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Fremd im eigenen Land Ihr Zimmer sieht heute besonderes unordentlich aus. Kleidung aller Groessen, Kinderschuhen, Perfume und Schockoladen sind ueberall verstreut. Fatima verpackt alles mit buntem Geschenkpapier. Morgen ist ein grosser Tag für die jemenitische Studentin, die in Deutschland studiert. Fatima fliegt nach Hause. Zwei Jahre sind vergangen seit dem letzten Besuch. Im Flughafen beobachtet die 24-jährige die Flugzeuge, und plötzlich laufen die letzten sechs Jahren ihres Leben vor ihren Augen. Sie denkt wieder an das 17-jährige Mädchen, Die letzten sechs Jahren haben aus Fatima eine starke und selbstbewusste Frau gemacht das zum ersten Mal in einem Flugzeug sass und die Familie und die Heimat verlässt. Zu ihrem Erstaunen kann Fatima heute kaum eine Vebindung zu diesem Mädchen setzen. Die letzten sechs Jahren haben aus Fatima eine starke und selbstbewusste Frau gemacht, die ihre Rechte bis zu letztem Atemzug verteidigt. Wenn sie sich an ihren ersten Tag in Deutschland erinnert, kommt ein Lächeln auf ihr Gesicht und ihre grössen schwarzen Augen glänzen.”Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich eine U-Bahn, eine Strassenbahn und Züge sah. Im Jemen haben wir nur Autos”. Westliche und östliche Kulturen unter einen Hut zu bringen, ist eine tägliche Herausforderung, vor der die jeminitische Fatima jeden Tag steht. Von Ibtisam Fawzy ”Ich wünsche mir einen Mann, der mich auf gleicher Augenhöhe sieht” Foto: Ibtisam Fawzy

Fremd in der Heimat

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Konflikt zwischen zwei Kulturen

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Page 1: Fremd in der Heimat

Fremd im eigenen Land

Ihr Zimmer sieht heute besonderes unordentlich aus. Kleidung aller Groessen, Kinderschuhen, Perfume und Schockoladen sind ueberall verstreut. Fatima verpackt alles mit buntem Geschenkpapier. Morgen ist ein grosser Tag für die jemenitische Studentin, die in Deutschland studiert. Fatima fliegt nach Hause. Zwei Jahre sind vergangen seit dem letzten Besuch.

Im Flughafen beobachtet die 24-jährige die Flugzeuge, und plötzlich laufen die letzten sechs Jahren ihres Leben vor ihren Augen. Sie denkt wieder an das 17-jährige Mädchen,

Die letzten sechs Jahren haben aus

Fatima eine starke und selbstbewusste Frau

gemacht

das zum ersten Mal in einem Flugzeug sass und die Familie und die Heimat verlässt. Zu ihrem Erstaunen kann Fatima heute kaum eine

Vebindung zu diesem Mädchen setzen. Die letzten sechs Jahren haben aus Fatima eine starke und selbstbewusste Frau gemacht, die ihre Rechte bis zu letztem Atemzug verteidigt.

Wenn sie sich an ihren ersten Tag in Deutschland erinnert, kommt

ein Lächeln auf ihr Gesicht und ihre grössen schwarzen Augen glänzen.”Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich eine U-Bahn, eine Strassenbahn und Züge sah. Im Jemen haben wir nur Autos”.

Westliche und östliche Kulturen unter einen Hut zu bringen, ist eine tägliche Herausforderung, vor der die jeminitische Fatima jeden Tag steht.

Von Ibtisam Fawzy

”Ich wünsche mir einen Mann, der

mich auf gleicher Augenhöhe sieht”

Foto

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Page 2: Fremd in der Heimat

Fatima kann heute sehr gut mit Karten und Automaten in den Haltstellen umgehen, dies war aber nicht der Fall, während ihrer ersten Wochen in Berlin, sagt sie. “ Ein Ticket am Automaten zu kaufen, das Gleis zu finden und alleine zu fahren, war keine einfache Arbeit, damals konnte ich auch kein Deutsch. Das erste Mal habe ich mir ein Kinderticket versehntlich gekauft und bin in der Bahn eingestiegen. Zu meinem Pech kam die Kontrolle. Die erste Fahrt mit der Bahn , endete mit 40 Euro Strafe”.

In Berlin, als sie ankam, wohnte sie bei Familienmitgliedern, die trotz der langen Jahren in Deutschland, noch immer sehr konservativ waren. Sie konnten es einfach nicht begreifen, dass eine Frau aus ihrem Land im Ausland studiert.

Als die junge Frau sich entschied, ihren Stil zu ändern und Hosen mit langen Blusen , statt der traditionellen Abaja zu tragen, war das für ihre Familie in Berlin, ein Zeichen dafür, dass sie sich langsam von ihren Traditionen abweicht und wie eine westliche Frau leben wird.

“sie haben mein Leben zur Hölle gemacht. Sie kontrolierten mich ständig..alle meine Telefongespräche, alles was ich sagte oder tat. Sie haben meinem Vater davon überzeugt, dass ich mit schlechten Frauen befreundet bin”.

Obwohl der Vater seine Tochter sehr vetraut, hat er geglaubt, dass Fatima, ihre Traditionen vernachlässigt. Als Folge hat er jeden Kontakt zu ihr abgebrochen. Vier Jahre lang hat er kein Wort mit ihr ausgetauscht und vier Jahre lang durfte sie nicht nach Hause fliegen.

“Dies waren die schwiergsten Jahre meines Lebens, aber sie machten mich stark. Ich habe wichtige Entscheidungen in meinem Leben getroffen. Erstens: nicht mehr mit meinen Verwandten zu leben. Zweitens: sich auf meine Sprachkurs zu konzentrieren und die deutsche Sprache so schnell wie möglich zu beherrschen und mich dann an einer Universität anzumelden”.

Die junge Araberin hat alles getan, um ihren Vater zu überzeugen, dass sie noch auf die Traditionen ihres Landes und die Regeln ihrer Religion achtet. Nach vier Jahren kam der erste Anruf von dem Vater gefolgt von dem Erlaubniss, wieder nach Hause zu kommen.

Der Jemen in Zahlen

- Der Jemen ist anderthalbmal so gross wie Deutschland.

- Zwischen 1990 und 2000 stieg die Bevoelkerung von 12,8 auf 18,4 Milionen.- Fast die Haelfte des Volkes ist 15 Jahre oder juenger.

- Alle Einwohner (mit wenigen Ausnah-men) sind Muslime.

- Die Analphabetenquote in der Bevoe-lkerung ueber 15 Jahre liegt bei knapp unter 50 prozent. (Angaben von dem Jahr 2005)

- Der Human poverty Index des Landes wird mit 36,6% angegeben.

- 57% der Menschen haben keinen Zu-gang zu Hygieneeinrichtungen

- 32% der Menschen haben keinen Zu-gang zu sauberem Trinkwasser.

Quelle: .hdrmut.netFo

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Heute studiert Fatima BWL, sie trägt ein Kopftuch und moderne Kleidung. Neben dem Studium arbeitet sie als Betreuerin in einem Altenheim, um ihre finanziele Unabhängigkeit zu geniessen. Einen Nebenjob zu finden ist fuer eine ausländische Frau eine schwierige Angelegenheit.”Ich habe meistens nur Absagen

bekommen. Das Kopftuch war immer der Grund. Ich habe mich um eine Stelle als Kassiererin in einem Supermarket, als Kinderbetreuerin, als

Verkäuferin beworben, bekam aber nur Absagen. Ich gab nicht auf und schliesslich kam die Zusage aus einem Altenheim”.

Der Balance zwischen östlicher und westlicher Kultur war für Fatima noch eine grösse Herausforderung.”Ich habe viele Frauen kennengelernt, die ihre arabischeIdentitaet verloren haben. Ich sehe die Situation so: wenn man so lange Zeit in einem sehr dunkelen Zimmer lebt und auf einmal öffnet sich die Tür und grösses Licht kommt rein, selbstverständlich tun die Augen weh und man braucht Zeit , um sich an die neue Situation zu gewohnen. Das schaffen einge nicht”.

Wenn Fatima jetzt nach Hause fliegt fühlt sie sich da “fremd”. Sie ist nicht mehr wie ihre Lebensgenossen dort . Im Jemen ist es üblich, dass Frauen mit 16 oder 17 heiraten und die meisten werden mit der Zeit komplett von dem Ehemann abhängig. Die 6 Schwester von Fatima haben alle in diesem Alter geheiratet. Eine zweite und manchmal dritte Ehefrau ist dort noch üblich. Dies kann Fatima nicht akzeptieren.”Ich wünsche mir einen aufgeschlossenen Mann, der mich respektiert und auf gleicher Augenhöhe sieht”.

“In meiner Heimat fühle ich

mich fremd”

Fatima trägt Hosen mit langen Blusen ,statt

der traditionellen Abaja.

Foto

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