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Kinderalltag in Afrika Zwischen Fußballplatz, Klassenzimmer und Dorfbrunnen Regina Riepe Für fußballbegeisterte Kinder und Ju- gendliche dreht sich in ein paar Wochen alles um die Weltmeisterschaft – und die ist in diesem Jahr in Südafrika! Schon seit Monaten wird darüber diskutiert, ob die Stadien fertig werden, das Hotel für „un- sere“ Nationalmannschaft auch gut genug ist und wer von den Spielern mitfahren darf. Doch gleichzeitig wird der Blick auf einen Kontinent gelenkt, von dem Kinder und Jugendliche bei uns nur wenig wis- sen. Bilder von afrikanischen Bauarbei- tern, die riesige Stadien bauen, finden sich genauso in den Zeitungen wie die von Obdachlosen, die aus den Innenstädten vertrieben werden. Es wird für Safaris in Südafrika geworben und über die Folgen von Aids diskutiert. Die Fußball-WM ist eine Chance – für UNS, weil sie neugierig auf Afrika macht! Sie ist der Anknüpfungspunkt, um nach dem Alltag von Kindern in unter- schiedlichen Regionen dieses Kontinents zu fragen: Wie sieht es wohl in einer afrikanischen Schule aus? Welche Musik hören die Jugendlichen? Wie leben die Jungen und Mädchen in ei- nem afrikanischen Dorf, wie in der Groß- stadt? Welche Probleme haben sie und welche Pläne für die Zukunft? Ausgangspunkt dieser Fragen ist natürlich – im Sinne des Globalen Ler- nens – immer das Leben der Kinder und Jugendlichen bei uns. Wenn sie „über den Tellerrand“ in eine andere Kultur schau- en, dann sehen sie auch den eigenen All- tag mit anderen Augen und entdecken vieles, was bisher selbstverständlich und unhinterfragt war. Die Vielfalt Afrikas entdecken Manche reden über „Afrika“ als ob es um das Münsterland ginge – dabei gibt es auf diesem riesigen Kontinent 53 Staaten, alle Klimazonen der Welt von der Wüste Sahara über den Regenwald des Kongo- beckens bis zum Mittelmeerklima Nord- afrikas. In Südafrika wird Wein angebaut und die Touristen fahren zum „Whale watching“, zum Wale gucken an die Küste. In Afrika stand die Wiege der Menschheit, darin sind sich die Wissen- schaftler heute einig. Und ohne den Roh- stoff Coltan aus den Kongo würden unse- re Handys nicht funktionieren. Eine sol- che Vielfalt an Kulturen, einen solchen Reichtum der Natur kann man in einem ganzen Menschenleben nicht erforschen, geschweige denn an einem Projekttag 2 FUgE-news Ausgabe 1/2010 So unterschiedlich kann man wohnen – in nur einem afrikanischen Land, in Mali: Gehöft der Dogon (oben), im Stadtzentrum von Bamako (Mitte), in der Kreisstadt Bandiagara.

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Kinderalltag in AfrikaZwischen Fußballplatz, Klassenzimmer und Dorfbrunnen Regina Riepe

Für fußballbegeisterte Kinder und Ju-gendliche dreht sich in ein paar Wochenalles um die Weltmeisterschaft – und dieist in diesem Jahr in Südafrika! Schon seitMonaten wird darüber diskutiert, ob dieStadien fertig werden, das Hotel für „un-sere“ Nationalmannschaft auch gut genugist und wer von den Spielern mitfahrendarf. Doch gleichzeitig wird der Blick aufeinen Kontinent gelenkt, von dem Kinderund Jugendliche bei uns nur wenig wis-sen. Bilder von afrikanischen Bauarbei-tern, die riesige Stadien bauen, finden sichgenauso in den Zeitungen wie die vonObdachlosen, die aus den Innenstädtenvertrieben werden. Es wird für Safaris inSüdafrika geworben und über die Folgenvon Aids diskutiert.

Die Fußball-WM ist eine Chance –für UNS, weil sie neugierig auf Afrikamacht! Sie ist der Anknüpfungspunkt, umnach dem Alltag von Kindern in unter-schiedlichen Regionen dieses Kontinentszu fragen:Wie sieht es wohl in einer afrikanischenSchule aus?Welche Musik hören die Jugendlichen?Wie leben die Jungen und Mädchen in ei-nem afrikanischen Dorf, wie in der Groß-stadt?Welche Probleme haben sie und welchePläne für die Zukunft?

Ausgangspunkt dieser Fragen istnatürlich – im Sinne des Globalen Ler-nens – immer das Leben der Kinder undJugendlichen bei uns. Wenn sie „über denTellerrand“ in eine andere Kultur schau-en, dann sehen sie auch den eigenen All-tag mit anderen Augen und entdeckenvieles, was bisher selbstverständlich undunhinterfragt war.

Die Vielfalt Afrikas entdecken

Manche reden über „Afrika“ als ob esum das Münsterland ginge – dabei gibt esauf diesem riesigen Kontinent 53 Staaten,alle Klimazonen der Welt von der WüsteSahara über den Regenwald des Kongo-beckens bis zum Mittelmeerklima Nord-afrikas. In Südafrika wird Wein angebautund die Touristen fahren zum „Whalewatching“, zum Wale gucken an dieKüste. In Afrika stand die Wiege derMenschheit, darin sind sich die Wissen-schaftler heute einig. Und ohne den Roh-stoff Coltan aus den Kongo würden unse-re Handys nicht funktionieren. Eine sol-che Vielfalt an Kulturen, einen solchenReichtum der Natur kann man in einemganzen Menschenleben nicht erforschen,geschweige denn an einem Projekttag

2 FUgE-news Ausgabe 1/2010

So unterschiedlich kann man wohnen – in nur einem afrikanischen Land, in Mali: Gehöftder Dogon (oben), im Stadtzentrum von Bamako (Mitte), in der Kreisstadt Bandiagara.

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oder in einer Unterrichtsreihe. Was alsokann nun „entdeckt“ werden? Wer mitStaunen feststellt, dass die üblichen Urtei-le und Bilder über den afrikanischen Kon-tinent zu sehr vereinfachen und merkt,dass man genau hinschauen sollte, vonwem in welchem Land und in welcher Si-tuation geredet wird, der hat schon dasWichtigste gelernt, was man über Afrikalernen kann!

Von Kochbananen und Jams-

knollen

Während in unseren Straßen China-restaurants und Mexikanische Grillstubenzur Normalität gehören und viele zum„Inder“ genauso selbstverständlich gehenwie zum „Italiener“, sind afrikanische Re-staurant eine Seltenheit. In Brüssel oderParis gibt es ganze Stadtviertel voll vonAfro-Shops und Restaurants, die nichtnur Migranten zu ihren Kunden zählen.Doch in den meisten deutschen Städtenmuss man schon eine Weile suchen, bisman Köstlichkeiten aus Afrika kaufen undprobieren kann. Es macht riesigen Spaß,mit Grundschulkindern tropischen Obst-salat zu schnetzeln und dazu Hirse zu ko-chen, weil nach anfänglicher Skepsis allebegeistert zugreifen. Noch interessanterwird es mit Jugendlichen, die bereits ver-innerlicht haben, dass Afrika ja der „Hun-gerkontinent“ ist und es logischerweisedort nichts Rechtes zu essen gibt. Vor 100Jahren galt Afrika als Inbegriff der tropi-schen Genüsse – man denke nur an die„Kolonialwaren“! Umso spannender ist es,

einmal eine riesige Jamsknolle in derHand zu halten, sie zu schälen, in Stückezu schneiden und zu frittieren. Wenn mandazu noch eine Soße aus Tomaten, Zwie-beln, Öl und Gewürzen macht, dann istdieses typisch afrikanische Essen nähr-stoffreich und lecker – und kommt ganzohne importierte Nahrungsmittel oderKonserven aus.

Ein Blick in afrikanische Küchen

wirft viele Fragen auf

Die Beschäftigung mit afrikanischenLebensmitteln und der Blick in eine Dorf-küche in Togo beispielweise wirft viele Fra-gen auf. Oftmals köchelt dort die Soße ineinem Topf auf dem offenen Holzfeuer.Der traditionelle Herd besteht dabei ausdrei Steinen. Die Beschaffung von Feuer-holz ist eine mühselige Arbeit – Aufgabeder Frauen und Mädchen, die stundenlangauf Holzsuche sind. In solch einer Küchesuchen deutsche Kinder vergebens nach

Wasserhahn und Spüle. Mit viel Glückgibt es einen Brunnen im Gehöft. Doch inden meisten Dörfern legen die MädchenKilometer zur nächsten Wasserstellezurück, um Wasser zum Kochen, Waschenund Spülen zu holen. Sie verrichten dabeischwere Arbeit – Kinderarbeit! – die keinerals solche bezeichnet, weil diese Mithilfeim Haushalt selbstverständlich ist. Dochanders, als wenn deutsche Kinder dieSpülmaschine ausräumen oder Staubsau-gen ist diese Mitarbeit im Haushalt sehrzeitintensiv und hindert die Mädchen dar-an, zur Schule zu gehen. Wie soll die Mut-ter all die körperlich schwere Hausarbeitschaffen, dazu noch nach den kleinen Ge-schwistern und den Alten schauen undnatürlich noch die Felder bestellen?

Schule – Start in eine bessere

Zukunft oder Sackgasse?

Auch wenn Jungen und Mädchen beiuns oft stöhnen, wenn wieder einmal eine

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Wasserholen ist Schwerstarbeit – und Mädchensache!

Blick in eine traditionelle Küche in Togo.

Wer wissen will, wie Kinder in Afrika leben,sollte mit offenen Augen hinschauen undsich überraschen lassen!

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Klassenarbeit ansteht oder das Aufstehenmorgens besonders schwer fällt – nie-mand könnte sich ernsthaft ein Leben oh-ne Schule vorstellen. Denn Schule bedeu-tet ja auch, spannende Dinge lernen, mitden Freunden auf dem Schulhof spielenund Erfolg haben.

Obwohl in allen afrikanischen StaatenSchulpflicht herrscht, das Schulsystem oftanalog zum englischen oder französischenaufgebaut ist und eine 7-jährige Primar-stufe vorsieht, so gehen in der Realität vie-le Jungen und Mädchen nicht zur Schule.

Die Schulwege sind weit, arme Elternkönnen das Geld für Hefte, Bücher undStifte nicht aufbringen. Und oft muss da-zu noch Schulgeld gezahlt oder eineSchuluniform gekauft werden. Wenn eineKlasse aus 80 Schülern und mehr besteht,die sich zu viert in eine Schulbank quet-schen, dann kann sich jeder ausmalen, wieschwer das Lernen fällt. Viele Kinderscheitern und verlassen die Schule nacheinigen Jahren, ohne Lesen, Schreibenund Rechnen zu können. Man kann sichvorstellen, dass Eltern nur selten bereit

sind, Geschwisterkinder zur Schule zuschicken, nachdem die Älteren gescheitertsind. Vor allem, wenn zu Hause jedeMenge Arbeit wartet und die Kinder alsStraßenhändler etwas Geld für die Familieverdienen könnten. Während in dengroßen Städten über 90 % der Kinder ei-ne Schule besuchen und die Kinder derOber- und Mittelschicht selbstverständ-lich auf möglichst guten Schulen gehenund vielleicht noch im Ausland studieren,wächst auf dem Lande und in der städti-schen Unterschicht eine ungebildete Ge-neration heran. Wer nicht lesen undschreiben kann, ist von vielem ausge-schlossen. Er lässt sich leichter einschüch-tern und wird beispielsweise vom Aufkäu-fer seiner Baumwoll- oder seiner Kakao-ernte genauso übers Ohr gehauen wie beider Kreditvergabe. Und einen einiger-maßen bezahlten Job bekommt nur, werlesen, schreiben und rechnen kann!

„Und was sind deine Hobbys? –

MUSIK!“

Die Antwort auf diese Frage könntevon Jugendlichen in Hamm, in Paris oderin Johannesburg stammen. Einige meinendamit, dass sie selbst Musik machen –vielleicht Gitarre spielen oder trommeln.Die meisten fangen dann jedoch an, vonihren Lieblingsbands zu sprechen, Songs,nach denen man tanzen oder abschlaffenkann, Rhythmen, die den Alltagsfrust ausdem Kopf vertreibt.

Afrikanische Musiker haben sich seitLangem einen Platz im internationalenMusikgeschäft erobert. Rokia Traoré, SalifKeita, Manu Dibango oder Miriam Ma-keba, um nur einige zu nennen, sind in-ternationale Stars, die nicht nur in ihrerHeimat verehrt werden. Oft sind sie dortjedoch von besonderer Bedeutung. Mi-riam Makeba hat sich für das Ende derApartheit in Südafrika eingesetzt, RokiaTraoré und Salif Keita singen für Toleranzund gesellschaftliche Veränderungen inihrer Heimat Mali. Bei uns unbekannteRapper geben dem Protest der Jugendli-chen eine Stimme gegen eine Gesellschaft,die nur die eigenen Pfründe verteidigtund ihnen keine Chance gibt.

Neugierig auf Afrika?

Afrika ist mehr als Fußball, mehr alsMusik oder wilde Tiere, obwohl es allesdas auf diesem riesigen Kontinent gibt.Und auf jeden Fall lässt es sich nicht aufKriege, Katastrophen und Korruption re-duzieren. Die Fußball-WM in Südafrikaist eine Gelegenheit, genauer hinzu-schauen und das Angebot von Büchern,Filmen und Ausstellungen rund um Afri-ka und den Alltag der Menschen zunutzen.

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Sich hier zu konzentrieren und zu lernen ist eine Meisterleistung!

Solch einen CD-Laden wie indieser Kleinstadtin Togo findetman überall! DieCDs sind selbstgebrannt unddeshalb für jedenerschwinglich.Für die Künstlerbedeutet es je-doch, dass sie kei-ne Tantiemen be-kommen.

Chips kann man auch aus Bananen machen.