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Implikation der oben genannten Studie ist, dass keineswegs die Forschungsanträge mit dem größten wissenschaftlichen Potenzial gefördert wurden. Vielmehr ist davon auszu- gehen, dass es zahlreiche Forschungsanträge mit erheblichem Produktivitätspotenzial gege- ben hat, die aber nicht gefördert wurden. Umgekehrt kann dies aber auch bedeuten, dass die Entscheidung über tenure und promotion vom assistant professor zum asso- ciate professor basierend auf der aktuellen Drittmittellage kein Garant dafür ist, dass der Wissenschaftler in Zukunft produktiv sein wird. J. Mervis (Science (2014) 343:596–598) stellt diese extrem wichtige Arbeit in einen breiteren Kontext und diskutiert, dass Insti- tutionen der Forschungsförderung bislang zögerlich waren, ihre eigene Arbeit einem peer review zu unterziehen. Möglicherweise reflektiert dies eine intrinsische Scheu davor zu erfahren, dass die Kriterien, nach denen die Institutionen arbeiten, weniger valide sind als angenommen. Man darf auch nicht ver- gessen, dass das peer review-System der Natio- nal Institutes of Health sehr teuer ist; über 100 Millionen Dollar werden pro Jahr der eigentlichen Forschung entzogen. Hinzu kom- men unendlich viele Arbeitsstunden von 24.000 ehrenamtlich tätigen Gutachtern. Die Studie von Danthi et al. hat eine leb- hafte Diskussion darüber ausgelöst, wie man die Allokation von Forschungsgeldern in Zukunft gerechter gestalten könnte. J. Bollen et al. (EMBO Rep (2014) 15:131–133) machen dazu einen radikalen und einfachen Vor- schlag: Jeder akademische Forscher bekommt einen einheitlichen block grant, von dem er 50 Prozent an diejenigen Kollegen abgeben muss, deren Forschung er am meisten schätzt. Die Studie von Danthi et al. kann nicht ohne Weiteres auf die Verhältnisse in Deutschland übertragen werden, da es bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) kein so mathematisch genaues Ranking der For- schungsanträge wie in den USA gibt. Inso- fern hat das deutsche Begutachtungssystem auch Unschärfen. Allerdings hat sich die Rol- le der DFG als wichtigster Förderer akademi- scher Forschung in den letzten Jahren sehr 10.1007/s12268-014-0435-0 © Springer-Verlag 2014 ó Jeder Wissenschaftler merkt es auf mehr- fache Weise. Wir forschen in einer Zeit des Umbruchs. Gewissheiten, die die scientific community viele Jahre begleiteten und unser Forschungsverhalten maßgeblich mitsteuer- ten, geraten zunehmend ins Wanken: Hat die Fixierung auf den impact factor in Bezug auf Drittmittelallokationen und Karriereent- wicklung nicht dazu geführt, dass wir den Blick auf die langfristige und oft nur viele Jahre später erkennbare wissenschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung eines For- schungsprojektes verloren haben? Belohnt das System der Leistungsorientierten Mittel- vergabe (LOM) wirklich die kreativsten Wis- senschaftler oder doch nur diejenigen, die ohnehin schon die meisten Ressourcen haben? Hat die Exzellenz-Initiative mit dazu beigetragen, dass durch Ressourcen-Umver- teilung die breite Förderbasis der individuel- len Forscher zu Lasten von Leuchttürmen ero- diert wurde? Und jetzt auch das noch: In einer umfas- senden Studie über Forschungsanträge aus dem Portfolio des National Heart, Lung, and Blood Institute in den USA der Jahre 2001 bis 2008 stellten N. Danthi et al. (Circ Res (2014) 114:600–606) fest, dass es keine Korrelation zwischen dem Ranking eines Forschungsan- trags und der Anzahl der letztlich daraus resultierenden Zitationen von Publikationen gibt. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass auch ein so extrem aufwendiger und ver- meintlich ausgeklügelter peer review wie der der study sections der National Institutes of Health offenbar nicht dazu in der Lage ist, sicher vorherzusagen, welchen impact (gemes- sen an Zitationen) ein gegebener Forschungs- antrag einmal haben wird. Die schlechter bewerteten Forschungsanträge generierten ca. 720 Zitationen pro Million investierte Dol- lar, während die Top-Anträge lediglich knapp über 500 Zitationen generierten. Es ergibt sich also der Eindruck, dass die Forscher mit den schlechter eingestuften Anträgen, die auch weniger Gelder bekamen, sorgfältiger mit ihren Ressourcen umgingen und pro- duktiver waren als die „richies“. Eine weitere Roland Seifert „ES IST ZU HOFFEN, DASS AUCH IN DEUTSCHLAND EINE BREITE DISKUSSION IN DER SCIENTIFIC COMMUNITY DARÜBER EINSETZT, NACH WELCHEN KRITERIEN FORSCHUNGSGELDER VERGEBEN WERDEN SOLLTEN.“ Funktioniert der peer review von Forschungsanträgen? 251 EDITORIAL BIOspektrum | 03.14 | 20. Jahrgang gewandelt: Durch die Verknappung der Grundausstattung der Hochschulfinanzierung und die Einführung von LOM stieg die Anzahl der eingereichten Forschungsanträge stark an, ohne dass die DFG darauf vorbereitet war. Dies hat dazu geführt, dass die ehemals kom- fortablen Bewilligungsraten von Forschungs- anträgen der Einzelförderung in den letzten Jahren deutlich gesunken sind. Parallel dazu gestiegen ist die Frustration der Wissen- schaftler, die die Begründungen von Ableh- nungen der Forschungsanträge nicht mehr nachvollziehen können. Es ist zu hoffen, dass auch in Deutschland eine breite Diskussion in der scientific com- munity darüber einsetzt, nach welchen Krite- rien Forschungsgelder vergeben werden soll- ten. Ist es manchmal vielleicht nicht doch bes- ser, eine neue Forschungsidee ohne viele Vor- publikationen zu fördern und nicht nur danach zu schauen, wie viele Vorarbeiten zu dem Thema schon in high-impact-Journalen veröffentlicht wurden? Jeder Wissenschaft- ler, der Forschungsanträge begutachtet, kann seinen eigenen Beitrag dazu leisten, die Kul- tur der Vergabe von Fördermitteln zu ändern. Wenn alle Wissenschaftler im Sinne einer crowd culture für die oben diskutierte Pro- blematik sensibilisiert sind, bedarf es noch nicht einmal politischer Entscheidungen. Wir haben einen Großteil unserer zukünftigen Forschung durchaus selbst in der Hand. ó Roland Seifert, Direktor des Instituts für Pharmakologie, Medizinische Hochschule Hannover Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Roland Seifert Institut für Pharmakologie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Straße 1 D-30625 Hannover Tel.: 0511-532-2805 Fax: 0511-532-4081 [email protected] www.mh-hannover.de/213.html

Funktioniert der peer review von Forschungsanträgen?

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Implikation der oben genannten Studie ist,dass keineswegs die Forschungsanträge mitdem größten wissenschaftlichen Potenzialgefördert wurden. Vielmehr ist davon auszu-gehen, dass es zahlreiche Forschungsanträgemit erheblichem Produktivitätspotenzial gege-ben hat, die aber nicht gefördert wurden.Umgekehrt kann dies aber auch bedeuten,dass die Entscheidung über tenure und promotion vom assistant professor zum asso-ciate professor basierend auf der aktuellenDrittmittellage kein Garant dafür ist, dass derWissenschaftler in Zukunft produktiv seinwird.

J. Mervis (Science (2014) 343:596–598)stellt diese extrem wichtige Arbeit in einenbreiteren Kontext und diskutiert, dass Insti-tutionen der Forschungsförderung bislangzögerlich waren, ihre eigene Arbeit einempeer review zu unterziehen. Möglicherweisereflektiert dies eine intrinsische Scheu davorzu erfahren, dass die Kriterien, nach denendie Institutionen arbeiten, weniger valide sindals angenommen. Man darf auch nicht ver-gessen, dass das peer review-System der Natio-nal Institutes of Health sehr teuer ist; über100 Millionen Dollar werden pro Jahr dereigentlichen Forschung entzogen. Hinzu kom-men unendlich viele Arbeitsstunden von24.000 ehrenamtlich tätigen Gutachtern.

Die Studie von Danthi et al. hat eine leb-hafte Diskussion darüber ausgelöst, wie mandie Allokation von Forschungsgeldern inZukunft gerechter gestalten könnte. J. Bollenet al. (EMBO Rep (2014) 15:131–133) machendazu einen radikalen und einfachen Vor-schlag: Jeder akademische Forscher bekommteinen einheitlichen block grant, von dem er50 Prozent an diejenigen Kollegen abgebenmuss, deren Forschung er am meisten schätzt.

Die Studie von Danthi et al. kann nicht ohneWeiteres auf die Verhältnisse in Deutschlandübertragen werden, da es bei der DeutschenForschungsgemeinschaft (DFG) kein somathematisch genaues Ranking der For-schungsanträge wie in den USA gibt. Inso-fern hat das deutsche Begutachtungssystemauch Unschärfen. Allerdings hat sich die Rol-le der DFG als wichtigster Förderer akademi-scher Forschung in den letzten Jahren sehr

10.1007/s12268-014-0435-0© Springer-Verlag 2014

ó Jeder Wissenschaftler merkt es auf mehr-fache Weise. Wir forschen in einer Zeit desUmbruchs. Gewissheiten, die die scientificcommunity viele Jahre begleiteten und unserForschungsverhalten maßgeblich mitsteuer-ten, geraten zunehmend ins Wanken: Hat dieFixierung auf den impact factor in Bezug aufDrittmittelallokationen und Karriereent-wicklung nicht dazu geführt, dass wir denBlick auf die langfristige und oft nur viele Jahre später erkennbare wissenschaftlicheund gesellschaftliche Bedeutung eines For-schungsprojektes verloren haben? Belohntdas System der Leistungsorientierten Mittel-vergabe (LOM) wirklich die kreativsten Wis-senschaftler oder doch nur diejenigen, dieohnehin schon die meisten Ressourcenhaben? Hat die Exzellenz-Initiative mit dazubeigetragen, dass durch Ressourcen-Umver-teilung die breite Förderbasis der individuel-len Forscher zu Lasten von Leuchttürmen ero-diert wurde?

Und jetzt auch das noch: In einer umfas-senden Studie über Forschungsanträge ausdem Portfolio des National Heart, Lung, andBlood Institute in den USA der Jahre 2001 bis2008 stellten N. Danthi et al. (Circ Res (2014)114:600–606) fest, dass es keine Korrelationzwischen dem Ranking eines Forschungsan-trags und der Anzahl der letztlich darausresultierenden Zitationen von Publikationengibt. Mit anderen Worten bedeutet dies, dassauch ein so extrem aufwendiger und ver-meintlich ausgeklügelter peer review wie derder study sections der National Institutes ofHealth offenbar nicht dazu in der Lage ist,sicher vorherzusagen, welchen impact (gemes-sen an Zitationen) ein gegebener For schungs -antrag einmal haben wird. Die schlechterbewerteten Forschungsanträge generiertenca. 720 Zitationen pro Million investierte Dol-lar, während die Top-Anträge lediglich knappüber 500 Zitationen generierten. Es ergibtsich also der Eindruck, dass die Forscher mitden schlechter eingestuften Anträgen, dieauch weniger Gelder bekamen, sorgfältigermit ihren Ressourcen umgingen und pro-duktiver waren als die „richies“. Eine weitere

Roland Seifert

„ES IST ZU HOFFEN, DASS AUCH IN DEUTSCHLAND EINE BREITE DISKUSSION IN DER SCIENTIFIC COMMUNITY DARÜBER EINSETZT,NACH WELCHEN KRITERIEN FORSCHUNGSGELDER VERGEBEN WERDEN SOLLTEN.“

Funktioniert der peer reviewvon Forschungsanträgen?

251EDITORIAL

BIOspektrum | 03.14 | 20. Jahrgang

gewandelt: Durch die Verknappung derGrundausstattung der Hochschulfinanzierungund die Einführung von LOM stieg die Anzahlder eingereichten Forschungsanträge starkan, ohne dass die DFG darauf vorbereitet war.Dies hat dazu geführt, dass die ehemals kom-fortablen Bewilligungsraten von Forschungs-anträgen der Einzelförderung in den letztenJahren deutlich gesunken sind. Parallel dazugestiegen ist die Frustration der Wissen-schaftler, die die Begründungen von Ableh-nungen der Forschungsanträge nicht mehrnachvollziehen können.

Es ist zu hoffen, dass auch in Deutschlandeine breite Diskussion in der scientific com-munity darüber einsetzt, nach welchen Krite-rien Forschungsgelder vergeben werden soll-ten. Ist es manchmal vielleicht nicht doch bes-ser, eine neue Forschungsidee ohne viele Vor-publikationen zu fördern und nicht nurdanach zu schauen, wie viele Vorarbeiten zudem Thema schon in high-impact-Journalenveröffentlicht wurden? Jeder Wissenschaft-ler, der Forschungsanträge begutachtet, kannseinen eigenen Beitrag dazu leisten, die Kul-tur der Vergabe von Fördermitteln zu ändern.Wenn alle Wissenschaftler im Sinne einercrowd culture für die oben diskutierte Pro-blematik sensibilisiert sind, bedarf es nochnicht einmal politischer Entscheidungen. Wirhaben einen Großteil unserer zukünftigenForschung durchaus selbst in der Hand. ó

Roland Seifert,Direktor des Instituts für Pharmakologie,Medizinische Hochschule Hannover

Korrespondenzadresse:Prof. Dr. Roland SeifertInstitut für PharmakologieMedizinische Hochschule HannoverCarl-Neuberg-Straße 1D-30625 HannoverTel.: 0511-532-2805Fax: [email protected]/213.html