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Fundstücke – eine Begegnung mit Isa Hahn, der Tochter von Wolskes Co. – Von Brigitte Kühnert Sie wolle erst einmal die Halle sehen, war ihre Reaktion, als ich ihr unterbreitete, dass ich ein Interview mit ihr führen möchte. Sehr vernünftig, man sollte schon wissen, wovon man spricht. Und es geht um die Beethovenhalle und um Isa Hahn, die Tochter von Helmut Hahn, dem Architekten und Mitarbeiter von Siegfried Wolske. Die Führung hat inzwischen stattgefunden, und nun lädt sie mich ein in ihr Elternhaus, das ihr Vater 1964 – kurz nach dem Bau der Beethovenhalle – im Bonner Norden baute. Das Haus liegt jetzt in einer Einfamilienreihenhaussiedlung, damals noch auf der grünen Wiese. Dort bauten zusammen mit ihm noch zwei weitere Architekten aus dem Hochbauamt, wo Hahn nach der Fertigstellung der Beethovenhalle 1959 eine Stelle angetreten hatte. Die Luft ist mild und duftet nach Blumen und Baumblüte, und das Haus ist schnell gefunden. Vor der Türe hängen … Socken? Isa Hahn erwartet mich, ohne dass ich klingeln muss. Sie trägt türkisfarbene Ohrringe, Fische mit Metallspiralen, die sich in ihren zusammengebunde- nen dunkelblonden Haaren verfangen haben. Ihre olivgrünen Augen harmonieren mit einem olivgrünen Pulli, der in Kontrast zu einem gefilzten türkisfarbenen Pullunder steht. Eine har- monische Dissonanz! „Eigentlich wollte ich gar nicht nach Bonn zurückkehren. Aber nach dem Tod meiner Mutter vor dreieinhalb Jahren habe ich mir alles angesehen und bin dann geblieben“, erzählt sie. Isa Hahn hat als junge Studentin Bonn verlassen, um in München Kunst zu studieren. Sie blieb dann aus privaten und beruflichen Gründen in Süddeutschland und arbeitete als Künstlerin und Kunsttherapeutin, gründete eine Familie und hat eine Tochter. Der Vater starb schon 1982, noch jung, mit 61 Jahren. „Nach meiner Rückkehr vor zwei Jahren wollte ich eine Aus - stellung mit den Kunstwerken meines Vaters machen. Diese Ausstellung fand in kleinem Rahmen als Hommage an meinen Vater im Elternhaus statt“, fährt sie fort. Die Bilder hängen schön gerahmt alle noch nebeneinander, viele florale Motive, dem Titel „Blütenblätter“ zuge- ordnet. Helmut Hahn wurde am 3. Juli 1921 in Chemnitz geboren und studierte von 1946 bis 1951 Architektur mit Diplomabschluss an der Freien Universität Berlin. Er arbeitete seit 1953 als Mitarbeiter des Architekturbüros Wolske & Co. in Oberhausen. 1955 gewinnt das Büro die Ausschreibung für die Beethovenhalle, und Hahn kommt wegen des Baus der Beethovenhalle 1956 nach Bonn. Wenn sie von ihrem Vater spricht, dann mit Anerkennung und Respekt. Er war begeisterter Radfahrer, ein Auto war im Hause Hahn tabu, ebenso wie lange Jahre das Fernsehgerät. Von seinen Touren brachte er Fundstücke mit, aus denen er Skulpturen fertigte: Treibgut vom Rheinufer oder auch der Rand eines vermutlich vom Blitz getroffenen und ausgebrannten Baumstamms, den er auf einer Skiwanderung entdeckte und mühsam zum Bearbeiten nach Bonn verfrachtete. Er existiert noch und schmückt – auseinandergeklappt – den Flur des Hauses und auch vor dem Haus und an der hinteren Gartenmauer hängen sie, diese aus Fundstücken entstandenen Plastiken, die aussehen wie Schinken und … Socken!

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Fundstücke– eine Begegnung mit Isa Hahn, der Tochter von Wolskes Co. –

Von Brigitte Kühnert

Sie wolle erst einmal die Halle sehen, war ihre Reaktion, als ich ihr unterbreitete, dass ich ein Interview mit ihr führen möchte. Sehr vernünftig, man sollte schon wissen, wovon man spricht. Und es geht um die Beethovenhalle und um Isa Hahn, die Tochter von Helmut Hahn, dem Architekten und Mitarbeiter von Siegfried Wolske.

Die Führung hat inzwischen stattgefunden, und nun lädt sie mich ein in ihr Elternhaus, das ihr Vater 1964 – kurz nach dem Bau der Beethovenhalle – im Bonner Norden baute. Das Haus liegt jetzt in einer Einfamilienreihenhaussiedlung, damals noch auf der grünen Wiese. Dort bauten zusammen mit ihm noch zwei weitere Architekten aus dem Hochbauamt, wo Hahn nach der Fertigstellung der Beethovenhalle 1959 eine Stelle angetreten hatte.

Die Luft ist mild und duftet nach Blumen und Baumblüte, und das Haus ist schnell gefunden. Vor der Türe hängen … Socken? Isa Hahn erwartet mich, ohne dass ich klingeln muss. Sie trägt türkisfarbene Ohrringe, Fische mit Metallspiralen, die sich in ihren zusammengebunde-nen dunkelblonden Haaren verfangen haben. Ihre olivgrünen Augen harmonieren mit einem olivgrünen Pulli, der in Kontrast zu einem gefilzten türkisfarbenen Pullunder steht. Eine har-monische Dissonanz!

„Eigentlich wollte ich gar nicht nach Bonn zurückkehren. Aber nach dem Tod meiner Mutter vor dreieinhalb Jahren habe ich mir alles angesehen und bin dann geblieben“, erzählt sie. Isa Hahn hat als junge Studentin Bonn verlassen, um in München Kunst zu studieren. Sie blieb dann aus privaten und beruflichen Gründen in Süddeutschland und arbeitete als Künstlerin und Kunsttherapeutin, gründete eine Familie und hat eine Tochter. Der Vater starb schon 1982, noch jung, mit 61 Jahren. „Nach meiner Rückkehr vor zwei Jahren wollte ich eine Aus-stellung mit den Kunstwerken meines Vaters machen. Diese Ausstellung fand in kleinem Rahmen als Hommage an meinen Vater im Elternhaus statt“, fährt sie fort. Die Bilder hängen schön gerahmt alle noch nebeneinander, viele florale Motive, dem Titel „Blütenblätter“ zuge-ordnet.

Helmut Hahn wurde am 3. Juli 1921 in Chemnitz geboren und studierte von 1946 bis 1951 Architektur mit Diplomabschluss an der Freien Universität Berlin. Er arbeitete seit 1953 als Mitarbeiter des Architekturbüros Wolske & Co. in Oberhausen. 1955 gewinnt das Büro die Ausschreibung für die Beethovenhalle, und Hahn kommt wegen des Baus der Beethovenhalle 1956 nach Bonn.

Wenn sie von ihrem Vater spricht, dann mit Anerkennung und Respekt. Er war begeisterter Radfahrer, ein Auto war im Hause Hahn tabu, ebenso wie lange Jahre das Fernsehgerät. Von seinen Touren brachte er Fundstücke mit, aus denen er Skulpturen fertigte: Treibgut vom Rheinufer oder auch der Rand eines vermutlich vom Blitz getroffenen und ausgebrannten Baumstamms, den er auf einer Skiwanderung entdeckte und mühsam zum Bearbeiten nach Bonn verfrachtete. Er existiert noch und schmückt – auseinandergeklappt – den Flur des Hauses und auch vor dem Haus und an der hinteren Gartenmauer hängen sie, diese aus Fundstücken entstandenen Plastiken, die aussehen wie Schinken und … Socken!

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Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Dazwischen türkis angemalte Flächen, Steine im Gartenweg, der Sägeschnitt von Aststümpfen, es ist die Farbe der Tochter, die sie überall verteilt, auch in der Natur.

Es gibt frischen Tee aus Gartenkräutern, sehr zitonig, ingwerich, sehr lecker. Dazu, auf Wunsch, selbstgebackene Muffins oder – alternativ – getrocknete Mangoscheiben und Bitter-schokolade mit Chili.

Das Haus ist in Ständerbauweise konstruiert und für die damalige Zeit erfreulich gut ge-dämmt. An die Beethovenhalle erinnern zwei kleine Zimmer mit Dachschräge, deren Decken im Blau der Beethovenhalle gehalten sind, so wie sich Isa Hahn erinnern kann, sollte das Blau die niedrige Decke höher erscheinen lassen. Die Wände sind – im Gegensatz zur Beet-hovenhalle – allesamt im rechten Winkel, Hahn war Purist und stand dem Bauhausgedanken nahe. Dafür ist das Organische Bauen bei der Einbeziehung der Natur in den Wohnraum durchgehalten: große Glasfenster bis zum Boden, die den Garten in den Wohnraum einfließen ließen, wenn Isa Hahn nicht inzwischen einige Fenster mit transparentem Stoff abgedeckt hätte; ihr war das zu offen.

Die Fische haben sich inzwischen aus den Haaren befreit, sie baumeln vergnügt, und man könnte sich vorstellen, wie sie sich in einem kleinen Bassin austoben, vielleicht einem türkis-gekachelten, aus kleinen italienischen Mosaiksteinchen?

„Wie war Ihre Reaktion, als sie hörten, dass die Beethovenhalle abgerissen werden soll?“, möchte ich von ihr wissen. „Ich war entsetzt!“, antwortet sie. „Die Beethovenhalle, da war auch immer ein Gefühl von Stolz in unserer Familie, wenn von ihr die Rede war. Viele famili -äre Feste wurden im Restaurant der Beethovenhalle, dem heutigen DaCapo, gefeiert. Was mir an ihr besonders gefällt, ist die bewusste Reduzierung und Steigerung beim wohl über-legten und akzentuierten Einsatz von Materialien. Und ganz toll, vom Rhein aus die Ansicht! Die Beethovenhalle gehört einfach unverzichtbar zur Silhouette von Bonn.“

Als sie hörte, dass es eine Gruppe von Leuten gibt, die sich gegen den Abriss wehrt, be-schloss sie, diese zu unterstützen. „ Es ist einfach nicht bürgernah, wenn so erbärmlich an den falschen Stellen gespart wird. Da hat mich auch die Reaktion bei Stuttgart 21 so gefreut, denn ein Baudenkmal muss gut gepflegt werden“, zeigt sie sich überzeugt.

Sie kann sich nicht richtig erinnern an Siegfried Wolske, aber beim Bau der Beethovenhalle war sie auch noch sehr klein, und danach ist ihr Vater ins städtische Bauamt gewechselt. Dass Wolske auch eine Tochter hatte, davon wusste sie nichts; aber dass diese Isis heißt wie die altägyptische Göttin, das überraschte sie doch sehr. Schließlich ist ihr eigener Name doch sehr ähnlich: Isa. Und dieser ist die moslemische Bezeichnung für Jesus. Wer weiß, welche Hahnenkämpfe unter den beiden Jungspunden ausgetragen wurden? Wolske war erst 28 und Hahn 33 Jahre alt, als sie den Wettbewerb gewannen.

Als ich so nebenbei auf die Unterschutzstellung des Geländes als Bodendenkmal verweise, erinnert sie sich, dass ihr Vater einmal während der Bauarbeiten einen Krug mitgebracht hat, den er behalten durfte, weil er wohl unbedeutend und nicht so wertvoll sei. Es handelt sich dabei um ein ungefähr 20 Zentimeter großes Gefäß aus dunklem, anthrazitbraunem Ton mit Henkelansatz. Frau Hahn ist überrascht, als ich ihr berichte, dass es in vielen Baustellen zu erheblichen Verzögerungen der Bauarbeiten kommt wegen der noch unberührten Boden-schichten und vieler Bodenfunde im Bereich des Römerkastells und entlang des Rheinufers, wie zum Beispiel auf dem Baugrundstück für die „Rheinlogen“ am Brassertufer.

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Ich treffe Isa Hahn wieder. Sie hat mich eingeladen zu einer liturgischen Aufführung der Markus-Passion von Johann Sebastian Bach. Sie singt in der Auerberger Kantorei. Auch die-ser Kontakt ist irgendwie über ihren Vater zustande gekommen. Helmut Hahn hat von 1980 bis 1982 eine Krippenskulptur geschaffen: eine kubistische Darstellung der Weihnachtsszene, bei der die Gruppe der biblischen Akteure von den Lichtstrahlen des Sterns zu einer beein-druckenden Holzplastik verbunden wird. Hahn zeichnete, malte und arbeitete bildhauerisch bis kurz vor seinem Tod an dieser circa 1 x 1 x 1 Meter großen Holzplastik, die er der Lukas-kirchengemeinde für das Gemeindeforum Auerberg vermachte. Hier wurde sie nach Jahren vernachlässigt und beschädigt in der Tiefgarage vorgefunden. Isa Hahn restaurierte das Kunstwerk 2009 im Auftrag der Gemeinde behutsam und liebevoll im Geiste ihres Vaters. Die Skulptur steht jetzt in einem Nebenzimmer ihres Hauses, ist aber weiterhin im Besitz der Lu-kasgemeinde und wird saisonal bedingt nur kurzfristig in der Lukaskirche zu besichtigen sein.

Das Konzert ist beendet, es war anstrengend. Ich bin erschlagen, Frau Hahn ist ergriffen. Die Fragmente der von Bach nicht komplett abgelieferten Markus-Passion wurden von Volker Bräutigam, der auch bei der Aufführung anwesend war, modernisierend ergänzt, für mich eine harmonische Dissonanz, für Frau Hahn wohl eher eine dissonante Harmonie. Auch hier wurden Fundstücke eines Meisters erhalten und durch zeitgemäße Wahrnehmung und Ge-staltung neu interpretiert. Eine Lösung auch für die Beethovenhalle?

Mai 2011

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