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FURIOS STUDENTISCHES CAMPUSMAGAZIN AN DER FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN KOSTENLOS 03 DEZ 2009 AUSSERDEM: INTERVIEW MIT JOY DENALANE FURIOS TAGESAKTUELL ONLINE: FUCAMPUS.DE HUMBOLDT EINE DEUTSCHE AFFÄRE

FURIOS 03 – Humboldt

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FURIOS, das studentische Campusmagazin an der FU Berlin, Ausgabe 07 mit dem Titelthema "Humboldt – Eine deutsche Affäre".

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Page 1: FURIOS 03 – Humboldt

FuriosStudentiScheS campuSmagazin an der Freien univerSität Berlin

Kostenlos

03

DEZ 2009

AuSSErDEm: IntErvIEw mIt Joy DEnAlAnE

Furios

tagesaktuell

online:

Fucampus.de

HumboldtEInE DEutSchE AffärE

Page 2: FURIOS 03 – Humboldt

Ernst Reuter (1889–1953) hatte als Oberbürgermeister von Berlin(ab 1950 Regierender Bürgermeister) entscheidenden Anteil an derGründung der Freien Universität Berlin, die am 4. Dezember 1948im Titania-Palast in Steglitz gefeiert wurde. Immer wieder regte er an, einen Förderverein ins Leben zu rufen. Sein Wunsch wurde nachseinem Tod als Vermächtnis verstanden und am 27. Januar 1954 in dieTat umgesetzt. In der ERG treffen sich seit über 50 Jahren Studierende,Absolventen, Freunde, Förderer und ehemalige Mitarbeiter undMitarbeiterinnen. Sie sind herzlich eingeladen, sich über die Arbeit desFördervereins zu informieren.

Im Rahmen Ihrer Mitgliedschaft in der ERG erhalten Sie1. Einladungen zu Veranstaltungen der ERG und der FU2. Zedat-Account mit E-Mail-Adresse3. Ermäßigungen für Veranstaltungen

(Collegium Musicum und Lange Nacht der Wissenschaften)4. Ermäßigung für die GasthörerCard5. Mitarbeitertarif beim Hochschulsport6. Ermäßigung für Weiterbildungsangebote7. Mitarbeitertarif in der Mensa8. Magazin WIR für die Ehemaligen9. auf Wunsch Zusendung der FU-Tagesspiegelbeilage

und des Wissenschaftsmagazins fundiert10. Ermäßigung für das Berliner Kabarett Theater Die Wühlmäuse

Stand: Februar 2008

Die ERG widmet sich verstärkt der Kontaktpflege zu den Ehemaligender Freien Universität Berlin. Als Mitglied können Sie überFachgrenzen und Studienzeit hinaus an Leben, Arbeit undEntwicklung der Freien Universität teilnehmen. Die ERG ist alsgemeinnütziger Verein anerkannt. Spenden und Mitgliedsbeiträgesind steuerlich absetzbar.Berliner Sparkasse, BLZ 100 500 00 · Kto. 101 00 101 11Mitgliedsbeiträge und SpendenBerliner Sparkasse, BLZ 100 500 00 · Kto. 101 01 523 58Stifterfonds Ernst-Reuter-Stipendienprogramm

Unsere AktivitätenΩ Verleihung der Ernst-Reuter-PreiseΩ Verleihung der Ernst-Reuter-StipendienΩ Unterstützung der Jubiläumsfeiern Silberne und Goldene PromotionΩ Fundraising für den Stifterfonds des Ernst-Reuter-StipendienprogrammsΩ Reuterianer-ForumΩ Druckkostenzuschüsse zu DissertationenΩ Verwaltung von 2000 MitgliedernΩ Verwaltung von fachbereichsbezogenen KapitelnΩ Drittmittelverwaltung zweckgebundener ZuwendungenΩ Gesellschafter der ERG Universitätsservice GmbHΩ Herstellung von Kontakten zu Absolventen mit dem Ziel der

Netzwerkbildung

Wir freuen uns auf Sie

Ich möchte der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer &Ehemaligen der Freien Universität Berlin e. V. beitreten (bitte ankreuzen):

Mitgliedschaft / normal(Mindestbeitrag 50,00 D/ Jahr)

Mitgliedschaft / ermäßigt(Mindestbeitrag 10,00 D/ Jahr für Studierende und Ehemalige einschließlich der

ersten drei Jahre nach Exmatrikulation, bitte Nachweis beilegen)

Institution / Firma(Mindestbeitrag 150,00 D/ Jahr)

FördermitgliedschaftIch bin bereit, statt des Mindestbeitrags von 50,00 D

eine jährliche Spende von zu zahlen.

Ich möchte dem Kapitelzugeordnet werden (optional)

Geschäftsstelle:Die Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer und Ehemaligender Freien Universität Berlin e. V.Kaiserswerther Str. 16 – 18 · 14195 BerlinTelefon Büro des Vorstandes: 030 – 838 570 38Irma Indorf [email protected] Mitgliederverwaltung und Finanzen: 030 – 838 530 77Sylvia Fingerle-Ndoye [email protected] 030 – 838 530 78www.fu-berlin.de/alumni/erg

Hiermit beantrage ich die Mitgliedschaft in der Ernst-Reuter-Gesellschaft

Vorname Name E-Mail

Geburtsdatum Akad. Grad/Titel/Funktion Beruf/Position

Straße PLZ, Ort Telefon/Fax

Ich habe an der FU studiert von–bis

Ich war an der FU tätig von–bis

Ich möchte die FU-Tagespiegelbeilage per Postversand ja nein(www.fu-berlin.de/presse/publikationen/tsbeilage.html)

Ich möchte das Wissenschaftsmagazin fundiert per Postversand ja nein(www.elfenbeinturm.net/fundiert)

Ich bin einverstanden, dass die Angaben zu Vereinszwecken in einer rechnergestütztenAdressdatei gespeichert werden. Alle Angaben sind freiwillig.

Hiermit ermächtige ich Sie widerruflich, die zu entrichtenden Zahlungen bei Fälligkeitzu Lasten des Kontos

Kontoinhaber

Kontonummer BLZ Geldinstitut mit Ortsangabe

durch Lastschrift einzuziehen. Datum Unterschrift

Antrag auf Mitgliedschaft

erg_anzeige_wir 07.02.2008 8:33 Uhr Seite 1

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Page 3: FURIOS 03 – Humboldt

2009 jährt sich nicht nur der Mauerfall rund, auch Wilhelm von Humboldt und die Reform von Bologna haben zu feiern. Der eine gründete vor zweihundert Jahren die heutige Humboldt Universität, die andere wurde zehn Jahre alt. Zeit für ein Bildungs-heft.

Der Fall Humboldt ist eine deutsche Affäre. Wo es hierzulan-de um die einzig wahre Bildung geht, darf der ehemalige Kultus-minister Preußens nicht fehlen. Ob die Debatte von Bologna-Reformern, Bildungsstreikern oder Bummelstudenten geführt wird, ist dabei Nebensache. Wir haben die schrägsten Auftritte des Bildungskaspers zusammengestellt und den Historiker Heinz-Elmar Tenorth gefragt, wie sich der echte Humboldt eigentlich mit Bologna verstanden hätte. Außerdem haben wir die wichtigsten Uni-Reformer des Landes auf eine große satirische Beamtenparty geladen und unseren Gründungsredakteur Tin Fischer seine bolog-nesische Studienzeit reflektieren lassen.

Auf unserer Webseite www.furios-campus.de findest du tages-aktuelle Berichte und Meinungen zu Hochschulpolitik und Cam-pusleben. Außerdem kündigen wir dort die besten Veranstaltungen von und für Studenten der FU an. Für’s neue Jahr haben wir uns bereits einiges vorgenommen. So viel sei verraten: Wir melden uns mit Videokommentaren aus den Winterferien zurück.

Falls du für FURIOS schreiben, zeichnen und fotografieren willst oder dein Werbe- und Organisationstalent einbringen möchtest: Die Termine unserer Redaktionstreffen findest du online, komm einfach mal vorbei!

Ob Diplom, Magister, Bachelor oder Master: Ein tolles Semester wünscht euch

Eure FURIOS-Redaktion

Für die optik sorgen:

mitmacHen?www.fucAmpus.de/mitmAchen

[email protected]

lIEbE KommIlItonInnEn,

lIEbE KommIlItonEn,

Furios 03 ImprESSum

Chefredakteurin: Claudia Schumacher (V.i.S.d.P., Bitscher Straße 6, App. 15, 14195 Berlin)Stellvertretender Chefredakteur: Laurence ThioRessortleitung Campus: Björn StephanRessortleitung Kultur: Marlene GöringRessortleitung Politik: Laurence Thio

www.furios-campus.de [email protected]

Redaktionelle Mitarbeiter dieser Ausgabe:Carolin Benack, Jonas Breng, Nick Flamang, Frauke Fentloh, Tin Fischer, Nicolas Fuchs, Christian Güse, Marie Haustein, Tobias Heimbach, Clara Herr-mann, Daniela Hombach, Sophie Jankowski, Eva Jirjahlke, Viola Köster, Moritz Leetz, Julia Levenson, Christina Peters, Konstanze Renken, Catarina von Wedemeyer, Lilli Williams, Kim Winkler, Johanna ZidekIllustrationen: Pia Bruer, David Goldwich, Jona-than Schmidt, Michi Schneider, Christoph WittFotografen: Cora-Mae Gregorschewski, Alexander Ziegler

Layout: David GoldwichLektorat: Anna BlumeInserate: Johann Haber, Tobias Heimbach – [email protected]

Jeder Autor ist im Sinne des Pressegesetzes für den Inhalt seines Artikels selbst verantwortlich. Die in den Artikeln vertretenen Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Ansicht der Redaktion wider. Gemäß dem Urheberrecht liegen die Rechte an den einzelnen Werken bei den jeweiligen Autoren.

studiert Informatik und Philosophie und würde gerne mal ein Uni-Fuß-ballturnier veranstalten.

studiert Biologie, malt lei-denschaftlich gern und hat ihre Fotos aus FURIOS auch schon in der SZ und im TIP veröffentlicht.

studiert Kunstgeschichte und Anthropologie und ist als Künstler tätig. Er hat eine schwarze Katze und im Januar erscheint sein erstes Kinderbuch.

David Goldwich

Michi Schneider

Cora-Mae Gregorschewski

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EDItorIAl

furIoS 03/2009

Page 4: FURIOS 03 – Humboldt

inhalt 03empörte studentin 5

titelthema humboldtHumboldt missverstanden: Heinz Elmar Tenorth 6

Der Bildungskasper: Ideologien für jeden zum Überziehen 8

Wir Baustellenkinder: Warum Bologna nicht der Rede wert ist 10

Die Partybolognese: Deutschlands Reformbeamte feiern ab 12

4 / 40 0004 / 40 000: 40 000 Menschen an der FU. 4 von ihnen sind hier 14

campusDer Geist aus der Maschine: Eine akademische Revolution 16

Forschungsfragen an das Dahlem Brain 17

Rezensionsreportage: Auftragsforschung am SFB 700? 18

politikZum Abschluss freigegeben: Absolventen in der Finanzkrise 20

I’m not your president! Unipräsident Dieter Lenzen tritt ab 22

Das Geld der Unsichtbaren: Der AStA und sein Haushalt 24

kultur„Ich brauche für alles Struktur“: Joy Denalane im Gespräch 26

Flaneur: Dahlems Friedhöfe. Dem Tod auf der Spur 28

Veranstaltungskalender 30

WarenFetisch: Club Mate 31

bildlegendeFU ohne AStA? Geschichte eines blauen Weckers 32

die internationaleBrussels’ Real Theatre 33

uni in Zahlen 34

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InhAlt

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Page 5: FURIOS 03 – Humboldt

titüde, die ihr Nicht-Grüßer hier an den Tag legt. Wahrscheinlich kommt noch ein Schuss Neuberliner Arroganz dazu! Mir reicht’s ehrlich gesagt!

Es geht auch anders: Ein Freund von mir kam von einer kleinen, beschaulichen Universität an die FU Berlin. Er grüßte zunächst auch noch. Schnell wurde ihm aber klar, dass er so nicht weiter kommt. Eine Zeit lang brüllte er jedem Nicht-Grüßer nach seinem »Hallo« ein trotziges »Ich kenn Dich auch nicht!« hinterher. Durch diese Sanktion ist er zu einem der meistgegrüßten Studenten aufge-stiegen, die mir je in Dahlem untergekommen sind.

Also, das nächste Mal, sagt ihr »Hallo« oder ich mach es! ■

Auch empört? schreib An [email protected]!

Wegschauen, vorbeischauen, runterschauen: Warum kriegen Studierende kein »Hallo« raus?!Ein aufrüttelnder Brief von lAurenziA thio.

michi schneider hat die Empörte in Öl verewigt.

die empörte studentin

Liebe Nicht-Grüßer!

Ich weiß nicht, ob es an eurer Erziehung liegt oder ein seltsames Überlegenheitsritual älterer Semester ist: Aber warum in Gottes Namen sagt ihr nie »Hallo«?

Es ist ja nicht so, als würden wir uns nicht kennen. Wir sind zwar keine Freunde, aber wir studieren am gleichen Institut, wir gehen in dieselben Vorlesungen, wir spionieren uns gegenseitig in Online-Netzwerken aus, manchmal halten wir sogar gemeinsam Referate und reden miteinander. Und danach: wieder kein Hallo!

Die ersten ein bis zwei Male denkt man, es handele sich um ein Versehen (Grußphase 1). Vielleicht hat das Gegenüber nicht schnell genug reagiert. Spätestens beim dritten unbeantworteten Gruß, der bis dahin häufig zu einem Nicken degeneriert ist (Gruß-phase 2), geht man selbst zum Ignorieren über. Was dann über die nächsten sechs Semester folgt, ist eine Aneinanderreihung von Vermeidungsstrategien (Grußphase 3): wegschauen, vorbeischau-en, runterschauen, Handy beschauen. Ich schildere hier nicht nur meinen persönlichen Fall, die Allgemeingültigkeit des Umstands wird tagtäglich demonstriert. Keiner scheint keinen zu kennen, aber eigentlich kennt jeder jeden! Wir befinden uns auf dem FU-Campus mittlerweile in einer permanenten Fahrstuhlsituation. Ich studiere nicht Psychologie, weiß aber: Das ist bedenklich.

Eigentlich sind von allen Gesellschaften, gleich ob archaisch, vormodern oder modern, Begrüßungsrituale übermittelt. Unter Freunden funktionieren diese Rituale auch auf dem Campus nach wie vor. Doch geht es um das Netzwerk »Kommilitonen«, setzt diese universalistische Natur der Begrüßung bei einigen Zeit-genossen aus oder wird sogar bewusst unterdrückt! Schauen wir doch zurück: Früher waren Stirn-, Hand-, in einigen Krei-sen auch Fußküsse Teil der Begrüßung. Die Herren hoben später den Hut, die Damen knicksten. Heute kriegen Stu-denten kein verhuschtes »Hi« mehr hin. Das ist gefährlich, finde ich.

Um eins klar zu machen: Die Verweigerung des Begrü-ßungsaktes beziehungsweise das beständige Ignorieren ist eine Normverletzung. Man kränkt das Recht des anderen auf Anerkennung! Im Mittelalter Anlass Fehden zu begin-nen, Rache zu vollziehen und sich gegenseitig die Zunge aus dem Mund zu schneiden. Nur mal so zur Info!

Meine Vermutung: Es geht um Macht oder Erhalt des Status Quo. Begrüßungsrituale sind nichts anderes als kommunikative Handlungen und die sind natürlich geprägt von Machtverhältnis-sen! Wer es nicht nötig hat, zu grüßen, ist mächtig, hat wohl viele Freunde, braucht niemanden, kann alle ignorieren. Das ist die At-

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EmpörtEr StuDEnt

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Der Bildungshistoriker Heinz-Elmar Tenorth im Gespräch über einen ständig missverstanden Bildungsrevoluzzer und die Schwächen der Bologna-Reform.

Das Interview führte nicolAs fuchs — Illustration: michi schneider

»Humboldt Hätte bologna unterstützt«

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Im Jahr 1809 wurde Wilhelm von Hum-boldt Chef der Sektion für Unterricht und Kultus. Was fasziniert die Menschen auch nach 200 Jahren an seiner Person?Hochkonjunktur hat Humboldt seit zehn Jahren, seit dem Beginn der Hoch-schulreformen in Deutschland. Mit ihm kann man an wenigen Gelenkstücken die Grundprinzipien der deutschen Univer-sität markieren und sie als schon immer in Geltung und typisch für die deutsche Universität darstellen.Welche Ansichten sind für ihn charakte-ristisch?Einsamkeit und Freiheit, die Einheit von Forschung und Lehre – als Formel übrigens bei Humboldt nicht zu finden –, außerdem die Gemeinschaft der Lehren-den und Lernenden und Forschung als universitäres Prinzip. Diese vier Grundsät-ze bilden die Universität. Meistens nimmt man als fünften Grundsatz noch die Auto-nomie gegenüber dem Staat hinzu.Warum sind diese Texte erst rund 100 Jahre nach seinem Wirken populär geworden?Es handelt sich dabei um amtsinterne Denkschriften, die in den Archiven lagen. Nach der Universitätsgründung in Berlin haben die offenbar die Öffentlichkeit nicht interessiert. Richtig prominent wurden Humboldts Texte in der Frühphase der Weimarer Republik.Haben Humboldts Ansichten 200 Jahre später überhaupt noch eine Berechti-gung?Ja. Jedes System braucht Reflexion und meiner Meinung nach bietet Humboldt die schönste, eleganteste, bequemste, visionärste und kürzeste Möglichkeit, diese Selbstbeschreibung für die Universität zu formulieren. Ich wüsste keine Alternative.Ist es falsch sich auf ihn zu berufen?Nein, es ist richtig. Man kann sich zu Recht auf Humboldt berufen, wenn man eine Universität sucht, die Forschung und Lehre verbindet. Eine, die sich zwar über Forschung definiert, aber ohne Studieren-de nicht denkbar ist. Humboldts Texte sind dann einfach die besten.

Ein Gespenst in der Bildungsdebatte ist das »humboldtsche Bildungsideal«, das häufig im Sinne eines Langzeitstudiums ohne Leistungsdruck und Lehren ohne Verantwortung auftaucht. Würden sie uns den Begriff noch einmal erklären?Zunächst einmal generell: Langzeitstudi-um ohne Leistungsdruck, Lehren ohne Verantwortung, das hat mit Humboldt nichts zu tun. Nach dem humboldtschen Bildungsideal im Kontext der Universität bildet die intensive Hingabe an wissen-schaftliche Arbeit und Forschung zugleich professionelle Expertise und den Charak-ter.Wie hat sich das Verständnis dieses Be-griffes über die Jahrzehnte/Jahrhunderte gewandelt? Häufig wird Humboldts Ideal dahinge-hend interpretiert, dass man sich nicht be-rufs- oder fachbezogen qualifizieren müsse. Das ist aber Unsinn. Humboldt wollte, dass man sich in seinem eigenen Fach zum Experten macht und dabei den Charakter bildet. Dabei dachte er an die klassischen Fakultäten: Pfarrer, Juristen und Mediziner und an die Philologen. Prüfungen dienten in seinem Sinne dazu, die Nation vor ungeeigneten Leuten zu schützen.Es gibt also Missverständnisse. Könnten Sie die näher erläutern?Es existiert ein Bild, gerade in den Köpfen der Reformgegner, das stark vom wahren Humboldt abweicht. Er wollte keinen frei-schwebenden Kritiker erzeugen, sondern er kannte die Verantwortung der Akademiker in Beruf und Gesellschaft.Blicken wir auf den Bologna-Prozess. Die Reform zum Bachelor-/Mastersys-tem hin ist umstritten. Weicht Bologna wirklich vom Bildungsideal Humboldts ab?Nach meiner Meinung gibt es keine wesentliche Abweichung. Die zentralen Elemente des Bologna-Prozesses sind bei Humboldt schon vorhanden, von Kompetenzorientierung bis Stufung. Sie finden viele Zitate Humboldts, aus denen hervorgeht, dass er den idealen Studen-ten, der nur Philosoph ist, als eine ganz kleine Minderheit sieht. Die Mehrheit der Studenten will einem Gewerbe nachgehen, das weiß er. Für diese Studenten soll die Universität auch höhere Schule sein, das heißt sie muss die verschiedenen Voraus-setzungen, die Studenten mitbringen,

akzeptieren. Da sehe ich Bologna ganz nah an Humboldt, weil es eine berufsbildende Grundlage schaffen will und nicht für alle die höheren Weihen vorsieht.Humboldt hätte die Bologna-Reform also unterstützt?Ja, Humboldt hätte die Bologna-Reform unterstützt. Ich bin mir ziemlich sicher. Auch wenn er die Umsetzung kritisiert hätte.Wieso schreiben sich dann die Bologna-Gegner Humboldt aufs Banner?Die deutsche Universität hat sich schon immer mit humboldtschen Texten stili-siert. Beispielsweise, als 1918–20 versucht wurde, die Universitäten in den demokra-tischen Staat zu holen. Die Universitäten wehrten sich und benutzten Humboldt, um sich gegen die Kontrolle ihrer Lehre und Leistungspflichten abzuschotten.Vielen fehlt im Bachelor-/Master-System der Blick über den Tellerrand.Im Bologna-System gibt es ein Missver-hältnis von Präsenzzeit und Eigenstu-dienzeit – eine Schwäche der Reform. Humboldts Intentionen sind andere. Die Formel von Einsamkeit und Freiheit soll jedem die Möglichkeit schaffen, für sein Lernen verantwortlich zu werden. Das begrenzte Zeitbudget, das den Blick in an-dere Disziplinen erschwert, halte ich daher für einen Fehler.Gibt es Vorurteile gegenüber Humboldt, mit denen Sie jetzt aufräumen möchten?Humboldt wollte Experten als Weltver-besserer. Es scheint mir das schlimmste Vorurteil zu sein, Humboldt zu einem esoterischen weltabgewandten Betrachter zu machen und das für Bildung in seinem Sinne zu halten.Nach welchem Leitgedanken unterrich-ten Sie ihre Studenten?Ich folge einem simplen Grundsatz: Bil-dung und Studium bedeutet eine Zweistu-figkeit von Initiation und Reflexion. Man muss in das Gebiet so eingeführt werden, dass man die Methoden zu beherrschen lernt, dass man die Fragestellungen kennt. Das ist Initiation, deswegen sind Vorle-sungen mit begleitenden Veranstaltungen wichtig. Reflexion bedeutet, die Grenzen des eigenen Faches sehen zu können und kompetent zu werden, diese Grenzen durch eigene Forschung auch aufzuheben. ■

Nicolas Fuchs studiert VWL und arbeitet für das Interne-tradio BLN.FM

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Was haben proletarische Bologneser und das linke Bildungsbürgertum gemeinsam?Eine Plapperpuppe namens Humboldt. clArA herrmAnn und sophie JAnKowsKi über die

schrägsten Auftritte des deutschen Bildungskaspers.

Illustration: michi schneider

der bildungskasper

Wilhelm von Humboldt – leuchtende Galionsfigur der »wahren« Bildung. Moralische Keule im Kampf um un-ser kränkelndes Bildungssytem. Die Ritter der »Grals-

burg der reinen Wissenschaft«, wie ein Professor in den 1920ern Humboldts Universität sakral-esoterisch verklärte, kämpfen heute um die letzten Schutzwälle. Es herrscht Grabesstimmung. Elite und Bologna sollen der Freiheit von Lehre und Forschung schwer zugesetzt haben. »Das humboldtsche Bildungsideal: life in agony«. Ein Melodram?

Soviel ist sicher: Das humboldtsche Bildungsideal anzutasten gilt als Kapitalverbrechen – als Mord an der guten deutschen Bildung. »Humboldts Universität ist tot!« verkündete 1997 der damalige »Zukunftsminister« Jürgen Rüttgers bei der Jahresversammlung der Hochschulrektorenkonferenz in Siegen. Ein Aufschrei ging durch die Republik.

Eine schaurige Vorstellung. Das dachten sich wohl auch die Studenten des SDS an der Humboldt Universität Berlin. Als 2007 der Kampf um den Elitestatus entschieden war und die HU leer ausging, zelebrierten sie eine Trauerfeier. Sie trugen das »humbold-tsche Bildungsideal« im Sarg zu Grabe (Youtube-Stichwort: »Exzel-

lente Lehre statt nur Eliteforschung!«). »Elite für alle! Ex-zellente Lehre statt nur Elitefor-schung«, so die Forderungen. Und während die einen die Leidens- und Sterbensgeschichte des traurigen Ideals

in Szene setzen, schicken die anderen Humboldt in den Ring. Im »University Death Match« von »ZuckerTV« (studentisches Inter-netfernsehen der Uni Köln) liefern sich Humboldt und Pinkwart, der seinerzeitige Innovationsminister von NRW, ein grandioses Knetfigurenmassaker. Die Waffen sind wohl gewählt: Pinkwart rammt Humboldt mit Bachelorknife und einem dicken Koffer vol-ler Drittmittel in den Boden und Humboldt antwortet mit einem heimtückischen »Bildung für alle«-Banner. Eliteagenten in Anzü-gen und Proteststudenten bilden die Nachhut.

»Both claim to be the protector of the Bildungsfreiheit … but what the fuck does that mean?«, so der Kommentator des Kampfes. Eine berechtigte Frage, wie wir finden. Worum geht’s hier über-haupt? Und wer ist eigentlich dieser Wilhelm? Alexander, den kennt man. Der Weltenbummler, dessen Name zahlreiche Orte, Landschaften und Tiere (Spheniscus humboldti – ein Pinguin) ziert, läuft seinem Philosophenbruder den Rang ab. Da hilft alle Imagepflege nichts. Dem humboldtschen Bildungsideal ergeht es nicht besser. Sein größtes Vermächtnis ist eine bekannte, aber substanzlose Phrase. Und dennoch sind sich alle einig: Das Ideal muss geschützt werden. Gerade so als hätte man es mit besagtem humboldtschen Frackträger zu tun, der irgendwo an der Westküste Südamerikas vor sich hin wackelt und mit unserem Leben nicht mehr zu tun hat als die monatliche Überweisung an die Tierschutz-organisation.

In der aktuellen Bildungsdebatte geistert das Ideal durch Bücher und Diskussionsrunden, liegt schwer in aller Munde und scheint variablengleich in jede Argumentation einsetzbar. »Das einstige humboldtsche Bildungsideal vom kritischen und freien Denken findet in den aktuellen neoliberalen Schulreformen mit Kopfno-

Sophie Jankowski studiert Biolo-gie und wird in der Diplomarbeit nächstes Jahr Zellen züchten. Allerdings würde sie viel lieber Schach spielen lernen.

Clara Herrmann studiert Literatur, schreibt gerade ihre Masterarbeit und ist Hilfskraft der Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien.

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ten und G8 keinen Platz mehr«, heißt es im Parteiprogramm der münsteraner Linken. Von der positiven Beeinflussung des Men-schen durch Kunst und Kultur »im Sinne des humboldtschen Bil-dungsideals« spricht aber gerade Westerwelle beim Kulturfrühstück der FDP-Bundestagsfraktion in Köln. Wer ist hier der Mörder und wer betreibt propagandistischen Artenschutz? Die Konfusion ist perfekt.

An der FU sieht es nicht anders aus. Laut dem AStA hat die »auf dem Reißbrett von Eliten« entworfe-ne heutige Bildungsstruktur der FU mit Freiheit und Einheit von Lehre und Forschung nicht viel zu tun. »Ungleich, unfrei und entsolidarisiert« seien ihre Prädikate, Studiengebühren, Bachelor-/Mastersystem und die Exzellenzinitiative mit dem humboldtschen Bildungsideal unvereinbar. Das Studium »einfach mal fünf Semester länger« dau-ern lassen – eine ganz eigene Auslegung von Bil-dungsfreiheit. Diese Positionen formulierte der AStA in einer Rede auf der Immafeier 2008. Die Verwirrung der Erstsemester muss groß gewe-sen sein, hatte doch ein paar Minuten zuvor FU-Präsident Lenzen, ein laut AStA »markanter Vertreter der neoli-beralen Ideologie«, die FU als »mo-dernisierte Wiederaufersteh-ung des humboldtschen Universitätsgedankens« bezeichnet und von der »Einsamkeit« des Lernenden als eines der Grundprinzipi-en des humboldtschen Bildungsideals erzählt. Der von ausgesuchten Privatlehrern unterrichtete Wilhelm, der nie eine Schule von innen sah, dient offenbar ebenso vorzüglich der Legitimation studentischer Freiheitsan-sprüche wie als Vordenker einer einsamen Elite und Wegbereiter der Exzellenzu-niversität. Lenzen als Universitätsherr-scher von Humboldts Gnaden einer autoritär geführten »Gralsburg der reinen Wissenschaft«? »Die Uni bin ich« betitelte »Die Zeit« ein Portrait Lenzens mit Bezug auf seinen umstrittenen Führungsstil.

Ein traditionsverliebter Kampf wird auf Humboldts Rücken ausgefochten. Dabei ist sein Mythos eigentlich viel jünger als man ihm nachsagt. Und damit fangen die Probleme auch schon an. Wer sich auf Hum-boldts Bildungsideal beruft und den guten alten Zeiten gedenkt, wo freie Studenten der 1810 gegründeten Berliner Universität

noch ohne Leistungsdruck in hoffnungsvoller Erwartung auf ihre Ausbildung zum »ganzen Menschen« blicken konnten, bringt ein paar Dinge gehörig durcheinander. Denn die als Kernstück der humboldtschen Universitätsidee bekannte Denkschrift »Über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin«, aus der so eifrig zitiert wird, war im 19. Jahr-hundert wenig präsent. Erst 1903 wurde sie vollständig publiziert als Humboldts Biograph Bruno Gebhardt die Schrift im Archiv entdeckte. Mit der Berliner Universität hat sie also strenggenom-

men so viel gemeinsam wie der Bologna-Pro-zess mit einem Nudelgericht. Die Gralsburg wird zum Luftschloss, errichtet auf einem verstaubten, undatierten und unvollende-ten Dokument.Und trotzdem überstrahlt Humboldts

Ruhm all die anderen zahlreichen neuhuma-nistischen Reformisten seiner Zeit wie Schlei-ermacher und Fichte, die die Forderung nach Freiheit und Einheit von Forschung und Lehre auch im Programm hatten. Das gehörte damals quasi zur Standardphiloso-

phie – Humboldt hin oder her.Als Lichtgestalt der Bildungsstätten wird

Humboldt mit seinem wohlklingenden Ideal jedoch schwer benötigt. Man kann die diffuse Sehnsucht nach etwas, das besser ist oder sein könnte als die heutige Bildungsrealität, gut

verstehen. Multiple-Choice-Klausuren, Punktejagd, Zeit-

druck, Geldnot, Gleich-förmigkeit der Lehre. »Könnte Humboldt das sehen, er würde sich im

Grabe umdrehen«, sagen viele Reformfrustrierte.Doch an der Stelle, wo sich der Popstar unter den Bildungsministern dem-nach in Dauerrotation befindet, ist es erstaunlich still. In der schattigsten Ecke des Humboldt-Schlossparks in

Tegel hat Wilhelm neben Alexander seine letzte Ruhe gefunden. Nur vereinzelt schlendern Touristen vorbei. Das mag an den Begrüßungsschildern der von Heinzens liegen, die als Humboldts Nachkommen heute im Schloss wohnen: »Privat«, »Ein-

gang zum Park jederzeit widerruflich«, »Be-treten auf eigene Gefahr«. Damit treffen die von Heinzens ins Schwarze: gut behütet und schwer zugänglich – so zeigt sich Humboldts Erbe. In der Nähe der Gräber wacht seit 400 Jahren eine dicker, hohler Baum. Eisenstan-gen halten den berstenden Stamm zusam-men. Die »Wilhelm von Humboldt Eiche«, wie es heißt. Doch noch etwas Greifbares, das den Namen des ewigen kleinen Bruders

trägt. Ein Baum für einen Pinguin. ■

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Nach zwei Jahren Magister ist unser Autor freiwillig auf Bachelor umgestiegen.Jetzt hat er den Master und denkt: Ach, Bologna. Nicht der Rede wert.

Von tin fischer — Illustration: michi schneider

Wir baustellenkinder

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Warum genau ich die Abschlussre-de halten sollte? Nun: Die eine Kommilitonin konnte nicht,

die andere wollte nicht und alle restlichen Masterstudenten sind noch nicht fertig. Blieb ich, der der Festgemeinde die Frage beantworten sollte, die gerade die ganze Bildungsrepublik bewegt: Wie war es, die-ses Bologna-Studium?

Liest man in diesen Tagen die Zeitungen von der Kreuzberger taz bis zur abendländi-schen FAZ, muss es schlimm gewesen sein. Die Studienbedingungen: »unannehmbar«. Das Studierverhalten der Studenten: »de-moralisiert«. Das Vergnügen am Studium: »sinkend«. Der Bologna-Plan als Ganzes: »gedankenlos«. Dabei schief gelaufen: »was nur schieflaufen konnte«. Die deutsche Universität nach der Reform: »zerstört«.

Alles war mit dabei, was in Deutschland zu einer Debatte gehört, die »geführt wer-den muss«. Von streitenden Philosophen in der ZEIT bis zu DDR-Vergleichen in der FAZ. Einmal soll das Bologna-Studium »wie ein sozialistischer Fünfjahresplan« riechen, dann wieder »den Geist von McKinsey« at-men. Dabei ging es mal wieder um nichts

Geringeres als das Grundsätzliche und das große Ganze. Ein Philosophieprofessor klagte, dass ihm an der Reform eine »über-zeugende kulturelle Leitidee« fehle, schlug einen Kompromiss vor, der jedoch prompt mit der Behauptung gekontert wurde, dass er kein »kohärentes Gesamtbild« ergeben würde, wie ein deutsches Hochschulsystem für das 21. Jahrhundert aussehen könnte.

Damit sollte man eigentlich eine Fünf-Minuten-Rede füllen können. Wenn man sich nicht a) von solchen Grundsatzdebat-ten restlos überfordert fühlen würde. Und wenn sich b) die Debatte zu meinem Stu-dium nicht in etwa so verhalten würde wie die Karaokegesänge an unseren Institutsfei-ern zum Originalgesang von Liam Gallag-her: permanent zu hoch.

Ich bin nach zwei Jahren freiwillig ins Bologna-System umgestiegen. Nicht etwa weil ich von einer kulturellen Leitidee ange-tan war. Ich fand einfach die alten Studien-gänge – wie soll ich sagen? – seltsam. Den akademischen Tiefpunkt erreichte mein humboldtsches Studium irgendwann in Se-

mester 4. An die krude Idee, dass wir Stu-denten, die von nichts eine Ahnung, aber immerhin zu vielem eine Meinung hatten, uns mit Referaten gegenseitig selbst unter-richten mussten, hatte ich mich allmählich gewöhnt. Dass ich aber ungestraft einen Lexikonartikel als Referat vortragen konnte und dafür auch noch zehn Leistungspunk-te erhielt, fand ich dann doch irgendwie zu viel. Ich dachte, dass ein bisschen Diszip-lin und Grundlagenwissen vielleicht nicht schaden können.

Soeben hat der Autor Adam Soboczinsky ein Pamphlet gegen die Bologna-Reform geschrieben. Er meinte, dass der deutsche Student wieder bummeln solle. Denn der deutsche Student sei auf eine Weise flei-ßig gewesen, »die man tatsächlich nur als bummelnd im Sinne von spazierend oder herumstreunend bezeichnen könne. Und es machten bisweilen ausgerechnet jene Karriere, die zum verwilderten, zum ab-sichtslosen, zum ungezwungenen Denken, zur störrischen Individualisierung, zu Ei-genständigkeit neigten. Die ebendas verab-scheuten, was den Universitäten heute ihr Heiligstes ist: verschulte Studiengänge mit

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Studienzeiten und Studienkonten, berufs-praktische Übungen, Kontrollen und Ver-gleichbarkeitskriterien …«.

Nach drei Jahren Bologna kann ich beru-higen: Selbst an meinem amerikanisch ge-führten Kennedy-Institut ist die Ordnung in etwa so heilig wie die Bibel dem Sonn-tagschristen. Ach, die Kontrolle. Klar hat Bologna so viele Regeln wie das Alte Tes-tament. Aber niemand kennt sie alle. Des-halb kann sie auch niemand kontrollieren. Tut man als Student so, als würde man sie kennen (»Ich habe in der neuen Studien-ordnung gelesen«), kann man sie sich selbst zurechtlegen (»Da steht jetzt neu: […]«). Es gibt Studenten, die haben aus dem Bolog-na-Chaos ganze Urlaubssemester herausge-schlagen.

Oder die Vergleichbarkeit. Natürlich ist unter Bologna jeder ECTS-Punkt genormt. Warum in einigen Seminare der Arbeits-aufwand trotzdem zehnmal größer war als in anderen? Er ist noch immer allein vom Dozenten abhängig. Bologna hin oder her: entscheidend ist nach wie vor einzig und al-lein, wo man studiert hat. In unserem Fall ist die Antwort aber weder »in Berlin« noch

»an der FU« noch »an einer Exzellenzuni-versität«, sondern: »auf einer Baustelle«.

Da stand die Bibliothek des Kennedy-In-stituts, die gerade in Schutt gelegt und neu aufgebaut wurde. Und da war die neue Stu-dienordnung mit ihren zahlreichen »hand-werklichen Fehlern«, die gemäß Bildungs-ministerin Annette Schavan jetzt endlich korrigiert werden sollten. Drei Charaktere haben sich beim Studium auf diesen Bau-stellen in unser Bewusstsein gebohrt. Zu-nächst natürlich die Bauarbeiter, die mit ihren Schlagbohrmaschinen das Gebäude die Richterskala hochtrieben und dabei KISS FM hörten. Da hatte man plötzlich neben sich ein Loch im Boden, aus dem lei-se »Knockin’ on Heaven’s Door« spielte.

Etwas weniger laut ging es im Institutsrat zu. Da sind jene Professoren, die bei jeder Regelkorrektur fürchten, gegen eine höhere Ordnung zu verstoßen; und jene, die ein Reglement nicht verändern können, weil das ein Eingeständnis wäre, dass auch die Studienordnung einer Exzellenzuniversität handwerkliche Fehler haben kann. So hat-

te man eines bald gelernt: Das Korrigieren von handwerklichen Fehlern, die sich auch durch viel Diskutieren und Zitieren alter Geistesgrößen nicht lösen, ist an deutschen Universitäten psychologisch schwierig.

Wir hatten mal eine Liste solcher Feh-ler für unseren Studiengang gemacht. Die schlechte Nachricht ist: es waren alles Din-ge, gegen die man weder überzeugend auf die Straße gehen noch eine flammende Rede halten kann. »Die interdisziplinäre Hausar-beit auf 10 Seiten und 5 Bücher reduzieren, da sie in der Regel in einem fachfremden Gebiet geschrieben wird und man auf kei-nen bereits vorhandenen Grundlagen auf-bauen kann« – das kann man nicht auf ein Transparent schreiben. Die gute Nachricht ist jedoch: Eine kurze Mail an den Dozen-ten genügt und der Fehler ist korrigiert. ■

Tin Fischer hat für seinen Master in Nordamerikanische Geschichte 1,5 Semester überzogen. Er war Gründungsredakteur von FURIOS. Heute arbeitet er als Journalist und erfindet Reportagen für das Zürcher Magazin Kinki.

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10 Jahre Bologna! mArlene göring fragte die wichtigsten Uni-Reformer des Landes nach ihrer Bilanz. Und bekam lauter gutgelaunte Antworten. Aus der Feierstimmung hat sie eine große

Beamtenparty gemacht. Eine Satire mit echten Zitaten.

Illustration: michi schneider

die partybolognese

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Es gibt eine allgemeine Erkenntnis«, so Birger Hendriks, »die grundlegen-de Bereitschaft zur qualitativen Ver-

besserung der Umsetzung des Bologna-Pro-zesses.« Mit wohlwollendem Nicken folgen die Gäste den Worten des Vorsitzenden der Arbeitsgruppe »Fortführung des Bologna-Prozesses«. Hendriks hält an diesem Abend die Erföffungsrede im »Dahlem Cube«, dem Science and Conference Center an der FU. Seine Zuhörer haben sich vor der Rednerbühne um geschmackvolle Tisch-gruppen drapiert. Moderne Kronleuchter verbreiten Zahnarztpraxenflair. Der illumi-nierte Glasbau fasst 1000 Menschen – nicht

annähernd genug Platz für alle, die als Be-auftragte, Ausschussteilnehmer, in Arbeits-gruppen oder als Bologna-Reformer an ihrem Fachbereich tätig sind. FU-Präsident Lenzen hat deshalb nur die wichtigsten Lenker zur »Festaktveranstaltung anlässlich der Fortführung des Bologna-Prozesses im Jubiläumsjahr« geladen. Gemeinsam feiern sie ihren Erfolg: Das Ziel, Deutschland bis 2010 komplett auf Bachelor und Master umzustellen, wurde »zu drei Vierteln« er-reicht.

Für Politiker sind offizielle Ansprachen ein notwendiges Übel. Doch Hendriks’ Vortrag verbreitet wohlige Stimmung. Mit

halb geschlossenen Lidern lauschen die Par-tygäste. »Der Zweck unserer Arbeitsgrup-pe ist der, die Kommunikation über den Bologna-Prozess zu verbessern, also besser zu transportieren«. Das hieße »einerseits das, was im Bologna-Prozess stattfindet, an die weiterzugeben, die man international ›Stakeholder‹ nennt, also die Beteiligten«. Nach drei weiteren Schachtelsätzen macht Hendriks eine rhetorische Pause. Wer fol-gen konnte, blickt anerkennend. Schöner ließe es sich selbst nicht auf der Homepage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung nachlesen. Hendriks lächelt in die Runde und lobt die Begegnung der

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Marlene Göring leitet das Kultur-Ressort bei FURIOS und studiert Literaturwis-senschaft. Auf Magister. Und ist sehr froh darüber.

Bologna-Beteiligten »auf Augenhöhe«. Als er die Bühne verlässt, stehen die Kul-tusminister zum Händeschütteln bereit. Hendriks verschwindet in ihrer Mitte. In Bildungsfragen haben die Kultusminister die größten Kompetenzen. Anders als die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) kann die Kultusministerkonferenz (KMK) nicht nur Empfehlungen geben, sondern auch politische Entscheidungen treffen.

Aber irgendeine Landtagswahl steht im-mer an. Und das Thema Bildung kann auf Länderebene schonmal zum politischen Beinbruch führen, weshalb Beschlüsse lie-ber vermieden werden. Der Party-Small-talk geht den Kultusministern gut von der Hand, niemand hat dem anderen etwas vorzuwerfen. Einträchtig versammeln sie sich ums Buffet. Aber wie sollen die Lecker-bissen aufgeteilt werden? Nach gründlicher Debatte ist der Minimalkonsens gefunden: Jeder bekommt drei Stücke vom Tablett di-rekt vor sich. Ähnlich lief auch das KMK-Treffen im Oktober ab. Dort wurden drei Kritikpunkte des Bildungsstreiks zum Bo-logna-Prozess als sinnvoll bestimmt. Nicht sinnvoll schien es der KMK allerdings, ver-bindliche Vorgaben festzulegen. Entspre-chend frei wird auch der Minimalkonsens auf der Party gehandhabt: Die Kaviarhäpp-chen sind vor der Zeit aus.

Entschiedene Worte findet nur KMK-Präsident Henry Tesch: »Der Bologna-Prozess darf nicht dazu führen, dass einfach nur alter Wein in neue Schläuche gegossen wird!« Von den Hochschulrektoren am Tre-sen erntet er dafür Stirnrunzeln. Sie blicken sich hilfesuchend um, der Seitenhieb ging in ihre Richtung. Die Kritik droht die Par-tystimmung zu drücken. Da fängt ein Gast mit senfgelber Fliege und roter Nase an, zu kichern. »Lasst uns Tanzen! Statt Polonaise machen wir heute«, er schaut erwartungs-voll in die Runde, dann prustet er: »eine ›BOLOGNESE‹!« Die Hochschulrektoren lachen auf. Sie trinken ihr Glas aus, legen sich die Hände auf die Schultern und tan-zen im Kreis.

Dieter Lenzen nutzt den ausgelassenen Moment, um Tesch zu kontern. Immerhin hat er als einer der ersten die »Reform der Reform« gefordert und die »Prüfungen auf den Prüfstand« gesetzt. Gebannt folgen die umstehenden Gäste seinen tautologischen Formeln. Die Trennlinien sind klar. Entwe-der die Politik ist Schuld, oder die Hoch-

schulen sind es. Lenzen weiß die Antwort: »Es ist allerdings darauf zu bestehen«, sagt der FU-Präsident und schaut nachdenklich auf sein Glas Weißweinschorle, »dass die tatsächlichen Verursacher von verbesse-rungswürdigen Bedingungen keineswegs in der Freien Universität Berlin gesucht wer-den dürfen.« Die finanziellen und gesetzli-chen Bedingungen würden durch das Land Berlin fixiert, die Europäisierung der Studi-engänge erfolge allein aus den Beschlüssen der KMK und auf EU-Ebene. Sein Blick sucht Margret Wintermantel, die Präsiden-tin der HRK. Sie setzt die Diskussion fort.

»Wir sind darum bemüht, die Reform, die von der Politik in internationalen Ver-trägen verabredet wurde, so gut wie mög-lich umzusetzen.« Wintermantel appelliert an das Mitgefühl der Umstehenden: »Es ist sehr schwierig für die Hochschulen, die ohne einen zusätzlichen Euro eine voll-kommen neue Studienarchitektur entwi-ckeln mussten.« Lenzen und Wintermantel prosten sich zu. Auch bei der studentischen Beteiligung am Bologna-Prozess sind sie sich einig. Natürlich sei es wichtig, Studen-ten mit einzubinden. Während Lenzen vor allem davon spricht, dass er lieber mit der »Basis« als mit »Funktionären« redet, kann Wintermantel mit persönlicher Erfahrung punkten: »Ich spreche mit vielen Studie-renden, die begeistert von ihrem Studium sind. Vor kurzem zum Beispiel mit einem Philosophie-Studenten aus Konstanz.« Die adrette Professorin sieht Hochschüler als ihre Partner an. »Natürlich haben die Stu-dierenden in einem Fachbereich die Mög-lichkeit, ihre Wünsche zu formulieren«, sagt sie, »Das muss ja nicht formalisiert werden über eine bestimmte Wahl.« Wintermantel setzt auf Selbstregulierung. Schon fast anar-chische Tendenzen machen sich da bemerk-bar. Für die Zuhörer ist klar: So nah dran am Studenten ist sonst keiner hier.

Könnten sie aber sein. Unbemerkt und etwas distanziert sind auch Studenten an-wesend. Zwei sind es, die übliche Anzahl der Sitze, die Studierende in den Bolog-na-Organisationen inne haben. Wenn sie überhaupt vertreten sind. Anja Gadow und Florian Kaiser sitzen im Vorstand des Frei-en Zusammenschlusses der StudentInnen-schaften (FZS). Sie arbeiten mit Studenten genauso wie mit ambitionierten Karrie-risten und alten Hasen, die Politik vor al-lem mit viel Sitzfleisch betreiben. »Damit

kriegen sie die Debatte tot«, beschwert sich Gadow. »Sie gehen auf die Studiproteste ein und sorgen für gute Presse.« So würde den Studenten aber bloß der Wind aus den Segeln genommen. Kaiser pflichtet ihr bei: »Dann heißt es: Warum demonstriert ihr denn schon wieder«, sagt der 25-Jährige, »sie kümmern sich ja darum, das muss sich erstmal niederschlagen.«

Wirklich passieren würde aber nichts. Auch heute gehen sie auf die Gäste zu und sprechen verschiedene Punkte an. Aber Mi-nister und Co. wenden sich meistens schnell anderen Plauderrunden zu. Das Manko der Studierendenvertreter ist ihre Halbwerts-zeit. »Bis man anfängt mit Hochschulpoli-tik, ist man im Zeichen von Bachelor schon fast wieder raus aus dem System.« Netzwer-ke müssen aber langfristig aufgebaut wer-den. Gadow, die schon länger im FZS aktiv ist, hat an einem Stehtisch Bekannte gesich-tet. Gemeinsam mit Kaiser geht sie auf sie zu. Der Psychologie-Student setzt heute auf Konfrontation. »Wieso wird die Forderung nach Vergleichbarkeit der Unis im Sinne des Wettbewerbgedankens interpretiert?«, fragt er die graumelierten Herren. »Das steht so nirgends bei Bolog…« – Da ge-hen die Lichter aus und Kaisers Stimme im Raunen unter.

Nur noch ein Spotlight beschreibt einen Kreis in der Mitte des Festsaals. Hinein tritt Lenzen. Hinter sich her zieht er einen kleinen Handwagen. Darauf liegen seltene FU-Merchandiseartikel, zum Teil aus sei-ner Privatsammlung. Die braucht er selbst nicht mehr, weil er Berlin schon bald in Richtung Uni Hamburg verlassen wird. Als er die handsignierten T-Shirts, Federhal-ter und Fähnchen unter seinen Freunden verteilt hat, leuchtet ein zweiter Spot auf. Unbemerkt hat Lenzens persönlicher Pres-sesprecher Goran Krstin einen Flügel in den Saal gerollt. Schon spielt er die ersten Akkorde. Sanft beginnt Lenzen zu singen: »And now, the end is near«. Die Partygäste haken sich ein und wiegen im Takt. Nicht wenige Augen werden feucht, als Lenzen in den vollsten Tönen den Refrain erreicht: »I did it … my way!«. ■

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cArmEn bAStElt. Carmen, 5 Jahre, ist die Tochter einer Literatur-Professorin und manchmal auch an der Uni.

Ich heiße Carmen und bin fünf. Nächstes Jahr komme ich in die Schule. Ich spiel’ auch Geige.

Manchmal bin ich bei meiner Mama in der Uni. Da ist es schön und gar nicht langweilig, ich kann da malen oder lesen. Ich war auch schon in der Bibliothek, die war echt groß!

Meistens bin ich in der Kita, da habe ich heute einen Weih-nachtsengel gebastelt. Der ist ganz dick. Wir haben nämlich Luftballons mit Kleister beklebt. Mein Engel ist noch nicht fertig und muss noch ein bisschen trocknen. Aber Arme hat er schon. Später male ich ihn rosa an, aber nicht alles. Und dann bekommt er goldene Flügel.

Wir machen hier ganz schön viele Sachen. Für die Picasso-Ausstellung (in der Cafeteria der TU, Anm. d. R.) hab ich eine Taube gemalt. Und ich hab eine Laterne gebastelt, für das Later-nenfest heute Abend. Meine Laterne ist ein Kürbis. Hoffentlich schneit’s nicht, sonst geht er kaputt. Am meisten macht es mir Spaß, eine Katze unterm Regenbogen zu malen.

* 40 000 Menschen sind an dieser Universität. 4 von ihnen sind hier. Notiert von JonAs breng, evA JirJAhlKe, cAtArinA von wedemeyer und JohAnnA zideK Fotos: corA-mAe gregorschewsKi und AlexAnder ziegler 4

40 000* hAfIZE vErKöStIgt. Studierende kommen und gehen, Hafize bleibt: Seit 19 Jah-ren arbeitet sie im Imbiss vor dem OSI.

Den Imbiss vor dem OSI haben wir nun schon seit rund zehn Jahren. Wir – das sind mein Mann und ich, ab und zu hilft uns auch mein Bruder. Davor haben wir oben die Kantine betrieben. Neun Jahre lang. Aber dann wollte das Studentenwerk die selbst übernehmen. Natürlich waren wir traurig, weil wir viele Geräte dort drin hatten. Wir hatten viel in die Kantine investiert und das war dann ziemlich umsonst. Aber eigentlich bin ich froh, dass wir sie abgegeben haben.

Die Arbeit auf dem Campus ist wunderbar. Wir sind sehr, sehr zufrieden. Die Studenten und Studentinnen sind so nett, fragen: »Wie geht es Ihnen? Was machen die Kinder?« Ich habe nämlich in der Zeit Zwillinge bekommen. Die sind jetzt zwölf Jahre alt. Und die Studenten grüßen, fragen nach, wir reden miteinander – finde ich wunderbar.

In letzter Zeit wird besonders gern vegetarisch gegessen – zum Beispiel Fladenbrot mit gebratenem Käse und Salat. Und belegte Brötchen! Das beliebteste ist das Tomaten-Mozzarella-Baguette. Das Basilikum-Pesto darauf mache ich immer selber.

Freitag ist es immer etwas ruhiger als an den anderen Tagen. An-sonsten sind die Ferienzeiten immer ein bisschen lang für uns. Da verdient man kaum, doch die Zahlungen müssen trotzdem gemacht werden. Ich meckere aber nicht. Wir sind zufrieden. Im-merhin haben wir einen Arbeitsplatz, sind selbstständig und die Arbeit macht Spaß.

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* 40 000 Menschen sind an dieser Universität. 4 von ihnen sind hier. Notiert von JonAs breng, evA JirJAhlKe, cAtArinA von wedemeyer und JohAnnA zideK Fotos: corA-mAe gregorschewsKi und AlexAnder ziegler

nInA lIEbt. Nina ist 16 und die wahrscheinlich jüngste Studentin auf dem Campus.

»Du bist erst 16?!« Viele schauen ungläubig, wenn sie hören, wie alt ich bin. Aber die Jüngste zu sein, ist eben auch ein bisschen Gewöhnung. Wenn man als Kleinste von vier Geschwistern auf-gewachsen ist, kann man wahrscheinlich sagen, dass ich in diesem Sinne ausreichend trainiert bin.

Manchmal kommt es mir selbst komisch vor, wenn ich mir den nasskalten Herbst hinter den Fenstern anschaue, aber ich habe das Gefühl, genau am richtigen Platz zu sein! Ich komme ursprüng-lich aus einer kleinen Stadt in Frankreich und studiere am OSI Politikwissenschaften, um irgendwann im Bereich der deutsch-französischen Beziehungen arbeiten zu können.

Ich war 13, als ich gemeinsam mit meinen Eltern das erste Mal in Berlin war und mich in die Stadt verliebt habe. Ich bin durch die Straßen gelaufen und wusste, dass ich hier studieren möchte. Nachdem ich zwei Klassen überspringen konnte und in diesem Jahr meinen Abschluss in Frankreich gemacht habe, ging alles re-lativ schnell.

Abends steige ich in die U-Bahn und fahre Richtung Wedding, wo ich gemeinsam mit meinem Freund (18) in einer kleinen Woh-nung lebe. Er ist Franzose, macht aber gerade sein Abi in Ber-lin und möchte ebenfalls in der Stadt studieren. Insofern bin ich nicht alleine hier, was mein Vater übrigens auch ganz gut findet.

fAlco EntDEcKt.Falco, 39, ist einer der letzten seiner Art: Er studiert Indoger-manistik.

Wir sind Entdecker, ein bisschen wie Archäologen, nur wir pinseln nicht. Wenn ein Archäologe einen mit Inschriften ver-zierten Topf ausgräbt, sagt er vielleicht: »Hey klasse, ein doppelt gebrannter Topf aus der Soundso-Zeit!« Wir würden sagen: »Ja toll – und was steht drauf?«

Die Indogermanistik befasst sich mit Sprachen wie Sanskrit, Alt-Armenisch und Gotisch. Sie versucht, die Ursprache, aus der viele europäische Sprachen und auch das Indische entstanden sind, zu rekonstruieren. Diese Arbeit ist noch nicht beendet.

Doch leider läuft unser Studiengang jetzt aus, ich werde zu den Letzten gehören, die ihren Abschluss in Indogermanistik machen werden. Die, die es noch von uns an der FU gibt, könnte ich persönlich mit Namen nennen, vielleicht so 20 bis 30 Studenten. Wir hatten mal unser Institut in einer Villa, sogar mit eigener Bibliothek! Jetzt haben wir noch zwei Räume und unsere Bücher stehen in der Philologie.

Mein großer Traum ist, wie der aller Indogermanisten, doch einmal die eine Inschrift zu finden. Die, die alles erklärt.

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Was haben Afghanistan und Neukölln gemeinsam? Beide gehören zum Spezialgebiet des SFB 700, einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft getragenen Think

Tank an der FU. Seit der Gründung 2006 beschäftigen sich dort Sozialwissenschaftler mit dem Thema »Governance in Räumen be-grenzter Staatlichkeit«. Im Zentrum steht die Frage: Wie stellt man Governance, also Regierungsleistungen wie Wohlfahrt und Sicher-heit, zur Verfügung, wenn die Regierung es nicht kann?

Um die Antworten kümmern sich 95 Mitarbeiter in derzeit 20 Teilbereichen. 2007 erschien ein erster Sammelband mit dem Titel »Regieren ohne Staat?« Die Einleitung warnt vor Fehlschlüssen: Die Orientierung am »Idealbild des entwickelten und demokratischen Wohlfahrtsstaates westlicher Prägung« sei falsch. Vielmehr müsse eine Regierungsform gefunden werden, in der kein »bestimmtes – von westlichen Vorgaben geprägtes – Skript die Vorgabe« bilde. Nur so könne »dem Verdacht begegnet werden, es gehe bei ›Good Governance‹ letztlich um eine neue Form des westlichen Imperia-lismus und Kolonialismus.«

Dass die Autoren diesem Verdacht von Beginn an vorgreifen, zeigt: Sie sind sich der Brisanz ihrer Arbeit bewusst. Eine ihrer For-

Der Sonderforschungsbereich (SFB) 700 ist ein rotes Tuch für viele Studenten am Otto-Suhr-Institut. Vorwurf: Kriegsforschung. Was steckt dahinter? christinA peters begab sich auf Spurensuche.

Foto: corA-mAe gregorschewsKi

derungen: Wenn der Staat nicht für das Wohlergehen der Bevölke-rung sorgen kann, müssen es eben andere tun. Vom Warlord über das transnationale Unternehmen bis hin zum Eingreifen anderer Staaten reiche dabei das Spektrum der Partner, heißt es. Eigene Interessen dürften durchaus verfolgt werden. Doch wie bindet man diese Akteure an »materielle und formelle Standards des Re-gierens«? Darauf hat keiner der Autoren des Bandes eine Antwort. Zur Not müssten Grundrechte eben durch militärisches Eingreifen gesichert werden. Und wo bleibt die Selbstbestimmung?

»Ich persönlich rede nicht gerne von Demokratie«, sagt SFB-Sprecher Thomas Risse, Professor für Internationale Beziehungen am OSI. Natürlich sei das Ziel die Hilfe zur Selbsthilfe. »Aber man muss vorsichtig mit diesem Elektoralismus sein, um jeden Preis Wahlen abhalten zu wollen. Wir haben bereits eine Fülle an defek-ten Demokratien«, warnt er.

Fragt man OSI-Studierende nach dem SFB, reagieren viele mit rollenden Augen. Die Kritik von links ist deutlich: Der Begriff Governance sei antidemokratisch, weil er die Offenheit eines de-mokratischen Systems von vornherein beschneide und eine »Ma-nagementgesellschaft« schaffe, urteilt etwa die »AG Paul Revere«.

von gutEm rEgIErEnunD blutIgEn fEDErn

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In einer 2009 veröffentlichten Broschüre werfen die Antimili-taristen dem SFB vor, er propagiere Neokolonialismus und die bloße Ökonomisierung von Regionen für die Interessen westli-cher Akteure. Der Titel der Broschüre ist bezeichnend: »Failing Sciences. Embedded Stakeholders. Wider den SFB 700«.

Und dann ist da noch die Sache mit Afghanistan. Im Herbst 2007 erstellten die Wissenschaftler Jan Koehler und Christoph Zürcher ein vom Bundesverteidigungsministerium in Auftrag gegebenes Papier über die zivil-militärische Zusammenarbeit in Nord-Ost-Afghanistan. Daneben arbeiteten beide an thematisch passenden Afghanistan-Studien für den SFB. Die Kritiker sahen ihren Verdacht auf Kriegsforschung bestätigt. Prof. Risse wiegelt ab: »Im Rahmen des SFB gibt es keine Auftragsforschung. Zu privater Forschung kann ich mich nicht äußern. Aber ich finde es gut, wenn Ergebnisse des SFB der Politik zugute kommen. Es kann nicht die Aufgabe eines Politikwissenschaftlers sein, sich neutral und rein halten zu müssen.« Eine solche Haltung pro-voziert Proteste: Neben zerfetzte, blutrot bespritzte Kissen stell-ten SFB-Gegner einen Papp-Risse in den Eingang des OSI. Ihr Kommentar: »Wer eingebettete Forschung betreibt, muss Federn lassen.«

Die Debatte wird weitergehen: Das Projekt SFB 700 ist auf zwölf Jahre angelegt. Prof. Risse kündigt an: »Neuerdings gilt un-ser Interesse den Problemen von Governance-Konzepten beim Aufeinandertreffen mit den kulturellen Gegebenheiten vor Ort.« Der nächste vom SFB ausgewiesene Raum begrenzter Staatlich-keit liegt übrigens in Neukölln. Ob das Aufeinandertreffen da von gegenseitiger Sympathie geprägt sein wird, bleibt abzuwar-ten. ■

Christina Peters studiert Politikwissenschaft.

Im Mittelpunkt des Verdachts auf eingebette Forschung: Thomas Risse und der Sonderforschungsbereich 700.

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Bücher lesen und Hausarbeiten schreiben – das war einmal. Denn die Erfindung eines Berliner Informatikers wird die akademische Welt revolutionieren.Ihr Name: Ghostwriter-Bot.

Von moritz leetz — Illustration: JonAthAn schmidt

DEr gEISt AuS DEr mASchInE

Mit fliegenden Fingern tippt Mar-kus Schülting auf der Tastatur herum. Ein letztes Mal über-

prüft er die Eingabemaske »Fragestellung-These-Ergebnis«, ehe er mit erschöpftem Grinsen auf einen roten Button drückt: »Text erstellen«. Vier Stunden später spuckt der Drucker eine fertige Sechs-Seiten-Hausarbeit zum Thema »Kants Einfluss auf das Geschichtsdenken Schillers« aus, ohne dass Markus dafür auch nur eine Zeile Text gelesen hat – geschweige denn geschrieben.

Studentische Wunschvorstellung? Futu-ristische Spielerei? Keineswegs. Der »Ghost-writer-Bot,« oder kurz einfach »Ghost-Bot«, wie ihn Programmierer Michael Härtel lie-bevoll nennt, hat durchaus das Potential, die akademische Welt zu revolutionieren. Härtel – Ende 30, schütteres Haar – nippt an seinem Chai Macchiato. Er ist Chef-Pro-grammierer beim Berliner Unternehmen »LogiPro« und der geistige Vater des Textes aus der Maschine. Der Bot funktioniere fast genauso wie ein menschlicher Ghostwriter, erklärt der studierte Informatiker. In eine Vielzahl von Eingabemasken müsse der User den logischen Verlauf seiner Arbeits-these eingeben, dazu eine Gliederung in Form von Schlüsselwörtern. Anschließend scannt das Programm die recherchierte Literatur mit Hilfe eines fortschrittlichen Texterkennungsprogramms und lässt den Bot die Daten verarbeiten. Mit »erfreulich geringem« Fehleranteil: Nur etwa bei einem von 500 Zeichen verschluckt sich das Pro-gramm. Besonders stolz ist Härtel auf die Logik-Algorithmen: »Dass der Bot es nicht nur schafft, Texte zu erkennen, sondern sie auch zu verstehen und aus den gewonnenen Informationen etwas Neues zu kreieren, ist auf dem freien Markt bisher einmalig.«

Ist sich das Programm bei einem sei-ner Zwischenergebnisse nicht sicher, stellt es den User vor die Wahl, sich für einen Gedankenweg zu entscheiden. »Ist etwas mühsam«, meint Markus, der als einer der ersten das Programm testen durfte. »Insge-samt war ich bestimmt drei Stunden mit

Scanfehlern und Verständnisnachfragen beschäftigt.« Auch mit der Stilistik hapert es noch. Per Regler kann man den Stil zwi-schen »universitär« und »essayistisch« vari-ieren. Zu nah an »universitär« dürfe man den aber nicht lassen, erklärt der Proband. Ansonsten käme statt »Die dümmsten Bau-ern haben die größten Kartoffeln« am Ende heraus: »Das Volumen subterraner Knol-lengewächse ist reziprok proportional zum Intelligenzquotienten des erzeugenden Ag-rarökonomen.«

Noch steckt das Programm also in den Kinderschuhen. »Bis jetzt kann man nur Texte für philosophische Institute damit schreiben«, gesteht Programmierer Härtel. Später seien aber Applikationen für ande-re Geisteswissenschaften wie Germanistik oder auch für Sozialwissenschaften geplant. Auch zu komplexe Fragestellungen, deren

Beantwortung eine hohe Seitenzahl benö-tigt, überfordern das Programm noch. Eine Magisterarbeit kann der »Ghost-Bot« nicht schreiben, aber für einen Portfolio-Essay reicht es allemal. Um eventuelle urheber-rechtliche Streitigkeiten über die erzeugten Texte macht sich Härtel keine Gedanken. »Auf der juristischen Seite sehe ich eigent-lich keine Probleme. Schließlich stammt die Arbeitsthese und das eingegebene Un-tersuchungsvorgehen vom Benutzer.« Ohne eigenes Nachdenken kommt der Student der Zukunft also nicht aus – ohne Lesen und Schreiben aber schon. ■

Moritz Leetz studiert Literatur-wissenschaften und bestreitet als Hilfskraft die Öffentlichkeits-arbeit der Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule.

Ghost-Bot erfüllt den Traum aller Studierenden: Hausarbeiten schreiben ohne Bücherwälzen.

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DAhlEm-brAInforSchungSfrAgEn An DAS

» liebe Furiosos, natürlich möchte ich mein studium erfolgsorientiert und möglichst schnell abschließen. dafür muss ich meinen tagesab-lauf optimieren und unbedingt wissen, welcher Weg zur silberlaube kürzer ist – der vom thiel-platz oder der von dahlem-dorf??«

Jan-michael, Jura im 1. SemeSter

Hallo Jan-Michael, da bist du aber in ein Wespennest getreten! Diese Frage beschäftigt FU-Studenten seit Generationen. »Google Maps« hat die Lösung: Beide Fußwege sind exakt gleich lang. Es spielt also keine Rolle, für welche Strecke du dich entscheidest. Bist du eher der kuschelige Typ und suchst Gesellschaft? Dann solltest du Dahlem-Dorf aussteigen. Wenn dir der Sinn nach Einsamkeit steht, dann lieber am Thielplatz. Da du aber lediglich dein Zeitmanagement verbessern willst, solltest du berücksichti-gen, dass du bis zum Thielplatz eine ganze Station länger in der U-Bahn ausharren musst. Das kostet Zeit. Willst du zur Silber-laube, steig’ am besten Dahlem-Dorf aus und du hast eine volle Minute Vorsprung – das summiert sich. Pro Woche kann das schon bis zu zehn Minuten ausmachen. Noch mehr Zeit rausho-len kannst du bei anderen Gelegenheiten. Unser Tipp: Verzichte aufs Mensaessen. Das spart Zeit und Geld!

» hallo, vor kurzem habe ich mit meiner besten Freundin telefoniert und wollte nur schnell in die silberlaube, um mir einen kaffee zu holen. aber als ich dort ankam, war der empfang sofort weg. Warum kann man in der silberlaube nicht tele-fonieren?« manuela, 3. SemeSter Biologie

Hallo Manuela, ja, du hast vollkommen Recht: In der Silberlaube hat man tatsächlich immer schlechten Empfang. Ein unhaltbarer Zustand! Deshalb haben wir uns sofort an die Nachforschungen gemacht. Unsere erste Vermutung: Dahinter verbirgt sich ein Stör-sender, der uns vom Telefonieren abhalten soll, damit wir uns aufs Lernen konzentrieren. Trotz genauester Untersuchungen konnten wir dafür aber keinerlei Beweise finden. Deshalb haben wir uns an einen echten Experten gewandt: einen Physiker. Er erklärte, dass das Prinzip des faradayschen Käfigs für den Störfunk verantwort-lich sei. Und er hat Recht: Denn die Silberlaube ist formschön mit Aluminium verkleidet, einem elektronischen Leiter. Das Metall sorgt dafür, dass der Innenraum von äußeren elektromagnetischen Wellen und elektronischen Feldern abgeschirmt ist. Damit sind wir nicht nur perfekt vor Blitzeinschlägen geschützt, sondern es bedeutet leider auch: keine Strahlung, kein Telefonat!

Zusammengestellt und beantwortet von dAnielA hombAch.

Auch frAgen? schreib sie An: [email protected]!

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Seit der Finanzkrise wird der Berufseinstieg immer schwerer. Wie werden Absolventen damit fertig und was raten die Arbeitsmarktexperten? Von lAurence thio — Illustration: piA bruer

Zum AbSchluSS frEIgEgEbEn

Die Uni als Bunker. Dass die Uni einmal ihr Schutzraum wird, hätte Evelyn nicht gedacht. Sie ist 33 Jahre und studiert einen Master in Editionswissenschaft an der FU

Berlin. Einen Magister in Slawistik und einen Doktortitel hat sie bereits, nach der Promotion fand sie nicht schnell genug einen Job, dann kam die Weltwirtschaftskrise. »Komme, was wolle, jetzt habe ich wenigstens das Studium, spezialisiere mich weiter und mache parallel ein Verlagspraktikum«, sagt die 33-Jährige. Der Master ver-schafft ihr eine Schonfrist, bis sich das Klima auf dem Arbeitsmarkt verbessert hat.

Wenn die Absolventen in diesen Tagen das Wort »Arbeitsmarkt« benutzen, dann klingt es so als würden sie von einem fernen, er-barmungslosen Ort sprechen. Kontaminiert sind die Versprechen und Perspektiven, unter denen sie ihr Studium einmal begannen. Auf dem Arbeitsmarkt schlägt sich die Krise, ein Jahr nach dem Ausbruch, vollends nieder.

ArbEItSloSIgKEIt um EIn vIErtEl gEStIEgEn?

Im Oktober veröffentlichte Wilhelm Adamy, Arbeitsmarktex-perte beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), eine Sonder-auswertung der Arbeitslosenzahlen. Demnach hat sich die Arbeits-losigkeit bei Personen mit Abitur und Hochschulreife im ersten Krisenjahr um beinahe ein Viertel erhöht. Der Anteil der Hartz-IV-Bezieher stieg in derselben Gruppe ebenfalls um ein Siebtel.

Bei Realschülern (5,4 %), Hauptschülern (10,8 %) oder Personen ohne Schulabschluss (5,5 %) gab es einen geringeren Anstieg der Arbeitslosigkeit. Besonders betroffen ist die Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen. Was die DGB-Veröffentlichung zeigt, ist, dass der Berufseinstieg schwieriger geworden sein könnte. Adamy sagt: »Berufsanfänger sind als Erste vom Einstellungsstopp betroffen.« Eine spezielle Statistik über Berufseinsteiger führt die Arbeitsagen-tur aber nicht. In diesem Bereich gibt es deshalb wenig gesicherte Zahlen. Kolja Briedis vom Hochschulinformationssystem (HIS) erwartet ebenfalls einen erschwerten Berufsstart für Absolventen: »In Krisenzeiten verlängern sich die Suchzeiten, der Anteil der unbefristeten Verträge erhöht sich und Einstiegsgehälter sinken.« Wenn ein Geisteswissenschaftler nach dem Studium bis zu einem Jahr arbeitslos war, könnten in Krisenzeiten daraus bis zu zwei Jah-re werden. Auch Absolventen technischer und wirtschaftswissen-schaftlicher Studienfächer müssten sich auf Suchzeiten von bis zu einem Jahr einstellen, sagte Briedis.

»Ich hAttE mIch Auf DEn bErufSStArt gEfrEut«

Trotz dieser Aussichten ist Lena optimistisch in die Jobsuche ge-startet. Sie hat Wirtschaftswissenschaft an der FU Berlin studiert. »Ich habe mich qualifiziert gefühlt«, sagt die 26-Jährige. Sie hat in der Regelstudienzeit abgeschlossen, vier Praktika gemacht und zwei Auslandssemester an der Copenhagen Businessschool und in

Wenn Absolventen vom »Arbeitsmarkt« reden, hört es sich an, als würden sie von einem fernen, erbarmungslosen Ort sprechen.

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Barcelona verbracht. Lena möchte im Marketing einen Job fin-den, bisher hat sie nur Absagen bekommen. »Ich hatte mich auf den Berufsstart gefreut und jetzt sitze ich zu Hause rum«, sagt sie. Einen völlig anderen Beruf möchte sie nicht ergreifen. Auch Tom meinte, gut vorbereitet zu sein: Nach seinem So-ziologiestudium hatte er ein Einser-Diplom, Auslandsaufent-halt, Praktikum und Praxiskontakte zu einem renommierten Wirtschaftsinstitut zu bieten. Bekommen hat er bisher nur Hartz-IV. Seit einem Jahr ist Tom auf Jobsuche, er wirkt ratlos: »Manchmal schaffe ich nicht mal die sieben Bewerbungen zu schreiben, die das Arbeitsamt verlangt, damit ich weiter Hartz-IV bekomme. Es gibt zu wenig passende Stellenangebote«.

»ÜbErgAngSJobS AnnEhmEn«

Sich ein oder zwei Jahre ausschließlich zu bewerben hält Kai Stapelfeldt für keine gute Idee: »Studenten sollten lieber Übergangsjobs annehmen, die im großen Rahmen mit dem eigentlichen Berufsziel zu tun haben. Die Zeiten der großen Möglichkeiten sind leider erst mal vorbei!« Stapelfeldt ist hauptamtlicher Koordinator von Studilektor, einem gemein-nützigen Verein, der Studierende in Hamburg und Berlin bei ihrer Abschlussarbeit betreut. Er rät den Studierenden: »Bereits in der Abschlussarbeit ein Thema wählen, für das es eine Nach-frage auf dem Arbeitsmarkt gibt.« Auch Ingrid Arbeitlang vom Hochschulteam der Arbeitsagentur der FU Berlin empfiehlt verstärkten Austausch mit anderen Jobsuchenden: »Der Aus-tausch hilft, mit der Arbeitslosigkeit zurecht zu kommen und daraus können sich auch Chancen ergeben.«

»wAS SollEn wIr mAchEn?«

»Die reine Euphorie hatte ich nach meinem Abschluss nicht«, sagt Conny, trotz sehr gutem Abschluss. Eigentlich habe sie Journalistin werden wollen, sagt sie. Neben dem Studium hat sie Redaktionspraktika absolviert, als freie Mitarbeiterin gear-beitet und sich auf Volontariate beworben. Dennoch musste Conny einsehen: »Auf absehbare Zeit ist damit kein Geld zu verdienen«. Jetzt macht sie weitere Praktika. Ein halbes Jahr bei einer der renommiertesten Werbeagenturen Deutschlands und später bei einem Wirtschaftsmagazin. Was kommt nach den neun Monaten Praktikum? Conny weiß es nicht. Sie wür-de diese Frage gern weitergeben. Denn die Situation der Uni-Absolventen ist paradox: Sie sind sehr gut ausgebildet, haben früh die Praxis gesucht und bleiben seit der Krise arbeitslos: »Was sollen wir machen?« Adäquate Antworten finden die Ar-beitsmarktexperten darauf auch nicht. Sie sprechen von »lan-gem Atem«, »Gelassenheit und Hartnäckigkeit« oder »Weiter-bildungen und Übergangsjobs«. Etwas Trost kann Kolja Briedis von der HIS geben. Er führt regelmäßig Absolventenstudien durch: »Die verschiedenen Absolventenjahrgänge gleichen sich binnen fünf Jahre nach dem Studium unabhängig von der Aus-gangssituation an. Sie sind dann zu gleichen Teilen erwerbstä-tig.« Seine Studien zeigen, dass ein Hochschulabschluss nach wie vor der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit ist. Auch wenn es sich für viele Berufseinsteiger derzeit anders anfühlt. ■

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Laurence Thio studiert Politikwissenschaft und leitet das Politik-Ressort bei FURIOS. Er schreibt für verschiedene Online- und Printmedien. Sein Berufseinstieg hat noch etwas Zeit.

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Dieter Lenzen wechselt nach Hamburg und kommt damit einer studentischen Kampagne zuvor, die ihn absetzen wollte.

Von JuliA levenson und tobiAs heimbAch — Illustration: piA bruer

I'm not your prESIDEnt!

Das wäre sonst ja, als hätte man ein Kind gezeugt und wür-de sich davonmachen«, wehrte Dieter Lenzen 2006 ab, als er vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus als

CDU-Spitzenkandidat gehandelt wurde. Liest man diesen Treue-schwur heute, so wirft er ein fragwürdiges Bild auf den Unipräsi-denten. Lenzen wird die FU verlassen. Aller Voraussicht nach wird er an die Universität Hamburg wechseln. Dort wurde er von Hoch-schulrat und Akademischem Senat mit überwältigender Mehrheit in einem stark kritisierten Verfahren zum Nachfolger von Monika Auweter-Kurtz gewählt. Zum Redaktionsschluss steht die Annah-me der Wahl durch Dieter Lenzen noch aus: Er verhandelt mit dem Hamburger Senat um mehr Geld für neue Gebäude und darum, seinen persönlichen Stab mit an die Alster nehmen zu können. An seiner grundlegenden Entscheidung wird aber wohl nichts zu än-dern sein.

DIE »not my prESIDEnt«-KAmpAgnE

Dem Verwirrspiel um Lenzens Wechsel nach Hamburg ging ein bewegtes Jahr voraus. Zunächst war er während des Bildungsstreiks im Sommer 2009 heftig von Seiten der Studierenden kritisiert worden. Eine Besetzung des FU-Präsidiums ließ er von der Polizei räumen. Bevor die zweite Welle des Studentenprotestes anrollte, gab es die »Not-My-President-Kampagne«, die Unterschriften für eine Urabstimmung sammelte, um den Präsidenten loszuwerden. Die Kritik an Dieter Lenzen entzündete sich vor allem an der Um-setzung der Bologna-Reform und der Einführung des neuen Ba-chelor-/Mastersystems. Die neuen Studiengänge mit ihrem hohen Leistungsanspruch, den strengen Anwesenheitskontrollen und der Fixierung auf eine möglichst kurze Studienzeit hätten zu einer so massiven Arbeitsbelastung geführt, dass einige Fächer quasi unstu-dierbar geworden seien, so die Initiatoren.

»SyStEm lEnZEn« wEItEr präSEnt

Nachdem Lenzen nun freiwillig gegangen ist, stellt sich die Fra-ge wie es mit der »Not-My-President-Kampagne« weitergeht. Paul Helm, Mitglied des Teams, hat schon konkrete Vorstellungen für die Zukunft: »Wir wollen weiterhin eine hochschulpolitische Grö-ße bleiben. Das Ziel ist es, einen ständigen Aktionspool zu etab-lieren, der den Prozess der Präsidentenfindung begleitet und die Studierenden informiert.«

Auch Mathias Bartelt, Unterstützer der Kampagne und Mitglied im Akademischen Senat, sieht noch viel Arbeit: »Wir möchten einen Politikwechsel an der FU. Das ›System Lenzen‹ wird nach seinem Weggang trotzdem weiter präsent sein.« Tatsächlich werden die erste Vizepräsidentin Ursula Lehmkuhl und Peter-André Alt, beide Vertraute Lenzens, als mögliche Nachfolger gehandelt. »Die Demokratisierung der Uni muss vorangetrieben werden, auf präsi-dialer, aber auch auf studentischer Seite, besonders hinsichtlich des AStA«, so Bartelt. Der AStA dürfte wie ein Großteil der Studieren-

Unipräsident Die-ter Lenzen verlässt

den FU-Tanker. Bildungssenator

Zöllner schaut ihm hinterher,

aufhalten will er ihn nicht.

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dieter lenzen tritt Ab. ein frAnz-Josef-wAgner-brief von clAudiA schumAcher

lIEbEr DIEtEr lEnZEn,

Sie verlassen uns. Die Roten im roten Rathaus begrü-ßen das und wollen Ihnen beim Kofferpacken helfen.

Studenten im eigenen Haus kommentieren den Trubel um Ihre Person genervt mit Plakaten à la: »Es geht wie-der um: Das Bildungsunwesen«. Darauf: dreimal Ihr Kopf auf dem Rumpf von Nessie. Sie waren der Lieblingsfeind der Linken. Sie waren ein Medienjongleur, aber nach innen wortkarg und kühl. Auch Ihr Studentenvolk in spe an der Alster hat Sie bereits vom Rednerpult verjagt, ob-wohl Sie sich da ganz untypisch mit studentischen »Funk-tionären« an einen Tisch setzen. Sie selbst haben einmal gesagt: »Ich wünschte mir, ich hätte die Befindlichkeiten von einzelnen Individuen in der Universität stärker wahr-genommen.«

Die Berliner haben Sie manchmal nur noch Schwarz sehen lassen. Bildungssenator Zöllner konnte Ihnen nie genug Geld für Ihre großen Pläne geben. Sie haben ihn als Sozialisten verachtet und auf halbem Weg nach Ham-burg noch über die Schulter geflucht, er steuere Hoch-schulen wie man es sonst nur von China kenne. Mit Ihnen hatte man es nicht leicht. Hochschulpräsident in Berlin, das ist aber auch kein leichtes Amt. Ihr Kollege Präsident Markschies von der HU legt seines bereits nach der ers-ten Amtsperiode nieder.

Nachdem Sie über zwanzig Jahre Professor an der FU waren, traten sie das Präsidentenamt mit Wut an: »Die Universität wurde grob behandelt. Das hat mich empört«. Die Freie Universität nannten Sie Ihr »Kind«. Sie haben es durch den Exzellenzwettbewerb gepeitscht. Sie ha-ben es stark und erfolgreich gemacht. Sie haben wie der Felix Magath der Universitäten gehandelt.

Sie hatten treue Freunde. Es gab kaum ein Leck in Ih-rem Boot. Selbst bei groben Fehlern blieben die Schot-ten dicht. Etwa im Berufungsskandal um Scharenberg oder als Sie die Noten von Wirtschaftsstudenten der FU an McKinsey verraten haben. Sie haben polarisiert. Etwa mit der Vermutung, türkische Kinder in Deutschland könnten dümmer sein als deutsche. Oder, als Sie mit kre-ationistischem Gedankengut kokettiert haben. Wir ha-ben uns rot-geschämt für Sie. Sie sind unverbesserlich. Kein deutscher Unipräsident ist so bekannt, mächtig, begehrt und verhasst wie Sie. Ihr Nachfolger sollte man-ches anders machen. Bestimmt wird die FU ohne Sie in der Öffentlichkeit an Präsenz verlieren, aber sie kann an innerer Ruhe gewinnen.

Dieter Lenzen, machen Sie es gut. Und vergessen Sie nicht: Wagner-Briefe kommen nur aus Berlin.

Claudia Schumacher ist Chefredakteurin von FURIOS und studiert Literaturwis-senschaft und Kunstgeschichte. Sie schreibt unter anderem fürs Feuilleton der Welt.

Tobias Heimbach studiert Geschichte und PuK. Er würde die Spree niemals gegen die Alster tauschen. Julia Levenson studiert Geschichte und Altorientalistik.

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den Lenzen keine Träne nachweinen. Auch an dessen zukünftiger Wirkungsstätte stieß der 61-Jährige schon auf heftigen Gegenwind: Bei einem Besuch in Hamburg gab es lautstarke Proteste gegen den »Hochschulmanager 2008«, bei denen besonders seine Wirt-schaftsnähe kritisiert wurde. Zwar konnte er beim Hamburger AStA schon mit seiner Kritik an Studiengebühren punkten, jedoch darf sein Versprechen, die Statusgruppen in universitäre Entschei-dungen einzubinden, angezweifelt werden. Ein weiteres bedeuten-des Signal war, dass Lenzen Gesprächsbereitschaft mit dem Ham-burger AStA signalisiert hat und sich zu einem Kennenlernen mit den Studierenden traf. An der FU wäre das undenkbar gewesen, da der Präsident laut eigener Aussage »nicht mit Funktionären ver-handeln« wollte.

Es spricht einiges dafür, dass Dieter Lenzen in Hamburg ein ruhigeres Arbeitsumfeld erwarten kann: Der CDU-nahe Pro-fessor wird in Hamburg auf einen schwarz-grünen Senat treffen. Das Wissenschaftsressort ist zudem von Herlind Gundelach, einer Christdemokratin besetzt, die ihm finanzielle wie personelle Zuge-ständnisse gemacht hat.

Wann Dieter Lenzen die FU verlassen wird, ist noch nicht ge-klärt. Bereits im Frühjahr 2010 könnte es so weit sein. Für die Studierenden der FU beginnt nun die eigentlich interessante Zeit: Wer wird der nächste Präsident? Und: Welche Richtung wird er einschlagen? ■

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Ihre Gesichter sind unbekannt. Ihre Namen auch. Der AStA der FU ist ein Phantom. Unsichtbar. Jeder kennt den

AStA-Stern, niemand die Menschen hinter dem Emblem. Das hat ideologische Grün-de. Einzelne Köpfe spielen keine große Rolle im basisdemokratischen AStA, einen Vorsitzenden gibt es nur auf dem Papier, Entscheidungen werden einstimmig im Plenum gefällt. Die Meinung des Einzelnen zählt weniger als das große Ganze. Dabei wäre es durchaus angebracht, zu wissen, welche Personen sich hinter dem Kürzel verbergen und wer die Verantwortung trägt. Denn immerhin verfügt die »Regierung der Studierenden« zurzeit über 644 500 Euro im Jahr. Geld das aus den Semesterbeiträ-gen stammt, 7,50 Euro pro Student. Was stellt der AStA an mit über einer halben Million Euro?

frEunDlIchE SmAlltAlKEr

Den Haushalt verwaltet das Finanz-referat. Es ist das wichtigste Ressort des AStA, geleitet von drei Referenten. Auf der Homepage finden sich keine Hinweise, wer das sein könnte. Begründung: Man wolle so vermeiden, als Zielscheibe für Angriffe von rechts herzuhalten – ein nachvollzieh-barer Einwand. Nur wenn man einen Blick in die Sitzungs-Protokolle des Studieren-

Über eine halbe Million Euro stehen dem AStA der Freien Universität jedes Jahr zur Verfügung. Gerüchten zufolge wird ein Teil davon veruntreut. Ein berechtigter Vorwurf oder blinde Paranoia? Ein Streifzug durch die Gerüchteküche.

Von bJörn stephAn — Illustration: christoph witt

denparlaments (StuPa) wirft, erfährt man die Namen der Finanzreferenten. Und der AStA erhält ein Gesicht. Ein ziemlich sym-pathisches sogar. Zum Beispiel das von Sina Kirchner, Finanzreferentin. Offen, freund-lich, auskunftsbereit ist sie – zumindest so-lange man unter vier Augen mit ihr spricht: »Schreib uns deine Fragen einfach per Mail. Wir antworten dir«, sagt sie. Mehrere Pres-seanfragen wurden jedoch schlichtweg ig-noriert.

Wer so den Einblick verwehrt, provoziert Mutmaßungen und Gerüchte – vielleicht zu Unrecht. Unbestritten ist, dass ein Großteil der Gelder äußerst sinnvoll verwendet wird: für die Studienberatung, für rechtlichen Beistand, etwa in Fällen von Zwangsex-matrikulation, und für zahlreiche soziale Projekte. Hartnäckig hält sich bei Kritikern dennoch der Glaube, der AStA unterstütze linksradikale Organisationen in ganz Berlin, wie die Antifa, finanziell. Laut Gesetzgeber ist ihm das verboten. Stellung beziehen darf der AStA lediglich zu Themen, die einen Unibezug aufweisen. Allgemeinpolitische Aktivitäten Dritter zu unterstützen, ist ihm untersagt. Denn zwangsweise ist jeder Student Mitglied in der verfassten Studie-rendenschaft, die vom AStA repräsentiert wird. Träfe dieser allgemeinpolitische Aus-sagen, würde er diejenigen bevormunden,

DAS gElDDEr unSIcht-bArEn

die nicht genauso denken. Zumal, da es bei Wahlbeteiligungen von zehn Prozent oh-nehin problematisch ist, den AStA als eine Stimme der Studierenden zu verstehen, die auch politische Entwicklungen über den Campus hinaus anspricht. In der Vergan-genheit hat das den AStA aber nicht daran gehindert, dies trotzdem zu tun.

AngSt vor KlAgEn?

Der AStA schottet sich ab. Mehrmals klagten konservative Studenten gegen ihre Vertreter, was sie in Erklärungsnot brachte. Zuletzt verurteilte das Oberverwaltungs-gericht Berlin den AStA im Jahr 2004 zu 15 000 Euro Strafe, da er »Politpropaganda« finanziert habe. 250 000 Euro Strafgeld dro-hen bei weiteren Verstößen. Seitdem haben sich die Wogen geglättet und die Strukturen des AStA offenbar professionalisiert. Exem-plarisch dafür ist der Fall »astarix«. So hieß ein von AStA-Mitgliedern gegründeter Ver-ein, an den die Referenten sechs Jahre lang ihre Aufwandsentschädigungen spendeten, um sie von dort mutmaßlich für politische Aktivitäten einzusetzen. 2004, im Jahr des letzten Gerichtsurteils, wurde der Verein aufgelöst. Ein Blick ins Vereinsregister zeigt, dass es drei Jahre dauerte, ehe »astarix« end-gültig abgewickelt wurde – durch Gernot Rogier, einem ehemaligen AStA-Mitglied.

Einarmiger AStA-Bandit? Geld einwerfen, Kontrolle abgeben.

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Fest steht: Der AStA hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und ist vorsichtig geworden. Unklar bleibt, ob diese Fehler korrigiert wurden oder weiter gemacht und nur besser verschleiert werden.

Es gibt gängige Muster mit denen AStA in ganz Deutschland Gelder der Studieren-den veruntreuen. Eine übliche Methode ist es, den Personalaufwand zu übertreiben. An der FU wird dieser derzeit mit 94 000 Euro beziffert, ein Sechstel des Gesamthaushalts. Wie viele Menschen damit beschäftigt wer-den, konnte der AStA auf Nachfrage nicht beantworten. Im Mittelpunkt der Anschul-digungen stehen außerdem die Druckerei-en. Häufig arbeiten sie defizitär und erstel-len Publikationen, die keinerlei Bezug zur Uni haben. Der FU-Druckerei in Lankwitz konnten solche Verstöße in den letzten fünf Jahren nicht nachgewiesen werden. »Doch wenn man genau nachprüfen würde, was in der Druckerei alles produziert wird, dann ließen sich darunter mit großer Wahr-scheinlichkeit ultralinke Publikationen fin-den«, meint Uwe Kirmse. Er ist Mitglied der Liberalen Hochschulgruppe, sitzt im Akademischen Senat und glaubt, dass man »dem jetzigen AStA wieder ein allgemein-politisches Mandat nachweisen« könne. Beweise hat er keine. Es gilt die Unschulds-vermutung. Einige Indizien lassen sich allerdings schon finden, wenn auch nicht explizit für die Veruntreuung studentischer Gelder, doch zumindest für eine Undurch-sichtigkeit, die die Gerüchteküche weiter anheizt.

AuSSEr KontrollE

Da wäre zum Beispiel der Umgang mit dem Studierendenparlament (StuPa), das kaum einen Einblick hat, was der AStA mit seinem Geld anstellt. »Jedes Jahr legt der AStA dem StuPa einen standardisierten Finanzplan vor, der aber von vornherein Makulatur ist«, kritisiert Tatjana Zieher

von den Jusos. Schuld daran sei der De-ckungsvermerk. Er ist ein Richtwert in der Kalkulation, an den sich letztlich aber nie-mand halten muss. Einerseits ermöglicht er es den Haushältern, bei Bedarf schnell und flexibel reagieren zu können. Ande-rerseits mangelt es dem Haushalt so an der Verbindlichkeit, da die Gelder fast belie-big verschoben werden können. Sichtlich resigniert gesteht die Juso-Sprecherin ein: »Letztlich könnte man uns auch ein weißes Blatt Papier zur Abstimmung vorlegen.« Ein Antrag der Grünen Hochschulgruppe, der den Deckungsvermerk für Beträge ab 5 000 Euro aufheben wollte, wurde erst vor Kurzem abgelehnt. Das wäre zu kompliziert und würde die »dynamische Studierenden-schaft« hemmen, hieß es von Seiten des AStA. Neben dem StuPa existiert noch ein zweites Gremium, das den Haushalt über-prüfen soll. Der Haushaltsausschuss aber ist machtlos, da dort kein einziges Mitglied der Opposition sitzt. Das bedeutet: Dieje-nigen, die den Haushalt aufstellen, kontrol-lieren ihn auch. Der AStA überwacht sich selbst. Im letzten Jahr tagte der Ausschuss nicht ein einziges Mal. Transparenz sieht anders aus.

polItIKEr SchAuEn Zu

Zwei weitere Instanzen überprüfen den Haushalt: das FU-Präsidium und der Lan-desrechnungshof. Beiden legt der AStA je-des Jahr einen Bericht vor, der vorab von einem externen Wirtschaftsprüfer begut-achtet wird. Allerdings geht es dabei nicht um »eine inhaltliche, sondern nur um eine formalrechtliche Prüfung«, wie Wolf-gang Multhaupt von der Haushaltsstelle der FU bestätigt. Im Klartext: Untersucht wird, ob die Einnah-men und Ausgaben zusammen passen. Wofür Geld ausgege-ben wird, spielt kei-ne Rolle. Der Rech-nungshof hingegen nimmt besonders in-

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haltliche Fragen unter die Lupe, allerdings nur stichprobenartig, das letzte Mal vor vier Jahren. Pressesprecherin Sabine Ausserfeld kommentiert das so: »Wir kontrollieren den Haushalt auf Rechtsverstöße. Die Schlüsse daraus muss das Parlament ziehen.« Im Berliner Abgeordnetenhaus aber wird dem AStA und seinem Haushalt nur wenig Be-achtung geschenkt, wie Nicolas Zimmer, wissenschaftspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, einräumt: »Betrachtet man den Gesamthaushalt der Universitäten, machen eine halbe Million Euro nur einen kleinen Anteil aus.« Zwar kündigt Zimmer an, das Thema im Ausschuss anzusprechen, doch letztlich müsse der Wille zur Veränderung von den Studierenden ausgehen. »Sie müs-sen ihre Rechte einfordern«, meint er. Das sieht auch Wolfgang Albers so. Er ist der Experte für Hochschulpolitik in der Links-Fraktion und glaubt, der AStA verschwen-de einen Teil der Gelder für »die Bespaßung der eigenen Klientel«. Dies könne man aber nur dadurch verhindern, dass sich mehr Studierende hochschulpolitisch engagieren. Vom Gesetzgeber sei jedenfalls keine Hilfe zu erwarten. Konkrete Antworten bleiben also beide Abgeordneten schuldig. Auf Un-terstützung durch die Politik können die Kritiker nicht bauen. Fakt ist, Misstrauen und Skepsis wird der AStA nur beseitigen können, wenn er sich öffnet. Solange er das nicht tut, brodelt es weiter in der Gerüch-teküche. Und das Geld der Unsichtbaren bleibt unsichtbar. ■

Björn Stephan leitet das Campus-Ressort bei FURIOS und studiert Geschichte und Politik. Bei seinen Recherchen entdeckte er, dass auch in der AStA-Villa FURIOS gelesen wird. Hoffentlich nicht nur die AStA-Geschichten.

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»Ich brAuchE fÜr AllES StruKtur«

Joy, was bedeutet für dich Erfolg? Dass ein Vorhaben in sich funktioniert. In meinem Fall ist es natürlich auch wichtig, einen kommerziellen Erfolg zu erzielen. So kann ich meine künstlerische Freiheit am unkompliziertesten aufrecht erhalten. Schließlich habe ich auch einen Haushalt mit Kindern.Wieso kommst du mitten in deiner Musikkarriere an die FU?Dieses Studium zu machen ist mein persönlicher Luxus. Ich habe gerade ein Zeitfenster, das ich versuche, so sinnvoll wie möglich zu nutzen. Es ist weniger der Drang, mir etwas zu beweisen, als schlichter Wissensdurst.Wegen der Musik hast du erst mit 22 Abitur gemacht und danach blieb keine Zeit fürs Studium. Holst du jetzt ein biss-chen Normalität nach?Das mag sein. In erster Linie ist die Uni aber einfach der nahe-liegendste Ort, sich Wissen anzueignen. Hier wird mir Struktur geboten, ohne die ich nicht lernen kann. Ich brauche für alles Struktur.Deutsch, Englisch und AVL – weshalb hast du dich für diese Fächer entschieden?Ich lese relativ viel in meiner Freizeit und will dann immer darüber reden. Was einige Leute aus meinem Umfeld schon mal anstrengend finden, weil sie ja selten genau dann auch das glei-che Buch lesen. Da dachte ich, bevor ich meine Fragen weiter an Leute richte, denen die Grundlage für Antworten logischerweise fehlt, komme ich hierher.Hast du einen Lieblingsautor?Lieblingsautoren habe ich eigentlich keine, aber ein Lieblings-buch. »Djamilja« von Tschingis Aitmatow, eine Liebesgeschichte. Ganz unblumig, klar und wunderschön.Wie fühlt es sich an, als deutsche Pop-Größe mit 20-Jährigen gemeinsam Linguistik zu lernen?Das habe ich mich auch gefragt. Wie würde es sein, sich als öf-fentliche Person mit seinen Kommentaren ganz pur einer Semi-nargruppe auszusetzen? Ich habe meine Zweifel dann aber hinten angestellt. Als ich an meinem ersten Tag in die FU kam, wollte ich auf dem Absatz umdrehen. Aber ich habe mich überwunden und dann war’s in Ordnung.Du warst aufgeregt?Klar! Natürlich war ich aufgeregt. Was macht denn deine Musik, während du bei uns bist?Es stand von vornherein fest, dass sie weiterhin oberste Priorität

From Philly to the streets of Dahlem: Sängerin Joy Denalane studiert im ersten Semester Germanistik an der FU. Und findet das ziemlich aufregend. Ein Gespräch über Erfolg, Luxus, Familie und Engagement.

Das Gespräch führten bJörn stephAn und clAudiA schumAcher — Foto: corA-mAe gregorschewsKi

hat und sich das Studium einfügen muss. Sehr wahrscheinlich bin ich im nächsten Jahr auf Tour und muss ein Urlaubssemester nehmen.Es kommt also ein neues Album?Ja, nächstes Jahr. Es ist gerade fertig geworden, wir haben es in Philly, also Philadelphia, produziert. Jetzt möchte ich mir vor der Tour etwas Gutes tun.Das Studium als Urlaub vom Album. Eine Reise woandershin. Gar nicht Urlaub.Du hast auch noch zwei Söhne, Isaiah und Jamil. Wer küm-mert sich um die?Max und ich. Er ist aber gerade unterwegs mit seiner Platte. Also muss ich schauen, wie ich es organisiert krieg. Zweimal habe ich einen Nachmittagskurs, da springt dann meine Schwester oder mein Vater bei den Kindern ein. Ich fahre sie viel herum. Sie spielen Fußball, Tennis, gehen Malen, …Wie schaffst du das?Ich brauche wenig Schlaf und bin den ganzen Tag aktiv. Natür-lich ist es aufwendig, Sängerin, Mutter und Studentin zu sein. Aber das ist ok, wenn man liebt, was man tut.Du bist viel auf dem Campus unterwegs und gehst mit Kom-militonen in die Mensa. Wirst du häufig angesprochen?Nein. Ich merke nur, dass einige mich ansehen, aber das kenne ich. Die erste Woche war komisch, weil ich ständig meinen Namen gehört habe. Irgendwann habe ich mich gefragt, ob ich mir das einbilde, dieses Flüstern. Aber das hat sich alles schnell normalisiert.Du warst gegen AIDS in Afrika unterwegs, hast dem Gedicht-band eines jüdischen Mädchens, das im KZ verstarb, deine Stimme geliehen und dich gegen Rassismus an Schulen stark gemacht. Willst du dich auch an der FU engagieren?Vor dem Gespräch mit euch habe ich mit Leuten vom Bildungs-streik geredet. An das Thema taste ich mich gerade heran. Aber ganz ehrlich: Mein Stundenplan ist so voll und stringent, dass ich keine Zeit finde, mich an der Uni zu engagieren.Das wäre gerade ein Grund, sich am Bildungsstreik zu betei-ligen.Das stimmt. Aber ich weiß im Augenblick nicht, wie ich neben Studium, Familie und Job noch an der FU helfen soll. Mir blei-ben andere Ebenen. Vielleicht kommt mal eine entsprechende Talkrunde, in der ich aus meiner Studienerfahrung heraus auch Kritik einbringen kann. ■

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Gemeinsam mit Max Herre sang Joy Maureen Denalane 1999 »Mit Dir« – und hatte damit ihren musi-kalischen Durchbruch. Mit ihrem Soloalbum »Mamani« wurde die Berlinerin für eine Seltenheit gefei-ert: deutscher Soul-Gesang. 2006 folgte »Born and Raised«. Zurzeit lernt sie in der Philologischen Bi-bliothek – nächstes Semester tourt sie mit neuem Album.

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DEr flAnEur nimmt die Retrospektive ein: Er begibt sich auf die Spuren ehemaliger Kommilitonen. Ein herbstlicher Streifzug hinter Dahlems Friedhofsmauern.

Von cArolin benAcK und Kim winKler Illustration: JonAthAn schmidt — Fotos: corA-mAe gregorschewsKi

Auch wem es mit der letzten Ruhe nicht eilt, dem sollten Friedhöfe ein schätzenswerter Ort sein. Wie kein Stadtpark es könnte, inspiriert der örtliche Totenacker zu Reflexion und Selbsterkenntnis. Der Friedhof Dahlem an der Königin-Luise-Strasse schließt direkt an den St.-Annen-Kirchhof an. Dort wurde es irgendwann zu eng für die Verblichenen, weshalb 1908 die Säkularisie-rung in Dahlem aufgehoben wurde: Der evangelische Friedhof rund um die St.-Annen-Kirche wurde um einen städtischen erweitert. Sterbliche Überreste aus acht Jahr-hunderten mahnen heute an die eigene Vergänglichkeit. Doch sollte man den trüben Gedanken nicht allzu viel Beachtung schenken. Im Gegenteil – schmeicheln doch die hübschen Herbstbepflanzungen und die harmoni-schen Arrangements der Gräber jedem Ästheten. Von einer Bank aus eröffnet sich ein Blick auf ein kleines Tor, das weiter in den Friedhof hineinführt.

DEm toD Auf DEr Spur

In EwIgEr ruhE ZuSAmmEngEpfErchtEin Meer aus Herbstblättern erhebt sich hinter der

Eingangspforte. An manchen Stellen überschwemmt es die Namen der Toten. Nicht aber die Namen derer, die von der Stadt Berlin als wichtig erachtet werden und deshalb ein Ehrengrab bekamen. Schon bald offenbart sich die postume Ruhestätte unseres Kommilitonen und Springer-Lieblings Rudi. Das äußerst unspektakuläre Grab steht in krassem Kontrast zum bewegten Leben des Studentenführers. Würde ihn dafür der Rudi-Dutschke-Weg auf dem Gelände der Freien Universität erfreuen? Vermutlich schämte er sich eher angesichts der Leistungsträger züchtenden Elite-Uni, die aus ihr geworden ist.

Ebenfalls laublos sind die Grabsteine unserer geistigen Väter, den FU-Mitbegründern Edwin Redslob und Friedrich Meinecke, letzterer Namensgeber des Instituts für Geschichte. Wörtlich in den Schatten stellt die anderen Gräber das Mau-soleum des Johann Ludwig Leichner. Leichner war nicht nur ein großartiger Bariton, er erfand zudem die bleifreie Theater-schminke. Er bewahrte damit seine Theaterkollegen nicht nur vor schwer heilenden Abszessen der Gesichtshaut, sondern auch vor einem im wahrsten Sinne verfrühten Bühnentod. Durch seine zweite Karriere als Großfabrikant entging er dem typischen Ende gealterter Künstler: Leichner starb glücklich und vor allem reich.

flAnEur:

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Carolin Benack studiert Nordamerikastudien, Kim Winkler Französische Philologie.

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An mEInEm grAbE SollSt Du StEhEn

Der über dem Friedhof hängende Todesgeruch ver-führt dazu, auch über das eigene Ende nachzudenken. Besonders die Gestaltung der Ruhestätte wirft Fragen auf. Ein einfacher Grabstein à la Dutschke ist eher etwas fürs Bas peuple. Dann lieber den eigenen Namenszug in Marmor, noch zu Lebzeiten möglichst unkenntlich zu Papier gebracht. Dieser Trend geht auf eine Initiative der Märkischen Ärzteschaft zurück. Ihre Mitglieder verfügten in den 1950er Jahren testamentarisch die eigene Unter-schrift auf dem zukünftigen Grabstein. Begründung: Ein lesbarer Name wiederspiegle nicht ihren Beruf und damit ihren sozialen Status. Eine Modeerscheinung ohne Schick und falsch verstandener Pragmatismus.

Noch einmal schweift der Blick hinüber zu Leichner. Ein Mausoleum? Das liefe Gefahr, geplündert und ge-schändet zu werden. Nach kolonialem Vorbild hat es im letzten Jahrhundert immer wieder Räuber gegeben, die ihr Handwerk mit Vorliebe an Grabbeigaben ausübten. Aus einem Erlass der Domäne Dahlem von 1912 ergeht demnach: »Endtwändet worten 1 Siegelring, 4 Ahnen-bildter (Erbstükke), 3 Töpfe bleifreie Theaterschmincke in rodt, blau, weiß. Delinquenten bei Erfassen in Leich-ner Mausoleum einzumauern.«

Einige Reihen neben der Sängergruft ragt ein unbe-schlagener Korpus aus Holz in die Höhe. Auf ihm ein zur rechten Seite geneigter, expressionistisch anmuten-der Kopf. Eine Skulptur! Die perfekte manière, um die Liebe zu Kunst und Kultur noch in der Postexistenz zu symbolisieren.

ZEIt ISt um. bIttE mÜnZEn EInwErfEn.

Die wohlgestalteten Grabmäler der Ehrenmänner vergangener Tage treffen exakt meine Vorstellungen von ewiger Ruhe. Solch illustre Gesellschaft wäre ein würdi-ger Begleiter auf der Reise ins Jenseits. Außerdem lässt die Infrastruktur keinen Zweifel daran, dass deutsche Gründlichkeit hier auch nach dem Ableben groß ge-schrieben wird. Sorgfältig platziert findet man die Gräber in Reih’ und Glied vor: Feld, Platz, Zeile – jedes Grab hat seine Koordinaten. Damit nicht aus Versehen das falsche Grab mit frischen Blumen versorgt wird, stecken ordnungsgemäß am Beet-, pardon, Grabrand, kleine Schildchen mit dem Namen der Verstorbenen. Genau so, wie im Blumenkasten auf dem Balkon die Petersilie vom Schnittlauch unterschieden wird. Ordnung muss sein.

Doch ein letzter Fund versetzt mich schließlich in Er-schrecken. Die Nachricht »Ruhezeit abgelaufen. Angehö-rige bitte melden.« kommt zwischen welken Blumen und moosigen Steinen zum Vorschein. Mit Verlaub, hat die Familie des armen Herrn Wucherpfennig den Groschen da nicht einmal zu oft umgedreht? Konsterniert über solch krämerhafte Attitüde, lasse ich die Gräber hinter mir und mache mich auf – gespannt, was ich von der Zeit bis zum Einzug in meine persönliche Gemüseparzel-le erwarten darf.

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Seit November 2008 führt das Theater Strahl den Krimi »Akte R« von Mirko Böttcher auf. Das Stück basiert auf der wahren Geschichte des Ost-Berliners Mario Röllig. Als der 19-Jährige sich weigert, seinen Liebsten – einen West-Berli-ner Politiker – für die Stasi zu bespitzeln, bleibt ihm nur die Flucht. Die endet jedoch im Stasi-Gefängnis Hohenschön-hausen. Eindringlich und authentisch zeichnet Böttcher die unmenschliche Erfahrung der Stasi-Haft nach und zeigt auch die Spätfolgen auf, mit denen ehemalige Inhaftierte heute noch zu kämpfen haben. Im Anschluss steht Mario Röllig für ein Gespräch bereit. www.theater-strahl.de.

Wenn es draußen schneit und eisig ist, bleibt noch die Flucht in Parallelwelten, z. B. bei der Galerien-Tour des Junge Meis-ter e.V. durch die Postdamer Straße. Zwischen Arm und Reich siedeln Künstler und Kunstverkäufer, Etablierte und Ambiti-onierte in Altbauwohnungen oder ehemaligen Fabriketagen. Mögliche Ziele sind das Freie Museum, die Maribel Lobez Gallery und viele andere. www.jungemeister.blogger.de

diese geschichte muss erZählt WerdenTheater Strahl: »Akte R«, Kulturhaus Schö-neberg, Kyffhäuser Straße 23, 12., 13. und 14.1.2010, 11 Uhr bzw. 19.30 Uhr, 9 € (für Studenten)

kunst Frei!Galerien-Tour, Potsdamer Straße 63, 23.1.2010, 14.30–17.30 Uhr, Mitglieder des Kunstnetzwerkes Berlin e.V. frei, alle anderen 4€ Spende

grüne radeleiAllgemeine Organisationstreffen, Straße des 17. Juni 135, Erweiterungsbau rechts vom Hauptge-bäude der TU, Raum EB 226; jeden Mittwoch, 19.30 Uhr

got plans?Mehr Veranstaltungstipps unter www.furios-cAmpus.de/KAlender Eure Veranstaltungen an [email protected]

Wer grün sein will, fährt Rad. Wer noch grüner sein will, fährt Bambusrad. Beim Projekt »Berlin Bamboo Bikes« kann man sich ein eigenes Gefährt aus den umweltverträglichen Stangen bauen. Für Berliner Studierende ist eine Projektwerkstatt ge-plant, die als Wahlfach belegt werden kann. Inhalt: die techni-sche Weiterentwicklung, Entwerfen von Werbestrategien und Sponsorengewinnung. Bonus: Am Ende kann man auf einem selbstgebauten Rad guten ökologischen Gewissens die Straßen unsicher machen. www.berlin-bamboo-bikes.org.

Jeden

mi12.–14.

Jan

Genug von leichtbekleideten Popsternchen, die sich vor Ka-meras räkeln und auf Namen wie »Pritnee« und »Dschanätt« hören? Dann probiert’s doch mal mit progressivem Metal von ERF! Wer mit Bands wie Dream Theater, Porcupine Tree und Opeth etwas anfangen kann, der sollte ihr Konzert in der Weißen Rose in seine Abendplanung aufnehmen und auf www.myspace.com/erf vorbeischauen.

hetFields erben Konzert von ERF, Livezone – Weiße Rose, Martin-Luther-Str. 77, 10825 Berlin-Schöneberg, 16.1.10, 20 Uhr

16.JAnDie Ausstellung »Und jetzt« gibt einen Überblick über den bis-

her wenig wahrgenommenen Kreis ostdeutscher Künstlerinnen. Präsentiert werden Werke der 1980er, die unter »sozialistischen Produktionsbedingungen« entstanden und von Widerstand, Subversivität und Dekonstruktion gekennzeichnet sind. Aber auch neuere Stücke der 90er bis zur Gegenwart sind zu finden. www.uteweingarten.de

subVersiV und WiderständigAusstellung von Künstlerinnen aus der DDR, Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, 27.11. bis 20.12.2009, Mi–So 14 bis 19 Uhr

27. noVbis

20. deZ

Veranstaltungen von, für und mit Studenten der FU.Gesammelt von mArie hAustein, JuliA levenson, KonstAnze renKen, lilli williAms und JohAnnA zideK

23.JAn

Das wirklich Interessante an der Psychologie sind die ge-sellschaftlichen Prozesse, die aktive Gestaltung der Umwelt durch die Menschen. Das vermissten einige Studierende der klassischen Psychologie und gründeten im April 2009 eine Arbeitsgemeinschaft: die Assoziation »Kritische Psychologie«. Unter ihrer Leitung finden jetzt Veranstaltungsreihen statt. Aktuelle Fragestellungen und Diskussionen sollen aufgegrif-fen, kritisch-psychologisch analysiert und auf ihre Relevanz für emanzipatorische Perspektiven geprüft werden. Die Themen sind »Geschlechterverhältnisse – Produktionsverhältnisse« (18.1.) und »Der rassistische Backlash in der Psychologie« (8.2.). www.kritischepsychologie.blogsport.de

kritisch denken, menschlich handelnReihe »Eingreifendes Denken: Kritische Psy-chologie und politische Praxis«, im »Max und Moritz«, Oranienstr. 162, U Moritzplatz, 18.1. und 8.2.2010, jeweils 19.30 Uhr.

18. Jan8. Feb

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Page 31: FURIOS 03 – Humboldt

So richtig fit fühlt sich der Student ei-gentlich nie. Vorlesungen vor zwölf sind ihm eine Zumutung, und ab zwei Uhr mittags könnte er auch schon wieder den Heimweg antreten. Unglücklich nur, dass sich so im ruhmreichen Bologna-Stu-dium kein Blumentopf gewinnen lässt. Deshalb verschreibt sich der Student in rauen Mengen Trimethylxanthin, kurz: Koffein. Rund 620 000 Becher Kaffee treiben an der FU jedes Jahr den Blut-druck in die Höhe. Hin und wieder trinkt der Student auch Cola, doch die Tage, in denen Coke für Pop und Zeit-geist stand, liegen Licht-jahre zu-rück. Und das Groß-raumdis-ko-Image und der Plastikge-schmack von Red Bull sind am Campus auch nicht angesagt. Vielleicht deshalb hat sich seit einiger Zeit irgend-wo zwischen Kaffee-Monotonie und Zuckerbrause die Club Mate häuslich eingerichtet. Mit 20 mg Koffein pro 100 ml enthält der Eistee locker mal doppelt so viel Wachmacher wie handelsübliche Cola, ist aber nicht so süß und wirkt gemütlich unkommerziell. Vom Flasche-netikett lächelt eine fröhliche Südameri-kanerin. Fast hat man das Gefühl, mit einem Schluck aus der Mate-Pulle eine gute Tat zu tun und es den Soft-Drink-Riesen mal richtig zu zeigen. Die Mate: das Red Bull der Alternativen.

Wer auch nur gelegentlich einen Fuß in Berlins Trendbezirke setzt, kann sich der Halbliterdosis Lebensgefühl nicht erwehren. Straßen, Parks und Clubs sind Mate-gepusht. Auch an der FU hat sie ihre Klientel gefunden. Der Konsument, eher Psychologie- oder Literaturstu-dent als BWLer, gefällt sich in gelebter

Lässigkeit, mit der er seine Pulle locker schwenkend durch die Silberlaube trägt – zur Not auch mal voller Leitungswas-ser. Begonnen hat die Erfolgsgeschichte der Mate allerdings klammheimlich in der Nerdszene. Denn gerade wer den dringenden Drang verspürt, 48 Stunden lang seinem PC intelligentes Verhalten beizubringen, kann ein kleines Koffein-

Doping gut gebrauchen. In Infor-matikerkreisen hat Club Mate einen derart rituellen Charakter,

dass »500 Kisten Mate-Vor-rat gesichert« neben

»Netzwerk steht« die essentielle Meldung für den

Startschuss der LAN-Party ist. Produ-ziert wird die Hacker-brause im fränkischen Münchstei-nach von der

Familienbrau-erei Loscher,

die Club Mate ursprünglich unter

dem gefälligen Namen »Sekt-Bronte« anbot. Dass

die Quersumme ihrer Postleitzahl die heilige Illuminati-Weltverschwörungs-zahl 23 ergibt, ist für die Nerds natürlich ein geweihtes Zeichen.

Auf der Welle der politisch korrekten Limonade-Getränke schwappte Club Mate schließlich durch die Spätshops der Szenemilieus. Inzwischen braucht niemand mehr extra bei »Papa Loscher« (wie Hacker den Brauereichef liebevoll nennen) durchzuklingeln, um das Zeug anschließend selbst zu importieren. Mittlerweile gibt es sie im handlichen Alcopop-Format in Clubs zu erwerben. Sogar Mate Cola bereichert das Sorti-ment. Leider schmeckt die so, als hätte man auf der Party das Glas erwischt, in das alle reingeascht haben. Aber wach macht sie, keine Frage. ■

KoffEInKEulE mIt SZEnEquAlItät

wArEnfEtISch:

Vom Siegeszug der fränkischen Punk-Brause Club Mate.Von frAuKe fentloh — Foto: corA-mAe gregorschewsKi

nirgendWo in neukölln

Caro Bräuer ist Mitgründerin von »Ida Nowhere«, einem offenen, kollaborativen Projektraum. Fragen von JuliA levenson.

Wer ist eigentlich Ida Nowhere?Ida Nowhere ist eine wichtige Person in

der Kunst- und Kulturszene. Wir betrachten

sie als unsere Mentorin. Sie kann leider

nie selbst hier sein, aber vielleicht wird

sie in der Zukunft mal in einer Videobot-

schaft oder so auftauchen. Man könnte

sagen, sie ist sowas wie der »rote Faden«.

Wie seid ihr auf die Idee gekom-men, dieses Projekt zu starten?Wir sind generell alle im Kreativbereich

tätig, einige von uns studieren, etwa

Medienkunst oder Photographie. Unsere

Motivation war es, einen Raum zu schaf-

fen, wo wir uns verwirklichen können, und

auch andere Leute mit einzubringen, die

kreativ oder wissenschaftlich tätig sind.

Wer etwas präsentieren will, braucht sich nur bei euch zu melden?Ja, wir sind prinzipiell offen für jeden.

Unser Schwerpunkt liegt im Kreativ-

bereich, aber man kann bei uns auch

Uniworkshops halten. Natürlich schau-

en wir uns die Projekte vorher an.

Kann man auch ohne eigene Idee an einem Projekt mitwirken?Dafür bieten wir Netzwerktreffen an.

Dort werden Projekte eingebracht oder

entstehen gemeinsam. Die Leute kön-

nen die richtigen Kontakte knüpfen, um

ihre Ideen umzusetzen. Ida Nowhere soll

eine Anlaufstelle sein. An den Projekten

selbst beteiligen wir uns nicht direkt.

Ida Nowhere gibt es erst seit Au-gust 2009. Was sind die ersten Projekte in euren Räumen?Gerade sind wir noch mit der Raumge-

staltung selbst beschäftigt. Es gibt u.a. ein

Video- und Soundlabor, ein Fotostudio

und eine Dunkelkammer. Außerdem einen

Probenbereich mit Bühne für Theater- und

Tanzgruppen. Im Dezember präsentieren

wir einen Screening-/Animationsabend

mit Kurzfilmen von Studenten aus Posen.

Ebenfalls für Dezember ist eine umge-

kehrte Kunst- und Krempelauktion ge-

plant, bei der man um den niedrigsten

Preis feilscht. Für nächstes Jahr planen

wir dann größere Veranstaltungen.

Interessierte wenden sich mit ihren

Projektideen an [email protected].

Infos zu aktuellen Events findet ihr

auf www.idanowhere.com.Frauke Fentloh studiert Publizistik.

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Kultur

furIoS 03/2009 31

Kultur

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Page 32: FURIOS 03 – Humboldt

»Die Zeit läuft«, prangt in Großbuchstaben über einem rie-sigen blauen Wecker mit dem Logo der Freien Universität. Das Poster wirbt für eine Diskussionsveranstaltung mit dem damali-gen FU-Präsidenten Dr. Lämmert. Die Zeiger suggerieren »Fünf vor Zwölf«. Zugegeben, da stehen sie nicht ganz. Aber: »Das war zumindest die ursprüngliche Idee«, erklärt Plakatdesigner und Co-miczeichner Peter Butchkow. Warum wurde die Idee dann grafisch nicht umgesetzt? Wollte das FU-Präsidium, Butchkows Auftragge-ber und Initiator der Gesprächsrunde, nicht zugeben, wie ernst die Lage für die Freie Universität am 5. 5. 1977 bereits war?

Als 1969 eine Novellierung des Berliner Universitätsgesetzes in Kraft trat, brachte es für die FU einige Veränderungen mit sich. Fa-kultäten wurden zu Fachbereichen, Direktoren zu Präsidenten und AStA und StuPa als demokratische Studentenvertretungen wurden komplett abgeschafft. Stattdessen wurde den Studenten eine hö-here Beteiligung in Gremien eingeräumt. Sieben Jahre später je-doch: Protest. Studenten demonstrierten, Hörsäle wurden besetzt, unzählige Flyer und Plakate unter das Volk gebracht. Schließlich blieben viele sogar ganz fern von den Vorlesungen. Auslöser war der Entzug der Professur vierer FU-Professoren, weil sie zur Wahl der KPD aufgerufen hatten.

Über die Geschichte eines blauen Weckers, dessen Zeiger falsch standen und ein Plakat, das zum Zeitzeugen wurde.

Von christiAn güse

fu ohnE AStA?

Da wirkt das Plakat mit dem blauen Wecker fast wie der Ver-such, etwas abzuwenden, was nicht mehr abzuwenden war. Die FU stand damals vor einem Wendepunkt, denn das neue Hochschul-gesetz sollte verabschiedet werden. Die wichtigste Frage: »Holen wir den AStA zurück oder nicht?« Durch den hohen Druck der Protestierenden konnte durchgesetzt werden, dass mit dem neu-en Hochschulgesetz AStA und StuPa wieder eingeführt wurden. Allerdings ohne allgemeinpolitisches Mandat und auf Kosten der Direktbeteiligung in den Gremien.

Das Plakat ist somit ein Zeitzeuge für den Erfolg studentischen Protests geworden, der an der FU ohnehin eine lange Tradition hat – auch heute noch. Zwar wird der Vorwurf, die Jugend sei unpolitisch, immer mal wieder ins Feld geführt. Doch ein Gang durch die Flure der Freien Universität bezeugt das Gegenteil. Es scheint wieder einmal »Fünf vor Zwölf« zu sein: An fast jeder Ecke begegnet man in diesen Tagen dem Bildungsstreik. Studierende haben Hörsäle besetzt, campen in der Silberlaube, um ihren For-derungen Nachdruck zu verleihen. Beinahe wie früher, und die Vernetzung funktioniert sogar besser: Dank Facebook und Twitter wurde der Bildungsstreik an 72 Hochschulen in ganz Deutsch-land getragen. Aber die Studierenden greifen auch auf altbewährte Flyer, Unterschriftensammlungen oder eben Plakate zurück. Das gehört einfach zur Streikkultur, genauso wie der Protest zur Uni. Denn das Recht auf Mitbestimmung ist keines, das man geschenkt bekommt. Aber eines, für das es sich zu kämpfen lohnt. ■

bildquelle: universitätsbibliotheK fu berlin

Christian Güse studiert Nordamerikastudien im ersten Semester. Er wollte mehr über seine Uni erfahren und ließ sich bei der Recherche vom Bil-dungsstreik inspirieren.

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furIoS 03/2009

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Page 33: FURIOS 03 – Humboldt

one famous French author once called the “Grand Place" in Brussels the world's most beautiful theatre. In the first two months of my internship in the EU capital I have

already seen my fair share of theatrical events – even if they took place in the conference rooms of EU institutions and lobbies.

During trendy lunch meetings, actors and directors negotiate on the political stage – usually about the fate of those who cannot take part in the discussion. Enjoying wholesome, ornate buffets and early alcoholic drinks, they discuss famine relief. They turn a deaf ear to the demonstrators on the Place Lux in front of the parliament, a daily gathering of the malcontended and misunder-stood groups of Political Brussels. This kind of activism is smiled down at, too time-consuming to listen, as if everyone wasn’t busy enough as it were.

pArISIAn bourgEoIS AnD worn-Down folKlorE

Far from being complementary, as democratic theory suggests, the gulf between regular citizens and the EU institutions becomes obvious in the streets, too. In the EU quarter, English is spoken and suits are worn, three lane streets are full of business cars, su-permarkets’ shelves offer low-fat fast food and liquid breakfast. Only a few blocks away, the genuine Brussels citizens pursue their everyday life, which is hardly different from ours. They mostly speak French, some Flemish, Arabic, Turkish, occasionally also German.

The social division line within Brussels runs between the up-per and lower city, between parisian bourgeois and worn-down folklore. The upper city is characterized by the EU quarter with its “immigres de luxe”, the natives’ name for the EU employees, their splendid shopping streets and expensive lunch bars. The lower city consists of simple neighbourhoods, dotted with small grocery stores often operated by immigrants from non-EU countries. They account for about 50 % of Brussels’ population, many of whom are

Brüssel ist nicht nur die Hauptstadt der EU, sondern auch ihr Spiegelbild: Reich grenzt an arm. violA Köster hat beide Seiten kennengelernt.

unemployed and live in humble conditions. On Avenue Louiza, it is they who kneel as beggars in front of the designer stores hoping for a few coins of compassion from fur-coated women.

“thE bruSSElS InDIvIDuAlISm”

My guide book plays down these contrasts, so clearly to be seen in the city scenes, by referring to them as “the Brussels individual-ism”. Beautiful and shabby, coexisting here as if it were natural. Golden roof gables rise next to torn house fronts, generous squares and alleys hide piles of garbage bags and dog dirt. And as a back-ground music to it all, the police’s aggressive sirens chime in with the ice cream carts’ oldfashioned melodies, reminiscent of long-gone centuries.

With its blend of realpolitik, theatre and humble neighbour-hoods, Brussels would provide the perfect stage for Bertolt Brecht-based theatre productions – neither the one nor the other are made to be beautiful. ■Viola Köster studiert am OSI Politikwissenschaften und macht zur Zeit ein Praktikum beim World Future Council in Brüssel.

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DIE IntErnAtIonAlE

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Page 34: FURIOS 03 – Humboldt

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nde an der Freien Universitä

t

Jahr 1965: 15 460

Jahr 1992:  60 476

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Jahr 1880:  22 000

Jahr 1965: 245 000

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esterbeiträge

Ruprecht-Karls-Universität:   604,00 €

Freie Universität Berlin: 251,68 €Harvard University: $ 43 655*

Harvard Studenten mit Familieneinkommen geringer als $ 60.000: $ 0

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Diplom 2007:   12 Sem

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Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften: 30,4Fr

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Habilitationen: 24,3 %

Promotionen: 42,2 % Studienanfängerinnen: 49,8 %

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Nick Flamang studiert Nordamerikastudien.

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