechnet Alaska“ und die neuen Qualitätsserien: „Boardwalk Empire“ oder auch

„Luck“.


Ist das nicht „Rivalen der Rennbahn“ auf Amerikanisch?


Mit Staraufgebot im Sattel. In den Hauptrollen Nick Nolte und Dustin Hoffman. Leider jetzt abgehalftert, weil zu

viele Pferde bei den Dreharbeiten verletzt wurden. Trotzdem: TNT-Serie baut auch bei anderen Produkten

darauf, dass Qualität ausreicht, um Zuschauer anzulocken.


Liebt Geschäftsführer Hannes Heyelmann das Risiko?

OOOO----Ton 74Ton 74Ton 74Ton 74

„Ja, das können wir uns leisten. Das wollen wir uns auch leisten.“


Feuilletonredakteure verfolgen inzwischen genau, welche neuen Formate bei TNT-Serie laufen.


Das dürfte Programmchefin Anke Greifeneder freuen.

OOOO----Ton 75Ton 75Ton 75Ton 75 Anke Greifeneder

„Ich glaube, dass da einfach, dass da eine Qualität oder man sagt ja häufig das goldene Zeitalter der

Fernsehserie gerade besteht. An der kommt man nicht vorbei. // Aber es ist selten soviel Produktionsbudget,

aber auch Know How und auch Talent in Serien gesteckt worden und auch Themen gewählt worden, die so

komplex und vielschichtig sind und deshalb auch im Feuilleton so gut aufgegriffen werden.“


Die Zuschauerzahlen wachsen in Deutschland. Immer mehr Serienfans sind bereit, Geld in ihre Leidenschaft zu

stecken.

25


Klappe 8: Television meets MovieKlappe 8: Television meets MovieKlappe 8: Television meets MovieKlappe 8: Television meets Movie


Die anfänglichen Berührungsängste zwischen Kino und Fernsehen sind längst aufgelöst. Zahlreiche

Hollywoodstars haben ihre Karriere im Fernsehen begonnen – Jennifer Aniston bei Friends, George Clooney in

der Arztserie Emergency Room und Johnny Depp stand für „21st Jump Street“ vor der Kamera.


War früher der Wunsch möglichst schnell aus dem Fernsehen auf die große Leinwand zu verschwinden, ist es

heute kein Problem mehr beides zu machen. Immer mehr Hollywoodstars lassen sich nicht lange bitten, wenn

es um die Hauptrolle in einer der neuen Qualitätsserien geht.


„Es gab ja auch bei den Emmys letztes Jahr immer wieder so einen kleinen Seitenhieb an die ganzen Hollywood

Schauspieler von den Seriendarstellern, sie sollten doch bitte mal wieder zu ihren eigenen Filmen zurückgehen.

Und ihnen nicht die Arbeit wegschnappen.“


Aber nicht nur schauspielernde Hollywoodgrößen treten immer öfter vor die Fernsehkamera, auch Hollywood

Regisseure steigen ins Fernseh-Seriengeschäft ein.

OOOO----TonTonTonTon 84 Greifeneder

Wenn man bedenkt Martin Scorsese, Meister des Kinos, der plötzlich Boardwark Empire jetzt produziert.


O-Ton Boardwalk Empire.


Klappe 9: ZukunftKlappe 9: ZukunftKlappe 9: ZukunftKlappe 9: Zukunft


Wie geht es weiter? Rettet die Serie das Fernsehen und sorgt dafür, dass mehr Zuschauer einschalten?


Ob Fernsehen oder DVD – die Serie wird auch in Zukunft eine Rolle spielen. Nach amerikanischem Vorbild

produziert derzeit der deutsche Bezahlsender TNT Serie eine eigene Geschichte: „Add a friend“.

OOOO----Ton 87Ton 87Ton 87Ton 87 Sad Men TOST (griechisch)

26


Sad Men, griechische Parodie auf die amerikanische Werberserie Mad Men, seit Anfang 2012 im Netz, bislang

nur auf griechisch


Eine Art Serienfrühling erreicht jetzt auch das Netz.Längst wollen die Konsumenten nicht mehr nur passiv

zuschauen, sondern selber aktiv werden und ihre Realtiät in die Serienwelt übertragen. Sad Men ist nur bei

Youtube zu sehen und erzählt von der Krise auf dem Werbemarkt in Griechenland. Schneller und billiger als in

einer Webserie ist das nicht zu realisieren.

OOOO----Ton 88Ton 88Ton 88Ton 88 Jahn-Sudmann

„Also ich würde vermuten, dass die Webserien noch an Bedeutung gewinnen. Zumal es ja auch ein Verfahren

ist, Youtube und solche Plattformen zu nutzen, dass man mit geringfügigen Kosten, dass Schauspieler die

bislang noch kein Fuß in der Tür der professionellen Industrie haben natürlich auf sich aufmerksam machen

können. Zugleich ist das Format ja auch den Aufmerksamkeits-Internetintervallen auch stärker angepasst, die

dauern ja auch 5 - 10 Minuten, manche auch länger.“


Welchen Kanal sich die Serie auch sucht – echte Fans finden ihre Lieblingsfolgen überall. Gut erzählte

Geschichten entwickeln eben einen Suchtfaktor.


„…und dann ist das wie bei allen Sachen, die süchtig machen, wenn es zu Ende ist, dann braucht man ein neues

Projekt.“

Sprecher (AbsageSprecher (AbsageSprecher (AbsageSprecher (Absage))))::::

Das war:

Fortsetzung folgt

Die Fernsehserie zwischen Trash und Kunstform

Von Susanne Luerweg und Sabine Oelze

Es sprachen: Nicole Engeln, Juan Carlos Lopez & Camilla Renschke

Ton und Technik: Christoph Rieseberg & Anne Barthel

Regie: Robert Steudtner

Redaktion: Klaus Pilger

Produktion: Deutschlandfunk 2012

ENDE

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Freistil 05-20 Fernsehserie (Oelze Luerweg) · 2 OOO-O---Ton 1Ton 1Ton 1 Ausschnitt the Wire „Wie hieß dein Kumpel?“ „Rotz“ „Rotz – stand er auf den Namen?“ „Ja,