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Freitag, 20. Januar 2012 ZEITGESCHEHEN Freie Presse 3 · PDF filegehörten zum Waffenarsenal, das die Polizei im Januar 1980 beschlag-nahmte. Hoffmanns Truppe war das, was in der Bundesrepublik

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Page 1: Freitag, 20. Januar 2012 ZEITGESCHEHEN Freie Presse 3 · PDF filegehörten zum Waffenarsenal, das die Polizei im Januar 1980 beschlag-nahmte. Hoffmanns Truppe war das, was in der Bundesrepublik

Karl-Heinz Hoffmann fachsimpeltgern über Waffen. Derzeit gilt seinAugenmerk dem Arsenal der Terror-zelle. Besonders jene Ceska 83 hat esihm angetan, mit der die neun aus-ländischen Kleinunternehmer er-schossen wurden. „Aus der tschechi-schen Wumme kann nie mehr einVergleichsschuss abgegeben wer-den. Wer die Bilder von dem abge-brannten Haus in Zwickau gesehenhat, kann sich vorstellen, welcheHitzegrade sich bei dem Brand ent-wickelt haben müssen“, urteilt Hoff-mann auf seiner Webseite. Schonbei 800 Grad sei eine Waffe so ver-formt, dass mit ihr nie mehr ge-schossen werden könne. „Mit dieserPistole lässt sich nichts mehr bewei-sen.“ Zwar ist er gelernter Grafiker,aber mit Waffen kennt er sich aus.

Immerhin stattete er einst eineArmee damit aus – seine Armee. Je-ne zeitweise an die 500 Stahlhelm-Köpfe starke WehrsportgruppeHoffmann (WSG), die der Bundesin-nenminister 1980 verbot. Über Jahrewaren Hoffmanns Jünger im Um-feld seines Hauptquartiers SchlossErmreuth bei Erlangen durch frän-kische Wälder gerobbt – in Kampf-montur und mit zugelöteten Waf-fen. Bei Spaziergängern hatten siefür Augenreiben gesorgt, beim Staatzunächst nur für Kopfschütteln –trotz klarer Bekenntnisse.

Die Militärfahrzeuge, die die Pri-vatarmee nutzte, wurden mituntervom SS-Totenkopf geziert. Und wasHoffmann von Demokratie hielt,hatte er schon 1977 in einem Inter-view preisgegeben: „Impotent“ seidie. „Eine Diktatur“ dagegen könne„für ein Volk alles tun“, wenn sie„den richtigen Mann an der Spitze“habe. Drei Jahre später merkte auchder Innenminister, dass die WSG da-rauf abzielte, „die Macht im Staat zuübernehmen“, und das „nicht mitdemokratischen Mitteln“, sondernunter Bezugnahme auf „militäri-schen Kampf“ und „auch auf Hitler“.So hieß es in der Verbotsverfügung.

„Wo ist mein Heer?Verdammt, wo istes? Ich wusste garnicht, dass ichüberhaupt ein Heerhabe?“Karl-Heinz Hoffmann Ex-Wehrsport-Chef

18 Lkw-Ladungen an Pistolen, Kara-binern, Granaten, auch eine Flugab-wehrkanone (Flak) und ein Panzergehörten zum Waffenarsenal, dasdie Polizei im Januar 1980 beschlag-nahmte. Hoffmanns Truppe wardas, was in der Bundesrepublik einer„Braunen Armee Fraktion“ bisheram nächsten kam. Selbst Pläne zurBefreiung des damals noch in Berlininhaftierten Hitler-StellvertretersRudolf Heß fand man auf SchlossErmreuth.

Monate nach dem Verbot zünde-te einer der Ex-Wehrsportler aufdem Oktoberfest jene mit 1,39 Kilo-gramm TNT gefüllte, nagelgespick-te Bombe, die den blutigsten terro-ristischen Anschlag in der Republikmarkierte. Ihre Wirkung übertrafnicht nur die der Nagelbombe, die

24 Jahre später die Zwickauer Terro-risten in einem Kölner Migranten-viertel gelegt haben sollen. Sie über-steigt nach wie vor deren gesamtebisher bekannte Blutbilanz. 13 Tote,68 schwer und 143 anderweitig Ver-letzte gingen aufs Konto des Okto-berfest-Attentäters Gundolf Köhler.Obwohl man im Schloss Ermreutheine Anleitung zum Bombenbau ge-funden hatte, war eine Verstrickungdes „Chefs“, wie Hoffmann bei Ka-meraden hieß, nicht nachweisbar.

Ebenso scheiterte der Staatsan-walt vor Gericht, als es um denNachweis einer Mord-BeteiligungHoffmanns ging. Am 19. Dezember1980 erschoss der Hoffmann-Ver-traute Uwe Behrendt den jüdischenVerleger Shlomo Lewin und dessenLebensgefährtin in deren Haus in Er-langen. Lewin hatte sich in einer Zei-tung kritisch über Hoffmann geäu-ßert. Den Artikel fand man imSchloss. Am Tatort tauchte eine Bril-le auf, die Hoffmanns Lebensgefähr-tin gehört hatte. Die Tatwaffe bliebverschwunden, doch machte mananhand der Geschosse eine Beretta-Maschinenpistole aus, deren Laufeinmal verlötet gewesen sein muss-te. Der „Chef“ hatte eine solche Waf-fe im Haus gehabt. Er räumte sogarein, mit Behrendt jenen Schall-dämpfer für sie gebaut zu haben, derauf den Tatgeschossen Spuren hin-terlassen hatte. Als Beweis für eineTatbeteiligung reichte das abernicht. Behrendt habe freie Hand imSchloss gehabt, hieß es, und somit

auch den Zugang zur Waffe. Beh-rendt setzte sich in den Libanon ab,wohin Hoffmann den harten Kernseiner Wehrsportler verlegt hatte.Sie brachten bei der bundeseigenenVerwertungsgesellschaft Vebeg auf-gekauftes ausgedientes Bundes-wehrmaterial in den Nahen Ostenund absolvierten in PLO-Camps Mi-litärtraining.

Dass das nicht immer freiwilliggeschah, neben Drill regelrechte Fol-ter angewandt wurde, bescherteHoffmann später doch eine Haftstra-fe: neuneinhalb Jahre wegen Kör-perverletzung, Freiheitsberaubung,Waffengesetzverstoßes und Geldfäl-schung. Wozu die falschen Dollardienen sollten, die in verstecktenErddepots im Boden schlummerten,blieb unklar. Zur Zeit der Wendeentließ man Hoffmann vorzeitig ausder Haft. Er siedelte in die neuenLänder über, nach Kahla bei Jena. Dawar er aufgewachsen, als man dieNürnberger Familie im Krieg dort-hin evakuiert hatte. In Kahla und Je-na erstarkte kurz nach der Wende ei-ne Neonazi-Szene, deren Militanzsich allmählich steigerte.

Bis Uwe Mundlos, Beate Zschäpeund Uwe Böhnhardt begannen,Bomben zu bauen, vergingen abernoch Jahre. Im Januar 1998 fandenErmittler in einer von Zschäpe ge-mieteten Garage mehrere Rohrbom-ben und 1,392 Kilogramm TNT, fastaufs Gramm jene Menge, die auchder Oktoberfest-Attentäter in seinerBombe verbaut hatte. Der Fund sorg-

te fürs Abtauchen des Trios. Die Dreiflohen nach Chemnitz.

2004 zog auch Hoffmann gen Os-ten. Zwischen Chemnitz und Leip-zig erwarb er das Rittergut Sahlis.Mit 130.000 Euro an Fördermittelnsanierte er einen Teil des Denkmalsund begann, Wollschweine zu züch-ten. „Im Ort waren alle froh, dass je-mand das leere Gut wieder nutzte“,erzählt eine Nachbarin, die zu DDR-Zeiten dort gearbeitet hatte. Damalsbrachte man im Gut Lehrlinge ausder Landwirtschaft unter. Wer nunda einzog, habe im Ort keiner ge-wusst, sagt die Frau.

„Ja, es ist wahr, ichgehöre mit 74 Jah-ren zum alten Eisen... Aber noch bin ichnicht am Ende.“Karl-Heinz Hoffmann Ex-Wehrsport-Chef

Das Gutshaus ist umgeben von Stal-lungen und Gesindehäusern. GenugPlatz für eine kleine Armee samtFuhrpark und Artillerie. „Aber woist mein Heer? Verdammt, wo ist es?Ich wusste gar nicht, dass ich über-haupt ein Heer habe?“, frotzelt Hoff-mann auf seiner Webseite über ei-nen Artikel, der nach Auffliegen der

Zwickauer Zelle in der „Welt amSonntag“ erschien und über Hoff-manns Verbindungen zum Terror-Trio spekulierte.

Am meisten schien Hoffmannder Titel zu ärgern: „Der alte Mannund das Heer“ lautete der. „Ja, es istwahr, ich gehöre mit 74 Jahren zumalten Eisen ... Aber noch bin ichnicht am Ende“, konterte er im Inter-net. Der Politik hat der „Chef“ näm-lich keineswegs entsagt. „Es begannmit Plakat-Aktionen“, entsinnt sichdie Nachbarin. Dann halfen Kame-raden aus der Umgebung bei Hand-werksarbeiten im Gutshaus. AufEinladung des „Freien Netzes“, jenerInternetplattform, über die Rechts-extreme von Nordbayern bis Bran-denburg Aktionen koordinieren,hielt Hoffmann im September 2010in einem Gasthof bei Colditz einenVortrag. Vor rund 100 Zuhörern re-ferierte er über den Wert diszipli-nierter militärischer Organisation,wenn es gelte, eine „Gegenwelt“ auf-zubauen. So berichtete das „FreieNetz Borna/Geithain“ später. DessenAktivist Manuel Tripp hatte die An-reise der Vortragsgäste koordiniert.

Tripp sitzt für die NPD im Geit-hainer Stadtrat. Erst jüngst demen-tierte er Berichte, die untergetauchteBeate Zschäpe sei 2008 in Geithaingesehen und fotografiert worden.Die „Bild am Sonntag“ hatte ein un-kenntlich gemachtes Foto einerFrau im Tross rechter Demonstran-ten gedruckt. „Das ist sie“, wurde einunbenannter Ermittler zitiert. „Lü-

genpresse auf unterstem Niveau“,echauffiert sich Tripp im Netz. Beider Frau handele es sich um eineihm bekannte Aktivistin, nicht umZschäpe. Man wolle „bewusst eineVerbindung vom Terror-Trio nachGeithain und zu mir konstruieren“.

Zumindest mit alten Kameradendes Terror-Trios gibt es Berührungs-punkte. Zum Hoffmann-Vortragreiste nämlich auch André K. an. K.ist das einzige noch auf freiem Fußbefindliche Mitglied jener Kamerad-schaft Jena, der Uwe Mundlos, BeateZschäpe und Uwe Böhnhardt vor ih-rem Abtauchen angehörten. Zweiweitere Mitglieder der einst einge-schworenen Neonazi-Clique sind alsmutmaßliche Terrorhelfer in Haft:der in Niedersachsen festgenomme-ne Holger G. und der frühere JenaerNPD-Vorsitzende Ralf Wohlleben.G. hat gestanden, dem Trio eineWaffe überbracht zu haben, dieWohlleben besorgt habe. Woher derdie Waffe hatte, ist unklar.

Zurück ins Jahr 2010: Auf derRückfahrt von Hoffmanns Vortragunterhielten sich die Jenaer Kame-raden um André K. per Handy mitweiteren Szene-Mitgliedern. In denTelefonaten fielen die Begriffe „Bau-anleitung“ und „C4“, das Kürzel fürPlastiksprengstoff. Wegen eines ver-eitelten Anschlags auf eine Land-tagsabgeordnete hatte die „SokoFeuerball“ André K. seit Monaten imBlick, hörte die Telefonate ab. EineWelle von Razzien folgte. 16 Häuserdurchsuchte man, Wohllebens Jena-er Schulungszentrum, das soge-nannte „Braune Haus“, gehörte da-zu. Auch genannter Holger G. gerietins Visier der Ermittler. Karl-HeinzHoffmann bekam gleich zweimalBesuch, auf Ermreuth und in Koh-ren-Sahlis. Sprengstoff fand mannicht. Die Staatsanwaltschaft sandtedas nach wie vor offene Verfahreninzwischen an die Bundesanwalt-schaft, um Relevanz für deren Ter-ror-Ermittlungen zu prüfen, sagtOberstaatsanwalt Hans-Otto Nied-hammer von der Generalstaatsan-waltschaft Jena. Vor dem Hinter-grund erscheinen Hoffmanns Waf-fen-Fachsimpeleien in neuem Licht.Hat er neben physikalischem Wis-sen über Schmelzpunkte von Me-tall, sei es Löt-Zinn oder Stahl, auchKenntnisse über die Herkunft vonWaffen im Arsenal der Terror-Zelle?Für eine Stellungnahme dazu warHoffmann bisher nicht erreichbar.

Dass die aus dem Brandhaus ge-borgenen Waffen nichts beweisen,mit dem Urteil indes liegt er dane-ben. Mit der Ceska und der Polizis-tenmord-Waffe habe man Ver-gleichsschüsse abgegeben, teilt dieBundesanwaltschaft mit. Die Spu-ren auf den Geschosshülsen hättenbestätigt, dass es sich um die Tatwaf-fen handelt. Insgesamt stellte manbei der Zwickauer Zelle 20 Schuss-waffen sicher. 12 im Haus; acht, dar-unter eine Maschinenpistole, imWohnmobil in Eisenach, in demsich Mundlos und Böhnhardt vormZugriff der Polizei erschossen habensollen. Ohne die Dienstwaffen derbeiden Polizisten aus Heilbronnbleibt also die Herkunft von 18 Waf-fen zu klären. Die Ceska wurde lautBundesanwaltschaft in der Schweizgekauft. Eine weitere Spur führt,wenn nicht zu Hoffmann, so doch inden Boden fränkischer Wälder.

Auch die Akten im Fall eines2008 in Bayreuth bei einem Schuss-wechsel mit der Polizei getötetenMannes, der sich als Bombenbauerentpuppte, sind der Bundesanwalt-schaft übergeben, sagt der Bayreu-ther Oberstaatsanwalt Thomas Ja-novsky. Im Rucksack des Toten fandman verschlüsselte Pläne, an derenCodes sich Ermittler lange die Zäh-ne ausbissen. Schließlich führtendie Pläne zu 38 Waffenlagern inWäldern in Nordbayern, Sachsen,Thüringen, Brandenburg und Öster-reich. Die Polizei entdeckte Waffenund Eigenbau-Bomben, darunter ei-ne, die jener glich, die in der KölnerKeupstraße gezündet worden war.Versteckt war alles in Erddepots, wieeinst Hitlers letztes Aufgebot – jeneWerwolf-Kommandos zu Kriegsen-de – sie anlegte, und später deutscheNeonazis und Wehrsportler.

Der alte Mann ohne HeerDas Zwickauer Terror-Trioverfügte über ein Arsenalvon 20 Schusswaffen.Woher sie stammen, ist beiden meisten unklar.Eine Spur führt infränkische Wälder, woeinst HoffmannscheWehrsportler herumrobb-ten. Deren früherer „Chef“zeigt jetzt reges Interesse.

Tarnmuster und SS-Totenkopf: So präsentierte sich Hoffmanns Truppe einst den Medien (Hoffmann rechts mit Maschinenpistole). FOTO: ARCHIV

Ein Teil des Waffenarsenals der Zwickauer Zelle, in zweiter Reihe die beidenDienstwaffen der Polizisten aus Heilbronn. FOTO: WINFRIED ROTHERMEL/DAPD

Neben Schloss Ermreuth seit 2004 Hoffmanns neue Residenz: das RittergutSahlis, das er mit 130.000 Euro Fördermitteln sanierte. FOTO: JÖRN HAUFE

VON JENS EUMANN

Paramilitärische Vorbereitung ter-roristischer Aktivitäten durch Rechts-extremisten reicht bis zum Einmarschalliierter Truppen ins Reichsgebiet zu-rück. Bis 1947 operierten sogenannteWerwolf-Gruppen (auch Wehrwolf) alsUntergrundkämpfer. Anleitung erhiel-

ten sie in der im Januar 1945 erschie-nenen Taktikfibel „Werwolf - Winkefür Jagdeinheiten“. Der Bund Deut-scher Jugend (Verbot 1952) baute mitEx-SS- und Wehrmachts-Offizieren ei-ne paramilitärische Struktur auf. Der1991 gestorbene Neonazi Michael

Kühnen gründete 1979 die Wehr-sportgruppe „Werwolf“. Wehrsportumfasst Geländemärsche, Taktikschu-lung, Schieß- und Nahkampftraining.Auch mit Farbmarkierungen setzen-den Waffen wird gespielt (Gotcha).Wehrsport ist nicht grundsätzlich

rechtsextrem, wird aber von Neonazisgern veranstaltet, als Vorbereitungfür die Stunde „Null“, in der sie einneues nationalsozialistisches Systemerrichten wollen. Ein Nachdruck derTaktik-Fibel von 1945 ist nach wie vorerhältlich, in achter Auflage. (eu)

Vom „Wehrwolf“ zum Wehrsport – Neonazi-Gruppen eifern mitunter Hitlers letztem Aufgebot nach

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