Frischeisen-Kohler - Das Realitatsproblem

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    PHILOSOPHISCHE VORTRAGE ssassassaVERFFENTLICHT VON DER KANTGESELLSCHAFT.UNTER MITWIRKUNG VON DR. ERNST CASSIRER UNDDR. MAX FRISCHEISEN-KHLER HERAUSGEGEBEN VONDR. ARTHUR LIEBERT. Nr. 1 U. 2.

    Das

    Realittsproblem.

    Von

    Dr. Max Frischeisen-Khler,Privatdozent a. d. Universitt Berlin.

    Berlin,

    Verlag von Reuther & Reichard1912.

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    PHILOSOPHISCHE VORTRGE ssaisiigaVERFFENTLICHT VON DER KANTGESELLSCHAFT.

    Diese Sammlung geht hervor aus Vortrgen, die in der Kant-

    gesellschaft gehalten werden. An dieser Vortragsveranstaltung werden

    sich die Fhrer der verschiedenen Standpunkte der zeitgenssischen

    Philosophie beteiligen, und es findet keine andere Themenbeschrnkung

    statt als die durch den wissenschaftlichen Charakter des ganzen

    Unternehmens gegebene. So wird die Sammlung nicht in einseitiger

    Weise eine bestimmte Richtung vertreten, sie wirdvielmehr im Laufe

    ihrer Entwicklung ein abgerundetes und umfassendes Bild der ge-

    samten gegenwrtigen Philosophie in allen ihren Strmungen und

    Schattierungen bieten. Dem ersten, hier vorliegenden Vortrag von

    Privatdozent Dr. Max Frischeisen -Khlee: Das Reali-ttsproblem

    werden als zweiter und dritter zunchst folgen:

    Privatdozent Dr. Ernst Cassirer: Form und Materieder Erkenntnis;

    Privatdozent Dr. Friedrich Ktjntze: Denkmittel der

    Mathematik im Dienst der exakten Dar-

    stellung erkenntniskritischer Probleme.

    Weitere Vortrge habenzugesagt:

    Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Alois Riehl-Berlin. Prof.Dr. Bruno Bauch-Jena. Prof. Dr. Georg Simmel-Berlin. Prof. Dr. Max Dessoir- Berlin. Ober-generalarzt Prof. Dr. M. Kern -Berlin. PrivatdozentLic. Heinrich Scholz-Berlin. Privatdozent Dr. Her-mann Nohl-Jena. Prof. Dr. Edmund Husserl-Gttingen.

    Der Herausgeber.

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    PHILOSOPHISCHE VORTRAGE ssssssssVERFFENTLICHT VON DER KANTGESELLSCHAFT.UNTER MITWIRKUNG VON DR. ERNST CASSIRER UNDDR. MAX FRISCHEISEN-KHLER, HERAUSGEGEBEN VONDR. ARTHUR LIEBERT. Nr. 1 U. 2.

    Das

    Realittsproblem.

    Von

    Dr. Max Frischeisen- Khler,Privatdozent a. d. Universitt Berlin.

    Berlin,

    Verlag von Reuther & Reichard1912.

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    Alle Rechte vorbehalten.

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    UNIVERSITY OF TORONTO

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    Vorwort.

    Der folgende Vortrag, den ich auf Aufforderung der Kant-Ge-

    sellschaft in deren Berliner Zweiggruppe am 15. Juni hielt, behandeltdenselben Gegenstand, dem ich in einem vor kurzem erschienenen Buche

    (Wissenschaft und Wirklichkeit , Leipzig, Teubner, 1912 Bd. 15 der

    Sammlung Wissenschaft und Hypothese ) eine eingehende Unter-

    suchung gewidmet habe. Auf dieses Buch mu ich fr alle Einzel-heiten und Ausfhrungen, insbesondere auch fr die Auseinandersetzung

    mit den verschiedenen gegnerischen Richtungen verweisen. Hier kam

    es mir nur darauf an, den Grundgedanken noch einmal in Krze zu

    entwickeln. Bei der (nachtrglichen) Niederschrift des Vortrages kam

    mir die lebhafte Diskussion, die sich an jenem Kant-Abend an ihn

    anschlo, zu statten; ich hoffe, durch die vorliegende Ableitung und

    Formulierung den wesentlichsten der dort hervorgetretenen Einwnde

    und Miverstndnisse zu begegnen. Freilich wurde der Vortrag da-

    durch so erweitert, da er den vorgesehenen Umfang, den diese Ver-

    ffentlichungen streng innehalten sollen, erheblich berschritt. In der

    Erwgung aber, daursprnglich geplant war, das Thema, um es

    erschpfend zu behandeln, auf zwei Vortragsabende zu verteilen, er-

    scheint die Abhandlung nun als Doppelheft.

    Berlin, im September 1912. Max Frischeisen-Khler.

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    Literatur.

    Aus der groen Literatur ber den Gegenstand seien zur Er-gnzung des Textes hervorgehoben:

    1. Allgemeine Errterungen des Seins- und Realittsbegriffes:Herbart: Allgemeine Metaphysik 201 204. Lotze: System derPhilosophie', Teil II Metaphysik, Leipzig, 1879, S 27 ff. G. Teich -mller: Die Wirklichkeit und die scheinbare Welt , Breslau, 1882.J. Bergmann: Der Begriff des Daseins und das Ichbewutsein,Archiv fr systematische Philosophie, Band IL Weidenbach: .DasSein , Jena 1900, Hans Raeck: Der Begriff des Wirklichen , Halle,1900. R. Eisler: Bewutsein der Auenwelt , 1900. A. Dyroff:Der Existenzialbegriff, Freiburg i. Breisgau, 1902. H. Rickert: DerGegenstand der Erkenntnis , IL Aufl., Tbingen, 1908. V. Kraft:Weltbegriff und Erkenntnisbegriff, Leipzig 1912.

    2. Zur Begrndung des Idealismus:P. Natorp: Die logischen Grundlagen der exakten Wissen-

    schaften , Leipzig, 1910. D. Gawronsky: Das Urteil der Realitt ,1910. W. Kinkel: Idealismus und Realismus , Gttingen, 1911.

    3. Zur Begrndung des Realismus:

    Eduard von Hartmann: Kritische Grundlegung des trans-zendentalen Realismus , Berlin, 1875 und Das Grundproblem derErkenntnistheorie, Leipzig, 1889. A. Riehl: Der philosophischeKritizismus , IL Band, IL Teil, Leipzig, 1887 S. 128 f. W. Dilthey:

    Beitrge zur Lsung der Frage vom Ursprnge unseres Glaubens andie Realitt der Auenwelt und seinem Recht ; Sitzungsberichte derKgl. Preu. Akademie der Wissenschaften, Berlin, 1890. W. Freytag:Der Realismus und das Transcendenzproblem , Halle, 1902. O. Klpe:Erkenntnistheorie und Naturwissenschaft , Leipzig 1910. A Messer:Einfhrung in die Erkenntnistheorie*, Leipzig, 1909 und Der kritischeIdealismus in Internationale Monatsschrift, Mrz, 1912.

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    Inhalt.

    1. Realurteile und Idealurteile. . . . . . . 7 132. Sein und Denken 1430

    3. Sein und Empfindung 30454. Sein und Wert 4558

    5. Sein und Handeln 5891

    6. Empirischer und. absoluter Realismus . . . 9198

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    1.

    Es ist die ursprnglichste, jedem entwickelten Den-ken zugrunde liegende Annahme, da wir allenthalben

    von einer Wirklichkeit umfangen sind, in die wir hin-

    eingeboren werden, durch welche wir vermittelst unse-

    rer Sinnesorgane Kenntnis erhalten, mit der wir uns

    im handelnden Leben auseinanderzusetzen haben. Diese

    wie immer zu formulierende Annahme beherrscht nicht

    nur die natrliche Weltauffassung ; sie wirkt auch in

    der wissenschaftlichen Weitbetrachtung fort. Fr Er-

    fahrungswissenschaft wenigstens ist und bleibt Wissen-

    schaft dauernd auf einen von dem einzelnen Denken

    unabhngigen Gegenstand bezogen, dessen Erkenntnis

    eben die Aufgabe der Forschung ist. So wesentlich ist

    der Erfahrungswissenschaft diese Beziehung, da in dem

    System von Aussagen, in welchen ihr Wissen und ihre

    Erkenntnis niedergelegt ist, die Wirklichkeitsaussagen

    einen unaufhebbaren Teil, ihre Rechtfertigung gerade-

    zu die zentrale Aufgabe in einigen von ihnen bilden.

    Erkenntnis erschpft sich nicht in der Herstellung eines

    Verknpfungszusammenhanges zwischen vorgestellten

    Gegenstnden, sondern enthlt zugleich auch Behaup-

    tungen ber deren Wirklichkeit oder Unwirklichkeit.

    Neben die Aussagen, die nur eine begriffliche Beziehungenthalten, treten die Aussagen, die einem Gegenstande

    Wirklichkeit zu- oder absprechen. Keine Wissenschaft

    ist bloe Gesetzeserkenntni ; allemal erfordert sie auch

    eine Untersuchung der Subjekte, von denen die Gesetze

    gelten. Bezeichnet man diese auf die Wirklichkeit

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    Realurteile und Idealurteile.

    der Gegenstnde gerichtete Untersuchung als historisch,

    dann ist jede Erfahrungswissenschaft, auch die abstrak-te mathematische Theorie der Naturforschung, historisch.Es ist hier gleichgltig, wie diese beiden wohl zu unter-scheidenden Klassen von Urteilen, in welche sich unserErfahrungswissen (soweit es in Urteilen vorliegt)wenigstens methodisch trennen lt, benannt und desnheren abgegrenzt werden. Mag man den blo be-grifflichen Stzen die Wirklichkeitsaussagen als eigent-liche Urteile (Riehl) oder den BeziehungsurteilenRealurteile (von Kries) oder ganz allgemein denIdealurteilen Realurteile (Erdmann) gegenberstellen,so tritt in diesen Klassifikationen jedenfalls die Aner-kennung der Eigenart der Wirklichkeitsaussagen undihrer unaufhebbaren Bedeutung fr den Aufbau der Er-fahrungswissenschaft hervor.

    Diese allgemeinen Unterscheidungen drften, wenig-stens prinzipiell, von jedem philosophischen Standpunkteaus zugestanden werden. Grundstzliche Verschieden-heit der Auffassung erhebt sich aber sofort, wenn nachdem Sinne der Realittsurteile gefragt wird. Was heitdas, wenn ich sage, da Pythogaras wirklich gelebt hat,da es N-Strahlen gibt, da auf dem Mars intel-ligente Wesen wohnen, da die Atome der Chemieoder die Elektronen der Elektrodynamik wahrhaft exi-stieren? Da in der Aufklrung des Sinnes solcher undhnlicher Realbehauptungen berhaupt ein Problem, jaein zentrales Problem aller theoretischen Philosophieliegt, bedarf keiner Rechtfertigung. Aber jeder Versuchseiner Auflsung fhrt zu Auffassungen, welche ge-wisse letzte

    Standpunkte der theoretischen Philosophieeinschlieen und daher geschichtlich in einer Mehrheitsich bekmpfender Lehren hervorgetreten sind.

    Die Frage, wie zwischen ihnen zu entscheiden ist,darf wenigstens zunchst nicht in der Form gefat wer-den, da errtert wird, ob eine Wirklichkeit, die man

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    Realurteile und Idealurteile.

    aus methodischen Grnden in Zweifel ziehen kann, ber-

    haupt existiere oder ob die Realitt der Auenwelt sichbeweisen lasse oder nicht. Denn scho n, um an derWirklichkeit zweifeln zu knnen, mu ich einen Begriffvon Wirklichkeit besitzen, mit dem verglichen etwa diesinnlich erfahrbare Welt oder die gedachten Objekte als

    wirklich oder unwirklich zu bestimmen sind. In demuniversalen Zweifel des Descartes tritt diese Vor-

    aussetzung deutlich hervor. Erwgt man ernsthaft undkonsequent die Mglichkeit, ob das Leben und das

    Weltgeschehen ein Traum ist, so ist ein doppeltes mg-lich. Entweder man bezieht auch den Trumenden indiesen Traum hinein, so da hypothetisch bleibt, wemder Trauminhalt zuzuschreiben ist ; dann hat man derganzen Welt nur einen anderen Namen, aber nicht einen

    anderen Charakter gegeben, da in ihr alle Vorstellungs-

    beziehungen, die in der gewhnlichen Erfahrung auf-

    treten, unverndert bleiben. Oder aber man hlt mitder analogischen bertragung der Traumbeziehung auch

    die realistische Voraussetzung, unter der das Trumenim Gegensatz zu dem trumenden Menschen vorgestelltwird, fest, dann ist zwar kein Wunder, da aus demTraumbewutsein ein reales trumendes Ich gefolgert

    werden kann, aber es bleibt unbegrndet, mit wel-chem Recht man diese realistische Voraussetzung fest-gehalten hat. Der Zweifel an der Wirklichkeit wie seine

    Widerlegung setzen bereits die Kenntnis des Begriffes

    der Wirklichkeit und seine Anerkennung voraus.Somit hat die Untersuchung, wenn anders sie wahr-

    haft kritisch verfahren will, von einer Analyse des Wirk-

    lichkeitsbegriffes und der Auffassung des Sinnes vonRealbehauptungen berhaupt auszugehen. Und da darfnun als das Ergebnis der Kritik, die in der Auflsung

    des ontologischen Gottesbeweises gipfelte, hingenom-

    men werden, da Realitt, die von einem Gegenstandeausgesagt wird, nicht Merkmal eines Begriffes ist. Die

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    10 Realurteile und Idealurteile.

    Bejahung oder Verneinung der Realitt eines Gegen-

    standes ndert an seinem vorgestellten Inhalte nichts,sondern geht auf das Ganze dieses Inhaltes.

    Seit Kant und Herbart ist fr den Akt,durch welchen einem Gegenstande Realitt zuge-

    sprochen wird, der Name .. Setzung gelufig gewor-den. Indessen ist hierbei von vornherein mehrfaches zu

    beachten und sorgfltig zu scheiden. Denn zweifellos

    ist, da der Gegenstand jedes Urteils undnicht nur der

    von Realbehauptungen in einem gewissen Sinne gesetzt

    wird. Denken schliet immer die Beziehung auf einenGegenstand ein. Wenn wir denken, denken wir an et-was oder ber etwas, und der Bezug auf dieses Etwas

    ist so wichtig, da mit seinem Verschwinden auch jedes

    Denken aufhrt. Daher bedarf die Setzung eines Gegen-

    standes im Sinne einer Realbehauptung noch einer nhe-

    ren Bestimmung, da sie andernfalls von der blo ge-

    danklichen Setzung, welche alles Mgliche und Unmg-liche einschlieen kann, nicht zu unterscheiden wre.

    Man kann diesen Tatbestand zur Festlegung einigerTermini benutzen. Sofern unser Denken sich auf einen

    Gegenstand bezieht und eben dadurch setzt, indem es

    denselben meint , ber ihn urteilt, von ihm aussagt,

    mge derselbe als im weitesten Sinne des Wortesseiend bezeichnet werden. So ist fr das Denken

    die Zahl 2 in gleicher Weise wie das Energiegesetz

    oder eine kosmische Masse oder eine historische Per-

    snlichkeit. Genauer lt sich vielleicht noch dieses

    Sein als ideales Sein charakterisieren, indem es von

    dem (zunchst nicht erklrten) Begriff des realen Seins

    unterschieden wird. So besitzen alle Gegenstnde unse-res Denkens ein ideales Sein, dessen Sinn durch den

    Terminus der Setzung wohl erlutert werden kann, wennauch zugegeben werden mu, da er noch einer nhe-

    ren Analyse bedrftig und fhig ist. Hier gengt die

    Erkenntnis, da die bloe Setzung im Denken einem

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    Realurteile und Idealurteile. 11

    Gegenstande noch nicht die Realitt verleiht, durch wel-

    che sich der reale Gegenstand von dem blo gedachtenunterscheidet.

    Von der Setzung aus lt sich dem Begriffe der

    Realitt kein weiterer Sinn abgewinnen. Es hilft nichts,

    die Setzung noch weiter als absolute Setzung zu fas-

    sen, um damit auszudrcken, da der Gegenstand nichtnur fr das Denken oder fr etwas berhaupt, sondern

    an sich gesetzt werde. Zwar berschreitet der Begriffder absoluten Position oder sein Korrelat, der Begriff

    des an sich Seienden, nicht die Kompetenz wissenschaft-

    licher Begriffsbildung berhaupt, er schliet nicht, wie

    man wohl gefolgert hat, einen Selbstwiderspruch ein.

    Denn der Gegenstand ist gegenber dem Denken in

    einem logischen Sinne stets transzendent, er wird ja

    nicht vom Erkennen umschlossenoder in irgend einer

    Weise in sich hineingezogen, sondern nur von ihm ge-

    meint . Daher kann er alles sein und es lt sich der

    Begriff eines Gegenstandes bilden, von dem bestimmtwird, da er nicht nur Gegenstand des Erkennens sei.

    Aus dem Umstand, da tatschlich alles Sein, von demwir wissen, als Objekt unseres Denkens oder als Gegen-

    stand unserer Anschauung und unseres Erlebens uns

    entgegentritt, braucht nicht zu folgen, da sein Sein

    in seinem Objektsein sich erschpfe. Der Begriff eines

    absoluten Seins schliet keinen Widerspruch ein, da das

    Absolute denken noch nicht heit, es nur als gedacht

    oder denkbar vorstellen. Der Begriff ejnes Gegen-

    standes, von dem gefordert wird, da er keine Beziehungauf Bewutsein und Erfahrung einschliee, ist vllig

    legitim. Aber eine solche Definition ist lediglich nega-

    _

    tiv. Sie gibt keinen Aufschlu darber, was nun dieses

    absolute an sich Sein des Seins bedeute, wenn nicht

    wieder der Begriff des idealen Seins oder sonst ein

    Inhalt der Erfahrung substituiert werden soll. So be-

    zeichnet sie nur die Aufgabe, aber nicht ihre Lsung.

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    12 Realurteile und Idealurteile.

    Aus berlegungen dieser Art hat Lotze das realeSein durch Einfhrung des Begriffes der Beziehung zuunterscheiden unternommen. Abstrahiert man von allenBeziehungen (z. B. rumlicher und zeitlicher Art), in

    denen die Gegenstnde zueinander stehen, und versucht

    man dann noch ein Sein derselben festzuhalten, so seinicht mehr angebbar, wodurch sich dieses Sein vomNichtsein unterscheide. Was nirgends ist, niemals ist,

    nichts wirkt und nichts leidet, ist berhaupt nichts. Essei zwar mglich, einen Begriff des Seins abstrakt zu

    bilden, aber dieser bezeichne nur ein Denkmgliches

    tatschlich besteht das Sein der Dinge fr uns allein

    nur in der Beziehung oder Setzung bestimmter Be-

    ziehungen.

    Entwickelt man diesen Gedanken weiter, dann liegtdie Funktion der Realittsbehauptung in der Einordnung

    der Gegenstnde, von denen sie Wirklichkeit aussagen,

    in einen allgemeinen Beziehungszusammenhang. Das

    Sein eines Gegenstandes beruht dann in seinem Zu-

    sammensein mit anderen in einem sie umfassenden Ver-

    knpfungssystem. Es ist gewi, da durch diese Wen-

    dung der Sinn der Realittsurteile bedeutend geklrt

    wird. Sie bilden keine Ausnahme von dem Satze, dadas Wesen aller Urteile in der Setzung von Relationenbesteht; und wenn auch der Begriff sein nicht in

    demselben Sinne wie ein anderer Begriff als Prdikat

    gebraucht werden kann, so bedeutet er doch in seiner

    prdikativen Verwendung die Forderung, den Gegen-

    stand in einem reichhaltigen Beziehungssystem zu den-

    ken, und ist daher einer Setzung von Relationen qui-

    valent.Eben so gewi ist aber, da hiermit der volle Sinn

    der Realittsbehauptungen noch nicht erschpft ist. Dennschlielich kommt die Frage nach dem Sein, wenn siebezglich des isoliert gesetzten Realittsurteiles durch

    die Erkenntnis seiner Relationsnatur aufgelst ist, sofort

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    Realurteile und Idealurteile. 13

    bezglich des Beziehungszusammenhanges, in welchen

    eingeordnet wird, wieder. In welchem Sinne ist denn

    nun dieser Zusammenhang, dem wir die Gegenstnde,von denen wir ein mehr als blo ideales Sein an-

    nehmen, einordnen? Besteht das Sein eines Dinges nur

    in seinem Zusammensein mit anderen, in wechselbezg-licher Verknpfung mit ihnen, worin besteht denn das

    Sein ihrer aller oder des Weltganzen? Indem Lotzezugibt, da der mgliche Begriff des abstrakten Seinsetwas in dem wirklichen Sein Mitenthaltenes ausdrckt,wenn es auch nicht fr sich abgesondert vorgestelltwerden kann, gibt er zugleich zu, da dem Beziehungs-zusammenhang des Seienden doch ein Eigentmlichesinnewohne, durch welches sich derselbe als ein wirk-

    lich seiender von einem blo gedachten unterscheide.

    Das allgemeine Realittsproblem ist somitnicht gelst,

    sondern nur hineingeschoben ; die Untersuchung des ein-

    zelnen Realurteiles mu, da dieses sich als ein wesent-

    lich einordnendes dargestellt hat, nun dem universellenBeziehungszusammenhang sich zuwenden, in den wir

    Gegenstnde durch unsere Wirklichkeits- behauptendenAussagen einordnen.

    Lt sich nun aber noch irgend etwas ber das

    spezifische Sein dieses Zusammenhanges ermitteln?Fllt es nicht letzthin mit dem idealen Sein zusammen?Liegt nicht sein einzig unterscheidender Zug von be-liebigen blo als mglich gedachten Gegenstnden in

    seiner logischen Notwendigkeit und Allgemeingltigkeit?Kann das Weltganze, das alle Einzelwirklichkeiten inseinem Beziehungssystem umfat, als etwas anderes

    denn als ein im Denken gesetzter und fr das Den-ken notwendig bestehender Verknpfungszusammenhanggedacht werden?

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    14 Sein und Denken.

    2.

    Mit dieser Wendung erffnet sich uns der idealisti-sche Standpunkt, wie er in der Gegenwart am entschie-densten von Cohen und Natorp und ihren Schlern,der sogenannten Marburger Schule, entwickelt wordenist. Nach diesem Idealismus ist nirgends von einem

    auerhalb des Logischen anzusetzenden Sein zu reden.

    Sein und wahr gedacht sind streng identisch. Fr

    das Denken kann es kein anderes Sein als ursprng-lich erdachtes Sein, d. h. ideales Sein geben. Das Welt-

    ganze hat keinen anderen Bestand als in den Begriffen

    und Urteilen der wissenschaftlichen Erkenntnis. Da-

    mit reduziert sich das Realittsproblem auf das Problem

    der Objektivitt. Was objektiv, d. h. was notwendigund allgemeingltig zu denken ist, ,ist l in dem allein

    mglichen Sinne des Wortes. Das Realittsurteil ordnetden fraglichen Gegenstand nur der Urhypothesis eines

    gesetzlichen Zusammenhanges von gedanklichen Bestim-

    mungen ein.Will man fr die Kategorie der Realitt, die als

    mgliches Prdikat in wissenschaftlichen Urteilen auch

    aus reinen Ursprungsbegriffen abzuleiten ist, eine be-

    sondere Denkfunktion ansetzen, so ist sie nur in demInfinitesimalverfahren zu finden, durch welches in demraum-zeitlichen Bezugssystem allererst der bergang zur

    Extension, d. h. zur Setzung von Etwas in diesem

    Systeme, ermglicht wird. Natrlich darf der Gesamt-

    inbegriff der gedanklichen Bestimmungen, den wir Natur

    oder Welt nennen, nicht als Schpfung des psycholo-

    gischen Subjektes, von welchem ja nur im Zusammen-

    hange der Welt mit Sinn die Rede ist, betrachtet wer-den. So gewi wie die Wissenschaft nicht die Summeindividueller Vorstellungsakte der Einzelgeister ist, son-

    dern ihnen gegenber eine Unabhngigkeit und ein

    festes Gefge aufweist, so wenig darf der logischeoder methodische oder auch als klassisch

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    Sein und Denken. 15

    bezeichnete Idealismus mit einem psychologischenIdealismus verwechselt werden, der die Welt zum Vor-stellungsinhalt eines individuellen Bewutseins ver-

    flchtigt.

    Es ist nun nicht uninteressant zu bemerken, da

    diese Lsung des Realittsproblemes durch den klas-sischen Idealismus den rein methodischen Charakter

    desselben, den er so entschieden betont, in eigener

    Weise beeinflut. Wird geltend gemacht, da in derAnnahme von selbstndigen, sozusagen dinglichen Sub-jekten und Objekten, aus den Wechselwirkung Er-fahrung und Wissenschaft hervorgehen, unkritische, weilnicht gerechtfertigte und nicht nach ihrem Sinn geklrte

    Realbehauptungen enthalten sind, wird weiter hervor-

    gehoben, da die Aufhebung der vor der Erkenntnis

    seienden Dinge solange nicht gengt, als nicht auchihr notwendiges Gegenglied, das erkennende Subjekt,

    seines metaphysischen Seins-Charakters entkleidet wird,

    dann ist nicht zu verkennen, da damit nicht sowohl

    die Erkenntniskritik von allen absoluten Voraussetzun-

    gen losgelst, sondern vielmehr sie selbst in eine Er-

    kenntnis des Absoluten verwandelt wird. Denn gibtes auer dem logischen Zusammenhang weder Dingenoch ein Ich, welche vielmehr nur in ihm als gedank-

    liche und in strenger Korrelation zueinander stehende

    Gegenstze zu scheiden sind, ist er somit weder als

    ein Produkt des Objektes noch des Subjektes noch ihrer

    Wechselwirkung zu begreifen, da jede Vorstellung voneinem Produkte und von Wirkung und Ursache eben-falls nur in seinem Rahmen und unter seinen Bedin-

    gungen mglich ist, dann ist er eben das einzigste, wases berhaupt gibt, wird die Welt mit Einschlu allerSubjekte und Objekte in ihr zu dem sich entfaltendenLogos. Eine panlogistische Metaphysik ist die unab-

    wendliche Konsequenz einer jeden Logik, die smtliche

    Realbehauptungen auf logische Relationen reduziert.

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    16 Sein und Denken.

    Wird der Ursprung alles Wissensinhaltes im reinen Den-ken oder vielmehr im rein Gedachten (denn voti derDenkttigkeit der psychologischen Subjekte ist zu ab-

    strahieren, da diese ja immer nur wieder durch Denkenzu bestimmen und erfassen sind) gefordert, dann ist das

    reine, ideale Sein das einzige, von dem die Rede seinkann, dann ist die Bahn beschritten, die unweigerlich

    von Kant zu Hegel fhrt, wobei von untergeordneter

    Bedeutung ist, wie die Methode zur Erkenntnis der Ent-faltung des Logos im einzelnen ausgefhrt, ob sie etwa

    als ewig abschlulos behauptet wird. Entweder ist das

    denkende Ich oder der Geist der Schpfer zwar nicht

    der logischen Gesetzlichkeit selbst, wohl aber des ge-

    danklichen Systems, das wir Welt nennen, dann liegt es

    dieser Welt als ein Absolutes voraus ; oder es bildet,

    wie es der methodische Idealismus verlangt, nur ein

    Glied in diesem System, dann ist eben dieses System

    das Absolute.

    Nun ist gleichgltig, wie ber diesen metaphysi-schen Charakter der Logik des Ursprungs zu urteilen

    ist, ob weiter die besonderen Schwierigkeiten, die in ihr

    angelegt sind und sich besonders in der Zeitlehre zu-

    sammenziehen, ihre wissenschaftliche Durchfhrbarkeit

    gefhrden. Auch wenn man sich auf die rein kritischeFragestellung beschrnkt, lassen sich durchgreifende

    Einw nde nicht unterdrcken, Einwnde, die gerade fr

    die in ihm ausgesprochene Auffassung des Seins von

    entscheidender Bedeutung sind.Zunchst mu hervorgehoben werden, da dem Be-

    stimmungszusammenhang, den wir Welt nennen, auch

    dann, wenn wir ihn vorlufig als einen rein gedanklichenbetrachten, Merkmale zukommen, welche ihn von ande-

    ren mglichen (zu denen hier nicht die Wertsysteme zu

    rechnen sind) unterscheiden. Das wichtigste ist, da

    diesem Zusammenhange, wieweit auch die Freiheit in

    der hypothetischen Setzung seiner einzelnen Bestim-

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    Sein und Denken. 17

    mungsstcke geht, im ganzen Einzigk eit zukommen mu.Diese Einzigkeit drckt sich aber vor allem in seinerBestimmtheit aus, die, wenn sie auch nie in abschlieen-der Weise zu erfassen sein sollte, doch allen einzelnenBestimmungen Richtung und Ziele gibt. Unsere Weltist, mit Leibniz zu sprechen, nur eine unter den mg-lichen Welten ; und wenn jede mgliche Weltvorstellungunter gewissen logischen Voraussetzungen, nmlich den

    Bedingungen der synthetischen Einheit, stehen mu, sounterscheidet sich die unserige noch durch eine Deter-mination, welche und das ist von hchster Bedeu-tung nicht allein aus den logischen Bedingungeneiner mglichen Weltvorstellung zu gewinnen ist. Dieseheteronome Determination tritt etwa in der Wahldes zugrunde gelegten Raumsystemes, der spezifischenNaturgesetzlichkeit, den empirischen Konstanten, denersten anzusetzenden Kollokationen, der Verteilung derMassen u. s. w. hervor.

    Nicht darum handelt es sich, ob die Forderung einersolchen Determination, also die Notwendigkeit einRaumsystem zugrunde zu legen, gewisse Konstanten ein-zufhren, u. s. w. aus logischen Grnden dargetan wer-den kann, sondern welche bestimmten Werte, etwa die

    Dreidimensionalitt des euklidischen Raumes, die nume-rischen Konstantenbestimmungen u. s. w. ihnen gengen.Die Wechselbezogenheit, die gegenseitige Verfestigungund Beziehung aller Erkenntniselemente zueinander, dieMglichkeit des jederzeitigen Ersatzes der jeweilig ge-

    wonnenen Bestimmungen durch andere, dieser ganzehypothetische Charakter des immer werdenden, nie voll-

    endeten Erkenntnissystemes darf nicht vergessen machen,da es als Ganzes noch von etwas anderem als demGesetz der Methode und den Prinzipien eines einmti-gen und eindeutigen Zusammenhanges abhngig ist.

    Dieses andere pflegt in der Regel als E rfahrung ,d. h. als Empfindung, Wahrnehmung und Versuch be-

    Frischeisen-Khler, Das Realittsproblem. 2

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    18 Sein und Denken.

    zeichnet zu werden. Wie verhlt sich nun der gedank-liche Zusammenhang, in den wir durch RealittsurteileGegenstnde einordnen, zu der Erfahrung? Wird durchsie der klassische oder methodische Idealismus ernst-lich gefhrdet oder liegt nicht vielleicht in der Bezie-

    hung auf sie diejenige Qualitt, welche ihm eine berden Charakter des idealen Seins herausreichende Be-

    deutung gibt? Denn hier ist, wenn irgendwo der

    Punkt, an dem ein Denkfremdes einzugreifenscheint,

    wo unserer Erkenntnis ein Gegebenes, das sie nicht ausihrer eigenen Arbeit, aus ihren eigenen Mitteln erwor-

    ben hat, entgegenzutreten scheint.In der Tat knpfen fast alle realistischen Gedanken-

    gnge an diese Bezogenheit der Wissenschaft auf diesinnliche Erfahrung an. Aber wie auch ber ihre Fol-gerungen zu urteilen ist, so mu zugegeben werden,da die bloe Berufung auf die Tatsache der Empfin-dung noch nicht zu einer Preisgabe des methodischenIdealismus fhrt. Denn auch dieser kann die Empfin-dung als Unterlage der wissenschaftlichen Forschungs-arbeit ohne Korrektur seiner Prinzipien wrdigen. Frei-

    lich erfhrt dabei die Empfindung eine eigentmlicheInterpretation, wird auch sie in den funktionalen Zu-

    sammenhang des Erkenntnisganzen mit hineingezogen,der durch eben diese Erweiterung seinen Charakter von

    Selbstgengsamkeit nicht einbt. Die Empfindung, so

    wird ungefhr eingewandt, ist an sich nichts vor allem

    Denken und unabhngig von ihm nichts Bestimmtes.Was das Nichtgedachte, Nichterkannte vor seinem Ge-dacht- oder Erkanntwerden sei, kann berhaupt nicht

    mit Sinn gefragt werden. Nur inunterscheidender

    Verknpfung mit anderen Empfindungen, nur im Zu-

    sammenhang eines weit verzweigten Beziehungssyste-mes bedeutet eine einzelne Empfindung berhauptirgend etwas. Wahrnehmung unterscheidet sich inhalt-lich von bloer Denkbestimmung schlechterdings nicht

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    Sein und Denken. 19

    denn was wir auch immer als Inhalt gegebener Wahr-

    nehmungen aussagen mgen, ist als Aussageinhalt not-wendig Denkbestimmung. Fr den Forscher mag eineWahrnehmung nach ihrem Inhalt mit ihrer Positivittihm gegeben erscheinen ; aber im Zusammenhange derForschungsarbeit betrachtet bezeichnet die Wahrneh-mung nur eine Stufe in dem Stufengang der Erkenntnis.Ihre Eigenart liegt darin, da sie die Forderung der

    allseitigen Determination zum Ausdruck bringt. Sieist

    nicht das letzte, wohin Erkenntnis strebt, sondern bil-

    det nur einen Ansatz im Erkenntnisfortgange, der eine

    weitere Determination fordert. Empfindung ist nicht

    gegeben, sondern aufgegeben ; sie ist nicht das Bekann-

    teste, sondern das Unbekannteste, das X der Gleichungder Erkenntnis, das niemals im endlichen Fortgang vl-

    lig bestimmt werden kann. Somit verweist die Empfin-

    dung auf nichts Denkfremdes ; jede Frage nach ihremWie und ihrem Woher fhrt immer nur auf denuniversellen Erkenntniszusammenhang, in welchem sieallein eine Stelle und einen Sinn erhlt. Die radikale

    Trennung von Denken und Empfindung ist so unberech-tigt, wie die Losreiung irgendwelcher Erkenntnisfak-

    toren, die insgesamt in unaufhebbarer Korrelation zu-

    einander stehen. Und schlielich kann eine solche Tren-nung immer nur wieder in einem Erkenntniszusammen-hange erfolgen, welcher die zu trennenden Teile als

    gemeinsame Glieder umfat. So wenig wiederstreitetdieser Idealismus dem gesunden Empirismus der posi-tiven Forschung, da er gerade wegen der Wechselbe-zogenheit aller Erkenntnisfaktoren die durchgngige und

    strenge Bezogenheit von Denken undsinnlicher Erfah-

    rung fordert. Ja, wenn zumeist in seiner Darstellungder Ausgang von dem im Urteil sich vollziehenden Den-ken gewonnen wird, so liegt vermge der inneren Ein-heit des Systemes auch die Mglichkeit vor, von der

    Empfindung auszugehen, um zu der gleichen Grundan-2*

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    20 Sein und Denken.

    sieht zu kommen, da alle Erkenntnisarbeit darin be-

    steht, die in der Empfindung gesetzte Aufgabe durchEntwicklung aller der Relationen, innerhalb welcher die

    Empfindung erst Bedeutung erhlt, zu lsen.Hier ist nun von Belang, ob durch diese oder hn-

    liche Ausfhrungen die methodische Funktion der Em-pfindung fr den Erkenntnisfortgang hinreichend charak-

    terisiert ist oder nicht. Es lt sich die Frage nicht ab-

    weisen, ob durch sie die schon erkannte Notwendig-keit, die Determination des Erkenntnisganzen von einem

    Denkfremden abhngig vorzustellen, welche Abhngig-

    keit in der Beziehung der Erkenntnis auf die Empfin-

    dung eine Besttigung zu erhalten schien, widerlegt

    ist. Diese Frage mu verneint werden. Selbst wenn dieEmpfindung nur als Aufgabe der Erkenntnis gewertet

    wird, so bleibt ihr doch ein Doppeltes, das niemals

    aufgehoben oder zu einem bloen Moment herabge-drckt werden kann. Auch als Aufgabe ist sie gegeben,

    nmlich aufgegeben, und andererseits wird sie in einem

    Bewutsein von uns erfat, das spezifischer Natur ist,

    und sich niemals in bloe Relationssetzung auflsen

    lassen will.

    Wenn die Empfindung dem Denken allererst die

    Aufgaben stellt, dann tritt hierin eine Orientierung desDenkens an etwas auer ihm liegenden hervor, durch

    welche es sozusagen nicht nur angeregt wird, sondern

    zugleich Richtung und Bestimmtheit erhlt. In der Ab-

    hngigkeit von den gegebenen Aufgaben wird eine spe-

    zifische Gebundenheit des Denkens sichtbar, welche

    grundstzlich von der allgemeinen Gesetzlichkeit des

    Denkens zu unterscheiden ist. Denkenheit natrlich

    immer sich binden oder vielmehr den Gegenstand als

    gebunden, d. h. als bestimmt vorstellen. So weist jede

    Erkenntnis notwendig ein Gefge auf, das aber wegen

    seines Ursprunges aus der Gesetzlichkeit des Denkens

    nicht ber dasselbe hinausreicht und deshalb autonomen

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    Sein und Denken. 21

    Charakter beanspruchen kann. Hier aber handelt es sich

    um eine spezifische Gebundenheit, die innerhalb desRahmens der allgemeinen Gesetzlichkeit die gesetzlicheBestimmung des Gegenstandes leitet, den wir Natur

    oder Welt nennen, und da sie aus den autonomen Be-

    dingungen des Erkennens nicht abzuleiten ist, als hete-

    ronom bezeichnet werden mu. Ist aber die Empfin-

    dung Erkenntnisforderung, sind in ihr die Aufgaben des

    Denkens gegeben, dann mu sie auch dieBestimmtheit

    zum mindesten besitzen, ohne welche Aufgaben nichtmglich sind. Bloe Fragezeichen sind noch keine

    Fragen ; die allgemeine und unbestimmte Forderung,

    berhaupt etwas zu bestimmen, ist auch dann keine Er-

    kenntnisaufgabe, wenn selbst die Bestimmungsmittelsmtlich bekannt und abgeleitet sind. Strenggenommen

    darf daher die Empfindung nicht als das X derGleichung der Erkenntnis bezeichnet werden. Nur das

    Erkenntnisergebnis, das begrifflich bestimmte Objekt

    verdient nach der Grundanschauung des methodischen

    Idealismus in dieser, mathematischen Analogie die Be-

    zeichnung der Unbekannten. Die Empfindung dagegen

    ist, wie bedingt sie auch auftritt und wie notwendig

    alle Aussagen von ihr auf Denkbestimmungen gehen,

    mehr als ein schlechthin Unbekanntes, ein bloes X,denn sonst knnte sie nicht einmal Aufgabe sein. In

    dem Bilde einer Gleichung der Erkenntnis ist durch

    die Beziehung des zu bestimmenden Gegenstandes, des

    X, auf Empfindung durch diese zugleich die Form der

    Gleichung wie die Wahl ihrer Elemente bestimmt ; in

    dem Ansatz der Gleichung, wie hypothetisch er auch

    sei, prgt diese Bezogenheitauf eine empfindungsdeter-

    minierte Aufgabe sich aus. Dem entspricht, da in demAuftreten von Empfindungen sich eine Faktizitt be-

    kundet, die, wie sie vom Denken auch gedeutet werdenmag, als solche niemals in eine bloe Stufe des logi-

    schen Prozesses verwandelt werden kann. Die Empfin-

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    dng ist nicht nur Forderung, sondern bereits Erfllung.

    Nur vom Standpunkt fragender Erkenntnis kann sie alsAufgabe der Erkenntnis gedeutet werden ; in der An-

    schauung des Lebens und der Kunst erweist sie ihre

    Selbstgengsamkeit. Sie ist daher schon vollzogene Syn-

    these. Unternimmt das Denken die Primitivitt dieser

    Synthesen durch vollkommenere Formen zu ersetzen, so

    bleibt es dauernd an dem Faktum der ursprnglichen

    Synthesen, welche nicht aus ihm hervorgebrachtsind,

    gebunden. Das Hervortreten von Empfindungen ist auch

    dann kein Denkerzeugnis, keine logische Konsequenz,

    kein Produkt der Methode, wenn wir zu den hervor-

    tretenden Empfindungen durch Denken und in einem

    methodischen Zusammenhang gelangen. Untersuche ich

    eine Reihe von Handschriften, die in den verschiedenen

    Archiven Europas aufbewahrt sind, suche ich durch Ver-

    gleich der Verschreibungen, des Papiers und der Tinte

    ihr Abhngigkeitsverhltnis zu einander zu ermitteln, be-

    mhe ich mich, die abgewaschene oder wegradierte Schrift

    eines Palimpsestes sichtbar zu machen und zu lesen,

    dann hat das alles nur Sinn und Verstand, sofern ich

    dabei festen methodischen Grundstzen folge. Erforsche

    ich die Gestaltung eines Gebirges, unternehme ich aus

    der Beschaffenheit der Gesteinsausbildung in den ver-schiedenen Schichten und Teilen ursprngliche Faltun-

    gen und berschiebungen zu erkennen, rekonstruiere ich

    aus gefundenen Bruchstcken fester Skelette, Zhne,

    Schalen, Versteinerungen ausgestorbene Formen der

    Tier- und Pflanzenwelt, so fhrt das Verfahren nur

    dann zu einem Ziele, wenn es von Ideen des zu Er-

    reichenden geleitet ist, wenn methodisches Denkenes

    trgt. Aber darum ist die auf einem halb verkohlten

    Papyros sichtbar werdende Schrift ebensowenig wie die

    gefaltete Erdrinde oder das fossile Geschpf bloe

    Denkschpfung. Auch Kolumbus folgte auf seiner kh-nen Fahrt gedanklichen, sogar sehr wissenschaftlichen

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    berlegungen ; aber das neue Land, das er entdeckte,

    blieb ihm und uns allen kein bloer Gedanke. Methodemu bei der Arbeit sein, aber das heit nicht, da alleArbeit und alles durch Arbeit Gefundene nur Denkpro-dukt ist. Natrlich mu jede Bestimmung, die fr dasDenken gelten soll, durch Denken gerechtfertigt wer-den ; aber da jede Bestimmung daher bloe Denk-bestimmung sei, ist eine ebenso unbegrndete Behaup-tung, wie, da es Bestimmtheit nur im Denken gebenknne. Setzt jede Empfindung, um zum deutlichen Be-wutsein gebracht zu werden, Identifikationen undUnterscheidungen voraus, so ergeben bloe Identifikatio-nen und Unterschiedssetzungen niemals eine Empfin-dung.

    Daher beweisen, wie man zu sagen pflegt, Tatsache n,d. h. letzthin Empfindungen doch recht viel. Natr-lich entscheiden sie nur ber vorgedachte Mglichkeiten,aber sie entscheiden doch, wofr die Vorausberechnungvon Dingen und Ereignissen, wie die bekannte Voraus-berechnung des Neptun, unwiderlegliches Zeugnis geben.Die zum Zweck der Erklrung der Uranusstrungenunter Beibehaltung des Gravitationsgesetzes ersonnene

    Hypothese eines bisher unbekannten Sterns fand ihre

    Bewahrheitung schlielich einzig darin, da Galle ineinem gewissen Augenblick eine gewisse Lichtempfin-

    dung hatte. Wre sie bei ihm und den ihm folgendenBeobachtern ausgeblieben, dann htte die ersonneneHypothese der strenden Masse oder die zugrunde ge-legte in dem Gravitationsgesetz sich aussprechende Auf-fassung von dem dynamischen Zusammenhang unseresplanetarischen Systems aufgegeben werden mssen. Dar-an ndert auch der Umstand nichts, da die Deutungdes von Galle empfundenen Lichteindrucks schon wieder-um ein sehr vielseitig entwickeltes System von funktio-nalen Beziehungen voraussetzt. Die Entdeckung desNeptun ist mehr als eine bloe Entdeckung von System-

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    beziehungen, sie bedeutet vielmehr eine inhaltliche Be-

    reicherung unserer Erfahrung. Es ist daher unzu-reichend, das allein wirklich zu nennen, das in der Total-hypothese' der widerspruchsfreien Einheit der Natur all-seitigen Bestand hat ; notwendig gehrt dazu auch dieunmittelbare oder irgendwie vermittelte Legitimationdurch die sinnliche Empfindung, ohne welche inner-halb der Totalhypothese der widerspruchsfreien Einheitder Natur unter den mglichen Durchfhrungen undmglichen individuellen Ausprgungen nicht entschiedenwerden knnte. Das aber heit, die Empfindung stelltnicht nur der Erkenntnis Aufgaben, sondern ist zugleich,wenn auch nicht allein, Richterin ber deren Lsung.Am greifbarsten tritt die Funktion der Empfindung inder Determination unseres Erkenntnissystems etwa durchempirische Konstantenbestimmungen hervor. Diese sindniemals durch bloes Denken zu ermitteln, sie erfordernimmer die methodische Befragung der Natur, die unsihre Antworten in den Empfindungen gibt. Es mag frag-lich sein, ob nicht schon die Gebundenheit unsererRaumauffassung ihren anschaulichen Charakter doku-mentiert. Da aber die empirischen Exponenten unsererErfahrungswissenschaften in der Erfahrung und zwar in

    der sinnlichen Anschauung wurzeln, kann solange keinemZweifel unterliegen, als bis es gelungen ist, auch nureine empirische Konstante aus dem reinen Denkenallein, ohne Verunreinigung durch Empfindung, zu er-mitteln.

    Damit erfhrt das Realittsproblem eine bedeutendeWendung. Denn wenn der von den Bedingungen desErkennens unabhngige Erfahrungsgehalt, der uns zu-nchst in der Empfindung entgegentritt, zum min-desten als Aufgabe gegeben und als solche anerkanntwird, dann heit das doch, da das Erkenntnisproblemnicht mit rein logischen Mitteln behandelt werden kann,da seine Auflsung nicht nur den Bezug auf etwas

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    Auerlogisches einschliet, sondern da es als Problem

    berhaupt erst durch diesen Bezug mglich wird. Schondarum kann der Realittsbegriff nicht als Moment inner-halb der methodisch aufzubauenden Erkenntnis, als

    Modalittsstufe oder sonstwie betrachtet werden, da er

    vielmehr aller Erkenntnisarbeit gegenber selbstndig

    ist, da nur durch ihn Erkenntnisarbeit mglich wird,

    weil Aufgaben erhlt.Dieses vermag die Empfindung aber nur zu leisten,

    weil sie uns in einem Bewutsein gegeben ist, das, wie

    es mit Urteilen auch verschmolzen sei, in letzter Instanz

    ein eigenes ist. Es kann nicht geleugnet werden, da

    die Empfindung nur in Relation zu anderen von unserfabar, jedes Urteil ber Empfindungen nur durch Be-

    zug auf Beziehungssysteme logischer Provenienz sinn-

    voll ist. Aber darum ist die Empfindung selbst noch

    keine Relation. Das theoretische Denken mag sich mitder Setzung von Systembeziehungen zwischen Bezie-

    hungspunkten, die keine andere Bestimmung als durchdie zwischen ihnen bestehende Beziehung besitzen, be-

    gngen lassen ; in der sinnlichen Erfahrung treten uns

    dagegen die Empfindungen als ein erflltes durchaus

    bestimmtes, durch kein Denken aufzuhebendes Etwas

    entgegen. Der theoretische Naturforscher ist vielleichtberechtigt, in dem Atom, dem Elektron u. s. w. nur vor-lufige Haltepunkte fr die Fixierung seines ihn allein

    interessierenden Gesetzeszusammenhanges zu sehen,

    Haltepunkte, die in jedem Augenblick durch andere er-

    setzt werden knnten. Der Ton dagegen, den ich in

    diesem Augenblicke hre, die Farbe, die ich in diesem

    Augenblicke empfinde, sind in voller Prsenz und An-

    schaulichkeit da ; ich mu sie in ihrer Prsenz und An-schaulichkeit respektieren ; sie werden niemals etwas

    anderes, wie ich auch ber die Ursachen ihrer Ent-

    stehung denke, wie ich die Hypothesen ihrer Erklrung

    ndere. Durch alle diese Zge charakterisiert sich das

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    26 Sein und Denken.

    Empfindungsbewutsein als ein eigentmliches, das dem

    urteilenden Bewutsein, von dem es freilich nur in Ab-straktion losgelst werden kann, selbstndig gegenber-tritt.

    Mit dieser Einsicht ist aber viel gewonnen. Das

    Wichtigste ist, da die von dem klassischen oder vondem methodischen Idealismus geforderte Einbeziehungder Empfindung in das Erkenntnissystem, in welchem

    sie nur einen zu anderenErkenntnisfaktoren korrela-

    tiven Teil darstellen soll, da der Erfahrungsmonismuspreisgegeben werden mu. So gewi die Welt der Em-pfindungen immer in eine Welt der theoretischen Deu-tungen eingebettet ist, so wenig es jemals gelingenwird, sie als den Inbegriff einer reinen Erfahrung rest-

    los von aller intellektuellen Verarbeitung zu isolieren,

    so ist doch in ihr ein Kern und Bestand enthalten, der

    von grundstzlich anderer Provenienz als das logische

    Denken ist. Alle Objektivitt unserer Erkenntnis stammtaus der Gesetzlichkeit des Logischen und ist nur durch

    diese zu begrnden ; aber der konkrete Erkenntnisgehalt

    folgt nicht aus ihr. Wie er uns in der Empfindung inunmittelbarer Anschaulichkeit und Prsenz entgegentritt,kann er zwar nicht von uns erfat werden, da jede

    Fassung der objektivierenden Funktionen bedarf. Aberdas ist eben das Entscheidende, da in der Empfindunguns ein Wissen von etwas gegeben ist, das nicht als einMoment in der Objektivation bestimmt werden kann,sondern dasjenige darstellt, das aller Objektivation In-

    halt und Bestimmtheit verleiht. Begrifflich lassen sichjedenfalls Empfindung und Denken als z wei selbstn-dige

    Faktoren sondern und zwarals Faktoren, die nicht

    nur wechselbezgliche Momente in einem einmtigen Er-kenntnisgefge sind, sondern die sich als nach Art undWesen verschiedene Weisen unseres Bewutseins dar-stellen.

    Diese Unterscheidung darf natrlich nicht durch

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    Sein und Denken. 27

    die Gegenbemerkung angefochten werden, da sie selber

    wiederum nur unter den Bedingungen des Erkenntnis-ganzen mglich sei und daher nur sinnvolle Bedeutung

    im Rahmen einer objektiven Weltansicht besitze. Nichts

    falscher als das. Die Trennung von Empfinden und

    Denken setzt ebensowenig eine objektivierende Wissen-

    schaft, wie die der einzelnen Empfindungen und Em-

    pfindungsklassen voneinander voraus. Nur solange der

    Begriff der Empfindungdogmatisch, etwa im Sinne

    irgend einer psychologischen oder physiologischen

    Theorie gefat und in dem Sinnesorgane oder in dem

    psycho -physischen Subjekt lokalisiert gedacht wird,

    knnte mit einem Schein der Berechtigung eingewandt

    werden, da der Rckgang auf sie den Hinabstieg zu

    einer Erfahrungswissenschaft bedeute, deren Ergebnisse

    naturgem nicht in einer Untersuchung der Bedingun-

    gen mglicher Erfahrung berhaupt angezogen werden

    drfen. Wre dies richtig, dann wre jede Erkenntnis-

    theorie (wie man das auch behauptet hat) einem unheil-

    vollen Zirkel verfallen ; denn jede von ihnen setzt eine

    gewisse Denkerfahrung und entsprechende Scheidung

    von Elementen innerhalb dieser voraus. So ist beispiels-

    weise die Trennung von Denkakt und Denkinhalt, wel-

    che eine der Grundannahmen des logischen Idealismusist, nur durch eine Analyse der Denkerfahrung zu be-

    grnden. Jede Herausarbeitung des reinen Denkens

    schliet sehr bestimmte Rcksichten auf die nicht reinen

    Teile der Erfahrung ein. Nur durch Besinnung dar-

    auf, da wir denken, vermgen wir, wie es B. Erd-mann scharf und treffend formuliert hat, zu erkennen,

    wie wir denken. Diesergefhrliche Zirkel , der in der

    Notwendigkeit jeder Erkenntnistheorie enthalten ist,

    auf gewisse Erfahrungsunterlagen zurckzugreifen, wird

    n icht dadurch behoben, da man die psychologische

    Analyse nur als eine Vorstufe gelten l t, whrend die

    Erkenntniskritik nicht dem Ursprung, sondern dem

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    28 Sein und Denken.

    Rechtsgrund in der Verwertung der durch psycholo-gische

    Analyse gewordenen Elemente fr den Aufbauunserer Erkenntnis gilt. Angenommen, da hiermitalle Schwierigkeiten beseitigt werden, dann sind auchalle Bedenken entkrftet, welche sich gegen die Ver-wertung der Empfindung richten ; denn auch sie er-strebt keine genetische Erklrung, sondern kritischeWrdigung. Aber damit ist schlielich nicht allzuvielgeleistet. Wirklich beseitigt wird die Gefahr dieses ver-nichtenden Zirkels nur durch die Einsicht, da die ph-nomenologische Scheidung des Erfahrungsbestandes inzu sondernde Klassen von Phnomen eine Objektivie-rung derselben nicht voraussetzt, d. h. ebensowenig vonihnen etwa nur im Sinne von subjektiven Phnomenhandelt. Bei der Unterscheidung von Denkvorgang undDenkinhalt, von logischer und psychologischer Gesetz-migkeit, von Denkbestimmung und von Empfindungs-bewutsein kommt die Hypothese eines Gesetzeszusam-menhanges der Natur berhaupt nicht in Betracht. Ana-lysen dieser Art, fr welche Husserl und Stumpfden zweckmigen Namen einer Phnomenologi e vorge-schlagen haben, setzen die Anwendung gegenstndlicheroder konstitutiver Kategorien nicht voraus ; sie bedienensich

    nur der reflexiven Kategorien, um das in der un-mittelbaren Erfahrung Enthaltene zu distinktem Bewut-sein zu erheben, ohne dieses in seinem Charakter zu n-dern. Aber wie man nun auch ber die methodischeEigenart der Phnomenologie denken mag; das Eine istersichtlich, da der Rckgang auf das Empfindungsbe-wutsein nur eine legitime Erweiterung desselben Ver-fahren darstellt, dessen jede Erkenntnistheorie zur Er-mittelung der von ihr zu verwendenden Elemente sichbedienen mu und daher so berechtigt ist wie Erkennt-nistheorie berhaupt.

    Der logische IdeaHsmus, der die Autonomie desLogischen TuFalle Erkenntnis durchfhren will, findet

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    Sein und Denken. 29

    seine erste Grenze an der Autonomie des sinnlichen

    Bewutseins, das auch er prinzipiell, als aufgebendesBewutsein, anerkennen mu, das aber nicht als ein

    gleichfrmiges X, sondern als ein Mannigfaltiges undBestimmtes erfahren wird. Die Einheit der Erfahrung,

    die er fordert, ist nicht gleichbedeutend mit der Einheit

    der Erfahrungsweise, als welche ihm allein Bestimmungdurch Denken erscheint. Die Erfahrung ist uns vielmehr

    in verschiedener Art zugnglich und jededieser Arten

    bedeutet fr uns eine selbstndige Quelle des Wissens.

    Daher ist es denn auch berechtigt, zur Przision des

    in den Erfahrungswissenschaften verwandten Wirklich-

    keitsbegriffes den Bezug auf die Sinnesempfindungenausdrcklich als ein auszeichnendes Merkmal mit aufzu-nehmen. Der Zusammenhang, in welchen wir durch Rea-littsurteile Gegenstnde einordnen, wird dann durch das

    Merkmal seiner Gebundenheit an die sinnliche Erfah-rung zu charakterisieren sein, in welcher uns ein Gegen-

    stand in noch anderer Weise als in gedanklicher Er-

    fassung, nmlich anschaulich, erscheint.

    Bezeichnet das ideale Sei n die allgemeinste Eigen-

    schaft aller Gegenstndlichkeit, die Gegenstnde als Ob-

    jekte des Denkens besitzen, so mag zur weiteren termi-

    nologischen Scheidung Existenz ein allseitig bestimm-tes ideales Sein oder ein ideales Sein in einem bestimm-

    ten Zusammenhang genannt werden ; in diesem Sinneexistieren die Gegenstnde der Mathematik. Sie sind,

    sie existieren, wenn sie widerspruchsfrei mit den Grund-gesetzen gebildet und allseitig bestimmt sind, daher

    denn komplexe Gren ebenso wie reelle existieren.

    Aber Existenz in dem Sinneder Erfahrungswissenschaf-

    ten ist das nicht. Die Behauptung, da es Schwefel-

    wasserstoff oder Marsmenschen gibt, ist logisch nicht

    gleichwertig der Behauptung, da es^/ 1 gibt. DieRealittsaussagen schlieen den freilich noch der nhe-

    ren Erluterung bedrftigen Bezug auf die Sinneswelt

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    30 Sein und Empfindung.

    ein. Die Existenzaussagen der Mathematik sind unab-

    hngig von aller Sinnlichkeit und gehen auf blo idea-les Sein.

    Diese Beziehung unseres Erkenntniszusammenhan-ges auf die Empfindung liegt letzthin auch dem Her-bart sehen Begriff der absoluten Position zugrunde.Wo immer Herbart erlutert, wie wir es machen sol-len, etwas als seiend zu setzen, antwortet er: Setzet

    es so, wie Ihr ursprnglich in der Empfindung gesetzthabt und mischt nichts ein, was diese Art der Setzungstren knnte. In der Empfindung ist die absolute Po-sition vorhanden, ohne da man es merkt ; im Denkenmu sie erst erzeugt werden ; das Denken setzt nurversuchsweise und mit Vorbehalt der Zurcknahme ; aufdiesen Vorbehalt Verzicht leisten heit etwas fr seiend

    zu erklren. Und hnlich greift Kant in seinen ver-schiedenen Erklrungen des Realittsbegriffes, den er

    von der Kategorie der Realitt sorgfltig schied, auf die

    Wahrnehmung zurck, welche unmittelbar etwas Wirk-liches im Rume beweist oder vielmehr das Wirklicheselbst ist. Daher ist nach ihm wirklich alles, was nachmaterialen Bedingungen der Erfahrung mit der Empfin-dung zusammenhngt.

    Sie wre dann im Anschlu an diese und hnlichein der Geschichte hervorgetretenen Anschauungen derZusammenhang, in welchen wir durch RealittsurteileGegenstnde einordnen, als Wahrnehmungszusammen-hang zu bezeichnen, der eben darum, weil er in seinenElementen von uns unmittelbar empfunden, d. h. in eineranderen als gedanklichen Weise von uns erfat wird,

    mehr als ein blo gedachter ist.

    3.

    Das bisher gewonnene Ergebnis ist aber noch nichtbefriedigend. Wenn durch dasselbe die extremen An-sprche des logischen Idealismus zurckgewiesen sind,

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    Sein und Empfindung. 31

    so sind dadurch doch noch keineswegs alle Schwierig-

    keiten aufgeklrt, die in der Bestimmung des Realitts-begriffes liegen. Ja es scheint vielmehr, als wrdenwir nun erst recht einem Idealismus berantwortet, der,weil er den Indikator der Wir klichkeit in der Empfin-dung findet , sozusagen noch viel idealistischer weilsubjektiver als der zurckgewiesene Standpunkt seinmu. Denn ist nicht die Empfindung das Allersubjek-tivste und das Individuellste, das es berhaupt gibt?Wird nicht, wenn wir die Wissenschaft auf die Empfin-dung aufbauen wollen, sie in einem vllig haltlosenGrunde, gleichsam im Flugsand, verfestigt? Denn das,so kann sogleich eingewandt werden, ist doch nicht zuleugnen, da die Empfindung als ein Bewutseinsph-nomen des psychologischen Subjektes dessen durchausindividuelles und subjektives Eigentum ist. Die Lehre

    von der Subjektivitt der sinnlichen Empfindungen ist,so wird hervorgehoben, gesichertes Ergebnis der Er-kenntnistheorie, der Psychologie, der Physiologie, derPhysik. Alle diese Disziplinen zielen auf eine fortschrei-

    tende Eliminierung der Empfindung aus dem Aufbauunseres wissenschaftlichen Weltbildes hin. Besondersdeutlich tritt dieser Zug in der Entwicklung der theore-

    tischen Physik hervor, fr welche die Ausbildung derEinsicht von der Subjektivitt der Empfindungen unddie berwindung der Gebundenheit an den Sinnenscheinder erste Schritt war. Dem entspricht, da die Gegen-stnde, von welchen die Naturwissenschaft handelt,sowenig mit den empfundenen Empfindungen identischsind, wie die Gesetze, welche sie aufstellt , Gesetze derKoexistenz oder der Sukzession der empfundenen Em-pfindungen sind. Bezeichnet man die von einem psycho-logischen Subjekte, z. B. von mir empfundenen Empfin-dungen mit: a, b, c, u. s. w., dann hat Naturwissen-schaft es niemals direkt mit einem wie immer zu be-stimmenden Zusammenhang dieser Elemente a, b, c,

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    32 Sein und Empfindung.

    u. s. w. zu tun. Sofern dies die Auffassung des Empi-

    rismus oder des sensualistischen Positivismus ist, darfsie als endgltig durch die Tatsache der Wissenschaft

    widerlegt gelten. So scheint es, da der Rckgang aufdie Empfindung als den Quell unseres Wirklichkeitsbe-wutseins uns geradenwegs dem psychologischenIdealismus in die Arme fhrt und damit in einenWiderstreit mit der objektiven Wissenschaft von der

    Naturverwickelt, in welcher die Tendenz zur Beseiti-

    gung aller psychologischen und anthropologischen Ab-hngigkeit eine unbestrittene Gltigkeit erreicht hat.

    Diese Bedenken sind nun nicht ganz unbegrndet.In ihrer allgemeinsten Formulierung gehen sie aller-

    dings erheblich zu weit ; auf das richtige Ma zurck-gebracht, treffen sie aber Punkte, wo die Notwendig-keit einer Ergnzung der bisherigen Betrachtungen er-sichtlich wird. Denn der psychologische Idealismus, aufden sie hinzielen, ist doch nicht so einfach abgetan, wie

    seine Gegner meinen. Und wenn er gewi nicht dasLetzte ist, zu dem die theoretische Philosophie gelangenkann, so bezeichnet er seiner dogmatischen Fassungentkleidet einen notwendigen Durchgangsort undstellt auf alle Flle beachtenswerte und nicht von vorn-

    herein abzuweisende Probleme.Nach ihm, wie er in freilich reichlich metaphysischer

    Formulierung zuerst von Berkeley entwickelt, vonseinen modernen Nachfolgern wie J. St. Mil 1 , Laas,Mach, Vaihinger als idealistischer Positivismusweiter gefhrt worden ist, erschpft alles Sein, von

    dem ich wei, sich in seinem Empfundenwerden durch

    mich. Welches nun auchder genauere Sinn dieser an

    sich mehrdeutigen Formel ist, so ist zunchst ersicht-

    lich, da durch die Beschrnkung unseres Realittsbe-

    wutseins auf die Empfindung die Bedeutung der logi-schen Prinzipien fr die Konstitution unserer Erfah-

    rungswissenschaft und unseres Begriffes einer objek-

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    Sein und Empfindung. 33

    tiven Welt keineswegs eingeschrnkt wird. Die Einsicht,da durch die Beziehung des Erkenntniszusammenhangesauf die Empfindung er nicht nur die Determination, wel-che Erkenntnis erst als ein bestimmtes System begrn-det, sondern auch einen neuen, gerade fr das Realitts-

    bewutsein entscheidenden Charakter erhlt, lat die

    Objektivitt der Erkenntnis unangefochten. Diese Ob-jektivitt grndet in eigenen und zwar zeitlosen Ge-

    setzen ; und kein Begriff von Wirklichkeit kann diesenGesetzen entzogen gedacht werden. Aber aus ihnenallein lt sich nicht hinreichend bestimmen, was derSinn der Wirklichkeitsurteile in unseren Erfahrungs-

    wissenschaften ist. Indem sie Urteile sind, unterliegensie natrlich den Bedingungen gltigen Urteilens ber-haupt ; und insofern sie eine Beziehung des Denkensauf Empfindung einschlieen, unterliegen sie den Be-dingungen alles beziehenden Wissens. Aber zunchstist schon das Auftreten von Wahrnehmungselementenaus den Bedingungen objektiv gltigen Urteilens nichtabzuleiten, und schon darum enthalten die Realurteilemehr als eine blo begriffliche Beziehung. Und sodannliegt in dem Bezug auf die Empfindung mehr als ledig-lich die Erfassung einer neuen logischen Dimension.

    Natrlich entspringen hier eine Reihe eigener und nochlngst nicht hinreichend untersuchter logischer Pro-

    bleme ; denn mit Rcksicht auf die in den Prinzipiender Objektivierung enthaltenen Bedingungen treten wohlunterscheidbare Postulate fr die Bildung des Wirklich-keitsbegriffes auf, welche diesen, gem den Zielen derErkenntnis und ihren Methoden, gestalten und differen-

    ziieren. Die Beziehung von Form und Materie der Er-kenntnis ist in der Tat eine logische, brigens fr die

    einzelnen Wissensgebiete verschieden zu bestimmendeKorrelation. Aber so wichtig alles das ist, solange essich nur um die Analyse der Erkenntnis der Wirklich-keit handelt, so ist doch nicht zu bersehen, da durch

    Frischeisen-Khler, Das Realittsproblem. 3

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    34 Sein und Empfindung.

    den Bezug des Denkens auf Empfindung zugleich aucheine Erweiterung unseres Bewutseins stattfindet, unsergesamtes Erfahrungswissen mit etwas verknpft wird,

    das uns in einer anderen als blo urteilsmigen Formzugnglich ist. Die neue logische Dimension lt unsvom Standpunkte der Erkenntnis aus auf einen Unter-grund blicken, der als solcher nicht-logischer Natur

    ist, und durch welchen das Erkenntnisgefge, soweit

    es auf diesem Untergrund aufgebaut ist, eine neue Quali-tt erhlt. Hier wird neben dem Objektivittsbegriff et-was anderes als sinnliches Bewutsein sichtbar, das nunin ein Verhltnis zu dem Objektivittsgedanken trittDadurch aber erhalten die Realittsurteile, in denen

    dieses Verhltnis zum Ausdruck kommt, und erhltweiter das gesamte System der Objektivitt durch diese

    Realittsurteile Anteil an dem spezifischen Charakterdes sinnlichen Bewutseins. So wird der kritische

    Grundgedanke, welcher die Lehre von der Objektivittbeherrscht, nirgends durch den Rckgang auf die Em-pfindung erschttert, vielmehr nur ergnzt.

    Aber nun kommt alles darauf an, dieses sinnlicheBewutsein richtig zu erfassen. Und da gilt es vor-zglich, die Bestimmung seines Charakters von allen

    naturwissenschaftlichen, psychologischen und auch meta-physischen Deutungen, kurz von allen Fassungen, die

    der objektivierenden Bearbeitung entspringen, frei zu

    halten. Der Einwand der Subjektivitt, welche den Em-pfindungen zukommen soll, durch die sie angeblich un-geeignet zum Eckstein des wissenschaftlichen Gebudeswerden, entspringt nun offensichtlich einer solchen theo-

    retischen Umarbeitung, gibt also keineswegs den reinenCharakter des Empfundenen wieder. Eine genauereUntersuchung zeigt, da in der Lehre von der Subjek-tivitt der sinnlichen Empfindungen mehrfaches ver-mischt ist, das zu trennen gerade fr die vorliegende

    Frage unbedingt erforderlich ist.

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    Sein und Empfindung. 35

    Zunchst ist gewi, da diese Lehre, wie sie im

    Zusammenhang mit der Theorie der spezifischen Sinnes-energien historisch hervorgetreten ist, ihrem logischen

    Wert nach eine Hypothese darstellt, welche nur imRahmen eines objektiven Weltbildes mglich ist. Dadie von mir empfundenen Empfindungen mir und nur

    mir zugehren, da sie Produkt meiner psycho-physi-

    schen Organisation oder Erzeugnis meines Geistes sind,

    kann immer nur nach vollzogener Unterscheidungdes

    individuellen Subjektes von den ueren Reizursachen

    mit Sinn behauptet werden. Die Subjektivitt der Em-pfindungen in diesem Verstnde scheidet, weil sie be-

    reits einen dogmatischen Charakter aufweist, aus kriti-

    schen Untersuchungen aus. Obendrein ist sie, auch nur

    als Hypothese ausgesprochen, im hchsten Grade an-

    fechtbar, ja eigentlich durch den Gang der Wissenschaftselbst schon widerlegt. Wenn es eine Zeit gab, inwelcher die Empfindung vllig von der supponierten

    Auenursache getrennt und als ein freies Erzeugnis des

    schpferischen Subjektes betrachtet wurde, so ist in

    den groen Arbeiten von Helmhol tz jedenfalls derUmschwung der Auffassung schon erkennbar, und wennHelmholtz auch noch in bezug auf die Modalitt derEmpfindungen einigen Vorbehalt machte, so tritt beiihm um so entschiedener die Tendenz hervor, die Emp-findung nach allen ihren sonstigen Bestimmungsstcken

    durch den Reiz (und nicht durch die Natur des Subjek-

    tes) bedingt zu_denken. Damit aber wird die Empfin-

    dung grundstzlich wenigstens wieder dem Zusammen-hang des Naturgeschehens eingeordnet, aus welchem sie,

    in den Anfangstagen der neuerenNaturwissenschaft, zur

    reinlichen Erkenntnis des objektiven Naturgeschehens

    eliminiert war. Trifft dies zu, dann ist der Schlu nicht

    mehr unberechtigt, da wir bei dem Rckgang auf dieEmpfindung keineswegs der Subjektivitt berantwortet

    werden. Wir erfassen auf Grund einer mglichen Vor-3*

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    36 Sein und Empfindung.

    stellungsweise dann in den Empfindungen gewisser-

    maen einen Zipfel der ber die Sphre des Subjektivenhinausreichenden Wirklichkeit. Und wie weit der unszugngliche Teil dieser Realitt auch hinreichen mag,darauf eine Wissenschaft vom Ganzen zu grnden, somchte er doch gengen, um eben mit dieser Erfassunguns das Bewutsein von Wirklichkeit berhaupt zu ge-

    whren. Hiermit stimmt berein, da die objektive

    Wissenschaft von der Natur tatschlich von den von unsindividuell erlebten Empfindungen nicht so losgelstist, wie es auf den ersten Augenblick erscheinen mag.Unzweifelhaft ist, da ihre Gesetze nicht von den Emp-findungen a, b, c u. s. w., sondern von Elementen a. lyb lf q gelten, die niemals mit a, b, c zusammenfallen.Aber ebenso unzweifelhaft ist, da zwischen a, b, cu. s. w. einerseits und a l5 b 1} c x u. s. w. andererseits

    ein gesetzlicher Zusammenhang bestehen mu, der inder Sonderung der Disziplinen sogar zum Gegenstandder Untersuchung fr eine besondere Wissenschaft, der

    Psychophysik,

    geworden ist. Man darf nicht aus demWissenschaftsganzen eine Disziplin herausnehmen und,

    wenn es sich um die Wrdigung der Grundlage unseresgesamten Weltbildes handelt, die kunstgeme Isolie-

    rung, welche etwa die theoretische Physik bewahrenmu, als Ausdruck des wissenschaftlichen Verfahrens

    berhaupt hinstellen. Wenn die theoretische Physik vonden individuellen Sinnesempfindungen absieht und diese

    als fr die Konstruktionen des Gesetzeszusammenhanges

    der Auenwelt nicht in Betracht kommend, sie demempfindenden Individuum zuweist, so fallen sie darumkeineswegs berhaupt aus der Natur aus. Jeder Schritt,

    durch welchen sich die theoretische Physik von den

    angeblich rein subjektiven und anthropologischen Ele-

    menten befreit, fordert eine gesetzliche Beziehung der

    von diesen Elementen befreiten Ergebnisse zu ihnen,

    fordert eine Ergnzung der theoretischen Physik durch

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    Sein und Empfindung. 37

    eine Wissenschaft, welche diese Beziehungen erforscht.

    Wir sind in dem Aufbau unseres Weltbildes nun einmalan Sinnesempfindungen gebunden und mssen daher,wie weit wir uns auch von ihnen im einzelnen entfernen,am Ende doch stets den Weg zu ihnen zurck wiederfinden knnen.

    So ist die Subjektivitt der Empfindungen nicht sobedrohlich, als da sie die bisherigen Errterungen

    ernsthaft in Frage stellen knnte. Nur wenn die Emp-findung als ausschlieliches Produkt unserer Psyche, als

    eine Schpfung aus dem Nichts dargetan werden knnte,wrde der Rckgang auf sie zu dem psychologischenId ealismus fhren. Aber dies ist eine durchaus dogma-tische Behauptung, die von allen Seiten mit Recht an-

    gefochten werden kann ; daher ist mit ihr nichts zubeweisen ; und wenn wir auf die Empfindung zur Auf-klrung unseres Realittsbewutseins zurckgreifen, ist

    damit noch in keinem Sinne eine Entscheidung ber

    den Gegensatz von Idealismus und Realismus getroffen.Nur da im Empfindungsbewutsein uns etwas gegebenist, das notwendig neben den logischen Grundlagen als

    ein selbstndiges Ferment angezogen werden mu undzwar als ein Ferment, das in einer wesentlichen Hin-

    sicht unseren Begriff von Realitt formiert, sollte dar-getan werden. Denn in diesem Empfindungsbewutseinerschliet sich uns jedenfalls etwas, das auch als ein

    Sein angesprochen werden kann. Es ist zwar nur ein

    bewutes Sein, aber doch seinem Wesen nach etwas vondem idealen Sein grundstzlich Verschiedenes. Es wirdnicht gemeint , sondern vorgefunden ; wir werden

    seiner unmittelbar, d. h. nicht durch objektivierendeFunktionen vermittelt, inne. Und dies gilt nicht nur vondem Empfindungsbewutsein. Es ist ein geschichtlicherVerdienst des psychologischen Idealismus in allen seinen

    Ausprgungen, die Empfindung als Quelle eines selb-

    stndigen Seinsbegriffes herausgearbeitet zu haben

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    38 Sein und Empfindung.

    seine Einseitigkeit ist, da er dabei vorwiegend allein

    sich auf die Empfindung und nicht auf das Bewutseinschlechthin sttzt. Kann durch Analyse der gegenstnd-lichen Erkenntnisbedingungen gezeigt werden, wie die

    Empfindung eine eigenartige und durchaus selbstndigeUnterlage fr den Aufbau unseres Erfahrungswissensbildet, dann lt sich in der Erweiterung des Gedanken-

    ganges ein gleiches nun fr das gesamte Bewutsein

    nachweisen. Historisch ist sogar der Nachweis des Seins

    des Bewutseins in seiner allgemeinen Form frherhervorgetreten. Denn die berhmte Argumentation desDescartes luft schlielich auf die Einsicht hinaus,da das Denken des Seins selbst ein Sein ist, das seine

    vllige Verschiedenheit von dem gedachten Sein dadurchdokumentiert, da es auch bei einer Verneinung dieses

    nicht aufgehoben, sondern im Verneinungs- resp. Zwei-

    felsakt erfahren wird ; daher es nicht als logische, wohlaber als tatschliche Voraussetzung jedes mglichen

    Zweifeins seiner selbst gewi ist. Der universale Zwei-

    fel beweist zwar nicht die Realitt der denkenden Seele

    aber er erhellt schlagend den Unterschied zwischen

    Denkinhalt und der unmittelbar gegebenen Bewut-

    seinsbestimmtheit und die Unmglichkeit ihrer Rckfh-

    rung aufeinander. Als Zweifel setzt er logisch, wie an-fangs hervorzuheben war, einen Begriff von Wirklich-

    keit voraus, den es vielmehr erst zu gewinnen gilt

    aber diese dialektische Zuspitzung soll in letzter Hin-

    sicht auch nur das wirksamste Motiv zu der Selbstbesin-

    nung sein, die in allen Bewutseinserscheinungen, nicht

    nur in dem Akt des Zweifeins, eines Gegebenen innewird, ber das kein Streit sein kann, weil es nicht als

    Gedachtes, sondern als Gegebenes erfahren wird. Dieses

    Faktum mu sogar von dem logischen Idealismus zu-gegeben werden, fr welches er den Grenzbegriff der

    Bewutheit geprgt hat. Aber das Entscheidende ist

    nun, da dies Faktum zum Ausgangspunkt einer Reihe

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    Sein und Empfindung. 39

    eigener und eigentmlicher Begriffe wird, von denen

    der des bewuten Seins selbst fr die Errterung desRealittsproblems von grundlegender Bedeutung ist.

    Als sein allgemeinstes Merkmal kann im Unter-schied von dem Begriff des idealen Seins die Zeiter-fllung angesehen werden. Das ideale Sein ist als sol-ches in keiner Zeit ; das Bewutsein dagegen besitzt,

    mit Henry Bergson zu reden, stets eine wahreDauer , die freilich von mathematischen Zeitbestimmun-

    gen sorgfltig zu unterscheiden ist und unterschieden

    werden kann.Kehrt man von dieser allgemeinen Begriffsbestim-

    mung zu dem Problem der Empfindung zurck, so istallerdings zutreffend, da die eingewandte Subjektivitt

    der Empfindungen doch auch etwas Berechtigtes enthlt

    die Empfindung als solche ist uns nur als Bewutseins-

    Tatsache zugnglich und mu daher als Bewutseins-inhalt bezeichnet werden. Die Empfindung berschrei-tet nicht die Grenzen des bewuten Seins. Aber dieses

    bewute Sein, dessen Bestimmtheit die Empfindung ist,braucht nicht als individuelles Bewutsein gedeutet zu

    werden. Strenggenommen ist eine solche Auffassungsogar unhaltbar. Denn in dem unmittelbaren Bewut-

    sein der Prsenz einer Empfindungist nichts von den

    individuellen Zgen enthalten, welche das individuelle

    Empfinden als individuelles auszeichnen. Die Erkennt-

    nistheorie hat fr den Allgemeinbegriff des Bewut-

    seins im Unterschied von dem individuellen Inhalt seitKant den Begriff des Bewutseins berhaupt ge-prgt, dessen richtige Bildung nicht angefochten werden

    kann. Da aber das Bewutsein berhaupt ein Faktorist, der bei allen Aussagen ber empfindbare oder er-

    fahrbare Inhalte auftritt, kann er wie eine Konstante

    behandelt und in der einzelnen Untersuchung auer Be-

    tracht gelassen werden. Daher besagt die Einsicht, nach

    welcher die Empfindung uns immer nur als Bewut-

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    40 Sein und Empfindung.

    seins-Tatsache gegeben ist, nichts fr den Ort der Em-pfindung und ihre Bedeutung fr den Aufbau unseresWeltbildes.

    Aber wichtiger ist nun ein Anderes. Wenn von derSubjektivitt der Empfindung die Rede ist, dann wirddabei nicht nur an die Beziehung auf das Bewut-sein berhaupt, sondern auch an die Beziehung auf dasempfindende Individuum gedacht, welche Beziehungauch ohne jegliche Introjektion der Empfindung in denEmpfindenden besteht. Empfindungen sind nicht ber-haupt gegeben, sondern immer nur mir und dir gegeben.Folgt nicht aber aus eben dieser Beziehung, welche manallgemein als das Prinzip der Relativitt der Empfin-dungcn bezeichnen kann (da sie doch immer nur rela-tiv zu einem psycho-physischen Subjekt erfahren wer-den) eine bedeutsame Einschrnkung in ihrer Verwer-

    tung fr eine Bestimmung des Wirklichkeitsbegriffes?Hier liegt in der Tat eine Schwierigkeit, aber eine

    Schwierigkeit, welche, richtig verstanden, das bisher ge-

    wonnene Ergebnis nicht aufhebt, sondern ergnzt undweiterfhrt.

    Aus der Einsicht, da die Empfindung nur als Tat-sache des Bewutseins gegeben ist, folgt nicht, da sieein blo individuelles Phnomen sei. Der Solipsismus,den man gelegentlich durch den Satz des Bewutseinsbegrndet glaubte, ist tatschlich keine notwendigeKonsequenz desselben, wenn man sorgfltig den Be-griff des Bewutseins berhaupt , der allein fr ihnin Betracht kommt, von dem Begriff des Bewutseinsals Summe individueller Erfahrungen sondert. Aber sowenig wie dieser Satz den Solipsismus einschliet,schliet er ihn aus. Die Abhngigkeit des Empfundenenvom Bewutsein berhaupt garantiert noch nicht eineempirische oder immanente Wirklichkeit, die von demindividuellen empfindenden Subjekt unabhngig ist.

    Es entsteht daher die Aufgabe, das Verhltnis des

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    Sein und Empfindung. 41

    Empfundenen zu dem Empfindenden nher aufzuklren.

    Wie nun die kritische Untersuchung nirgends dogma-tische Prmissen aufnehmen darf, kann sie dabei nicht

    den Begriff eines psycho-physischen Subjektes, der nur

    im Rahmen eines objektiven Weltbildes zulssig ist, vor-aussetzen. Somit ergibt sich die Frage, ob es mglich

    ist, in dem Empfindungsbewutsein noch vor aller Ob-jektivation und unabhngig von einer solchen Zge aus-findig zu machen, welche durch rein deskriptive Ermitte-

    lung die problematische Ichbeziehung erhellen.

    Eine solche liegt nun in der Tatsache vor, da alle

    Erfahrung uns nur als Ei generfahrung ge geben ist. Die

    Empfindungen schweben nicht sozusagen in der Luft,

    sondern sind, soweit sie wirklich empfunden werden,

    immer einzelnen Erfahrungskreisen eingeordnet. ber-blicke ich alles, was ich empfinde und erlebe, so bildetder Inbegriff dieser Daten fr mich eine Welt, die ich

    zwar nicht vollstndig, aber fr die vorliegende Errte-

    rung hinreichend durch das Merkmal ihrer schlechthinni-

    gen Abgeschlossenheit gegenber jeder mglichen Er-

    fahrungswelt eines fremden Erkenntnissubjektes charak-

    terisieren kann. Um jedes Miverstndnis auszuschlieen,mag ausdrcklich hervorgehoben werden, da diese

    phnomenologische Feststellung keinerlei Entscheidungber das Verhltnis von Ich und Auenwelt oder eine

    nhere Vorstellung des als Ich zu Bezeichenden ein-

    schliet; sie ist gegenber jeder mglichen Hypothese

    neutral. Mag das Ich als ein besonderer Komplex inner-halb der Erfahrungsdaten, mit denen die anderen in un-

    auflslicher Komplexion stehen, wie es z. B. Mach an-nimmt, aufgefat werden oder mag es als Trger gegen-ber allen Bewutseinsinhalten vorgestellt werden: all

    das ist hier zunchst gleichgltig. Und ebenso wird zumVollzug der Zuordnungs- und Vergleichsurteile, die er-

    forderlich sind, um meine Erfahrung als Eigenerfahrungzu erkennen und herauszuheben, keine Realbehauptung

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    42 Sein und Empfindung.

    ber das Vorhandensein von Fremderfahrungen voraus-

    gesetzt. So wenig die Erkenntnis, da unsere Weltnur

    eine unter den mglichen ist, die Existenz anderer Wel-

    ten einschliet, so wenig berschreite ich hier meine

    Eigenerfahrung, wenn ich den Gedanken einer Fremd-

    erfahrung einfhre. Daher ist dieser Satz von der Ab-

    geschlossenheit der Eigenerfahrung von jedem erkennt-

    nistheoretischen Standpunkt, auch von jedem Idealismus

    und Realismus, anzuerkennen.Fat man den Solipsismus nicht dogmatisch, be-

    schrnkt man ihn ausdrcklich auf den Satz von dertotalen Abgeschlossenheit der Eigenerfahrung, dann ist

    er, wie er mit keiner Theorie der Objektivitt in Kon-

    flikt gert, auch durch keine ihrer Fassungen zu wider-

    legen oder zu berwinden. Wiederum tritt hier schlagend

    hervor, wie Probleme, auf welche eine Zergliederung

    der Grundlagen der Erfahrungswissenschaft fhrt, durchblo logische Errterungen nicht erledigt werden kn-

    nen. Denn sofern alle Erfahrungswissenschaften an ein

    unmittelbar Erfahrbares und Gegebenes anknpfen, an-

    dererseits aber dieses unmittelbar Gegebene in verein-

    zelte Erfahrungskreise zerfllt, entsteht die Aufgabe, auf-

    zuklren, was die Setzung von Gegenstnden auerhalb

    der individuellen Erfahrungskreise berhauptbedeuten

    [ knne. Woher wei ich, da meine Erfahrung nur einAusschnitt aus einer allgemeinen Erfahrung ist, woher

    wei ich, da die Erfahrungskreise anderer Erkenntnis-

    subjekte neben dem meinigen bestehen? Ob die Weltmeine Vorstellung ist oder nicht: jedenfalls lebe ich

    nur in der mir zugnglichen Welt ; sie allein erfahre

    ich und ein Recht, ber sie hinausgehende reale Behaup-

    tungen auszusprechen, ist ohne weiteres nicht ersichtlich.

    Indem aber die Frage so gestellt wird, gewinnt das Re-

    alittsproblem eine bestimmtere Fassung als das Pro-

    blem der Auenwelt. Wenn in dem Bewutsein, dessenwir unmittelbar inne werden, ein seiner Substanz nach

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    Sein und Empfindung. 43

    von dem logischen Sein verschiedenes Sein sich er-

    schliet, dann ist damit zwar nur ein Ansatz zur Auf-klrung des in den Erfahrungswissenschaften verwen-

    deten Realittsbegriffes gewonnen. Aber nur von ihm

    aus ist eine fruchtbare Errterung desselben mglich.

    Es ist wiederum ein Verdienst des psychologischen Idea-

    lismus, diesen Tatbestand klar erkannt und herausge-

    arbeitet zu haben. Und wie weit er auch im Einzelnenfehlgegriffen und durch einen negativen Dogmatismus

    und die Beschrnkung der Errterung auf die Empfin-

    dung sich die Lsung abgeschnitten hat: die Frage nach

    dem Recht einer Setzung der Auenwelt ist nur vonseinem Standpunkt aus, der sich somit als ein notwen-

    diger Durchgangsort erweist, begrndet.

    Natrlich ist es jederzeit mglich, dieses Recht auf

    dem Wege einer Hypothese zu fordern. So haben denndie verschiedenen historisch hervorgetretenen Bemhun-gen, einen Beweis fr die Realitt der Auenwelt zu

    finden, welche zu setzen den Erfahrungswissenschaften

    unentbehrlich ist, ein intellektuelles Beweisverfahren ein-

    geschlagen. Es ist gleichgltig, welche logischen Motive

    herangezogen werden, um die Summe der Daten meinesErfahrungskreises durch Einordnung derselben in einen

    umfassenderen Erfahrungsbestand zu ergnzen. Mag ichmir etwa so die Auenwelt als ein System verharrender

    Teilbedingungen fr das Auftreten meiner Sinnenbilder

    oder sie erzeugender Ursachen oder wirksamer Krfte

    denken, so ist zweifellos, da wir damit unwidersteh-

    lich in den Bannkreis des logischen Idealismus zurck-

    verschlagen werden. Fhren wir ein reales Sein als

    denknotwendige Voraussetzung zur Erklrung der von

    uns unmittelbar erfahrenen sinnlichen Anschauung ein,

    so hat dieses reale Sein seinen Charakter von Reali-

    tt eingebt, insofern es als denknotwendige Voraus-

    setzung erscheint. Diese Voraussetzungen sind als freie

    Schpfungen der konstruierenden Wissenschaft anzu-

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    44 Sein und Empfindung.

    sehen, die gem den Prinzipien ihrer Konstruktion auch

    hier nur sich bettigt, Schpfungen, von denen nicht er-sichtlich ist, wie ihnen ein ber ihre methodische Be-deutung hinausreichender Wert zugesprochen werdenknnte. Nicht, da ihnen damit jede reale Bedeutungbestritten werden mte ; die Forderung knnte be-stehen, da ihnen, wenn sie auch nur als logisch un-entbehrliche Setzungen in unserem Wissenschaftszusam-menhange auftreten, ein reales Sein entsprechen sollte.Die wesentliche Schwierigkeit ist vielmehr, da die Vor-stellung eines solchen realen Seins, das nicht mit denempfundenen Erfahrungsdaten zusammenfllt, keinenangebbaren Sinn hat. Die Idee oder die Hypothese einerAuenwelt bleibt, wenn sie als Idee oder Hypothesewie immer auch gerechtfertigt wird, nur ein Gedanke.Der Theoretiker knnte sich vielleicht mit solchen ber-legungen zufrieden geben, da er, der in der Welt derGedanken lebt, in der Idee der Auenwelt, dieser Ur-hypothese, die hinreichende Grundlage seiner Arbeitfnde, die Grundlage, die keiner anderen als logischerRechtfertigung bedarf und durch eine solche alle wn-schenswerte Fertigkeit erhlt. Philosophisch angesehen,wrde das aber die Rckfhrung des Realittsproblems

    auf das der Objektivitt besagen. Solange nicht ange-geben werden kann, was die Einfhrung verharrenderTeilbedingungen, erklrender Ursachen, etc. mehr dennals logische Setzung bedeutet, verbleiben wir, ob wires anerkennen und aussprechen oder nicht, auf idea-listischem Standpunkt. Die Hypothese einer Auenwelterweitert nicht das erfahrene Sein, sondern unser Er-kenntnissystem, indem es demselben Einheit und Ab-schlu gibt. Das intellektuelle Beweisverfahren fr einvon den empfundenen Sinnesdaten unterschiedenes Seinerschpft seine Funktion innerhalb des Erkenntnis-systems, berschreitet dasselbe aber nirgends. Nur wennes mglich ist, durch Zergliederung des Empfindungs-

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    Sein und Wert. 45

    bewutseins die Eigenerfahrung zu erweitern, ist der

    Solipsismus, der durch keine wie immer begrndetelogische Konstruktion zu berwinden ist, aufzuheben,

    nur wenn das Eigenbewutsein selber uns ber seineSubjektivitt hinausfhrt, sind die Schranken seiner

    Verwertung fr eine zureichende Bestimmung unseresBegriffes von Realitt zu beseitigen. Was in dem psy-chischen Idealismus, sofern er seiner dogmatischen Fas-

    sung entkleidetist,

    anberechtigter phnomenologischer

    Einsicht enthalten ist, lehrt in der Tat, da von ihm

    aus eine befriedigende Grundlegung der Erfahrungs-wissenschaften nicht zu gewinnen ist. Aber das heit

    nicht, da wir nunmehr wieder auf den Standpunkt derReflexion zurckgeworfen wren. Es mu vielmehr dieFrage erhoben und errtert werden, ob Empfindung undDenken, die sich bisher als zwei selbstndige Wissens-

    quellen herausgestellt haben, die einzigen Erfahrungs-

    weisen sind, auf die wir zur Lsung des Realitts-

    problems angewiesen sind, ob nicht noch andere Er-

    fahrungsarten in Frage kommen und Bercksichtigungverdienen.

    4.

    Nach den an den Naturwissenschaften vorzglichorientierten erkenntnistheoretischen Richtungen ist Er-

    fahrung logische Verarbeitung des Empfundenen. Aber

    dieser Begriff der Erfahrung ist eng; zum mindestenumfat er nicht alle die Quellen, aus denen die groen

    geschichtlichen Schpfungen der Kultur, der Religionen

    und der metaphysischen Weltauffassungen, des Rechts

    undder Sittlichkeit, der Kunst u. s. w. hervorgegangen

    sind. Der historische Mensch ist nach Diltheys sch-nem Ausdruck ein lebendiges Geschpf, in dessen Adernwirkliches Blut und nicht nur der verdnnte Saft von

    Vernunft als bloer Denkttigkeit rinnt. So offenbart

    sich sein Wesen erst in der ganzen Flle der Leistun-

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    gen, die er hervorgebracht, lassen sich aus ihr erst die

    Zge in Gesamtheit gewinnen, die seinen Weltbegriffkonstituieren. Neben die kritische Untersuchung derGrundlagen einer mathematischen Theorie der Naturtritt die Analysis der Grundlagen des Rechts, der Kunst,der Religion u. s. w. Dem entspricht, da das Weltbildder neueren Zeit in der Universalitt all der geschicht-

    lichen Kulturschpfungen gefat sich keineswegs mit

    demgrauen,

    cimmerischenGespenst deckt, fr welches

    die Materialisten strengster Observanz Alleinherrschaftbeanspruchen. Es war eine bewundernswerte Leistungder mathematischen Naturwissenschaft, da sie die

    Natur, welche von allen Vlkern zu allen Zeiten als ein

    Lebendiges erfat und verstanden wurde, zu einemseelenlosen Mechanismus herabdrckte, sie, die von denWeisen des Orients wie von denen des Abendlandes ge-liebt und vergttert wurde, in ein System mathemati-scher Abhngigkeitsverhltnisse materieller Einheiten im

    Raum verwandelte. Aber so wenig war das Verlangendes Menschen, in der Welt Schnheit, Sinn und Seele zufinden, vielmehr in der ahnungsvollen Hingabe des Ge-mtes unmittelbar zu erfahren, zu ersticken, da imGegensatz zu der sieghaft fortschreitenden rationellen

    Naturerklrung eine Opposition sich dauernd erhielt undnach der ersten Bewunderung der groen Erfolge derneuen Wissenschaft von der Natur sich immer entschie-dener behauptete. Philosophen, Knstler, Mystiker ar-

    beiteten daran, die Tagesansicht der Natur , um mitFechner zu sprechen, gegenber ihrer Nachtansichtzu rehabilitieren, indem sie die Kunst etwa als ein eige-

    nes Organ des Weltverstndnissesentwickelten oder

    von dem moralischen Bewutsein aus dem Zugang zudem bersinnlichen Zusammenhang der Dinge suchten,welche die Oberflchenkonstruktion der Naturwissen-

    schaft nicht zu erfassen vermochte. Den Hhepunkt dersthetischen Weltinterpretation bildete Goethe; die

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    der moralischen Weltinterpretation gipfelte in Kant;schrnkte er in der Kritik der reinen Vernunft diemathematische Theorie der Naturwissenschaft auf die

    gedankliche Bearbeitung der Erscheinungen ein, so fand

    er von dem fr alle Vernunft gltigen Sittengesetz ausden Zugang zu der intelligiblen Welt der Freiheit. In

    der romantischen Philosophie vereinigten sich beide

    Strme zu dem grten und wirkungsreichsten Protest

    gegenber der engherzigen und leblosenWeltbetrach-

    tung vom Standpunkt der naturwissenschaftlichen For-schung aus.

    Es ist nun aber bemerkenswert, wie in diesen Be-

    wegungen immer deutlicher die Einsicht hervortrat, da,

    wenn wir nun von den geschichtlichen Kulturleistungenauf ihre Entstehung in unserem Geiste zurckgehen, wir

    zu elementaren Bewutseinsfunktionen gelangen, die

    nicht aus Empfinden und Denken allein sich zusammen-setzen. berblicken wir die Wissenschaft in ihrer ganzen

    Verzweigung, gehen wir auf den Grund der Religionen,

    des Rechtes und der. Kunst zurck, dann erffnen sich

    uns allerorten Quellen, aus denen wie aus unerschpflich

    flieenden Brunnen immer neues Leben strmt, das in

    den verschiedenen Kulturgebieten sich niedergeschlagen

    hat. In der Tat mu den objektiven Schpfungen einsubjektives Verhalten korrespondieren. Neben der mathe-

    matischen Konstruktion von Gegenstnden und Vorgn-

    gen im Raum, welche das Schema des naturwissenschaft-

    lichen Denkens ist, mu es andere Arten, den Gegen-stand aufzubauen und zu erfassen, geben. Das unmittel-

    bar Gegebene ist nicht so dumpf und zeigt nicht die

    Uniformitt des Gegebenseins,wie die intellektualisti-

    schen Theorien annehmen, da es vielmehr der Analyse,

    nml