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FRI HAAS - Musikdokumentation Vorarlbergmudok.at/wp-content/uploads/2017/07/gfhat007.pdf · 2018. 8. 18. · Musik von Georg Friedrich Haas ^ einzulassen, bedeutet auch ntusikalisc

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Mai 2013 Mus ikb lä t te r 5

Die Uraufführung der »limited approximations«von Georg Friedrich Haas für sechs Klaviere imZwölfteltonabstand und Orchester war nicht nureine Sensation, sondern eine jener halben Stunden,in denen Musikgeschichte geschrieben wird.Der Klang der Flügel verflüssigte sich.Wie schmelzendes Geröll flössen ihre Töne durch

Schichten des Orchesters. Eine menschenleereTektonik entsteht, wie vor dem Anfang oder nachdem Ende der Zeiten, die Bedrohliches hat in ihrerEigengesetzlichkeit. Wie ein brodelnderMeeresspiegel scheint einmal der Klang auf dieHörer zuzukippen. Und wenn manche Akkorde vonfern wie Septakkorde bei Anton Bruckner tönen,dann nur als Fata Morgana über einem Prozess, dermit Tonalität so viel zu tun hat wie die Entstehungder Alpen. In diesem Prozess wird einem dasgewohnte Treppenmaß der zwölf Töne unter denFüßen weggezogen, während ein ganz anderer,höchst sinnlicher und physisch spürbarerZusammenhang sich einstellt. Ehe man weiß,wie einem geschieht, ist man ins Gravitationsfeldeines anderen Planeten geraten. Vielleicht ist esauch die Erde, neu betrachtet.Volker Hagedorn (»Die Zeit«; 15. September 2011; »Kernschmelze in Zeitlupe«)

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Schwerpunkt Georg Friedrich Haas

Trügerische SpiralenZur Musik von Georg Friedrich Haas

V O N W O L F G A N G S C H A U F L E R

Gemessen an der Qualität seiner Werke trat GeorgFriedrich Haas erst relativ spät in den Fokus der internationalen Musikwelt. Heute ist sein Rang als herausragenderKomponist seiner Generation jedoch unbestritten. Davonzeugen der übervolle Terminkalender, der Große Österreichische Staatspreis 2006, nicht zuletzt die Qualität derEnsembles und Orchester, die seine Werke aufführen.

Dass die Anerkennung lange auf sich warten ließ,dann aber umso intensiver einsetzte, mag damit zusammenhängen, dass Georg Friedrich Haas in seinen Werkenmit großer Konsequenz Schrittfür Schritt musikalisches Neuland erobert, seine Hörer zuKlangabenteuern einlädt, deren Der sinnlitRadikalität und Schönheit sie viclscsierst zu erfassen lernen müssen.Der Begriff Abenteuer ist mit WUrdc eineBedacht gewählt. Sich auf die KotnVOnetMusik von Georg Friedrich Haas ^einzulassen, bedeutet auch ntusikaliscloszulassen, bedeutet, eine HaasReise mit unbekanntem Ziel zuunternehmen. Es bedeutet, dasWagnis einzugehen, sich Haasanzuvertrauen. Anders wird man seiner Musik nicht aufdie Spur kommen. Ganz oder gar nicht. Er wird diesesVertrauen reich belohnen.

Aus der Erkenntnis heraus, dass ihm die wohltemperierteSkala nicht genügend differenzierte Ausdrucksmöglichkeiten bereithält, entwickelt und verfeinert Haas Klänge,deren Faszination auf der Verwendung der Mikrotonali-t ä t b e r u h t .

Vermutlich würde Haas gegen diese FeststellungEinwände erheben. Es gibt, so betont er, nicht nur eineeinzige Mikrotonalität. Wer sie darauf verkürzt, dassHalbtöne nochmals zur Vierteltönigkeit halbiert werden,geht am Wesen vorbei. Der sinnliche Reiz des vielgestaltigen Klangs wurde eine wesentliche Komponente

im musikalischen Denken von Haas. Verschiebungen,Obertonharmonien, Schwebungen - daraus lassen sichWelten bauen, die im Konflikt zueinander stehen, dieeinander spiegelnd ergänzen. Daran entzündet sichHaas' Kreativität, die in Bereiche führt, deren Bodennicht so sicher ist, wie es oft scheint - kaum Zufall also,dass ihm Franz Schubert überaus wichtig ist.

Seine Musik lässt oft gerade die Differenz zwischenGewohntem und Möglichem hörbar werden. Das isteine Herausforderung für Musiker wie Zuhörer. Der

Zuhörer muss bereit sein, sichauf andere Hör-Koordinateneinzustellen. Dann warten auf

l KetZ ihn Klänge mit Suchtpotenzial.lügen Klangs 9ibt es mehrereStücke, die von den Spielern inwesentliche völliger Dunkelheit zu spielen; fffi sind. Tribut an seine Liebe zur

Einschärfe und der darausDenken resultierenden Sensibilität der

Wahrnehmung.»Ich verstehe Nacht nicht

im Sinne eines romantischen

Träumerei-Begriffs«, sagt Haasselbst dazu, »sondern eher als Fortspinnung des Begriffs>Umnachtung<, als einen Moment von Trauer, Hoffnungslosigkeit, Dunkelheit. Die >Nachtseite< der Dingeist wesentlich in meiner Musik. Dieser Begriff beschreibtetwas, das im seelischen Bewusstsein meiner Person (undwahrscheinlich vieler anderer Menschen auch) eine großeRolle spielt.«

Auf die Frage, ob es einen direkten Bezug zwischender Nacht, dem Licht und der Dunkelheit gebe oder obsich das auf verschiedenen Ebenen abspiele, meinteHaas: »Die Bezüge gibt es wahrscheinlich immer, aberbeim Komponieren, vor allem beim Komponieren vonHyperion, des »Konzerts für Licht und Orchester«,geht es mir ganz konkret um die Wahrnehmung derFinsternis beziehungsweise um die Wahrnehmung des

Der sinnliche Reizdes vielgestaltigen Klangswurde eine wesentliche

Komponente immusikal ischen Denkenv o n H a a s ,

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Lichts als Musikinstrument. Das ist etwas anderes alsder metaphorische Nacht-Begriff, von dem ich vorhergesprochen habe.

Beim Streichquartett >ln Hj. Noa.< wird allerdings derNacht-Begriff mir der realen Abwesenheit von Licht inVerbindung gebracht: Wenn das historische Gesualdo-Zitat >ln Hj. Noct.< in der Mitte des Stücks (nach demgoldenen Schnitt) auftritt, wird der Bogen zwischen derrealen Nacht, in der das Stück gespielt wird, und dermetaphorischen Nacht des historischen Zitats für michals Komponisten als ein Ausdruckselement greifbar.«

»Für das Hören von Musik«, schreibt der Musikwissenschaftler Bernhard Günther, »sind melodische Linien,wohltemperierte Tonhöhenraster und der Akzentstufentakt ungefähr das, was Geländer, Handlauf, gewohnteGröße und Anordnung der Stufen für das Gehen aufStiegen sind. Schon subtile Abweichungen vom Normalmaß, perspektivische Verzerrungen, wie sie sich beiTreppen im Vatikan oder in Odessa finden, sorgen fürIrritierungen. In einer berühmt gewordenen Lithographieverbindet Maurits C. Escher das obere und das untereEnde einer Treppe zu einer Art Wendeltreppe mit nur einerUmkreisung - und führt so einen unwirklichen Mikrokosmos der Ziellosigkeit vor.« Er beschreibt damit exaktHaas' »trügerische Spiralen«.

Zu den Meilensteinen in Haas' CEuvre zählt die Hölderlin-

Kammeroper A/ac/)t (1995/96), uraufgeführt bei denBregenzer Festspielen, die auch 2003 die Poe/Kafka-OperDie schöne Wunde realisierten. Ein Klassiker der neuerenEnsembleliteratur ist mittlerweile das formal gewagteEnsemblestück in vain (2000). Wie in seinem Violinkonzert(1998) kollidieren hier aus Obertonreihen gebildeteharmonische Strukturen mit Tritonus- oder Quart/Quint-Akkorden, die in schier endlose Klangschleifen münden.

Jüngst legte Haas große Orchestenwerke vor, die aufden Erkenntnissen von in vain beruhen und das Tor zuneuen Klängen und Klangerfahrungen weiter aufstoßen.

Mit Hyperion gelang ihm 2006 bei den Musiktagen inDonaueschingen eine »unvergessliche Dreiviertelstunde«(Die Zeit). Als »Musik mit Bannkraft« wurde seinOrchesterwerk Bruchstück (2007) bezeichnet, ein guthalbstündiges Klangungetüm. Schlicht für eine »musikalische Sensation« hielt die Neue Zürcher Zeitung 2011sein Werk für sechs mikrotonal verstimmte Klaviere undOrchester: limited approximations.

Bei den Salzburger Festspielen stel l te sich Haas letzten HSommer mit einem Werk ein, das von Mozarts Hornkonzert inspiriert ist, allerdings auf einen Solisten verzichtet: »... e finiscigiä?« »Zu Beginn des Konzertsatzessetzt Mozart den D-Dur-Akkord genau in der Position desObertonakkordes - in Süssmayers Fassung verschwimmtdiese Satzweise und wird zu einem satten Dur-Akkord.Dieser Obertonakkord ist das Zentrum meines kurzen

Stückes, aus dem sich dann der von Mozart noch ausgeschriebene Anfang des Satzes schält - gleichzeitig in vierverschiedenen zeitlichen Dehnungen und Kontraktionen«,erklärt Haas die Grundkonzeption. Mozarts Fragment istfür ihn ein beeindruckendes persönliches Dokument. Überdie Noten, die meist nur die Basslinie und die Solostimmebeinhalten, hat Mozart italienische Texte geschrieben, diefür Haas zweierlei bezeugen: dass Mozart den Parameter»technische Schwierigkeit« geradezu dramatisch einsetzte(»Ahi - ohimei - bravo, poverettol«) und dass Mozart dieformalen Vorgaben des Rondos offensichtlich als Zwangempfunden hat. Dass Haas hier mit Mozart sympathisiert,kann man sich leicht vorstellen.

Kürzlich hat Simon Rattie erstmals die Musik von Haas

dirigiert (siehe dazu seinen Text, Seite 15-17). Es war eineArt Vorbereitung des Berliner Publikums auf das neueWerk, das die Berliner Philharmoniker bei Haas in Auftraggegeben haben und im Herbst 2014 sogar auf Tourneein die Carnegie Hall mitnehmen werden. Ein bessererZeitpunkt hätte sich kaum finden lassen. Haas übernimmtdiesen September eine Professur für Komposition an derColumbia University in New York, iz

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Schwerpunkt Georg Friedrich Haas

Vom Zauber»reiner« Intervalle

Georg Friedrich Haas im Interviewmit Heinz Rögl

Herr Haas, Sie haben einen »Ton«, einenunverkennbaren Stil gefunden. Wie leicht fällt daseinem Komponisten?Haas: Das nehme ich, auch wenn es so nicht gemeintist, ja fast als VonA/urf. Die erste Antwort wäre, dass ichhoffe, dass in einer meiner nächsten Kompositionenwieder etwas dabei ist, wo man nicht sagt, das ist wieder»typisch Haas«. Sich hinzusetzen und seinen »Personalstil« zu konstruieren, funktioniert so sicher nicht und dasist auch anderen Komponisten nie gelungen.

^um Wiedererkennungswert undzum unterstellten Personalstil: IhreMusik erwuchs - rein technisch »PerSOtlb e t r a c h t e t - u n t e r a n d e r e m s o w o h l -aus dem Interesse am Oberton-

Farbspektrum der Musik als auch aus funktuder akribischen Beschäftigung mit der , ,Mikrotonalität, wie sie von den StCnCr lKomponisten Iwan Wyschnegradskyoder Alois Häba erstmals angewandtwurde. Sie haben letztere in

selbstständiger Anverwandlung weiterentwickelt.Haas: Um das, was die Mikrotonalität betrifft, ein wenigauf den Boden der Realität zu stellen: Sicherlich spielt dieBeschäftigung damit in meiner kompositorischen Arbeiteine große Rolle, aber ich glaube nicht, dass sie einesignifikant größere Rolle spielt als bei den meisten meinerKolleginnen und Kollegen.

Ich habe etwa Enno Poppe in Warschau bei einerPodiumsdiskussion gesagt, dass er, gäbe es eine Olympiade für Mikrotonalität, da einige Positionen vor mirwäre. Die Harmonik von Iwan Wyschnegradsky, dereiner der Pioniere der Vierteltonmusik war, spielt sicherin meiner Musik eine zentrale Rolle, aber nicht in der

» P e r s o n a l s t i l «

zu konstruieren,funktioniertsicher nicht

Vierteltönigkeit, sondern in der halbtönigen Annäherung, die Wyschnegradsky auch verwendet hat. Wennich ihn zitiere, dann eher in der Nicht-Vierteltönigkeitdes Vierteltonkomponisten. Das relativiert die Sacheschon wieder.

Ich habe zur Vierteltönigkeit auch eher ein gespaltenes Verhältnis. Ich hatte mich mit dieser beschäftigt,indem ich zu Hause zwei voneinander im Viertelton

abstand gestimmte Klaviere hatte, und es war natürlichsehr aufschlussreich, damit gemeinsam mit einem Partner

experimentieren zu können. Aber dieVierteltönigkeit ist schon etwas sehrAbstraktes und auch etwas, das mit

Stil« dem Gehör nur schwer zu erfassenist. Ich habe hervorragende Orchester

ruteren, erlebt, auch solche, die viel Neue Musikiert spielen, wo sich die Musiker mit ziemli-, . eher Unschärfe in dieser Vierteltönigkeit

bewegten, die weit entfernt ist von derPräzision, mit der sie sich sehr versiertim Halbtonsystem bewegen.

Das bei weitem wichtigere Element in Ihrer Musikist der Bezug auf das Spektrum der Obertöne?Haas: Das spielt für mich eine ganz große Rolle. Michinteressiert diese unglaublich intensive Klangqualitätder »rein« intonierten Intervalle. Ein rein gestimmterOber tonakkord .

Da streifen wir jetzt die expressive Komponente inIhrer Musik, die ja auch - und jetzt gelangen wir indas gefährliche Fahrwasser der verbalen und damitideologischen Interpretation und Sinnerklärung -Botschaften vermitteln will. In einem Spektrum, dasvon Verzweiflung und Trauer bis hin zu Schönheit,

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Leidenschaft, Trunkenheit, Ekstase reicht. Unmöglich,von einer Musik, wie etwa »in vain«, nicht existenziellberührt zu sein.Haas: Das freut mich natürlich, wenn das so wahrgenommen wird, reden kann ich da nicht oder nur sehrschwer darüber. Meine Entscheidung, als 17-Jähriger

Haas: Vielleicht hören andere Menschen das anders,aber ich kann mir trotzdem nicht vorstellen, dass jemanddiese Wiederkehr des Anfangs anders als beklemmendwahrnehmen wird. Das reicht schon. Mehr braucht esnicht. Und den konkreten politischen Anlass, den dürfenwir heute ja Gott sei Dank vergessen. Momentan bin ich

Meine Entscheidung, als 17-Jähriger nicht Schriftsteller, sondern Komponistwerden zu wollen, hatte vielleicht damit zu tun, dass ich gemerkt habe, ich kannmich verbal nicht so präzise ausdrücken wie klanglich.

nicht Schriftsteller, sondern Komponist werden zu wollen, darüber glücklich, dass dieses Stück länger gelebt hat alshatte vielleicht damit zu tun, dass ich gemerkt habe, diese Regierung. Das kann man immerhin schon sagen,ich kann mich verbal nicht so präzise ausdrücken wie . ,k lang l i ch . /Vach Ih rem »Durchbruch« a ls in te rna t iona l

Sie haben Recht, in meiner Musik ist Trauer, da ist anerkannter Komponist in den späten Achtzigerjahren,Angst, da ist das Gefühl des Getriebenseins, einer Uner- dem ab, sagen wir, 1988/89 auch eine noch größerebittlichkeit, irgendwohin geführt zu werden, egal ob man Zahl imponierender Stücke als je zuvor folgten: Sehendas will oder nicht. Aber: Bis auf ganz wenige Ausnah- Sie sich selbst in Ihrem Schaffen in einer ständigen, garmen ist es keinesfalls so, dass ich mich hinsetze, um ein linearen Weiterentwicklung begriffen? Relativieren sichästhetisches Programm oder eine Geschichte zu vertonen. für Sie persönlich ältere Werke?Es gibt manchmal Stimmungen, die am Anfang stehen. Haas: Das Duo für Bratsche und präpariertes KlavierBei in vain war das die Betroffenheit über die schwarz- stammt aus dem Jahr 1984 und ich halte es auch nochblaue Regierungsbildung im Jahr 2000, wo ich eine Musik heute für eines meiner stärksten. Diese c-Moll-Melodiegemacht habe, die formal so abläuft, dass das als über- am Ende, die die Bratsche, deren Saiten bei jederwunden Geglaubte am Ende wieder zurückkommt. Wiederholung umgestimmt werden, immer wieder repe

tiert, sodass eine Art Wegschmelzen der Tonalität eintritt,»in vain« ist im Abstand der Jahre zum Kultstück ist schon etwas, an dem man »Personalstil« sehen könn-geworden, das vor allem durch seine berückende te, wenn man das will. Obwohl es ganz anders klingt alsklangliche Schönheit frappiert. andere Stücke von mir und man ziemlich lange brauchen

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Schwerpunkt Georg Friedrich Haas

würde, um auf die Idee zu kommen, dass das von mir seinkönnte. Und ich hoffe, dass ich auch in Zukunft wiederganz andere Stücke schreiben kann. Was vor zehn Jahrengeschrieben wurde, ist ja noch nicht unbedingt alt.

Schreiben Sie je nach Auftrag jeweils für verschiedeneGruppen, Ensembles oder Orchester anders?Haas: Ja. Ich versuche immer, für die jeweilige Auf-

14 führungssituatlon zu komponieren. Ich kann das auchan konkreten Beispielen verdeutlichen. Poeme war einAuftrag für das Cleveland-Orchester und ich wusste, dasses fast keine Proben gibt, da diese in den USA extrem

Das Hagen-Quartett verwendet denAusdruck »Haas-Intonation«,wenn es romantische oder klassische Musikin reiner Intonation spielt

teuer kommen, wusste aber auch, dass im Gegensatz zuEuropa die Interpreten bestens vorbereitet zu den Probenkommen. Da ist ein soziologischer Unterschied: Wenn einamerikanischer Musiker unvorbereitet zur Probe kommt,verliert er seinen Job, wenn ein europäischer sich vorbereitet zeigt, schauen ihn die anderen böse an. Das isteinfach so und man muss das zur Kenntnis nehmen. DasGegenstück war Natures mortes für Donaueschingen, woman in atypischer Weise viele Proben hat. Und ich wusste,dass Sylvain Cambreling dirigiert, der meine Musik kenntwie kaum ein anderer. Dort konnte ich mir den Luxus

erlauben, für großes Orchester fünf verschiedene Obertonreihen zu schreiben. Die brauchten dazu sechs Proben

plus Realisation. Bruchstück hat einen einzigen Obertonakkord, in vain hat zwölf - weil es das Klangforum ist.

Das heißt, man kann das machen, wenn mansich damit auseinandersetzt.Haas: Die Psychologie von 24 Leuten ist so grundverschieden von der eines Orchesters mit 85 oder100 Mitwirkenden, dass die Dinge, die mit 24 gehen,mit 100 noch nicht zu realisieren sind. Meine Musikist immer noch utopisch, noch immer nicht ganz zurealisieren, aber nach fünf, zehn Jahren geht es danndoch, dann hat sich das irgendwie herumgesprochenund eingeschliffen. Da kann ich auch noch etwasanderes erzählen: Das Zweite Streichquartett, das 1998im Wiener Konzerthaus uraufgeführt wurde, habe ichfür das Hagen-Quartett geschrieben, das der Modernegegenüber sehr aufgeschlossen ist, aber dessen Schwerpunkt doch eher in der Vergangenheit liegt. ClemensHagen, der auch der erste Solist meines Cellokonzertswar, hat mir später erzählt, die Musiker verwenden denAusdruck »Haas-Intonation«, wenn sie romantische oderklassische Musik in reiner Intonation spielen.

Es wurde ihnen also durch die Auseinandersetzungmit meinem Stück auch die Problematik bewusst gemacht, mit der sie in der anderen Musik auch zu tunhaben. Meine große Hoffnung ist, dass das auch in denOrchestern verstanden wird, obwohl das dort durchdie Gruppengrößen noch viel schwerer zu erreichenist. Dass denen auch klar wird, dass ich genau mit demarbeite, womit sie sich bei Schubert und Bruckner herumschlagen. Die Aufführungsqualität würde davon sehrprofitieren. Streicher oder Bläser müssen (und mussten)ja auch bei tonaler Musik mikrotonal intonieren, umausdrucksstark spielen zu können. Das ist ja das Interessante, dass die Komponisten das immer den Interpretenüberlassen haben, das mag damit zu tun haben, dassman dafür eine eigene Notenschrift hätte erfindenmüssen. Aber das sind Bereiche, die den Instrumenta-listen aus der tonalen Musizierpraxis beim Ausstimmenvon Akkorden durchaus vertraut sind. Und wo kompositorisch noch sehr viel zu finden ist. iz

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Ma i 2013 Mus i kb i ä t t e r

»Als entdecke manden Ursprung der Musik«

Simon Rattie über »in vain«

Georg Friedrich Haas' Komposition in vain ist wirklichein erstaunliches Meisterwerk. Wie kann man es beschreiben? In der Neuen-Musik-Szene hat es sich bereitsetabliert als eines der großen Meisterwerke des 21. Jahrhunderts. Haas hat mir selbst gesagt, er hätte gedacht,ein einstündiges Werk mit so großer Besetzung, das sichüberwiegend außerhalb der üblichen Tonraster bewegtund bei dem es im Saal zwanzigMinuten lang vollkommen dunkelist, so etwas würde niemals gespieltwerden. Und es würde schon gar Eine^ dptnicht ein solches Kultstück werden.Aber es bleibt nie bei einer Auf- Stoßen hführung. Das Publikum will immer 22s o f o r t m e h r . ' '

Bei den ersten Proben mit denMusikern der Orchester-Akademiehabe ich versucht, das Stück irgendwie zu beschreiben. Erstaunlicherweise gibt es aberkaum ein vergleichbares Werk. Manches klingt wie Ligeti,zum Beispiel diese umherhuschenden Figurationen imViolinkonzert, als würden hundert Alices und Kaninchenim Wunderland in Korridoren verschwinden. Manches er-

Eines der ersten

großen Meisterwerkedes 21, Jahrhunderts

wieder den Berg hinaufzurollen, der anschließend wiederherunterrollte. Hier steigt man die Treppe hinauf undglaubt, es ginge immer höher, aber tatsächlich kommtman immer wieder am Anfang an. Hier liegt wohl dieBedeutung von in vain: vergeblich.

Das Stück entstand als Reaktion auf das Erstarken derpolitischen Rechte in Österreich am Ende des letzten Jahr

hunderts. Haas war verzweifelt angesichts dieser Entwicklung. Trotzdemist das Stück weder tragisch noch

Sten politisch. Es ist eher so, als gingeman in einen verwunschenen Wald,

Sterwerke eine Art Urdunkel, und als entdeckeh u n d e r t s U r s p r u n g d e r M u s i k .

Das Stück beginnt mit wilddurcheinanderwirbelnden Klängen,mit einer Art akustischem Schneegestöber. Durch diese Klänge

hindurch kann man Lichtstrahlen hören. Bei diesem Stückhelfen nur Metaphern. Während sich das Schneegestöberlegt und mehr und mehr lange Tone hörbar werden, wirdes im Saal immer dunkler, bis es schließlich vollkommenfinster ist. Nun klingt die Musik, als käme sie aus einerinnert vielleicht auch ein bisschen an Ligetis Atmospheres Art Ursuppe, als kämpfe sie sich ihren Weg ins Leben.

und deren faszinierende intergalaktische Stille.Aber der überwiegende Teil ist klanglich völlig unver

gleichlich. Stellen Sie sich ein klingendes Rothko-Gemäldevor und Sie kommen der Sache schon näher. Wie seineBilder hat diese Musik etwas Pulsierendes, Glühendes.Je länger man diese Bilder betrachtet, desto dynamischerwirken sie, und das gilt auch für dieses Stück. Haas selbstbenutzte noch einen anderen schönen Vergleich; M.C.Eschers Treppauf Treppab war für ihn eine große Inspiration, das Bild einer Treppe, die scheinbar ständig aufwärts

Reine Töne reiben sich mit minimal tieferen oder höheren,als ob sie miteinander kämpften. Oder als würde mansich die Haut aufritzen.

Entschuldigen Sie diese Vergleiche! An einem gewissenPunkt klingt es, als ringe die Musik mit ihrem Werden.Es ist eine lange und schwierige Geburt. Dann bleibendie Streicher auf einem Akkord liegen und plötzlichhört man die Harfe. Man hat spontan den Eindruck,sie sei furchtbar verstimmt, aber tatsächlich spielt sieführt, bei der man am Ende aber wieder am Anfang steht. Varianten von natürlichen Obertönen, wie sie auf jedem

Klanglich funktioniert dieses Werk ähnlich wie eine Biechblasinstrument vorkommen. Unser modernesoptische Täuschung. Es ist das Gegenteil der Sisyphos- Stimmungssystem enthält viele Kompromisse gegenüberIdee" Dieser war dazu verdammt, einen stein immer den natürlichen Intervallen. Haas ist zur Naturtonreihe

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Schwerpunkt Georg Friedrich Haas

Auf dem Höhepunkt des Stücks hörenwir zehn Minuten lang die erstaunlichsteMusik, die je geschrieben wurde.

zurückgekehrt, wie man sie zum Beispiel beim Horn beikonstanter Lippenspannung findet. So entsteht ein ganzbesonderer, beinahe urtümlicher Klang. In diesem Stückgeht es um Kontraste, um Licht und Dunkel, aber auchum die reinen Naturtöne, die sich mit den modernenKlängen reiben.

Am Anfang wird vor allem mit der Wirkung dieserAkkorde gespielt: Sie klingen wie fantastische Lichteffekte. Für mich wirkt die Musik dann wie etwas, dasin Wagners Unterbewusstsein geschlummert haben mag,bevor er Das Rheingold schrieb, das mit diesem großartigen Es-Dur-Akkord beginnt. Aber diese Akkorde sindsehr viel älter, sie basieren auf der Naturtonreihe. Sieerklingen in den Posaunen und Hörnern, als würden sieuns zu einer Zeremonie rufen. Auf dem Höhepunkt desStücks hören wir zehn Minuten lang die erstaunlichsteMusik, die je geschrieben wurde. In ihrer Art ist sie fürmich nur mit dem Schaffen von György Ligeti vergleichbar. der vor einigen Jahren verstarb.

Nun geht zum zweiten Mal das Licht aus und wir erlebendie Geburt einer neuen Harmonie. Die Musiker spielenin völliger Dunkelheit. Jeder muss seinen Part auswendigbeherrschen und zehn Minuten solcher Musik auswendig zu lernen, ist nicht leicht. Wir haben bis heute darangearbeitet, auch in völliger Dunkelheit, so dass das helleLicht nun sehr überraschend kommt. Hier basiert derKlang zu großen Teilen auf einem natürlichen C-Dur, dasin der Dunkelheit pulsiert und glüht, fast wie eine Halluzination. Und das Publikum spürt, dass etwas ganz Neuespassiert: die Entdeckung einer reinen Harmonie, nicht nurmusikalisch, sondern allumfassend.

Ich bin sicher, so hat es sich Haas gedacht. Man spürt,dass man sich an der Schwelle zur Erleuchtung befindet,zu neuer Erkenntnis. Dann wird es langsam wieder hell,und die Musik bleibt auf Eschers endloser Treppe hängen,so dass man völlig orientierungslos ist. Die Maschineriegerät quasi ins Stocken, sie hat ihren natürlichen Zustand,ihren Urzustand verlassen, und die Vision ist wiederverloren. Tatsächlich zieht das Stück gegen Ende immermehr an, genau, wie es sich vorher entspannt hat. Undwie am Ende von Bergs Wozzeck oder Schönbergs Erwartung hört es plötzlich und unvermittelt auf und alles warvergeblich: in vain.

Die Arbeit mit der Orchester-Akademie war eine großartige Erfahrung. Manche hatten Vorkenntnisse in NeuerMusik, andere nicht. Keiner hatte je ein Stück wie diesesgespielt, das nicht in normaler Stimmung, sondern inMikrointervallen komponiert ist. Aber dieses Stück hateine so eindrucksvolle Wirkung, dass es bestimmt indie Geschichte eingehen wird. Später wird man einmalsagen: Das war ein echter Neuanfang.

Als wir mit den Proben begannen, haben die Musikergesagt: »Was ist das denn? Ist er verrückt? Kann man dasüberhaupt spielen?« Ich habe sie dann gebeten, es sichanzuhören, und danach haben einige erzählt: »Wir habenes uns angehört und konnten danach nicht einschlafen.Die Wirkung ist unglaublich!« Mich erinnert es stark andie großartigen Werke von Olafur Eliasson. Besondersan seine letzte Installation in Berlin: Man betrat einengigantischen Raum, der voller Rauch war, und durch denRauch strahlten gleißende Lichter, Man war vollkommenorientierungslos und ertrank geradezu in Farben.

Dieses Stück hat einen ähnlichen Effekt. Als ichanfing, es zu studieren, fielen mir sofort Eliassons Werkeein. Und als ich mich eines Abends hinsetzte, um es zumersten Mal ganz durchzuhören, bekam ich mittendrineine E-Mail von Olafur. Ich sah sie auf dem Computerund dachte: Wenn das kein Zeichen ist - Gedankenübertragung! Er wird zur ersten Aufführung kommen, dennan diesem Abend haben wir begonnen, über das Stückzu diskutieren. Dies kann also wirklich ein echter Neuanfang sein. Also kommen Sie und hören Sie es sich live an!Oder hören Sie eine Aufnahme! Es ist wirklich unvergleichlich. Man muss Geduld und Vertrauen mitbringen,aber es ist ein atemberaubendes Erlebnis und eines derersten großen Meisterwerke des 21. Jahrhunderts,

Diese Einführung hielt Simon Rattieaus Anlass der Aufführung von »in vain« in der

Berl iner Philharmonie am 18.1.2013

GEORG FRIEDRICH HAASin vain (für 24 Instrumente)Besetzung: 2 1 2 1 - 2 0 2 0Schl(2), Hf, Akk, Klav, Sax, Vl(3), Va(2), Vc{2), KbUraufführung: i n ?nnn ti köih. Kiangforum wien.Difioent: Svivain Cambrelino

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i n v a i nfür 24 Instrumente (2000)

J = 60kon/enmlBige Podiums- und Pulibeicuchtung (bis Takt 70)

Georg Friedrich Haas(♦1953)

O Copyright 2000 by Universal Edition A.G., Wien