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Funktionsanalyse in der Sehizophrenie (bei fiedankenentzug, Bedeutungserleben, Halluzinieren, Ratlosigkeit, Entfremdungsgefiihl, u Von Prof. Dr. Konrad Zueker, Oberarzt an der Psychiatr.-neuroL Klinik der Universitfit Heidelbei, g. (Eingegangen am 14. Juni 1939.) Die vorliegende Arbeit nimmt ihren Ausgang yon einer anderen Arbeit, die ich in Gemeinschaft mit Dr. de Hubert am Maudsley-Hospital London ira Jahr 1933 unternahm und die Januar 1935 im Journal of mental selene erschien. Uberno~m~en wurde aus dieser ein Tell der am Kranken gewonnenen Beobachtungen und die funktionsanalytische ~inste]lung gegenfiber gewissen schizophrenen Erlebnisformen, die seiner- zeit schon in engster Anlehnung geschah an funktionsanalytische Be. trachtungsweisen, wie ich sie in frfiheren Arbeiten fiber Encephalitis, Chorea und anamnestische Aphasie zum Teil anwandte, zum Tell erst entwickelte. Die inzwischen verflossene Zeit brachte Effahrungen, die zwar kaum eine ~uderung in don wesentlichen Punkten, wohl aber eine Erweiterung der gewonnenen Ergebnisse und auch eine Hereinbeziehung einiger weiterer schizophrener Erlebnisformen in die Besprechung nStig machte, die bislang noeh au~erhalb ]agen. Aul~erdem lockte auch das Kapitel der Therapie, dieses unter funktionsanalytische Gesichtspunkte anzugehen, weft yon hier aus praktisch allerhand Wertvolles zu erwarten schien. Das Beobachtungsmaterial der frfiheren Arbeit wird bier in diese wieder mithereingezogen, wobei sich die jetzige Ausarbeitung auf 12 neu hinzugekonxmene funktionsanalytisch durchnntersuchte Patienten und auf mehr als das Doppelte an Untersuchungsprotokollen stiitzt. Grfinde ffir Zweckm/~l]igkeit und Notwendigkeit funktionsanaly- tiseher Betrachtung der Schizophrenie sind in der obengenannten Arbeit anseinandergesetzt worden, und es mug bier darauf verwiesen werden. Hier sei nur noch kurz gesagt, dal~ diese Betrachtung es anstrebt, die unter experimentell-psychologischen Bedingungen gewonnenen Ergeb- nisse an Schizophrenen auf Funktionsbegriffe zu bringen und sie damit nnabh/ingig zu machen yon verschiedenen MSglichkeiten rein psycho- logischer Betraehtnngen und Speknlationen, jene vielmehr zuzusehneiden bzw. auszurichten ffir eine umfassendere biologische Gesamtbetrachtnng. Insofern wird hier also noeh Vorarbeit geleistet. Es wird bier aueh nicht das Gesamtgebiet schizophrener Krankheits- /~ul~erungen Bearbeitung finden, sondern vornehmlieh Erlebnisformen florider Erkrankungen, und zwar: Die Vorstellungst/itigkeit und ihre

Funktionsanalyse in der Schizophrenie

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Funktionsanalyse in der Sehizophrenie (bei fiedankenentzug, Bedeutungserleben, Halluzinieren, Ratlosigkeit,

Entfremdungsgefiihl, u Von

Prof. Dr. Konrad Zueker, O b e r a r z t an de r P s y c h i a t r . - n e u r o L K l i n i k de r U n i v e r s i t f i t Heidelbei , g.

(Eingegangen am 14. Juni 1939.)

Die vorliegende Arbeit nimmt ihren Ausgang yon einer anderen Arbeit, die ich in Gemeinschaft mit Dr. de Hubert am Maudsley-Hospital London ira Jahr 1933 unternahm und die Januar 1935 im Journal of mental selene erschien. Uberno~m~en wurde aus dieser ein Tell der am Kranken gewonnenen Beobachtungen und die funktionsanalytische ~inste]lung gegenfiber gewissen schizophrenen Erlebnisformen, die seiner- zeit schon in engster Anlehnung geschah an funktionsanalytische Be. trachtungsweisen, wie ich sie in frfiheren Arbeiten fiber Encephalitis, Chorea und anamnestische Aphasie zum Teil anwandte, zum Tell erst entwickelte. Die inzwischen verflossene Zeit brachte Effahrungen, die zwar kaum eine ~uderung in don wesentlichen Punkten, wohl aber eine Erweiterung der gewonnenen Ergebnisse und auch eine Hereinbeziehung einiger weiterer schizophrener Erlebnisformen in die Besprechung nStig machte, die bislang noeh au~erhalb ]agen. Aul~erdem lockte auch das Kapitel der Therapie, dieses unter funktionsanalytische Gesichtspunkte anzugehen, weft yon hier aus praktisch allerhand Wertvolles zu erwarten schien.

Das Beobachtungsmaterial der frfiheren Arbeit wird bier in diese wieder mithereingezogen, wobei sich die jetzige Ausarbeitung auf 12 neu hinzugekonxmene funktionsanalytisch durchnntersuchte Patienten und auf mehr als das Doppelte an Untersuchungsprotokollen stiitzt.

Grfinde ffir Zweckm/~l]igkeit und Notwendigkeit funktionsanaly- tiseher Betrachtung der Schizophrenie sind in der obengenannten Arbeit anseinandergesetzt worden, und es mug bier darauf verwiesen werden. Hier sei nur noch kurz gesagt, dal~ diese Betrachtung es anstrebt, die unter experimentell-psychologischen Bedingungen gewonnenen Ergeb- nisse an Schizophrenen auf Funktionsbegriffe zu bringen und sie damit nnabh/ingig zu machen yon verschiedenen MSglichkeiten rein psycho- logischer Betraehtnngen und Speknlationen, jene vielmehr zuzusehneiden bzw. auszurichten ffir eine umfassendere biologische Gesamtbetrachtnng. Insofern wird hier also noeh Vorarbeit geleistet.

Es wird bier aueh nicht das Gesamtgebiet schizophrener Krankheits- /~ul~erungen Bearbeitung finden, sondern vornehmlieh Erlebnisformen florider Erkrankungen, und zwar: Die Vorstellungst/itigkeit und ihre

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krankhaften Entgleisungen, das Wesen des Gedankenentzuges, des Fremdheitsgeffihles, der optischen und akustischen Sinnest~uschungen, des Bedeutungsgeffihles und ferner einige Besonderheiten des Erlebnis- materials, die uns Einsichten in das Verhalten geheflter und defekter Sehizophrenien gew~hren kSnnen. Das Wahnproblem kann nur yon versehiedenen Seiten aus gestreift werden und es bleibt der Zukunft fiberlassen, zu zeigen, ob es fiberhaupt einen einheitlieh zu begreifenden sehizophrenen Wahn gibt.

Eines soil bier yon vornherein mit aller Nachdrfickliehkeit fest- gestellt werden. Die Funktionsanalyse soll keine ,,Methode" darstellen, mit der man auch an die Binge herantreten kann, wie etwa beliebige andere ,,Anschauungen", wobei sich die verschiedenen Ergebnisse soleher Ansehauungen oftmals gegenseitig ausschliel~en. Sie soll vielmehr rein in das Funktionale des Kranl~heitsgeschehens hineinleuchten und hier, soweit ihre Anwendbarkeit reicht, bisher unbekannte Beziehungen auf- deeken. Lange nicht alle Probleme, die uns in der Schizophrenie ent- gegentreten, kSnnen Gegenstand der Funktionsanalyse sein, das aber kann niemals gegen ihren Weft spreehen. Dieser ist auch kein relativer, d. h. ein yore Standpunkt abh~ngiger. Abh~ngig ist die Funktionsanalyse vielmehr nur insofern, als sie in etlichen Fragen gar nichts zu suchen hat, soweit n~mlich solche nach LSsungen verlangen, die nichts Funktions- m~iges in sieh sehlie]en. Das aber was sie an Ergebnissen zeitigt, kann and daft - - sofern nur der Untersueher keinen Fehler machte - - niemals ein nnannehmbares Hindernis ffir eine fiber sie hinausgehende, nm- fassendere Sicht sein. Fallen aber wfirde sie dann, wenn es eine alles nmgreifende : Sieht gs innerhalb deren das Funktionale als g~nzlich ohne Bedeutung in den ttintergrund zu treten hs Theoretiseh denkbar w~re eine s01ehe M6gliehkeit wohl, n~mlich dann, wenn die Erbbiologie his in ihre ~uBersten Konsequenzen entwiekelt sein w~de. In dem Moment hs aber gleichzeitig die gesamte Psychopathologie der Sehizophrenie als theoretisehe Wissenseha~t ihren Dienst erffillt. Warm das sein wird, wissen wir nicht.

Abgesehen yon dieser prinzipiellen Abstecknng gibt es natfirlieh noch eine Menge Fragen, die wohl funktionsanaly~isch angehbar sind, die aber hier noch nieht bearbeitet wurden. Ffir anderes bestehen zur Zeit noch keine sicheren funktionsanaly~iseh tiefgehenden ZugangsmSglich- keiten, das sind z. B. die Gemiitsver~nderungen, soweit sie endgfiltiger Natur sin& Darauf wird am passenden Ort n~her eingegangen werden.

Methodik und Material. Um aber allein schon die charakteristischen Formenmerkmale oben-

genannter sehizophrener Vorg~nge heranszuarbeiten, h~tte die Betraeh- tung nur der spor~tanen Abl~ufe ein zu vielgestaltiges und auch zu viel- deutiges ~bersiehtsbild vor sich. SO mul~ten ~ wenigstens zur Heraus-

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stellung der~ wichtigsten Merkmale - - zun~chst die Verhiiltnisse dutch einen quasi experimentellen Eingriff eingeengt und dadureh besser fibersehbar gestaltet werden. ])as geschah dadurch, dab den Patienten Vorstellungsaufgaben gegeben wurden, und zwar nach mehreren Ge- siehtspunkten.

Zun~chst galt es, fiberhaupt einmal N/~heres fiber die Vorstellungs- leistungen SehizGphrener innerhalb verschiedener Grade der Erkrankung zu erfahren. So wurde die Vorstellungsleistung fii r Einzeldinge, optisehe, akustische und taktile, als auch ff i r kurze vorerz/~hlte Gesehichten geprtift. Wo ang~ngig, wurden solehe Versuehe aueh auf Geffihlsvor r ste!h~ngen und ~hnliches mehr erweitert.

�9 Sodann wurden die Patienten in einer zweitenVersuehsreihe angehalten, auf dem Wege des Vergleichens tiber die erlebnism&Bigen Untersehiede zwisehen ihren spentanen Sinnest~usehungen und inhaltss Vor- stellungen zu beriehten. SehlieBlieh galt es, in einer drit ten Versuehs- anordnung etwas zu erfahren fiber die Beziehungen etwa gehabter Sinnest/~usebungen and deren willkfir]ieher Wiedervorstellung.

Maneher Einzelfall bot zu weiteren Experimenten Veranlassung, die bei Gelegenheit zu erw/~hnen sein werden.

Dieses Vorhaben diktierte in erster Linie die Bedingungen, nach denen die Patienten aus einem Material yon vielen Hunderten f fir die Untersuchungen ausgew/ihlt wurden. Nit anderen Worten, es muBte darfiber Sieherheit herrsehen, dab der einzelne Patient fiberhaupt fiber eine genfigende Deut]ichkeit seiner Vorstellungsf/~higl~eit verffigte. Es lieB sieh das in etliehen Vorversuehen stets leicht entseheiden. Es braueht nicht erst besonders betont zu werden, dab ffir solehe Ver- suehe der Beobaehter natfirlieh unbedingt fiber eine genaue Kenntnis dessen verUigen mUB , was im Bereieh des Normalen innerhalb solcher Versuche geleistet werden kann und ganz besonders, was an Feh]Mstungen und Ungenauigkeiten aueh hier einmal vorkommen kann. So vorbereitet bedeutete es ffir den Beobaehter meist keinerlei Sehwierigkeiten zu unterscheiden zwisehen einer krankhaften Abwegigkeit des Vorstellungs- ablaufes, die ja gerade untersueht werden sollte und einer etwaigen Undeut]ichkeit bz~v. Unf/~higkeit zu deutlichen Vorste]lungen.

~: Die zweite Bedingung ist eigentlieh sehon in der ersten mitenthalten, n/~mlich, dag mit dem Patienten ein wenigstens einigermaBen guter sprachlieher Konnex mSglieh war. Es muBten abet dennoeh etliehe Personen mit Inkoh/trenz und Vorbeireden mitgenommen werden, um auch in diese Abwegigkeiten Einbliek zu erhalten. Hier leistete A~sdauer und Geduld doeh noeh dasselbe was bei anderen Patienten ein guter Konnex in kfirzerer Zeit f6rderte. Und gerade den inkoh/~renten Kranken verdanken wir wiehtigste Einsichten. Der fiberwiegende Tefl der Patienten war fibrigens schnell auf die Untersuehungen einzustellen und felgte dem Gang der Untersuehung sogar mit groBem und zunehmendem Interesse.

468 Konrad Zucker:

Die hier verwerteten Versuchsergebnisse beziehen sich auf 36 Pa- tienten, von denen am jeweiligen Orte nur 1--2 Beispiele gegeben werden sollen.

Sie zerfullen fiir unsere Zwecke in 5 Gruppen.

Gruppe I umschlieBt Patienten 1--9. Sie standen entweder im Beginn der Psyehose oder in beginnender Remission eines nicht zu tier gehenden Schubes. 3 hatten ihre Ver/~nderungen zwar sehon jahrelang, waren aber sonst, wie die iibrigen affektiv kaum oder gur nicht ver/~ndert. Alle batten siehere Sinnest/~usehungen, Gedankenentzug und mehr oder weniger deutliches Fremdheitsgeffihl.

Grnppe II umfaSt Putienten 10--18. Diese zeigten schon etwas ausgepr/igtere Ver/~nderungen, etwas deutlichere DenkstSrungen und schon einzelne fliichtige Wahnbildungen, nur Nr. 16 hatte keine Sinnes- t/iuschungen. Im iibrigen waren sie so weir noeh gut erhulten, dal~ ein Konnex mit ihnen keinerlei Schwierigkeiten maehte. Drei yon ihnen waren sogar poliklinische Patienten, die sich zu den Versuchen etliehe Mule einfanden. Der Erkrankungsbeginn lug meist 1/2 bis 2 guhre, nur bei Iqr. 18 20 Jahre lung zuriiek.

Gruppe III enth/ilt Putienten 19--26. Alle hulluzinierten, batten Bedeutungserlebnisse, zeigten schon deutliche affektive Ver/inderungen und einzelne von ihnen leichtere katatone Ziige, waren uber neben zeit- weiliger Inkoh/~renz zu anderen Zeiten geniigend gut zu fixieren.

Gruppe IV setzt sich aus Putienten 27--30 zusammen. Diese 4 boten aul3er unsieheren Sinnest~uschungen und Ratlosigkeit schon st/~rkeres Vorbeireden und st/~rkere Inkoh/irenz, 2 davon batten noeh wi~hrend der Beobuehtungszeit eine ganz gute Remission.

In Gruppe V befinden sieh 7 Patienten (Nr. 31--36), die unabh/~ngig yon ihren frfiheren Besonderheiten zur Zeit darin iibereinstimmten, dab sie iiberhaupt keine floriden Erscheinungen oder gedunkliche StSrungen boten, sondern allein durch ihr~ affektive Einseitigkeit und aueh Leere auffielen. I m iibrigen waren alle formal und inhaltlich geordnet.

Die Ergebnisse. 1. Die/ormalen Besonderheiten und Abwegigkeiten der Vorstellungstditigkeit.

Es werden hier und in den folgenden Kapite]n die Ergebnisse der Gruppe I--IV wiedergegeben und die unschliel~enden Besprechungen beziehen sich auch nur auf diese. Die Gruppe V stellt in jeder Beziehun~ etwas Besonderes dar und finder erst viel sparer ihre Erw/~hnung.

Alle mitgeteilten Ergebnisse beziehen sich auf Versuche, denen ein- gehende Belehrungen und Voruntersuchungen vorungegangen waren. Den Patienten wurden dann ann/ihernd die gleichen Aufgaben geboten, zun/~chst sich optisch Einzeldinge: einen roten Apfel, ein Pferd, ein Auto, einen bestimmten Verwandten und /~hnliches vorzustellen und duriiber

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 469

zu berichten, ob die Vorstellung dern Auftrag gern/~13 gelang, ob sie sie eine Zeitlang halten konnten oder was sonst darnit geschah. Dann fo l~en aknstisehe Vorstellungen: Die Stirnrne eines Bekannten, den Pfiff einer Lokomotive, Tellerklappern oder Glockenl/~uten. Erst dann wurde zur vorstellungsrns Reproduktion einer kurzen Episode gesehritten, z. B. : ,,Ein Hnnd steht in einern Garten vor seiner t t i i t te und bellt. Nun spitzt er die Ohren, rennt durSh den Garten, springt ~iber die Maner und lguft auf der StraBe hinter einern Milchwagen her." Endlich wurden, wo rnSglich, noch taktile Vorstellungsaufgaben gegeben.

Es fgllt nun auch innerhalb des Norrnalen, yon der Dentlichkeit ganz abgesehen, gar nieht jedem leicht, seine Vorstellungen ganz dern Ver- langten entspreehend zu produzieren. Urn bier nur die allerwichtigsten Besonderheiten zu nennen, so werden oft ruhend ver]angte Binge alsbald in Bewegung tibergehend vorgestellt, kSnnen in der gebotenen Form aueh nur wenige Sekunden gehalten werden, urn dann allm~ihl~ich zu sehwinden und rntissen dureh einen neuen Irnpuls wieder herbeigesehafft werden. Szenen nehrnen gelegentlich einen anderen Bewegungsablauf, werden schlieBlieh aber doch dern Auftrag entsprechend dargestellt. Hierfiir ist f01gendes Ergebnis eharakteristisch: ,,Als ieh den Mann die Leiter hinaufgehen sehen sollte, rutschte die Leiter rnit dern Mann herunter. Ich stellte die Leiter wieder auf, aber sie fiel wieder hin. Da lieB ich sie einfach liegen und stellte mir eine neue Leiter vor und dann ging es so, wie ich sollte."

Soweit nicht lebhaft affektbetonte Mornente eine Rolle spielen, gelingt es dern Normalen irn fibrigen fast ausnahrnslos leicht, Nebendinge, die sich in die ver]angte Vorstellung einsehieben wollen, rasch wieder ,,wegzudenken".

Soweit nun die Sumrne der Versuehsergebnisse an den Schizophrenen der Gruppe I IV eine gerneinsarne Besprechung zul~l]t, so ist nur zu sagen, dal~ die darin zurn Ansdruck komrnenden Besonderheiten sich von Norrnalteistungen weniger dureh eine a]lernal vorhandene Frernd- art.igkeit unterscheiden als vielmehr dadurch, da]~ sie 1. durehgehend irn schizophrenen Erleben sich wiederfinden und 2. dab sie ohne Grenzen flieBend fiberleiten zu den Erscheinungen, die das norrnale Erleben nicht rnehr kennt. Ihren eigentliehen schizophrenen Gehalt bekornrnen besonders die formalen Abwegigkeiten erst in Verbindung mit dern, was uns diese Patienten tiber ihre spontanen Denkabl/~ufe beriehten und rnit dern spezifisehen Erlebniswert, den jene fiir den Patienten haben. Irn iibrigen zeigten nur sehr wenige Patienten nur eine forrnale Abartig- keit ihrer Vorstellungsleistungen, rneist wichen sie in rnehreren Be- ziehungen yon dem ab, was innerh~lb normaler B'reite zu finden ist; ferner zeigte so gut wie kein Patient der Gruppen I I I I die bei ihrn gefundenen Auffglligkeiten konstant in jedem Versnche. GewiB ver- liefen (und das gilt wohl auch nur ffir Gruppe I) die wenigsten Versuehe

470 Konrad Zucker':

iiberhaupt ehne etwas Besonderes zu zeigen, a b e r die Ab/~nderungen weebselten, und bald zeigte sich diese, bald jene deutlicher oder stand als einzige im Vordergrunde. ])as wiirde schon den Gedanken an eine innere Verwandtsehaft dieser ])ingo nahelegen k6nnen:

Es erseheint zweckm~l~ig, nunmehr die Auff/illigkeiten innerhalb dor Vorstellungsabl/~ufe ffir jede der Gruppen besenders zu bespreehen, weft man sie dann in ansehaulicher Weise im Zusammenhang mit den yon Gruppe zu Gruppe st/~rker werdenden anderen Krankheitserseheinungen verstehen karm.

So treffen wir innerhalb der Gruppe I folgende Besonderheiten an: Beim Vorstellen einzelner Dinge t reten diese m a n e h m a l gar nicht

ode r stark versp/~tet auf. ,,Ich kann's nieht bekommen", ,,Nein, alles ist schwarz im Geiste", ,,Ich weiB wohl, was ieh soll, aber vorstellen kann ich's nicht", ,,Ja, Wissen und Vorstellen ist zweierlei", das sind ~ul~erungen, die man zu hSren bekommt. Sehr h/~ufig is~, daB das Vor~ gestellte, kaum dab es vorhanden ist, sofort wieder verschwindei.

Beispiel 1: Pat. 7 konnte z.B. jeweils beim Auftreten und Setrwinden ein Zeichen mit dem Finger geben. Danach dauerte kS oft erst 3--6 Sek., bis sie das Verlangte ,,sah", regelmal~ig nach 1--3 Skk. war es verschwunden und dann g~b sie nach 4--6 Sek. abermals ein Zeiehen, dab sik es wieder hatte. ~akh wiederum 1--3 Sek. verschwand kS nochmals usw. (Diese Pat. zeigte, nachdem 4 Woehen sp~tkr ihre Remission wesentlichk Fortschritte gkmacht hatte, nichts mehr yon dieser Erscheinung.)

])as mehr odor weniger plStzliche AbreiBen bzw. Entschwinden des anf Befehl Vorgestellten ist wohl fiberhanpt die h/s Angabe der Patienten dieser Gruppe. Es ~ritt allerdings be im gleichen Fall gar nicht immer und ferner beim Vorstellen yon Vorg/ingen weniger als yon Einzeldingen ein. Falls das Geforderte dann wieder erreieht wurde, sind die Angaben fiber das, was w/ihrend soleher Lficken auftauchte, versehieden. Meist werden sie in dieser Grnppe noeh als leer bezeichnet. Angaben, dgl~ das Vorgeste]lte ,,in der Xlarhei~ sehwankt" oder dab ,,es droht, abzureiBen", sind ebenfalls recht h/iufig nnd es kann diese Er- seheinung, zumal sie yon Patienten angegeben wird, die aneh ein wirk- liches AbreiBen erleben, als Vorstufe davon gelten.

Uberans interessant ist der Bericht des Pat. 9, der beim Vorstellen einer Knh angab:

:Beispiel 2: ,,Ja, aber es schwankt immer bin und her"i kS drohe ~bzurkil~en. Es entspreehe dieses dem Hin und Her seiner eigenen Gedanken, ,,da babe ieh auch immer das Gefiihl, als wenn sie yon fremder Seite hin und her bewegt wiirden. Ieh weil~ nicht, kommt das yon mir odor ist das ein anderer Einflul~".

Oft werden schon bier die Dingo nieht so vorgestellt wie sie gefordert wurden, und zwar mit fiber das normale Mall hinausgehenden Xnde- rungen.

Beispiel 3: Pat. 2 sah anstatt eines tIundes einen I-Iund mit Giraffenkopf. Bkispiel 4: Pat. 4 sah anstatt eines Apfels ein Weinglas. Beispiel 5: Pat. 5 sah anstatt eines Eies ein K6rbehen.

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 471

Beispiel 6: Pat. 8 soll sich eine Taschenuhr vorstellen. ,,Ich suchte um reich herum nach einer Uhr, dann bekam ich sie, aber es war nur eine halbe Uhr, der andere Teil lag im Schatten."

Oder die Dinge werden in abnormen •ormen gesehen. Beispiel 7, Pat. 3 : So wurde ein Apfel ,,riesengrol]" (Pat. zeigt den ganzen Raum

ausfiillend) gesehen. Ein Dreieek ist yon krummen Linien begrenzt.

Beacht l ich ist, dab wir schon in dieser Gruppe yon formal noch ganz geordneten Pa t i en t en auf die Ta t sache stol~en, daI~ zuni~chst r icht ig vorgeste l l t e Dinge sieh schnell verwandeln , sel tener aber durch anderes verdri~ngt oder e rse tz t werden.

Beispiel 8, Fall 3 (Koffer!): ;,Erst war es ein Koffer, dann anderte es sieh und nahm die Form ungef~thr wie ein Plumpudding an und dann wurde es ein halber Plumpudding."

Beispiel 9, Fall 3 (Bfirste !) : ,,Ja, mit den Borsten naeh oben, aber dann werden daraus Blumen, die nieht meinem Wil]en entsprachen."

Beispiel 10, Fal l 5 (Pferd !): ,,Pferd und Reiter sah ieh, dann sah ich nur den Reiter."

Beispiel 11, Fail 6 (Apfel !): ,,Ich sah nur eine Schale mit Apfeln und es war schwierig, es zu halten." (Nochmal !) Naeh 12 Sek. : ,,Nein, es war zuerst da, aber dann habe ich ihn nieht mehr ins Gesiehtsfeld bekommen, ich muBte immer meinen Radioapparat vorstellen." (Wo steht denn der?) ,,Der steht in Wirklichkeit neben der Obstsehfissel auf dem Bfiffet zu Hause." - - Der Radioapparat sei yon selbst gekommen.

Aueh ]Ssen sieh zueinandergeh6r ige Dinge m a n c h m a l in merkwfi rd iger Weise ab.

Beispie] 12, Fall 1 (Wasserfall !) : ,,Erst hatte ich den Blick yon meinem Fenster auf die Stadt. Dann bekam ich das Gergusch eines Wasserfalls, dann sah ieh einen Wasserfall in der dazugehSrigen Umgebung, dann verschwand pl6tzlich das Ge- r~usch des Wassers und ich sah ihn nut."

Beispiel 13: Im Falle 4 erfahren wir N~heres fiber das Wie und Woher der Abwandinngen (Pat. war mehrsprachig). Soll einen Tiseh mit einem offenen Buehe vorstellen: ,,Ja, es ging, aber dann kam eine SehildkrSte heraus." (Woher kam die ?) ,,Ach ja, nu n weiB ich: In dem Moment, wo ich es hatte, da wollte das Kind wieder sprechen (halluziniert oft eine Kinderstimme) und Kind heiBt chield und ehield ist wie Schild und zum Kind sagt man doeh auch ,,Du kleine KrSte".

Ziemlich al]gemein is t schlieBlieh noeh, dab das g]eiche Ding, wenn es be im ers ten Male ge]ang, bei wiederhol te r Auffordernng es vorzu- stellen, sehwerer oder ga r nieh~ vorgeste]]t werden kann. I m m e r wieder h5r t m a n bei soleher Gelegenheit , dab es be im Wiederho len , ,nur wie im Nebel" , wenn f iberhaupt , erscheint .

Beim opt isehen Vorstellen ki i rzerer vorerziihlter Vorgiinge t r e t en auBer den erw/ihnten Besonderhei ten noeh einige bemerkenswer te andere hinzu. Oft werden die vorzus te l lenden Dinge n ich t nur gesehen, sondern sie werden auch, soweit mSglieh, h6rend er lebt , ohne dab eine dies- bezfigliehe Aufforderung gegeben wurde. U n d diese Ta t saehe wird dann gewShnlich yon den P a t i e n t e n spon tan angegeben. - - Andererse i t s ver l ie r t sich ebenso oft das Vorgeste l l te oder noeh h~ufiger wird es gegen den Wil len des Pat . abgei~ndert. Ffir diese F~lle is t es dabe i die

472 Konrad Zueker:

Regel, da13 die Ab~nderungen im Bereich der weiteren Sinnsphi~re des Geforderten bleiben.

Beispiel 14: Fall 3 soll vorstellen: Herr kommt aus einem Hause, winkt einem Auto, steigt ein, f~hrt durch einen Park, steigt aus, geht in ein anderes ttaus. Pat. : ,,Da kommt nichts Seh5nes dabei heraus. Ich sah sofort Park Lane, wissen Sie bei Marble Arch, da stieg ein ~Ierr aus dem Auto und ging in ein Haus und er holte eine Dame heraus in langem Kleide und er sagte: ,,Jetzt kommst Du aber mal nach Hause."

Gelegentlich werden auch wich~ige Teile der Episoden ,,nicht ge- funden" oder ,,verschwinden".

Beispiel, 15: Fall 2 soll sich die ~Iundegeschichte vorstellen. Nach 13 ~Sek. : ,,Bis zum Gartentor ging es gut, aber dann sah ieh nur den Wagen, der ttund war fort."

Bei akustischen VorsteUungen von Stimmen und Ger~iuschen zcigen sich ira Prinzip die gleichen Auffiilligkeiten. Auch hier wechselt beim gleichen Patienten MSglichkeit mit UnmSglichkeit. Auffallend oft werden optische Vorstellungen yon besonderer Deutlichkeit spontan damit verknfiptt.

Beispiel 16: Pat. 2 bot noch die Besonderheit, dab sie nur Stimmen yon Per- sonen vorstellen konnte, die sie nach Beginn ihrer Erkrankung gehSrt hatte. So- wohl die ihrer Verwandten oder Freunde als auch ihre eigene Stimme konnte sie nicht vorstellen.

Ziemlich h~ufig werden die Stimmen anderer als der verlangten Personen geh6rt. Eine Abwandlung mit deutlicher Sinnverwandtschaft erlebte Pat. 9:

Beispiel 17: Soll eine Stimme vorstellen, die die Worte sprieht: ,,Der Winter ist vorbei, schon sind alle B~ume griin." Nach 11 Sek. berichtet sie: ,,Ich babe das gar nieht ganz deutlich ausmachen k~innen, es kam mir bloI~ Friihling und Grfin. Dann wollte sich mir jemand n~hern, ein Fr~tulein in einem Sommerkleid mit einem grol3en Hut, aber nieht ganz deutlieh. Das war, ohne dal3 ieh es wollte."

Von den taktilen Vorstellungsversuchen (die schwierigsten auch fiir Normale), ist an erw~hnenswerten Ergebnissen nur zu verzeichnen, da13 etliche Male - - aber doch nicht so h~ufig, dal~ es sicher als charakteristisch gebucht werden k 5 n n t e - - , nach regelmal3igen anfiinglichen Schwierig- keiten die vorzustellende Berfihrung, oder der Schmerz oder das Geffihl des Gebranntwerdens pl6tzlich so lebhaft wurde, dal3 die Patienten erschrocken zusammenfuhren und die Augen 5ffneten.

In der Gruppe I I zeigen die Patienten, soweit sie im einzelnen mehrere oder deutlichere psychotische Erscheinungen bieten, auch ganz dem- entsprechende Besonderheiten in den Vorstellungsleistungen, die iiber die bisher erw~hnten hinausgehen. Es braucht kaum besonders beton~ zu werden, dal3 sich diese natiirlich hier ebenso wie auch noch in der n'~chsten Gruppe, dor~ sogar noch erheblich versts vorfinden. Streng genommen m~it~ten wir sagen: Wir erhalten noch Auskfinfte darfiber. Wenn wir solche Auskfinfte in der Gruppe I I I und IV nicht mehr oder seltener bekommen, so ist damit noch nichts fiber ein etwaiges Fehlen der Erscheinungen ausgemacht.

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 473

Was n u n in dieser Gruppe I I an weiteren Auffall igkeiten h i n z u k o m m t ist, dab Gegenst~nde i iberhaupt n ieht mehr in normaler Weise vor- gestellt odor fiir liinger als einige Sekunden unvers festgehalten werden kSnnen. ~V[anchmal kommt es hier schon zu e inem Nebene inander zweier oder gar mehrerer Vorstellungsdinge. Hierfiir ist ein besonders ins t rukt ives Beispiel das der Pat . 12.

Beispiel 18: Sie sollte naeheinander, d. h. auf sukzessiven Zuruf in Abst~nden yon je 4---5 Sek. vorstellen: Auto, Kirche, TintenfaB, Regenschirm, Wasserfall, Pyramide, L6wen, Tennisschl~ger. - - Bericht: ,,Ich sah immer zwei Bilder, das eine yon jedem Paar kam immer sehnell und sehien yon selbst zu kommen. Das andere, das war yon mir gemacht und das war im Anfang undeutlieher. I~ach dem Ende zu weehselte das, und yon den zwei Regenschirmen und den zwei Wasser- fgllen win'de mein eigenes Bild immer deutlicher als das, was yon selbst kam." (Pyramide ?) ,,Eine Pyramide habe ieh gar nieht gesehen, aber als sie dann Ldwe sagten, da sah ieh eine Sphinx und dann auch nur einen Tennissehlgger und die waren von mir."

Manchmal t re ten die Dingo in einer Vielzahl vor "das geistige Auge der Pat ienten , ohne da~ allemal sicher zwisehen Neben- u n d Nach- e inander unterschieden werden kann .

Beispiel 19: Pat. 16 soll seinen Vater vorstellen. Schon nach 3 Sek. macht er die Angabe: ,,Ich sah ihn, aber in vielen Positionen" (?). ,,Ira Garten, am E~- tisch, yon der Arbeit kommend, im Armstuhl sitzend." (Alles zu gleicher Zeit ?) ,,Ieh kanns nieht reeht sagen, das geht wohl nicht gut."

Beispiel 20" Pat. 13 soll ein Auto vorstellen. Nach 4 Sek.: ,,Ich hab zu viel Autos gesehen, sehr viele, das wechselte immer."

I m m e r h i n ist fiir diese~ Gruppe noch bezeichnend, dab d i e Entg]ei- sungen noch nicht ganz die Sphare der ffir uns fa~baren S innverb indung verlassen und das aueh dann , :wenn die Pat . schon pr imer das Geforderte n icht vorstel]en.

Beispiel 21: Pat. 13 soil sich einen Tiseh mit einem offenen Buch darauf vor- stellen. Naeh 8 Sek.: ,,Ich konnte nur eine Krankenschwester mit einem Bueh in der Hand vorstellen."

Beispiel 22: Pat. 17 sell ein sich drehendes Rad vorstellen. Nach 10 Sek. : ,,Ieh sah eine N~hmaschine und dann gleich meine Toehter nghend." (Rad dann auch noch ?) ,,l~ieht mehr genau."

Beispiel 23, Pat. 11 (einen roten Apfel!) nach 6 Sek. : ,,Einen Apfel sah ieh nieht, aber einenPapageien, der war rot." (Eine Kuh.) ,,l~ein, ieh sah einen LSwen mit gewundenem Schwanz." (Ihre Mutter !) ,,1Nlein, ich sah einige Geschhfte, wo man einkaufen kann." (Tabakspfeife) (tobacco-pipe) :,,l~ein, ieh sah nur ein Wasser- rohr (water-pipe) und nur eine kurze Weile. Ieh wuBte zwar, daI~ ich eine Tabaks- pfeife vorstellen sollte, aber es kam keine."

I m letzten Beispiel treffen wir schon auf eine reeht interessante Erscheinung, n~mlich da~ die , ,Entgle isungen" auch den Weg fiber das rein Sprachliehe nehmen kSnnen, worauf Kleist 1 bekannt l ich schon hinwies und worauf welter u n t e n einzugehen sein wird. Einige Pa t i en ten

Kleist: Vortrag 76. Vers. Schweiz. Ver. Psychiatr. Basel 1929. - - Zbl. l~eur. 56.

474 Konrad Zueker: .

klagten f ibereinst immend in den Versuchen dariiber, d a ] sie im Vor- stellen schon durch die leisesten Ger~usche in der weiteren Umgebung d e s Untersuchungsraumes abgelenkt oder gehinder t wfirden.

Beim optischen Vorstet len yon Szenen oder Vorg~ngen k o m m t es bei diesen Pa t i en ten zum Teil zu sehr lebhaf ten Ausgesta l tungen, in die auch sprachlich oder andere akustische Dinge mi t hineinbezogen werden. Hierbei f~llt die oft weitergehende En t f e rnung yore Aufgetragenen auf. Eine gewisse ~hnl ichke i t mi te inander bieten da der Fall 13 u n d 16. Beide stell ten Vorg~nge regelm~Big, entgegen der Aufforderungi nu r mi t einer nahen Ich-Bezogenheit vor. Pat . 17 bog dabei das Geforderte ein- Each auf real erlebte Dinge ab, w~hrend Pat . 14 jede H a n d l u n g nu r als yon sich aus geleistet vorstellen konnte .

Beispiel 24: Soll vorstellen: Ein Vogel sitzt im Baume, Katze l~uft dureh den Garten, sehaut hinauf und klettert an dem Baum empor. Berieht: ,,Ieh sah Vogel und Bantu; ieh sah aueh die Katze; aber als die Katze sieh bewegte, da konnte ieh selbst nur diese Bewegung maehen." (Wurden Sie da zur Katze ?) ,,Ich verlor

�9 die Distanz zwisehen der Katze und mir; ieh wurde selbst etwas zur Katze." (~atten Sie denn nun z. B. aueh einen Schwanz ?) ,,Nein, ich ffihlte keinen Sehwanz. Ieh war zwar ein Mensch, aber ich machte Katzenbewegungen. Den Moment, wie ich das wurde, kann ich nieht schildern; die Katze jedenfalls war fort."

Soll vorstellen: M~dehen wirft einen Ball mehrmals in die H6he und f~ngt ihn wieder auf. - - Pat. : ,,Ieh sah erst das M~dchen, aber als es das erstemal den Ba]l werfen wollte, wurde ieh selber zum M~dchen und warf den Ball. Dann merkte ich, dalt das falsch war und ich suehte das M~dchen wieder vor mir in der Entfernung vorzustellen. Das ging aueh. Aber soba!d das M~dehen wieder werfen wollte, wurde ieh es wieder." '

Andererseits kommt es hier auch zum AbreiBen der Szenen , ,,zu mehren Bildern", deren Zusammense tzung nieht den etwa geforderten Verlauf ergibt, die un te re inander aber deutliehe S innverwandtsehaf t

verraten.

Beispiel 25: Pat. 16 soll die oben erw~hnte GesChiehte mit dem l=[und vor- stellen. Bericht: ,,Ieh hatte Sehwierigkeiten, einen Hund vor der Hiitte vor- zustellen, aber ieh bekam ihn darn. Aber dann war ein neues Bfld da: Ieh sah einen Hundew~rter mit einer I-Iundemeute fiber eine I{eeke gehen. Und dann ein neues Bild: Ein ganz anderer Hund rannte hinter einem Wagen her, wo er her- kam, weig ieh nieht."

Beispiel 26: Pat. 12 so!l die Gesehiehte Herr--Auto--Park--I-Lus ~ vorstellen. Pat. wiederholt bei AugenschluB ffi~: sieh spreehend die Aufforderung und beriehtet dann: ,,Ieh kornte nicht denken und vorstellen zu gleieher Zeit. Ieh sah drei oder ~ier versehiedene Teile der Stadt; nacheinander. Ieh konnte dann den Herrn und das Auto nicht irgendwo hinbringen, es ging yon einem Pl~tz zum anderen."

Beaehtlich hierzu sind ~_uBerungen, wie sie z. B. Pat . 8 g i b t : Beispiel 27: ,,Ja, wenn Sie die Gesehichte erz~hlen, dann kann ieh das alles

gut im Geiste sehen und verfolgen, aber wenn iehs naehher allein tun soil, bring ieh's nieht fertig, da kommen zu viele Saehen in den Sinn und die passen nieht z u s a m m e n , c

1 Ein I-Ierr steigt vor seinem Haus ins Auto, f~hrt durch einen Park, dann wieder durch eine StraBe, h~lt dort vor einem ti tus, steigt aus und schellt an der I-I~ustiir.

Funktionsanalyse in der Schizophrenic. 475

Oder wie Pat . 16, yon Bernf Zeichner, sagt:

Beispiel 28: ,,Es sind zwei versehiedene Dinge, et.was zu denken, so dag man es behglt oder weig, oder etwas so zu denken, dal3 es gezeiehnet werden kann. Letzteres ist sehwierig."

=An sich stellt eine solche Erkls ja nichts besonders Neues dar. Auch der Normale kenn t und erlebt solche Unterschiede. Offenbar aber scheint dieses im schizophrenen Er leben oft mi t besonderer Ein- dringlichkeit erlebt zu werden, wie das besonders deutl ich aus dena Ver- hal ten des Pat . 18 hervorgeht, die einen Vorgang vorstellen sollte:

Beispiel 29: ,,Ich weig, ieh weig, ieh weig . . . ja, jetzt sehe ich's! Oh, nun reigt es ab. Nein, ich weig, ieh weiB, ieh weig es. Nun ist's wieder da ! . . . Ach nein, es sind versehiedene gilder, aber ieh wugte, was ieh sollte."

I n den akust ischen Vorstel lungsversuchen zeigten sieh nur wenige yon der ersten Grup]oe abweiehende oder h inzukommende Besonder- heiten. Mehrfach konn ten zwar St immen, aber keine Worte vorgestellt werden.

,,Wissen ja, aber nieht vorstellen", war eine Antwort yon Pat. 17, als sie Ge- rausche vorstellen sollte.

Beispiel 30: Pat. 18 hat noch eine wiehtige Besonderheit: Oft konnte sic sieh die geforderte Stimme einer bestimmten Person raseh und gut vorstellen, ebenso oft aber gelang as ihr nieht. Bei letzterer Gelegenheit passierte es aber einige Male, naeh einer beaehtliehen Latenz yon etwa 8 Sek., dab sie eine Stimme halluzinierte, wfihrend sie sonst bei den Untersuehungen nicht halluzinierte.

Ahnliehe Entg]eisungen sind im Pr inzip die des folgenden Beispie]s:

Beispiel 31: Pat. 12, die auger StimmenhSren aueh noch ,,Figuren in der Luft sah", gab an, dab die Luftfiguren fiir gew6hnlich nieht spraehen. Da seien nur manchmal feine Stimmen, andere als sie sonst h6re, die zu den Figuren gehSrten. Vorstellen k6nne sie sich keine Stimmen und aueh keine Ger/~usche, sie kSnne es nur ,,erinnern". Sobald sie versuche, es vorzustellen, sofort ns sieh die feinen Stimmen dieser Vorstellung an und trfigen sic den Figuren zu.

Wir haben auf diesen Fal l noch zurf ickzukommen.

Beispiel 32: Nochmals dasselbe Prinzip finder sieh bei taktilen Vorstellungs- versuehen im Fall 13, der sieh offenbar nichts Geffihltes vorstellen konnte, bis er in einem Versuehe erklarte: ,,Nein, ieh konnte es nicht. Allemal, wenn ieh den Stich oder das kalte Wasser hier auf der Hand vorstellen sollte, dana kriegte ich das, was ich eigentlich haben sollte, nur im rechten Auge."

W e n n hiermit die Vorstellungsversuche der Gruppe I u n d I I ab- geschlossen werden, so mul3 am Ende noehmals auf die i iberaus wiehtige Tatsache hingewiesen werden, dab die bisher erw~Lhnten 18 Pa t i en ten ausnahmslos die Abwegigkeiten, die sieh bei ihren Vorstel lungen ein- stellten, selber bemerkten, was ja auch aus den mitgetei l ten Protoko]len meist mi t geniigender Klarhei t hervorgeht. Bei den ~Ps der folgenden beiden Gruppen wird dieses Vern16gen der Selbstbeobaehtung zunehmend geringer u n d es bedurfte meist erst eingehender Befragungen bzw. Hin- weise, una die Pa t i en ten auf das Abglei ten aufmerksam zu maehen und sie zu einer S te l lungnahme zu der Tatsache des Abgleitens zu veranlassen.

Archly ftir Ps~vchiatrie. Bd. 110. 32

476 Konrad Zucker:

Bei den F/~llen der Gruppe I I I brauch t eine ge t rermte Besprechung der opt ischen und akust i schen Vorste l lungsversuche n ich t mehr durch- geffihrt zu werden.

Zun~chst zeigen diese Pa t i en t en das Er leben des Abbrechens , soweit sie es selber noch bemerken, in e inem exzessiven Grade, u n d nu r ein- zelne e r leb ten danach noch leere Lficken.

Beispiel 33: Pat. 19. (Soll die I-Iundegeschichte vorstellen!) Zun/~chst gibt- sie an, es sei gegangen. Auf n/~here Fragen ergibt sich folgendes: ,,Ich sah den ]~und bellend vor der ~fitte. Dann brach es ab", und in einer neuen Szene sei der ~und dutch den Garten gerannt. Dann wieder ein Stop, es sei dunkel gewesen und in einer abermals neuen Szene habe sie etwas Hunde/~hnliches gesehen. Es seien immer lange Pausen dazwischen gewesen, ,,in denen ich reich anstrengen muBte".

Beispiel 34: Als sich dieselbe Pat. yon einem Maler die Zahlen 1--9 an die Wand gemalt vorstellen sollte, berichtet sie nach 14 (!i) Sek.: ,,Bei der 4 und 5 und 9 hat es gestopt." Diese Zahlen h/~tten ,,andere Pl~tze gehabt", ,,die gingen dutch den ganzen Kopf". Sie zeichnet das Gesehene so auf, dal~ 1--4 nebenein- ander stehen, die 5 wird hochgeriickt, 6--8 stehen wieder nebeneinander auf der Zefle und die 9 wird enorm groB dahinter geschrieben. Es g/~be diese Zeichnung aber das Erlebnis doch nicht so ganz richtig wieder.

Sobald sich ~ber die Lficken ffillen, scheint oft (oder meis tens?) das Stoper lebnis schwi~cher zu werden.

Beispiel 35: Pat. 24 soll K/~ltegefiihl an der ~and vorstellen. ~ach 12 Sek. berichtet er: Es se i gegangen. (Ohne Stop ?) ,,Ja, aber in der Zwischenzeit hat es im Kopf ge~ndert, es ging vorw~rts und riickw~rts und war blau." Das hatte aber mit der Vorstellung ,,Kalt an der ~and" nichts zu tun.

I m i ibr igen sind die wei teren Besonderhe i ten der Vorstellungst/~tig- kei t dieser Gruppe f iberhaupt durch das AusmaB der Einschiebungen und du tch das h~ufige Auf t r e t en yon Ersche inungen verschiedener Sinnesgebiete zusammen charakter i s ie r t , woffir das l e t z tmi tge te i l t e Bei-

spiel schon einen ~ b e r g a n g bi ldete. Beispie136: So roch Pat. 22 Pulver, als er sich den Knall eines Gewehrschusses

vorstellen sollte. Pat. 19 s~h ,,dunkle Gest~lten" auftauchen, w~hrend sie sich das Ger~usch

eines Wasserfalls vergegenwartigte und ~hnliches mehr. Fe rne r sehen wir aber hier, dab die mi t den anges t reb ten Vorstel-

lungen e inhergehenden oder a n s t a t t ihrer au f t auehenden Gebilde Dinge d~rstel len, die scheinbar in keine Verb indung m i t dem Geforder ten ge- b rach t werden kSnnen. Wi r sagen scheinbar , denn oft v e r r a t e n be im gleichen Fa l le i rgendwelche Einzelhe i ten doch noeh das oder die Binde- glieder. Was aber diese Versuehe wei ter lehren und was b ier besonders un te r s t r i chen werden soll, ist, daI~ die Quellen, denen diese ,flqeben- p r o d u k t e " en t s t ammen , auch be im gleiehen Fa l le g~nz verschiedene

sein kSnnen. Beispiel 37: Pat. 22 soll einen Apfel und nichts welter vorstellen. Bericht:

,,Ich sah ihn, abet dann lag er auf einem altrSmischen Sarge aus weiBem Stein; und das wechselte. Wenn ich ihn anf dem Sarge sah, war es ein verdorbener Apfel, sah ich ihn ohne den Sarg, war's ein frischer." Derselbe Pat. soll eine Quelle

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 477

(running spring) und einen Apfel vorstellen. - - Bericht: ,,Das ist schwierig, weil es Herbst ist." (?) ,,Xpfel gibts nicht im Friihjahr (spring), das liegt nieht in der Natur der Dinge."

Pat. 23 soll einen Apfel vorstellen. - - Bericht: ,,Es ist nieht leicht, ich sah eineu roten und einen weiBen Apfel." (~m" einen vorstellen !) ,,No there must be a pair." Ganz offenbar war hier der Weg wohl folgender: Apfel--Birne (pear)--Paar (pair) - - zwei Xpfel.

~ber le i tend zum n/~chsten Punk t mag yore selben Pat ienten noch folgendes sehr lehrreiches Beispiel genannt werden.

Beispiel 38: Soll sich einen Kreis vorstellen. - - Bericht: ,,Es sieht wie eine Wendeltreppe aus. Nein, es sehlitft (it sleeps), es ist ein Eisenbahngleis (Eisen- bahnschwellen - - sleepers)."

Stark schematisiert wiirde m a n also interpretieren kSnnen: Kreis - - rund - - gewunden - - windig-staires - - Holzstufen - - Holzschwellen - - Eisenbahngleis.

Zum Verst~ndnis der Ergebnisse dieser letzten Pat ienten mul~ betont werden, dal] sich in ihnen sozusagen der 13bergang darstellt zu der n/~ehsten Gruppe insofern, als sie sich nu t teflweise, jedenfalls stets nur auf Befragen, des Ungereimten ihrer Abwandlungen bewul~t waren. Spontane Angaben fiber Gedankenentzug, Fremdgedanken waren yon diesen Pat ienten nieht zu hSren und auf Befragen wurden diesbezfigliehe Angaben aueh nur sehr unbes t immt ge/~uftert. Um so wichtiger ist es aber dann, da$ in den Vorstellungsversuehen nicht nu t im Prinzip, sondern auch absolut die gleichen Erscheinungen des Entsehwindens oder des AbreiSens der intendierten Vorstellungen eintreten. Was sie yon den ersten Gruppen unterscheidet, ist, daf3 es zu Einsehiebseln bzw. zu weiterfiihrenden Entgleisungen kommt , mit anderen Worten, da$ die Lficken, die dutch die Unterbrechungen oder f iberhaupt der Raum, der naeh dem Entsehwinderl auftr i t t , ausgeffillt werden. Ferner da$ diese neu auftretenden, nieht eigentlieh intendierten Dinge zunehmend weniger als ungewollt oder fehlerhaft empfunden, ja gelegentlich auch als wahrnehmungs~hnlich behandelt werden.

Beispiel 39: Pat. 25 soll Dampfsehiff vorstellen: ,,Ich habe den Dampfer nur kurz gesehen, darm wurde es dunkel und ich hatte das Geftihl, w!e wenn reich jemand anraucht."--.(Dampfer- Ranch ? !) -.,,l~Iaben Sie das gemacht ? Das ganze Sehiff war eine dunkle Masse."

Sozusagen einen Grenzzustand in dieser Beziehung bot ein interes- santer Fall (Pat. 21). ~berlief~ man ihn sich selbst, so bot er auger leichtem Grimassieren und einigen ka ta ton anmutenden Kopfbewe- gungen motorisch nicht viel Besonderes. E r war z. B. auf der StraBe in seinera raotorisehen Verhalten nieht besonders auff/~llig. I n den Ge- spr/~ehspausen starrte er mit l ee rem Gesiehtsausdruek autistisch vor sich bin. Sobald er aber angeregt oder gar zu Vorstellungsaufgaben veranlaBt wurde, t ra ten Mlerlei gequ/~lte, torquierende und reibende Bewegungen auf. E r rieb und knetete den Kopf, die Arme und Knie und grimassierte

32*

478 Konrad Zueker :

auf terordent l ieh s tark . Niemals waren grei fbare Angaben fiber Ursache und Zweck dieses Verhal tens yon ihm zu bekommen, soweit m a n es n ieht in ihn hineinfragte. Bei ngherem Eingehen fiel nun aber in vielen Versuchen regelm&l~ig auf, dab in demselben Angenbl ick, we er angab, dab er das gewfinschte vor Augen habe, auch das gesamte Bewegungsspiel aufh6rte .

Beispiel 40: Roten Apfel vorstellen. Beginnt sofort mit den beschriebenen Bewegungen, w~hrend deren er angibt : ,,Ich kann ihn suchen.. , ich, ich sehe ihn, aber nein, ieh kann ihn nieht ganz sehen . . . Ich sehe rot und wei• . . . Ieh sah die Form yon einem Apfel . . . Ieh kann das Rote vom Apfel sehen . . . Nehl, ieh kann keinen Apfel sehen, die Form entwiseht mi r . . . Nun, jeCzt sehe ich den Apfel, einen roten Apfel." Zu gleicher Zeit keinerlei Bewegungen mehr. Ohne Aufforde- rung dazu setzt er den Versueh spontan welter fort. Er beginnt wieder mit den gequ~lten Bewegungen: ,,Ieh denke ihn, ieh weil~ die Form yon einem Apfel, ein Piffin-Apfel... ieh kann denken, was der Apfel i s t . . . Ieh kann's nicht sehen. . . Ich babe flfiehtige Eindrfieke yon einem Apfel . . . Wenn da auf dem Tiseh ein Apfel w~re, dann k6nnte ich ihn sehen.. . Ja, ieh konnte ihn sehen, ieh konnte es eben." I-I6rte w&hrend der ]etzten Worte mit allen Bewegungen auf.

Die Worte w~hrend der Bewegungen wurden in Abstinden nnd leise gesprochen. Wurde er naeh den Versuchen gefragt, ob er das Geforderte habe gut vorstellen k6nnen, so gab er zuniehst regelmi6ig an, ja, das sei sehr gut gegangen. Erst wenn auf eine solehe Aussage hin anschlieBend ein weiterer Versueh gemacht u n d e r wieder gefragt wurde, gab er sehliel~lich an, es sei immer nur flit gewisse Momente m6glieh.

Von dieser Gruppe war dieser Pa t i en t derjenige, der noch die wenigs ten Angaben fiber absei t ige Er lebnisse w i h r e n d des Vorstel lens maeh te und es is t wohl n ichts h ine in in te rpre t ie r t , wenn wir d i e se Bewegungen ~ls die motor ischen Begleit- oder Ausdrueksersche inungen eines Siehwehrens gegen die sich aufdr~tngenden , ,Nebendinge" auffassen. E indrueksvo l l aber, wie wenig der Pa t i en t yon sich aus fiber diese Verh~tltnisse wuli te oder doch angeben konnte .

Je mehr wir nns yon den besser e rha l tenen Pa t i en t en der e rs ten Gruppen ent fernen a n d uns der IV. Gruppe nghern, um so h~ufiger begegnen wir einer anderen F o r m der fehlerhaf ten Vors te l lungs tg t igkei t . Diese mul~ aber im Pr inz ip sehon ge t renn t werden yon denen, die yon Abwand lungen ~usgehen oder d u r c h Entg le i sung falsche Ges ta l tung annehmen, t I i e r hande l t es sieh offenbar n m ein Ause inander fa l len oder viel leieht u m ein Auseinandergefa l lensein in tegr ie render Vorstel lungs- retie, die der Normale selten oder wohl g~r n ieht getrennt~ er lebt . Sie sollen bier E rwahnung finden, obgleich auf sic als Besonderhe i t des , ,M~terials" ers t viel sp~tter wieder znr i i ekzukommen sein wird.

E in Beispiel dafi i r l ieferte uns sehon das znle tz t mi tgete i l te , in welehem der Pa t . , der einen ro ten Apfel vorste l len sollte, e inmal die F o r m ohne die F a r b e und dann real nmgekehr t die F a r b e ohne die F o r m ha t te .

Beispie141 : Pat. 22 sell roten Apfel vorstellen. ,,Es is~ alles nur rot. Nfein Geist will nieht arbeitea, man stellt wohl Dinge vor, aber nieht so wie man will."

Funktionsanalyse in der Sehizophrenie. 479

Beispiel 42, Pat. 23: Eine Kanone beim Abschug vorstellen. ,,Ich kann das nicht richtig, es war mehr ein funkelndes Grollen, mehr eine Wolke yon Funken." (Keine Kanone ?) ,,Nein."

Beispiel 43, Pat. 23 (roten Apfel): ,,Es war nur ein farbloser." Danach nur rote Farbe vorstelten: ,,Ja, das ging."

Beispiel 44, Pat. 19 (sohwarzweiBe Kuh): ,,Erst nur farblos, dann wechselte die Farbe zwischen leuehtend rot und blau."

Beispiel 45, Pat. 24: Schltissel vorstellen: ,,Ja, ich konnte es, abet ich vergag den Lichtstreifen, den Reflex."

Beispiel 46, Pat. ]8: Soll einen Hund vorstellen: ,,Ja, einen Windhund, ieh sah aber nur die obere tI~lfte."

Von den in dieser Gruppe erseheinenden sehizophrenen Zust/~nden zweigen sich nun solche Falle ab, die zu ihrer, fiberhaupt nnr selten dera GeheiB entsprechend gelingender Vorstel]ungst/~tigkeit, /iberhaupt keine klare Stellung mehr nehmen k6nnen. Sie reden drum herum, anch ohne eigentliehes ,,Vorbeireden" oder aber sie erz/~hlen den geforderten Vor- gang wieder, oder sprechen ihn, die Augen sehlieBend, fliisternd vor sieh hin und sind weder durch vielfaehes Korrigieren zum Vorstellungs- akt zu bringen, noeh zu der Angabe zu bewegen, dag sie es nieht kSnnten. Sie bieten fiir unsere Zweeke lediglieh einen Fingerzeig, dab die RolIe der ,,sinnliehen Anreieherung" 1 aueh hier ann/~hernd die gleiche ist wie im Normalen oder aueh bei gr6beren Hirnsch/~den. I m tibrigen abet seheinen sie ftir weitere Erkenntnisse aus. Die zunehmende H/~ufig- keit dieses Umstandes erkl/~rt leieht die abnehmende Zahl der Patienten, die die Gruppe I I I nnd IV ausmaehen.

Die Pat. 19--26 (Gruppe I I I ) und aueh die der Gruppe IV zeiehnet nun abet noeh ein augerst wiehtiger positiver Befund vor denen der ersten Gruppen aus und das ist das eigentlieh hier erst 5fret auftretende wahnhafte ]3edeutungsgeffihl. Sie b o t e n e s sowohl augerhalb der Ver- suche als aueh im Verlauf der Vorstellungsexperimente.

Gerade das wahnhafte Bedeutungserleben stellt ja eines der schizo- phrenen Ph~nomene dar, zu denen uns bislang praktisch jeder Zugang fehlte. Es sind aber die Ergebnisse der Vorstellungsversuehe geeignet, Beziehungen aufzudecken, die auf andere Weise sehwerlieh in der Deut- lichkeit erkannt werden k6nnten. Gemeint sind natfirlich hiermit sinn- volle Beziehnngen, die unseren Einblick in diesen sehizophrenen Vollzug erweitern k6nnen. Es sollen darnm, wenn wit zweekm/~13igerweise gleieh an Hand der Ergebnisse in eine Bespreehung dieser Erscheinung ein- tre~en wollen, nieht all die zahlreiehen Versuehe Erw/i~nung finden, in denen fiberhaupt ein Bedeutungserleben auftrat, sondern nur die (wesen~lich selteneren), in denen es dureh oft ganz zuf/~llige Umsggnde gelang, tiefere Einsiehten zu gewinnen.

1 Das Wesen der ,,sinnlichen Anreieherung" als Umwegleistung wurde in einer frfiheren Arbeit (3/ischr. Psychiatr. 87) auseinandergesetzt.

480 Konrad Zucker:

Beispiel 47: Pat. 19 soll sich vorstellen, dab sic die Stimme yon irgendeinem Bekannten h6rt. :Naeh 26 Sek. : ,,Ja, es ging." (War es gleiehbleibend ?) ,,Es war verschieclen." (Konnten Sie eine Stimme vorstellen?) ,,Ja, ich h6rte mehrere Stimmen." (Zu gleicher Zeit ?) ,,Kanns nicht sagen." (Inwiefern war es denn versehieden ?) ,,Ich sah auch zwei Figuren." (W~thrend Sie die Stimmen hSrten ?) ,,•ein, die Stimmen kamen und gingen einige Male, ich konnte sie nicht immer halten." (Und die Figuren ?) ,,Die waren dann da, meine Mutter und mein Bruder." (Was heil]t das ?) ,,Die waren da, um den Instinkt der Stimmen zu bekommen (to get the instinct of the voices). Der Gedanke ging durch." (Waren die zuerst vorgestellten Stimmen die Ihrer Mutter und Ihres Bruders 9) ,,Ich h6rte viele Stimmen, Mutter und Rruder waren sp/~ter da !"

Beispiel 48: Pat. 22 soll seinen Vater vorstellen: ,,Ja." (In weleher Stelltmg ?) ,,Er stand und lehnte sich ein wenig nach rechts. Ich darf Ihnen das nicht erz~hlen." (Warum nieht ?) Schfittelt den Kopf. (War da nur ein Bild yon ihrem Vater ?) ,,Zwei auf jeden Fall." - - ,,Die Bilder yon meinem Vater sind alle falsch. Er hat sieh ver/~ndert in meiner Vorste]lung, er ist anders geworden, so wie ich selbst anders geworden bin. Man seheint zu wenig kompakt zu sein."

Beispiel 49: Pat. 23 soll Seinen Vater vorstellen: ,,Ja." (Steht er still ?) ,,Ja, er bewegt sich nicht." (In welcher Stellung .9) ,,Halbprofil nach reehts sehauend." (K6nnen Sie nun auck die Stimme Ihres Vaters vorstelien .9) Beginnt nach einigen Sekunden heftig zu weinen. ---(Was war denn eben los .9) ,,Nur ein BlumentopL" (Ein bestimmter Blumentopf ?) ,,Nein, ein ]31umentopf." ,,Es iiberkam reich so, es war ein schwarZer Blumentopf nnd drauBen war Sonnenschein." (Was hat das mit ihrem Vater zu tun ?) ,,Er war in einer anderen Region, in einer anderen Ge- dafikenregion, der Blumentopf war in der zweiten Region." - - ,,Eins fiihrte znm anderen." (Trat beides zur gleichen Zeit auf .9) ,,Nein." (Sahen Sie beides mit den gleichen inneren Augen .9) ,,Nein, sic waren verschieden, mein Vater war ober- halb des Blumentopfes." (I-I/itten Sie etw~ eine Linie zwisehen beiden ziehen k6nnen .9) ,,.Nein, eher noch Kreise, vielleicht eine Raumlinie zwisehen beiden." (Was hat der Blumentop~ mit Ihrem Vater zu tun.9) ,,Er war eine Warnung." Gibt welter an, der Blumentopf stelle eine Warnung seines Vaters dar, dariiber diirfte er nichts sagen. ,,Sie sagten doeh, ich sollte meinen Vater spreehend vor- stellen."

W~hrend in diesen Versuchen das Bedeutungser leben mehr in der Form seines Auftretens interessiert, weisen uns die folgenden mehr auf die Qualit/~t u n d deren Herkunf t hin.

Beispiel 50: Pat. 14 ver~nderte sieh im weiteren Verlauf zunehmend. Der hier wiedergegebene Versuch stammt aus sp/iterer Zeit. Es wurde bereits oben erw~hnte dab dieser Pat. sich ~andlungen und Bewegungen meist nur so vorstellen konnte dab er selbst diese Bewegungen ausfiihrte.

Soll sich ein drehendes Rad vorstellen. ~qach 9 Sek.: ,,Ich sah ein Steuerrad und als es sich drehen sollte, h~be ieh selbst daran gesessen und es gedreht." (Konnten Sie kein anderes Rad in der Ferne sehen ?) ,,:Nein, es bedeutete das, dal~ ich doch dazu ausersehen bin, das Staatsschiff zu steuern."

Beispiel 51, Pat. 23 soll ein Dreieek vorstellen: ,,Ja, es hatte einen l~ngst ver- gangenen Sinn." (Wieso ?) ,,Aus alter Zeit." (Sahen sie denn ein Dreieek ?) ,,Ja, abet die Basis war gebroehen." (Woraus war das Dreieek?) ,,Aus ttolz, aber nur die Basis ans ~olz, es war morsch."

Beispiel 52: Pat. 20 soll die ttundegeschichte vorstellen: ,,Ja, der I-Iund lief hinter dem Wagen her, aber der Kutscher schlug ihn nicht mit der Peitsche." (?) ,,Seine erhobene Hand blieb stille stehen, das bedeutet, dal~ jetzt die Zeit anbricht, wo die Tierqu~lerei aus der Welt versehwinden soll."

Funktionsanatyse in der Sehizophrenie. 481

Wir entnehmen den Versuchen dieser Gruppe far das Bedeutungs- erleben folgende Einzelheiten. Ein Abreil~en oder plStzliches Stoppen des Vorstellungsablaufes wird nicht erlebt. Das, was sich an Abwand- lungen, an nicht urspriinglich Intendiertem in den Vorstellungsgang einschiebt, wird zunehmend weniger als fremd und unbe~bsichtigt empfunden. Wir ~ber erkennen als Beobaehter, dab ein Bedeutungs- erleben im Verein mit solehen nicht intendierten Abwandlungen auf- tri t t , sei es nun, da~ diese Abwandlungen vSllig se]bst~ndige neue Inhalte darstel]en, wie z. B. bei Pat. 22 oder dab sie nnr wie bei Pat. ]4, 23 und 20 den Ablanf in l~eichweite des Verstehens umformten. I m letzten Fall bleibt dann aber auch der Inhal t des Bedeutungserlebens im Rahmen klar aufzeigbarer Beziehnngen ( R ~ d - - Steuerrad - - Lenker des Staats- sehiffes. Dreieck mit ,,ls vergangenem Sinn" - - , morsche ge- broehene Holzbasis. Hund hinter dem Wagen herlaufend - - Kutscher stopt im Zuschlagen - - Tierqualerei wird versehwinden.) Dal3 sich in dem Beispiel des Pat. 22, der in Verbindung mit dem nieht intendierten Sarg sich nnr einen verdorbenen Apfel vorstellen konnte, dasselbe Prinzip offenbart, ist leieht einzusehen; nur bringt bier das Erlebte wegen seiner diirftigen Gestaltung keinen besonderen Bedeutungseharakter mit sieh.

Auoh im normalen Erleben ist der Bedeutungsgehalt eine Qualit~tt, die nicht sinnlieh oder isoliert greibgr ist. So ist eine irgendwie ver- anlaftte Bedeutung ihrem Charakter nach durchaus danach angetan, einem Gesamt-Erlebniskomplex eine gemeinsame Fgrbung zu geben, selbst wenn dieser sieh aus Einzelheiten zusammensetzt, deren jede fiir sieh auch unter anderem Bedeutungseharakter erscheinen konnte.

Dieser Urastand ran~ im Auge behalten werden, wenn wit uns ~iber den Ablanf des sehizophrenen Bedeutungserlebens Klarheit versehaffen wollen. Soweit ein soleher Patient i iberhaupt das Wesen und das Auf- kommen eines Bedeutungsgefiihles sehildern kann, so leistete wohl unser Pat . 25 hierin das LetztmSgliche. In seinen spontanen Erlebnissen dieser Art war der Bedeutungsgehalt meistens so welt yon dem ]etzten Inhal t abge]egen, wie das in kl~ssisehen Lehrbuchbeispielen der Fall zu sein pflegt. Als or z. B. einen am Fensterbret t sitzenden Spatzen auf- fliegen sah, bedeutete das, dal3 jetzt etwas Gewaltiges passieren werde, wobei a u c h e r eine l~olle zu spielen habe. In den Vorstellungsversuehen aber engten sieh diese Beziehungen wesentlieh deutlicher werdend ein.

Beispiel 53: Soll Apfel vorstellen. ,,Ja, ieh sah einen, dann kam etwas ~eues hinzu. Ieh wurde an den Apfel erinnert, der im Paradies am Baume hing, ieh sah ihn frei in der Landsehaft und dann stand pl6tzlich das Wort ,,Erkenntnis" hinten dran, das meint, da~ es eben jetzt besser wird und vorwgrts geht. Zu Anfang war das Wor~ dunkel, zum Ende wurde es immer heller, das ,,s" war gunz hell."

Dieses Beispiel lehrt nicht nnr noehraals die Sinnverwandtsehaft der Bedeutung rait der Abwandlung, sondern gleiehzeitig noeh die Sinn- verwandtschaft der Abwandlung mit dem prim~tr Intendierten. Einen

482 Konrad Zucker:

ganz aul~erordentlich t reffenden Einbl ick in die A r t der Lockernng des Vorstellungsgeffiges aber gewg,hrt ein wei terer Versueh des gleichen Pa t ien ten , der einige Minuten zuvor u n t e r n o m m e n wurde.

Beispie154: Soli Geschiehte H e r r - Auto--Park -b re i t e Stral]e entlang - H a l t an einem Denkmal vorstellen. Gibt an, der Verlauf sei bis zum Beginn des Parkes gut gegangen, ,,aber als es dann rechts um die Ecke gehen sollte, wie Sie sagten , da machte es einen Schn~lzer nach links. Da trat auch ein Bild aus den Monats- herren auf yon einem Jfingling, es war, glaub ich, eine Modellstatue. Die Figur war nar ganz blitzartig, aber das hat die ganze Sache ins Dunkle geschoben". Er gab auf wiederholte Fragen immer wieder gleiehsinnig an, dal] er an den SchluB der Geschlchte, we der Mann an einem Denkmal halten sollte, noch lange nicht an- gelangt gewesen sei.

Hier t r i t t uns die Abwand lung als v611ig nngewol l te , ja f r emd empfux_dene Ant i z ipa t ion vor Angen. Von einem besonders ein- dr ingl iehen Bedeutungser leben war seinerseits hierbei a l lerdings n ieh t die Rede. Bei einer anderen Gelegenheit wechselte d~s Bedentungs- er leben im gleichen Vorgange sogar zweimal. E r gab hierzu an :

Beispiel 55: ,,Da hatten beim Ansehauen des Bildes eben wieder einen Moment die Dings ausgesetzt und da hab ichs wieder so gehabt, wie wenn jemand ganz langsam einen Schleier runterfallen l~Bt. Im Moment daehte ich, ich babe den SA.-Eid nich~ geleistet." (Er hatte ihn geleistet.) (Sie hatten aber doch dabei das Gefiihl, dab Sie ein wiehtiger Mitarbeiter des Ftihrers sein wiirden ?) ,,Nein, das ist eben der Umschlag in der Stimmung, w~hrehd ieh auf das Bild guekte." (Wie ist denn das zu gleicher Zeit m6glich, wenn Sie auf das Bild sehen, dann noch zwei gegens/~tzliche andere Gedanken zu haben ?) ,,Da kommt eben der jghe Um- schlag." - - ,,Immer in dem Moment, wo ich etwas nicht klar weiB oder sagen kann, dann kommt das Geffihl der Schwgehe fiber mich, da muir ieh reich erst wieder abfangen." Dann komme das Bedeutungsgeft~l, ,,so allmghlich, nicht pl6tzlich. Das steigt so bis zur tt6he und h6her und dann kommt der Punkt, wo

' ieh pl6tzlich nicht welter kann, oder aber wo ieh irgendwie abgelenk~ werde dureh die Umgebung."

Es is t fibrigens f a r n ieh t n6tig, dab ein w~hnhaf tes Bedeutungsgef i ih l immer so allm/~hlich an f t r i t t wie bei diesem Pa t i en ten . J e d e r kenn t F~lle und unsere Beispiele best/~tigen das zum Teil auch, wo dieses jedenfal ls so p]Stzlieh auf t r i t t , dab der Pa t . fiber dessen W e r d e n keinerlei Angaben machen kann. Dadurch a b e r , dal] es bei ihm langs~mer ein. t r i t t , gewinnen wir einige ffir uns b rauchbare Anh~l t spnnkte .

Eine F rage von mehr a l lgemeinen Betreff ist, ob die rech t h/~ufigen Inha l t e des Bedentungser lebens im Sinne eines ErhShtwerdens oder Berufenseins der Person yon der i rgendwie bed ing ten G runds t immung ausgehen, oder ob sie es ers t selber sind, die diese G runds t immnng sehaffen. Die An twor t da ran f is t n icht ganz einfaeh, znmal es Fa l le wie nnseren Pat . 14 gibt , die ausschlieBlieh Berufnngs- und Erh6hungs- bedeu tungen erleb3n, w~hrend auf der anderen Seite die iKehrzahl der Pa t i en t en neben solehen anch Bedeutungser lebnisse ganz anderen In- hal tes haben. W e n n wir bedenken, dab Bedeutungser lebnisse so gut~ wie immer bei a f fekt iv noch gu t e rha l tenen Pa t i en t en auf t re ten , so is t

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 483

es zum mindesten verst/~ndlieh, dab ein solehes sozusagen aus dem Nichts kommendes Erleben den Betreffenden in zwei Hauptrichtungen beeindrucken kann, einmal in die der Stimmung des berufenen GroBen oder in die des Verr/~tseltseins, des sieh nieht mehr Auskennens; da- zwisehen liegen h~ufige Misehstimmungen. DaB zum Zustandekommen der ersteren die pr~tmorbide PersSnlichkeit ganz ohne EinfluB ist, mSchte ieh naeh meinen Erfahrungen nieht glauben.

Wie aber gestalten sich nun die eigentliehen Vorg/~nge, die zum Bedeutungserleben fiihren bzw. dieses ausmaehen ?

A1]e Beispiele zeigen iibereinstilmnend, dab das Ph/tnomen niemals ohne gleichzeitig eintretende Abwandlungen im prim~ren Erlebnisablauf erscheint. Diese sind im Prinzip identisch mit den Abwandlungen in der Gruppe I und II. Sie unterscheiden sich nur bier in der Gruppe III yon jenen dadureh, dal] das P16tzliche des Gedankenentzuges, der dort den Abwandlungen voraufgeht, zunehmend weniger bemerkt wird. Die Zgsur wird naehr und mehr versehwommen. Es konnte nun in den hier gebrachten Beispielen gezeigt werden, dal3 tier Gehalt des Bedeutungs- erlebens in inniger Sinnbeziehung steht zu dem Inhalt der Abwandlung, zu dem sekund~r Auftauchenden, d. h. nicht prim/~r Intendierten. Dieses wiederum konnte ebenfalls in unseren Ergebnissen oft genug in eindeutige Sinnverbindung rait dem prim/tr Intendierten gebraeht werden, d. h. mit dem korrekten Erlebnisinhalt v o r der Abwandlung. Es lag also die Abwandlung nicht g/tnzlieh auBerhalb greifbarer Zusammen- h~nge mit dem Vorangegangenen.

Wenn im spontanen Erleben der Patienten yon diesen Beziehungen niehts auffindbar ist und wenn Qualits und Inhalt des Bedeutungs- erlebens weiteste Entfernung yore Letzt-Intendierten aufweisen, dann offenbar nur deswegen, weil einmal in Vorstellungsversuchen wesentlich eingeengtere Bedingungen obwalten und weil zweitens dadureh die Patienten zu letzten M6gliehkeiten der introspektiven Beobachtung ver- anlal~t werden. So miissen im spontanen Erleben dem Beobachter sowohl wie dem Patienten solehe einsehbaren Beziehungen meistens entgehen und bei der uneingesehr/~nkten AusbreitungsmSglichkeit kann die fiberdies gar nicht naehr als solche bemerkte Abwand lung- rasch den l~ahmen des priifbar Sinnverwandten fiberfliegen.

Nach dem was oben schon fiber den Charakter der Bedeutung im normalen Erleben gesagt wurde, n/~mlieh dab sie, je weniger pr/~gnant sie ist, um so mehr danach geartet sein kann, auch einen aus naehreren Einzeldaten bestehenden Gesamtkomplex naeheinander zu iiberschatten, versteht sich nun aueh die Tatsaehe des Flutens des Beobaehtungs- gehaltes beim Schizophrenen. Hierbei ist noeh ira Auge zu behalten, dab im seelisehen Ablauf gerade dieser Patienten das Erleben der Z/~sur n/~mlieh der vor der Abwandlung - - zunehnaend schw~tcher wird. Im spontanen Erleben der Patienten wird es bei der Diffusit/~t und der

484 Konrad Zucker:

schweren FaBbarkeit der Abwandlungen fast immer so sein, dab der yon ihr ausgehende Bedeutungsgehalt riickflutend das letzt zuvor Gehabte f~rbt. In Vorstellungsversuchen k6nnen wir auch das Um- gemehrte gelegentlich sehen. I m Beispiel 47 der Pat. 19 gibt diese eine Erkl~rung, die darauf mit Sicherheit schlieBen 1/~Bt, dab die Gesamt- bedeutung offenbar durch das prim/~r als gesprochen Vorgestellte gegeben war. Diese Vorstellung riI3 mehrmals ab und in der Zwischenzeit sah sie Mutter und Bruder, die den , ,Instinkt der Stimmen" die sio vorstellte, fibernahmen. Hier also erh/~lt das Neuauftretende irgendwle mit die Bedeutung des priraiir Intendierten. Dasselbe ist beim Pat. 23 der Fall, der sich seinen Vater sprechend vorstellen sollte, und wo der neue anL tretende Blumentopf die Bedeutung der offensichtlich intendierten Warnung bekam, die der Vater sprechen sollte.

SehlieBlieh noeh ein Beispiel ffir die ~berschat tung eines mehr- gliederigen Vorganges durch ein Bedeutungserleben, dessen Sinnverwandt- schaft mit dem realen Ausgangspnnkt mehr znfMlig war:

Beispiel 56: Pat. 24, der sich in dem gegenwi~rtigen Gespr~ch zwar dauernd verr/~tselt, aber sonst recht vertrauensvoll zeigte, blickte gerade auf die Hand des Referenten, nachdem dieser den Federhalter fortlegte und seine ]:[and zum Aus- ruhen in im fibrigen v611ig belangloser Weise mit gestreckten und gespreizten Fingern auf das Papier vor sich legte. Bei diesem Blick auf die ttand wird er often- sichtlich ~ngstlich und sagt: ,,Wit sind hier eingeschlossen." Gleichzeitigiiberzeugt er sich durch einen Blick, dal~ die Tiir nur angelehnt ist. Wi~hrend Re~erent diesen Vorgang sofort aufnotiert, f~hrt Pat. fort: ,,Sie sehen so aus, als ob Sie reich er- drosseln wollen." Ohne auf die Frage ,,Wieso ?" zu antworten, fr~gt er, noch immer ~ngstlich, welter: ,,Herr Doktor, ich soll nun wohl hinausgehen, ja ?" (Nein, warum fragen Sie das ?) ,,Well Sie die Hand so reckten." (Was hat das damit zu tun ?) ,,Ja, weil.. .", schfittelt den Kopf, ,,ich kann mich nicht konzentrieren, kanns Ihnen nicht sagen !" Hier veranlaBte eine an sieh nebens~chtiche Kandhaltung des Referenten den Inhalt der Bedeutung, dal] der Pat. dem Arzt, der ihn er- drosseln will, ausgeliefert sei. Wir erhalten diese Erkl~rung aber erst als ,,in- adequate" Antwort auf eine Frage, die sich auf eine~ul~erung des Pat. mit ganz anderem Inhalt bezieht. Dieses ()berspringen kann dem Pat. nur ganz unscharf bewu~t gemacht werden.

N~her wird anf diese Frage um das Bedeutungsgeffihl bei den funk- tionsanalytischen Besprechungen eingegangen werden.

Der Kliniker weft] ans vielfacher Erfahrung, dab es einmal nur Patienten w~hrend eines ganz bestimmten Stadiums des schizophrenen Krankheitsverlaufes sind, die intensivere Bedeutungserlebnisse oder sagen wir gleich wahnhafte Einf~l]e haben und dal3 zum anderen dieser Znstand, in welchem die Patienten dann auch gewShnlieh ratlos oder verrs erseheinen, gemeinhin nicht lange anh~lt. Es t r i t t dann, wenn keine Remission erfolgt, ein Fortschreiten ein, und zwar schliel~t sieh daran weniger oft ein halluzin~torisches Zustandsbild an, sondern wesentlieh h~ufiger werden die Pat. zunehmend inkoh~rent und reden vorbei. Man hat als Arzt den unabweisliehen Eindrnck, die Patienten stehen auf der Kippe.

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 485

Die Beispiele der Pa t . a.us der nun folgenden Gruppe IV werden un te r ande rem zu zeigen haben, was, funktionsmi~Big gesprochen, aus den] Bedeutungser leben wird. Wi r werden denselben Vorgang im Pr inz ip hier wieder an t ref fen und werden sehen, wie durch eine funkt ionsana- ly t i sch aufzeigbare Zunahme des Krankhei t sgeschehens an ganz be- s t i m m t e r Stelle, aus dem Ablauf , in welehem zuvor das Bedeutungs- leben en tha l t en war, d i e Inkohs des Denkens und das Vorbei reden wird.

Die Gruppe IV. Die P a t i e n t e n der Gruppe I V haben in unseren Versuchen das Wesent -

l iche gemeinsam, daI3 sie fiber die Abwegigkei t ihrer Vorstel lungsabls nur sehr geringe bzw. gar keine Angaben raachen konnten . Sie waren alle, besonders Pa t . 27, of tmals noch genfigend zu f ix ieren und s t r eb ten sicht l ich das Ver langte an, doch ihre Ber ichte fiber das, was auf tauchte , liel3en n ich t die ger ingste S te l lungnahme oder gar E ins ieh t in das Ab- wegige erkennen. Oft waren ihre Aul3erungen derar t , dal3 es zweifelhaft b le iben mul~te, ob sie mi t dem Auf t rag noch in i rgendeiner Beziehung s tanden.

Beispie157 : Pat. 28 sollte ein Pferd vorstellen. Nach 6 Sek. : ,,Ja, ich schraubte es an den weil]en Mast einer Cydermaschine." (Sie sollten ein Pferd vorstellen !) ,,Ja, ein weiBes Pferd, sehen Sie wohl. Da ist die Ausstellung".. . irrt weiter ab.

Beispiel 58: Soll ein Apfel vorstellen. ,,Ja, es ist ein Marsh-Mellon (Apielsorte) gelb mit griinem Schein." (Wo sehen Sie den ApIel ?) ,,Wo ich ihn hernahm, yon einem Teller, Sherman (Name eines Mitpatienten) war auf dem Teller." (?) ,,])as ist einer, der zuteilt (one who shares)."

Sol] wieder einen Apfel vorstellen. ~ach 4 Sek. : ,,White Ways' Whisky und ein rStlicher Apfel." - - ,,Hintergrund war motorbraun und ein Wagen, nein ein Liefer- wagen." (Beriehten Sie mehr darfiber!) ,,Zuerst sah ich einen Waggonwagen und dann den Apfel und dann sagten Sie White-Ways (stimmt nieht) und dann wurde es ein seegrfiner Apfel. Und dann vereinigte sich alles zu einem Dentisten." '

Beispiel 59: Pferd vorstellen: ,,Das war Hyde-Park-Corner". . . murmelt einige unverstandliche Wor te . . . ,,da bei Oxfordstreet, dahinter ist ja Queen Anne's Square."

Beispiel 60: Pat. 27 soll ein Pferd vorstellen. Pat. : ,,Kann kein Pferd sehen." (h~ochmals versuchen !) ,,Ieh sehe Wills' Capstan Zigaretten, wenn sie ein Capstan- Paket aufmachen.. , wie ein l%echen in der Mitre."

Beispiel 61: Pat. 29 soll sieh die Zahlen 1--10 nacheinander auf eine Tafel geschrieben vorstellen. !~ach 3 Sek. 6finer er die Augen und sagt: ,,Ja, es begann bei der }{ohe-Stral3e und giug hinunter bis zum ,Einhorn ~ (ein Gasthaus), ich weil3 nicht, was Sie da wollen." Kann weiter keine Auskunft geben.

Derselbe Pat. soll sich eine Hand vorstellen. 0ffnet nach knapp 2 Sek. die Augen und sagt: ,,Herr Doktor, ich habe aber nichts zn tun mit dem Manne, der sagt, das Ende der Welt ware da." Gibt keine weitere verwertbare Auskunft.

W~thrend wir yon dem Pa t . 29 a m ns Tag und vom Pat . 28 sparer ws einer ganz gu ten l%emission niihere aufkls Aus- kfinfte fiber das Wie ihrer Vorstel lungsabli tufe erhiel ten, konn te beim Pa t . 27 ein anderer wicht iger P u n k t ws des Versuehes selbst sicher

486 Konrad Zucker:

herausgefunden werden. E r konnte niemals, auch wenn er eigens da rau f hingewiesen wurde, angeben, warm das Vorgestel l te verschwand, Oft war er am Ende des Versuches unsicher, ob er es i i be rhaup t vorges te l l t ha t t e oder er war (f~tlschlich) f iberzeugt, es ga r n ich t bekommen zu haben.

Beispiel 62: ~ffachdem er nochmals darauf hingewiesen wurde, den Finger zu heben, wenn das etwa Vorgestellte verschw~nde, bekommt er den Auftrag, eine geschriebene Drei vorzustellen.-- Pat. schliel3t die Augen. Naeh 3 Sek. : ,, Ja, ich kann das, es war eine schwarze Drei." Nach 4 Sek. 5ffnet er die Augen und gibt an: ,,Es ist fort,' ich habe sie gar nieht gesehen." (~berhaupt nicht ?) ,,Doeh ich glaube !" (Ja oder ~Tein ?) ,,Ja, ich sah sic ganz klar, aber als das Ger~usch draul3en ertSnte, war es for t . . . Nein, es ging, bevor das Ger~usch begann."

Stets is t er sicher, daI] er das Ver langte sieht, w/~hrend er es vor- stell t , oft schi lder t er es, bevor es ~breil~t, noch m i t e inigen Einzelhei ten , nie aber bemerk t er das Sehwinden. E r s te l l t nur das Geschwundensein les t und selbst diese Fes t s te l lung mul3 ihm auf eine andere Weise k o m m e n wie dem Normalen , denn sie erfo/gt offenbar mehr in dem Sinne, d a b er bemerk t : es is t nichts da, als in dem anderen Sinne: dal3 es nicht mehr da ist. Dieses UnvermSgen, den Abschlul3 eines eigenen irmeren Vor- ganges zu erleben, toni3 gewil3 le tz te ren in der Er inne rung in e inem viel ungewisseren L ieh t erscheinen lassen. Hier lieg~ eine wei tere P~ral lele zurn Einsch la fdenken , welchen Vorgang C. Schneider bekannt l i eh zu Vergleichszwecken m i t schizophrenem Denken heranzog. Es bedar f wel ter keiner Erklgrung, da/3 in solchen Zust~nden die sic]] e insehiebenden Nebengedanken gar n ich t m e h r als solche bemerk t werden. Die Pa- t i en ten geben, da sie selbsC keine Zgsuren im Denkab lauf mehr erleben, ihre An twor t en ganz nach dem, was sich ihnen biete t . U n d wenn iiber- haup t , so is t der Res t d e s Sinnes, den ihre An twor t en haben, dar in erschSpft , dal3 sie das, was sic sagen, eben nur re in formal als A n t w o r t meinen.

Dal3 wir hier auf dem rech ten Wege sind, das bes tg t igen uns Aussagen und Erk l s der ande ren P a t i e n t e n (28 und 29), die sich a m ngehs ten Tag bzw. 2 Woehen spare r zum Teil rech t gu t an die Versuehe er inner ten .

Pat. 28 aul3erte sich zun~chst allgemein dazu: ,,Ich kann reich dessen wohl entsinnen. Wenn Sie reich damals fragten, gingen alle meine Gedanken durch- einander und ich gab als Antwort das, was durch meinen Sinn ging." (Bemerkten Sie nicht, dal3 es falsch war 2) ,,Ich wollte gewil3 keine falsche Antwort geben, es ist einfach nur das, was im Bliekfeld meiner Gedanken war, das gab ich zur Ant- wort." (Und konnten Sic denn nicht iiberlegen, daft das vielleicht falsch sein kSnnte ?) ,,Nein, ich denke, Sic wiirden das iiberlegen und mir sagen, ob es richtig oder falsch war, was ich sagte. Ieh selbst habe nicht daran gedacht, ob es richtig oder falsch war."

Beispiel 63: Soll sich jetzt wieder ein Pferd vorstellen: ,,Ja, ich konnte es." (Nur ein Pferd ?) ,,Nein, es ging yon einem Pferd zum anderen." (Sonst nichts ?) ,,)lein." (Als Sie damals ein Pferd vorstellen sollten, sagten Sic etwas yon Cyder ?) ,,Ich dachte damals an die Handelsmarke einer Cyder-Firma und in dieser Handels- marke ist ein weil]es Pferd und dann dachte ich an eine Ausstellung, wo ein Mast aufgeriehtet war." (Was hat das mi~ Cyder zu tun ?) ,,Weft ein Doktor mir dort

Funktionsanalyse in der Sehizophrenie. 487

sagte, Bier oder Kohlens/~ure wgre gut ftir l~Ialer (Pat. ist Maler). Das wfirde die S/~ure beseitigen, die yon den Farben beim Rieehen in den Magen kommt."

(Ein anderesmal, als Sie ein Pferd vorstellen sollten, sagten Sie etwas yon Hyde- Park-Corner ?) ,,Als ich damals aufgefordert wurde, mir ein Pferd vorzustellen, da habe ieh aueh gleieh Polizei i gesehen und einen Auflauf bei Hyde-Pal'k-Corner, wobei ieh einst einen Sehlag auf den Kopf bekommen babe. Und dann kam der Apfel wieder, den ieh aueh vorstellen sollte und da fragte ieh reich: Welehe Farbe soll ich w/~hlen und da kamen mir natiirlieh all die Obstgesehafte in der Oxfordstreet in den Sinn und in der Gegend sind alle StraBen in Squares gebaut2. ' '

(Wissen Sie denn noeh, dab sie wirklieh diese Dinge so ~hnlieh zur Antwort gaben ?) ,,Nein, wissen tu ieh das nieht mehr so genau, meine Gedanken waren sehr verwirrt, aber es muB so gewesen sein."

Pat. 29 war am ns Tag weniger ratlos und aueh weniger in- kohs er entsann sich aueh aller s der Vorstet- lungsversuehe. - - Die sehon yore Beobachter gehegte Vermutung, es kSnnte sieh im ersten der bier erwihnten Beispiele um ein Abgleiten yon Zahlen auf It/iusernummern gehandelt haben, best/~tigte er, konnte jedoeh nicht sieher angeben, ob Ref. ihn nicht veranlagt hgtte, an das genannte Wirtshaus zu denken.

Den Ausgang des zweiten Versuehes aber konnte er besser kommen- tieren : Er h/~tte die Hand gar nieht gesehen, sondern nur Linien, die wohl Handlinien waren. ,,Da sehien mir die Gelegenheit, dab wir beide hier so sagen, ernst zu sein". (Sie sagten etwas yon einem mann, mit dem Sie niehts zu tun h/~tten ?) ,,Es war bier so ernst und da braehten reich die Handlinien auf Prophezeiungen". (Vgl. Beisloiel 61.)

Der weitgehende Mangel an Absehlugerleben zwisehen dan ver- schiedenen Inhalten mug dem gesamten seelisehen Ablauf, besonders dem spontanen, nieht provozierten, einen hohen Diffusit/~tsgrad ver- leihen, womit aueh eine geringere Eindringliehkeit verkntipft ist. Das Eindringliehe und ganz besonders das Uberrasehende, was zum Charakter des Bedeutungsgeftihles innerhalb der vorigen Gruppe gehSrte, ist ohne ein wenigstens noeh leidlieh vorhandenes Zisurerleben nieht denkbar. Bei der I I I . Gruppe erstreekte sich das Sehwinden der Z/isur noeh mehr auf die Bedeutung als auf die saehlichen Inhalte. tiler in Gruppe IV aber verschwimmt beides ohne TrennungsmSgliehkeit mit dem Vorangehenden und dem Folgenden. Wir dfirfen uns die hier vorgetragenen Verhgltnisse nieht zu starr vorstellen, vielmehr so, dab innerhalb dieses Defektes Sehwankangen vorkommen mfissen, wie dies ja aueh jede ldinisehe Beobaehtung an Pat. lehrt, die sieh in diesem Zustand befinden.

Etwas yon dieser Diffusit/~t verraten dann aueh noeh die Erklirungen, die die Pat. 27, 28 und 29 fiber die gehabten Abl/~ufe geben konnten. Der ganze Vorgang wurde noeh eriimert, aber spontan konnten sie aueh dann noch nieht zu den Fehlern Stelhng nehmen. Erst die Fragen des

1 Polizei in London ist bei Aufliufen vielfaeh beritten. 2 Vgl. den Versueh selbst.

488 Konrad Zucker:

Beobachters halfen ihnen nun, in den wieder reproduzierten Vorgang sozusagen die fehlenden Z~snren nachtr~glich einzuffigen.

Wir haben in den uns hier besch~ftigenden schizophrenen Denk- vorgang jetzt soweit hineingelenchtet, dab wir nun erkennen, dab ihre spontanen wie experimentell bedingten Abliiufe nicht nur von Abwand- lungen, sondern auch yon dadureh gleichzeitig mitgegebenen Bedeutungs- wechseln nur so wimmeln. Wir verstehen aber damit zugleich auch, dab die Patienten der IV. Gruppe diesem Weehseln gegonfiber - - anders wie die der Gruppe I I I und evtl. auch I I - - kein Bedeutungserleben im eigentlichen Sinne mehr haben kSnnon. Nur selten hSren wir noeh Erkl/~- rungen wie: Das bedeutet das und das. In einom solchen Ausdruek isb ja noeh der Rest einer Absehlul~mSgliehkoit enthalten. Die Folge dot Einzelinhalte im seelischen Ablauf, wie Gruppe IV sie berichtet, lassen fiir den H6rer selbst diese formale Qualit~t vermissen, die uns Anhalt dafiir geben k6nn~e, an welchen Punkten des Erlobnisflusses sich etwas besonderes erreignet hat. Sic erz/ihlen und antworten eben ganz so, wie sich alles in ihrem Innern z~surfrei abspielt, was ,,gerade in das Blickfold der Gedanken ger~t". W~hrend uns also ein Krankor der Gruppe I I I mit noch so viol Bedeutungserlebnissem wenigstens noch die Gelegen- heir gibt, zu begreifen, warum or gerade in dem Augenblick eine wunder- ]iche Antwort gab, nehmen uns die Patienten der IV. Gruppe durch ihr allmghlieh fortfallendes Beeindruektsein dureh den dauernden Weehsel yon Abwandlung und Bedeutung die letzte MSglichkeit, sie aneh nut formal zu verstehen. Lediglich ihr anfangs noch vorhandones Verrs sein kSnnte dem aufmerksamen Beobaehter den Gedanken an solche kontinuierliche Weehsel nahelegen, bis aueh diese Auff~lligkeit bald zu sehwinden pflogt, und wir sind dann bei der Inkoh~renz und dora Vorbeireden des Klinikers angelangt.

Wenn es iiberhaupt noeh eines bestgtigenden Hinweises daffir bedarf, dab sieh in dem Vorbeireden dieser Patienten ein Versehwimmen der InhaRe ohne korrekte und entscheidende ~arkierung darstellt, dann soll bier noch eine Eigentfimlichkeit naehgetragen werden, die sich fast ausschlieBlieh in den Vorstellungsversuehen der Gruppe IV land. Diese Patienten untersehieden oftmals beim Vollffihren eines Vorstellungs- auftrages nicht nur nicht mehr zwischen Verlangtem und spontanen Ab- wandlungen, sondern auch nieht mehr zwischen diesen und realen Er- scheinungen.

Beispiel 64: So gab Pat. 27 beim Anftrag, sich das Gergusch yon flieBendem Wasser vorzustellen, an: ,,Ich h6re die Stimme der Schwester", die wirMich yon drauBen her leise zu hSren war.

Beispiel 65: Pat. 29, die sich die Stimme ihres M~nnes vorstellen soll, an~wortet: ,,Vogelzwitschern und jetzt kommt ein Flieger". (Beides reale Gerausche.)

Dabei waren diese Patienten nicht nur f~hig, gelegentlich Proben von golungenon Vorstellun~en zu geben, sic boten vielmehr alle Anzeichen

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 489

daffir, dal3 sie mit ihren Antworten glaubten, die Aufgabe richtig gelSst zu haben.

Es dare hier vielleicht bekannt werden, dab eine auBerordentlich groge Zahl y o n Versuehen gerade mit den Pat. der Gruppe IV gemacht werden muBten, bis sich die hier vorgetragenen Verh/~ltnisse entschleiern liegen. Gewig bekommt der Untersucher, der sein Verst~ndnis ffir sph~rische Entgleisungen (Aphasien, Einsehlaferlebnisse, Arterioslderose, senile Demenz) geiibt hat, bald ein zunehmend ,,feines Geh6r" ffir das Woher schizophasiseher Abwandlungen. Dennoeh: Gegenfiber der Unzahl yon Beobachtungen, in denen kein Konnex zwischen primgr Intendiertem und Abwandlung mehr gefunden werden konnte, sind die Ergebnisse gering an Zahl, die ffir die Argumentierung wirklieh ein- leuehtende Beispiele abgeben. Sehr oft war es nur einem Zufall zu danken, der einen auf die rechte Spur braehte. Dafiir nur ein Beispiel:

Beispiel 66: Pat. 30 soll sich seinen vor ihm liegenden Pantoffel ansehen und dann nach Augenschlug vorstellen. Nach knapp 3 Sek. 6finer er die Augen. (Ge- konnlb ?) ,,Ja, ich sah den Buchstaben A inOl". (Nicht den Pantoffel ?) ,,Vielleicht, aber doch ein A." Ein jetzt erfolgender und wegen des zugleich einsetzenden vSlligen Vorbeiredens kaum zu bemerkender Hinweis des Pat. auf den Pantoffel, veranlaBte den Ref., das grob karrierte Stickmuster des Pantoffels nigher ins Auge zu fassen, auf dem in der Tat, wenn auch nicht gleich in die Augen springend, die Form eines A yore Pat. aus gesehen werden konnte.

Zusammenlassung der bisherigen Ergebnisse.

Es soll aus den bislang berichteten Ergebnissen nur das eine zu- sammenfassende ]~esprechung linden, was weiter unten ffir die Iunktions- analytisehen Betraehtungen yon Wert sein wird:

F/ille mit kliniseh geringer ausgesproehenen Ver/inderungen im Sinne yon Gedankenentzug und Fremdgedanken beriehten bei Vorstellungs- versuehen fiber ein ersehwertes und verspiitetes Kommen der geforderten Vorstellungen. In etlichen Versuehen zeigt sieh bei diesen Patienten natfirlieh aueh gar nichts yon der Norm Abweichendes. Wesentlieh h~Lufiger, ja typiseh zu nennen, ist ein ,,drohendes" AbreiBen, ein Weehsel zwisehen Deutlichkeit und Undeutliehkeit oder ein dann tatsiichlieh erfolgendes Abreigen der Vorstellungsgebilde. tt/iufige andere Aus- driieke ffir das offenbar drohende Abreigen sind Angaben darfiber, dab das Vorgestellte sehwanke, dag e~ yon links nach reehts gehe odel dab es real dunkler, mal heller werde.

Da diese Weisen sich meist beim gleichen Falle einstellen, so daft wohl mit I~eeht angenommen werden, dag es sieh dabei lediglich um versehiedene Grade des bestehenden StSrungsprinzips handelt. Das Abreigen braueht nieht allemal plStzlich zu erfolgen, sondern kann aueh im Sinne eines mehr oder minder rasehen Sehwindens vonstat ten gehen. In den Versuehen, wo ein AbreiBen oder Sehwinden des prim&r Inten- dierten vorkommt , kann sich nun der weitere Verlauf versehieden

'490 Konrad Zucker:

gestalten. I n verhNtnism/~Big noch gut erhaltenen F/illen hSren wir An- gaben, dab es nach einiger Zeit gelingt, das Entschwundene wieder zu bekommen und es wird dann mit dem ersten identifiziert. Oft kann sich dieses Wiederkommen mehrfaeh wiederholen. In diesen F/~llen werden die so entstandenen Lfieken meist mit nichts anderem ausgeffillt erlebt. Ohne scharfe Trennung und manchmal sogar b~Xim gleichen Pafienten stoBen wir auf andere Erscheinungen, wo naeh Schwund des anf/~nglich Vorgestellten nur etwas diesem ahnliches auftaucht: Es werden dann die einzelnen Dinge nieht identifiziert, die Pat. spreehen yon ,,mehreren Bildern" oder ,,Dutzend Pferde (Dampfer) kamen mir in den Sinn" o. &. In weiterer Entfernung yon dem Anf/tngliehen kommt es dann fernerhin auch zum Vorstellen yon Dingen, die nur noeh eine mehr oder weniger deutliehe Sinnverwandtschaft mit dem Erstvorgestellten verraten. Szenenhafte Vorstellungen nehmen diesen Verlauf besonders leicht, oft sogar ohne, daB fiber ein zuvor erfolgtes AbreiBen beriehtet wird.

Wie gesagt, ist das Abweichen dabei oft gar nicht so weitgehend, dab man es nieht aueh als innerhalb der Breite normalen Erlebens vor- kommend denken kSnnte. Es ist dann nur die Eindringliehkeit und das Geffihl des NiehtanderskSnnens, die diese Erscheinung yon /~hnlichen beim Gesunden unterscheidet.

Gar nieht selten wird der Gedankenentzug, sowohl der ohne als auch der mit ausgeffillten Liieken, &uBerst lebhaft empfunden und dann als ein k6rperliehes Gefiihl gesehildert, und zwar als ,,Sehlag atif dem Kopf", ,,Zueken dureh den ganzenKopf" oder ,,KSrper". Erfolgt er langsamer, so sprechen die Kranken gelegentlieh yon ohnmaehtsahnliehen Gefiihlen, yon einem siehheruntersenkenden SehMer u. a.

Es ist hier der Ort, einem Einwande zu entgegnen: Man k6nnte etwa mit t~eeht sagen, dab in Vorstellungsversuchen an Normalen die Inhalte gar .nieht so hgufig mit soleher Deutliehkeit gegeben seien, dag etwaige Ver&nderungen, die sieh aueh bier einstellen kSnnen, so pr/~zise gesehildert werden k6nnten, wie das aus unseren Angaben fiber Sehizo- phrene hervorzugehen seheint. Demgegenfiber ist zunachst zu wieder- holen, dab die Auswahl unseres Materialg haupts~ehlieh mitbedingt war durch die Forderung eines an sich genfigend klaren Vorstellungs- vermSgens. Ganz, abgesehen aber davon sind den Pat. selbst bei gelegent- licher Undeutliehlceit des Materials die Erscheinungen des AbreiBens und des Auftretens anderer Inhalte mit einer Eindrfieldiehkeit gegeben, die yon der Deutliehkeit des vorgestellten Inhaltes jedenfalls weitgehend unabh/~ngig ist. Es seheint also, dab da, wo diese Besonderheiten fiber- haupt noch erlebt werden, sie sich mit einer Eindringliehkeit darstellen, die den Pat. veranlaBt, sie als kSrperliehe Migempfindug zu sehildern.

Hierfiir ein Beispiel, in dem die fragliehen Dinge ganz gut zusammen zum Ausdruek kommen:

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 491

Beispie167 : Pat. 19 soll sich folgende Worte gesproehen vorstellen: ,,Er arbeitete die ganze Zeit," - - Pat. : Es sei nicht sehr klar gewesen, aber sie babe es wohl vor- stellen k6nnen. Aber es sei vor dem Worte ,,ganze" und dann wieder vor ,,Zeit ~ ein Stop gewesen. (Rissen die Worte oder der Satz ab ?) ,,Nein, Satz und Worte gingen dutch, nur die Vorstellung daran brach ab". (Nochmals n~her erkl~tren !) ,,Beim Vorstellen bekam ,,ganze" und ,,Zeit" einen ganz anderen Eindruck." (Verschieden untereinander ?) ,,Ja, alle 3 Eindriicke waren ganz verschieden von- einander. Damit wechselte auch die Bedeutung des Satzes". (2) ,,Der eine Teil ging tiefer, der andere leichter durch den Kopf; das ftih]te ich hier (zeigt auf den IIinterkopf), das nahm verschiedene Wege durch den Kopf" (Haben Sie das sonst auch oft ?) ,,Friiher 5fter, nun ist's besser, nur jetzt, wenn wir uns soviel unter- halten, kommt's wieder."

Man kann demnach also sagen, dab es sieh bei den Erlebnissen des AbreiBens, des Auftauchens neuer Inhalte inklusive Bedeutungen um Erscheinungen handelt, die dort, wo sie noch erlebt werden, in ihrer Deutlichkeit nieht yon der des Vorstellungsinhaltes abh~tngig sin& Das wfirde also unterstreiehen, dab es die yon der Norm abweichenden Formmerkmale im Erlebnisverlaufe sind, auf die wir in erster Linie unser Auge zu riehten haben, und die aueh den Patienten selbst beein- drucken, soweit seine Selbstbeobaehtung dazu noeh ausreicht. Von gr6Bter Wichtigkeit ist es denmach welter, dab die Inhalte der aus- gefiillten Liicken nach dem GedankenabreiBen yon den Patienten der ersten Gruppe empfunden werden als nieht ihrem Willen unterstehend, als yon selbst gekommen, als fremd, ja als gemacht. Das scheint dem Grade naeh abhangig zu sein yon der Intensit/~t des zuvor gefiihlten Gedankenentzuges und andererseits yon der grSBeren oder geringeren Sinnverwandtsehaft, den das sekund~r Auftauchende mit dem primer Intendierten hat.

Ein Teil der mitgeteilten Versuche wurde zu dem Zwecke heraus- gesueht, um zu zeigen, dab die Beziehungslosigkeit zwisehen dem pri- maren Vorstellungsinhalt und dem sekundgr ungewollt Auftauchenden nur eine sehr relative ist und dab es unter den eingeengten Bedingen einer Vorstellungsaufgabe eben ]eiehter mSglieh ist, eine Sinnverwandt- sehaft aufzuzeigen, wahrend das im Spontanerleben meistens nieht ohne weiteres gelingt.

Es wfirden sieh dann zwei Fragen beztiglieh dieser Abwandlungen ergeben: 1. Nach der Richtung, die sie nehmen und 2. nach dem Aus- maBe, d. h. nach dem Grade der Entfernung yore Erstvorgestellten oder yore Geforderten.

~ber die Richtung wurde oben schon gesagt, dab sie mannigfa]tig sein kann, verschieden auch sogar beim gleiehen Falle. Wir sehen da Wege gehen zu Sinnverwandtem, zu bedeutungsmaBig Verwandtem, sehr oft auch nur zu sprachlich und zu situativ Verwandtem. Gerade dieser letztere Weg seheint in fortgeschritteneren Fallen der zunehmend hanfigere zu sein. Es liefe diese Frage letzten Endes auch auf eine solehe der Struktur des (im Gedaehtnis) bereit liegenden Materials hinaus.

Arch iv fiir Psych ia t r i e . Bd. 110. 33

492 Konrad Zucker:

(Ober die Umstrukturierung des latenten Gedachtnismaterials im Laufe der Psychose wird in einem besonderen Kapitel die Redo sein, da uns eino Besprechung der Umstrukturierung des Erlebnismaterals hier zu welt yon unseren Betraehtungon abffihren wiirde.) I-Iier mag uns nur noch oino besondore l~ichtung der Abwandlung interessieren, die yon den Pat. 14 und 17 regelmaBig eingeschlagen wurde, namlieh die das Vorzustellende in eine besondere Ich-Nahe zu rficken. Eine l~leigung dazu ist auch in normalen Vorstellungsloistungen vorhanden. I-Iier falIt sie uns nut dadureh ~uf, daB sio nieht nur besonders doutlich in Erscheinung tritt, sondern daB sie die letzte Hilfe darzustellen scheint mit dor die geste]lte Aufgabe iiberhaupt noch bew/~ltigt werden kann. Funl~ionsanalytisch kann aber diese I-Iilfe als eine ,,sinnliche Anreiche- rung" gelten, ohne welche der verlangte Vorgang nioht mehr mSglich schoint.

Fiir unsere Betraehtungen wichtiger ist es, dem Grade der Ent- Iernung nachzugehen, den die Abwandlungen oder das in der Vorstellung Neuauftauchende vom primer Intendierten annimmt. Es lassen sich da ziemlich eindeutige Beziehungen aufdecken. Kleist, der ebenfalls dioson Dingen soin Interosse widmeto, stellte lest1: ,,Schizophreno kSnnen Gegenstande, Personen, Zusammenh~nge und Vorg~nge nieht in gehSriger Weise vorstellen, definieren.., es bieten sich den Kranker~ verwandte und locker verbundene andere Vorstellungen dar; oft werden mehrere auf diese Weise geweckte Begriffe vermengt." Er sprach dos- halb yon Paralogien. ,,Dieses alles eriolgte '-- so fs Kleist fort. - - in den bier gemeinten Fallen bei klarem BewuBtsein, ausreichender Aufmerksamkeit und bereitwilligem Verhalten, konnte also nicht dureh allgemeine tterabsetzungen der psychischen Aktivitht, der Aufmerk- samkeit des ,,BewuBtseinstonus", durch ,,Miidigkeitsdenken" (Berze, C. Schneider, Gruhle) erklart werden." - - Nun, dutch ein ~iidigkeits- denken hat C. Schneider diese Dingo aueh nieht zu ,,or]daren" versucht, ]ene dienten ihm ledlglich als ~odellvorg/~nge dazu, die Formmerkmale vergleichend herauszuarbeiten und das diirfte ihm gelungen sein, DaB ein wesentlicher Untersehied zwischen schizophrenem Denkon und dem in der Mfidigkeit besteht, wird yon keinem phanomenologisch gerichteton Forscher bestritten worden. Andererseits aber lassen die oben zitierten Darlegungen Kleists die Auffassung vermnten, als ob die schizophrenen (oder iiberhaupt) Denkvorgange sieh innerhalb einer bestimmton Be- wui~tseinsla.ge abspielen, clio an sich weehsoln kSnne odin" mit anderen Worten, dab ]~ewuBtseinszustand und Denkvorgange trennbare Binge seien etwa im Sinne des oft gebrauchten Beispiels, dab sich dieselben psyehisehen Vorg/~nge auf einer (BewuBtseins-) Biihne mit verschiedener IIelligkeit abspiolen kSnnten. Solehen Annahmen gegeniiber muI~ aber

1 Kleist: Vortrag 76. Vers. Schweiz. Ver. Psychia~r. Basel 1929. Zbl. Neur. 56, 458 (1930).

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 493

festgestellt werden 1. daJ~ Begriffe wie Bewul~tsein, Aufmerksamkeit usw. innerhalb einer Funktionsbetraehtung unanwendbar sind, so wert- voll sie in einem anderen, rein psychologisehen Sprachgebrauch aueh sein mochten; und 2., dab gerade die ~unktionsanalyse die Dinge, nur naeh Form und Inhalt geteilt, so zu erfassen trachtet, dab sieh das, was mit jenen zust/~ndlichen Begriffen wie Bewul]tsein usw. gemeint wird, aus der Funktion selbst ergibt.

Die Vorstellungsversuche und die Beobachtungen an unseren Pa- tienten lehrten nun eindeutig folgende Beziehungen: Je tiefgehender die schizophrenen Ver/~nderungen waren, ein desto weiteres Ausmaft rtahm die Entfernung der seknnd~r anftauchenden inhalte yon dem primer Intendierten an. Oft war es ftir den Beobachter praktisch nieht mehr mSglieh, einen Zusammenhang herauszufinden. (Klinisch wiirde das gleiehbedeutend mit Vorbeireden oder Inkohs sein.) Anderer- seits ergab sich: Je mehr diese Erscheinung in der Patientenreihe auf- trat, um so weniger ~ul~erten sich die l~atienten in ihren Erklarungen spontan dariiber, um so weniger sehien ihnen das Regelwidrige daran selbst anfzufallen. Oft konnte ein n~heres Bsfragen vielleicht noeh eine leidliehe Stellungnahme erzwingen. In den fortgeschritteneren Fgllen war aber aueh das nicht mehr mSglieh. Sie konnten, wie uns das der Pat. 28 sparer sehr schSn erkl~rte, voI1 sieh ans nicht mehr ent- scheiden, ob das, was sie antworteten, richtig oder beziehungslos war, es kam ihnen diese Frage wohl aueh gar nieht. Ein formal sehr wichtiger Punlc~ ist, dal~ Patienten mit geringen StSrungserseheinungen (z. B. Pat. 7) den Zeitpunkt des Auftauehens nnd Versehwindens oder Ab- rei~ens selber sehr gut bemerkten und aueh dureh Zeichen angeben konnten, wghrend dieser Weehsel den Patienten mit st/~rkeren StSrungen mehr und mehr entging (vgl. Pat. 26). Bei ihnen deuteten nut die Inhalte ihrer Antworten mit Sicherheit auf die gleiche formale StSrung hin, sie selber aber konnten zunehmend weniger dazu Stellnng nehmen. Vergegenw/~rtigen wir uns nochmals, yon welch weittragender ]~edeutung ein Verlust des Abschlul~erlebens innerhalb der eigenen inneren Vor- g/~nge sein mul3! Es ist ohne weiteres einleuchtend, dal~ damit auch im Erleben jede Z/~sur, jede )~arkierung gegen/iber neuauftauehenden Dingen fortf~llt, gleichviel aus welcher l~ichtung sie kommen mSgen, gleichviel zun/~chst, ob es der Hauptrichtung entsprechende oder nieht entspreehende Dinge sind, die sich einstellen. Da ist kein Anfang und kein Ende mehr. Es kommt zum Verschwimmen der Einzelinhalte ineinander.

Es mug hier nun aber wohl unterschieden werden zwisehen der Tat- sache, dal3 es fiberhaupt zum (ungewollten) AbreiBen der Vorstellungen kommt, einem an sich schon krankhaften Geschehen, und andererseits dem Nichtbemerken dieses Abreil~ens. Wir sahen, da$ das letztere eine Erscheinung ist, die nicht in einem Entweder-Oder gegeben ist, sondern

33*

494 Konrad Zucker:

die sich in allm/ihlich zunehmendem Mafte finder und die auSerdem noeh beim gleichen Patienten in der St/~rke wechseln kann, je naehdem er durch Auftrag oder Fragen des Beobachters darauf hingelenkt wird. Dieses Gerichtetsein auf die eigenen inneren Vorg/inge, die Selbstbeob- achtung ist ja auch beim Normalen gar nicht dauernd yon gleicher Deutlichkeit. Doch diirfte der Unterschied zur Selbstbeobachtung zwischen dem Gesunden und dem Sehizophrenen in dem Grade der fiberhaupt bestehenden M6glichkeit dazu eindeutig gegeben sein. Dort, wo auch beim Normalen diese M6glichkeit geringe r wird, wie beim Ein- schlafdenken, bekommen wit dann auch Parallelvorg/~nge, die formal ,oweit den schizophrenen Vorg~tngen i~hneln. Vergleiche hierzu die Bei- spiele bei C. Schneider, denen wir hier noeh eines aus eigener Erfahrung zufiigen m6ehten, und zwar deshalb, well an ihm die besonders weite Entfernung der Abwandlung yore pr imer Intendierten selten deutlich und "die eindeutige Beziehung doeh zugleich noch faSbar wird.

Beispiel 68: Ref. beschi~ftigte sich kurz vorm Einschlafen mit einer Schi~del- Index-t~echnung. Eine Zahl mit 2 Dezimalen mul3te dabei mit 100 multipliziert werden, wobei also das Komma fortfallen konnte. Da klangen rage Bedenken gegen diese l~echnung an. Diese kamen yon einer Vorstellung, dab die Zahl Zeit- ~inuten bedeutete und demnach nach dem Duodezimalsystem zu behandeln sei. Diese Gedanken spielten sich sozusagen innerhalb eines klaren optischen Traum- bildes ab, in dem ervor einem Teiche stand, auf welchem etliche Leute Versuche mit selbststeuernden kleinen Segelbooten anstellten. Im ,,Fokus des Gesichtsfeldes" war ein Mann, der mit dem Arrangieren einer Steuervorrichtung beschi~ftigt war, die auf einem Metallbande eine Gradeinteilung hatte. Wiihrend dieses Vorganges wurde irgendeine Beziehung zwischen der Reohnung und dem Bilde des Teiches mit den Segelbooten nicht erlebt.

Wir sehen an diesem Beispiel, da$ es oft nut yon Zuf&lligkeiten des Findens seitens des Beobachters abh~ngig ist, da$ das richtungsan- gebende Bindeghed zwischen den prim&ren und sekund&ren Denkinhalten ausgemacht werdcn kann. Eben darum ist uns abet nicht das l~eeht gegeben, yon einer eigentlichen Zusammenhangslosigkeit dieser Art des Denkens oder der Vorstellungst/~tigkeit zu spreehen.

Das Fremdheitsge[iihl, welches sich innerhalb der hier skizzierten Verl~ufe so oft finder, ist nicht ganz einheitlich zu begreifen. Schon nach den klinischen Erscheinungen mfissen wir zwei Weisen unter- scheiden: 1. das dauernde Fremdheitsgeffihl, in das sich alles, was die Patienten spontan erleben, kleidet und 2. das Fremdheitsgefiihl, was nur gelegentlich und nur gewissen seelischen Inhal ten gegenfiher auf- tritt . Da in unseren bisherigen Versuchen nur das letztere vorkam, so mull die erste Art auf eine weiter unten zu erfolgende Besprechung verschoben werden. Die zweite Art aber land sich nur den nicht inten- dierten Abwandlungen gegeniiber und auch nut in den Gruppen I u n d I I , w/~hrend es sich in Gruppe I I I schon seltener und unausgesproehener land, um in Gruppe IV gar nicht mehr vorzukommen. Es lassen sieh

Funk~ionsanMyse in der Schizophrenie. 495

fiir sein Auftreten aber folgende drei Bedingungen erkennen: 1. Die Sehnelligkeit des Eintretens der Abwandlungen, d. h. je sehneller dieses gesehieht, um so deutlieher das l~remdheitsgeffihl; 2. der Grad der Sinnentfernung des sekund&r Auftauehenden, d. h. je gr6ger dieser, um so sti~rker das l~remdheitsgeffihl und 3., und das ist wohl die wiehtigste Bedingung, die Selbstbeobaehtungsm6gliehkeit; sie mug vor allem gut erhalten sein, damit ein Fremdheitsgeffihl fiberhaupt m6glieh sein sol/. Denn dort, wo die Selbstbeobaehtung, das ist das Bsmerken der Abwand- lungen, zunehmend sehwindet, da fehlt aueh das Fremdheitsgefiihl mehr und mehr.

Wenn nun aueh ffir das Bedeutungserleben im Prinzip /~hnliehe Be- dingungen wie ffir das Fremdheitsgefiihl auszumaehen sind, so bekommt dennoeh der Gesamtvorgang, der zu ersterem ffihrt,einen anderenAspekt dadureh, dab sieh ja das ~'remdbeitsgeffihl an einem anderen Erlebnis- material vollzieht als das Bedeutungsgeffihl. Ersteres t r i t t auf gegen- fiber den nichtantizipierten saehliehen Inhalten der Abwandlungen; letzteres besteht seinem Wesen naeh in dem Fluten eines Bedeutungs- gehaltes als selbst/~ndigen Tells einer Abwandlung, deren anderer sach- lieher Inhalt gar nieht ins Erleben trat. Und es finder sich das Bedeu- tungsgefiihl erst unter den schon genannten Bedingungen, dab 1. die Z/~suren zwischen den einzelnen Erlebnisinhalten beginnen schw/teher zu werden und 2. dab auch hier die M6gliehkeit zur Selbstbeobachtung noeh vorhanden ist. Denn ein ,,wahnhaftes" Bedeutungsgeffihl hatten vorwiegend die F~lle, die den Eintr i t t der Abwandlungen nur ungenau oder machnmal aueh gar nicht mehr beobachteten. Wie das schon vermerkt wurde, ist die Bedeutung als T6nung oder F&rbung, jeden- falls als ein Tell eines Erlebniskomplexes, als mit zum Material des Erlebens geh6rend zu reehnen. Ihre n/~here funktionsanalytisehe Be- sehreibung steht allerdings noeh aus. In der Vorstellungst~tigkeit ist sie fiir sich a]lein kaum oder gar nieht erlebbar. Sie wird - - wenn aueh oft nur unklar - - vorgefunden stets im Verein mit anderem Material. Mit anderen Worten, sie besitzt nieht die sinnliehe N/~he wie viele andere konkretere Vorstellungsinhalte. Dureh diese sirm]iehe Gestaltsarmut ist die Bedeutung aueh im normalen Erleben oft geeignet, den nachst- folgenden Inhalt mit zu durehsetzen oder ihrerseits gar das Erseheinen letzterer zu veranlassen. In solchem Falle dtirfte in der Selbstbeobach- tung eine Ad&quatheit best/~tigt werden. - - Was aber das schizophrene Erleben in dieser tIinsieht anszeiehnet, ist einmal das Inad&quate in der Beziehung yon Inhalt zu Art des Bedeutungsgeffihles. Das kann sowohl yore ~Beobachter festgestellt, als auch oftmals yore Patienten selber empfunden werden, soweit es die ibm noeh verbliebene Selbstbeobach- tungsmSglicbkeit zul&6t. Zum anderen ist es die Tatsaehe, dal3 das Bedeutungsgeffihl rfickwirkend den Komplex oder Erlebnisverlauf ,,f/~rben" kann, wie das an den Beispielen 42 und 44 zu sehen ist. Beides,

496 Konrad Zucker:

besonders letzteres, kann aber nur vor sich gehen dort, wo die Z/~suren zwischen den versehiedenen Vorstellungsinhalten im Selbsterleben mehr oder weniger fortf~llen, wo sich also sozusagen Brficken ffir das ~ber- oder t~/ieldlieBen der Bedeutung ergeben. I-Iier ist die MSgliehkeit des Verst/~ndnisses ftir das eigenartige Versehwimmen des Naeheinander- erlebens gegeben.

Funktionsanalytische Betrachtungen. In den folgenden Untersuchungen werden die gestaltspsyehologischen

Begriffe yon Figur und I-Iintergrund in iihnlicher Weise Anwendung linden, wie in einer fr/iheren funktionsanalytischen Untersuchung fiber die amnestisehe Aphasie 1, wo sie sieh in dem dort vorgenommenen Aus- bau fruchtbar erwiesen. Die Tatsache, dab und wie ein lebendiger Vor- gang anhebt, das was die Psychologie mit intentionalem Moment odor Akt bezeiehnet, steht als solche augerhalb funktionsanalygiseher Be- trachtung. Wir k6nnen nur die Art des Wirkens, die lebendigen Ver- /~nderungen studieren. Von diesen stellen wir lest, dab sie im Prinzip sowohl physiologiseh wie psychologisch betraehtbar sind. An der win- zipiellen Unvereinbarkeit beider :Betraehtungsweisen lift die Lehre yore Leben, die Biologie, trotz der vielen, immer wieder versuehten Kompro- migl6sungen. Auf die Gesehiehte dieses dualistischen Dilemmas wird hier natiirlich nicht eingegangen.

Streben wit abet nach einer einheitliehen Betraehtung der Lebens- vorggnge, so kann eine solche - - ftirs erste wenigstens - - nicht anders als auf das rein Funktionale geriehtet sein. Ihr Bliek lenkt sieh dann auf die formalen Beziehungen unabhgngig vom jeweiligen physiologiseh oder psychologisch gemeinten Inhalt.

Fiir die vorliegenden Zwecke dieser Arbeit wird demzufolge dort, wo sieh eine l%egung ffir uns faBbar s ganz allgemein yon der Tendenz eines bestimmten Vorganges gesproehen. Ziel der Tendenz nennen wit die Figurbildung = die Abhebung vom tIintergrund.

Die Form der Figur ist durch die Tendenz bestimmt. Ihr Inhal t ist das dureh die Funktion der Tendenz aus dem tIintergrunde gef6rderte Material.

Unter Material wird das n/~heren verstanden alles, was an Sinnes- eindrfieken, Bewegungsmotiven, Erfahrungen, Einnerungen und Bedeu- tungen besteht; sei es nun, dab es latent vorhanden ist (I-Iintergrund) oder dureh die Ts der Tendenz geformter Inhal t eines Vorganges wird. Es soil hier nicht die groge Sehwierigkeit unerw/thnt bleiben, die darin besteht, dab wit in den hier zu entwickelnden Auffassungen das Wesen yon Stimmungen und Geftihlen, was ihre intentionale Seite an- langt, augerhalb der Betraehtung lassen miissen. Es steht fiir uns lest,

ii.c.

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 497

dal~ sie ihre eigenen Entstehungs- und Verlaufsweisen haben. Eine entsprechende Sonderstellung nehmen aueh die sehizophrenen Erlebnisse in bezug zur vitalen und KSrpergeffihlsph~re ein. Wir haben daher auch ausdriieklieh die taktilen Sinnest~usehungen aus den Versuehen und Deutungen herausgelassen. Wir kSnnen Stimmungen und Geffihle hier nur als Gegebenheiten anspreehen, in deren erstmaliges Weber wir nur selten Einbliek gewinnen. Zu diesen Ausnahmen z~hlt aber das Fremdheitsgeffih] und ferner das der t~atlosigkeit und des Verr~tseltseins.

Allein wir l~Snnen in unseren B~traehtungen deshalb nieht ganz yon ihnen absehen, da wit Stimmungen und Geffihle als die ein Erlebnis begleitenden Vorg~nge antreffen. Und insofern wit sie in dem vorfinden, was hier als Material bezeiehnet wird, sind sie ~iir uns nieht nur yon grSl~ter Wiehtigkeit, sondern sind dann auch mit Gegenstand funktions- analytiseher Uberlegungen, ja aueh in dem Falle noch, we wir ihnen als veto ad/~quanten Inha]t frelen Geffihlen begegnen, soweit wir sie dann nut auf zuvor im Erleben vorhandene Inhalte zurfiekffihren kSnnen. ~[it anderen Worten gesagt: Soweit Stimmungen, Gefiihle und sogar Drang- ph~nomene primer die Tendenz zur Figurbildung abgeben, fallen sie auBerhalb unserer M~glichkeiten, bilden sie aber mit den Inhalt der Figur, so sind sie ein notwendiger und wiehtiger Bestandteil unserer Er- ld~rungen.

Das Material ist aber auch latent offenbar nicht in einem chaotisehen Zustande vorhanden, sondern es erhielt durch friiheres Erleben (--~ Ge- stalten) seine jeweils letztgesehaffene Form. In jedem Erlebensvorgang werden friihere Materialkomplexe in mehr oder weniger neue Formen umgepr/~gt oder auch neue erstmalig geschaffen.

Die Tendenz ist bezfiglich ihres nitheren Charakters nun als ein viel- fach kompliziertes Gebilde zu denken, dessen Abitnderungen gegeniiber der :Norm Hauptgegenstand der Funktionsanalyse sind. Von ihrer jeweiligen Stgrke und yon ihrer inneren Eigenstruktur wird es abhangen, ob die Pr~gung oder die Umpragung des Materials, d. h. die Figurbildung vol]- st~ndig oder unvollstgndig geschieht, oder ob es unter krankhaften Struk- turver/~nderungen zu unpr~zisen oder sonstwie abwegigen Figurbil- dungen kommt.

Wir kSnnen innerhalb der Tendenzfunktionen zwei Wirkungssphgren wohl unterscheiden :

Die Tendenz kann sieh einmal nur auf das Material des Hintergrundes richteR, aus welchem sie dureh aktive Formung die Figur, d. h. den jeweiligen Erlebnisinbalt, bildet. Dieser Vorgang ist sehon ein hoch- komplizierter. Es gehSrt dazu die Aussonderung yon passendem und die Abspaltung yon nichtpassendem Material, so da~ die Figurbildung ein- deutig und pr~zise wird. - - Zum anderen aber kann sieh die Tendenz auf den so in Gang gesetzten Vorgang selbst wieder richten, indem sie nun als Material die eben gebildete Figur plus sich selbst enthglt. - -

498 Konrad Zucker:

,,Wir k6nnen uns selbst als Objekt haben" wfirde das im Heideggersehen 1 Sinne heil3en. Mit anderen Worten, die Tendenz kann die gesamte gesehaffene Figurbildung noehmals als l~aterial angehen.

Soweit nur die erstgenannte l~unktion in Frage kommt, wird die Tendenz, die sieh nur mi~ der Formung der Figur und ihrer Heraus- hebung aus dem Hintergrund befal3t, die prim/~re Tendenz oder die ~aterialtendenz genannt. Sie geht demnaeh nieht etwa vom l~aterial aus, sondern sie wendet sich an das l~aterial.

Die andere Tendenz, die diesen Vorgang noehmals /ibersehattet, wird die sekund/~re Tendenz genannt. Ihre Funktion ist in sieh wieder vielseitig: Im Gesamt des Erlebnisflusses, we Figur auf Figur folgt, muB es eine Instanz geben, welche die Riehtung vorweg bestimmt, die also die Zielbildung verfolgt, die andererseits Mles das best/~tigt, was durch die IVIaterialtendenz geformt wurde, die den gesamten Erlebnis- strom zu einem Kontinuum macht. Durch sie wird der Erlebniswert bestimmt. Im Wahrnehmungsvorgang bedeutet sie den ,,identifizierenden Akt" de r Psyehologen; im rein inneren Erlebnisablauf maeht sie die Selbstbeobaehtung aus, und ferner erh/~lt dureh ihre T/~tigkeit die Figur- bildung den bestgtigten Charakter des Gemeinten oder aueh nur den, dab derVorgang sioh im eigenen Innern abspielte. (Ob man die sekund~re Tendenz als ein yon der prim/~ren Tendenz ganz unabh~ngiges Gebilde ansehen will oder nieht, erseheint nebens/~ehlieh. Die Erfahrung am Kranken lehrt zum mindesten die innigsten Abh~ngigkeitsbeziehungen beider voneinander.)

Vonder Selbstbeobachtung und der ihr zugrunde liegenden sekun- d~ren Tendenz l/~Bt sich ffir unsere Zwecke noeh folgendes sagen: Die Selbstbeobaehtung ist auch im Normalen bekanntlieh nieht immer in gleich starkem 1VfaBe t~tig, ist vielmehr Sehwankungen unterworfen. Es kommt aber gar nicht darauf an, in welehem Mal~e yon der vorhan- deneh MSglichkeit zur Selbstbeobachtung in einem in Frage stehenden Vorgang Gebraueh gemaeht wird, vielmehr darauf, wie grog in einem bestimmten Krankheitsfalle diese MSgliehkeit fiberhaupt vorhanden ist. Urn ein Beispiel zu w~,hlen, so kSnnen wir beim Vergleich eines sehwachen mit einem starkenMuskel yon einer geleistetenArbeit, die dem sehwaohen noeh m6glich war, allein zwar noch nichts fiber den Unterschied beider aussagen, trotzdem aber sind die physiologischen Vorg~nge bei dieser Arbeit durch die zusatzlichen MSglichkeiten des starken ~uskels, die bei der eben geleisteten Arbeit nooh gar nieht zum Ausdruck zu kommen brauchen, ganz versehieden.

Beim NormMen und im Wachsen sinkt nun die Selbstbeobachtungs- funktion nie unter ein bestimmtes MM~, das sich beim stark distrahierten Erleben, wie etwa beim D6sen, auf die reine Zuwendung besohrankt. Und erst bei konzen~rierteren geistigen Vorg~ngen erh~lt diese Funktion

1 Sein und Zeit, 1927.

Funktionsana]yse in der Schizophrenie. 499

dann aueh antizipierenden, d. h. das Ziel der Figurbildungen - - nicht diese selbst - - vorwegnehmenden Charakter. Stets aber sehen wir, dab das Verh~ltnis yon Materialtendenz und sekund~rer Tendenz im Ge- sunden ein absolut{estes ist, so dal~ unseharfer Figurbildung der Material- tendenz eine ebenso unscharfe Antizipation und lgssigere Zuwendung der sekundgren Tendenz entsprechen und umgekehrt. Dies ist yon aus- sehlaggebender Bedeutung fiir die folgenden Darlegungen.

Das hindert nicht das Verst~ndnis fiir die Erfahrung, dal3 die MSg- lichkeit zur Selbstbeobachtung auch im Normalen schon versehieden grolt ist in annahernder Abhgngigkeit yon Intelligenz, ~bung und be- sonders vom Alter. (Kinder antizipieren nur erst beim Wahrnehmungs- akt und noch wenig oder gar nicht bei inneren Vorg&ngen.) Welehe Rolle die Affekte hierin spielen, ist funktionsanaly~isch noch nicht untersucht. I m iibrigen erscheint fiir die inneren Vorggnge evident, dal~ sich die sekund~re Tendenz immer nur auf Inhal te richten kann, (tie zur Zeit selber gerade Figur sind oder dureh ihre Antizipation an- schlie~end Figur werden sollen.

Beim Einschlafen wird diese MSglichkeit zunehmend geringer bis sie im Traum nieht mehr oder nur selten und dann noch unvollkommen vorhanden zu sein pflegt, wo dann auch Vorstellungen wie Wahrneh- mungen erlebt werden. In der Fanktionsanalyse des Tr~umens spielen natiirlich noeh andere Momente eine Rolle. Es wurde das hier deshalb erwghnt, weil C. S c h n e i d e r 1 ja die Vorggnge des Einschlafens und nicht etwa die des Tr~umens hinsiehtlich ihrer Formmerkmale mit schizo- phrenen Vorg~tngen in Parallele setzt. Es is~ das eine Stiitze mehr fiir die sich sparer ergebende Forderung, dal~ die SelbstbeobachtungsmSglieh- keit in der Sehizophrenie, soweit wir verfolgen kSnnen, niemals vSllig Null wird.

Die pathologischen Erscheinungen lassen sich nun auf eine StSrung des normalerweise festen Verh~ltnisses des Tendenzpaares zuriickfiihren. Der StSrungspunkt kann dabei sowohl in der primaren wie in der sekun- d~ren Tendenz liegen. Delirante Phgnomene verstehen sich z. B. durch Defekte, die ihren Ausgang yon der sekund~ren Tendenz nehmen. Andere treffen zuerst die primate Tendenz, die dann auf die allerverschiedensten Weisen in ihrer Funktion beein~r/~chtigt werden mag, so dal~ es kommen kann zu unscharfer Figurbildung dadurch, daft die ganze Bedeutungs- sphgre und nicht das gemeinte Einzelne in die Figur eingeht oder zu ersehwertem Auftauchen oder zu verl~ngertem I-Iaften der Figur u. ~. m. Die eben angedeuteten Dysfunktionen warden bereits bei der amnesti- schen Aphasie 2 und bei der Mescalinvergiftung 3 studiert.

Von groBem Werte aber ist es, inwieweit bei StSrungen, die die ~ater ial tendenz treffen, nachfolgend auch die sekundgre Tendenz in

1 ~chneidsr, C.: i. c. - - 2 1. c. - - s Z. ~[eur. 127.

500 Konrad Zucker:

ihren Funktionen beeintr/~ehtigt wird. Dieses braueht keineswegs un- mittelbar der Fall zu sein. Im Normalen wird das an sieh unwrgnder- bare Verh~ltnis beider Tendenzen in den Xnderungen seiner ggkoppelten Gesamtfunktion yon der selmnd/~ren Tendenz her bestimrat (konzen- triertes oder distrahiertes Erleben oder ]~insehtafen.) Bei krankhaften Prozessen jedoeh, die in der Materialtendenz ihren Ausgang nehmen, ist oft diese Koppelung gestSrt. Und hierzu geh6ren die sehizophrenen Erseheinungen, die uns zu interessieren haben, we wit sehen werden, daft es in den leiehteren St6rungsgmden innerhalb der Materialtendenz noeh zu keinen deutliehen Ver~nderungen der sekund/~ren Tendenz kommt, dab diese sich vielmehr erst naeh und naeh einstellen, wodureh dann eine Beeintr/~ehtigung der Selbstbeobaehtung resultiert.

Versuehen wit nun, die in den Vorstellungsversuehen gesammelten Beobaehtungen in diese ~berlegungen zu fassen. C. S c h n e i d e r 1 nnter- seheidet beim Denken Sehizophrener ebenfalls zwisehen dem AbreiBen und dem Neuauftauehen= Substitutionen. Er stellt ferner lest, dab beides zwar h~ufig vergeseilschaftet ist, daB aber doch oft auch das eine ohne das andere auftreten kSnne. Andererseits betont er die Verwandt- sehaft beider Erseheinungen. Dieser letzten Behauptung raSchten wit nur bedingt zustimmen. Es wurde bereits dargelegt, dab naeh unseren Beobaehtungen in den Vorstellungsversuchen ein AbreiBen m i t naeh- folgenden Abwandlungen vorwiegend yon gut bis leidlieh erhaltenen, d.h. noeh ,,koh~rent" denkenden Patienten, ein AbreiBen ohne Ab- wandlungen aber n u t yon gut erhaltenen Patienten angegeben wurde; w~hrend Abwandlungen des primer Indentierten ohne Abreigen, wenn aueh gewiB nicht aussehlieBlich, so doch vorwiegend bei den F/~llen aus- gemacht wurden, die im ganzen st~rkere St6rungen aufwiese~ bzw. sehon vorbeiredeten.

Es ist eine h~ufige Erseheinung, dab es bei einer irgendwie bed~lgten Tendenzst6rung zu unprgzisen Figurbildungen konamt dergestalt, daB sinnverwandtes Material mit in die Figurbildung eingeht (z. B. Aphasien, Mescalinvergif~ung, M~idigkeitsdenken). Es wurde gezeigt, dab es beim sehizophrenen Gesehehen lediglieh eine Angelegenheit des Grades ist, ob eine Sinnverwandtsehaft des entgleisend auftauehenden Materials mit dem Intendierten noeh deutlieh ist oder nieht mehr. Grundlegende Untersehiede sind trotzdem innerhalb dieser Erseheinung zwisehen Sehizophrenen und z.B. Aphasikern gegeben: Einmal vollzieht sieh die gesamte Figurbildung mit ihren Ungenauigkeiten in einem wesent- lieh h6heren oder subtileren Funktionsniveau als bei Aphasikern und dann kommt es bei letzteren eigentlieh nieht zu dem ausgesproehenen ~remdheitsgef~_hl den Entgleisungen gegenttber. Ein Fremdheitsgeffihl f~llt abet in fortgesehrittenen F~llen yon Sehizophrenie aueh all- m/s fort. (Es ist offenbar ganz falseh, hier mit Gewohn_heit oder

1 Schneider, C.: 1. e.

FunktionsanMyse in der Schizophrenie. 501

/~hnlichen niehtssagenden Faktoren zu rechnen. Wir kennen leidlieh erhaltene Fglle, die seit 18 oder 20 Jahren Halluzinationen oder Fremd- erlebnisse haben und immer real wieder nut deswegen sich beklagend den Arzt aufsuehen.) Es diirfte abet schwer halten, einen Fall mi t nieht mehr vorhandenem Fremdheitsgeliihl den Abwandlungen gegenfiber zu finden, der nieht im fibrigen auffiele, dab er 1. ein Abreil3en nieht mehr erlebt und 2. dessen Abwandlungen nicht fiber das MaB des leieht fag- baren Sinnverwandten weir hinausgehen, mit anderen Worten, der nieht kliniseh schon mehr oder weniger inkoh/~rent wirkt.

Es muB da also zu weiteren, st/trkeren Ver~nderungen in der Fif~r- bildung gekommen sein, die I-Iand in Hand gehen einerseits mit einem Versehwimmen der EinzelinhMte und andererseits mit einer Sehw/~chung der SelbstbeobachtungsmSgliehkeit. Wit haben das an den F~llen der Gruppe IV n/ther auseinandergesetzt, und gesehen, dab es zusammen mit einer zunehmenden Diffusit/~t der Abwandlungen zu einer zunehmen- den Einebnung der normMerweise vorhandenen Zs zwisehen den EinzelinhMten kommt. Wir begegnen damit einer Beeintr/~ehtigung der Selbstbeobachtungstendenz in ihren antizipierenden und kontrol- lierenden Eigenschaften. Augerdem gibt noeh das Fluten der Bedeu- tungen dem ganzen inneren Ablauf eine weiter nivellierende Note, die das Einsetzen einer kritisehen Siehtung vSllig unm6glich maeht. Wit vermissen daher dann aueh jedwede MSgliehkeit einer Stellungnahme der Patienten zu ihren eigenen Erlebnissen und sei es aueh nut in Form eines Fremdheitsgefiihles oder eines eigentliehen Bedeutungserlebnisses. Denn in den beiden letzteren liegt ja noeh der letzte Ansatz zu einer Intervent ion seitens der sekund/~ren Tendenz. So erkl/~rt sieh u. a. aueh das paradoxe Nebeneinander zweier inhMtlich wie bedeutungsm~tBig sieh aussehliel3ender Einzelerlebnisse wie im

Beispiel 60: Wo Pat. 29, eine 45j/~hrige ~rau, im Verlauf ihrer inkoh~renten Berichte unter anderem einfliegenl~gt: . . . . . dab ich doeh besser als Adolf t{itler die Regierung tibernommen h/~tte." Diese Worte sagte sie mit einem in ihrem Spontan- bericht gleichbleibenden indifferenten Licheln. I-Iier unterbrochen und zur Stellung- nahme gezwungen, iuBerte sie mit unver/~udertem L~cheln: ,,N[an mug froh sein, Deutschland kann j~ keinen besseren Fiihrer haben." Noehmals zur Stellungnahme zu dem Widerspreehenden beider Aussagen veranlaBt, wuBte sie nut mit einem eben erkennbaren Anflug yon Verlegenheit nieht mehr als ein gedehntes ,,Tj~" yon sieh zu geben.

Es stellt demnaeh der Verlnst der MSgliehkeit zum AbsehluBerleben etwa den Grad der StSrung dar, wo sieh dureh Ver/inderung in der pr imiren Tendenz aueh die zur Selbstbeobaehtung Ms unzureiehend er- gibt. Es 1/~gt sieh das aueh noeh anders vor Augen ffihren: Da, wo eine Selbstbeobaehtung gelingen soll, muB sie sieh selber gegenfiber dem Vorgang, auf den sie geriehtet ist, mi t hinreiehender Deutliehkeit ab- heben. Soleh ein Abheben wird aber da, wo alle InhMte versehwimmen, in entspreehendem Mage undeutlieher. Man kann selbst in solehen

509. Konrad Zucker:

Zust~nden nicht von einemglattenVerlust der Selbstbeobachtung sprechen. Das ergibt sich aus folgenden Beobachtungen: Es ist auch normaler- weise die Selbstbeobachtung gegenfiber ifineren Vorgs in erheb- liehem lgaBe verschieden stark ts Und Schwankungsm6gliehkeiten sind auch bei Sehizophrenen mit einem Defekt an dieser Stelle noch ge- geben. Das sieht man daran, dab etliche yon ihnen trotz ihrer Inko- hgrenz und ihres Vorbeiredens, ab und zu doch noch ein wenn auch kurzes VerrKtseltsein aufweisen k6nnen, ferner dab sie im Gespr~ch wenigstens noch so welt fixiert werden k6nnen, da$ sie zum mindesten formal, manchmal aueh inhaltlich auf den Gegenstand der Unterhaltung - - wenn auch nur f~r kurze Zeit - - eingehen kSnnen; ganz abgesehen davon, dab die sekund~re Tendenz in ihrer identifizierenden Leistung bei der Wahrnehmung yon Vorg~ngen der AuBenwelt sicher nachweis- bare Defekte nur in geringerem MaBe anfweist (vgl. dazu die Arbeit yon Beringer und RuJ]inl). Das letztere aber erkl~trt sich ganz wesentlich als veto Erlebnismaterial abhgngig. Dieses wird beim Wahrnehmungs- akt bereits der sekund~ren Tendenz in der fertigen Form bereitgestellt, welehe bei inneren Vorg~ngen durch die prim~re Tendenz erst geleistet werden muB. Hier also ersetzen sinnliche Eindrficke mit bereits ge- formten Material das, was bei inneren Vorg~ngen u. a. beim Vorstellen, nur nnpr~zise und diffus gesehaffen werden kann. Das Geslors in welchem dem Patienten auch bis zn einem gewissen und sehr weehseln- dem Grade die Figurbildung abgenommen werden kann, steht hinsieht- lieh dieser Wirkung etwa in der iYiitte zwisehen Wahrnehmung und Vor- stellung. Im Prinzip die gleiehen Untersehiede in der Genauigkeit yon Wahrnehmung und spraehlieh Gebotenem und selbst~ndig erzengten Vorstellungen lieBen sich bei der amnestischen Aphasie nachweisen (womit allerdings keinerlei weitergehende ~bereinstimmnngen vo~ Aphasie und Sehizophrenie angedeutet werden sollen); sie sind ferner inder Erfahrung enthalten, dub bei Schs eines Sinnesprojektions- feldes im Hirn, die so leicht sein kSnnen, dab sie die Wahrnehmnngs- leistung noch nicht erkennbar herabsetzen, trotzdem bereits Sehwierig- keiten in der entspreehenden Vorstellungsleis~nng auftreten. Im ~ibrigen bilden die Untersuchungen yon Beringer und RuHin ~ noeh eine weitere Bests unserer Auffassung. Sobald n~mlich Wahrnehmungen in sehr eingeeng~er Form (l~eizhaaruntersuehungeD!) und wenig kom- plexer ,,Figur"-MSg]iehkeit geboten werden, linden sich bei Schizo- phrenen doch aueh Fehlleistungen im identifizierenden Akt, d.h. inner- halb der sekunds Tendenz.

Diese Bemerkungen muBten zuvor gemaeht werden, um jetzt das Abrei[Jen, den Gedanlcenentzug funktionsanalytisch verstehen zu kSnnen. Nach unseren Versuehsergebnissen stellt sich diese Erseheinung folgender- maBen dar: 1. Der Gedankenentzug ist eharakterisiert durch seine

Beringer u. Ru]]in: Z. Neur. 115. -- 2 Beringer u. Ru][in: 1. c.

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 503

spontan bemerkte Eindringliehkeit. 2. Er kommt nur vor bei Patienten mit noch relativ gut erhaltener SelbstbeobachtungsmSglichkeit und 3. er kann, wie schon C. Schneider feststellte, auch ohne nachfolgende Abwand]ungen eintreten. Den ]etzteren Fall sehen wir allerdings aus- sehliel~lich bei noch al]gemein gut erhaltenen Patienten eintreten. Je mehr sieh unsere Versuehe der Gruppe IV n/ihern, um so seltener h5ren wir noch den Gedankenentzug spontan angegeben. Pat. der Gruppe I I und I I I miissen oft erst danach gefragt werden, um dann Antworten zu geben, die erkennen lassen, da~ auch bier noch Gedankenentzug vor- kommt, der abet dann 5fter als Gedankensehwinden bezeichnet wird. Er spielt sich aber in ihrem Erleben bestimmt nicht raehr mit der Ein- dringliehkeit ab, wie innerhalb der Grnppe I. Was die bier oft zu hSren- den Angaben fiber Flaekern, drohendes AbreiBen, Geffih], als ob die Gedanken yon fremder Seite bin und her bewegt werden (Beispiel 2) u. a. mehr bedeuten, das geht noch deutlicher aus 2 Beispielen hervor:

Beispiel 69, Pat. 10: , , . . . . es ist so eine Gedankenhemmung . . . . und kommen dann ganz fremde Gedanken dazwischen, die nicht yon mir sind, Kreuzgedanken." Von diesen hatte sie den Eindruck, dab sie damit yon fremder Seite her beeinfluBt werde, ,,yon anderen Personen. Meist kann ich die Beeinflussungen mit eigenem freien Willen abhalten".

Beispiel 70, Pat. 14: (Beispiel stammt aus der ersten Zeit der Erkrankung): , , . . . . und in solchen Momenten (Gedankenstop) babe ich das Gefiihl, den Kon- takt mit allem zu verlieren, wenn ich reich nicht stark anstrenge. Es ist dann, als wolle etwas yon mir Besitz ergreifen, was mich, mein Selbst aus15schen wiirde."

Wir erblicken in diesen yon den Patienten oft sehr genau gehaltenen Schilderungen einen recht markanten Grenzzustand, in welehem der Gedankenstop schon nieht mehr allein erlebt wird, sondern wo sich nun schon Abwandlungen einzustellen drohen, die aber zur Zeit noch fern gehalten werden kSnnen. Funktionsanalytiseh ist dieser Zustand dem- entspreehend gekennzeichnet dutch ein Versagen der Materialtendenz, das sich in seiner P15tzliehkeit in der noeh gut erhaltenen Funktion der sekund/iren Tendenz (Selbstbeobaehtung) sehr eindrnckstief spiegelt. Den sich danaeh zunaehst nnr erst keimhaft andr~tngenden Abwand- lungen entsprieht in der Antizipation tier sekunds Tendenz niehts! Dies ist vielleieht der Kernpunkt in der Reihe der hier studierten sehizo- phrenen Erlebnisphanomene.

Wenn auch der Gedankensch~-und, den der Normale unter besonderen Umst/tnden bei sich erleben mag, bestimmt nicht dasselbe ist wie ein sehizophrener Gedankenentzug, so karm unter Umst/tnden eine solehe Erseheinung, ein wenn aueh schiefes Verst/~ndnis fiir den schizophrenen Stop nahelegen. DaB abet im Wachen der Antizipation einmal ein Vor- gang, sei es nun eine leere Liicke oder irgendein Inhalt nieht entspriehf, ist ein Ph/~nomen, fiir welches dem Normalen jedweder passende Ver- gleieh im Erleben fehlt. Und die oft zu hSrenden Worte, die Kontrolle fiber sieh oder den Kontakt mit allem zu verlieren, sind wohl geeignet,

504 Konrad Zucker:

wenigstens das fiirchterlich Neue und Unbekannte daran zum Ausdruck zu bringen.

Das, was sich nun nach dem Gedankenentzug an Erlebnisinhalten einstellt, kann die allerverschiedensten Formen und Verl/~ufe annehmen. Je nachdern der Stop in der Funktion der Materialtendenz plStzlich oder weniger abrupt erfolgt, werden die folgenden Figurbildungen der Materialtendenz (Abwandlungen) eine gr613ere oder geringere Ent- fernung innerhalb der Sph/~re des Sinnverwandten aufweisen. _&lle diese Inhalte aber haben funktionsanalytisch das gemein, dab sic auBerhalb der Vorwegnahme und sorait der Kontrolle der sekund/~ren Tendenz liegen. Sie sind ungezfigelte Produkte der selbst/s ge- wordenen defekten Materialtendenz. Sie werden nicht mehr vom Er- lebenden auf das Ich als ,,yon mir s tammend" bezogen. Denn dieses Beziehen auf das Ich liegt in der den ganzen Vorgang fiberschattenden sekund/iren Tendenz begriindet, welche darin das Ziel der Figurbildung - - ohne Material - - vorwegnimmt und die Figurbildung selber best/~tigt. Solange nun noch die Funktion der sekund/~ren Tendenz erhalten ist, sind die Abwandlungen allemal nur yon jeweils kurzer Dauer und wir hSren daher dann von pIStzlich einsetzenden und nur kurzdauernden Abwandlungen, die nur inhaltlich und in der Formung ganz verschiedener Art sein kSnnen.

Beispiel 71, Pat. 6: ,,Worm ieh gerade was Bestimmtes denke, darm kommen plStzlich Gedanken yon Sachen, die g~hre zurfickliegen, in meinen Sinn. Die sind dann sofort wieder fort~."

In einer ]/~ngeren Serie yon Versuchen mit dem Pat. 24, einem frisch Erkrankten, der in seinem derzeitigen Zustand noch fiber eine leidlich gute Selbstbeobachtung verfiigte, befinden sich zwei Ergebnisse, die deshatb einer besonderen Erw/~hnung verdienen, weft sie uns gleich mehrere Auff~lligkeiten veranschaulichen. 1. Das k6rperliche Gefiihl, mit welchem das AbreiSen einhergehen kann. 2. Die besondere N/ihe des Sinngehaltes der Abwandlung und 3. noch in dem ersten Beispiel eine vielleicht zuf~llige Kontamination des Erlebens des Abreil]ens mi t dem Inhal t der Abwandlung.

Beispiel 72, Pat. 24: Soll die in Abst~nden yon je 3 Sek. genannten Dinge bei geschlossenen Augen vorstellen: Ambo$, Wurst, Strohhut, LSwe, Pappel, elektrische Bahn! Beim letztgenannten fuhr er zusammen, 5ffnete die Augen und antwortete auf Befragen: ,,Ich bekam wie einen elektrischen Schlag, ich hab fiberhaupt nichts mehr gesehen." (Ambof~ gesehen ?) ,,J~." (Wurst ?) ,,Ja, die auth." (Strohhut ?) Den bekam ich nicht. (L6we ?) Den sah ich wieder. (Pappel ?) Ja auch, aber dann kam der elektrische Wagen, den hab ich aber nicht gesehen, ieh bekam es wie einen elektrischen Schlag." (Kam das, weil ich das Wort ,,elektrisch" sagte ?) ,,Das wei$, ich nicht, dann kann ich eben nichts denken."

Beispiel 73: Dieselbe Anordnung mit Frau, Adler, Holzpantoffel, Gewehr! Schiittelt den Kopf: ,,Ich hab nur 'he Zuekung gehabt beim Gewehr dureh den ganzen X6rper. Ich hab gar keine Ged~nken geh~bt, nichts vorgestellt. Nur 'ne

Funktionsanalyse in der Sehizophrenie. 505

Kugel und 'he Erdkugel sah ieh dann und da haben wir 2 oder 3 im Bert gelegen, aber ob das dazu geh6rt, weft3 ieh nieht."

Je mehr wir uns nun den Patienten der Gruppe IV n/ihern, um so seltener wird nieht nur yon Gedankenentzug gesproehen, sondern um so h~ufiger und ls danernd k6nnen die Abwand]ungen sein. Dies geht aber Sehritt far Schritt parallel mi t einer Beeintr/~ehtigung der Selbstbeobachtungstendenz, bis wir seh]ieglich in der Gruppe IV auf die Tatsache stoBen, dab die Abwandlungen als solche kaum mehr be- merkt oder registriert werden.

Wenn diese Ansichten zu Recht bestehen, dab n/~mlieh die Abwand- lnngen selbsts Figurbildung der defekten ?r sind, dann mfigten andere, yon der sekund/iren Tendenz best/~tigte Inhalte w/~hrend der Zeit unm6glich sein. Um das an den folgenden Beispielen zu veransehauliehen, mug hier vorweggenommen werden, was sp/iter genauer zu bespreehen sein wird, dab ns die Abwandlungen aueh Sinnesg/~uschungen darstellen.

Beispiel 74, Pat. 18 : ,,Die Stimmen nehmen ffir die Zeit meinen Geist ganz in Besehlag, ieh bin ausgesehaltet."

Beispiel 75, Pat. 26: ,,W~hrend der Stimmen sind meine eigenen Gedanken aus- geschlossen."

Beispiel 76, Pat. 2: ,,Wenn ich den Zustand bekomme, dann bin ich so er- schrocken, dag ieh niehts anderes denken kann."

Beispiel 77, Pat. 13: (K6anen Sie in der Zeit uueh eigene Gedanken haben ?) ,,I-Iab ieh sehon angesetzt gehabt, es damit wegsehaffea wollen, abet das konnte ieh nicht."

Die yon C . ' S c h n e i d e r 1 besehriebene _;~hnlichkeit des Mfidigkeits- oder Einsehlafdenkens mit den sehizophrenen Abwandlungen bezieht sich, wie er selber betont, nur auf eben diesen Vorgang der sieh ein- sehiebenden ,,Substitutionen". FunktionsanMy~iseh gesehen ist der U n t e r s c h i e d zwisehen den beiden Verls darin gegeben, dab im Gegen- satz zur Sehizophrenie beim Einsehlatdenken die Selbstbeobaehtungs- tendenz zuerst funktionsuntfiehtig wird, und sieh daher die Abwand- lungen in keiner Weise mehr in ihr spiegeln k6nnen. Erst im wieder hell Waehwerden kann das Wesen des Verlaufs erfaBt, erinnert und einer Kri t ik zug/~ngig gemaeht werden.

D a s F r e m d h e i t s g e / i i h l .

Es wurde oben schon kurz ges~gt, dab wir zwei Arten des Fremd- heitsgefiihls auseinanderhalten miissen, wie das bereits J a s p e r 2 rut und es auch im klinischen Sprachgebrauch geschieht. 1. Das Fremdheits- gefiihl bestimmten Gedanken, EinfS~llen, SinnestS~uschungen und Im- pu]sen gegeniiber und 2. das eigentliche Entfremdungsgeffihl. Dieses pflegt far eine lgngere Zeit kontinuierlieh alle seelisehen Vorg/~nge, wie

1 Schneider, C.: I. c. - - 2 Jasper: Allgemeine Psj~ehopathologie.

506 Konrad Zucker:

auger den Wahrnehmungen aueh das eigene KSrpergeffihl, die eigenen Gedanken und Geffihle zu begleiten.

Die weiteren Untersuehungen sollen u. a. lehren, inwiefern beide Er- seheinungen verwandt sind.

Wenden wir uns zun/iehst d~r ersteren zu:

Die Vorstellungsversuche sagen eigentlieh beachtlieh wenig ~iber ein stgrkeres Fremdheitserleben ans. Soweit spontane Xul3erungen ent- sprechenden Inhaltes vorkommen (Beispiele 12, 18, 19~ 26), lassen sie erkennen, dal~ die Patienten die im Versueh auftretenden Abwand- lungen damit kennzeiehnen, dal~ diese nieht yon ihnen gemacht oder gewollt gewesen seien. Sehen wir uns die Abwandlungen aber daraufhin an, wieweit sie sich bezfiglich ihrer Sinnverwandtschaft vora prim/ir Intendierten entfernen, so ergibt sieh, dal~ diese Entfernung fast immer nut gering war. Bei den ~'gllen der I I I . und besonders der IV. Gruppe, wo sie grSSer wird, land sieh auch im spontanen Erleben der Patienten kein Fremdheitserleben; und im Verein Init dem, was wit sehon fiber diese Patienten ausmaehen konnten, wird sich hier das fehlende Fremd- heitsgeffihl mit der abnehmenden MSgliehkeit zur Selbstbeobaehtung erkli~ren. Dort aber, wo bei gut erhaltenen Patienten Bin Fremdheits- geffihl in denVorstellungsversuchen spontan zum Ansdruck kommt, handelt es sieh jeweils um eine grSSere Entfernung, die die Abwandlung ,zorn selbstkontrollierten Gedankenablauf genoramen hatte, wie in Beispiel 78 :

Pat. 3: (Soll ein Pferd vorstellen.) Nach 10 Sek. : ,Das Pferd, das wollte nicht, das schtittelte sich. Dann sah ich eine Hand, ganz deutlich, ich well3 nicht, ob die etwa das Pferd halten sollte; abet das hatte irgend etwas zu bedeuten. Ich weif~ nicht, was daraus werden sollte, die Hand hatte ich nicht gemacht."

Andere Patienten der beiden ersten Gruppen hatten schon dem Ab- reiSen gegenfiber ein ausgesprochenes l~remdgeffihl, so Pat. 2 und 11. Letztere, so willig sie auch sonst war, weigerte sich nach den ersten Vorstellungsversuehen sogar, weitere vorzunehmen.

Beispiel 79, Pat. 11: Soll einen Apfel vorstellen: 0ffnet dauernd erschrocken die Augen. Endlich sagt sie erregt: ,,Nein, nun nieht mehr, das ist zuviel." (?) ,,Das kann man nicht aushalten, alas ist ein zu wunderliches Geftihl, da wei$ ich ja gar nicht mehr, wo ich bin." Sie gab dabei mit aller Bestimmtheit an, nut AbreiBen mit leeren Lticken erlebt zu haben.

N/~heres erfahren wir ffir unsere Zweeke erst aus den spontanen odor auf Fragen gegebenen Xui~erungen unserer Patienten.

Beispiel 80, Pat. 10 berichtet fiber ihren Zustand yon vor etwas 10 Tagen: ,,Oft war es dann eine Gedankenhemmung und dann kamen Gedanken, die da- zwischen traten, Fremdgedanken." Von diesen hatte sie den Eindruck, dal~ sie damit yon fremder Seite beeinflul~t wtirde.

Beispiel 81, Pat. 12: ,,Ganz unabhiingig yon mir sind manchmal ganz fremde Gedanken in meinem Geist."

Beispiel 82, Pat. 14: ,,Da wurde es p15tzlich dunkel in mir und ich bekam ein tierahnliches Gefiihl, etwas tierghnliehes ereignete sich in mir." (Konnten Sie das andern ?) ,,WeiI 3 nicht; es ereignete sich eben."

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 507

Beispiel 83, Pat. 13: ,,Da . . . . stopte es ganz von selbst pl6tzlich und gleich- zeitig bekam ich ein schreckliches Angstgefiihl. Alles war schwarz in meinem Geist und ich hatte fiberhaupt keinen Gedanken mehr." Gedanken in der Brust traten auf, denen gegenfiber er ein ausgesprochenes Fremdheitsgeffihl hatte.

Beispiel 84, Pat. 18: ,,Wenn solche Stops eintreten, dann kommen auch fremde Gedanken zu mir",von denen sie nicht wisse, woher sie k~men.

Aus solchen Schilderungen ergibt sich zur Geniige, dab das Fremd- heitsgeffihl den Abwandlungen gegen~iber auftritt, und zwar mit um so grSl~erer Eindringlichkeit, je markanter der Gedankenentzug zuvor war. Das schliel~t nicht aus, dal~ es ein kurzfristiges Fremdheitsgeffihl auch ohne bemerkten Gedankenstop gibt; immer jedoch sin'd es Ab- wandlungen vom norraalen Denken, die dann als fremd, oder was dasselbe ist, als nicht vom Ich stammend bezeichnet werden.

Funktionsanalytisch liegen die Binge also so, dab es die durch die sekundgre Tendenz nicht antizipierten Produkte der verselbst~ndigten Materialtendenz sind, denen ira Erleben ein Fremdheitsgeffihl anhaftet und das, wohlgemerkt nur bei an sich noch gen~gender Selbstbeob- achtungsm6glichkeit. Denn wo wie in Gruppe IV letzteres ungenfigend wird, werden die Abwandlungen auch nicht mehr als fremd empfunden.

Wie aber gestalten sieh nun die Verh/~ltnisse beim dauernden Ent- fremdungsgefiihl ?

Zum Verst/~ndnis dessen soll zungehst gesagt sein, dal3 es regel- reehte i)bergangsf/~lle gibt, bei denen ein solehes Gefiihl zwar nieht nur den mehr oder weniger kurzen Abwandlungen gegeniiber auftritt, bei denen es aber andererseits aueh nicht dauernd vorhanden ist.

Beispiel 85, Pat. 6: ,,Alles erseheint dann so unwirklieh. I)ieses Gefiihl habe ieh oft ffir einige Zeit, es setzt p16tzlieh ein, meist mit Zittern und meist auf der Straite oder im Bus, seltener zu Hause, dab dann alles, was ich sehe und erlebe nur so rage und unwahrseheinlieh erseheint."

~ber eine allm/~hliehe Entwieklung des Fremdheitsgeffihls beriehtet eine an@re Patient-in:

Beispiel 86, Pat. 18: ,,All mein Gliick sehien yon mir zu gehen. Alles sehien sieh zu ver~ndern." (P15tzlich ?) ,,~Iein, ganz allmghlich und ieh selbst aueh, als ob man eine Menge Sorgen h/~tte und ich hatte doch keine."

Solche ~)bergangsf/ille lehren zun~ehst weiter niehts, als dal3 es sieh bei den beiden Formen des Fremdheitserlebens wohl nicht um prin- zipiell ganz versehiedene Gegebefiheiten innerhalb des sehizophrenen Krankheitsgeschehens handelt. Man kann jetzt annehmen, dal] es qualitativ andere StSrungsformen innerhalb der Materialtendenz sind, d. h. im 1. Fall ein plStzliehes und interkurrent einsetzendes weitgehendes Versagen, das aber nur yon kurzer Bauer ist; im 2. Falle ein leiehterer, dafiir aber ehroniseher Defekt dergestalt, dal] es weniger die saehliehen Inhalte des Materials sind, die eine ungewollte Abwandlung effahren,

A r c h l y f i i r P s y c h i a t r i e . B d . 110. 3 4

508 Konrad Zucker:

als vie lmehr sine Uns t immigkei t innerha lb der bedeutungsmgBigen TSnung des Materials.

Ws wir das inads Bedeutungser leben (klinisch = W a h n i einfall oder wahnhaftes Bedeutungsgeffihl) entgleisten Einzelerlebnissen

g e g e n f i b e r schon kennen lernten, wird es beim Entfremdungsgeff ihl so sein, dab die F igurb i ldung nach dem sachlichen I n b a l t korrekt verl~uft, nu r bezfiglich des Bedeutungsgehaltes unpr~zise wird. DaB diese Be- haup tungen zutreffen, dafiir soll das folgende l~tngere Beispiel den Be- weis ant re ten . Es enth~l t die in vielen Woehen gesammelten Berichte der sehr in te l l igen ten Pat . Nr. 2 der Gruppe I. Aus dem Beginn der Wiedergabe gebt auch noch hervor, dab beide Fo rmen des Fremdhei ts - erlebens ine inander i ibergehen kSnnen. Ira fibrigen wird es un te r An : wendung experimentel l gesetzter Bedingungen Auskunf t geben fiber WandlungsmSglichkei ten innerha lb der Material tendenz zum Teil in Ab- h~ngigkeit yon der sekunds Tendenz.

Beispiel .87, Pat. 2: Es habe ganz allm~hlich begonnen. Zuerst ,,waren es komische fremde Gedanken." (?) ,,Sie waren mir fremd und sie kamen ungew011t, aber'ieh daehte hie, dab sie yon jemand anders kamen." Spater hatte sie bei beson- deren Gelegenheiten, z. B. bei einem Vortrag, den Eindruek, dab alles kleiner zu werden schien, ,,das dauerte etwa 10 Min. und dann war ich wohl daran gew6hnt ~ Sehr bald danach empfand sie fast alles, was sie erlebte und tat, als ffemd und falsch. ,,Ich konnte nun an nichts denken, was ich wollte." (Beispiel ?) ,,Ich wunderte reich, dab Leute umhergehen und denken konnten". (Sie selbst inklusive ?) ,,Das war dasselbe." (KSnnen Sie sich in ihre frfihere Art zu denken, zurfickversetzen?) ,,Nein, ieh weiB nur, dab es jetzt verschieden ist und da~ es komisch ist, ich weiB aber nicht, warum." (Wie ist es w~hrend der Unterhaltung ?) ,,Nein, dann vergesse ich es." (Wirklieh nur vergessen?) ,,Vielleicht merke ich es dann auch wirklich nicht, vielleieht ist es aber auch doch nur Vergessen . . . . K6nnte das dasselbe sein ? - - Wenn ieh spreche, erseheint mir meine eigene Stimme ffemd. Ich bin, wenn ich langere Zeit nicht sprach, immer wieder fiberrascht fiber das Fremde in meiner Stimme. Ich kann zwar alles klar sehen, abet es ist alles ffemd und falsch, wie ich es sehe." (~ndert sich die Gestalt der Dinge ?) ,,Nein." (~ndert sich die Bedeutung ?) ,,Nein." (Gewil~ nicht ?) ,,Nein, ganz gewil3 nicht." - - ,,Aueh sehon Jahre vor meiner Erkrankung habe ich manchmal komische Gedanken gehabt. Die, die ich jetzt habe, sind manchmal dem Inhalt nach gar nieht so verschieden yon denfrfiheren, aber der Eindruck den sie ]etzt au] mich machen, ist ]etzt ein anderer als [riCher." - - Sie sei ganz gerne mit anderen zusammen, weil sie dann auf die Gespr~che der anderen achten k6nne, dann sei ihr Fremdheitsgeffihl e~was besser. ,,Wenn ieh mieh unter- halte - - Sie fragten mieh danaeh - - dann ist das komisehe Geffihl ,darfiber', abet wenn ich komisehe Gedanken habe, dann ist es darinnen und dami~ aueh verbunden und dann ffihle ieh mich welt sehlechter. - - Wenn ich lese, auch dann is~ das fremde Gefiihl zun~ehst besser, aber wenn ich lgngere Zeit gelesen babe, dann kommt ein anderer komiseher Gedanke, in dem ich mieh frage: Wo geht nun das Gelesene hin ? Oder wenn ich irgend etwas anderes er!ebe, dann mug ich reich immer fragen: Weleher Teil yon mir mag das nun genieBen ? Ich wfinsehe das gar nieht zu denken aber es kommt pl6tzlich zu mir, bei allem was ich rue und ieh kann deshalb gar nichts genieBen. - - Auch wenn ich irgend etwas aufnehme, um mieh zu besch~ftigen, sofort kommt mir yon selbst dieser Gedanke oder besser, es ist ein Geffihl mit dem C~danken". (Ist es nieht etwa umgekehrt, dab Sie nicht genieflen k6nnen und dann der Gedanke kommt ?) ,,Nein, so ist das nieht, nein. ~ie habe ich diesen Gedanken

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 509

oder das Geffihl, sobald ieh etwas wiinsche oder hungrig bin, oder wenn ieh spazieren gehen m6chte und ~hnliches. Wenn ich in den Film ging, dann ta t ich das mit dem Wunsche, mich zu zerstreuen. Doch sobald der Film begann, bekam ich sofort wieder den Gedanken: Welcher Teil yon mir geniel~t das nun ? Dieser Gedanke ist ein Tell des Fremdheitsgefiihls; das Fremdheitsgefiihl ist oft auch ohne solche Gedanken irgendwie da, aber wenn der Gedanke hinzukommt, dann macht reich das noch schlimmer." - - ,,Als ich neulich Zahnschmerzen hatte, war ich ganz ver- wundert, dab ich fiberhaupt Sehmerzen ffihlen konnte, ohne Fremdheitsgefiihl."

Fiir etwa 10--14 Tage hatte die Pat. fast t~glich gleich naeh dem Erwachen Zwangsimpulse, die yon einem besonders eindringlichen Yremdheitsgefiihl begleitet waren: ,,Es ist schrecklich, ich bekam pl(itzlich den Antrieb, aus dem Bett zu springen und jemanden irgend einen Schaden zu tun. Ich mu~te reich sehr zu- sammennehmen, um mich selber daran zu hindern." (Empfanden Sie das als einen Befehl ?) ,,Nein, das war kein Befehl." (War es mehr ein Gedanke oder ein Gefiihl ?) ,,Es war ein Geffihl." (Dachten Sie denn irgend etwas klar dabei ?) ,,iNein, es war mehr eine Art ])rang zu irgend einer ttandlung." (Kein Sprechen im Innern dabei ?) ,,Nein, wenn ich das bekomme, so ist es lediglieh eine Art Impuls, irgend etwaS Dummes zu tun; was das dann sein soll, das ist mir selbst nicht klar, eben nur irgend etwas I)ummes; es dauert zwar nur kurze Zeit, aber sehlimm genug."

Wird fiber Fremdheitsgeffihl im Traum gefragt: ,,Nur manchmal tr~ume ich, dab alles falsch ist. Meist ffihle ich reich im Traum ganz gesund oder sagen wir, wie frfiher." (Fiihlen Sie das wirklich dann ?) ,,Ich denlce dann nieht, dal3 ich gesund bin, ich bin dann ganz normal; ich gebe mir keine Reehenschaft darfiber." (Wie kSnnen Sie dann abet urteilen ?) ,,Nun, wenn das Fremdheitsgeffihl nicht da ist ! ])as ist der Grund !" (Und in den Tr~umen, wo alles falsch ist ?) ,,Nun, dann ffihle oder sehe ich nicht alles falsch wie im Wachen; ich weft] dann nur tr~umend, da~ alles falsch ist mit mir und es quil t reich und ich ffage dann wohl Leute, was ich tun k6nnte, um besser zu werden." (Was ist normaler, Ihre Tr~ume oder Ihre Tag- gedanken ?) ,,Oh, da sind Tr~ume, die nie in Wirklichkeit passieren kSnnten, wie eben Tr~ume oft sind; aber soweit sie zusammenh~ngend sind und real sein kSnnten, so fiihle ich mich gesund und normaler als am Tage."

Wi r un te rb rechen hier die Berichte , aus denen eigentl ich schon die wicht igs ten kons te l l a t iven Bedingungen hervorgehen, yon denen das Auf t r e t en eines Fremdhei tsgeff ih ls abhi~ngt. I m Tranme, be im v611igen Fehlen einer Se lbs tbeobachtung , fehl t auch das Fremdhei tsgef i ih] . W a s die Tr~ume anlangt , in denen es eine Rolle spielt , so zeigen ihre Er - k]i irungen deutl ich, dal3 sie da v o n dem Fremdhei t sgef i ih l , aber n icht m i t ihm t r~umt . Von besonderer E indr ing l ichke i t is t das F remdhe i t s - geffihl aber in den Dranger lebnissen, die bei ihr nur kurz nach dem Er- w~chen auf t re ten . Der I n h a l t dieser Impul se is t sehr diffus: , , I rgend- eine Handlung , i rgend e twas Dummes" . I b m di i r f te also eine yon der noeh n icht wieder op t imal funkt ion ie renden sekund~ren Tendenz nicht an t iz ip ie r te Entg le i sung der Mater ia l t endenz entsprechen. Gerade diesen morgendl ich be im Erwachen nur auf t re tenden Dranggeff ihlen gegen- fiber ha t sie ein sehr e indringl iches Fremdhei tsgeff ihl . - - Auch der Norm~le e rwach t gelegentl ich mi t dem ganz u n b e s t i m m t e n Geffihl, dal~ je tz t i rgend e twas yon ihm aus geschehen bzw. ge tan werden mnB, bis er ganz k la r wird, d. h. sich wieder ha t . Doch is t be im Gesunden selbst in diesem Augenbl icke das Verhii l tnis des Tendenzpaares ein ganz aus-

34*

510 Konrad Zueker:

geglichenes, so d a ] die Mater ia l tendenz n icht mi t e inem nicht ant izi- p ie r ten Drang inha l t die Ff ihrung f ibernehmen k a n n .

I m anderen Fal le resul t ie r t daraus , d. h. aus dem nicht an t i z ip ie r t en ])range, das Fremdheitsgefii_hl. Zwischen diesen bei der Pa t i en t i n auf- t r e t enden E x t r e m e n liegen die fibrigen Grade, in denen das F r e m d - heitsgefffhl wechsel t : J e pr/~ziser, je einheit l icher , j~ wir miissen hier sagen, je ak t ive r die pr im~re Tendenz ger ichte t bzw. noch ger ich te t sein kann, u m so mehr t r i t t das Fremdhei t sgef i ih l zurfick.

Das spontane Er leben biete~ hier die mannigfa l t igs ten MSglichkei ten mi t demzufolge ganz verschiedenen Wi rkungen auf das F remdhe i t s - geffihl: Bei einer mehr obeffl/~chlichen Zuwendung zu Dingen oder Vor- gs der Aul]enwelt , die kein lebhaf tes inneres Mi tges ta l ten erfordern, is t das Fremdgef i ih l s t s J e in tens iver abe r das innere Mitges ta l ten beanspruch t wird, u m so geringer wird es. U n d wenn die P~ t ien t in er- kl/~rt, dab dieses Gefiihl im Beginne einer Lekt i i re schw/~cher ist, w/ ihrend des Lesens aber zun immt , so sehen wir ein Schwanken sogar be im gleichen Vorgange, woffir wir wohl mi t Rech t eben das jeweil ige Ausmal~ der Beanspruchung der Mater ia l t endenz veran twor t l i ch machen diirfen.

Es lassen sich diese Bedingungen geradezu exper imente l l un te r - suchen:

Es wurden der Pat. etliehe Einzelgegenst/~nde flit kurze Zeit gezeigt. Sie gibt jedesmal an, dab das Fremdheitsgeftihl beim Ahschauen unverandert bestehe. - - Dann soll sie, nachdem sie den Gegenstand angeschaut hat, die Augen schliel]en und denselben Gegenstand vorstellen, z. B. Armbanduhr: ,,Ieh stelle sie ganz klar vor, aber nur kurze Zeit, dann war sie fort und dann war sie wieder da, bald ver- sehwand sie dann wieder." (Fremdheitsgefiihl ?) ,,Nein, wenn ieh versuche, die Uhr vorzustellen, dann vergesse ich reich ja selbst und vergesse aueh das falsehe Geffihl."

Es wird dann dasselbe versueht mit einer Biirste ~ls Objekt. Pat. erh~lt znvor den Auftrag, w~hrend des Vorstellens nach MSglichkeit auf das Fremdheitsgefiihl zu aehten. , ,~ur einige Sekunden war's klar vor meinen Augen, dab ich es vor- stellen kormte und solange hatte ich auch das fremde Gefiihl nieht. Aber sobald es schwand, bekam ich das ffemde Gefiihl wieder."

Es wird ihr nun eine unsinnige Zeiehnung aus Buehstaben und Figuren zu- s~mmengesetzt geboten. Sie sehaut sie eine Weile aufmerksam an. Dann wird sie unterbrochen und naeh dem Fremdheitsgefiihl w~hrend des Anschanens gefragt. ,,Es war, wahrend ieh daranf sah, um heranszufinden, was d~s bedeuten soll, viel geringer geweSen. Es war klarer in meinem Kopfe, wenn aueh nieht ganz klar."

Sodann wird ihr etwas Kleingedruektes ant ~ zerknittertem Pal0ier zum Lesen geboten. ,,Es war sehwer zu lesen, weil es zerknittert war; doch im Kopie war mir nicht klarer. Das Fremdheitsgeffihl war das gleiche."

In anderen Versuchen wird ihr der Auftrag gegeben, die Augen zu schlieBen und zu versuchen, an niehts zu denken, sehlieBlieh aber darauf zu aehten, ob etwas yon selbst vor ihrem innerenAuge auftauehe.-- Zun~chst beriehtete sie, niehts gesehen zu haben. In den folgenden Versuchen sah sie einen Soldaten aus Nelsons Zeit, ein staubwischendes Dienstm~dehen und als das sehwand, einen Radfahrer und ~hn- liehes. Allen Erseheinungen gegenfiber hatte sie ein deutliehes Fremdheitsgefiihl.

Eines Morgens, nachdem sie wieder ein Impulserlebnis hatte, wird ihre auf- getragen, sieh dieses nozhmals wieder intensiv zu vergegenw~rtigen und zwar mit

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 511

einem ihr beliebigen Inhalt. Nach 6 Sek. : ,,Ja, ich stellte mir vor, dab ieh jetzt auf- springen und irgend etwas durchs Fenster werfen wiirde." (War das so wie vorhin ?) ,,Nsin." (Untersehisd ?) ,,Dies hatte niehts Zwingendes." (Wieso ?) ,,Jetzt hatte ich keine Angst, d~B ich's tun wiirds; heute morgen hatte ich dieses komische unwirkliche Geftthl dabei, dab ich den Kontakt mit allem verlieren kSnnte."

SehlieBlich wurde dsr Pat. der genau erkls Auftrag gegeben, sobald sie des Morgens wisdsr das Gefiihl mit den Zwungsimpulsen bekomme, solle sie versuehen, sich zu vergegenw~rtigen, wie sie sieh gefiihlt habe, als sie sieh jetzt mit Ref. unter- hielt. - - Nach 4 Tagen gibt sie an, sie habe sieh tagstiber oft geiibt und sie sei gswiB gewesen, es im gegebenen Augenblicke richtig ausfiihren zu k6nnen. (Und im Moment selbst ?) ,,Ja., ieh erinnerte ihre Aufgabe sehr wohl, aber ich kormte es nieht in die Tat umsetzen. Wenn der Zustand kommt, bin ieh so ersehroeksn, dab ieh niehts anderes denksn kann." (Erinnsrten Sie denn ganz gewil3 die Aufgabe ?) ,,Ja, ich erinnerte, was Sis sagten, aber ieh konnts es nicht tun."

Die in diesem Beispiel zusammengestel l ten Beobachtungen lehren also 1. dab die Drangph~nomene bei der Pat ient in funktionsanalyt isch gesehen, ganz in die N~he der Abwandlungen nach dem Gedanken- entzug zu stellen sind und ihre besondere Note lediglich durch den Urn- s tand erhalten, dab die sekund~re, antizipierende Tendenz noch nieht wieder optimal funktionstt ichtig ist. 2. Zeigen sie, da~ das ehronisehe Entfremdungsgeffihl doeh nieht ganz unwandelbar besteht, sondern da~ es unter ganz bes t immten Bedingungen geringer werden, ja fiir Augenblicke sogar sehwinden kann. Weleher Art diese sind, wurde sehon gesagt. Wir fiigen hier dazu noeh an : All den Erlebnissen gegeniiber, die als Wahrnehmungen oder Vorstellungen i h r e n Bedeutungsgehal t sozusagen yon sich aus mitzubringen hs da sie bekannt und zuvor schon oft erleb~ sind, besteht das Entfremdungsgefiihl . Aber diejenigen, die die Pat ient in erstmalig erlebt und, yon sich aus bedeutungsfrei, erst yon ihr mit einem Sinn erfiillt werden mfissen, werden ohne Fremd- heitsgeffihl erlebt. Hier vollzieht sieh seitens der Materialtendenz eine Erstprs die nach ihrem Charakter im Ents tehen noeh bedeutungs- frei ist und als solche auch in der sekund~ren Tendenz gar nieht anders antizipiert wird. Ers t durch den noch normalen identffizierenden Akt, der sieh in der sekund~ren Tendenzfunkt ion abspielt, erhalten diese Erlebnisse nun ihre Einordnung und damit erst ihre Bedeutungspr~gung. Und hierin liegt der Zuwachs an A k t i v i t ~ , auf den vorher schon als wiehtig hingewiesen wurde. Dal~ wir mit diesen Gedanken auf dem rechten Wege sind, best~tigt uns in kaum zu fiberbietender Deutlich- keit ein weiteres Beispiel dieser Pat ient in :

Beispie188: Es wird ihr gerade der Untersehied klar gemacht zwisehen einem sinnliehen Eindruck und den identifizierendsn Akt, als sie spontan den Ref. unter~ bricht: ,,Ja so sehe ieh ja nur die Dinge noeh an, ich erlebs sie j~ gar nieht mehr selbstverstgndlieh. Bsi jedem Ding, das ich sehe, sage ieh mir ja. Das ist sin Stuhl oder d~s ist ein Fenstsr. Alles seheint aul3erhalb meiner zu stehen und kommt so erst zu mir."

So werden nun auch gelegentliehe Ang~ben yon Pat ienten mit Ent- fremdungsgeffihl verst/indlicher, dal3 letzteres beim AnhSren yon nicht

5]2 Konrad Zucker:

zu oberfl~ehlichen Erklgrungen oder Gespriichen geringer wird, oder sogar kaum mehr bemerkt wird. Sie erleben dabei Neues, dessen Sinn- gebung sie erstmalig zu vollziehen haben.

Es bot sich schon die Gelegenheit, das Einschlafen in unsere Be- trachtungen hineinzubeziehen. Es wurde gesagt, dab dabei normaler- weise die antiziperende (sekund~re) Tendenz zuerst die Funktion ein- stellt, sodann kommt es zu Abwandiungen innerhalb der Figurbildungen der primiiren Tendenz, die 'sich aber nun nieht mehr als fremd in der mangelnden Selbstbeobachtung spiegeln kSimen, weft das Tendenzpaar auf ein, eben ffir das ]~ormalerleben immer konstant bleibendes Ver- hgltnis abgestimmt ist.

Denk~ man die hier entwickelten Gedankeng~nge welter, dann wird man mit Recht vermuten, daB die Zeiten der Mfidigkeit und des Ein- schlafens gerade bei der beginnenden Schizophrenie besonders gfinstige Augenblicke zum Auftreten yon Abwandlungserscheinungen darstellen mfiBteii, da dann die n~ehlassende Funktion der sekund~ren Tendenz, das Auftreten solcher Phgnomene geradezu begfinstigt. Wie jeder Nervenarzt weig, trifft das zu. ffa, die ,,schrecklicheii TrAume" und ~hnliche Erlebnisse beim Einschlafeii stellen oft iiberhanpt das Allererste dar, was uns Schizophrene yore Begilm ihrer Erkrankuiig zu meldeii wissen.

W~hrend also das Einschlaf- oder Mfidigkeitsdenken dutch ein zu- nehmendes Nachlasseii der sekund~reii Tendenzfunktion gekennzeichnet ist, t r i t t ihr v611iges AufhSren erst im eigeiitlicheii Sehlaf bzw. im Tr~umen ein. D~her ist das Verhi~ltlliS Schizophrener zu ihren Tr~umen im tieferen Schlaf auch ein ganz anderes, als zu ihren Einschlaferlebnissen.

Die Pat. 2 g~b uns schon weitgehende Einsiehten hier hinein, die zu der Formulierung nStigteii, dab sie wohl yon ihrem, sie qui~lendem Fremdheitsgeffihle, aber nicht mit einem solchen tr~ume, i~hnlich driickten sich andere Patienten auf diesbezfigliche Fragen aus.

Beispiel 89, Pat. 3: ,,Im Traum, da bin ich wie fr'fiher, da sehe ich die Leute wie frtiher, da weiI~ ich nichts yon dem, was jetz~ in meinem Kopfe vor sich geht, da bin ich gliicklich und zufrieden." Auf Frage: ,,Nein, Stimmen h(ire ich nie im Traum. Ich tr~iume jede Nach~, aber das ist alles ganz normal."

Wo Schizophrene ge]egentlich andere Aussagen fiber ihre Tr~ume machen, die auf eine besondere Lebhaftigkeit ihrer aueh im Wachen vorhandenen kr~nkhaften Erlebnisweisen hindeuten, wi~re immer die Feststellung am Platze, ob es sich nicht doch dubei um Zeiten des Ein- schlafens oder des spontanen Erwachens handelt, was ja auch mitten in der Nacht eintreten kann. Jeden/alls ent]#illt mit dem vSlligen Ein- steilen der Funktion der 8ekund~iren Tendenz iiberhaupt die wichtigste Bedingung sowohl /iir das Fremdheitsge/iihl als auch /iir das Erleben der Abwandlungen.

�9 Beim DSsen des Normalen liegen funktions~nalytisch die Dinge so, dab die Materialtendenz nur unscharf gerichtet yon einem zum anderen

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 513

springt, so kommt es auch zum Abschweifen und zu unpr~zisen Figur- bildungen, die aber nie als fremd empfunden werden, weil, wie die Vergegenw~rtigung leicht lehrt, die Ziele ebenfalls im entspreehenden Verh~ltnis zur prim~ren Tendenz auch nur unseharf antizipiert werden. Wir werden uns aber nicht wundern, da~ bei Gelegenheiten, die dem Zustand des DSsen nahe kommen, Schizophrene mit ihrem gestSrten Tendenzverh~ltnis besonders lebhafte Abwandlungen und Gedanken- entzug erleben, wie das der Pat. 13 beriehtete, der anfangs diese Erschei- nungen besonders auf der Stral~e und im Omnibus hatte.

Die Erfahrungen der Arbeitstherapie haben diese Theorie praktisch li~ngst vorweggenommen. Und wenn dariiber hinaus an der tteidel- berger Klinik die Schizophrenen nur ungern mit Arbeiten besehi~ftigt werden, die ihrem Berufe nahestehen, die also fiir sie wesentlich weniger Anforderungen an aktive Sinnerfiillung darstellen, so liegt das auf der- selben Ebene. ~qichts in aller Welt aber war geeigneter, dem Auftreten der hier besprochenen krankhaften Erseheinungen idealer Vorschub zu leisten, al, seine nun bald historisch gewordene Behandlung Schizo- phrener mit Sedativa, ttypnotiea und Untgtigkeit.

Es sind nun die beiden Formen des Fremdheitserlebens besproehen. Es wurde klar, worin funktionsanalytiseh ihre Verwandtsehaft und worin ihre Verschiedenheit besteht. Beim Fremdheitsgefiihl kiirzeren Inhalten gegenfiber, handelt es sieh um eine nur gelegentliehe, aber akute und tiefgreifende Unterbreehung der primi~ren Tendenz, w~hrend beim Entfremdungsgeffihl die StSrung in der prim~ren Tendenz kon- tinuierlich, aber von viel weniger starkem Grade ist. Dem entsprachen klinisehe Erfahrungen derart, da~ Fs mit der unausgeglichenen StSrung erster Art meist raseh exacerbieren oder rasch remittieren, w~hrend Patienten mit Entfremdungsgefiihl sich in diesem Zustand oft l~ngere Zeit unvergndert erhalten.

Es harrt nun noch das auf S. 479---485 besprochene Bedeutungsge]i~hl seiner funktionsanalytischen Ausriehtung. Wie gezeigt werden konnte, liegen die strukturellen Besonderheiten des Bedeutungsgeffihles Schizo- phrener folgendermaSen: Es heftet sieh allemal an die nach dem Ge- dankenentzug auftretenden Abwandlungen. Wir kSnnen diese Behauptung ruhig auch auf die Fi~lle ausdehnen, bei denen Abwandlungen als solche nicht fal~bar sind oder sagen wir besser, nicht zu unserer Kenntnis ge- langen. Das kann zweierlei Grfinde haben: Entweder sie werden im spontanen Erleben yon Kranken wegen einsetzender StSrung der sekun- dgren Tendenz nicht e: faint oder aber, sie sind inhaltlieh so flfiehtig, oder aueh so wenig mit sinnliehem Material behaftet, dab sie deswegen der Selbstbeobachtung entgehen. Endlich kann das Bedeutungsgefiihl nur dem krankhaften Fluten tines Bedeutungsgehaltes entspreehen, der yon einer ganz undeutlich vorhandenen Abwandlung sei~en Ausgang nahm. In dem Falle wiirde man streiten kSnnen, ob es im iibrigen

514 Konrad Zucker:

materialfreie Bedeutungen als Erlebnisinhalte gibt oder nicht. Zum besseren Verst~ndnis muB man sich jedenfalls klarmachen, dab auch im Normalerleben oft die eindringlichsten Bedeutungen yon sinnlich armen oder unpr~zisen Figurbildungen ausgehen k6nnen. (Vom Tonfall des Gesagten, yon einem Schweigen, yon einer Geste, yon einem Symbol, das - - aueh ohne l~bereinkunft - - immer unendlich viel mehr andeutet, als seinem sirmliehen Material entspricht.) Allem Ansehein nach gibt es wohl aueh im schizophrenen Erleben keine Figurbildung, deren ein- ziger Inhalt nur eine Bedeutung ausmacht. Es drirfte dann so sein, daB yon der gesamten Figurbildung die Bedeutung das einzig FaBbare ist, w/ihrend der sinnliehe Materialgehalt wegen seiner Ungenauigkeit dem Erleben verloren geht. Dazu tr i t t dann das pathologische Phi~- nomen des Flutens der Bedeutung, welches wir auBer l~rage stehend naeh- weisen konnten. DaB hier in der Theorie nicht zu welt gegangen wird, zeigen die oben mitgeteilten Ergebnisse der Vorstellungsversuche. Sie konnten unter den ihnen eigenen eingeengten Bedingungen, n/imlich bei &uI~erster Ausniitzung der jeweils vorhandenen Selbstbeobachtungs- mSglichkeit den Verlauf der Abwandlungen da noch aufhellen, wo er im spontanen Erleben bestimmt sowohl fiir Patient wie Beobachter ver- loren gegangen w~re. Ja der Beobachter kann den Zusammenhang ge- legentlich noeh dort aufdecken, wo er vom Patienten selbst kaum an- gedeutet wird. Hieffiir noch ein eindrueksvolles Beispiel:

Beispiel 90, Pat. 27: Er soll sich das Zimmer vorstellen, in welchem Ref. mit ihm vor einigen Tagen sail. Pat. antwortet, nachdem er kurz die Augen schlol3 mit leicht verr&tseltem Bliek: ,,Ja, da sollen Kinder geboren sein." Erst nach einer Frage, wie kommen Sie denn darauf ? Was fiel Ihnen denn dabei ein ? an%wortet er: ,,Da sind blaue Vorhange" (there are blue curtains); das bedeutet Blindheit" (that means blindness). - - (Was meinen Sie damit ?) ,,Ieh weiB nieht, weft die nieht sehen k6unen, blaue Vorh~inge bedeutet Kindergeburt."

Das vorzustellende Zimmer hat te tats/iehllch blaue Vorhs Das wrirde also zeigen, dab er wirklieh das Verlangte irgendwie vorstellte. ,,Blind" ist ein h/iufig gebrauehtes Synonym fiir ,,curtain". Somit w~re der Weg zun/ichst: Blue curtains - - blind - - blindness (Blindheit). Seine Worte: ,,Weft die nieht sehen kSnnen", muB auf neugeborene Kinder

�9 bezogen werden. Das ergibt sich aus der schliel~lich erfolgenden Kon- tamination, dab blaue Vorhitnge Kindergeburt meine, nochmals. Und schliel31ich erh~lt der Gesamtkomplex die auf diese Weise zustande gekommene Bedeutung, dab in dem Zimmer Kinder geboren sein mriBten.

Wir stehen bier einer Erseheinung gegenriber, die in einem bestimmten Punkte _~hnliehkeit hat mit den paraphasischen oder paragraphischen Produktionen amnestisch Aphasischer. Diese weisen oftmals eine der- artig weitgehende Entfernung yon dem eigentlich angestrebten auf, dab sie vSllig sinrSerne Worte oder Kontaminationen yon Wortbrueh- stricken darstellen, yon denen etliche, besonders die Paragraphien, vSllig

Funktionsanalyse in der Sehizophrenie. 515

unverst~ndlich sind. Hier gelang es Lo thmar i und mir 2, das Vorhanden- sein yon Zwischenerlebnissen aufzudecken. Diese w~ren dem Patienten ohne Mithilfe des Arztes ganz entgangen. Und doch wiesen sie den Weg zu einem eindeutigen Versti~ndnis, wie es yon dem intendierten Worte oder Begriffe aus zu diesen Entgleisungen kam. Auf die weiteren sehr lockenden Parallelen, die hier die Funktionsanalyse aufzeigt, kann nicht welter eingegangen werden.

Im Beginn der Schizophrenie stellen sich gelegentlich Bedeutungs- erlebnisse sein, die so ganz in die Sphere der itendierten Figurbildung hinein~allen, dab sie sich dem nackten Inhalte nach in gar nichts yore Normalen unterscheiden. Hier ]iegt aber auch nicht der springende Punkt, sondern in der abwegigen Eindriicklichkeit des Erlebnisses, die in der Tat so abartig ist, dab diese Patienten dadurch veranlal~t sind, sie dem Arzt zu beriehten. Und wenn dieser nicht gerade hierauf sein Augenmerk richter, dann k6nnen sie als iiberhaupt nichts Besonderes bietend passieren.

Beispie191 stammt yon einem Studenten im allerersten Beginn seiner Schizo- phrenie. Er bet zu der Zeit im Verkehr mit Kameraden fiberhaupt noch nichts Auffilliges. Er kam zum Arzt wegen Nachlassens seiner Aufnahmef~higkeit beim beim Leznen zum Examen. Er berichte~e unter anderem: ,,Ich dachte einmal zu Hause (Heimat) an Heidelberg. D~ kam mir die ganze Bedeutung die doch mit Heidelberg verbunden ist, in den Sinn." (?) ,,Ja, die Bedeutung der Jahrhunderte, der Romantik und alles." (Was daran Besonderes ?) ,,Ja, das kam so plStzlieh dal~ die Kniee zitterten vor diesem Erlebnis, das nicht mehr natfirlich war." ,,Bei anderen Bedeutungserlebnissen wurde das natiirliche Mal~ nicht gesprengt." - - ,,Auch einma! beim Denken an Mussolini, d~ ging mir pl6tzlieh die ganze Bedeutung dieses Mannes au~, sein Wirken! D~s ist schwer zu schildern. Ja, ieh s~h es fast vor mir, so eine titanenha~'te Empfindung . . . . es war eine h6here Wirklichkeit."

Wir verstehen diese Erlebnisse in ihrem Kranl~haften erst dann, wenn wir funk-~ionsanaly~ische Gesichtspunkte heranziehen. Das ,nieht mehr Natiirliche", ,,die hShere Wirklichkeit", mit der sie auf- treten und die ja iiberhaupt die Veranlassung darstellt, sie dem Arzt zu berichten, lil~t sie als yon der sel~und~ren Tendenz nieht antizipierte Inhalte erkennen, also eigentlich schon als regelreehte Abwandlungen, die aber wegen des zur Zeit noeh geringen Defektes der Materialtendenz sich noeh gar nieht aus der engeren Sinnsphi~re des Intendierten ent- fernen. Dadurch aber, dal~ sie nicht antizipiert sind, tragen sie ftir den Erleber den Charakter des Fremden, des ~bermannenden, ,,Titanen- haften", des ,,nieht mehr N~tiirliehen". Ihr Inhal t allein wiirde uns das nie verstehen lassen.

I-Iier ist der Oft, auf eine kfirzlich erschienene Arbeit yon K u r t Schnei-

der ~ einzugehen. In dieser r/~umt er im Gegensatz zur Wahnwahrnehmung dem Wahneinfall eine ganz besondere Stellung ein. Er sagt: W~hrend

i Lothmar: Schweiz. Arch. Neur. 6/7. - 2 Zucker, Konrad: Mschr. Psychi~br. 87. Schneider, Kurt: Nervenarzt ll, H. 9.

516 Konrad Zucker:

die Wahnwahrnehmung zweigliedrig sei (eine bestimmte Wahrnehmung bedeutet etwas Bestimmtes), falle dieses die Wahnwahrnehmung als Wahn verstehbar machende Kriterium dem Wahneinfall gegenfiher fort. Es sei unm6glieh, in der psyehologisehen Eigenstruktur des Wahnein- falles selbst eine UnterseheidungsmSgliehkeit gegenfiber anderen Eir~f/~llen zu sehen. ,,Ohne eine eigene Struktur zu haben, verliert er sich naeh allen Seiten grenzenlos zu anderen Einff~llen." MAt anderen Worten, es sell dem Wahneinfall eines Sehizophrenen f/ir sich allein als Symptom betrachtet nieht anzusehen sein, ob er schizophrene Struktur habe oder nieht. - - Um diese Aufstellung als Problem zu sehen, muB man sich aller. dings erst die Sehwierigkeit zu eigen machen, mit der eine rein ph/~nomeno- logiseh geriehtete Betrachtung auf diese Dinge bliekt. Aber sehlieBlich wollte die Ph/inomenologie wenigstens fiir die Psychopathologie ur- sprfinglich doeh nur eine MSgliehkeit darstellen, krankhafte Seelen- erseheinungen-fal]bar zu maehen. Rein phiinomenologisch gesehen hat K. Schneider allerdings mit der behaupteten Schwierigkeit Reeht. Aber wiirde das nieht einer Selbstbeschr/inkung gleiehkommen, die mehr dem Interesse der Ph/~nomenologie als der Erkl/~rung psyehopathologiseher Erscheinungen dient ? - - Es wfirde das zun/ichst nur ffir die in diesem Fall bestehende Unzul/ingliehkeit des nur ph/inomenologiseh ger~ehteten Blickes, nieht aber gegen die Kl~rbarkeit des Wahneinfalls sprechen. Wiirde sieh der Neurologe nieht in der gleiehen Lage befinden, wollte er erld/~ren, daB es dem einzig und allein auf die Erscheinung einer Dys- diadochokinese gerichteten Bliek nicht m6glich sei, ihr anzusehen, yon welehem Gesamtkrankheitszustande sie herkomme? - - Um aber K. Schneiders Sehwierigkeiten so weir wie mSglieh entgegenzukommen, 1/~Bt sieh sagen: DaB es in einem gegebenem Fall dem isolierten Wahn- einfall nieht anzusehen ist, wie er zustande kam und weleher Erkrankung er entspraeh, das Los teilt er mit etliehen anderen wohlbekannteren Symptomen. Das wiirde aber dann kaum einer besonderen Erw~hnung weft sein, wenn man iiberhaupt in die Struktur des Wahneinfalls - - hier des schizophrenen - - beffiedigenden Einblick gewinnen kann. Jaspers 1 besprieht die Wahnvorstellungen (naeh K. Schneider ein Sonderfall des Wahneinfalles) so : ,,Vorstellungen treten als plStzliehe Einf/~lle, als neue F/~rbungen und neue ]3edeutungen der Lebenserinnerungen auf." Dann wiirde also die Wahnwahrnehmung sich vom Wahneinfall nur durch das fiir uns greffbare Objekt der AuBenwelt im Verstehen Unterscheiden. Und doch werden wir schon mit Reeht vermuten, dab die inneren Vor- g/~nge, fiir die das sinnliche Objek~ in der Wahnwahrnehmung nur die Richtung abgab, in beiden F/~llen dieselben sind. TJnd das konnte im Vorangehenden mit geniigender ~berzeugungskraft dargelegt werden. Wenn sieh aber auch in Vorstellungsversuchen wahnhafte Bedeutungs- erlebnisse einstellen, dann bleibt es lediglieh ein Streit um~Worte, ob

1 JasTers: Allgemeine Psychopathologie.

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 517

wir die Erscheinung eine Wahnwahrnehmung oder einen Wahneinfall nennen wollen. Denn fiir die eigentliche ~unktion des Wahneintritts bleibt es verh/~Itnism/~Big nebens~chlieh, ob er einer Wahrnehmung oder einer Vorstellung folgt. Man k6nnte ffeilich fordern, der Wahnein- fall miisse wirklich aus dem Nichts kommen und diirfe sieh auch nieht yon einem greifbaren Vorstellungsinhalt ableiten lassen. Das w/~re aber eine petitio principii, durch niehts gereehtfertigt. Wiederholt konnte darauf hingewiesen werden, dab die Vorstellungsversuche gegeniiber dem spontanen Erlcben nur unter eingeengten Bedingungen ablaufen, so dab manches in ihnen faBbar wird, was im spontancn Ablauf sieh allzu rasch verfliichtet. Sehlie~lich kSnnte man noeh einen letzten Einwand maehen, in dem man der Abwandlung, yon der das Bedeutungserleben Ausgang nimmt, halluzinatorischen Charakter zuweist, um damit die iiberspitzte Formulierung ffir den Wahneinfall zu retten. Der Einwand trifft sogar in mancher Hinsicht unsere im folgendcn zu entwickelnden ~berzeugungen. Nut w/irde das auch ein Streit um Worte sein, und zwar so, dal3 man dann jeder Abwandlung, auch der am sinnlichen Vorstel- lungsmaterial /~rmsten, den Charakter einer Halluzination zubilligen miiBte. Richtiger ist es schon, sich an J a s p e r s Definition zu halten, dab der Wahneinfall yon ,,Lebenserinnerungen" seinen Ausgang nimmt. Aber wie gesagt wurde, nur yon solehen, die als Abwandlungen auftraten und oftmals so unscharf und diffus in die Figurbildung eingehen, dab sie naeh ihrem materialen Inhalt kaum greifbar sind, sondern sich im wescnt- lichen als der ilberflutende Bedeutungsgehalt einer solchen Abwandlung darstellen.

Die Halluzinatioflen. Die Schflderungen, die Schizophrene iiber ihre Sinnest/~uschungen

machen, sind bekanntlich recht wechselvo]l. Grfinde hierfiir hat C. S c h n e i d e r 1 auseinandergesetzt. P . Schr6der 2 wies darau~hin, dab die Schilderungen bei tiefer gehender Exploration aueh beim glciehen Pa- ticnten wechseln k6nnen. Und selbst dort, wo Patienten bei eingehend- stem Befragcn jeden Unterschied gegeniiber einer Wahrnehmung ab- lehnten, konnte durch experimentelle Nachahmung des Halluzinierten 3 doch sehlieBlich eine Anderung der Stellungnahme erreicht werden, aus der hervorging, dab tats/~chlich wesentliche Erlebnisdifferenzen zwischen. realen Wahrnehmnngen und Sinnest/~uschungen bestehen. C. S c h n e i d e r

lehnt allerdings fiberhaupt die Bezugnahme auf das Wahrnehmungs- erlebnis bei den schizophrenen Halluzinationen als ungeeignet ab.

Trotzdem B u m k e 4 in seinem Lehrbuch schon genauer darauf hin- wies, wird im allgemeinen nicht genfigend bewertet, dab der einzelne

1 Schneider, C.: 1. c. - - ~ SchrSder, P . : Mschr. Psychiatr. 37, i; 49, 189. - - Z. Neur. 101, 599. - - 3 Arch. f. Psychiatr. 83, H. 5. - - 4 Bumke: Lehrbuch der Geisteskrankheiten, 1924.

518 Konrad Zueker:

P a t i e n t sehr h/iufig n icht e inmal in der Lage ist , zwischen versch iedenen pa thologischen Er lebnissen zu unterscheiden, die der k l in ische Sprach- gebrauch t renn t . Wi r f inden oft, daf~ ein P a t i e n t auf Bef ragen zun/ichst ausdr i ickl iche Untersch iede m a c h t zwischen F r e m d g e d a n k e n und St im- menhSren oder zwischen opt ischen und akus t i schen Sinnest/~uschungen. Aber sehon bei der n/~chsten U n t e r h a l t u n g dar i ibe r weichen die betreffen- d e n A n g a b e n oft deu t l ich yon den f r i iheren ab, und zuvor gemaeh te Unter - schiede werden unsieher ode r verschwommen, ohne dab w a h n h a f t e Deu tungen oder andersar t ige Er ld/ i rungsversuehe den Grund a l lemal daf i i r abgeben k6nnten .

Beispiel 92: Pat. l0 gab an, sie k6rme ihre Gedanken manehmal sehen und auch h6ren. Beziiglich der Differenzierung blieben ihre Aussagen wechselnd.

Beispiel 93, Pat. 8: ,,Die Bilder die ich sah, waren fast immer verbunden mit einer Art Ton." Auf Frage, ob das H6ren yon Stimmen (die sie auch hatte) und das Sehen yon Bildern im Unterschied dasselbe sei, wie das reale H6ren und Sehen, antwortet er: ,,Nein, der Untersehied ist anders."

Beispiel 94, Pat. 11: (:K6ren oder sehen Sie das nun ?) ,,Das kann man auf- iassen wie man will."

Beispiel 95, Pat. 26: t t6rt Stimmen und sieht Figuren. (Was haben die Figuren mit den Stimmen zu tun ?) ,,Ich denke, da ist ein Fernsehsender und da spreehen die hinein." (Unterschied zwischen Stimmen und F iguren ?) ,,Ieh glaube, dab ich das immer unterseheiden kann, aber bestimmt kann man das nicht sagen."

Beispiel 96: Ein Pat. spiiterer Beobachtung gibt an: ,,Stimmen sind voi meinem geistigen Auge voriibergesehwebt."

L/~Bt sieh die eben gemachte B e h a u p t u n g sehon aus diesen, bel iebig zu ve rmehrenden Beispielen erh/~rten, so zeigen die folgenden, wie die versehiedenen Sinnest/~uschungen s t ruk tu re l l je nach ih re r Bedeu tung wechseln kSnnen; sie gew/~hrgn auch einen t ieferen E inb l i ck in den Zu- s ammenhang einiger andere r sehizophrener Erlebnisweisen.

Beispie197 : Pat. 4 sprach bis zu ihrem 15. Lebensjahr vorwiegend Schweizer Deutsch, seither nicht mehr. Lebte teils in Frankreich, teils in England, wo sie heiratete, bald abet yore Mann verlassen wurde. Vor 6 Jahren akuter schizophrener Schub, seither station/it, gut erhalten, fiihrt ihren eigenen kleinen Haushalt. Sehr gut zu Iixieren, affektiv kaum ver/~ndert.

Bei der ersten Untersuchung gab sie an, Stimmen spr~ehen zu ihr, jeweils eine Stimme zur Zeit, die sie deutlieh als mannliche oder weibliehe unterscheiden kSnne. In letzter Zeit sei es meist eine kindliche Stimme. (DaB es eine kindliehe Stimme ist, die in dem yon ihr nur als Kind gesprochenen Dialekt redet, ist fiir die Struktur-

'lehre des ,,Materials" yon Bedeutung, worauf hier nur hingewiesen werden soll.) Aul3erdem berichtete sie fiber zeitweilig auftretende optische ,,Erscheinungen", die sie mit den Stimmen nicht in Zusammenhang bringt: . . . . . da schaue ieh auf eine Zeitung, das war eine Karrikatur. Und da kommt aus dem Papier heraus das ganze Gesieht yon meinem verstorbenen Bruder; das kam so heraus, so mir ent- gegen. Da hab ich seinen Namen gerufen." Beziiglieh der Stimmen gab sie aus- driieklieh an: ,,Denken tu ich das nieht, oft ist 's wie eine Antwort auf das, was ieh gedacht habe."

2 Tage sparer, bei der n/~chsten Untersuehung, antwortet sie auf die wieder- gestellte Frage, ob sie ihr Denken nnd den Inhalt der Stimmen deutlich auseinander- halten kOnne: ,,Ja, das ist beides wohl zu unterseheiden, oft abet geht es auch

Funktionsanalyse in der Sehizophrenie. 519

durcheinander. Werm ich dann was gedacht habe, dann sagt etwas in Deutsch: ,,Das muB durehs Gehirn dureh ." D a n n weiB ich, dab ich das b in ." Die S t immen beschreibt sie je tz t : , ,Ja, dann k a n n ich jedes einzelne Wor t h6ren. Es ist keine laute Stimme, das hSrt m a n nicht, m an denkt dann, das h6r t man . " Und ferner: ,,Es spricht aus dem Tisch, aus der Wand, i lberall was im Zimmer ist. Fri lher daehte ich, als ob da Geister wi~ren, t ro tzdem ich doch an so was nieht glaube." (Sehen Sie dabei aueh etwas ?) ,,Wie ich was hSre, dann k a n n ich's doch auch vor- stellen und wenu ich das n icht will, dann kommt das ganz yon selbst." (Wie ist das ?) ,,Das kommt zuerst , daB ich es hSre und dann kommt es in meinen Geist; das ist ja so merkwiirdig, dab ichs nicht sagen kann, aber ich sehe es." (Aber doch nicht wirklieh ?) ,,Es ist das, was sieh an reich herangedr~ngt ha t . "

W~hrend der ni~chsten Untersuchung ist, w~hrend Ref. einige Notizen macht , drauBen Gloekenl/iuten zu hSren. Pat . ber ichtet un terbrechend spontan: , ,Sehen Sie, da h6rte ich nun die Glocken uud dann hSrte ieh: ,,Ah, je tz t lilte se", das ist sofort im Sehweizer Deutsch. , , Je tz t denk aber n icht auf die Lilt. Unsere Lilt sind andere Lilt. Mit unsere Lilt muBt du englisch sp reehen . " Dann: ,,Ring the bell for the school or for the church." Dann werde ieh den ganzen Tag je tz t hSren: de Lilt, de Lilt. Das sind dann keine englichen Leute. Dann heiBt 's: Das sind ja Germans. D a n n du tch die Kh'ehe, wenn sich das so fortarbeitet , das kann ein Priester sein, das kann ein elergiman sein, das kann ein Gebet sein. Darauf darf ich gar n ieht denken. Das sind-darm die L e u t e . . . Das br ingt alle solche Leute herbei, Betende, Priester und so was. D a n n maehe ich, dab ieh da for tkomme uIld denke an Frauen, die auch niehts dami t zu t un haben wollen. Derm werm ich je tz t dafilr nur e inenGedanken hergeben wilrde . . . . die wilrden reich machen, nach Rom zu gehen . . . und wenn's das Tintenfag ist, das wiirden sie mich anbeten lassen; und das ist ja n icht mehr das richtige Beten ! - - Nachher mach t es nun : , ,Ferinden- rot, Fer indenrot (Klangmalerei), das ist nun eben, was mi t dem L~uten zusammen- hangt , das ist jetzt , als ob sich das will erkl~ren . . . daB man das in der StraBe hSrt, das L~uten; und wenn m an weiter geht, h6r t man das auch noch . . . Und nun kommen wieder die Kinder und eine F r a u und ein Mann, was ich irgendwo gesehen habe . . . dann kommen Phan tas i en nnd ich babe doch keine Phan tas i en . . . D a n n wird das wieder irgend etwas, was man dami t vergleichen kann. ])as arbei tet sich dann wieder heraus . . . E inen t~ing an einem Finger (Ferindenrot). Wissen Sie denn anch, daB mich das macht , dab ich darm auf den Gegenstand hinschanen mug ! (Welchen Gegenstand ?) ,,Was hier im Zimmer i s t" (zeigt auf einen Fingerring), ,,da muB ich darm dahin schauen auf einen Gegenstand, der dami t verbuuden ist mi t den Worten, die gemaeht werden sollen . . . U nd das ist wohl das Ende : Nun gehet leise r ingsam im Kreise der liebe Herrgot t durch den Wald ." Das kommt dann aus der Kirehe heraus. ~qun haben wir doch yon der Kirehe gesprochen und ein ~ ing ist ein Kreis . . . N un meint das abet aueh, dab je tz t die seh5ne Zeit ist, nun kann man ausgehen in den Wald . . . Das ha t nun noch eine ganz andere Meinung dahineingebracht : Da ist die sch6ne Zeit, we Sie vielleicht mi t einer Geliebten dureh den Wald gehen und dann ganz allein . . . Da hOren Sie vielleicht son leises Sehrr,schschsch im Ohre, das ist der I-Iauch Gottes, der dureh den Wald geht . . Das ist die Bedeutung des Ganzen. Sehen Sie nun, wie das alles zusammen- kommt ?"

Beispiel aus einer der n~chsten Untersuehungen: Wieder, w/~hrend Ref. schreibt, ertSnt drangen ein klapperndes Ger/iusch, Pat . , die gerade eine Zigaret te raueht , begirmt spontan: ,,Der L~rm yon dem Geschirr draul~en, der formte sich aueh richtig in eine Sprache. Sehen Sie, ich rauche. Wenn ich koche, dann rauch t das aueh und Kochen und Gas ist dasselbe . . . n n d dann h0rte ieh plStzlich ganz deu~- lich: Gasofen." D a n n sagt die St imme: ,,Aeh, Du bist ja auch ein Gasofen." Folglich nun f/~ngt das dann an, was ich zu kochen habe und gibt mir dann orders, u n d nun ha t ' s mi t dem kochenden Wasser zu t u n und dann , ,Wasserleitung" und

520 Konrad Zucker:

darm kommt ,,Leitung" und dann kommt ,,Leid und Traurigkeit". Und yon da aus bin ieh pl6tzlich auf der StraBe, wo sie aufreil~en und legen Rohre. Und wenn man im ttause ist, mull man fiirs Wasser bezahlen, sonst metdet sich die Compagnie und fiir Essen sagt man ja aueh ,,grub" und grub ist wieder in der N/~he yon Grab. Und so dreht sich die Sache und dann kommt wieder ,,Traurigkeit". - - Es scheint mir so, als ob sich jedes Wort an mir praktiziert. - - Wenn das aber so zu mir sprieht, dann soll ich auch hingehen und das so maehen bis das dann heraus kommt, was dasWort meint. - - Es kann auch dasWor~ selbst verwandelt werden, z. B. wenn es heil3t ,,Leiden" dann soll ieh weinen. Das wiirde es dann an mir als Beweis wollen oder aueh als Erkl/~rung geben. Nieht nur, dab es mir das sagt, ich mul3 das dann auch fiihlen. Es l~ufen mir dann richtig die Trgnen herunter, fiihle irgendwelehen Schmerz. Nieh~t, dab ich das will. Und wenn das dann 1/~nger anh/~lt, Werde ieh richtig traurig. Zuerst nicht, da mul~ ich mich stark maehen, urn das zu verhindern... Das k0mmt mir so vor, als ob das ein Menseh ist, der das in mir rut, der mich da immer zu ~llem anst61~t, dal3 ieh das dann . . . (Glauben Sie das wirklieh ?) ,,ga, das weiB ich ja eben nieht, das mSchte ieh ja gerade wissen, ob das so etv~as wie Tele- pathie ist ?"

Es dfirfte schwer halten, in diesen Berichten die einzelnen patholo: gischen Erseheinungen auseinander zu halten. Fremdgedanken, St immen/ hSren, optisehe Erscheinungen, Bedeu~ungserlebnisse, Fremdimpulse, alles t r i t t in buntem Weehsel auf. Das Eigenart ige ist, daf~ sieh durch die Berichte dieser relativ gu$ erhaltenen Pat ient in ein Sinn hindurch- zieht, dem wir folgen k6nnen. Das heil3t die Abwandlungen liegen nie auger Reiehweite ffir unser Verst/~ndnis. Oft hilft die Pat ient in sogar mit Erkl/~rungen selber naeh. Die Abwandlungen nehmen die versehie- densten Riehtungen an : Klang-, Wort- , Sinn-, Bedeutungs- und Er- innerungs-, selbst optiseh Verwandtes t auch t auf. Getragen aber w e r d e n die verschiedenen Inha l t e yon jeweils versehiedenen Erlebnisqua]it~ten: Is t es ein vollst/~ndiger Satz, ein Zwisehenruf oder eine Antwort , so wird es als St imme erlebt; sind es klangliehe Ver/~nderungen, so will das Wor t sich an ihr , ,praktizieren", geht der Weehsel yon der Bedeutung aus, so will es sie irgendwo hinbringen, oder es maeht sie; sind es impulsart ige Inhal te , so ist es, als ob ein Mensch in ihr ist, der sie zu allem anst6Bt; nehmen die Abwandlungen schliel31ieh einmal den Weg fiber optische Komplexe, so tauchen D i n g e auf, die sie ,,sieht". - - Zum Sehlu$ wird gew6hnlieh noehmals eine zusammenfassende Erklgrung gegeben, die keinen Zweifel daran ls dab sich auf dem Weg dahin Eines aus dem Andern entwiekelt hat . Eines nur ist allen gemeinsam: Sie ist 's nieht, d i e das maeht oder auch nur /~ndern kann, es wird gemacht; sic ist pass iv dabei.

I-Iier also zerflieBen mit R~eht alle strengen Scheidungen zwischen Gedanken-Lautwerden, Stimmen.h6ren, Fremdantr ieben, opt ischen Sin- nest/inschungen. I t ier erscheint es lediglieh als eine Angelegenheit des .Materials, d. h. in welcher Fo rm es bereit liegt oder auch nur bereit liegen kann. Klangverwandtes wird schwerer in takt i ler Fo rm ange t rof fen und optisch Bereitliegendes wird seltener in Geruehsform auftauchen. Es springt das Material eben in der F o r m an, in der as yon der abirrenden

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 521

Tendenz anget rof fen wird. DaB es, je nach dem Grade der S tSrung und auch der D a u e r der E r k r a n k u n g zu i nad~qua t en Mate r i a le ink le idungen kommt , k a n n m i t der ve r t r e t enen Auffassung durchaus in E i n k l a n g gebrach t werden.

W a s diesen F a l l ausze ichne t , i s t , dab es gemi~B dem n ich t er- hebl ichen Grad dcr StSrung und dem en t sprechenden Erha l t ense in de r sekund~ren Tendenz nur zu A b w a n d l u n g e n kommt , die sich zum grSBten Teil noch gu t verfolgen lieBen. Demen t sp rechend werden aber diese Abwand lungen auch noch n ich t mi t dem Grade der Pass iv i t~ t er lebt , wie das cha rak te r i s t i s ch i s t fi ir andere Schizophrene.

Nat i i r l i ch k o m m t es v ie l fach in de r Un te r suchung darauf an, wie gefragt wird, u m schlieBlich zu sehen, d a b o f tmals im Grundc der Er- lebniswer t der verschiedenen eben genann ten Ersche inungen doch ~hn- l ich oder nur i rgendwie sekundi~r di f ferent ist . S p o n t a n pflegen die Pa - t i en ten a l lerdings diese Binge n i c h t zu ven t i l i e ren und zwar aus den gleichen Gr i inden nicht , wesha lb sie gew6hnlich auch zwischen W a h r - genommenem und t t a l l uz in i e r t em n ich t spon t a n scheiden.

Beispie198: Pat. 10 gab zun~ehst an, sie h6re Ger~usehe und sehreekliehe Stimmen und ferner s~he sie Figuren, ,,Visualisationen", die undeutlieh seien, aber klarer wiirden, je mehr sie sieh davor ffirehte. Beides sei wohl zu unterseheiden. (Ist irgend etwas da, was Bflder und Stimmen verbindet ?) ,,Ja, was sie gemeinsam haben, ist, dab sie beide unerfreulich traurig und schrecklieh sind." (Ist der Unter- schied zwischen den Bildern und den Stimmen derselbe wie der zwischen riehtigem Sehen und tt6ren ?) ,,Der Untersehied ist ein anderer. Das Wichtige ist das Un- erfreuliche, Traurige daran. Ob ich das sehe oder h6re, das t r i t t dagegen in den Hintergrund." ,,Aber immerhin bin ieh doeh durch die Stimmen noch mehr er- sehreekt als dutch die Bilder; die Stimmen sind klarer und unterseheiden zwisehen beiden kann ieh wohl immer."

Beispiel 99, Pat. 12: Im Januar 1930 babe sie zum erstenmal eine ,,Stimme" geh6rt. ,Es war die Stimme eines Arztes, der auf Urlaub war." (Zum ersten Male ?) ,,Ja, zuvor habe ieh nicht so darauf geachtet." Im Sommer babe sie dann auch Figuren in der Luft gesehen, manchmal auch farbige. ,,Das spiegeln mir die Per- sonen so vor, die mit mir spreehen" und die ihr aueh fremde Gedanken machen. Spontan: ,,Manchmal kann ieh auch die Gedanken auffangen, die Ton einer Figur zur andern gehen." (Woher wisseu Sie, dal3 es die Gedanken der Figuren sind ?) ,,Ganz losgelSst Ton mir sind manchmal Gedanken, ganz fremd in meinem Geiste." (K6nnen Sie Stimmen und Fremdgedanken gut unterseheiden ?) ,,Meist ja, aber manchmal k6nnen die Gedanken der Figuren die Stimmen als Medium benutzen, um in meinen Sinn zu kommen." ,,Die letzte Woche h6rte ich keine Stimmen mehr, nut wenn ich an den ]ri~heren Arzt denke, dann bringen diese Gedanken auch das H6ren 8einer Stimme zuri~ck." Das Figurensehen - - gibt sie ein anderes Mal an - - ist kein eigentliches Sehen, es ist mehr ein Fiihlen, ich kann sie auch hinter mir ,,sehen". (Ist denn zwisehen Figurensehen und Stimmen der gleiche Unterschied wie zwisehen gew6hnliehem Sehen und I-I6ren ?) ,,Ja, wissen Sie, da sind die Fremdgedanken, die sind sowohl mit dem Sehen-Ffihlen der Figuren, als aueh mit dem ~6ren der Luftstimmen verbunden . . . insofern ist es dasselbe." (Aber ?) ,,Aber unterseheiden kann ieh es doeh meist gut, wenn Sie mich fragen."

Hie r kann noch eine spontane Niederschr i f t eines Schizophrenen (aus der Heide lberger Schr i f t s t i i cksammlung Geis teskranker) P l a t z

522 Konrad Zucker:

finden, die ebenfalls den bunten Wechsel kliniseh verschieden anmuten- der, funktionsanalytisch aber derselben Quelle ents tammender Erschei- nungen recht schSn veranschaulicht.

Beispiet 100: Meine Wahrnehmungen waren ungef~hr folgende: Ich bemerkte in der Hamburger Zeitung eine Anmerkung in sonderbarer Druckform, auffallend den Namen Becket gekennzeichnet, ebenso hervorftihlend. Ieh sah auch gemeinte Person, konnte aber nur zum Meinungsausdruek gelangen, es kSnnte mOglieh sein, behaupten konnte ieh es nieht. Es wurde ebenfalls dasselbe ManSver auf seine Schwester gezeigt; konnte das aber nnr angehend bestimmen. Auch wurde ich auf- merksam gemaeht auf 3 Kinder yon W's Sehwester, was sehr fremd wirkte . . . Man wurde gezwungen, daranf zu achten und es ver]ief in Nichts.

Hier schillert das Erleben, ausgehend yon einem realen Eindruck zwischen Bedeutungsgefiihl, optischen tIalluzinationen und Fremdheits- geffihl.

Beispiel 101: Pat. 18 berichtet, gefragt, wie sie die Erscheinungen erlebe, , , . . . All das muB ieh denken, oder sehe oder fiihle oder hSre ieh, aber es ist mehr im Geiste als real. Mein Geist ist often ffir alle fremden Einfliisse."

Solehe Aussagen nnd besonders die Tatsache, dab sieh die Patienten in ihren einzelnen Berichten oft widersprechen, zeigen, dab ftir sie selbst der I Iaupteindruck in dem , ,Gemachten" liegt, dagegen die Qualitgt, ob geh6rt, gefiihlt, gesehen oder (fremd) gedaeht, manehmal ggnzlich in den t i intergrund tri t t . Nut so wird verstiindlieh, dab h/iufig die Patienten nieht klar darfiber sind, ob die Dinge gesehen oder gefiihlt wurden oder dab sie so oft zuniiehst angeben, Stimmen zu h6ren und es sieh dann heraus- stellt, dab ihnen nut der ,,Sinn eingegeben" wurde nnd ferner, daft wir oft keineswegs Ktarheit darfiber erhalten, ob das Beriehtete nun wirk- lich halluziniert, d .h . wahrnehmungsart ig erlebt wurde oder nut Inhal t des irgendwie abwegigen Denkablaufes war.

Trotzdem sich nun viele und vielseitige Stiitzen ftir die eben vor- getragene Auffassung fiir die fliel~enden •berg/inge innerhalb der ver- schiedenen Sinnestguschungen einerseits und den Fremdgedanken und Drangerseheinungen andererseits beibringen lassen, so kann doeh nieht geleugnet werden, dab es gar nieht selten Kranke gibt, die auf das Aller- bestimmteste, yon sich aus wie aueh auf Frage~ zwischen StimmenhSren und Fremdgedanken unterseheiden und die aueh beziiglich der Qualit~Lt, ob optisch oder akustisch erlebt, keinerlei Zugestgndnisse an ~3berggnge machen. Diese Tatsaehe muB also einger/iumt werden und es werden sich aus ihr auch phgnomenologisehe Unterschiede gegenfiber den anderen, eben an Beispielen gekennzeichneten Sinnestguschungen ableiten lassen. (Ganz zuriiekhaltend mSchte ieh reich hinsichtlieh der KSrpersensationen und dem vergnderten KSrpergeffihl Sehizophrener verhalten, yon denen ich glaube, dai] sie einer besonderen funktionsanalytischen Untersuchung bediirfen, die aber noeh kaum begonnen wurde.)

Von den Stimmen, die konzessionslos nur als solehe erlebt und yon allen anderen Erseheinungen subiektiv streng geschieden werden, lgBt

Fnnktionsanalyse in der Schizophrenie. 523

sich aber dennoeh feststellen, dab sie hinsieht l ich der Bedingungen ihres Auftretens den anderen Sinnes tguschungen im Funktionsprinzip so nahe kommen , dab greifbare Unterschiede in den Unte r suchungen nieht heraussprangen, so dab die Ve rmutung nahel iegt , der Untersehied werde mehr auf der re in mater ia len Seite des Vorgangs zu suchen sein. Doeh darfiber am Ende der Arbeit .

Es sell je tz t an H a n d yon Baispielen den Bedingungen des Au/tretens der Sinnestiiuschungen naehgegangen werden.

Soweit sich fibersehen ]&l?t, s ind es fiberwiegend Pa t i en t en , die sehon lgngere Zei t , bis Jahre fang, halluzinieren, die ihre S t immen fast daue rnd hSren.

.Beispiel 102: Pet. 4 h6rt Stimmen seit 6 Jehren, seither stationgr geblieben. ,,Wenn ieh real fiber was nachdenke, so fiber meine Vergangenheit, dann weiB ieh allmghlich gar nicht mehr, wer des rut, dann iibernehmen neeh und nech die Stimmen meine Gedanken mit." ,,Nur wenn ich reich mit anderen Mensehen unter- halte, dann merke ich des Durcheinander nicht."

Beispiel 103, Pat. 5: ,,Anfengs traten die Stimmen immer nur pl6tzlich auf." Seit 4 Jahren h6re er die Stimmen den genzen Tag. ,,Je lauter die Tegesgergusche, um so lauter sind euch die Stimmen. Wenn alles genz still ist, dann sind auch die Stimmen genz genz leise und ]angsam, abet die Worte h6re ich doch."

Mehr Beispiele braueht es ffir diese, bei gl teren Sehizophrenen jedem Psychiater bekann te Erscheinung nicht. Anders pflegen die Dinge in frischeren Fgl len zu liegen. Des folgende Beispiel d ient augerdem noch dazu, den ffir fiberaus viele Fglle typ ischen Werdegang zu demonst r ie ren und ferner sagt es uns ffir viele andere etwas fiber die erseheinungsmgBige Verwandtsehaf t yon klassiseh re inen S t immenhSren und Fremdgedanken .

]3eispiel 104, Pat. 15 : S e i t Jahren autistischer Sonderling. - - Vor 5 Monaten, als er noch gesund gewesen sei, habe er ,,auf Grund dieser EntsehluBunsicherheit (guBerer verstehbarer AnlaB) immer Se]bstgespr&ehe fiihren miissen, . . . In der Zeit babe ich dnrchaus nicht des Gefiihl gehabt, dab des unnatiirlich war." Er sei nur trauiig verstimmt gewesen. ,,Es war eine Selbstunterhaltung, wie man des oft tut, wenn man was nicht sicher weiB." Des sei seinem Willen unterworfen gewesen under habe des aueh jederzeit abbrechen kSnnen. ,,Aber bald kehrten die Gedenken wieder zu meinen Tonsillen (die er sich entfernen lessen sollte) zuriick. Nach 1 Monet ffirchtete ich, des Selbstgesprgeh k6nnte iiberhendnehmen und ieh k6nnte die Kontrolle dariiber verlieren. Eines Tages stoppte es ganz yon selbst - - plStzlich und gleichzeitig bekem ich ein sehreckliches Angstgeftihl. Alles war schwarz in meinem Geist und ieh hatte fiberhaupt keine Gedanken mehr." (?) ,,Des heiBt, die Gedanken waren dann in der Brnst." (?) ,,Es waren wohl noeh meine Gedanken, aber ich hatte ein Fremdheitsgefiihl ihnen gegenfiber. Ich hatte das Gefiihl, ieh werde verriickt." Nun konnte er die Gedenken nicht mehr stoppen. Soweit habe er aber noch immer das Gefiihl gellabt, dab es seine eigenen Gedanken seien. Da sagte eines Tages sein Vorgesetzter zu ibm: ,,Nehmen Sie sieh real zusammen !" ,,Und 10 Minuten Spgter hSrte ich diese Worte wieder in der Brust gesproehen. Des war des erstemal, dab ich eine Stimme hatte." Und trotzdem sei es ganz die gleiehe Art des Spreehens und des Erlebens gewesen, ,,wie meine Gedanken in der Brust." (Keinerlei Untersehied ?) ,,Nein, gar keiner." ,,Spgter wurden dann solehe (halinzinierten) Stimmen yon anderen Leuten immer hgnfiger." Er bleibt selbst bei eingehendsten Fragen dabei, dab in der Qualitgt des Erlebens kein Untersehied

A r c h i v f t t r P s y c h i a t r i e . Bd . 110. 3 5

524 Konrad Zueker:

bestiinde. Als er sehliel~lich gefragt wurde, warum er denn Beides iiberhaupt in seinen Berichten trenne, gibt er zur Antwort: ,,An den Stimmen ist das das Beson- dere, dab sie stets nur das wiederholen, was andere zuvor wirklich gesagt haben."

t i l e r s t o l e n wir bei der l e tz ten Augerung schon auf Mare Besonder- hei ten im sachl iehen I n h a l t des Mater ia ls , die uns sp/ i ter zu besshs haben.

Beispie1105, Pat. 1 : Zweiter Schub, nach dem ersten sehr gute Remission. tISrt jetzt seit 1 Jahr wieder Stimmen in gr6geren Abstanden, in denen aueh ihr Gesamt- geisteszustand wechselt. ,,Manchmal ist mir so, als ob der KSrper allein ist, z. B. bei irgend einer ttausarbeit und dag mein Geist ganz wo anders ist. Das kommt pl6tzlich und nur in solehen Momenten hSre ich iiberhaupt Stimmen. Wenn ich dann angesprochen werde, sind die Stimmen meist versehwunden oder sie ziehen sich in gr6Bere Entfernung zurfick."

Beispiel 106, Pat. 2: Beghm der Krankheit vor 5--6 Monaten. ,,Anfangs h6rte ich die Stimmen nur unMar, wenn ich einschlief." - - ,,Spater h6rte ieh die Stimmen Wort ffir Wort, aber immer nut so gegen Abend oder kurz nach dem Aufwachen."

Beispiel 107, Pat. 8: Vor 1 Jahr akuter Beginn, zur Zeit seit 2 Monaten frei. ,,Die Visionen kommen immer so pl6tzlich in meinen Sirra, dag ieh erschrecke."

Beispiel 108, Pat. 13: Vor 8 Tagen Beginn der Erkrankung. ,,Heute Naeht, als ieh noch wach war, ist mir das wieder passiert, das kann ich gar nieht sagen. Das setzt ganz pl6tzlich ein. Ich hSrte immer Antwortem Es waren ruhige Stimmen ohne Schall."

Beispiel 109, Pat. 26: Beginn vor 4--5 Monaten. t t6rt Stimmen und sieht ,,Figuren". - - Die Figuren ,,die sehe ich nur morgens nach dem Aufwachen". - - ,,Die Stimmen h6re ich nur in der Ruhe." , , . . .wahrend der Unterhaltung h6re ieh niemals Stimmen."

Beispiel 110, Pat. 9: Drifter Sehub, Beginn vor 4 Monaten. ,,Dieses Geffihl setzt plStzlich ein, dab mir alles nur so rage und unwahrseheinlich erscheint und dann h6re ieh rufende Stimmen, keine klaren Worte."

Beispiel 111, Pat. 12: ,,Damals, - - meint bei Beginn der Erkrankung - - , ffihlte ich reich schwach und konnte reich nicht konzentrieren." Und in der Zeit ,,h6rte ich zum erstenmal pl6tzlich des Abends im Bett die Stimme eines Arztes, der auf Urlaub war."

Es soll m i t der H~ufung dieser g le iehar t ig l au t endenden Beispiele n ich t der Anschs in erweckt wsrden, als sei das, was ih r I n h a l t verr/ i t , s ine un- verbr i ichl iche Regel . Sie gewinnen ih ren W e r t aber e rs t un t e r der Be- rf icksichtigung, dab sie yon P a t i e n t e n s t ammen, die insofern eine Aus- wahl dars te l len , dal3 sis al le sehr gu t u n d Mare Auskunf t zu gebsn im- s t ande waren, ein Erfordernis , dessen N0twend igke i t im Begirm dieser Arbe i t ause inandergese tz t worden ist . U n d so gesehen .ist die Gleich- fSrmigkei t de r I n h a l t s gewil3 ke in Zufall , zumal sis du tch ]~et rachtungen an grSBerem kl in ischen Mate r i a l j ederze i t e rwei te r t w e r d e n kSnnen, Sie lehren, dab in f r isehen F~llen, die den Verlauf nehmen, auf welehen unsere gesamten Besprechungen i i be rhaup t abheben , die akus t i sehen und opt i schen Sinnes t~uschungen folgende Umst/~nde des Einse tzens bevorzugen: tginmal is t das die P16tzliehksit , m i t der sie als den Pa t i en t en i iberrasehende f remde Gebilde kommen. Sodann s ind es Gelegenhei ten, bei denen der Denkab lauf gewShnlieh d i s t r ah ie r t i s t : Vor dem Einsehlafen, kurz naeh dem Erwachen , in der: R u h e ; fern e iner konzen t r i s renden

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 525

Tgtigkeit. Kurzum, wh" stoBen auf Bedingungen, die wir schon als besonders gfinstige fiir das Auftreten der Fremdheitserlebnisse kennen lernten, und die ein Nachlassen der antizipierenden Funktion der sekun- d~ren Tendenz bedeuten. Vergegenw~rtigen wir uns nun noeh das, was zuvor fiber die fiberans hs bekundete Verwandtschaft yon Sinnes- tguschungen und l~remdheitserlebnissen geschildert wurde, so l~iBt sieh ohne weiteres erkennen, dab diese Sinnest~iuschungen funktionsanalytiscti identiseh sind mit Fremderlebnissen und dab ihre Sonderstellung, wo nieht fiberhaupt schon flieSende ~berg~nge bestehen, lediglieh in der Materialstruktur zu suehen ist, wie das im fibrigen oben schon angedeutet wurde. Sie sind also auch Entgleisungen oder Abwandlungen der derek- ten Materialtendenz, die aul3erhalb der Antizipation der sekund/iren Tendenz fallen und die sich nur in dieser selbst d. h. in der Selbstbeaeh- achtung als fremd, d .h . nicht yore Ich stammend, als , ,gemacht" spiegeln.

Psychologiseh gesehen mfi~ten sie rein naeh ihrem sachliehen Inha l t dem latenten Vorstellungsmaterial entspreehen. Dies bedarf einer ganz besonderen Unterstreichung, da es immer noch Meinungen gibt, die diese Sinnest~usehungen sozusagen als Spontanleistungen erkrankter Sinnesfe]der ansehen wollen. Eine solche Auffassung dfirfte sich allein schon erledigen dureh den Hinweis auf die ursprfingliche Sinnverwandt- schaft der Abwandlungen mit dem prims Intendierten, wie welter oben in den Vorstellungsversuchen gezeigt werden konnte. Wobei die Abwand- lungen durchaus nicht demselben sinnlichen Materiale wie das Intendierte zu entspringen brauchen. Denn es wurde gezeigt, dab die Abwandlungen jeden Weg fiber Optisches zu Spraehliehem, fiber Spraehliehes zu Osmi- sehem ja Oft sogar nur fiber bedeutungsm/~Big Verwandtes nehmen kfnnen.

Die nun folgenden Beispiele sollen die Herkunf t der Sinnest~uschungen aus dem latenten Vorstellungsmaterial und ferner den fundamentalen Unterschied, der sie t rotzdem im Erleben davon trennt, zur Evidenz beweisen.

Zu diesem Zwecke wurden die einzelnen Patienten - - fibrigens stets in mehreren Versuehen - - aufgefordert, sieh Dinge vorzustellen, die der Art und dem Inhal t ihrer Italluzinationen weitgehend entspraehen. Naeh- dem das gelungen war, wurden sie eingehend fiber die Untersehiede beider Erseheinungen im subjektiven Erleben befragt.

Beispiel 112, Pat. 1: Nach Vorstellen realer Stimmen: ,,Die vorgestellten Stimmen gehen yon mir selbst aus, die anderen, die ich hfre (Halluzinationen) aber kommen aus sich selbst heraus, ohne mein Zutun." Im iibrigen jedoch sei die Qualitgt der beiden ,,im ttfren doch wohl dieselbe".

Beispie1113, Pat. 2: ttabe heute kurz nach dem Erwachen wieder zwei Stimmen gehfrt. (Mit Fremdheitsgeftihl ?) ,,Ja, dasselbe Gefiihl." (Zuvor getr~umt ?) ,,Ja.'~ (War Traum verkniipft mit den spiiter gehSrten Stimmen ?) ,,~ein, ich erwachte durch etwas, was ich triiumte, ich weiB nicht mehr, was es war. Und dann nach

35*

526 Konrad Zueker:

einigen Minuten h6rte ieh die Stimmen". (Einzelne Worte ?) ,,Ja, wie ich's immer h6re, einzelne Worte belanglosen Inhaltes." - - Sie erinnert sich pl6tzlieh des Traum- inhaltes: ,,Ich tr~umte, irgend etwas sei verkehrt mit mir und dab Sie mir daffir einen Rat gaben." (Fremdgefiihl aueh im Traum ?) ,,Nein, ieh wui]te nut, dab etwas verkehrt war mit mir . . . erst als ich dann naeh dem Erwachen die Stimme der Schwester and Ihre Stimme h6rte (halluziniert), bekam ich das ~'remdgeffihl wieder deutlich." (Sie h6rten also meine Stimme erst im Traume and dann sparer nach dem Erwachen ?) ,,Ja" (Unterschied ?) ,,Oh, ganz versehieden als ieh tr/~umte, konnte ich nur wissen, was Sie sagten, konnte ich nieht den Ton Ihrer Stimme erfassen. ~aehher aber, als ieh wach war, konnte ich den Ton Ihrer Stimme sehr deutlich h6ren." (Worte aneh ?) ,,Ja, ich kann nicht mehr erinnern was, aber als ich es h6rte, wuBte ich es." (Wie spraeh ieh denn englisch?) ,,Es war genau so gebrochen, wie Sie jetzt sprechen". (Und im Traum ?) ,,Nein, das weiB ieh nicht. Ich erinnere, dal3 ich sp/~ter noch fiber Ihr gebrochenes Englisch nachdachte, aber das bezog sich nieht auf den Traum." (Untersehied zwischen der vorgestellten and der halluzinierten Stim]ne des Ref. ?) ,,Die eine, daftir habe ich mich zu konzen- trieren, die andere in meinem Kopfe kommt, ohne dab ieh das brauche." (Sonst gleich ?) ,,Ungefahr qcohl."

Beispiel 114, Pat. 4: (Unterschied zwischen vorgestellten and halluzinierten Stimmen ?) ,,Wenn ich das mit Willen tun will, dann kommt das nicht so klar heraus. Aber wenn es dann nachher kommt (meint die Stimmen), dannn kommt das ganz genau so heraus, wie wenn es wirklich gesprochen wurde. Je~zt stelle ieh mehr den Ton einer Stimme vor, nachher sind's nur die Worte ohne Stimme,"

Beispiel 115: Pat. 5 h6rt klare deutliche Stimmen, kann sogar Dialektunter- schiede bemerken. (Unterschied zwischen vorgestellten nnd haliuzinierten Stimmen ?) ,,Im ersten Tall bin ieh es, der es will, der es sieh vergegenw~rtigt. Im zweiten Fall aber kommen die Stimmen ohne meine Intention. Der Charakter beider ist sonst der gleiche." (Dentliehkeit ?) ,,Aueh die gleiehe." In einem anderen Versuehe nochmals naeh dem im fibrigen bestehenden Untersehied gefragt: ,,~Ticht der geringste Unterschied."

Beispiel 116: Pat. 6: (Unterschied usw. ?) ,,Die Stimmen, wenn sie da sind, sind klarer and mehr real, als wenn ich sie vorstelle and sie beeindrueken reich; dieses aber nicht. '~

Beispiel 117: Pat. 10: (Unterschied zwischen den optischen Erseheinungen und entsprechenden optischen Vorstellungen ?) ,,Wenn ich was vorstelle, dann ist das viel klarer als meine Visualisationen, da ist ein grund!egender Untersehied." (Welcher ?) ,,Die jetzigen Vorstellungen maehte ich ohne Angst and mit meinem eigenen Willen und ich konnte sie kontrollieren; die ,Visualisationen' kamen ohne meine Intention in meinen Sinn. Die Vorstellungen sind immer klarer and man ]~thlt, daft m a n sie bekommen wird ." (Abet warum sind denn die Visualisationen realer, wenn sie undeutlicher sind ?) ,,Wegen der Angst, der Untersehied liegt mehr in der Stimmung." In einem anderen Versuche sagt sie auf die entsprechende Frage: Die ,,Visualisationen" kommen den Vorsteliungen viel n~her a l s den Wahrneh- mungen." (Und der Unterschied zwlschen beiden ?) ,,Es ist fast dasselbe, aber doeh ni6ht ganz dasselbe. (Worin besteht dann der Untersehied ?) In der Art des Gefiihles, das ich dabei habe, in dem Geffihl des Ersehreckenden, des Fremden."

Beispiel 118, Pat. 12: (Unterschied zwischen vorgestellten and halluzinierten Stimmen ?) ,,Je mehr ich reich konzentriere, um so deutlicher kann ieh vorstellen; die Stimmen aber kommen yon selbst im Nu."

I n einem anderen Versuch wird sie ge~ragt naeh dem Untersehied zwisehen Vor- stellen yon Mensehen nnd ihrem halluzinatorischen Sehen yon Menschen: ,,So ist es dasselbe, nurder Weg ist umgekehrt. Was vor mir bier liegt, das kann ich erst sehen and dann kann die Vorstellung davon aueh leichter kommen. Die Figuren

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 527

aber die kommen yon innen heraus. Es ist der umgekehrte Weg." - - In ehmm weiteren Versuch: (Unterschied zwischen halluziniertem Klavierspiel und yon ihr spontan als Gegenmal]nahme vorgestelltem Rasselger~usch) ,,Der Unterschied war: Das eine schuf ich, das andere aber nicht."

Beispiel 119, Pat. 13: (Unterschied zwischen vorgestellten und hallflzinierten Stimmen ?) ,,Die hab ich mir nur vorgestellt. Das, was ich mir vorstellte in meinem Denken, ist nur nach meiner Gesinnung heraus." (?) ,,Das kann ich bringen, wenn ich reich anstrenge." (Und Ihre Stimmen ?) ,,Dann brauch ich reich nicht anzustrengen." (Was sonst ~iir ein Unterschied ?) ,,Sonst ist es dasselbe."

Beispiel 120, Pat. 14: (Soll sich tier~hnlich vorstellen (vgl. oben), zugleich die entsprechende Italtung annehmen und dann Unterschied zu dem Gefiihl in vorletzter Nacht angeben) : , ,Ja ich kann das vorstellen, aber es ist nicht dasselbe. Dieses ist willkfirlich und beeindruckt reich nicht so und ich kann es anhalten, wenn ich will".

Beispiel 121, Pat. 18: (Unterschied der vorgestellten und halluzinierten Stimmen ?) ,,Gar kein Vergleich. Sehen Sie, die ,Stimmen' sind da, klar und deut- lich, aber beim Vorstellen hat man zu denken und zu denken."

Beispiel 122, Pat. 19: (Unterschied zwischen ,,Stimmen" und vorgestdllten Stimmen ?) ,,Was mir erscheint, das sind keine solchen Stimmen, wie ich sie vor- stellen kann. Das ist mehr ein Geffihl, das vom Kopf zum Ohr geht. Es hat das abet einen bestimmten Sinn." (Was deutlicher?) ,,Wenn ich meiner ~.eundin Stimme vorstelle." (Was wirklicher ?) ,,Die Stimmen sind oft unklar, aber sie existieren."

Beispiel 123, Pat. 26: (Unterschied zwischen vorgestellten und halluzinierten Menschen ?) ,,Die Figuren sind so verschwommen . . . . die bewul~ten Vorstellungea sind deutlicher." (Weiterer Unterschied ?) ,,Das eine ist j~ ~vohl krankhaft und das andere, das ist ganz gesund." (~'och ein Unterschied ?) ,,Das eine habe ich gewollt und bewul~t gewollt, und das andere ist vielleicht auch bewuSt gekommen, aber nicht gewollt."

Von den fibrigen P a t i e n t e n waren keine verg le ichenden Auski inf te zu erhal ten . J e d e r Beobaehte r , de r ha l luz in ierende Schizophrene naeh dem Unte r seh ied zwischen ih ren Sinnest/~uschungen und realen Wahr- nehmungen f ragte , wei$, wie une inhe i t l i ch und w i t wenig Pos i t ives besagend d a n n die Erkl/~rungen ausfal len. Se lbs t wenn man , wie ieh das in einer ausff ihr l iehen Unte r suchung t a t ~, die Sinnest / iuschungen in- ha l t l i ch mSgl iehst get reu n a e h a h m t und sie d a n n als W a h r n e h m u n g e n b ie te t und dadu reh den P a t i e n t e n zu e iner vie l dr / ingenderen Stel lung- nahme veran laSt , so fal len die Aussagen h ins ich t l ich pos i t ive r Unte r - sche idungsmerkmale immer noeh sehr unsieher aus. Aber in einem s ind sie sieh al le einig: Es i s t e twas ganz anderes . Vergleichen wir nun d a m i t die hier erz ie l ten Un te r sch iedsangaben zwischen Vorstellungen und Sinnest / iuschungen, so spr ing t das ~ b e r e i n s t i m m e n d e zun/~ehst e inmal sofort in die Augen. Alle sagen d a r i n dasse lbe aus. Das Vorges te l l te wird als der eigenen In i t i a t i ve un te rwor fen er lebt , das t t a l l uz in i e r t e is t , ,gemacht" . Se lbs t d a n n wird dieser Un te r sch ied be ton t , wenn die sinnliche Deu t l i ehke i t der Sinnest/s ger inger i s t als die de r Vorstel lungen. l~ierauf k a m es uns a n : Die s innl iche Ffi l le k a n n wech- seln yon grS$ter K l a r h e i t bis zum undeu t l i chen Er l eben nur des gemein ten

1 Experimentelles fiber Sinnest/~uschungen l. c.

528 Konrad Zucker:

Sinnes; dss/indert gar niehts an dem Kernerlebnis der Psssivit~it, dessen Struktur bereits suseinsndergesetz~ wurde.

Man ksnn also so formulieren: Bei eiuem Vergleich zwisehen realen Wahrnehmungen und Sinnest~iuschungen ist die Passivit/it (wir sagen: Das nieht im Vorstellungsablauf Antizipierte) das Moment, welches den Erlebenden am meisten beeindruckt und den Ausschlag dsftir gibt, es yon sich sus in die n/ichste Ns der Wshrnehmungen zu rficken, wogegen die fibrigen Quslit~iten des Erlebnisses oft g~nzlieh in den Hin- tergrund treten. Erst wenn der Patient suf geeignete Weise versnlsllt werden kann, zu dem Unterschied zwischen Vorstellung und Halluzination Stellung zu nehmen, erfahren wir, dall dieser - - funktionsanalytisch gesehen - - ledigllch dsrin besteht, dsI~ jene antizipiert sind, d. h. durch aktive Beteiligung zustsnde kommen, diese dagegen nicht antizipiert sind, d .h . er erlebt sich ihnen passiv gegenfiber. Im tibrigen aber wird die (~uslits als nlcht versehieden erlebt, oder andere etwsige Differenzen sind keine durehgehenden und haften als Charakteristica des einzelnen ~alles der Qualit/it des l~aterisls aber nicht dem schizophrenen Ge- sehehen generell an.

Es konnte im Lauf dieser Darlegungen des 6fteren suf situstive oder auch willkfirlich herbeizufiihrende Momente hingewiesen werden, die halluzinstionsfeindlich sind. Wenn nun tats~ichlieh sehizophrene Sinnes- t~usehungen nieht autochtone Fehlleistungen erkrankter Sinnesfelder sind, wenn sie vielmehr naeh dem Inhalt der Figurbildung lediglieh Vor- stellungsmaterial enthalten, dann mfiBte such zu erwsrten sein, dall es dem Kranken dutch eine irgendwie willktirliehe Einstellung gelingt, SinnestKuschungen eintreten zu lessen 1.

Der Normale verffigt ja nicht nur fiber M6gliehkeiten, sich auf be- stimmte Materiale vorstellungsm~illig einzustellen, sondern such fiber solehe, wfllkfirlieh seinen ,,Bewulltseinszustand" innerhalb gewisser Breiten abzu/indern: Wit k6nnen uns konzentrieren wollen, wir kSnnen einschlsfen oder d6sen wollen; ja der Mescalin- oder Haschiseh-Ver- giftete hat manchmal noch sm n~chsten Tag die F/ihigkeit, auf be- stimmte Zust~nde w~hrend des gestrigen Rausehes soweit zurfickzugehen, dab er diese wieder in engste Erlebnisn~ihe rfieken kann. Wie das vet sich geht, beds1 f noeh der K1/irung und ist ffir unsere Betrachtung nicht sehr wiehtig.

Jedenfalls verspraeh das Gelingen soleher Versuche in dem Fslle schizophrener Sinnest',iuschungen nieht nebens~cbliche weitere Einblieke.

1 Es sell ausdriicklich betont werden, dab hier nicht die Ansioht vertreten wird, I-Iirnts und Vorstellungsablauf seien inkommensurabel. Im Gegenteil, abet zwischen dieser i:lberzeugung und der Meinung, schizophrene Sinnest/iuschungen seien auf St6rungen des entsprechenden Sinnesprojektionsfeldes zuriickzufiihren und hiitten ann~hernd hirnlol~lisatorische Bedeutung, liegt noch eine betr~chtliche Strecke.

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 529

Es warden deshalb die e inzelnen P~ t i en ten naeh entsloreehenden Er- k l~rungen aufgefordert, ihre St immen, F iguren usw. selbst wieder vor- zustellen u n d zwar n ieht bloB inhal t l ich, sondern m i t s a m t dem St immungs- bzw. Gefiihlgehalt, den sie w~hrend des Hal luzinierens ha t ten . I m Falle des Gelingens warden sie d a n n noch veranlaBt, fiber den Unterschied zwisehen diesem Wiedervorstel len der Sinnes t~usehungen u n d den Vorstel lungen in den frfiheren Versuehen Auskuaf t zu geben. - - Es ist klar, dab die Aus- beute in diesen Versuehen, die sozusagen letzte MSgliehkeiten an Kr i t ik u n d Selbstbeobaehtung der Pa t i en t en erforderten, kleiner ist als in al len vorangehenden Untersuchungen . Natfirl ieh wurden sie nu r bei K r a n k e n angestel l t u n d verwertet , die zu Zei ten der U n t e r h a l t u n g n icht spon tan hal luzinier ten.

Beispiel 124, Pat. 1: ttalluzinierte w~hrend des Schubes oft die Stimme ihres Freundes und sie soll, nachdem sie dessen reale Stimme wie aueh die beliebigen anderer Personen auf GeheiB sofort in 1--2 Sekunden deutlieh vorstellen konnte, nun die halluzinierte Stimme vorstellen. Erst naeh 16 Sek. gibt sie an: ,,Ja, ich konnte es, aber nut etwas. Es war schwer and war nut kurz." (Genau so wie darnels ?) , Ja , es war dann genau so, aber die anderen Vorstellungen waren viel leiehter." (Unterschied ?) ,,Ja, ieh konnte die Stimmen nieht so ganz verstehen, als ieh krank war", w~hrend sie bei den nun vorgestellten (realen) Stimmen jedes Wort babe vorstellen kSnnen. (Also in der Klarheit war das Vorstellen wirklicher und halluzinierter Stimmen nicht dasselbe ?) ,,Oh nein l" (Was yon beiden sehien denn jetzt realer zu sein ?) ,,Die Stimmen w~hrend meiner Krankheit, als ich die jetzt vorstellte." (Wie haben Sie es erreicht, dal~ Sie die Stimmen nun wieder hOrten ?) ,,Ieh weiB nioht, ich habe doch manchmal Zust~.nde, wo mein KSrper allein ist."

Beispiel 125, Pat. 3: ,,Da brauche ich nut hier zu sitzen und nichts zu sagen und nicht Obacht geben, dann f~ngt das sehon ganz alleine an."

Beispiel 126: Pat. 5 erkl~rt auf die Aufforderung, seine (halluzinierten) Stimmen vorzustellen: ,,Das ist dasselbe, ich kann sie gar nieht vorstellen, ohne sie dann auoh zu h6ren". (KSnnen Sie das denn jederzeit ?) ,,Ja, das k6rmte ieh, abet yon mir aus wehre ich mieh dagegen." tI~lt sich beim Vorstellen der halluzinierten Stimmen stets die Ohren zu, was er beim Vorstellen realer Stimmen nie tut.

Beispie1127 : Pat. 6 antwortet auf die genannte Aufforderung nach einigen Ver- suchen, das kSnne er nicht. Dann endlich: ,,Ja, ich kann es, aber das War dann auch wirklich." (Wie gemacht ?) ,,Das kann ich nicht erld~ren."

Beispiel 128, Pat. 8: Bei ihr, die sich zur Zeit in guter Remission befindet, lagen die Sinnest/~uschungen schon etwa 3 Wochen zuriick. Das Vorstellen realer Stimmen gelang immer gut. Bei dem jetzigen Auftrag, die halluzinierten Stimmen wieder vorzustellen, versucht sie das willig etliche Male und erld/~rte dann: ,,Das geht wohl kaum". (Warum nicht ?) ,,Weil ich das gar nicht mehr weiB."

Beispiel 128: Pat. 10 gibt auf die diesbezfigliche Aufforderung nach 35 Sek. an: Ja, sie k6nne es. (Wie gemacht ?) ,,Dutch Erinnern." (Konnten Sie es gleich er- innern oder schwer ?) ,,Nein, ich bekam es ganz allm/~hlich." (Und die anderen Vorstellungen ?) ,',Die kann ich praktisch sofort sehen, wenn ich die Augen schliel]e." (War das Erleben jetzt dasselbe, wie wenn Sie die ,,Bilder" zuvor sahen ?) Z6gernd: ,,Ja, aber zuvor, wenn ich sie sah, war es mehr wirklich, es erschrack reich sehr und aul]erdem habe ich jetzt die MSglichkeit, diese Bilder zu stoppen". (War es sonst im geistigen Auge dasselbe ?) ,,Ja, ich bin sicher, es ist dasselbe."

530 Konrad Zucker:

Beispiel 129, Pat. 11: I~Ialluziniert zeitweilig ein , ,E l ek t r i s i e r t -werden" . - lqach wirklichem Elekbrisiertwerden, das sie natiirlich davon differenziert, kann sie Stmiden sp/iter dieses Geffihl beliebig wieder vorstellen. Soll nun ihr hallu- ziniertes Elektrisiertwerden wieder vorstellen: ,,Da mul3 ich erst denken, das kann ich so nicht." Versucht es wieder, antwortet dann nach 30 Sek. : ,,~ein, das kann ich so nicht, das ist was anderes."

Beispiel 130, Bat. 12: ,,Die Schwierigkei$, die Luftfiguren vorzustellen, liegt darin, dab ieh sie erst erinnern muB." (Wieso ?) ,,Denn die Dinge, die Sie vorhin auftrugen, vorzustellen, wie Schirm usw., die kommen so vor meine Augen, wenn ich sie schlieBe." Versucht es dann wieder und gibt an: Nun habe sie die Figuren endlich erinnert, aber nun sehe sie sie auch wirklich. (Unterschied zwischen Vor- stellen yon gewShnlichen Dingen und den Luftfiguren ?) ,,Der Weg ist verschieden, umgekehrt. Ich sagte Ihnen ja, das TinSenfaB da, das k5nnte ich zuerst sehen und dana wiirde die Vorstellung davon leichter kommen. Die Figuren aber, die babe ich erst vorgestellt und darm waren wirklich auch einige davon da. Ich habe sie durch die Vorstellung hervorgerufen. Es ist der umgekehrte Weg." Solt dana ihre Stimmen vorstellen: ,,Das ist sehr schwer, ich muB reich dazu zum Erinnern zwingen". (In derselben Weise, wie Sie vorhin Dr. Z. vorstellten ?) ,,iNein, bei ihm war es so, dab ich desto besser erinnerte, je mehr ich dachte; abet bei den Stimmen, da mul3 das pl6tzlich yon selbst kommen." Beim nichsten Male als es ihr gelang, ihre Stimmen vorzustellen, gab sie an: ,,Ich muBte zunichst zur Erinnerung zuriickgehen und dann kam es plOtzlich auf."

Beispiel 131: Pat. 13 berichte~ auf den entsprechenden Auftrag: ,,H6r ich, die habe ich vorgestell$ und habe sie geh6r$." (Unterschied). Die Vorstellung, die ich zuvor hatte (yon realen Stimmen), hab ich selbst gemacht; was ich eben aber ge- dacht hab', das hab' ich mitgekriegt in meinem Geh6r." (Was war deutlicher ?) ,,Beim erstenmal war sie st/~rker." (War es jetzt bestimmt so, wie die Stimme, die Sie abends h6ren ?) ,,Genau, kein Unterschied. Ich kann mir Stimmen vorstellen, aber ich hSr das niche, aber beim letztenmal hab ich es h6ren mfissen." - - Bei einem anderen Versuch erkl/~r$ er: ,,Wenn ich das so rue, wie Sie sagten, dann kann ich sie nicht vorstellen, sondern nur h6ren. ~ur vorstellen kann ich sie nur, wenn ich sie nicht gebracht krieg."

Beispiel 132: Pat. 26: Nachdem sie immer wiederholt, dab sie sich etwas Ge- sprochenes nicht vorstellen k6nne, soll sie sich jeSzt ihre halluzinierte Stimme wieder vorstellen: SchlieBt die Augen, macht leioht wiegende Kopfbewegungen und schiittel~ nach 10 Sek. lachend den Kopf: ,,Du dummes Ding ! - - Das war aber eben wirklich so."

Soll sich jetz$ eine ihrer ~iguren vorstellen, die sie sonst nur morgens sieht. ,,Die kann ich doch nicht vorstellen!" Versucht es. ,,Die kam nicht yon mir." Nach einer Pause Wiederholung des letzten Versuches. Wiegt wieder in charakte- ristischer Weise mit geschlossenen Augen den Kopf: Nach 16 Sek. : ,,Die war nicht vorgestellt, die war wirklich da. Man kann in meinem Kopf hypnotisieren. Sie haben gesag~, ich sollte sie vorsSellen. (Ja, haben Sie das getan, so wie Sie den roten Apfel vorstellten ?) Das sei nicht derselbe Weg gewesen. ,,Das (den roten Apfel) hab ieh mir bewuB~ vorgestellt und das andere war einfach da".

Ich glaube, dami t n u n genfigend zum Beweise der oben auseinander- gesetzten Ansehauungen fiber die S t ruk tu r des Erlebens sehizophrener Hal luz ina t ionen herbeigeffihrt zu haben.

C. Schneider i bemerk~ in seinem Buche, dab bei entsprechend Ver- an lag ten die S t immen sich bei Aufmerksamkei t szuwendung deut l ich

i Schneider~ C.: 1. c.

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 531

an Haufigkeit steigcrn. Die Tatsache, dab in schizophrenen Endzu- standen in der Regel ausgesprochene I~Ialluzinationen nicht feststellbar sind, erklart C. Schneider einmal mit GewShnung und zum anderen damit, dab die Kranken den unmittelbaren Eclebnistatbestand nicht mehr so schurf erfassen kSnnten. Wir kSnnen diese Binge jetzt etwas genauer fassen, vor a]len Dingen was den Begriff der Gew6hnung anlangt. Es wird schwierig sein, den ,,unmittelbaren Erlebnistatbestand" yon der UnmSglichkeit seiner Ec~assung zu trennen. Wir spreehen in diesem Sinne yon der gemeinten Unmb'glichkeit, nicht von der Tatsache, dab das im normalen E~-leben auch ab und zu real nicht vollzogen wird. Denn es kSnnte yon vornherein so scin, dab die UnmSglichkeit der Erfassung einen integrierenden Bestandteil des Gesamterlebnisses bildet, wodurch dann eben auch letzteres eine ganz andere Qualitat erhalt. Und so ist es auch in schon starker gestSrten Fallen der Schizophrenie. Man wird nach unseren Erkl/~rungen sagen kSnnen: Dort, wo, wie in schizophrenen Endzustanden die iiberschichtende Tendenz mit ihrer, das Ziel antizi- pierenden Funktion starker defekt wurde, kann es einmal nicht mehr zur Selbstbeobachtung kommen, zum anderen aber auch nicht mehr zu der Erlebnisstruktur, die sowohl dem Fremdheitserleben als auch den Sinnestauschungen zugrunde liegt.

Was nun die Aufmerksamkeitszuwendung betrifft, bei der die Simles- t~uschungen sich steigern kSnnen, so s~gen die eben mitgeteflten Angaben der Patienten dariiber aus, daB es sich dabei nicht um eine beliebige Aufmerksamkeitseinstellung handelt, sondern offenbar um eine in ihrem Wesen sehr bestimmte. Sie ist jedenfalls eine ganz andere als die, die zur tI~rvorrufung yon Vorstellungen realer Dinge getatigt wird. Im letzteren Fal le kommt es nur ganz ausnahmsweise dazu, dab aus der eingenom- menen , , t taltung" ttalluzinationen entspringen, w~hrend das in] ersteren Falle die l%egel zu sein scheint. IKit R~cht kann daraus geschlossen werden, dab die Patienten, die ihre Halluzinationen richtig vorsteUen kSnnen, dazu eine innere Einstellung einnehmen, die dem Zustande nahekommt oder gleicht, der beim spontanen Auftreten der Sinnes- tauschungen vorliegt. Diejenigen unserer Patienten, die seit langer Zeit und nun schon fast den ganzen Tag fiber halluzinieren, fiir die also die fragliche Erlebenssituation jederzeit gegeben ist, brauchen zu diesem Zweck nur die Zfigel etwas locker zu ]assen und schon sind Sinnest/~u- schungen gegenwartig. Andere Falle, bei denen die tIalluzinationen noch nicht lange bestehen und auch nur bei besonderen Gelegenheiten (s. oben) auftreten, oder bei denen infolge einer l~mission die Sinnes- tauschungen noch nicht allzulange zurfickliegen, mfissen zu diesem Zwecke auf die ,,Erinnerung", d .h . auf die Vergegenstandlichung der Gesamt-Erlebnis-Situation wahrend des Halluzinierens zurfickgreifen. Bestanden aber Sinnestauschungen schon langere Zeit nicht mehr, dann war es einigen Patienten gar nicht mehr mSglich, diese wieder vorzu-

532 Konrad Zucker:

stellen und sie damit - - was sich nun als dasselbe erwiesen hat - - wieder hervorzurufen. Auch andere Umst~nde mSgen dabei eine Rolle spielen, wie etwa bei der Pat. 1 die Tatsache, dab sie mehr den Sinn als die Worte halluzinierte. Ffir sie wird der Weg zur Erinnerung und Vergegensti~nd- lichung weniger ]eicht zu finden gewesen sein.

Es ]assen sich noch mehrere Beispiele daffir heranziehen, dab die Aufmerksamkeitsznwendnng Schizophrener, wenn sie ihre pathologischen Erscheinnngen wieder erinnern wollen, eine ganz spezifische ist. Und ferner aueh daffir, dab nach erreichter Zuwendung die Erseheinungen dann selber dadurch wieder auftreten. So finden wir gar nieht selten F~lle, die aus einem ratlosen Stupor wieder herauskommen mit einer so weit- gehenden Remission, dab sie im Gespr~ch fiber alle, ihre Krankheit nicht betreffenden Dinge keinerlei Besonderheiten mehr zeigen vielleieht mit Ausnahme eines noch gebliebenen R~stes yon Unsicherheit. Fragt man solehe Patienten dann nach ihren pathologischen Erseheinungen, deren sie etwa zur Zeit noch einige haben, die jedenfalls kaum einen Tag zurfiek- liegen, so sieht man mit Regelmi~Bigkeit , dab die Patienten bei diesen Fragen weitgehend versagen. Sie geben dabei nieht nur keine oder nur ganz selten Antwort, sondern sie fallen fiir die Dauer, wo man sie sich auf Grund der gestellten Fragen mit ihren pathologischen Dingen be- sch/~ftigen ]i~Bt, wieder in den Zustand des Gedankenschwindens, der Bedeutungserlebnisse oder des StimmenhSrens zurfiek. Es konnte das in etlichen Fiillen mit geradezu experimentelIer Sicherheit erreicht werden. Bei einem Fall war das besonders eharakteristiseh, der tags zuvor noch massenhaft Bedeutungserlebnisse und ein daraus resultierendes Verr/itseltsein gehabt hatte und mit dem man am folgenden Tag schon wieder ein in jeder Beziehung geordnetes Gespr~eh fiber seine Familie, Interessen, Berufsleben, letzte polizische Dinge usw. ffihren konnte, der aber jedesmal, sobald man ihn nach seinen gestrigen Erlebnissen fragte und sobald er anhub zu antworten, ratlos wurde und nachdem er sieh alkn/~hlich wieder land, immer angab, dab ihm wieder seine Gedanken gesehwunden seien u n d e r ganz seltsame fremde Gedanken mit eigen- artigem Bedeutungserleben bekommen habe, worauf es ihm ganz un- m6glich gewesen wiire, etwas zu sagen.

Fassen wir nun zum Sehlul3 noch einmal zusammen, was/unlctiows- anatytisch die hier beschriebenen schizophrenen Sinnest~uschungen sind:

1. Dem Inhalt naeh sind die /qebenprodukte des Denl~ens ~ Ab- wandlungen. Entsprechend dem Grade der zugrnnde ]iegenden StSrung weisen diese Inhalte einen tells noeh deutlieh, teils nur schwer oder nicht mehr erkennbaren Sinnzusammenhang mit dem prim~ir Intendierte~ auf, /)as Abweichen yore intendierten Verlauf oder Komplex kann auf ver- schiedene Weise gesehehen: ~ber den Weg des Sinn-, gestaltlieh, sprach- lich- oder B~deutungsverwandten.

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 533

Bedingt sind diese Abwandlungen durch primate St6rungen in der auf das Material gerichteten Tendenz. Diese ist nieht mehr geniigend stark oder pr~zis genug auf die ,,Figur-Bildung" geriehtet. Da dasMaterial yon der Tendenz selbst in komplexen Formen angetroffen wird, miigte es im Sinne der angestrebten Figur-Bildungen umgepragt werden. Zu dieser Umpragung kommt es nur unvollkommen, so dag der Komplex als Ganzes eventuell sogar noeh weiterliegende Komplexe yon der un- prazisen Tendenz mit in den Vorgang hereingezogen, mit aktiviert werden, oder wie das friiher ausgdriiekt wurde, nieht passendes mitanspringen- des Material kann yon der unprazisen Tendenz nicht ferngehalten werden.

2. Die Qualitgt des Erlebens, d. h. den Charakter des Wahrnehmungs- artigen erhalten diese Inhalte durch die Passivit~t, mit der die Kranken im Selbsterleben diesen auftauchenden Inhalten gegeniiberstehen. Sie haben nicht das,, Gefiihl", sie intendiert zu haben, wie etwa Vorstellungen. In der Funktion entsprieht das folgendem Sachverhalt: Die den Vorgang der Figurbildung iiberschiehtende und gleichzeitig die Zielrichtung anti- zipierende Tendenz ist auf diese Nebenkomplexe nicht eingestellt. Oder anders ausgedriickt: Strukturell entspreehen den Ver~nderungen der Materialtendenz keine gleiehen in der iibersehichtenden Tendenz. Somit fallen die Nebenkomplexe augerhalb der antizipierenden Zielriehtung, d.h. psychologisch gesprochen, sie erscheinen unerwartet und fremd. Die Beziehungen zwisehen Material- nnd iiberschiehtender Tendenz kommen in der Selbstbeobachtung zum Ausdruck. Ist durch weitere Ver~tnderungen dieses Tendenzpaares aueh dig fiberschiehtende Tendenz insuffizient geworden, so nehmen einerseits die Abwandlnngen dos Inten- dierten st/~rkere Grade an, werden aber andererseits night mehr als ffemd und aueh nieht mehr als wahrnehmungs/thnliehe Erseheinungen erlebt. In derartigen Zust/~nden, die wegen Fortschreiten des besehriebenen Defektes nieht mehr halluzinieren, herrseht dann das Vorbeireden, die Inkoh~renz, so dag wir die ~nhalte des Vorbeigeredeten als nieht mehr halluzinationsf~hige Abwandlungen des intendierten Materials auffassen k6nnen. Zufolge der jetzfaueh auf die sekund/~re Tendenz iibergreifenden St6rung erleben diese Kranken ihre inneren Vorg/~nge iiberhaupt nieht mehr unter der Alternative : fremd oder eigen. [Wie immer wieder betont werden mug, kommt es selbst in diesen Zust~nden niemals zu einem v611igen Sehwinden der sekund/~ren Tendenzfunktion, sondern nur zu einem Aufh6ren des Antizipierens bei Erhaltenbleiben der reinen Zu- wendung (/~hnlich wie im D6sen).] Es bedeutet also das Nicht-mehr- HMluzinieren durehaus keinen Rttckgang irgendeiner St6rung, sondern im Gegenteil, ein Nieht-mehr-Halluzinieren-k6Imen.

3. Beziiglieh der sinnliehen EinkMdung des Nebenkomplexes haben wir zu unterseheiden zwisehen der eigentlichen Qualit/~t des Italluzinates und der Deutliehkeit. Wenn sieh z.B. in vielen F/~llen ohne seharfe

534 Konrad Zucker:

Grenze der Vorgang vom Fremdgedanken fiber Gedankenlautwerden zum StimmenhSren vollzieht, oder wenn der Kranke aueh im gleiehen Stadium der Erkranknng sowohl Fremdgedanken wie StimmenhSren erlebt, so kSnnen Inanchmal darin lediglich ein allmiihlich zunehmender Grad oder situationsbedingte Schwankungen der StSrung zu erblicken sein.

Dis elgentliche Qualitgt lgBt sich zuriickfiihren auf die sirmliche Einkleidung des jeweils angetr0ffenen Materialkomplexes. Bedenken wir das Niveau, in welchem sich die sehizophrenen Veriinderungen, zum Unterschied etwa yon amnestisch Aphasischen oder vom Agnostischen abspielen, bedenken wir mit anderen Worten, da~ es sinnlich ferne oder sinnlich arme Vorggnge sind, in denen die StSrnng zum Ausdruck kommt, und die in der Mehrzahl der inneren Sprache noch am n&chsten stehen, so ergibt sich als einleuchtend, daf~ aueh die Nebenkomplexe vorwiegend innersprachlichen Charakter haben und dementsprechend als Stimlnen erlebt werden. Ohne Frage spielen hier auch individuelle Untersehiede eine Rolle fiir die jeweilige Formung und Einkleidung d e r Material- komplexe. Und wenn jemand seine Gedanken gewohnt ist, auch optisch irgendwie mit einzukleiden, so snag er als Schizophrener seine Premd- gedanken hSren und sehen, eine in Wirklichkeit ja gar nicht so seltene Angabe 1. Es ist gar nieht anders zu verstehen, wenn oft nur der Sinn halluziniert oder wenn der Inhalt sonstwie sinnlich versehwommen oder als Syn~sthesie erlebt wird. (Inwiefern das Gesagte auch f fir die kSrper- lichen Halluzinationen wie Elektrisiertwerden usw. gilt, wurde noch nicht untersucht und so!] daher bier ansdrficklich als unsicher hingestellt bleiben. Hier sei nur das fibereinstimmende Ergebni s zahlreicher oben nicht angefiihrter Versuche in Parenthese Initgeteilt, dal~ n~mlieh die Beziehungen zwischen halluziniertem und vorgestelltem und ferner zwischen vorgestelltem realen und vorgestelltem halluzinierten Elektri- siertwerden absolut die gleichen wie auf akustischem und optischem Gebiet waren.)

4. Das Fehlen eines AuBenreizes oder wenigstens eines adiLquaten Aul3enreizes kann den Gesamtcharakter im Erleben schizophrener Hallu- zinationen mitbestimmen. In solehen Fiillen hSrt man =Mlgaben i~hnlich wie die der Patientin 15: ,,Die (realen) Stimmen kommen vom Ohr in den Kopf; meine Stimmen aber gehen vom Kopf in die Ohren." Es kSnnen solche Bestimmungen aber auch fehlen, so dab die Kranken nieht anzugeben wissen, ob sie z. B. die Stimmen auch bei zugehaltenen Ohren h6ren wiirden, bevor sie es nicht untersuchten, tm fibrigen ist bekanntlich die Lokalisation der aknstisehen wie der optischen Sinnes-

1 Einer unserer Patienten, dessen Gedgchtnismaterial auf Grund eigener An- gaben wie auch der Schulleistungen und dessen Vorstellungserlebnisse sieh als vor- wiegend optisch gegrfindet erwiesen, begann im schizophrenen Sehub alle Fremd- gedanken zu sehen, ,,rund um den Kopf herum".

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 535

t~iuschungen sehr versehieden und das auch oftmals beim gleichen Patien- ten. Wenigstens sind diejenigen Kranken, die in ihren Aussagen ent- sehieden eine bestimmte Lokalisation vertreten, erheblich in der Minder- zahl gegenfiber denen, die darin yon vornherein oder doeh bei n~iherer Exploration unsieher sind, aueh wenn sie kurz zuvor eine bestimmte An- gabe machten. Es ist darum auch beachtlich, wie viele die etwa veto Arzte gebotene Erkl~irung sofort annehmen, dall die fragliehen Dinge ,,fin Geiste" gehSrt oder gesehen wurden. Auch kann man als Beobaehter nie ohne weitere Untersuehungen sicher sein, was an Aussagen fiber Lo- kalisation erst Erkl~irungsvorstellungen entsprang und was sehon prim~ir dem ~[ateriale davon anhaftet. Darfiber siehe weiter nnten.

Nun steht jede identi]izierende Wahrnehmnngsleistang beim Normalen unter dem Einflul~ einer l~iehtungsvorwegnahme durch die iibersehieh- tende Tendenz. Dadurch wird unter anderem verhindert, dalt falsehe oder fiberrasehende Vorstellungskomplexe mit in die Leistung eingehen. In der Halluzination sind es aber diese letzteren selbst, die ohne anti- zipiert zu sein den Gesamtinhalt iiberhaupt ausmaehen. Und das im Verein mit den fehlenden Aul]enreizen diirfte hinreiehend die ]geaktion nahezu aller Sehizophrener ihren Halluzinationen gegeniiber erkls n~mlieh clal~ bei selbst uninteressanten Inhalten die Kranken ihren tialluzinationen ganz anders beeindruekt gegenfiberstehen als Wahr- nebmungen des gleiehen uninteressanten Inhaltes. Demgegenfiber ver- lieren die etwaigen Besonderheiten der Lokalisation erheblieh an Be- deutung.

5. Soweit uns in diesem Zusammenhange das Realitiitsurteil zu inter- essieren hat, kann es als yon zwei Gegebenheiten abh~ngig betrachtet werden: a) yon der aus dem normalen Erleben her gegebenen Alter- native : Wahrnehmung oder Vorstellung und b) vonder noeh vorhandenen Selbstbeobachtungsm6gliehkeit. Naeh den hier dariiber abgegebenen Er- kl~rungen wird wenigstens das klar, wieso Halluzinationen, die zwar Wahrnehmungseharakter zu haben seheinen, dann vom Subjekt aus noeh nieht allemal ffir real genommen zu werden brauehen.

Noch einige kurze Bemerkungen fiber den Unterschied dieser Sinnes- tiiuschungen gegeniiber den deliranten Halluzinationen. Der Schwerpunkt ]iegt bei den letzteren darin, dalt dureh einen l~rimiir bedingten Verlust der Selbstbeobachtung Wahrnehmungen nicht gegen Vorstellungen ab- gesetzt sind. Hier Hegen Vorstellungen, ttalluzinationen und Wahr- nehmungen tats~ichlich auf einer Verlaufslinie (Suggestibilit~tt). Das allein sehon macht die deliranten Erlebnisse qualitativ traum/thnlich. ])as Aktive an den eigenen Vorstellungen kann yon dem Passiven der Wahrnehmungen im Erleben nieht untersehieden werden oder doch nur fiir jeweils kiirzere Zeiten. So steht der Patient im eigentliehen Sinne des Wortes nieht mehr darfiber. Als anderer Ausdruek des Verlustes der

536 Konrad Zucker:

iiberschichtenden Tendenz kommt aber noch hinzu, dab das Ziel oder die Richtung in der Wahrnehmungsle is tung nur ungenau oder gar nieht mehr antizipiert wird, wodurch falsches VorstellungsmateriaI seitens der Materialtendenz aufgegriffen wird und in die Leist~ng eingeht (illusion~re Verkennungen u.g . ) .

Auf diese Weise sind dem Kranken die v o n d e r Aul]enwelt ausgehenden KontrollmSglichkeiten nur in sehr geringem Umfange mSglich. Aus der mit Hubert geraeinsam veffert igten Arbeit s t ammt eine ganz interessan~e Beobachtung an einer arteriosklerotisehen Patientin, die in diesem Zu- sammenhange erw/~hnenswert ist.

Beispiel 133: Die Kranke war zur Zeit noch 5rtlich und zeitlich gut orientiert und zeigte nur geringe Demenzerscheinungen. Sie war wegen einer Chorioiditis seit 1918 nahezu erblindet. Vor 9 Jahren nach einem kleineren (oder mehreren kleinen ?) Insulte stellten sich allm/~hlieh erst akustische und darm optisehe Sinnes- t/~uschungen ein, die bis heute unver~ndert sind: Sie sieht ,,Figuren", d. h. Menschen und hSrt sie sich unterhalten und auch zu ihr sprechen: ,,WunderschSnes Singen und deufliches Sprechen, jedes Wort is t ganz klar, was sie sagen." Die ttaltung der Figuren ist stets entsprechend dem, was sie sagen und singen. ,,Oder sie tanzen nach einer wunderschSnen, unsichtbaren Musik." - - ,,Die Figuren sind vielfarbig und ganz deutlieh in allen Einzelhei~en zu sehen, viel deutlicher, als ich riehtige Dinge sehen kann." Was sie so sieht, ,,das ist alles durchaus mSglich, da ist nichts Uberrasehendes oder Unwahrseheinliches". Sie steht diesen Dingen ganz ohne Er- ldgrung und auch ohne Erkl~rungswunseh gegeniiber, betrachtet sie als am'egende Unterhaltung, jedenfalls nieht als krankhaft. Sie pflegt nur mit Xrz~en dartiber zu spreehen, ,,falls die das interessiert". Mit dieser Patien~in wurden ebenfalls eine Reihe yon Vorstellungsversuchen gemacht. Das Resultat wa r, dab das Halluzi- nierte und das Vorgestellt~ gleiehzeitig Und im gleichen Erlebnisraum vorhanden war. Zu Anfang jedes Einzelversuehes wies beides eine 1/~ngere Zeit eine gewisse Unabh/~ngigkeit voneinander im Verhalten auf; Regelm/il]ig aber wurde es bald zu einer innigen Einheit versehmolzen. Dafiir mag ein Beispiel geniigen:

Patientin soll ein Telephon an einer Wand vorstellen. ,, Ja, ieh sehe das deutlich." (Was tun die Figuren jetz't ?) ,,Die wandern umher." (Keine Figur am Telephon ?) ,,Nein, die wandern dureh die Wand hindurch, an der das Telephon ist." Nach 1/2 Min.: (Sehauen Sie mal wieder auf das Telephon und erz~hlen Sie, was damit ist.) ,,Ja, nun nimm~ eine Dame, eine yon den Figuren, das Telephon und spricht." (Was ?) ,,Kann's nieht hSren." (Horchen Sie i) ,,Sie hat den HSrer in der Hand, abet sagt zu mir: ,,Frau B., ieh spreehe nieh~ durchs Telephon."

Eine solche inhaltlich wie auch quali tat iv erlebnism~l]ige Verschmel- zung yon Vorgestelltem und Halluziniertem, die man wohl mit Reeh~ eine gewordene Ident i t~ t nennen kann, ist bei Sehizophrenen nicht zu erwarten und auch in unseren vielen Versnchen nie vorgekommen. DaB ein Unterschied zwisehen den Halluzinationen und den Vorstellungen bei dieser Pat ient in besteht, kann natfirlieh nicht geleugnet werden, denn sie unterscheidet ja wenigstens zu Anfang des Versuehes. Es ist aber kein prinzipielles Moment, wie beim Schizophrenen, was beide t rennt . Viel- mehr liegen diese Ar t Sinnest/~uschungen auf dem Entwicklungswege zu del i ranten Halluzinationen.

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 537

Funktionsanalyse des ,,Materials".

In den bisherigen Darstellungen wurde offensichtlich der Hauptwert auf die tterausarbeitnng des ]unktionellen Besonderheiten der bespro- chenen schizophrenen Ph/~nomene gelegt ; das Erlebnismaterial abet wurde meistens als irgendwie gegeben behandelt oder doch nur als Inhalt einer Abwandlung in mehr oder weniger nahe Sinnverwandtsehaft mit den prim/~ren Vorstellungs- odes Denkinhalten gebracht.

Es sollte damit aber keineswegs des Ansehein erweckt werden, ~ls seien die beschriebenen krankhaften Erscheinungen such ohne Derrick- sichtigung des Materials eindeutig bestimmt. Diese Auffassung mfiBte dann auch zuriickgewiesen werden, wenn sieh nicht an dem Material - - gerade auch an den latenten - - Besonderheiten nachweisen ]iel~en, die funktionsanalytischen Betrachtungen zug~nglich sind.

Wir haben uns vorzustellen, dab der Inhalt eines Erlebens in des Gestalt wieder in den t t intergrund zurficktritt, die er, w/~hrend er die Figur bildete, durch die letzte Pr/igung erhielt. In dieser letztgeschaffe- non Form kann das Material latent bleiben, bis es wieder durch die 3{aterialtendenz in eine neue Fignrbildung einbezogen, eine neue Um- pr/~gung erf/~hrt. Eine solche kann in verschiedenen Modi erfolgen: Es kann im Wiedererleben Nebens/~ehliches abgespalten werden, es kann die alte Figur als Tell in einen neuen Komplex eingehen, sie k~nn mit einem anderen Bedeutnngsgehalt durchtr/~nkt werden, u m n u r einige der wichtigen uns bier interessierenden Vert/tufe zu nennen. Und diese kSnnen sieh im Prinzip in analoger Weise abspielen, ob nun der innere Vorgang yon einem sinnlichen Eindruck oder nur yore latenten Material seinen Ausgang nimmt. Offensichtlieh geschieht die Umpr/~gung aber nicht ohne die antizipierende und kontrollierende Funktion der sekund/~ren Ten- denz. ( - -Echtes Traummaterial wird nicht umgepr/igt 1. _ ) Dabei scheint der Bedentungsgehalt mit seinem flutenden Charakter die Bahn zu sein, auf welcher die antizipatorische Funktion des seknnds Tendenz erst mSglich wird. Fehlt diese, dam1 ist es der Bedentungscharakter einer Figurbildung selber, welches Inhalte in gleicher odes/~hnlicher F/~rbung auf dem Wege fiber die Materialtendenz auftre~en lassen kann. Es kann dana zu Simultanerlebnissen ]~ommen, ein Vorgang, der uns Kontrolle der sekund~ren Funktion unmSglich ist und den wir im Normalen nur in experimentellen Trs naehweisen kSnnen, der aber im Gedanken- jagen Sehizophrener seine besondere Note dadureh erh~lt, da~ die hier nie ganz aufhSrende Funktion der sekund~ren Tendenz ein Simultan- geschehen als fiir sie inad~quat nicht zulassen kann, sondern ihm den Charakter eines ,,Jagens" verleiht, also eines Naeheinanders. Solehe

Es tritt nur in Aggregaten auf und erhi~lt, wenn tiberh~upt, erst durch die im Moment des Erwachens aktiv werdende sekundi~re Tendenz eine Formung dergestalt, da~ es erinnerungsfi~hig (fiir die Dauer) werden kann. Diese sekund~re Umpr~gung wird f~lschlich fiir eine solche w~hrend des Traumes selbst vollzogene angesehen.

538 Konrad Zucker:

Zustgnde pflegen dann die ratlosen Stuporen auszumachen. - - Da man nut recht selten yon Patienten Auskfinfte dergestalt erh/~lt, dab aus ihnen das Silmultane der Erlebnisse direkt hervorgeht, so sei hier das folgende~ Beispiel eines Patienten aus letzter Zeit eingesehaltet:

Dieser etwa 6 Woehen zuvor frisch erkrankte 37j~hrige.Mann hatte einen 8t/~gi- gen ratlosen Stupor mit lgugismus durchgemacht. Nachdem er naeh dem ersten Insulinkoma dana plStzlieh wieder leidlich geordnet war, maehte er fiber seine Erlebnisse folgende Angaben: ,,Es war ein dauerndes, dauerndes Summen in meinem Kopf und ein Ziehen im ganzen KSrper." (?) ,,Ieh spiirte, dab da reich was zieht im KSrper." (Sic sprachen zuvor auch yon S~immen?) ,,Ja, ein Summen und Spreehen, ieh kann reich sehwer ausdriicken." (War dena Summen nad Sprechen dasselbe ?) ,,Manchmal hatte ieh das Geffihl, aueh jetzt noeh, aber nieht immer." (KSnnen Sic den beides, Summen und Spreehen, unterscheiden ?) ,,Das kana ieh eben nieht unterseheiden." . .... Das Summen oder Sprechen der Stimmen war manchmal •rage und Antwort zugleich." (?) ,,Weig nieht, wie ieh reich da aus- driieken sell." (Beides zugleich erlebt ?) ,,Manehmal lag aueh wohl ne Zeit da- zwischen, abet manehmal war es so, dab es so durcheinander gesummt hat, dab der Sinn der Antwort in der l~rage lag." (Waren denn die Stimmen wirklieh ?) ,,Die hOr~e ieh wirklieh, sonst w/~re es ja ein Tr~umen gewesen."

Es schein~ uns in diesem Beispiele, das dem Simultanerleben Ausdruck verleiht, nicht nebens/ichlich, dab der Patient yon sich aus den Vergleich mit Tr/~umen heranzieht und das unterscheidende Kri ter ium in dem ,,wirklichen" HSren der Stimmen erblickt, wodurch das zuletzt fiber die Bedeutung der sekundKren Tendenz Gesagte seine voile Best/~tigung erh/ilt.

])iese kursorischen Vorbemerkungen mSgen genfigen, u ~ uns nun systematischer einigen Besonderheiten schizophrener Erlebnisformen zu- zuwenden, die yon der Umstruktuierung des Materials her verstKndlich werden.

In frischen F/~ilen, die die uns hier besch/iftigenden Ph/~nomene des Gedankenentzugs und Abwandlungen verschiedener Art zeigen, wird man immer eine noch groi]e F/ille korrekten Materials vorfinden, soweit es eben noch n ieh t /nha l t der Abwandlungen war und somit noch nicht krankhaf t umgepr/igt wurde. Die sehizophrenen Patienten stehen diesen Erschei- nungen selber noch als nich~ einzuordnenden neuen Erfahrungen gegen- fiber. Ganz anders jedenfalls als der ebenfalls halluzinierende ]:)elirante, yon dem sic in erster Linie die bei ihnen relativ erhaltene Selbstbcob- achtungsmSglichkeit (sekund/~rer Tendenzfunktion) trennt, und der durch seine Sinnestiiusehungen einzig nur inhaltlich aber nie durch ihre Art des Einsetzens beeindruekt wird. Ein guter Tell der in schizophrenen Fi~llen zu beob~chtenden Ratlosigkei$ oder zumindest Unsicherheit (aber nieht Verr/~tseltsein) dfirfte ein anderer Ausdruck fiir die noch nicht vollzogene Einordnung sein. Je 1/~nger der KrankheitsprozeB nun andauer~, und zwar auch ohne prozeBhafte Progredienz, um so mehr latentes Material wird vorgefunden werden, welches schon einmal in die l~igurbildung hineingeriet und sehizophren umgepr~gt wurde und in eben dieser Um- pr/igung jederzeit erneut in eine Figurbildung eintreten kann. In solchem

Funktlonsanalyse in der Schizophrenie. 539

Fall kann es sich, aueh wenn das durch eine im Augenblick nornaa le Funktion des Tendenzpaares zustandekommt, trotzdem schizophren aus- nehmen. Ob das der Fall ist, hgngt wohl eindentig ab yon der Hs keit, mit der irgend ein Materialkomplex zuvor Inhalt schizophrener Pr~gung wurde. Das hat seine allbekannten Parallelen im Normalen und ist gerade yon hier aus zu verstehen: Dinge, die jahrzehntelang Mufiger und wenig ver~tnderter Inhalt des Erlebens waren, verlieren dadureh zunehmend ihre Umprs (das Alter lernt schwer nm) ; und trotzdem gibt es auch im reiferen Alter noch leicht umpragbare Komplexe: Durch selten vorkommende Geriiche beispielsweise k6nnen 20--30 Jahre lang nicht mehr erlebte Materialkomplexe erstmalig wieder in die Figurbildung eingehen. Sie erweisen sich dann sogar als noch sehr leicht nmpragbar. So erhalten .,,Kindheitserinnernngen", die sp/~ter hs Erlebnis- inhalt werden, meist etwas einf6rmig Starres nnd verlieren bald an ihrer spezifisch kindlichen Pr~tgnng, w~hrend die selteneren nnd nur durch Znfall wieder Figur werdenden Kindheitserlebnisse es gerade sind, die dann ,,mit aller Deutlichkeit", d .h . mit ihrer damals in der Kindheit erhaltenen Pr~gung vor unser geistiges Ange treten. Diese Erfahrung kann als verwandt mit einer hgufig zu machenden klinisehen Beobaehtung gelten, dab wit n&mlieh bet jugendlichen Schizophrenen ziemlieh raseh einen verhaltnism~Big grogen Tell des latenten Materials nmgeprggt vor- linden, w~hrend sieh das Material in F~llen, die erstmalig mit 35 Jahren oder noeh sp/~ter sehizophren erkranken, demgegeniiber als viel resistenter erweist. Ja, wenn die im reifen Alter Erkrankenden sieh iiberhaupt viel symptom~rmer als die Jugendlieheren zeigen, so diirfte wohl die ~_Tberlegung am Platze seth, ob dieser Umstand vielleieht weniger ether Milde des Funktionsdefektes, als vielmehr dem Widerstande zuzusehreiben ist, den deren latentes Material ether st/trkeren und naehhaltigen Um- pr/tgung entgegensetzt. Dutch diese ~berlegung sind iibrigens keines- wegs alle Probleme der Sp~tsehizophrenie aufgeworfen, doch diirfte das weit bessere Erhaltenbleiben der Pers6nliehkeitsstruktur in Sp/~tsehizo- phrenien nieht ganz ohne diese Umst/~nde erkl~trbar seth.

Die Beseh/~ftigung mit den Struktnrverh~ltnissen des Materials lehrt noeh mehr: So z. B. die I terkunft yon Wortneubildungen, die in ihrer kontaminativen Form oftmals der behelfsm~13ige Ausdruck sind fttr das Znsammentreten zweier Figurbildnngen, yon denen die eine als Ab- wandlung an die andere dureh ihren uns inad/~qnat anmutenden Be- deutungsgehalt gesehweiBt wird. Bum/ce 1 maeht hierbei Kraepelin und Hoche folgend, sehr mit I{eeht auf die Xhnliehkeit soleher Erseheinungen mit der Traunaspraehe aufmerksam. Nach dem was oben tiber die ver- schiedenen MSgliehkeiten der Sinnverwandtsehaft der Abwandlungen gesagt wnrde, k6nnen wir oft den Neologismen ihre I-Ierknnft ansehen:

1 B um l ce : Lehrbuch der Geisteskrankheiten, S. 876. 1924.

Arehiv fiir Psyehiatrie. Bd. 110, 36

540 Konrad Zucker:

So wenn jemandem , ,Wandelideen gemacht 1,, werden, wenn die Fflegerin ein ,,Instrumentengesicht" 1 i st, oder wenn ein Patient, der sich elektrisch beeinfluBt fffhlt, yon , ,Gehirnk i lowat t s tunden" spricht. B u m k e 1 betont auch, dab solche Ausdriicke oftmals nur flfichtige Einmaligkeiten dar- stellen. Das ist zu verstehen, wenn man bedenkt, dal] in solchen F/~llen durch das nicht antizipierte Bedeutungsfluten fibor zwei oder mehrere Inhalte hinweg eine Figurbildung zustande kam, deren gleichartige Wiederholung sehr unwahrscheinlich ist. Wenn zur Zeit immer noch floride schizophrene Erscheinungen, d. h. DenkstSrungen bestehen, werden solcher Art Komplexe sich schon deshalb nieht lange Zeit in der gleichen Gestalt erhalten, weft sie bei jedem Erleben yon neuem und zwar wieder abwegig umgeprs werden. Man erh~It daher solche Produkte, die vom Patienten gelegentlich auch ,als das Natiirlichste auf der Welt ''2 be- zeichnet werden, selten in der gleichen Form nochmals wieder vorge- bracht. Auch das normale Kind produziert oft Wortneubildungen, die auf neugegriindete l~aterialkomplexe hindeuten, die - - vom Stand- punkt des Erwachsenen aus - - auf unrichtige Weise zustande kamen. So wenn ein Kind yon 3 Jahren von einem , ,We ihnach t sbums" spricht, offenbar veranlal]t durch die Tatsache, daI] w/~hrend der Weihnachts- feier im oberen Stockwerk ein Schrank mit lautem Krach umfiel, und es nun diesen Umstand als irgendwie mit zur Feier gehSrig in der Er- innerung erlebt.

Etwas anders liegen die Dinge, wenn durch Wortnenbildungen nicht allein der Inhalt der pathologischen Figurbildung, sondern ihr Zustande- kommen gekennzeichnet werden soll. Und das ist offenbar enthalten in der Bemerkung eines Patienten, dab er ,,durch Kopfverschlagung" (Gedankenentzug) getStet werden soll oder aueh bei den ,,impr/~gnierten" oder ,,einpr/~parierten sixtinischen Verh/~ltnissen ''1.

1Nur einen Schritt welter und wir stol~en auf XuBerungen yon - - kli- nisch gesprochen - - wahnhaftem Charakter: So wenn jemand sich fiir vertauscht oder fiir einen, dem nicht mehr sein Name zukommt, oder fiir l~ngst gestorben, oder andererseits fiir einen ganz bestimmten anderen Menschen h/~lt. Solche XuBerungen sind der direkte Ausdruck ffir Ent- fremdungs- und Bedeutungserlebnisse und geben sich auch in der zwie- fachen Logik, mit der sie vorgetragen, verteidigt und widersprochen wer- den, als solche kund.

Vieles was uns als ,,Erkl/~rnngswahn" in den Xul]erungen der Kranken anmutet, wird oftmals nichts Hinzugedachtes oder Gefolgertes, sondern als inad/~quate Bedeutungsf/~rbung selber Bestandteil einer friiher ge- pr/~gten Figurbildung sein (vgl. Beispiel 90). Ebenfalls nur yon fehlerhaft umgepr/~gte n Materialkomplexen h e r ist der Residualwahn abzuleiten,

1 zit. n~ch Bumke: 1. e. 2 Mayer-Gross: In Bumkes Handbuoh der Geisteskrankheiten, Bd. 9.

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 541

soweit es ira iibrigen gut Rerait t ierte betrifft. Weniger oft handel t es sich dabei urn ein einmaliges, mit besonderer Eindringliehkeit gehabtes Bedeutungserlebnis, sondern raeistens en t s t ammt solch ein Residualwahn einera ws der Krankhe i t vorhanden gewesenem allgeraeinen Be- deutungsgefiihl, auf Grund dessen zahlreiche Abwandlungen e.ine sich ~hnelnde Urapr~gung erfahren konnten wie z. B. in dera Fall ]4 raft aus- gesproehenen Berufungser]ebnissen. Hier stS•t die wieder gesundete Ten- denz auf vial gleichsinniges und deshalb wohl aueh naehhalt iger wirkend, uragepr~gtes Material, dessen noehraalige Uras t ruktur ierung ira nor- raalen Sinne schwieriger zu vollziehen ist und lgngere Zeit in Ansprueh nimrat .

Es kann sieh aber ein Residualwahn aueh yon nur einem oder wenigen Bedeutungserlebnissen herleiten in F~llen, die nur einen milden und kurzfristigen S c h u b ' d u r e h m a c h t e n nnd die sparer hinsichtlieh ihrer Funkt ionen als vSllig gesund anzusehen sind. Wer sich die Milhe raaeht, die meist im Selbstverlag erschienenen Drucksehrif ten solcher Sonder- linge daraufhin durchzustudieren, wird das best~tigt finden. Ieh kenne eine gar nieht kleine, ~nser Faehgebiet betreffende Broseh~ire, die man auch in unseren Bibliotheken nicht selten finder, in weleher der ganze sonderbar anmutende Inha] t auf ein einziges, offenbar schizophrenes Bedeutungserlebnis zuriickzufiihren ist, dera zu ]iebe die ganzen weiteren Darlegungen raft ihren nun ganz leidlieh konsequent durehgeffihrten Argumenten ausgeb~nt wurden.

Aueh ohne Bedeutungserlebnisse, sondern nur ausgehend yon einera ws der Psyehose dauernd vorhandenen Entfreradungsgeffihl, kann ein gro~er Teil des latenden Erlebnisraaterials eine Urapr/~gung erfahren, die sieh noeh l~ngere Zeit nach erzielter vSlliger Remission geltend maehen kann. Das kann am besten am folgenden Beispiel der Pat. 2 deraonstriert werden, die zwei Monate nach den oben yon ihr be- sehriebenen Versuchen praktiseh geheilt war. Die jetzt mit ihr vor- genomraenen Vorstellungsversuche boten keinerlei Besonderheiten raehr. Aber sie klagte ]ebhaft darfiber, dal~ doeh noeh nicht alles mit ihr in Ordnung sei.

Beispiel 134: ,,Ich fiihle mich jetzt irgendwie, wie ich's gar nicht sagen kann." (?) ,,Es ist besser als frfiher, ge(viS, aber doch noch manchmal nicht richtig." (Fremd- heitsgeffih] ?) ,,Nein, auch das ist besser, aber ich weil~ nioht, komisch ist es auch jetzt manchmal noch, aber doch anders wie frfiher. Wenn ioh z. B. im Tagesraum sitze, aoh, dann sieht alles noch so komisch aus wie frfihe~, aber ich ffihle reich doch nicht mehr so komisch wie frfiher; ich kanns einfach nicht sagen. Ich bin sicher, wenn ich jetzt yon P. R." (andere Station, in der Pat. eine Zeitlang vor 3 Monaten war) ,,aus dem Fenst%r schauen wfirde, dann wiirde alles genau so falsch aussehen wie friiher. Im Garten gibt es keine Ecke, die, wenn ich hinschaue, nicht auch irgendwie komisch wirkt." (Alles andere auch ?) ,,lqein, deshalb mSchte ich ja gerne fort yon bier. Als ich vorgestern 2 Tage mit meiner Freundin an der See war und einen Tag zu Hause, da war alles gut, nichts sah verkehrt aus." (Die ganze Zeit fiber ?) ,,Nur meine Mutter und meine Schwester, wenn ich manchmal auf sie

36*

542 Konrad Zueker:

schaute, dann hatte ieh wieder den komisehen Eindruck. Gewil] anders wie fffiher, aber doeh nicht ganz normal." (Und ihr Vater ?) ,,Den sah ich immer ganz nor- mal." (Wer hat Sie w~hrend Ihrer Krankheit besucht?) ,,Meine Mutter und racine Schwestern." (Vater und Brilder nicht ?) ,,Nein, die waren nie bier." (Und die Menschen hier .9) ,,Alle sehen noch etwas fremd aus." (Und der Arzt, der vor 2 Wochen neu hierherkam .9) ,,• bei ihm merkte ieh nichts." (Und ich?) ,,Aueh noch etwas fremd. Als ich gestern ira Auto fuhr, der Eindrnek, den man beim Vorbeifahren an ~I/iusern hat, alles sah noch so komisch aus." (Wie kamen sic seinerzeit hier an ?) ,,Aueh im Auto, das war mein schlimmster Tag. Genau den Eindruek hatte ich auch gestern wieder, es war abet doch anders." (Und Sie selbst ?) ,,Ja, meine HSnde, die schauen noch falseh aus." (Und die Menschen und Binge an der See gestern und vorgestern .9) ,,Das eben war alles riehtig."

Diese U n t e r h a l t u n g mi t den vom Unte rsucher gestel l ten F ragen sollte zeigen, dab es mSglich ist, sozusagen die An twor t en der Pa t i en t i n voraus zu wissen. Alles was w~hrend ihrer K r a n k h e i t e r leb t wurde, alles w/~hrend der Krankhe i t sphase schizophren umgepr/~gte Mater ia l t r~gt noch deut l iche Zfige dieser Umprs Sobald die an sich wieder normal ger ich te ten Tendenzen auf solches Mater ia l stoBen, k o m m t es y o n i b m a u s noch oder wieder zu einem Erleben, das in gewisser Hins ich t an das Er leben w~hrend der aku t en Psychose er innert , im ganzen aber doch anders empfunden wird, weft eben auf Grund der normalen Tendenz- funk t ion das eigentl iche F remdhe i t s e r l eben feh]t. Alles andere Mater ia l , was ws der E r k r a n k u n g offenbar n icht umgefo rmt wurde (Vater, Brfider ) oder was j e t z t e rs tmal ig in F o r m e n gebrach t wird (der neue Arzt) , 16st im Er leben nun keinerlei Besonderhei ten m e h r aus.

Beisl0iel 135: Eine andere Pat. (30) befand sich, allerdings naeh mehreren Sehilben, deren letzter, ein starker halluzinatorischer Erregungszustand, knapp 14 Tage zurilcklag, in einer sehr guten Remission. In einer a]lgemeine Dinge be- rilhrenden Unterhaltung fiel an ihr fast niehts mehr aui. Als sic dann aber ver- anlal]t wurde, fiber ihre krankhaften Erlebnisse zu berichten, /iuBerte sic, zu- nehmend verrittselter werdend: . . . . . Ein Herr im Krimmer wachte im Winter neben mir auf. Ieh bitte vielleieht doch noch nachzuforschen nach dem Fr/~ulein mit den drei l~elken. Die (gemeint s ind Pflegerinnen) milssen doeh wissen, um wen es sieh handelt. Vielleicht kann man da die tIeil- und Pilegeanst~lt anffagen." Gleiehzeitig schrieb sic, offenbar zur n~heren Information, auf: ,,Gerhard Schatz, Schiller. Freimaurerinstitut Dresden. Schlesien." Gleich darauf, auf andere Dinge gebraeht, wurde sie rasch wieder nach Form und Inhalt korrekt.

Man sieht es diesem P r o d u k t e geradezu an, dab es sich u m ein schizo- phren geformtes Er l ebn i sma te r i a l aus der noch ganz kurze Zei t zurfick- l iegenden Psychose hande l t , das zum ers ten Male nach seiner l~ormung j e t z t wieder anger i ihr t und nun he rvorgebraeh t wurde, mi t al l den ihm n o c h anha f t enden wunder l ichen Bedeutungen, und nur miihsel ig durch die gesundenden Tendenzen in eine gerade sehon wieder ve rs tehbare F o r m gebracht .

Al lgemein b e k a n n t is t die e igenar t ige S te l lungsnahme geheil ter Schizophrener zu ihren gehab ten k r a n k h a f t e n Erlebnissen. Mit ariel ger ingerem A b s t a n d s tehen sic diesen gegeniiber, als e twa der genesende

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 543

Delirante. Das ist yon zwei Seiten aus zu begreifen: Dieser verlor in der Psyehose die antizipierende und kontrollierende Funktion der sekun- ds Tendenz und bliekt auf seine Erlebnisse ghnlieh wie auf ,,Tr~ume", ein Ausdruek, der in der Tat auch reeht oft yon delirant Gewesenen gebraucht wird. Der Schizophrene dagegen erlebt die Inhalte seiner Psych0se mit zwar ver~nderter abet doch hie aufgehobener Selbst- beobachtungsmSglichkeit. Sie haben sieh also ,,vor seinen Augen" und seiner waehen Kontrolle abgespielt, haben also ganz anderen Realit/~ts- wert gehabt. Ferner aber sind die unter diesen Bedingungen zustande- gekommenen Abwandlungen in das latente Erlebnismaterial eingegangen und behalten dort je nachdem l~ngere Zeit ihre Form. Und so stellen sie, unter normal geformtes Material gemischt, ffir den Wiedergesundeten zwar Fremdartiges aber nieht einfach zu ~dbersehendes oder zu Vernaeh- l~ssigendes dar, das erst allmghlich dutch Umstruktuierung, d. h. dadurch, dab es nochmals den normalen Funktionen in die Mfihle geriet, angegliehen werden kann. Warura das in einzelnen Fgllen besser als in anderen gesehieht, kSnnen wir nieht sagen. Das eben Gesagte gilt allerdings vorwiegend yon nicht inkoh~rent gewesenen Schizophrenen. Fiir die Zeit der Inkoh~renz haben die meisten Kranken, die raseh wieder gesunden, eine tiefergehende Krankheitseinsicht. Uns wird das nun mehr verstgndlich, und zwar dadureh, dab in diesem Zustande die sekunds Tendenz in ihrer antizipierenden, bests und einordnenden Eigensehaft insuffizient wurde, so da6 sieh die entspreehenden Erleb- nisse aus dieser Zeit in der Erinnerung unzgsuriert, unwirklieh und uneingegliedert ausnehmen.

Naeh diesen Auseinandersetzungen fiber die Umformung des Materials ist auch die Erklgrung ffir die Halluzinationen an die Hand gegeben, die sich bei fortgesehrittenen F~tllen linden mit sehon merkliehem Defekt der Selbstbeobachtung und somit fehlendem Fremdheitsgefiihl und feh- lendem Gedankenentzug. Hier werden die Sinnest~usehungen zunehmend mehr yore Material bestimmt. Das liegt nmgeprs und yon frfiher her mit dem Bedeutungseharakter gehSrter Stimmen, gehabter Beein- flussungen usw. behaftet latent bereit, nm bei Gelegenheit in dieser Form Erlebnisinhalt zu werden. Zu frisehen halluzinatorischen Erlebnissen im strengen Sinne kann es dabei immer weniger kommen, weil dazu, wie gezeigt wurde, der Charakter des Gemaehten gehSrt, der ohne enttguschte Antizipstion der Selbstbeobachtungstendenz nieht denk- bar ist.

Mit fliel~endenUberg~tngen gelangen wit dann zu den schon erws Inkoh~renten, bei welehen es dem Beobachter nieht mehr raSglieh ist, zu unterscheiden zwisehen Halluzination und Vorbeireden: Bei sehon weitgehend sehizophren umgeformtem Material und bei defekter Anti- zipation- und Kontrollfunktion reden und antworten sie mit dem, ,,was in das Bliekfeld meiner Gedanken kam" (Patient 28). Es ist dann der

544 Konrad gucker: "

Unterschied zwischen ttalluzination und Vorbeireden in Wirklichkeit auch kein betr/ichtlicher mehr, indem er nicht mehr in einer Versehieden- artigkeit der Funktion besteht, sondern lediglich noch dem gefSrderten Material, welches in die Figurbildung eingeht, anhaftet und bier kann er sich bei folgendem Wiedererleben noch weiter abschleifen.

Wir t/tten aber gut, die beiden Extreme yon Halluzinationen, d. h. bei noch und bei nieht mehr vorhandenem Fremdheitsgefiihl auseinander- zuhalten, und zwar allein schon im Hinblick auf die sehr verschiedenen therapeutischen Aussiehten. Diese scheinen in den uns bier interessierenden Fi~llen mit nachlassendem Fremdheitsgefiihl geringer zu werden.

Es w/ire nun noch zu versuchen, etwas fiber den Inhalt der Sinnes- t/s Schizophrener klar zu stellen, soweit das funktions- analytisch m6glich ist. Bekanntlich fehlen in der Schizophrenie, beson- ders in noch ]eidlich geordneten F/tllen, szenenhafte Halluzinationen, MMe sie fiir die deliranten Zust/inde charakteristisch sind, so gut MMe ganz. Fast immer MMrd zur gleichen Zeit nur in einem Sinnesgebiet halluziniert, soweit fiberhaupt klar zMMschen akustischen, optischen, taktilen usw. Sinnest/~uschungen spontan untersehieden wird. Wo das nicht der Fall ist, wo also seheinbar auf mehreren Sinnesgebieten zugleich halluziniert wird, merkt man es den Aussagen an, daft es sich hier nut um ein kurz- fristiges Uberschneiden handelt. So wenn Patient 12 erz/thlt: ,,Zuweilen nehmen sich die Luftfiguren auch der' Stimmen an." In den seltenen F/~llen, in denen eine ganze Episode halluziniert wird: ,,Die ganze Sehlacht bei Waterloo" - - ,,Ich sah den Untergang der Titanic mit allen Einzel- heiten", 1/iftt sich meist~ unschwer ausmachen, dab es sich dabei um Simultanerlebnisse handelte, meist in Zust/~nden kurz vor dem Ein- schlafen oder unter Schlafmittelwirkungen erlebt, so dab sie damit inhaltlich (!) in die N/the experimentel!er Tr/iume gerfickt werden.

Wieder etwas anderes ist es, wenn mehr der Sinn halluziniert wird und der Patient nachher zum Erz/ihlen veranlagt, Einzelheiten angibt, die allerdings MMe eine Episode wirken, die sich auf verschiedenen Sinnes- gebieten abgespielt haben muft. tIierher gehSren z .B. HSllen- oder Himmelserlebnisse. Das sind dann abet wohl immer Inhalte, die beziiglich ihrer Einzelheiten real hie erlebt wurden, sondern aus Erz/ihlungen oder schriftlichen Schilderungen stammend, wohl als unscharf gegebene Gesamtkomplexe in die Figur eingehen kSnnen. Tieferes Exp]orieren deekt diesen so besehaffenen Sachverhalt meist a]lemal auf. Diese Art, soMMe die Simultanerlebnisse zeichnen sich gewShnlich auch durch ihren hohen Bedeutungsgehalt vor anderen aus, so dab man nach den voran- gegangenen Funktionsanalysen mit Recht annehmen kann, daft das primum movens hier die flutende Bedeutung war, die in Form einer Abwandlung die ihr zugehSrigen sachlichen Inhalte mit in die Figur- bildung hineinbrachte.

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 545

Es wurde oben die Frage nach dem reinen StimmenhSren offen gelassen und dessen ph/~nomenologische Selbst/tndigkeit gegeniiber Fremd- gedanken und Gedankenlautwerden zugegeben. Funktionsanalytisch jedoch kann ibm nur hinsichtlich des Materials und der Gelegenheit ihres Auftretens eine Sonderstellung einger/iumt werden. Die F/tlle, die nur deutliche Stimmen hSren, beweisen hier nichts gegentiber den vielen anderen, die sowohl Fremdgedanken als auch reines StimmenhSren haben. Von letzteren unterscheiden zwar etliche genau zwischen beiden. Bei geeigneter Exploration jedoch lauten die Antworten fast sitmttich gleichsinnig wie die in dem Beispiel 99 der Pat. 12 oder im Beispiel des Pat. 15. Dieser gibt uns auch einen wichtigen I-Iinweis dafiir, was die Selbst/~ndigkeit des reinen StimmenhSrens ausmacht: Bei ihm ist nur das in eine echte Stimme gekleidet, was andere zuvor wirklich gesagt hatten. Sehen wit uns sonst nach Inhalten reiner Stimmen urn, so stof3en wir allemal auf ganz kurze Worte oder hSchstens 1--2 S/s und diese enthalten Beschimpfungen, spSttische Bemerkungen, Ver- hShnungen, kurze Befehle, ein kurzes Lob, einen Hinweis oder einen ekstatischen Ausruf; das sind also alles Inhalte, die auch der Normale bei innerer Vergegenst/indlichung meist in Worten denkt. Erinnern wir uns daran, dal3 in den F/tllen yon noch gut erhaltener Selbstbeobach- tung die Abwandlungen zeitlich immer sehr kurz bemessen sind und nur sein kSnnen, dann 1/tl3t sich verstehen, dug sich das reine StimmenhSren auf Inhalte dieser Art beschr/~nken muB. Ja, es kann fiberhaupt als eine allgemein giiltige Regel gelten, dal3 Abwandlungen als Denkinhalte, die der antizipierenden Tendenz nicht unterliegen, nach Form und Inhalt desto mehr realen Wahrnehmungen iihneIn, je kfirzer sie nach den obwa]tenden Bedingungen gehalten sein k6nnen. Das gilt in gleichem Mai~e yon den schizophrenen Sinnestguschungen als auch yon denen der Alkoholhalluzinose, ferner den gelegentlichen Sinnest/tuschungen anderer Paranoiker und yon den sehr konsequenten und gar nicht unlogischen Tr/~umen, die auf Grund eines exogenen l~eizes als Simultanerlebnisse getritumt werden. Es ist das auch gar nicht anders mSglich, wenn wir bedenken, dal3 fiir den folgerichtigen Ablauf jedes inneren Erlebens die antizipierende Tendenz die Steuerung darste]lt, bei deren Defekt diese Abl/~ufe sich sofort in die n/~here oder weitere Sinnsph/ire verlieren, d. h. absurd werdem Sollen d e m n a c h - immer noch in F/tllen mit erhaltener Se lbs tbeobach tung- Komplexe halluziniert werden, deren ins Spraeh- lithe fibersetzte Abrollung 1/tngere Zeit beanspruchen wfirde, und die trotzdem folgerichtig erscheinen, so k6nnen sie nur in Form des gemeinten Sinnes halluziniert werden.

Eine nur scheinbare Ausnahme hiervon machen ettiche Kranke, die yon ihren Stimmen ,,ganze Geschichten erz/ihlt" bekommen oder die sich fiber das ,,ewige, alberne Geplapper" beklagen. Unter diesen Patienten sind dann auch manchmal solche, deren Stimmen fast dauernd

546 Konrad Zueker:

sprechen nnd nur wghrend einer realen Unterhaltung ,,nur leiser werden" oder ,,sich in den Hintergrund zuriickziehen". Sofern es sich dabei um ~ltere Kranke mit schon sti~rkeren Selbstbeobachtungsdefekten handelt, wurde darfiber schon das NStige gesagt. H i e r sind aber die gemeint, die diese Erscheinung bei noeh gut erhal~ener Selbstbeobaehtung aufweisen. Und diese zeiehnen sich, wie zahtreiehe klinisehe Erfabrungen lehren, dadurch aus, dab sie entweder sehon seit li~ngerer Zeit, d. h. fiber 1/2 bis 1 Jahr stationgr sind, oder es sind Personen mit ganz sehleiehender Ent- wieklung der Stimmen aus Fremdgedanken heraus und die aul~erdem zuvor schon l~ngere Jahre vielleieht auch ohne floride Erseheinungen autistisch vereinsamten. Beispiele ffir die ersteren stellen Pat. r und 18, fiir die letzteren Pat. 5 und 15 dar. In beiden F~llen ist das dauernde oder, sagen wir doeh besser, das fast dauernde StimmenhSren durch Umprggungen des Materials bedingt, die die Vereinsamung mit sich bringt. Denn aueh die Fi~lle der ersteren dieser beiden Gruppen kSnnen bei jahrelangen station/~rem Zustand ihrer Schizophrenie aus- nahmslos zu den Vereinsamanden gezithlt werden.

Es ist eine ganze allgemein bakannte Erseheinung, dab einsame Sonderlinge oder vereinsamte Gesunde, sofern sie nieht dauernd geistig intensiv beschs sind, zunehmend weniger yon der F~thigkeit zu abstraktem oder spraehlich nicht formuliertem Denken Gebraueh maehen, sondern mehr und mehr in Worten denken, ja manchmal sogar hSrbar vor sich hinreden. Wenn sich das auch nieht auf alIe ihre Denkabl/iufe bezieht, so ist doch einzusehen, dal~ dadureh ihr latentes Material je l~nger, desto mehr, eine spraehlich geformte Umpriigung erleidet. Diese Umpr~gung kann und wird aueh beim Sehon-Schizophrenen zum min- dasten zum Tell yon seinen normalen Figurbildungen, also nicht nur yon den Abwandlungen ausgehen. So liegt hier also das Material auch ffir die eintretenden Abwandlungen ganz fiberwiegend in spraehlicher For- mung bareit, und zwar weir mehr als bei Nichtvereinsamten. Es kommt nun noch bei diesen Krankan hinzu, dal~ bei ihrer mangelnden Zuwendung zur Umwelt mit deren beanspruehenden Reizen, das Eintreten yon Abwandlungen viel leiehter und hgufiger gesehieht (vgl. das oben fiber die Bedingungen der Halluzinationen Gesagte). Auch diese Patienten geben fibrigens immer zu, dal~ bei Gelegenheit angespannter geistiger Tgtigkeit und konzentrierter Untarhaltung die Stimmen sehon real sehweigen.

Sieht man sieh nun abet die Inhalte dieser ,,dauernden Stimmen" an, so ist as mit dem ,,Gesehiehten erzs nieht weir her. Sind sie wirklich deutlieh gehSrt, so sind as dieselben Inhalte, wie sie oben sehon gekenn- zeichnet wurden, d. h. allemaI kurze S~tze und nur ihre Hgufigkeit und ihr Zusammenhang mit der spontanen T~tigkeit des Patienten zeichnet sic aus. Ist ihre Dauer aber lgnger, so werden sie undeutliehar und sinken bis zum Gemurmel herab, deren Sinn der Patient darm gar nicht mehr

Funktion~analyse in der Schizophrenie. 547

versteht und gewinnen hier oftmals rnit flieBenden 13bergingen den Charakter funktioneller Halluzinationen. Hierfiir nur ein Beispiel yon Pat. 5, einem der hier gemeinten F~lle:

Beispiel 136: Er gab an, dab je entsprechend den Tagesger/~uschen seine dauern- den Stimmen lauter oder leiser spr/~ehen. Aufgefordert, Beispiele zu geben, mui]te er erst einige Zeit in sieh hinein horchen, denn w/ihrend der Unterhaltung mit Re{. waren sie dennoch gesehwunden. Darauf berichtete er die Inhalte: ,,Grammophon-Kompanie". (Eine elektrisehe Bahn fuhr in dem Moment fiber eine Weiehe, was dem l~hythmus dieses Doppelwortes entspraeh.) Naeh 4 Sek.: ,,Er ist ein Figurenmacher, ganz yon selbst." (I)rauBen auf dem flieBengedeckten Gang gingen zwei Personen im zun/~chst interferrierenden, dann gleichen Rhythmus ge- winnenden Schritt vorbei.) INach 3--5 Sek. deutlieh skandierend: ,,DEs - - i~t'n - - G6n-d~rm. - - Dis i~t'n - - ~ndrer-S61dat" (gleichzeitig bewegten sich Sehritte einer eilmelnen Person anf dem Gange an der T/Jr vorbei).

Irn letzten Beispiel, das der Patient gab, verriet der Inhalt iibrigens noch nahe Sinnverwandtschaft mit dem realen Geriusch, welches rnit der Stirnrne zusarnrnen ging. Fiir den nahen Bezug auf reale Vorginge, den: das Stirnrnenh6ren bei diesen Patienten aufweist, bieten die beiden Unter Nr. 97 rnitgeteilten Beispiele der Pat. r weitere Best/~ti- gungen. Des besonderen Charakters ihrer funktionellen Halluzinationen waren sich alle diese Patienten gar nicht jedesrnal bewuBt. So der Pat. 5 nur ftir das letzte der oben angeftihrten Beispiele. Gew6hnlich geht das ja auch bunt durcheinander rnit sogenannten echten Hallu- zinationen (vgl. wieder Beispiel 97).

Urn die angedeutete und bereits dureh Beispiele belegte Verwandt- schaft der Dauerstirnrnen Vereinsarnter und der funktionellen gallu- zinationen noch besser zu verstehen, rnuB eine weitere Funktions- betrachtung zwischengeschaltet werden: Wie die Vergegenstandlichung leicCit lehrt, ist es zwar rnSglich, zu gleicher Zeit zwei verschiedenen Vor- gingen seine Aufrnerksamkeit zu schenken. Das geht aber rnit ganz seltenen Ausnahrnen nur so, dab diese dem einen Vorgang stirker, dern anderen schw/s zugewandt ist, wobei sie nat/irlich zwischen den beiden wechseln kann. Diese Form der einen Ablauf verfolgenden Aufrnerksarn- keit ist hier identisch rnit der Funktion der sekund/s T e n d e n z . - Bei den Vorstellungsversuchen wurde gezeigt, daft bei erhaltener Selbst- beobachtung die eintretenden Abwandlungen dann ohne deutliches Fremdheitserleben einhergehen k6nnen, wenn diese die engere Sph/~re des Sinngehaltes rnit dern prirnir Intendierten innehalten. Die Abwand- lungen behatten dann nut den Charakter des Gernachten. Dies trifft nun aber in ganz ausgesprochenern Mafte bei den Dauerstirnrnen und den funktionellen Halluzinationen zu. So kann also die ,,Unterhaltung" mit den Stimmen oder ein begleitendes ,,Geplapper" ohne ein den flie$en- den Gang der anderen inneren Vorginge beeintrichtigendes Fremdheits- erleben a b l a u f e n . - Wendet sich die sekund/~re Tendenz den Abwand- lungen zu, so sind diese als Stirnrnen kurz, aber deutlich, wendet sie sich

548 Konrad Zucker:

dagegen dem eigenen intendierten Gedanken zu oder spricht der Patient selbst, so werden die Stimmen zwar von 1/~ngerer Dauer aber undeut~ licher, ja es kann sogar ein Gemurmel yon mehreren Stimmen werden. (Wie das Gesagte ganz entsprechend auch fiir optische Vorstellungen und deren Abwandlungen zutrifft, dafiir vergleiche das sehr gute Beispiel 19 der Pat. 12, die ebenfalls seit 2 Jahren station/ir und zuvor ,,immer still und allein f/Jr sieh" war.)

Der Untersehied zwischen Dauerstimmen und funktionellen Hallu- zinationen ist demnach lediglich darin zu suchen, dab im ersten Falle bei der Unterhaltung mit den Stimmen die hier gleichzeitig ablaufenden Vorg~nge beides innere Vorg/~nge sind, w/~hrend bei funktionellen Hallu- zinationen der eine ein /~ul]erer, eine Wahrnehmung ist. Das Haupt- merkmal ihrer Verwandtsehaft aber l i e g t - um das zu w i e d e r h o l e n - ffir diese Patienten, die meistens beide Erscheinungen zusammen auf- weisen, in der weitgehenden Umpr/~gung des latenten Materials in sprachliche Formen 1. Und hierfiir ist wieder die Vereinsamung verant- wortlich zu machen.

Werfen wir nun noch einen Blick auf die Materialstruktur der optischen Sinnests Scllizophrener. Es mul] sch6n auffallen, daI] reine optische Halluzinationen viel seltener sind als re ines StimmenhSren: Noch viel 5fter als hier finden wir immer wieder zSgernde und unbestimmte Angaben auf die Fragen, ob es nur gesehen war; hSren vielmehr auf- fallend h/s Erkl/~rungen wie: dab die Bilder oder ,,Figuren immer mit einer Art T o n " verbunden seien (Pat. 10), dab yon Stimmen und Figuren erstere ,,immer klarer" seien (Beispiel 98), oder dab von einem

- h l " ,,Sehen-Ffi en (Beispiel 99) gesprochen wird, oder der Patient beim ,,Sehen" der Person ,,nur zu einem Meinungsausdruck" gelangt (Bei- spiel 100). Dort aber, wo die optisehen Gebilde klar und nur als so[che erlebt werden, handelt es sich bei Patienten mit erhaltener Selbstbeob- aehtung iiberwiegend usa kleinere Gebilde oder um Teile: ,,gelbe Ringe und Fliegen" (Pat. 8), ,,Strahle n aus der Wand" (Patient7), ,,eine Sehlange und eine Eidechse" (Pat. 11), ,,sehwarze und gelbe Lichter, manchmal auch zwei Augen in der Luf t" (Pat. 12), ,,eine Hand" (Pat. 4). Werden aber gr61]ere Objekte halluziniert, wie Menschen, so bekommt man gewShnlich bei n/~herem Zufragen die Angaben, daI~ es nur ,,vage Schatten" (Pat. 12) sind oder ,,huschende Geister, die ja kein Gesicht haben" (Pat. 16). Oft gibt ein an der halluzinierten Person deutlich gesehener Teil oder Gegenstand zu der bestimmten Angabe Veranlassung, es genau gesehen zu haben. So gab Pat. 9 an,

1 Es braueht lmum eigens darauf hingewiesen zu werden, dab auch der Gesunde manehe mgrkante Ger/~usche innersprachlich betebt (Eisenbahn, Motorboot, Schubkarre usw.). Vorstellungsinhalte /~hnlicher Art oder nut wenig davon ent- fern~e werden in dem Doppelvorgang beam Schizophrenen zu Inhalten der funk- tionellen Halluzinationen.

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 549

ein ,,Fraulein B. mit einem Kreuz in der Hand" halluziniert zu haben. N/~heres Fragen ergab, dal~ er nur das Kreuz riehtig sah, im fibrigen babe er ,,gewuBt", dab das Fraulein B. war. Wenn nun im fibrigen auch das rein optisehe klare Halluzinieren grSBerer Dinge, wie H/~user, Zimmer und Mensehen nieht bestritten werden kann, so sollte doch immer erst nochmals geprfift werden: 1. unter welchen Umst/s hal]uziniert wurde, d .h . ob zu Zeiten des D5sens, Einschlafens oder Erwaehsens und 2. wieviel daran dennoeh auf den Sinngehalt hinausl/~uft.

Ob das bei eidetiseh veranlagt gewesenen Sehizophrenen anders ist, kann ieh mangels Material nieht sagen. Unter den bier untersuehten 30 Halluzinanten befand sieh nur ein eidetiseher Maler (Pat. 22), dessen optisehe Halluzinationen sieh jedoeh in nichts von den oben erw/~hnten untersehieden, w/s seine Veranlagung in den Vorstellungs- versuehen noeh deutlicher zutage trat, obwohl er sieh dariiber beklagte, dab sie r/ieht mehr so lebhaft sei wie frfiher.

Ubertr/s man aber das fiber StimmenhSren Gesagte auf das optisehe Leistungsgebiet, so kl/~ren sieh die angedeuteten Verhaltnisse. Wir sahen da: Je kiirzer die Abwandlung zeitlich bemessen war, um so sinnenn/s der Eindruek, aber um so/~rmer der Inhalt an gegenst/~nd- liehem Material. Dieses reziproke Verh/~ltnis yon sinnlieher N&he zu Inhaltsreiehtum in Abh/s yon der Dauer der Abwandlung treffen wit auf optisehem Gebiet wieder in Gestalt der Gr6Be des Gesichts- winkels, der dem Halluzinat entspricht zur sinnlichen Ausgestaltung mit Einzelheiten. V o n d e r normalen Wahrnehmung, besonders wenn sie weniger oft gesehenen Dingen gilt, wissen wir: Je grSBer der Gesiehts- winkel ist, den das Objekt fordert, um so weniger simultan, sondern um so mehr sukzessiv geschieht die Wahrnehmung. Umgekehrt: Je kfirzer die Dauer, die dem Wahrnehmungsakte gestattet wird, um so unsehs das Wahrgenommene mit wachsendem Gesiehtswinkel. Es ist nun eine weitere Erfahrung, die jeder an sieh maehen kann (Eidetiker vielleieht ausgenommen), dab aueh die optisehe Vorstellungst~itigkeit diesen Gesetzen folgt: Deutlich und sofort kSnnen wir uns in der Ns nur kleinere Objekte oder Teile vorstellen. GrSBere Objekte jedoeh gestalten wir sukzessiv aus oder projizieren sie in die Ferne. (Es sei denn, wir hatten sie direkt zuvor als Wahrnehmung vor Augen.) Oder aber wir sehen sie nur rage, als Umrisse, als ,,Figuren", entsprechend dem marginalen Eindruek des Gesichtsfeldes, vor unserem geistigen Auge. Wieviel aber bei einer sukzessiven Ausgestaltung das t taben eines bestimmten Be- deutungsgehaltes mit zur Vervollkommnung beitragen kann, das mag ebenfalls die Eigenbeobaehtung lehren,

Wir verstehen nun, dab im ]atenten Material an optiseh Geformtem fiir eine simultane oder Sofortleistung die kleineren oder die in die Ferne projizierten Objekte erheblieh fiberwiegen. Sie sind es dann aber aueh, die bei kurzdauernden Abwandlungen yon der abirrenden Material-

550 Konrad Zucker:

tendenz am ehesten aufgegriffen werden. Oder aber es kann eben nur vage oder nieht mehr rein optisch, sondern mit Bedeutungsgehalt hallu- ziniert werden. Zu einer deutlicheren optischen Ausgesta]tung aber bedarf es aul~er der l~ngeren Zeitdauer noch der Intakthei t der Material- tendenz, die bei schizophrenen Sinnesti~uschungen eben nieht gegeben ist.

Mit zunehmender Zeitl~nge der einzelnen Halluzination und damit abnehmendem Fremdheitsgeffihl (vgl. oben) werden die optisehen Erleb- nisse aber nicht nur vager und weniger rein, sondern es pflegt dann auch zur Unterhaltung oder Auseinandersetzung mit ihnen zu kommen. Dann sind sie aber aueh ausnahmslos nieht allein vorhanden, sondern mit Abwandlungen anderer Sinnesgebiete durchmiseht oder treten alter- nierend mit Stimmen und i~hnlichem auf, wobei sie sinnverwandte Inhalte dieser illustrieren.

Wir haben es dann mit zusammengesetzten Halluzinationen (aber immer noch nieht mit szenenhaften) zu tun. ttierffir bedarf es nur des Hinweises auf die Beispiele 97 und 99, denen hier noch eins zugeffigt werden mag.

Beispiel 137, Pat. 12: , , . . .sah ich Figuren in der Luft, vage Schatten, manch- real auch farbig. Das spiegelten mir die Stimmen vor. Jetzt hSre ich ja immer nut die Luftstimmen." (?) ,,Friiher die S~immen, die ich ab und zu hSrte, waren mehr natfirlich, die Luftstimmen jetz~ sind mehr zart, mehr gedacht. Die Figuren kommen oft ganz dich~ zu mir heran und sie gehen in reich hinein." Auf die Frage, ob sie die Figuren dann aueh noch sehen kSnne, gab sie hie eine klare Antwort. Diese war vielmehr immer so gehalten, dal~ man nieht wu]]te, ob sie noeh die Figuren oder die Luftstimmen meinte.

Noeh einer anderen Strukturanomalie des Materials rauB gedacht werden: In den Beispielen 40--46 wurde fiber sie sehon bei den Vor- stellungsversuehen der Gruppe I I I beriehtet. "Es handelte sieh dabei um eine Lockerung und ein Auseinanderfallen einzelner Seiten oder Teile der intendierten Figurbildung. So wurde ein Apfel ohne die geforderte Farbe und umgekehrt, oder nur Teile des Geforderten, z. B. nur die obere H~lfte eines gundes vorgestellt. Audere veT~'egenwi~rtigten sieh nur die Zeigerstellung der geforderten Taschennhr und i~hnliehes mehr. Wir sind bier nieht bereehtigt, diese Erscheinungen mit den eigentliehen Abwandlungen zu identifizieren. Die Patienten gaben immer an, dab sie das Geforderte primer so , ,bekommen" hs bevor es dann spgter vielleieht aueh abwandeln konnts..~ Mit GewiBheit liil]t sieh tiber diese Strukturver~nderung funktionsanalytlseh leider ~noeh niehts sagen. In Anbetracht der Tatsaehe aber, dai~ dieses Auseinanderfallen sehon bei ganz einfaehen und leieht zu bildenden Dingen, mi t normaliter fester S~ruktur, auf~rat, und ganz iiberwiegend bei sehon stgrker vergnderten Patienten, mnl~ man wohl annehmen, dal3 diese Fehler aueh auf sehizo- phrene Umpr~gungen des wieder latent gewordenen ~ater ia ls zuriiek- zuffihren sind, mit anderen Worten auf frfihere MiBfunktionen der Materialtendenz.

FunktionsanMyse in der Schizophrenie. 551

Phiinomenologie und Funktionsanalyse in der Schizophrenie. Bevor diese Bespreehungen abgeschlossen werden, sei hier auf das

Unterschiedliche zwischen Ph~nomenologie und Funktionsanalyse ein- gegangen. Es wird aufgefallen sein, dab in den bisherigen Darstellungen, besonders im dem letzten Kapitel, wenig Bezug auf bislang vorliegende Beobachtungen ph/inomenologischerseits eingegangen wurde. Das hat seinen Grund in der oft schwierigen Vereinbarkeit beider Untersuchungs- weisen. Der Ph/~nomenologe konstatiert sehr oft grundlegende Merk- malsdifferenzen, fiber welche die Funktionsanalyse sieh hinwegsetzt, z. B. Untersehiede in der Deutlichkeit, in der Sinnenn/fhe, in der Raum- lokalisation. Andererseits entgehen ihm fnnktionale Unterschiede, die ffir die Funktionsanalyse yon Wichtigkeit sind, z. ]3. Sti~rke oder Fehlen des Fremdheitsgefiihles, Grad der Entfernung der Abwandlung yore primer Intendierten, Abh~Lngigkeit des Inhalts and der Sinnenn/~he yon der Zeitl/~nge der Abwandlungen und/~hnliches mehr. Diese gegenseitigen Kritiken sind durchgus berechtigt. Wenn hier z. ]3. (wie auch in frfiheren Arbeiten fiber Sinnest/~usehungen) eine Verwandtsehaft zum Stand- punkt P. SchrSders zu bemerken ist, dessen Ansicht unter anderem ist, dag gewisse Sinnest~usehungen vorstellnngsartige Erlebnisse mit Fremd- heitseharakter seien, dann deswegen, weft in SchrSders Einstellung zu den Fragen - - ob deuttieh oder nieht - - eine experimentelle Haltung stets durchseheint. Wenn nun der phi~nomenologischerseits gemaehte Einwand, dag dutch solehe Ansehauung etliehe Unterschiede z. B. in der Bildhaftigkeit der Sinnest/~usehungen zu wenig beriieksichtigt blieben, so m/issen wit das gelten lassen und mfissen diese Kli~rung der Zukunft anheimstellen. Nieht gelten lassen abet wiirden wir, dag dutch solehe noch nngekl/~rte Differenzen eine v611ige Versehiedenartigkeit oder Unvereinbarkeit zweier Erseheinungen heransspr/~nge. Die Ph/tno- menologie ist sehr wohl imstande, die ganze Unzahl der MerkmMsdif- ferenzen z.B. innerhalb der versehiedenen Sinnest~usehungen, Trug- erlebnissen, Vorstellungen, Wahrnehmnngen zu besehreiben, sie ist abet bei ihrem l%egistrieren in weitestem MaBe abhgngig yon don spontanen Schilderungen der Versuchspersonen and hat nnr wenige Kriterien an der Hand, die der prinzipiellen Znordnung zu bestimmten, sieh gegen- seitig aussehliel3enden Kategorien dienen. Und da sie es sieh versagt, eventuell dutch experimentellen Zugriff ein MerkmM axff Bin anderes zuriiekzufiihren, so sind die gefundenen Untersehiede hinsiehtlieh ihres Wertes far Zuordnung oftmMs unsieher. So bedeuten z. B. fiir die Funk- tionsanalyse die so hi~nfigen Sinnest/~uschungen Sehizophrener, die anf keinem bestimmten Sinnesgebiet ablaufen, keine eigentliehen Schwierig- keiten beziiglieh ihrer MerkmMsdifferenzen gegenfiber denen, die klar auf einem bestimmten Sinnesgebiete halluziniert werden, besonders dann nieht, wenn beide Formen beira gleichen Patienten dureheinander ge- mengt vorkommen. In diesem Falle kann zwar die FunktionsanMyse

552 Konrad Zueker:

eine Antwort auf das Wieso dieser Differenz geben; aber selbst, wenn sie es nieht kSnnte, so ws damit noeh kein Kriterium gegen die innere Verwandtsehaft beider gegeben, d~ diese bereits durch andere funktionale Beziehungen erhgrtet werden kann. So hut C. Schneider 1, dem wir eine fiberaus sorgf~ltige und urafassende Zusammenstellung aller Erseheinungs- weisen des Sinnentruges verdunken, bestimmt recht , da/~ eine funktionul geriehtete Betruchtung nieht geeignet ist, allen ph/inomenologisch auf- stellbaren Besonderheiten auf diesem Gebiete gerecht zu werden. Er gibt aber uueh die Best/itigung daffir, dub es (phs gesehen) bisl~ng noch nicht m6glieh ist, ein sieheres orientierendes Prinzip bier hindurch zu legen, ,,da sonst diese Besehreibung dutch die st/~ndige ~berschneidung yon Vari~nte und Typus /~ul3erst erschwert ist".

Nun ist es j~ gar nieht die Anfgabe der Funktionsanalyse, ihren Ausgang yon besthnnlten Phanomenen zu nehmen, die sieh in unserer unvoreingenommenen Beobaehtnng zungehst einmal s urn dann ihrer Unterschiede inne zu werden, und sie aus ihren Merkmalsdifferenzen heraus strnkturell zu erfassen. Das ist vielmehr dus eigenste Gebiet der Phgnomenologie. Ffir die Funktionsunalyse ergeben sich als Ausgangs- punkte Funktionsbesonderheiten, die sie zunachst an kliniseh gleich und ~hnlich gelugerten F~llen uuf ihre ~Ybereinstimmung bin untersueht und die sie dann dureh deren verschiedene krunkhaften Erscheinungen hindurch zu verfolgen trachtet. Sic geht dabei in Obereinstimmung mit der Ph/inomenologie yon der Uberzeugung uus, d~l~ der Patient der einzige ist, der fiber das an ibm zu studierende Erlebnis Angaben muchen kann. Nur rut sie das nicht mit Handen uuf den Riieken, sondern sie will darfiber hinuus selber ihr geeignet scheinende Bedingungen setzen und den Erlebenden dadurch zu einer Stellungnuhme veranlussen, die ohne das Zwingende, das diese Bedingungen hineintrugen, uus ver- schiedenen Grfinden eben nicht vollzogen wird.

Nuch dem Gesagten darf es also nicht verwnndern, wenn bier etiichen Besonderheiten, die dsm Phs b3deutsam erscheinen, nicht die wfinschenswerte Berficksiehtigung geschenkt werden konnte. Ieh erw~hne hier wieder als Beispiel die manchmal (gar nieht immer, noeh nieht ein- real hgufig) vorhundene ,,Deutliehkeit der Bilder" in den ttalluzinationen, die nueh Mayer-Gross ein Ableiten dieser aus Vorstellungen schwierig rnachen dfirfte, ttier kann aber eingeworfen werden, was C. Schneider ausdrfieklieh bemerkt, dab eine einzige Strukturvers das Gesamt- erlebnis anders gestalten muB. Und wenn auch daruuf funktionsanaly~isch noch ebensowenig eine Antwort gegeben warden kann, wie etwa auf die sehwierigen F~ibverh/iltnisse der optiseh~en Sinnestguschungen, so ist doeh eines sieher, dab mit dem uns ~uBerst Wichtigen Charakter des uu~er- halb der Antizipution Fullenden, des Gemachten, des Fremden, ~ber-

1 Schneider, G.: Z. Neur. 131; 137.

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 553

raschenden, das Gesamterlebnis eine Note erh/ilt, die es von einer ,,Vor- stellung" nunmehr gs entfernt. Und ob damit nicht schon ein Zuwachs an sinnlicher Deutlichkeit verknfipft ist, das w/ire eine Frage, die ohne weiteres gar nicht zu verneinen ist. Jedenfalls ist ein solches Gebilde nieht einfach auf die Formel zu bringen: Vorstellung + Fremd- heitscharakter. Ke inem Zweifel unterliegt es jedenfalls, dab rait einer auf solche Weise zustandegekommenen Neuformung eines bis dato aul]erhalb jeder Erfahrung liegenden Gesamterlebnisses auch ein neucs oder anderes Ranmerlebnis verbunden sein kann, wenn aueh keineswegs immer ein gleichartiges.

B

Die 5. Gruppe. DaB die sechs in dieser Gruppe vereinigten Kranken bislang gar keine

Erw/ihnung fanden, hat seinen Grund darin, dab sie sich grundlegend yon den iibrigen Patienten unterschieden, und zwar in den Punkten, dcnen unsere Untersuchungen bislang galten. Klinisch eine fiberein- stimmende Sondergruppe bildend, sollten sie zu unseren bisherigen Beobachtungen sozusagen das Gegenstfick bilden, welches da zeigen soll, dab die Verallgemeinerungen yon Vorstellungsversuchen auf das spontane Denken nicht unberechtigt waren. Denn wit begegnen auch hier einem Verh/iltnis yon Vorstellungsversuchsergebnissen zu Sloontanem Verhalten, das uns in seiner ~bereinstimmung zwingend erseheinen muJ~.

A]le 6 Patienten g]iehen sich in folgenden wesentlichen Ziigen: Der Verlauf ihrer Sehizophrenie war schleichend, keiner yon ihnen hatte jemals floridere Erscheinungen gehabt, rait Ausnahme einer Patientin, die im Laufe ihrer nun 4--6 Jahre zuriickliegenden Erkrankung nur flit 1 Monat gelegentlich Stimmen hSrte. Sonst war bei allen kein eigentheher ,,Schub" erfolgt. Mit der genannten Ausnahme hatten bei keinem je Sinnest/iuschungen bestanden; hie war es zum Auftreten yon Gedanken- entzug, Fremdheitserleben, paranoiden Wahnbildungen, Inkoh/irenz, Abwandlungen oder Vorbeireden gekommen. Das, was sie positiv kenn- zeichnete, war ihr stark abwegig affektives Verhalten und etliche Ver- schrobenheiten, welch beides sieh ganz allms entwickelt hatte. Sie konnten als ausgesprochen affektstumpf oder steif bezeichnet werden. Der eine Patient zeigte dauernd ein leieht miirrisches und paranoisehes Verhalten, was jedoch garnieht immer in seinen Worten und vor ahem nicht in eigentliehen Wahnbildungen zum Ausdruck kam. Zwei andere waren v61]ig indifferent; eine weibliche Patientin war dauernd fiber- legen ablehnend, die andere in stetiger Abwehrhaltung und leicht queru- lierend mit absonderliehen ~berzeugungen, die letzte schlieBlich indig- niert, gelangweilt, maniriert und verschroben. Sie waren alle ffir eine nicht zu tier gehende unterhal tung gut zu fixieren, die Grenzen waren allerdings der jeweiligen affektiven Haltung entsprechend deutlich ge- steckt, ttier and da wurden schon einmal ~usgesprochen abwegige

554 Konrad Zucker:

Inhalte produziert, die aber weniger der Ausdruek einer momentanen Denkst5rung waren, vielmehr als seltsame Meinungen imponierten, die irgendwie gefestigt sehienen und somit nicht das Produkt des Augen- Nicks waren. Immerhin war es aber doch im Lanfe der Zeit dadurch zu Pers6nlichkeitsveranderungen gekommen, die das soziale Versagen der zuvor Berufst/~tigen zur Folge hatte.

Diese allgemeine Charakteristik mag genfigen. Es wurde, wie die Schilderung zeigt, jedenfalls Wert darauf gelegt, unter diesen Patienten nur solche zu haben, die, soweit naehweisbar, niemals (mit der einen kurzen Ausnahme) Erscheinungen boten, die in den Gruppen I IV unser Inter- esse fesse]te. Infolgedessen k6nnen uns im I~ahmen dieser Arbeit nur die mit ihnen unternommenen Vorstellungsversuche beseh/s Die Ergebnisse dieser waren nun bei a]len durchweg die gleichen. Sie zeigten keine einzige der Besonderheiten, wie sie an den Patienten der Gruppen I - - I V gefunden ~ntrden. Aber nicht nur das. Innerhalb dessen, was in der Breite normaler MSglichkeiten liegt, wiesen sie in einer Beziehung sogar erstaun]iehe Leistungen auf: Sie konnten Mle das einmalVorgestellte enorm lange und unver/~ndert halten. Ein Kriterium daffir, dab sie das Geforderte aueh wirklich vorstellten, war darin gegeben, dab sie es sofort zugaben, wenn ihnen irgendeine Vorstellung nicht gelang. Doch reichte dies gelegentliche Versagen nie fiber das Ma2 des Normalen hinaus. Na- tfirlieh waren dabei Untersehiede gegeben, insoweit der eine besser akustisch, :der andere besser optisch vergegenst/~ndliehte oder anderer- seits auf einzelnen Sinnesgebieten (meist takti]) gar nichts geMstet wurde. Jedenfalls war da, we vorgestellt wurde, eine Dauer yon 12--30 ja bis zu 50 (!!) Sek. keine Seltenheit. Bei szenenhaften Vorstellungen wurden zwar meist Einzelheiten ausgelassen, aber sonst traten aueh da keinerlei Besonderheiten auf, wie sie flit die fibrigen Gruppen eharakte- ristisch waren.

Was aber diesen Patienten allen nnm6glich war, das war das Vor- stellen oder Sichfiihlen in einer aufgetragenen Stimmung oder in einer bestimmten anderen Affektlage. Charakteristiseh hierffir ist die Aussage der einen Patientin, die sieh besonders vergniigt vorstellen sollte:

BeispM 138: ,,Ich kann mir keinerlei andere Stimmnng vorstellen als nut gerade die, in der ich bier si~ze."

Xhnlieh der etwas paranoisehe Patient:

Beispiel 139: Er konnte sich weder gngstlich, noch wfitend, noch vergntigt vorstellen oder ffihlen. Als er vorstellen sollte, dab zwei Herren sich einen guten Witz erzahlten, gab er nach 8 Sek. an: ,,Ich babe das vorstellen kSnnen." (Ge- sehen und gefiihlt ?) ,,Gesehen. Was es gewesen ist, das weig ieh nichL das konnte alles MOgliche gewesen sein, was die sich erzahlten."

Eine der weibliehen Patienten gab auf entspreehende Anfforderung zu Stimmungsvorstellungen an :

Funktionsanalysc in der Schizophrenic. 555

Bcispiel 140: ,,Ich kann mir nur die Stimmung vorstellen, in der ich gerade bin." Sic kSnne sich auch ihre ffiiheren Sympathicn zu bcstimmten Freunden nicht vorstellen.

Wenn diese Patienten, die so gut wie niemals eigentliche DenkstS- rungen batten, nun aueh keinerlei entsprechende Auff~lligkeiten bei Vorstellungsleistungen boten, so wird uns das nicht wundern. Eine andere Frage ist die, ob nicht ihre T~tigkeit, das Vorgeste]lte fiber das MaB des l~ormalen binaus lange und unver~ndert zu halten, mit ihrer affektiven Verarmung und Versteifung in funktionale Beziehungen zu bringen sein muB. Psychologisch l~Bt sich das ohne weiteres bejahen. Wir wissen, daB nicht nut die heftigen Affekte wie Schreck, Angst und Wut die Gleich- f5rmigkeit der Vorste]lungsobjekte beeintrs sondern dab dasselbe yon jeder unausgeglichenen Stimmungslage gilt, und dab andererseits bei ruhiger und indifferenter Stimmung die Vorstellungs]eistungen stetigere sind. Wir mfissen es hierbei sein Bewenden haben lassen, weil die funktionsanalytische Untersuchung dieser Fragen noch nicht in An- griff genommen wurde.

Ob ein dnter ganz anderen Fragestellungen an diesen Patienten er- hobener Befund sp~ter hiefffir yon Bedeutung sein wird, l~tBt sich, so wahrscheinlich es znir auch scheint, noch nicht beweisen. Es waren n~mlich bei keinem dieser Patienten durch noch so langes Blicken auf eine rotierende Fls optische Scheinbewegungen auszulSsen. Rein psychologisch gesehen, sieht ein Versuch, zwei so verschiedene Dinge wie Affektivit~t und und Bewegungsnachbilder in Beziehung zu bringen, undiskutabel aus. Funktionsanalytisch aber kSnnte sich das Problem ganz anders ausnehmen. Es brauchte das bier auch gar nicht erws zu werden, wenn sich nicht unter den Patienten der anderen 4 Gruppen auch 7 gefunden h~tten, bei denen keine Scheinbewegungen ausgelSst werden konnten, und es waren dies durchweg solche, bei denen man, abgesehen yon ihren ])enkst6rungen und Sinnests schon eine leicht affektive Verarmung konstatieren konnte.

Es ist wohl kein Zufall, dab wir zu den affektiv erstarrenden Patienten therapeutisch den schwierigsten Zugang haben. Sie sind, biologisch, gesprochen, Defektheilungen, bei denen das eigentliche sehizophrene Geschehen im w e s e n t l i c h e n - zur Zeit wenigstens - - abgeklungen ist. Ihr Erleben hat sich offenbar nach vielfs Hin und Hergewoffen- werden, aber oft auch ohne dieses, auf eine einseitige, h~ufige indifferente Form des Erlebens konsolidiert. Welch enorm wiehtige Rolle bei diesem Werdea, der mangelnde Kontakt, die belebende and riehtunggebende Ffihrung seitens der Umwelt spielt, das lehren uns u'nsere an der Heidel- berger Klinik durehgefiihrten arbeitstherapeutisehen Erfolge, wobei eine Entwicklung in dieser Richtung viel seltener vorkommt.. Doch das geniigt noch nieht, um uns das zur Analyse notwendige Material dafiir in die Hand zu geben, wieso diese Menschen in ihrer Vereinsamung sieh gerade

A r c h i v f f i r P s y c h i a t r i e . Bd . 110. 37

556 Konrad Zucker:

so einseitig und gerade in dieser oder jener Richtung festlegen. Wollen wir doch wohl beachten, daI3 selbst der faseligste and ratloseste Sehizo- phrene immer noch mehr am Arzte hi~ngen und ihm sein Vertrauen zuwenden kann, als diese formal zwar ganz korrekten, bezfiglich des auI3ersprachlichen Konnexes jedoch erstarrten seelischen Strukturen. Erst wenn wir soweit sind, dab wir nicht nur diese Erstarrung g~nzlich 'verhindern, sondern aueh die "Richtung des Wieder-Werdens dieser F~lle yon uns aus bestimmen kSnnen, die ohne unsere Hilfe den oben genannten Verlauf nehmen wiirden, kann die Funktionsanalyse aueh hier weiter vorgetrieben werden.

Beziehungen zwischen Funktionsanalyse und Therapie in der Schizophrenie. Man kann weder yon der Ph~noraenologie noeh yon der Funktions-

analyse sagen, dab sic fiir die zur Zeit gebr~uchlichen Therapien in der Schizophrenie riehtungsgebend gewesen seien. Will man sich aber die therapeutisehen Einflfisse wissenschaftlieh fibersetzen, so ist man schon au~ Funktionsbegriffe angewiesen. Jedenfalls ist das yon rein ph~no- menologischen Gesichtspunkten her schwer ableitbar.

Nach dem, was im Vorangehenden dargelegt wurde, w~ren theoretisch gesehen, zwei therapeutisehe Angriffsm5glichkeiten denkbar: 1. in einer heilenden Einwirkung auf die Tendenzfunktionen und 2. in einer erneuten Umstruktuierung des )/[aterials. Von der ers~en Heilweise wiirde man dann erwarten, dab es yon den wieder gesundeten Tendenzen aus zu einer Neuumpr~gung des Materials kommen miisse, ein Vorgang, der dann derselbe wie nach Spontanremissionen w~re.

Von der zweiten w~re allerdings schwieriger im Voraus zu sehen, wie es yon einer irgendwie geschehenen Normalpr~gung des Materials aus zu einem giinstigen EinfluI3 auf die Tendenzfunktionen kom~nen k5nnte. Und dennoch ist gerade diese Heilweise in der nerven~rztlichen T~tigkeit seit langem die gebriiuehlichste auch bei anderen Erkrankungen. Wir nennen sie allgemein die ~bungstherapie.

Je zentraler die nervSse St5rung, nm so deut]ieher stoBen wit auf den Umstand, da~ der Patient yon sieh selbst aus die zur Besserung geeig- neten 0-bungen nicht finder: (Aphasie, Apraxie, zentrale Paresen und ~hnliehes mehr), auch dann nicht, wenn er bewul3t unter dem Ausfall leidet. Seine pathologisehen Funktionen stol3en nicht nur auf abge- i~ndertes Material, sondern sie kSnnen yon sich aus das zur Verfiigung stehende Material nur weiter krankhaft gestalten. Sie k5nnen - - und das ist wichtig - - zunehmend weniger eine normale Figurbildung antizipieren. Versuche bei solcher Art Gesch~digten lehren, dab bei leiehteren Seh~di- gungen die der Lokalisation des Herdes entspreehenden Vorstellungs- leistungen dann schon eine Lockerung und Beeintr~ehtigung zeigen, wenn der Patient bei einer konkreten A~fgabe bzw. deren praktischer Aus-

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 557'

fiihrung noch keine deutlichcn Dcfekte aufweist 1. Dabei ist dann bei n/~herem Eingehen zu erkennen, dal~ er sich erst an der oft sogar v e r k c h r t - begonnenen Aufgabe dutch sinnliche Anreicherung orientiert.

Mit anderen Worten, es liegcn die Verh~Lltnisse so, dab der Kranke oft- reals die zar Besserung notwendigen Ubungsaufgaben inhaltlich gar nicht mehr finden kann. Wenn wir ihrn also Aufgaben geben (und ihm, we nStig, die Ausfiihrnng demonstrieren) so iiben wir nicht seine Funktionen prims sondern sekund~r, indem wir ihm norlnales Leistungsmaterial zufiihren, ibm durch einen sinnlich eingeleiteten Vorgang die Antizi- pation sozusagen abnehmen.

Nun sind ja die Verhs bei Hirnsch/~digungcn nicht ohne weiteres auf die Schizophrenie ~ibertragbar. Ja, es InUl~ sogar noeh die Frage sein, ob sich beide - - funktionsanalytisch gesehen - - nicht insofern diametral verschieden verhalten, a]s bei Hirngesch~Ldigten das Krank- heitsgeschehen prims yon einer Schs des Materials ans in Gang gesetzt wird, (wobei Material natiirlich nicht mit Hirnmasse gleichzu- setzen ist). W/~hrefld wir bei den bier besprochenen Krankheit~erschei- nungen der Schizophrenic es mehr als wahrscheinlich machen konnten, d~I3 die prims StSnmg yon den Tendenzen bzw. deren Funktionen ausgeht. Damit wiirde bemerkenswcrt iibercinstimmen, dab bei hirn- geseh~digten Kindern die StSrungen sich wesentlich wcniger stark aus- wirken als bei Erwachsenen und da3 umgekehrt Erwachsene weniger schwer durch den schizophrenen ProzeB vcr~ndert werden, als wenn dieser - - ceteris paribus - - schon in der friiheren Jugend einsetzt.

Insofern aber herrschen ftir beide die gleichen Verh~ltnisse, als man veto Material aus therapeutisch vorgehen kann. Voraussetzung fiir einen Erfolg yon bier aus ist beim Schizophrenen allerdings, dal~ der Patient iiberhaupt noeh die MSglichkeit zu einer normalcn Funktionsentfaltung hat. Denn sollten die pathologischen Funktionen schon das gesamto Geschehen beherrschen, so w~re mit dieser, vein Material herkommenden Therapie wenig mehr zu wollen, da sie keine ads Verarbeitungs- mSglichkeiten mehr vorfindet. Im anderen Falle wiirdc sich die Besserung durch 13bung der noeh normal gebliebenen Funktionen vollziehen, die durch passive Zuf~ihrung normalen Materials zur T/~tigkcit wieder vcr- anlal~t werden. Und dadurch werden zwangsls d ie pathologischen Funktionen mehr und mehr lahmgelegt.

)~hnlieh werden aber aueh der ersterws Therapieform, die sich direkt an die Funktionen wendet, Grenzcn gcsetzt sein, und zwar dann, wenn das gesamte Material schon weitgehend schizophren umgeprs wurde, und die etwa wiedergesundenden Funktionen nur auf solch ver- /~ndertesMaterial stolen, welches scinerseits einer erneutenpathologischen

Uber diese Zusammenh~inge soll noch einmal in einer besonderen Arbeit gehandelt werden.

37*

'558 Kom'ad Zucker:

Verarbeitung geradezu Vorschub leistet (vgl. hierzu als Erl/~uterung das im vorletzten Kapitel fiber das dauernde StimmhSren Gesagte und ferner das Beispiel 125 der Pat. 30).

Man wird unsehwer erkennen, da$ die zur Zeit gefibte Insulin- and Cardiazoltherapie der ersten Form der Heilweise angehSren, wihrend

�9 in der modernen Arbeitstherapie die zweite Form zu sehen ist. Die Wir- kung yon Insulinkoma und Cardiazolkrampf auf die Funktionen 1/~Bt sieh mit Reeht aus folgenden l~berlegungen schliel~en: Es liel~e sieh das einmal schon per exelusionem sagen, denn es liegt anf der Hand, dal~ diese Art der Therapie sich mit dem Material gar nieht beschgftigt. Und dal~ ein Korea oder ein Krampf oder irgendwelche damit spezifisch verbundenen humoralen Ver/~nderungen einen Einflu$ auf die Umgestal- tung des Materials haben kSnnten, ist kaum denkbar. Der einzig m6g- liche Umformer ist hierfiir das Erleben ,und zwar um so naehhaltiger, je intakter die sekundgre Tendenz mit ihrer Funktion als Antizipator, Best/~tiger und Siehter ist und nmgekehrt. Da abet selbst die Tr~ume auf die Umformung des Materials entweder gar keinen evtl. einen nut geringen Einflul~ haben (d. h. soweit sie eben erinnert werden), so gilt das noeh i n geringerem Mal~e in Zust/~nden v6tliger Bewul3tlosigkeit.

Es l~t$t sieh aber der Einflul~ auf die Funktionen bei speziell darauf gerichteter Beobaehtung auch direkt erkennen. Mit gecht werden yon einer Anzahl Insulin-Therapeuten die remittierenden Patienten als etwas scheu und sehr vulnerabel be zeiehnet, die yon sieh aus lieber die Gesellschaft noch florider Schizophrener meiden und die oftmals ziem- ]ich still sind. (Es soll bier ausdrficklich gesagt werden, dal3 'auch in diesem Kapitel ausschlieBlieh solche Patienten ins Auge gefaSt sind, die nach ihren Erscheinungen denen der Gruppe I IV gleichen.) Nun, diese Labilit/~t stellt eine ganz spezifische Unsieherheit dar. Gewi$, sie sehen wieder eine andere Welt vor sich erstehen, die sie sieh aber zu einem mehr oder weniger grol3en Teile selbst mitsehaffen miissen. Wit sehen sie dabei in ihrer Zuwendung, Gestik und zum Teil auch sehon in ihrer Affektivit i t zwar schon wesentlieh freier, geordneter und spon- taner, besonders pflegt als erstes der Gedankenentzug, das Fremdheits- erleben und die l~atlosigkeit zurfickzugehen. Wit sehen sie abet im Gespr/iche, je naehdem es der Beobachter gestaltet, immer wieder auf noeh krankhaft geprigtes Material stoBen. Sie gehen meist gem auf ein allgemeine Dinge betreffendes Thema ein, sind uber ihren pathologischen " Erlebnissen gegeniiber zurfickhaltender geworden, im Gegensatz zu ihrer etwa kurz zuvor noch vorhandenen dr/~ngenden Mitteilsamkeit gerade in bezug anf diese Dinge. Ffihrt man sie aber trotzdem darauf, dann kann man vielfach sehen, wie ihre zuvor fliissigen Beriehte stockend, unsieher und wiederholt ansetzend, ja oft gequglt werden.

Beispiel 141: Akuter Beginn bei einem 20jghrigen. War zuletzt vOllig ra~los und braehte keinen Satz mehr heraus. ~qach dem ersten Insulinkoma seMagar~ige

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 559

Besserung. Erhi~lt am ni~chsten Tage Verwandtenbesuch, mit dem er sich frei und mit adi~quater Zuwendung unterh/~lt. Dieselbe Flfissigkeit auch im Gespr~ch mit Referenten. Als er nun naeh seinen Erlebnissen w/~hrend der letz~en Tage gefragt wird, schl~gt er naeh kurzem Schweigen insofern um, als er nun stockend, suchend und sieh immer unterbrechend (aber nicht ratlos) berichtet: ,,Welm ich in dem Seal da oben bin, we ich die Spritze bekomme. . . Es scheint, als ob alle die Leute krank sind." (Des sind sie ja auch.) ,,Ira Polster de." (Mein~ sein Polsterbett im Insulinsaal.) . . . . . Auch wenn ich zum Fenster hinaussehe. . , dann sind da alle Leute krank . . . die so drauBen herumgehen(meint auI der StraBe gehende Patienten anderer Kliniken), weft sie Krankenldeider . . . als ob alle Gartenleute ]crank w/~ren." Alles mit langen Pausen gesproehen.

Beispiel 142: 17j~Lhriger Pat. Zuvor akuter Sehub mit hochgradiger Ratlosig- keit und ~ngstlichkeit. Naeh zweitem Insulinkoma ganz wesentlieh freier, gute Zuwendung, affektiv rege, weder ~ngstlieh noeh ratlos mehr. Winkt Referenten an sein Bert, der ihn nun, otme etwas zu ffagen, spontan berichten l~Bt: . . . . . (die ersten Worte nicht verstanden) . . . weft ieh mit den andern so des Sehnarchen h6re (ira Insulinsaal), so bei den Leuten, die verungliiekt sind oder s o . . . ])as meinte ich dami~. . . Ieh mein' immer, als wenn ich da nicht rausk/~m." Dieses sprach er stoekend, mit Pausen, unsieher, oft wie nach Worten suehend. Ms jetz~ Referent des Wort nimmt und nach sdinen Schulstudien und seinem Vorhaben fragt, ist er wie ausgewechselt, lebhaft, wendig und heiter, berichtet in llfissiger, fehlerfreier Form und aueh inhalt~lieh vollkommen korrekt und kann aueh ad/~quat auf einen Seherz eingehen.

Sofe rn die Beisp ie le a u e h des u n m i t t e ] b a r E i n d r u c k s m ~ g i g e wieder -

geben k o n n t e n , g e h t aus i h n e n he rvo r , dal~ bei n o e h k u r z z u v o r ~Lulterst

r a t l o sen P a t i e n t e n die e r r e i eh t e B e s s e r u n g sich in i h r e m g a n z e n A u s m a G

n u r an e inem i n d i f f e r e n t e n M a t e r i a l k u n d g e b e n kann . Soba ld abe r i h re p a t h o l o g i s e h e n B e d e u t u n g s e r l e b n i s s e I n h a l t i h re r B e r i c h t e werden , s ind

sie s t oekend u n d uns icher . D a b e i m e r k t m a n es d iesen an, dab sie ledig-

l ieh E r i n n e r u n g s m a t e r i a l da r s t e l l en u n d n i c h t u n t e r noch v o r h a n d e n e n F e h l f u n k t i o n e n die im B e r i c h t vo r l i egende F o r m u n g e rh ie l t en . I n

ande re r Weise d r i i eken des dre i we i t e r e P a t i e n t e n aus :

Beispiel 143: Pat. 25, yon dem die Beispie]e 53--55 stammen, 33ji~hrig. Raseh verlaufender Sehub bis zum Verr~tseltsein mit massenhaften Bedeutungserleb- nissen, darunter das haufig vorkommende Geffihl, im Aufbauwerk des Drit ten Reiches eine besondere Rolle spielen zu sollen. - - Naeh dem ersten sehr schweren Insulinkoma und dem Abklingen des daran ansehlieBenden FiBbers ist der Pat. im wesentliehen Irei von psyehotisehen Erschehlungen, yon guter Zuwendung und auch affektiv ausgegliehen. Er berichtet: ,,Ieh habe jetzt aueh noeh manchmal des Gefiihl, als ob was nieht richtig ist. Aber wenn ich mir dalm sage: Du bist doeh hier, um gesund zu werden, Du bist doch bier am rechten Platz und denke an Frau und Kind und stelle mir des so alles m6glieh reeht vor, dann komm' ich ganz yon selber dahin, dab es dann vSllig klar und frei in meinem Kopfe wieder wird." Auch des Bedeutungsgefiihl sei dann dadurch fortgebracht. Sell nun ein Beispiel angeben, bei welchen Gelegenheiten des Fremdheitsgefiihl jetzt noch auf- komme. Gibt an: 2(ls er heute einen Aufsatz fiber die Entwicklung der Feiern des Dritten t~eiehes gelesen habe, da habe er nach Beendigung gedacht, dal~ er doeh bald wieder gesund werden wolle, um auch des seine zu tun, um wie jeder andere auch, dem Fiihrer am Aufbauwerk zu helfen. Dieses sei noch ohne Fremdheitsgefiihl gewesen, im AnsehluB daran sei aber des Fremdheitsgeffihl aufgekommen und dabei

560 Konrad Zucker:

sei es ihm durch den Kopf gezuckt, dab er doch noch ffir was Besonderes bestimmt sei. Er konnte dies aber durch seine oben geschilderte Umstellung zurtiekhalten. (War das nun das Fremdheitsgefiihl selber oder nur eine Erinnerung daran?) ,,Sie meinen, als es reich so durehzuckte ? Das war eine Erinnerung an frfiher, wie ieh das friiher so gehabt habe, und dann wollte das GefiihI so kommen, aber das konnte ich ja dureh den Gedanken sofort abstellen, dab ieh wieder gesund werden wolle. Abet es war natiirlieh nur eine Erinnerung.

W e n n m a n hierzu das Beispiel 53 nnd 55 desselben Pa t i en t en zur Orient ierung nochmals heranzieht , dann wird es besonders deut l ich, welche Rolie das noch mi t Bedeutungser lebnissen yon fr i iher her be- haf te te Mater ia l spielt . Und es is t e indrueksvol l , wie dieser P a t i e n t den EinfluB der , ,Er innerung" yon dem des spon tanen E in t re t ens des Be- deutnngsgefi ihles t r enn t und anseinanderhs

Beispiel 144: 32j~hriger Pa~. ttSrte zuvor Stimmen. Jetzt Besserung dureh Insulin. Xu$ert im Gegensatz zu frfiher spontan gar nichts mehr fiber Stimmen. I)anach gefragt, antwortet er: ,,Die hSre ieh aueh heute noeh, abet nur, wenn ich acht darauf gebe." (Dasselbe sonst wie frfiher ?) ,,Genau noch so. Ieh hub' frfiher nur besser aufpassen mfissen auf die Stimmen." (So.ll jetzt mal auf Stimmen auf- lOassen !) I~ISrt l~ngere Zeit vor sich hin, sehiittelt den Kopf: Er hSre jetzt keine mehr.

Beispiel 145: 32j~hrige Pat. ]~eginn vor etwa 3--4 Monaten allm~hlich, dann rasch zunehmend: akustisehe und optische Sinnestiiuschungen mit auftretendem Entfremdungsgeffihl allen Eindrfieken gegenfiber. Sehliel~lich stark ausgesprochenes u mit noeh vorhandenem Verr~tseltsein. - - Nach 10 Insulinkomata vSlliges Schwinden des Verratseltseins und formal leidlich korrekt mit guter Zu- wendung. Geht auf alle Fragen .formal sofort ein, keinerlei S~nnestiiuschungen mehr. Anf Frage gibt sie an: ,,Was ich frfiher gehabt babe, die Stimracn, das hub' ieh jetzt nicht mehr." Sie bringt jedoch nur Inhalte hervor, die immer noch mit Fragen und Unsicherheit behaftet sind, ohne selbst noch irgendein Unsieher- heitsgeffihl oder gar eine Ratlosigkeit zu zeigen. So blickt sie z. B. aus dem Fenster und ~uBert ruhig und ernst: ,,Stimmt's denn noch auf der Welt ?" Es komme ibr doch noch alles etwas komiseh vor, der Referent sowie der Sekreti~r, die sie wahrend ihrer Zeit vor dem Insulin nieht sah, nimmt sie auf entsprechende Fragen jedoch davon aus.

Wir t reffen hier ganz s Verhs an, wie bei der Pa t . 2 nach einer Spontanremiss ion (vgl. Beispiel 134). Mit anderen Wor ten , bei sehon wei tgehend oder gi~nzlich sanier ter F m l k t i o n f inder sieh in diesen Zust~inden noch ein mehr oder weniger grol~er Mate r i a lbes t and ra i t noch deut l ieh schizophrener Pr~igung vor.

Vielleieht noch anschanl icher als bei I n su l inbehande l t en lehr t das Verha l t en et l ieher mi t Cardiazol the rap ie r t e r Pa t i en ten , dad hier die e rs te W i r k u n g auf die F u n k t i o n e n ger iehte t ist. Der Kl in ike r sieht ga r n ieh t selten, d a ] die gfinstige W i r k u n g des Cardiazols ira Anfang n ieh t lunge anh~tlt und dab dann die m a n c h m a l symptomffe i en und ganz ko r r ek t ersehe~nenden Pa t i en t en plStzl ieh innerha lb einer k n a p p e n S tunde wieder in den k r a n k h a f t e n Zus t and zuri ickfallen, und zwar m i t al len E inze lhe i t en der Ra t l 0 s igke i t , des Hal luzin ierens nnd der wahn- ha f ten Bedeutungser lebnisse inklus ive wahnhaf t e r Erkli~rungen, bis dann

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 561

nach dem nachsten Cardiazolkrampf alles wieder wie fortgeblasen ist. Das fiir uns Beaehthche daran ist, dal~ mit dem Wiedereinsetzen der Verschlechterung sofort all die alten, zuvor gehabten Erlebnisse aueh inhaltlich wieder auftauchen. Das lehrt, dal~ das schizophren umge- pragte Material in der kurzen Zeit der Besserung (2--4 Tage jewefls) noch wenig umstrukturiert wurde, und beim Wiedereinsetzen des Pro- zesses nahezu unverandert latent bereit lag. Hier dri~ngt sich dem Beobachter die ~Jberzeugung auf, da$ das Krankheitsgeschehen nicht ,,vcn 1Neuem" begann, sondern dal~ es nach einem freien Intervall im Prinzip unverandert fortgesetzt wurde. Und das ware ~unktionsanaly- tisch gesagt: Die Funktion der beiden Tendenzen wurde fiir eine kurze Zeit zur Norm zuriiekgefiihrt, wahrend das Material zum grSSten Teil noeh nicht wieder normal umgepragt werden konnte.

Mit diesen phasenartigen Rezidiven darf nicht verweehselt werden das Auftreten oder Emporkommen neuer, anderer Erscheinungen, nachdem die alten dureh langere ther~peutische Einwirkungen endgiiltig zum Stillstand gebraeht wurden. Doch fi~llt das aul3erhalb des Rahmens dieser Bespreehungen.

Es unterscheiden sich die durch Cardiazol und Insulin erzielten Heilungen yon noeh so raschen Spontanremissionen durch den gerade aueh funktionsanalytiseh wiehtigen Umstand, da~ dort die Kranken das Besserwerden nicht kontinuierlieh erleben. Es halt die Umwandlung des fehlerhaft gepriigten Materials nicht gleiehen Sehritt mit der Sanie- rung der pathologischen Funktionen. Und eben dieses Mil~verh&ltnis diiickt sieh in der Gesamthaltung der also Therapierten in der ersten Zeit noch oder gerade wahrend der Behundlung aus.

Der Beh~ndlungserfolg mit Cardi~zol oder Insulin ist, wie die Er- fahrungen lehren, offenbar viel weniger abhi~ngig yon der Sehwere des Prozesses als yon der Dauer seines Bestehens. Wenn man n~mlich bei den nns hier interessierenden Fallen die Schwere der Funktionsvers rungen gemaB der Anordnnng unserer 4 Grnppen trifft und dabei den starksten Grad im Volbeireden gegeben sieht, so zeigen die Behandlungs- erfolge, da~ Patienten, die der Gruppe IV zuzuordnen waren, genan so gut einer Besserung zuganglieh sind wie die mit leichteren Verande- rungen. Andererseits verhalten sieh Patienten mit - - funktionsanalytisch gesehen - - leichteren StSrungen, namlich Gedankenentzug nnd Halluzi- nieren oft refrakt~r, wenn die Erscheinungen sehon l~nger als etwa 1/2--2 Jahre bestehen. Wir sehen nunmehr den Grund daffir in den weit- gehenden Veranderungen des Materials. Unter welehen Umstanden aber sonst Versager vorkommen, entzieht sich zur Zeit auch klinisch noeh unserer Kenntnis. Wie iiberhaupt die Wirkung der Chemotherapie auf die Funktionen zu denken ist, darfiber wissen wir gar nichts.

Ffir das volle Verstandnis der EinwirkungsmSglichkeiten der aktiven .4rbeitsthera~gie auf das schizophrene Krankheitsgeschehen mul~ die

562 Konrad Zucker:

Kenntnis jener vorausgesetzt werden (vgl. auch die soeben ersehienene Monographie C. Schneiders: Behandlung and Verhfitung der Geistes- krankheiten. Berlin: Julius Springer 1939).

Ffir die moderne Arbeitstherapie stellt die Arbeit selber nicht ein beliebig anwendbares tteilmittel dar, nach dessen Gebrauch man nun auf den Effolg warren kann, vielmehr ist sie streng genommen nur die selbstverst~ndliche Basis, ja oftmals das einzige Mittel des Kontaktes zwisehen Arzt und Patienten. Hierauf erst bauen sich zahlreiehe und sehr verschiedene Einwirkungsweisen auf, die nach ganz bestimmten und feststehenden Gesichtspunkten geschehen, die sieh wiederum aus der Beobaehtung'ergaben. Vor allem ist der Zweck nicht damit erffillt, dab der Patient beseh~ftigt ist, sondern dal3 er etwas, und zwar etwas Bestimmtes erlebt. Von jeder anderen reinen Psyehotherapie unter- seheidet sich die Arbeitstherapie - - u m nun gleieh auf ihre funktions- analytischen Belange zu kommen - - wie eine rein sprachlieh gegebene Schilderung yon dera dureh eigenes Wahrnehmen und Handeln ver- mittelten Erleben. Gleich dem letzteren besitzt die arbe~tstherapeutische Einwirkung, das Zwingende der Wahrnehmnng, und ist viel schwerer krankhaft umdeutbar, wenn sie dureh das eigene Handeln des Patienten zur Antizipation eines Zieles drs als das je eine nur spraehliche gegebene Unterweisung tun kann.

Der oft verlorengegangene spraehliche Konnex wird erst dadurch allm~hlich wieder geschaffen, als er dureh das gemeinsehaftliehe Handeln konstant begleitend illustriert wird. Dureh diese Fesselung an das Werk erh~lt der Erlebnisablauf eine gleichf5rmige Basis, eine Schiene sozusagen. Sie verhindert im Anfang zwar nicht den Gedankenentzug und aueh nicht das Abgleiten nnd die Abwandlungen im innerseelisehen Gesehehen des Kranken, sie bietet ihm aber eben wegen ihres durehgehenden Cha- rakters immer erneut die Wiederansehlu~m6gliehkeit, die den sich selbst fiberlassenen Patienten in solehen Momenten vSllig fehlt. Und den etwa auftauehenden Bedeutungserlebnissen nnd Sinnest~usehungen ist da- durch ein gut Tell ihrer Rfiekwirkungen auf den sie Erlebenden ge- nommen, als ja seine Zuwendung an etwas ganz anderes gebunden wird, n~mlich an einen Vorg~ng, an dem er selbst beteiligt ist und der ihm dureh seine gleichm~l~ige, nicht unterbrochene, kontrollierbare Ent- wicklung das sichere Leitseil bedeutet durch das Labyrinth seiner eigeaen inneren unkontrollierbaren Erlebnisse. Diese finden also keine Ver- arbeitung und sie kSnnen daher die Figurbildungen in jedem Augenblick des Gesamterlebens nur in geringem Mal~e beeindrucken.

Ein enorm wichtiger Umstand ist der, dal] der Patient sich das Ziel nieht selber w~hlt, sondern dab es ihm mit der T~tigkeit gegeben wird. Dieses ist dadurch i,wahnfrei", d. h. als Ziel zun~chst einmal nicht beiastet mit einer abwegigen Bedeutung. Nat~irlich kSnnen sich auf dem Wege dorthin, w~hrend der Arbeit Abwandlungen einstellen und

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 563

dadurch auch das Ziel sekund~r f~trben. Das geschieht aber, wie wir aus zahlreichen Gelegenheiten unserer bisherigen Darlegungen sahen, dann um so viel weniger, je aktiver der Patient an dem gemeinschaftlichen Vorgang beteiligt ist oder durch dauernde Hilfe beteiligt wird. Die Forderung eines wahnfreien Zieles (aus nicht schizophren nmgepr~gten Materiale) und eine mSglichst aktive Fesselnng an den Vorgang wird aber am besten gew~hrleistet, wenn der Patient eine Arbeit erh~tlt, die mSglichst welt ab yon der ibm gewohnten T~tigkeit liegt. Und diese Fordernng muft besonders in frischen F~llen wohl beachtet werden, denn sonst ist die Wahnfreiheit des Zieles nicht garantiert, und die ihm gewohnten Einzelverrichtungen kSnnen als latentes Erlebnismaterial schon zuvor weitgehend fehlerhaft nmgeprs sein nnd liegen als solches zu weiteren pathologischen Umpr~gnngen geradezu bereit.

Anders bei schon inkohgrenten Kranken mit Vorbeireden (und dann natiirlich auch Vorbeihandeln). Diesen Erseheinnngen liegt, wie wir sahen, ein mangelDdes Zs zugrunde. Demzufolge wird auch neues Material zunehmend zi~surenarm geprggt und Binge der ver- schiedensten gerkunf t und Bedeutung kSnnen spontan in dieselbe Figur- bildung Eingang nehmen. Dadurch kann der weitere Geschehensablauf im Denken, Reden und Handeln die unkontrollierbarsten Entgleistungen zeitigen. - - Man soltte nun theoretisch meinen, dab in so]chen Fi~llen eine mSglichst vielseitig gegliederte Besch/iftigung yon Nutzen w/ire, wodurch dem Patienten durch das in seiner Wirkung nachhaltigere Wahrnehmen und Handeln neues z/~surenreiches Material zugefiihrt wird. Die praktische Erfahrung abet lehrt, dab das untunlich ist. Ganz abgesehen davon, daft diese Patienten, besonders die Irischen Fi~]le, zu einer etwas komplizierteren Arbeit iiberhaupt nicht fiihig sind, muB ihnen wegen ihres dauernden Abgleitens meist erst einige Zeit die Hand gefiihrt und mfissen sie immer wieder zur T/~tigkeit zurfickgebracht werden. Dariiber hinaus sieht man in der Praxis, dab es anfangs die ganz einfachen und gleichf6rmigen Tgtigkeiten sind, die zum Fortschritt fiihren.

Wie ist das zu verstehen ? - - Es konnte bei der Besprechung der Versuchsergebnisse in Gruppe I I I und besonders IV dargelegt werden, wie das verlorengehende Zs selber erst wieder die unmittelbare Folge ist eines I)efektes der Antizipationsfunktion der sekund~ren Tendenz (= Selbstbeobachtung im Erleben). Nun wurde auch schon ge- sagt, daft yon einem glatten Verlust dieser Funktion in der Schizophrenie nicht die Rede sein kann. Ist doch ein solcher Kranker noch durchaus in der Lage, Icurze Einzelhandlungen auszufiihren und die dazu not- wendigen Wahrnehmungen votlgfiltig zu t~tigen, d. h. mit dem identifi- zierenden Akt zu begleiten. Und selbst wenn er unter dem ])range dauernd wechselnden und flutenden Bedeutungserlebens sein Handeln ganz einstellt und das Bild des ratlosen Stupors bietet, so zeigt sich aus

564 Konrad Zucker:

seinen sp~teren Berichten, dab er dennoch einzelne Vorg/~nge der Umwelt mit einigermaBen richtiger Gliederung (wenn auch nicht riehtiger Be- deutung) effaBt hat.

Aus solcher Beobaehtung ergibt sieh nun schon das Verst/~ndnis fitr den Erfolg des therapeutischen Vorgehens. Was die sekund~re Tendenz als antizipierende Funktion im Denkablauf nicht mehr zu leisten verraag, dazu ist sie in ihrer identifizierenden Funktion doch noch imstande, wenn ihr das Material durch einen sinnlichen Vorgang geliefert wird, d. h. wenn ihr der gliedernde Anteil an der Materialbeschaffung ab- genommen wird. Das gilt aber wie gesagt nur fiir knrze Augenblicke, his mit dem Bedeutungsfluten wieder abwegige Inhalte in die Figur- bildungen hineingetragen werden und der Patient abirrt als Ausdrnek der schon wieder unterbrochenen Funktion der sekund~ren Tendenz. Von einer kurzen oder einzelnen Wahrnehmung kann jedoch keine ls belebende Anregung der sekundgren Tendenz ausgehen. Anderer- seits aber bringt ein Wechsel im Wahrnehmungsablauf und ebenso ein Wechsel in passiv veranlaBten Handlungen schon normalerweise einen Wechsel der Bedeutungsgehalte mit sieh. Nun ist der Patient mit seinem h/tufigen Versagen seiner sekund~ren Tendenzfunktion gerade einem solchen Weehsel nicht gewachsen. Selbst wenn er sich in einem wechsel- vollen Vorgang noch rein wahrnehmungsms gliedernd beteiligen kSnnte, so setzt doch der Ubergang zum eigenen Handeln einen Angen- blick voraus, in welchem er auf seine eigenen inneren Vorg/~nge an- gewiesen ist und - - sell das Handeln~korrekt sein - - au~ prgzise Figur- bildungen mit pr/izisen und adgquaten Bedeutungsgehalt. Hier aber hakt er aus, sobald das Zwingende des sinnliehen Vorganges fehlt.

Kommt welter noch hinzn, dab der Wechsel im /~uBeren Vorgang yon ihm ans mit den richtigen Bedeutungen zu ffillen ist, das ist eine Tgtigkeit, die ibm durch noeh so gegliedert gegebene /~uBere Eindi~icke nicht abgenommen werden kann, da die Bedeutungen nicht yon auBen mitgeliefert werden. Je mehr aber die Bedeutung nieht dem einzelnen Wahrnehmungsding, sondern als verbindende Bliieke einem ganzen Ablaulkomplex zukommt, um so weniger kann das veto Kranken ge- leistet werden.

So w/~re es therapeutisch nicht nur zweeklos, sondern oftma]s geradezu verkehrt, wollte man einen inkoh/~renten, voibeiredenden Patienten mit einer weehselvollen Arbeit belasten. Er kann dutch sie nicht zu einem z~surenreichen Erleben gebracht werden, weil er die einzelnen Glieder yon sich aus nicht mit Sinngehalt erffillen nnd sich nicht als sinngem~B ttandelnder einschalten kann. Hierfiir wgre erst Voranssetzung eine sekund/ire Tendenz, die den ganzen Arbeitsvorgang kontinuierlich begleitet und die ihm gerade vor den Klippen bewahrt, die ein zu for- dernder Bedeutungswechsel beim Umschalten auf einen anderen Vorgang oder aueh nur Teilvorgang mit sieh bringt. Es muB also durch eine gleich-

Funktions~nalyse in der Schizophrenie. 565

f6rmige Arbei~, zu welcher der Patient passiv gebracht und oftmals unter tfandffihrung dauernd wieder angehalten werden muB, diese Funktion iiberhaupt ers~ einmal wieder wachgerufen werden.

Wie gesehieht das ? Wir wissen nieht, ob die biologisehen IIeilungs- vorgi~nge, die nach einer exogenen Sch~digung versehiedenster Art ein- setzen und die darin bestehen, die geseMdigten Funktionen zur Norm zuriiekzuffihren, oder abet diese an das zum Teil zerstSrte Material bestm6glichst anzupassen, ob diese aueh im Falle eines erblieh bedingten Leidens im Grunde dieselben sind. Manehes sprieht dafiir, dag sie bier anders verlaufen. Es kann darauf hier nieht eingegangen werden. Nut eines k6nnen wit mit Sieherheit sagen, dag auf diese wie auf jene die biologisehe Wirkung der Ubung gleiehermagen Anwendung finden kann. Dariiber soil fiir unsere Zweeke bier nur soviel gesagt werden, dag sie auf dem Wege yon auBen her das innere Material anreiehert und zwar adgquat, d .h . dab das neu erworbene Material fiber den Weg des Erlebens so gepr/~gt wird, dab es beim kiinftigen Wiedererleben fiir normale Ans~tze der Funktionen bereit liegt.

Dis tier in die sehizophrenen Vergnderungen hinein, sind wir immer noeh befugt, mit normalen Funktionsans/~tzen neben den krankhaften zu reehnen.

Nun konnte oben an einigen Stellen mit Beispielen gezeigt werden, wie bei sehon gesundenden Funktionen dadureh wieder ein krankhaftes Erleben in Gang gesetzt werden kann, dab der Patient yon auBen her zur Besehs mit sehizophren geprs Materiale veranlagt wurde. In soleh einem Falle werden wir mit t~eeht das Noehvorhandensein krankhafter Funktionsm6gliehkeiten neben den wiedergesundeten an- nehmen miissen.

Es ist demnaeh das Verhgltnis yon Funktion zu Material nieht zu einseitig anzusehen, dergestalt etwa, dag alles nur auf die Funktionen ankomme. Vielmehr lernen wir, dag die friihere Pri~gung des Materiales, welches wieder in die Figurbildung eingehen soll, insofern aueh auf die Funktionen yon EinfluB sein kann, als es, je naehdem es normale oder krankhafte Vorpriigung hat, entweder ffir eine gesunde oder fiir eine krankhafte Funktion zur Verwertung bereit liegt.

Unter Beriieksiehtigung dieser UmstAnde ist iiberhaupt nut die Wir- kung eines arbeitstherapeutiseh gut geMteten Milieus auf noeh unge- ordnete Kranke zu verstehen. Wir wollen nieht gerade behaupten, dag in einer arbeitstherapeutiseh sehleeht geleiteten Umgebung der eine Patient vom anderen schizophrene Alliiren, Faxen und andere Un- sinnigkeiten abguekt und lernt, nein; abet in einer solehen Gesellsehaft linden die aueh bei ihm etwa noeh vorhandenen normalen Funktions- m6gliehkeiten und -ans/~tze keinerlei adAquate Sttitzen und zwingende Veranlassungen; seine krankhaften dagegen heben sieh nieht mit der therapeutisehen Wirksamkeit yon seiner Umgebung ab; ,,er st6gt damit

566 Konrad Zucker:

nicht ins Leere", wie der Sprachgebrauch an der Heidelberger Klinik hierftir lautet.

Es kann nun aber die in der Arbeitstherapie angestrebte Anreicherung mit normal gepr/~gtem Erlebnismaterial nur unter aktiver Beteiligung des Kranken und gerade auch des inkoh/~renten geschehen. Denn es ist das Handeln oder die Arbeit der Modus, der als zwingendster diese notwendige Assimilierung gew~hrleistet. Selbst dann, wenn die Arbeit ohne die Init iative des Patienten begonnen wird, wenn er zu Anfang durch sanften Zwang dazu veranlaBt und im Verlauf dazu angehalten wird, schafft sie ehle Menge normaler Figurbildungen, die zu normalem latenten Material werden. Das Erleben aber kann dieser Arbeit und seiner Wirkung als auf einen /~uBeren Vorgang gerichtet, schlechterdings kaum aus- weichen, jedenfalls nicht auf die Dauer. Liegt doch dem Handeln, auch dem fremdveranlaBten eine noch viel gr58ere Aneignungswirkung zu- grunde, als d e r n u r wahrnehmenden Beteiligung an einem Vorgang. Und es bleibt einem Patienten, der sich aus irgendeiner negativistischen Haltung heraus dieser Einwirkung entziehen will, oft gar kein anderer Weg iibrig, als die Augen zu schlieBen, eine Reaktion, die der Therapeut auch zu sehen bekommt und die unsere Auffassung noch unterstreicht.

Sofern man iiberhaupt also noch mit einem wenn auch geringen Anteil normaler Funktionen beim Patienten rechnen kann, so ist dieses der gangbare Weg, die sekundgre Tendenz in ihrer Funktion, ngmlich einen ganzen Vorgang fortlaufend zu /iberschatten, wieder zu st~rken. Die 13bung dieser Wirkung schlieBt aber in demselben MaBe als sic gelingt, die Verkiimmerung der pathologischen Funktion in sich. Denn da - - wenn wir nur von der Funktion sprechen - - das Pathologische in einer dauernden Unterbrechung und danach erst im Abschweifen der Material- tendenz begriindet ist, so kann sie als Diskontinunm nicht neben der normalen Funktion, dem Kontinuum, bestehen. Beide Zusts kSnnen sich hSchstens abwechseln und das tun sic auch im Anfang, wie das folgende Beispiel anschaulich lehren kann. Es s tammt von einem Falle, eines inkoh/irenten, vorbeiredenden Schizophrenen im ersten Schub, dessen Beginn etwa 4 Monate zuriickliegt und ist insofern als typisches gew~thlt, als es den Erfolg zeigt, wie er sich nicht zu leieht, abet aueh nicht zu protahiert einstellte.

Beispiel 146: 28j~hriger Pat. wird yore Pfleger und Arzt an die Bindenwickel- masehine geffihrt, an der er nun die Drehkurbel bedienen so]], w/~hrend ein ihm gegenfiber Sitzender ruhiger Pat. die zu wiekelnden Binden zufiihrt.. Da der Pat. selber nicht zufaBt, wird seine Hand an die Kurbel gelegt und geffihrt. Er bliekt an der Haschine vorbei, redet halblaut Vor sick hin, I/~Bt sber die :Ffihrung ge- schehen. Iqach 10--15 Sek. zieht er seine Hand zurfick, sehlieBt die Augen und sinkt in sick zusammen. - - Hand wird wieder angelegt und geftihrt. In Abst/~n- den yon 10--30 Sek. wiederholt sieh das gleicke Schauspiel 6--7real wieder; dock merkt man, dab der Pat. jetz~ schon ab und zu die 1YIasehine selbst ins Auge faBt. - - Wieder geffihrt, beginnt er nun pl6tzlich heftig und iiberstiirzt zu

Funktionsanalyse in der Schizophrenie. 567

drehen, wodurch die Binde ungleich gerollt wird. Arzt dreht, mit Wo1~en er- l~uternd, die Wicke] wieder zurfick. Danach sperrt sieh der Pat. und es dauert 2 Min., bis er passiv wieder zum Drehen veranlaBt werden kann. Langsam entfernt der Arzt seine Hand yon der des Pat. Dieser dreht selbst noch einige Male, dann dreht er heftig zurfiek. Arzt fangt das ab. Wiederbeginn. Pat. ist jetzt sehon die meiste Zeit mit dem Blicke der Arbeit zugewandt. Jetzt reiBt Pat. nach einigen geffihrten Touren die Kurbel mit der Welle heraus und legt sie neben sieh. Die Unsinnigkeit wird ihm, wghrend die herausgefallene Binde yon Anfang wieder aufgelegt werden muB, dadureh und mit Worten illustriert. So geht die Arbeit mit immer kiirzer werdenden unsinnigen Entgleisungen etwa 1 Stunde weiter fort. Das inkoh~rente Reden ist inzwisehen mit kurzen aber heftigen Exacer- bationen weniger und leiser geworden. Nun ist man so weir, dab Arzt oder Pfleger nut noeh ab und zu ffir kurze Augenblieke die Hand zu ftihren brauchen, n~eist dreht Pat. jetzt allein. - - l~ittagpause. - - Beim Wiederbeginn setzt sieh der Pat. ohne Zwang auf seinen Stuhl, dreht die Kurbel und folgt sehon dem Zuruf seines Gegenfibers bezfiglieh des Tempos. Mit immer seltener werdenden Entgleisungen und mit vom Pfleger eingelegten Pausen geht die Arbeit bis zum Abend weiter. Am n~chsten Tag nimmt der Pat. schon die fertig gewickelte Binde yon der Welle, wobei es das erstemal noch passiert, dab er sie, am Ende festhaltend, durch den Saal wirft, wobei sie sich wieder abrollt. Er muB sic selber wieder holen und selber wieder auflegen. Am folgenden Tag ist er zungchst ein- ma] still; andererseits sehon so welt, dab er mit seinem Gegenfiber den Platz tauschen und die schwierigere Arbeit des Ausbreitens und Zuffihrens der Binde fibernimmt. Am Abend folgt er ohne Fiihrung nur der Aufforderung des Pflegers zum Aufstehen yon der Arbeit und Platznehmen zum E~sen. Den ganzen Tag fiber hat er kaum ein Wort gesproehen. Am ngchstfolgenden beginnt er auf Fragen kurze, korrekte Antworten zu geben, die nun aber nur leise und zSgernd erfo]gen, Und jetzt wird zu einer etwas wechselvolleren Arbeit fibergegangen.

Diese Schilderung l~Bt gut die Schwierigkeiten des Pa t i en ten er- kennen : Die anf~ngliche In i t i a t ivea rmut , die fehlende Zielantizipation, das Abglei ten einerseits und die allm~ihlich zunehmende akt ive Be- tei l igung mi t wieder aufkommender Ant iz ipa t ion und dem dami t geringer werdenden Abglei ten andererseits. U n d diese Besserung spielt sich ab bei einer pr ims auf das Material gerichteten Ubung.

Funk t ionsana ly t i sch werden n u n auch die Grenzen der Arbeits- therapie ldar : Je ls und je mehr im Laufe des k rankhaf t en Ge- schehens das Er lebnismater ia l abwegig umgepr~igt wurde, um so weniger wird es fiir gelegentlich noch e inmal aufkommende normale F u n k t i o n e n geeignet, so dab diese immer weiter verki immern. Oder es t r i t t einer der charakterist ischen Gleichgewichtszust~nde ein, d . i . entweder ein Stat ion~rbleiben oder eine sog. Defektheilung. I n beiden Fs gelingt es wohl noch oftm~ls, den Pa t i en ten durch konsequente Behandlung yon den fiir die Umgebung l~stigen Erscheinungen (zu Hause oder in der Anstal t ) zu befreien, doch kaum mehr, ihn wieder sozial selbsts Zll m a c h e n .

So liegen denn bier die Verhs ganz ~hn]ich wie bei der Chemo- therapie.

568 Konrad Zucker:

Was aber die getrennte Besprechung beider Behandlungsweisen nach funktionsanalytischen Gesichtspunkten lehren konnte, ist, da$ die Therapie solcher Patienten am zweckm/iBigsten zugleich yon beiden Seiten aus geschieht, d. h. sowohl yon den Funktionen als auch vom Material aus.

SehlulL

In den vorangegangenen Ausffihrungen sollte gezeigt werden, dab es in der Funktionsanalyse eine MSglichkeit gibt, das Krankheitsgeschehen bei der Schizophrenie unter Gesichtspunkten abzuhandeln und es zu verstehen, die im Prinzip die gleichen sind, mit denen modernerweise auch an die Betrachtungen der Hirnerkrankungen im eigentlichen Sinne herangetreten wird. Damit solIte aber keineswegs der unleugbare Ab- stand verringert werden, der zwischen diesen letzteren und der Schizo- phrenie besteht. Das wurde mehrfach betont. Hier kann dariiber zu- sammenfassend gesagt werden: Bei der Schizophrenie richtet sich der Proze6 prim/ir auf die Funktionen und erst sekund~r erf/~hrt das latente Material im Erleben eine krankhafte Umstrukturierung. Bei den tIirn- erkrankungen im eigentlichen Sinne, spricht das, was wit dariiber wissen, dafiir, dab sich die Sch/~digung prim~tr gegen das Material wendet, wo- dutch den Funktianen erst entweder ihr Wirkungssubstrat entzogen wird oder sie zu Umwegleistungen oder fehlerhaften Enthemmungen veranlaSt werden, Erscheinungen, die wit bei der Schizophrenie nicht beobachten. Die Zukunft wird lehren, wie welt sich diese Unterscheidung nicht nut theoretisch tragbar, sondern auch diagnostisch und unter Um- st/inden therapeutisch fruchtbar erweist.

Es kann das hier aufgestellte zun/ichst nut fiir die besprochenen schizophrenen Erscheinungen gelten: Den Gedankenentzug, das Fremd- heitserleben, die gemachten Erlebnisse, das optische und akustische tIalluzinieren, das Bedeutungserleben, die Ratlosigkeit, das Verr/~tselt- sein und die Inkoh/~renz bzw. das Vorbeireden. Dutch diese genannten Phanomene l~Bt sich allerdings ein Entwicklungsgang hindurchver- folgen, der ihre Beziehungen untereinander in einem anderen Lichte darstellt, als bei rein ph/inomenologischer Betrachtung. Dabei traten Verwandtschaften zwischen einzelnen krankhaften Besonderheiten zutage, die zum Einreil~en yon Grenzziehungen zwangen, die der reinen Ph/~no- menologie zun/ichst unmSglich erscheinen miissen. Indessen konnte klar gemacht werden, dab es dabei der Ph/inomenologie, die sich an der Beschreibung des Gesamts einer bestimmten Erscheinung h~tlt, oftmals an Kriterien mangelt, welche die nahe Verwandtschaft zwei verschiedener Ph~tnomene verdeutlichen. So stellen sich in der Funktionsanalyse die Differenzen zwischen Fremdgedanken und Halluzinieren als keineswegs grundlegende dar, w~thrend die Phgnomenologie diesen Schritt nicht mit- machen kann unter Berufung darauf, da$ beides ffir sich, d.h. als Erlebnis genommen, keine irmere Verwandtschaft erkennen lasse. Dabei wird

Funktions~nMyse in der Schizophrenic. 569

man ihr den I-Iinweis darauf nicht ersparen k6nnen, dag sie an Begriffen haftet, die dem Normalen entnommen sind, das sind Kategorien, die im Sehizophrenen oftmMs ihre Giiltigkeit verlieren, worauf SchrSder sehon hinwies, und was C. Schneider ebenfalls im Hinblick auf die Jaspersehen Raumkriterien auseinandersetzte. Funktionsanalytiseh aber stellen sich die bier besproehenen sehizophrenen Symptome als eine kontinuierliehe Gliederreihe dar, an deren Anfang der Gedankenentzug und an deren Ende die Inkohirenz bzw. das Vorbeireden steht und deren Mitte dutch Sinnestiuschungen gebildet wird. Diese l~eihe mit ihren weiteren Glie- dern wird im Krankheitsgesehehen tats~ehlieh aueh oft durehlaufen. Daneben kann es, auger zu Remissionen an jedem Punkte und zu Still- stgnden, aueh noeh zu Abzweigungen kommen, yon denen bier nur der ratlose Stupor und das DauerhMluzinieren genannt seien. In sehr raseh progredienten F/~llen t r i t t uns in der Ratlosigkeit oder gar im Verritselt- sein der fiir diesen sehnellen Verlauf eharakteristische Wendepunkt ent- gegen, yon dem aus es entweder zuriiekl~uft zur Remission oder abet geradewegs weitergeht in die Inkoh~renz.

Die Fruehtbarkeit iunktionsanalytiseher Gedankenginge konnte an der verschiedenartigen Wirkungsweise der modernen Therapien noehmals vorgefiihrt werden. Dabei war den Chemotherapien ein primgr auf die Funktionen, der Arbeitstherapie ein auf das Material geriehteter Einflug zuzusehreiben.

Die affektiven Ver~tnderungen dagegen, ebenso die Erseheinungen des lgppisehen l~aselns, der katatonen Manieren, die Leibhalluzinationen und ein Teil der Wahnbildungen, soweit sic sieh nieht aus den Bedeutungs- erlebnissen zwanglos ableiten liegen, fanden bislang noeh keine Bearbei- tung. Doeh stehen aueh hier der Funktionsanalyse prinzipielle Sehwierig-

,keiten wohl nieht entgegen. Es ist aber sehr wahrseheinlich, dag der Wag dazu erst dann frei werden wird, naehdem zuvor die biologisehen Beziehungen geklart worden sind, die bestehen zwisehen Affekt und Bewegung.