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Ganzheitliche Produktionssysteme in der Pharmaindustrie Felix Sieckmann 1 , René Helm 1 , Holger Kohl 1 , Stefan Wissel 2 1 Institut für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb der TU Berlin, Berlin, 2 Forschungsvereinigung der Arzneimittel-Hersteller e.V. (FAH), Bonn Korrespondenz: M. Sc. Felix Sieckmann, Technische Universität Berlin, Institut für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb, Pascalstr. 89, 10587 Berlin (Germany); e-mail: [email protected] n ZUSAMMENFASSUNG Durch ein immer dynamischeres und wettbewerbsintensiveres Marktumfeld sehen sich insbesondere kleine und mittlere Pharmaunternehmen verstärkt der Anforderung gegenüber, ihre Produktion effizienter zu gestalten. Um dies zu erreichen, haben sich Ganzheitliche Produktionssysteme (GPS) bereits in mehreren Industrien als geeigneter Ansatz erwiesen. Der ak- tuelle Umsetzungsstand von GPS in der Pharmaindustrie ist jedoch häufig durch projektbasierte Insellösungen gekenn- zeichnet. Dies liegt auch daran, dass die speziellen Charakte- ristika der Pharmaproduktion sowie die Rahmenbedingungen in kleinen und mittleren Unternehmen die Einführung von GPS erschweren. Nachfolgend werden Anforderungen an ein GPS für die Pharmaindustrie ermittelt und ausgehend davon ein ge- eignetes Modell entwickelt, welches unter den vorherrschenden Gegebenheiten auch in kleinen und mittleren Unternehmen realisiert werden kann. Die Validierung des Modells in 3 Un- ternehmen zeigt dabei, dass noch bedeutende Potenziale bei der Umsetzung von GPS bestehen. Um diese ausschöpfen zu kön- nen, ist insbesondere eine Abstimmung auf die jeweils spezi- fische Situation eines Unternehmens erforderlich. n ABSTRACT Lean Production Systems in the pharmaceutical industry Due to an increasingly dynamic and competitive market envi- ronment, small and medium-sized pharmaceutical enterprises in particular increasingly have to face the requirement to make their production more efficient. To achieve this, Lean Produc- tion Systems (GPS) have already proven to be a suitable ap- proach in several industries. However, the actual implementa- tion of GPS in the pharmaceutical industry is often character- ized by project-based isolated solutions. Due to specific char- acteristics of pharmaceutical production as well as the basic conditions in small and medium-sized enterprises, the intro- duction of GPS is made more difficult. In the following, re- quirements for GPS for the pharmaceutical industry are de- termined and a suitable model developed, which can also be realized under the prevailing conditions in small and medium- sized enterprises. The validation of the model in three com- panies shows that there are still significant potentials for the implementation of GPS. In order to be able to make full use of these possibilities, it is necessary to accommodate the specific situation of a company. 1. Einleitung Die deutsche Pharmaindustrie mit rund 670 Unterneh- menund114000Mitarbeiternistzu93%mittelständisch geprägt[1].DerenehemalsstabilesMarktumfeldhatsich in den letzten Jahren in ein dynamischeres und wett- bewerbsintensiveres gewandelt. Gründe für diesen Wan- del sind u.a. die Globalisierung, eine Produktdifferenzie- rung, das Ende der Blockbusterära, ein zunehmender KostendruckdurchdieSozialversicherungssystemesowie eine Marktkonsolidierung [2]. Dies bedeutet für Unter- nehmen in diesem Umfeld, dass Ineffizienzen, die zuvor in vielen Bereichen eines Pharmaunternehmens akzep- tiert wurden, beseitigt werden müssen, um weiterhin er- folgreich zu sein. Während der Schwerpunkt in der Ver- gangenheit überwiegend auf Projekten zur Verbesserung derEffizienzinderForschungundEntwicklunglag,rückt nun zunehmend die Produktion in den Fokus von Ver- besserungsinitiativen, da diese mit durchschnittlich 31 % desUmsatzesfüreinenbedeutendenKostenblockverant- wortlich ist [3]. Als geeignete Ansätze für Verbesserungs- initiativen, insbesondere für die Produktion, haben sich ausgehendvonderAutomobilindustriebereitsvorJahren die Ansätze des Lean-Managements und der Ganzheitli- chen Produktionssysteme (GPS) als effektiv erwiesen [4]. n KEY WORDS . Lean-Management . Pharmaproduktion . kleine und mittlere Unternehmen . Ganzheitliche Produk- tionssysteme . Operational Excellence Pharm. Ind. 80, Nr. 2, 272–280 (2018) Wissenschaft und Technik Originale 272 Siekmann et al. Ganzheitliche Produktionssysteme Pharm. Ind. 80, Nr. 2, 272–280 (2018) © ECV Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)

Ganzheitliche Produktionssysteme in der Pharmaindustrie · 2018. 4. 13. · Ganzheitliche Produktionssysteme in der Pharmaindustrie Felix Sieckmann 1, Ren Helm 1, Holger Kohl 1, Stefan

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  • Ganzheitliche Produktionssystemein der PharmaindustrieFelix Sieckmann1, René Helm1, Holger Kohl1, Stefan Wissel2

    1Institut für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb der TU Berlin, Berlin, 2Forschungsvereinigung der Arzneimittel-Hersteller e.V. (FAH), Bonn

    Korrespondenz: M. Sc. Felix Sieckmann, Technische Universität Berlin, Institut für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb, Pascalstr. 8–9, 10587 Berlin (Germany); e-mail: [email protected]

    n ZUSAMMENFASSUNG

    Durch ein immer dynamischeres und wettbewerbsintensiveresMarktumfeld sehen sich insbesondere kleine und mittlerePharmaunternehmen verstärkt der Anforderung gegenüber,ihre Produktion effizienter zu gestalten. Um dies zu erreichen,haben sich Ganzheitliche Produktionssysteme (GPS) bereits inmehreren Industrien als geeigneter Ansatz erwiesen. Der ak-tuelle Umsetzungsstand von GPS in der Pharmaindustrie istjedoch häufig durch projektbasierte Insellösungen gekenn-zeichnet. Dies liegt auch daran, dass die speziellen Charakte-ristika der Pharmaproduktion sowie die Rahmenbedingungenin kleinen und mittleren Unternehmen die Einführung von GPSerschweren. Nachfolgend werden Anforderungen an ein GPS fürdie Pharmaindustrie ermittelt und ausgehend davon ein ge-eignetes Modell entwickelt, welches unter den vorherrschendenGegebenheiten auch in kleinen und mittleren Unternehmenrealisiert werden kann. Die Validierung des Modells in 3 Un-ternehmen zeigt dabei, dass noch bedeutende Potenziale bei derUmsetzung von GPS bestehen. Um diese ausschöpfen zu kön-nen, ist insbesondere eine Abstimmung auf die jeweils spezi-fische Situation eines Unternehmens erforderlich.

    n ABSTRACT

    Lean Production Systems in the pharmaceutical industryDue to an increasingly dynamic and competitive market envi-ronment, small and medium-sized pharmaceutical enterprises

    in particular increasingly have to face the requirement to maketheir production more efficient. To achieve this, Lean Produc-tion Systems (GPS) have already proven to be a suitable ap-proach in several industries. However, the actual implementa-tion of GPS in the pharmaceutical industry is often character-ized by project-based isolated solutions. Due to specific char-acteristics of pharmaceutical production as well as the basicconditions in small and medium-sized enterprises, the intro-duction of GPS is made more difficult. In the following, re-quirements for GPS for the pharmaceutical industry are de-termined and a suitable model developed, which can also berealized under the prevailing conditions in small and medium-sized enterprises. The validation of the model in three com-panies shows that there are still significant potentials for theimplementation of GPS. In order to be able to make full use ofthese possibilities, it is necessary to accommodate the specificsituation of a company.

    1. Einleitung

    Die deutsche Pharmaindustrie mit rund 670 Unterneh-men und 114000 Mitarbeitern ist zu 93 % mittelständischgeprägt [1]. Deren ehemals stabiles Marktumfeld hat sichin den letzten Jahren in ein dynamischeres und wett-bewerbsintensiveres gewandelt. Gründe für diesen Wan-del sind u.a. die Globalisierung, eine Produktdifferenzie-rung, das Ende der Blockbusterära, ein zunehmenderKostendruck durch die Sozialversicherungssysteme sowieeine Marktkonsolidierung [2]. Dies bedeutet für Unter-nehmen in diesem Umfeld, dass Ineffizienzen, die zuvorin vielen Bereichen eines Pharmaunternehmens akzep-tiert wurden, beseitigt werden müssen, um weiterhin er-folgreich zu sein. Während der Schwerpunkt in der Ver-gangenheit überwiegend auf Projekten zur Verbesserungder Effizienz in der Forschung und Entwicklung lag, rücktnun zunehmend die Produktion in den Fokus von Ver-besserungsinitiativen, da diese mit durchschnittlich 31 %des Umsatzes für einen bedeutenden Kostenblock verant-wortlich ist [3]. Als geeignete Ansätze für Verbesserungs-initiativen, insbesondere für die Produktion, haben sichausgehend von der Automobilindustrie bereits vor Jahrendie Ansätze des Lean-Managements und der Ganzheitli-chen Produktionssysteme (GPS) als effektiv erwiesen [4].

    n KEY WORDS

    . Lean-Management

    . Pharmaproduktion

    . kleine und mittlereUnternehmen

    . Ganzheitliche Produk-tionssysteme

    . Operational Excellence

    Pharm. Ind. 80, Nr. 2, 272–280 (2018)

    Wissenschaft und Technik

    Originale

    272 Siekmann et al. • Ganzheitliche Produktionssysteme Pharm. Ind. 80, Nr. 2, 272–280 (2018)© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)

  • Grundlagen zu Ganzheitlichen ProduktionssystemenEin GPS ist ein technisches, organisatorisches und

    personelles System, das ein Rahmenwerk für sich ge-zielt ergänzende Elemente der Produktionsorganisa-tion bildet und diese koordiniert. Elemente sind in die-sem Zusammenhang Ziele, Unternehmensprozesse,Gestaltungsprinzipien sowie Methoden undWerkzeuge[5]. Neben Elementen des Lean-Managements werdenauch weitere Strömungen der Produktionsorganisation,wie u.a. der Taylorismus, Fordismus und Volvoismuseinbezogen. Die Anwendung der Elemente geht von derProduktion aus, ist jedoch nicht auf diese beschränkt,sondern wirkt auch auf sämtliche Führungs- und Un-terstützungsprozesse im Unternehmen und hat ein Ge-samtoptimum als Ziel [5]. Auch wenn die grobe Struk-tur von GPS stets ähnlich ist, so ist im konkreten An-wendungsfall immer eine unternehmensspezifische An-passung erforderlich.

    1.1 Hindernisse der Anwendung von GPS für kmUder PharmaindustrieAuch in der Pharmaindustrie werden bereits einzelneAnsätze angewendet, wobei die angestrebten Effizienz-steigerungen häufig jedoch nicht erreicht werden. Gründehierfür liegen sowohl in den wirtschaftlichen als auchtechnischen und personellen Gegebenheiten der Unter-nehmen. Die wirtschaftlichen Gegebenheiten der Phar-maindustrie haben in der Vergangenheit dazu geführt,dass Unternehmen weder von Anbieter- noch von Abneh-merseite einem starken Kosten- und Konkurrenzdruckausgesetzt waren [6]. Mit einem steigenden Kostendruckund dem für kmU ohnehin erschwerten Zugriff auf denKapitalmarkt [7] fehlen die finanziellen Mittel, um dieEinführung von GPSmit eigenen Ressourcen durchführenzu können. Die in der Stückgüterproduktion entwickeltenGPS-Elemente lassen sich oftmals nicht eins zu eins aufdie Pharmaproduktion übertragen, da sich die tech-nischen Gegebenheiten der Pharmaproduktion stark

    von denen der Stückgüterproduktion unterscheiden(Abb. 1) [8].

    Dies wird anhand unterschiedlicher Produktionscha-rakteristika deutlich [9]. Während bei der Montage vonStückgütern Prozesszeiten und Arbeitsinhalte vergleichs-weise flexibel angepasst werden können, um Prozesszei-ten zu nivellieren, ist dies z.B. bei Misch-, Beschichtungs-,und Trocknungsprozessen im Rahmen der pharmazeuti-schen Formulierung nur eingeschränkt möglich. Des Wei-teren handelt es sich bei den in der Pharmaproduktiongenutzten Anlagen i.d.R. um komplexe und große Mehr-zweckanlagen, die kaum beweglich sind und auf denenviele unterschiedliche Produkte hergestellt werden, wo-durch hohe Aufwände für Rüsten und Reinigen anfallen[8]. Zudem herrschen hohe regulatorische Auflagen, dielangwierige Revalidierungen und Requalifizierungen fürgeänderte Prozesse und Anlagen zur Folge haben können.Daher wird auf kleinschrittige Veränderungen häufig ver-zichtet und der Fokus eher auf Innovationen in der An-lagentechnik gelegt [2]. Neben den besonderen Charakte-ristika der Pharmaproduktion erschweren auch die per-sonellen Gegebenheiten die Einführung von GPS. Eineerfolgreiche Einführung ist zum Großteil an das Mitwir-ken der Mitarbeiter des Unternehmens geknüpft. Im Hin-blick auf die wahrgenommene Sonderrolle der Pharma-industrie stehen die Mitarbeiter der Anwendbarkeit vonGPS-Elementen jedoch häufig sehr kritisch und mit wenigAkzeptanz gegenüber [8]. Darüber hinaus können kmUnur sehr begrenzt Mitarbeiter für die Einführung einesGPS abstellen, da ein Großteil von ihnen im operativenGeschäft gebunden ist [10]. Zudem fehlt es besonders inkmU an nötigem Expertenwissen zu GPS [11].

    1.2 Forschungsprojekt „LeanProductionPharma“Um diesen Schwierigkeiten bei der Nutzung von GPS inder Pharmaindustrie zu begegnen, bearbeiten das Fach-gebiet Montagetechnik und Fabrikbetrieb der Tech-nischen Universität Berlin und die Forschungsvereini-gung der Arzneimittel-Hersteller e.V. (FAH) seit Anfang2016 gemeinsam das Forschungsprojekt „LeanProduc-

    ProduktZunächst masse- oder volumenorientiert,später diskret zählbar

    ProzesseStoffumwandlung, Stoffaufbereitung,Mischen, Abfüllen, Verpacken

    BetriebsmittelKomplexe, große Mehrzweckanlagen

    OrganisationProduktion auf Basis von Prognosen und Vorrat

    MenschHohes Lohnniveau

    ProduktDiskret zählbar, geometrisch fest und bestimmt

    ProzesseUrformen, Umformen, Trennen, Fügen,Beschichten, Stoffeigenschaften ändern

    BetriebsmittelTeildedizierte Anlagen

    OrganisationProduktion auf Basis der Kundennachfrage

    MenschMittleres Lohnniveau

    PharmaproduktionStückgüterproduktion

    ProduktWas?

    Betriebs-mittelWomit?

    MenschWer?

    Organi-sationWann?Wo?

    ProzesseWie?

    Abbildung 1: Vergleich ausgewählter Produktionscharakteristika von Stückgüter- und Pharmaproduktion(Quelle aller Abbildungen: die Autoren).

    Pharm. Ind. 80, Nr. 2, 272–280 (2018)© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Siekmann et al. • Ganzheitliche Produktionssysteme 273

  • tionPharma“. Das Ziel ist Grundlagen, Vorgehensweisenund Hilfsmittel zu entwickeln, um insbesondere kleineund mittlere Pharmaunternehmen dazu zu befähigen,eigenständig ein GPS einzuführen. Dadurch sollen dieUnternehmen in die Lage versetzt werden auf neue An-forderungen des Pharmamarktes schnell und flexibel zureagieren und ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber in-ternationalen Wettbewerbern zu steigern. Ein projekt-begleitender Ausschuss aus mehrheitlich kleinen undmittleren Pharmaunternehmen dient dem Projekt alsSteuerungs- und Beratungsgremium.

    Voraussetzung für die Einführung eines unterneh-mensspezifischen GPS ist ein geeignetes Referenzmodell,inklusive eines geeigneten Methodenkatalogs, welchesbranchen- und kmU-spezifische Besonderheiten berück-sichtigt und nur noch mit geringem Aufwand an die in-dividuellen Rahmenbedingungen und Ziele eines konkre-ten Unternehmens abgestimmt werden muss.

    Zur Entwicklung dieses Referenzmodells fand zu-nächst eine Anforderungsanalyse statt. Ausgehend davonwurden im nächsten Schritt die Struktur und Inhalte inZusammenarbeit mit Industrievertretern in einem Work-shop ausgearbeitet und abschließend eine Validierung in3 mittelständischen Pharmaunternehmen durchgeführt(siehe 4.1).

    2. Anforderungsanalyse

    Ziel der Analyse war es, Anforderungen an ein für phar-mazeutische kmU spezifisches GPS zu sammeln. Dazu

    wurde eine interne Onlinebefragung mit Mitgliedern desprojektbegleitenden Ausschusses durchgeführt. Diese Un-ternehmen verfügten bereits über relevante Lean-Kom-petenzen durch eigene Vorarbeiten bzw. die gemeinsameProjektarbeit. Die Befragung bestand aus 7 Fragenblö-cken mit insgesamt 21 Fragen und lieferte 18 verwertbareAntworten. In Bezug auf das Referenzmodell wurden da-bei relevante Unternehmensziele, Unternehmensprozessesowie Anforderungen an Methoden erfasst.

    2.1 Ergebnisse zu UnternehmenszielenDie Wichtigkeit einzelner Unternehmensziele wurde inAnlehnung an das Modell der Balanced Scorecard inden 4 Kategorien kundenorientierte, ergebnisorientierte,prozessorientierte und mitarbeiterorientierte Ziele be-wertet (Abb. 2). Als besonders wichtig wurden Unterneh-mensziele mit Bezug zu Produkt- und Prozessqualitätbewertet (hohe Produktqualität, geringe Ausschussmen-gen, niedrige Fehlerquote). Weitere Ziele mit einer hohenPriorität beziehen sich auf eine hohe Flexibilität sowieProduktivität. Im Hinblick auf konkrete mitarbeiterorien-tierte Ziele stehen eine gute Kommunikation sowie einehohe Eigenverantwortung und Motivation im Vorder-grund.

    Entsprechend der Gewichtung der Unternehmenszieleist für das Referenzmodell die Anforderung abzuleiten,dass verstärkt Methoden einbezogen werden, die zur Er-reichung von als wichtig bewerteten Zielen beitragenkönnen. Dies kann geschehen, indem z.B. eine größereAuswahl an Methoden bzw. besonders effektive Metho-den bereitgestellt werden.

    0%

    6%

    11%

    33%

    44%

    56%

    67%

    Sonstiges

    Geringe Kapitalbindung

    Hohe Stückzahlen

    Geringe Herstellkosten

    Hohe Kapazitätsauslastung

    Hohe Rentabilität

    Hohe Produktivität

    Ergebnisorientiert

    6%

    11%

    17%

    22%

    33%

    39%

    56%

    61%

    83%

    Niedriger Energieverbrauch

    Sonstiges

    Geringer Dokumentationsaufwand

    Übersichtliche Arbeitsplätze

    Niedrige Bestände

    Niedrige Fehlerquoten

    Hohe Anlagenverfügbarkeit

    Kurze Durchlaufzeiten

    Geringe Ausschussmengen

    Prozessorientiert

    0%

    17%

    17%

    28%

    33%

    50%

    67%

    72%

    78%

    Sonstiges

    Gleichmäßige Arbeitsbelastung

    Anspruchsvolle Arbeitsinhalte

    Ergonomische Arbeitsplätze

    Hoher Qualifikationsgrad

    Hohe Sicherheitsstandards

    Hohe Mitarbeitermotivation

    Hohe Eigenverantwortung

    Gute Kommunikation

    Mitarbeiterorientiert

    17%

    22%

    61%

    78%

    94%

    Sonstiges

    Niedrige Preise

    Kurze Lieferzeiten

    Hohe Flexibilität

    Hohe Produktqualität

    Kundenorientiert

    N=18

    N=17

    N=16

    N=17

    Mehrfachnennungen möglich

    Abbildung 2: Wichtigkeit von Unternehmenszielen.

    274 Siekmann et al. • Ganzheitliche Produktionssysteme Pharm. Ind. 80, Nr. 2, 272–280 (2018)© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)

    Wissenschaft und Technik

    Originale

  • 2.2 Ergebnisse zu UnternehmensprozessenEin GPS geht zunächst von der Produktion aus, beziehtdabei weitere Unternehmensprozesse ein und wirkt sichpositiv auf diese aus. Für die Pharmaproduktion werdenOptimierungspotenziale durch ein GPS von 61 % der Be-fragten v.a. in der Verpackung gesehen. Weitere Poten-ziale in der Formulierung und Wirkstoffproduktion sehennoch 44 % bzw. 22 % der Befragten. Damit liegt das wahr-genommene Optimierungspotenzial in der Produktiongenerell eher in den Unternehmensprozessen, die einevergleichsweise hohe Ähnlichkeit zur Stückgüterproduk-tion aufweisen. Im Hinblick auf weitere Prozesse außer-halb der Produktion wurden der Einkauf, die Logistik unddas Qualitätsmanagement als diejenigen Prozesse mitden größten Optimierungspotenzialen bewertet (Abb. 3).Die durch ein GPS erreichbaren Verbesserungen werdensomit eher in Unterstützungsprozessen als in Wertschöp-fungsprozessen gesehen, die der Produktion vor- bzw.nachgelagert sind, wie der Forschung und Entwicklungoder dem Marketing und Vertrieb.

    Im Referenzmodel sind Prozesse mit einem hohenOptimierungspotenzial zu fokussieren, da hier ein hoherkonkreter Nutzen für Unternehmen geschaffen werdenkann. In der Pharmaproduktion sind dies vornehmlichdie Formulierung und Verpackung. Darüber hinaus soll-ten wichtige Unterstützungsprozesse einbezogen werden.Dies ist auch bei der Erläuterung von Methoden undWerkzeuge zu berücksichtigen, indem relevante Beispielevermehrt aus diesen Prozessen genutzt werden.

    2.3 Ergebnisse zu Methoden und WerkzeugenVoraussetzung für eine praktische Nutzbarkeit der imReferenzmodell enthaltenen Methoden ist es, den Unter-nehmen ausreichende Informationen über die Methodenzur Verfügung zu stellen. Diese Informationen dienen alsEntscheidungsbasis zur Auswahl der Methoden und stel-len einen ersten Anhaltspunkt zur Anwendung dar. Umdie Anwendung der Methoden zu unterstützen, wurde esvon den Befragten als sehr wichtig bewertet, detaillierteInformationen zu Vorgehensweisen, Ziel und Nutzen so-wie erforderlichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen(Abb. 4). Bezogen auf erforderliche Ressourcen werdenvornehmlich Informationen nach dem möglichen Inves-titionsbedarf für Sachmittel nachgefragt. Diese wurdenvon 25 % der Befragten als „sehr wichtig“ und 56 % als„wichtig“ bewertet. Informationen bzgl. der Einführungs-dauer bewerteten hingegen nur 12 % als „sehr wichtig“und 41 % als „wichtig“. Trotz des großen Einflusses regu-latorischer Vorgaben in der Pharmaproduktion wurdenAngaben zu gesetzlichen Rahmenbedingungen von weni-ger als der Hälfte der Befragten als „wichtig“ eingeschätzt.

    Für die Ausarbeitung des Referenzmodells ergibt sichdamit die Anforderung nach einer aussagekräftigen Be-schreibung insbesondere hinsichtlich der Ziele, die durchdie Anwendung einer Methode verfolgt werden und wiebei deren Einführung und Anwendung vorgegangen wird.

    6%

    22%

    33%

    33%

    39%

    50%

    56%

    61%

    Sonstiges

    Finanzen und Controlling

    Marketing und Vertrieb

    Personalmanagement

    Forschung und Entwicklung

    Qualitätsmanagement

    Logistik

    Einkauf

    Mehrfachnennungen möglichN=17

    Abbildung 3: Optimierungspotenzial in Prozessen neben derProduktion.

    12%

    13%

    18%

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    24%

    24%

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    73%

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    65%

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    6%

    12%

    6%

    12%

    6%

    6%

    Gesetzliche Rahmenbedingungen

    Dauer der Einführung

    Vorausgesetzte Methoden

    Anwender

    Ergänzende Methoden

    Potenziale und Risiken der Anwendung

    Anwendbarkeit nach Unternehmensbereichen

    Erforderliche Investitionen in Sachmittel

    Weiterführende Literatur

    Nutzen in Bezug auf Unternehmensziele

    Vorgehensweise zur Einführung und Anwendung

    Ziele der Anwendung

    sehr wichtig wichtig weniger wichtig kaum wichtig

    N=15

    N=17

    N=17

    N=17

    N=16

    N=17

    N=17

    N=16

    N=17

    N=16

    N=17

    N=17

    Abbildung 4: Wichtigkeit von Informationen zur Einführung und Anwendung vonMethoden.

    Pharm. Ind. 80, Nr. 2, 272–280 (2018)© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Siekmann et al. • Ganzheitliche Produktionssysteme 275

  • Zudem sollte eine klare Verbindung zwischen dem Nut-zen der Methoden und den Zielen des Unternehmensaufgezeigt werden.

    3. Referenzmodel l

    schaffen damit einen Rahmen zur Erfüllung der übrigenZiele.

    3.3 ProzesseBei der Einführung eines GPS wird ein Unternehmen amWertschöpfungsprozess für den Kunden ausgerichtet.Daraus ergibt sich eine Unterteilung der Unternehmens-prozesse in Führungs-, Kern- und Unterstützungsprozes-se. Führungsprozesse, bestehend aus Geschäftsführungund dem Projektmanagement, dienen der Gestaltung,Lenkung und Entwicklung des Unternehmens. Die Kern-prozesse erfüllen die Kundenanforderungen und dienendamit der unmittelbaren Wertschöpfung im Unterneh-men. Sie stellen primäre, für den Unternehmenserfolgunentbehrliche Tätigkeiten dar. Dies umfasst die For-schung und Entwicklung, die Produktion sowie Marke-ting, Vertrieb und Service. Prozesse, die nicht unmittelbarwertschöpfend für den Kunden, jedoch zur Unterstützungder Kernprozesse erforderlich sind, werden den Unter-stützungsprozessen zugeordnet [5, 13].

    Im Rahmen des Referenzmodells ist es die Aufgabe desProzessmodells (Abb. 7) die Anwendungsbereiche einesGPS abzugrenzen. Die Einführung und Anwendung eines

    Auf Basis der Anforderungsanalyse wurden die Strukturund erste Inhalte in einem Workshop mit Industriever-tretern erarbeitet. Die Teilnehmer setzten sich dabei so-wohl aus Führungskräften in pharmazeutischen kmU alsauch Experten mit Erfahrung bei der Einführung von GPSin kmU zusammen. In einem ersten Schritt wurden dabeifür ein GPS relevante Unternehmensprozesse gesammelt.Anschließend wurden bereits in der Praxis angewendeteMethoden zusammengetragen und aufgetretene Prob-leme diskutiert. Ergänzend dazu wurden weitere Metho-den auf Basis ihres Nutzenpotenzials und ihrer Eignungfür die Pharmaproduktion bewertet und abschließend einerster Entwurf für eine Methodenbeschreibung ent-wickelt.

    3.1 StrukturDas Referenzmodell ist hierarchisch aufgebaut und be-steht aus 5 Ebenen: Ziele, Prozesse, Prinzipien, Methodenund Werkzeuge (Abb. 5). Die Ziele bilden die obersteEbene und repräsentieren die aus der Unternehmensstra-tegie entwickelten Absichten für das unternehmerischeHandeln in Bezug auf das GPS. In der zweiten Ebene wirddargestellt, in welchen Unternehmensprozessen die Me-thoden zur Anwendung kommen. Die Prinzipien der drit-ten Ebene fassen inhaltlich ähnliche bzw. verknüpfte Me-thoden zusammen und bilden Leitgedanken zur Umset-zung der Ziele. Die vierte Ebene enthält die Methoden,d.h. standardisierte Vorgehensweisen zur Behandlung ei-ner bestimmten Aufgabe oder Problemstellung. Durch dieAnwendung vonMethoden wird ein konkreter Beitrag zurErreichung der Ziele geleistet. Werkzeuge dienen als Mit-tel zur praktischen Umsetzung der Methoden und stellendie unterste Ebene dar.

    3.2 ZieleDie Ziele werden durch ein Zielsystem dargestellt, wel-ches aus den 5 Zielfeldern Zeit, Kosten, Qualität, Flexibi-lität und Mitarbeiter besteht, die in insgesamt 27 Teilzieleuntergliedert sind (Abb. 6). Das Zielfeld Qualität stellt inBezug auf die Pharmaproduktion eine zentrale Grund-voraussetzung dar. Gleichzeitigt wirkt sich eine hoheQualität positiv auf das Erreichen der übrigen Zielfelderaus [12]. Ziele bzgl. Kosten, Zeit und Flexibilität stehenz.T. in Konkurrenz zueinander und müssen sinnvoll auf-einander abgestimmt werden. Dabei ist eine hohe Flexi-bilität gerade für kmU als ein Wettbewerbsvorteil gegen-über Großunternehmen von Bedeutung. Die Mitarbeiterdes Unternehmens sind Anwender des GPS und die zen-tralen Leistungserbringer. Mitarbeiterorientierte Ziele

    Ziele

    Prozesse

    Prinzipien

    Methoden

    Werkzeuge

    Hohe Prozessqualität

    Verpackung ...

    ...

    Qualität und Compliance ...

    ...

    A3-Methode

    Template

    ...Risiko- Analyse

    ...Checkliste

    Abbildung 5: Struktureller Aufbau des Referenzmodells und bei-spielhafte Verknüpfung einzelner Elemente.

    niedrigeKosten

    geringerZeitaufwand

    hohe Qualität

    hoheFlexibilität

    Mitarbeiter

    § hohe Produktqualität§ hohe Prozessqualität§ Erfüllung regulatorischer

    Anforderungen§ hohe Dienstleistungsqualität

    Abbildung 6: Zielsystem mit Teilzielen des Zielfelds Qualität.

    276 Siekmann et al. • Ganzheitliche Produktionssysteme Pharm. Ind. 80, Nr. 2, 272–280 (2018)© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)

    Wissenschaft und Technik

    Originale

  • GPS geht zunächst primär von der Pharmaproduktionund angrenzenden indirekten Prozessen aus, insbeson-dere dem Qualitätsmanagement, der Logistik sowie derInstandhaltung und dem Facility-Management. Die imweiteren Verlauf beschriebenen Prinzipien, Methodenund Werkzeuge sind daher vornehmlich auf diese Pro-zesse abgestimmt.

    3.4 PrinzipienAllgemeine Leitgedanken zur Umsetzung eines GPS wer-den durch sog. Prinzipien vorgegeben. In Anlehnung anbestehende, relevante Literatur [4–6, 14] wurden für dasReferenzmodell 10 Prinzipien definiert, die zudem zurKategorisierung verwandter Methoden dienen. Die Prin-zipien wirken im Zusammenspiel untereinander undmüssen daher gemeinsam verfolgt werden. Unterneh-mensspezifische Schwerpunkte können bei Bedarf durcheine Priorisierung gesetzt werden. Im Folgenden werdendie Prinzipien kurz erläutert.

    3.4.1 Qualität und ComplianceProzesse sind so zu gestalten, dass sie möglichst stö-rungsfrei ablaufen, konstant gute Ergebnisse liefern undsomit eine hohe Prozessqualität aufweisen. Dazu sollenFehler möglichst im Vorfeld vermieden werden. TretenFehler dennoch auf, gilt es diese schnell zu erkennen, eineWeitergabe in nachfolgende Prozessschritte zu vermei-den und die Fehlerursache nachhaltig zu beseitigen.Eine hohe Prozessqualität erleichtert das Erreichen einerhohen Produktqualität, da die Qualität beim Endkundennicht erst reaktiv „erprüft“, sondern direkt im Produkti-onsprozess erzeugt wird. Dadurch werden Verschwen-dungen vermieden und gleichzeitig die Einhaltung regu-latorischer Vorgaben gesichert.

    3.4.2 Kontinuierliche VerbesserungIm Unternehmen wird eine Verbesserungskultur etabliert,die alle Mitarbeiter im Sinne eines kontinuierlichen Ver-besserungsprozesses (KVP) dazu ermutigt, ihre Arbeits-

    abläufe zu hinterfragen und zu verbessern. Da Änderungenaufwendige Revalidierungen bzw. Requalifizierungen zurFolge haben können, sollte ein konsequentes Änderungs-management (Change Control) genutzt werden. Dies hilftÄnderungen zu bewerten und einzuordnen, sodass sinn-volle Änderungen schneller angestoßen werden könnenund gleichzeitig die Compliance gesichert wird.

    3.4.3 Vermeidung von VerschwendungenEs erfolgt eine Ausrichtung des Unternehmens am Kun-den, d.h. an den wertschöpfenden Kernprozessen undinsbesondere der Produktion. Die dort etablierten Prinzi-pien werden auch auf administrative Prozesse übertra-gen. Aktivitäten, die keinen Mehrwert für einen Kundenbieten, sind zu vermeiden. Bei den Mitarbeitern wird einBewusstsein für interne und externe Kunden geschaffenund es erfolgt eine Sensibilisierung bezüglich der 8 Ver-schwendungsarten Überproduktion, Bestände, Transport,Bewegung, Wartezeit, Übererfüllung, Fehler/Nacharbeitund ungenutzte Mitarbeiterkreativität.

    3.4.4 Zieh-PrinzipLeistungen werden erst erbracht, wenn diese vom Kun-den nachgefragt werden. Damit geht ein Wandel voneiner prognosebasierten hin zu einer verbrauchsorientier-ten Produktion einher, die sich an der tatsächlichenMarktnachfrage ausrichtet. Neben einer ziehenden Pro-duktionssteuerung gegenüber externen Kunden, wirdauch die interne Materialversorgung und Auftragsbear-beitung nach dem Zieh-Prinzip organisiert. Durch einekonsequente Anwendung kann der erforderliche Steue-rungsaufwand reduziert und insbesondere Verschwen-dungen wie Überproduktion, hohe Lagerbestände undAusschuss aufgrund überschrittener Haltbarkeiten ver-mieden werden.

    3.4.5 Fließ-PrinzipMaterialien bewegen sich möglichst störungsfrei sowieschnell entlang der Wertschöpfungskette und die Wei-

    Wirkstoff-herstellung Formulierung Verpackung

    Marketing,Vertrieb,Service

    Forschung,Entwicklung

    Informationstechnik, Beschaffung, Controlling

    Qualitätsmanagement, Instandhaltung, Personalmanagement,Logistik, Arbeits- und Umweltsicherheit, Facility-Management

    Pharmazeutische Produktion

    Geschäftsführung, Projektmanagement

    sekundärprimär

    Kernprozesse

    Anwendungsbereich:

    Unterstützungs- prozesse

    Führungs- prozesse

    Abbildung 7: Prozessmodell eines kleinen und mittleren Pharmaunternehmens.

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  • 3.4.9 Produktive InstandhaltungDurch Sicherstellung der technischen Funktionsfähigkeitvon Anlagen wird eine möglichst hohe Produktivität derAnlagentechnik gewährleistet. Ziele sind ungeplante Still-stände und Leistungsverluste zu vermeiden sowie einehohe Qualitätsrate zu erreichen. Umgesetzt wird diesdurch eine proaktiv wirkende, vorbeugende und zu-standsorientierte Instandhaltung, welche über die übli-chen Wartungs- und Dokumentationstätigkeiten zur Er-füllung regulatorischer Anforderungen hinausgeht. DasBedienpersonal wird aktiv in einfache Instandhaltungs-tätigkeiten eingebunden, um freie Kapazitäten in der be-triebsinternen Technik/Instandhaltung zu schaffen, dieim Gegenzug zur kontinuierlichen Verbesserung der An-lagen genutzt werden können.

    3.4.10 ProzessentwicklungBei der Entwicklung von Prozessen und Standards wirdauf etablierte, methodische Vorgehen zurückgegriffen.Entscheidungsprozesse werden dadurch zielführendund nachvollziehbar durchlaufen, was diese beschleunigtund die Güte von Ergebnissen erhöht. Alle relevantenStellen innerhalb und außerhalb des Unternehmens wer-den eingebunden, um die Erfüllung aller regulatorischenAnforderungen zu gewährleisten. Die Dokumentationund Visualisierung der Prozesse schafft Transparenz,um Probleme frühzeitig zu erkennen und Verbesserungs-potenziale zu verdeutlichen.

    3.5 Methoden und WerkzeugeDie Umsetzung der zuvor erläuterten Ziele und Prinzi-pien erfolgt durch Methoden und Werkzeuge, die in ei-nem Methodenkatalog beschrieben sind. Dieser enthälteine Sammlung aus 96 Methoden, die auf den Einsatz inder Pharmaproduktion und in kmU abgestimmt sind [15].Als Basis dazu diente eine Analyse bestehender Metho-denkataloge [16–18], deren Inhalte zusammengeführtund entsprechend ihrer Eignung für kmU der Pharma-industrie bewertet sowie ggf. aussortiert wurden. Krite-rien waren dabei eine Eignung für pharmazeutische bzw.prozesstechnische Prozesse, eine Vereinbarkeit mit regu-latorischen Anforderungen sowie ein für kmU angemes-senes Aufwand-Nutzen-Verhältnis. Ergänzend dazu wur-den weitere, pharmaspezifische Methoden durch Work-shops bei 3 Pharmaunternehmen identifiziert und hin-zugefügt. Anwendern soll durch den Methodenkatalogein Überblick über geeignete Methoden geliefert unddie Auswahl konkreter Methoden anhand spezifischerZiele und Probleme im Unternehmen erleichtert werden.Die aus der Anforderungsanalyse erkennbare hohe Be-deutung einzelner Unternehmensziele, wie der Produkt-und Prozessqualität, ist dabei auch bei der Zusammen-stellung der Methoden berücksichtigt. So sind z.B. allein18 Methoden direkt dem Prinzip „Qualität und Compli-ance“ zugeordnet. Weitere 30 Methoden leisten darüberhinaus ebenfalls einen direkten Beitrag zu Teilzielen des

    tergabe von Informationen erfolgt weitestgehend ver-zögerungsfrei. Große Mehrzweckanlagen werden wei-testgehend vermieden und stattdessen dedizierte Anla-gen eingesetzt, die auf den tatsächlichen Bedarf abge-stimmt sind, um Rüst- und Reinigungsaufwände zu ver-ringern. Aus einer Reihe dedizierter Anlagen entstehensomit „virtuelle Zellen“ für einzelne Produkte bzw. Pro-duktgruppen, wodurch die Komplexität in der Produk-tionsplanung reduziert wird. Auf eine räumliche Ver-knüpfung wird dabei weitestgehend verzichtet, um bau-liche Änderungen zu vermeiden. Um eine zügige Frei-gabe von Zwischen- und Fertigprodukten zu erreichen,können Qualitätskontrollen in den Produktionsprozesseingetaktet bzw. sofern möglich Real Time Release Tes-ting genutzt werden.

    3.4.6 StandardisierungOptimale Vorgehensweisen für sich wiederholende, tech-nische und organisatorische Prozesse werden als Stan-dards definiert, um Abweichungen zu vermeiden. Stan-dards sichern ein definiertes Qualitätsniveau ab und er-möglichen stabile und planbare Prozesse. Die Etablierungvon Standards auch jenseits des GMP-Rahmens stellt dieGrundlage zur Erhöhung der Effizienz von Prozessen imRahmen einer kontinuierlichen Verbesserung dar. DieseStandards sind bedarfsgerecht und flexibel zu gestalten,sodass sie kontinuierlich angepasst und weiterentwickeltwerden können.

    3.4.7 Visuelles ManagementVisuelles Management hat das Ziel, Prozesse transparentzu gestalten, indem wichtige Informationen über Ziele,Abläufe und Ergebnisse von Prozessen visuell dargestelltwerden. Dies umfasst einerseits gut sichtbare Markierun-gen und Kennzeichnungen und andererseits eine Verfol-gung und regelmäßige Diskussion relevanter Kennzahlenvor Ort. Die konsequente Nutzung eines visuellen Ma-nagements ermöglicht es Mitarbeitern und Führungskräf-ten, eine bessere Übersicht über ihre Prozesse zu erhaltenund bildet damit eine Grundlage zur Vermeidung vonVerschwendungen und für die kontinuierliche Verbes-serung.

    3.4.8 Mitarbeiter und FührungMitarbeiter stellen die wichtigste Ressource eines Unter-nehmens dar. Die operative Umsetzung eines GPS wirddurch die Mitarbeiter getragen, welche die durch das GPSzur Verfügung gestellten Methoden zur Verbesserung ih-rer Prozesse nutzen. Führungskräfte haben eine Vorbild-funktion sowie die Aufgaben, die Mitarbeiterqualifikationsicherzustellen und die Mitarbeiter zu ermutigen eigeneIdeen einzubringen. Eigenverantwortliches Arbeiten undeine Erweiterung des Aufgabenspektrums werden aktivgefördert, z.B. durch Übernahme von zusätzlichen Auf-gaben bzgl. Qualitätssicherung, Rüstvorgängen oder In-standhaltung.

    278 Siekmann et al. • Ganzheitliche Produktionssysteme Pharm. Ind. 80, Nr. 2, 272–280 (2018)© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)

    Wissenschaft und Technik

    Originale

  • Zielfelds Qualität. Auf einem jeweils 2 DIN-A4-Seiten um-fassenden Methodenblatt erfolgt eine zusammenfassendeErläuterung (Abb. 8). Ein Methodenblatt enthält eineKurzbeschreibung einer Methode, die durch eine Auflis-tung möglicher Chancen und Risiken sowie ein prakti-sches Beispiel verdeutlicht wird. Um die Anwendung derMethoden auch in Prozessen außerhalb der Produktionzu fördern, sind dabei auch Beispiele aus Laborumgebun-gen bzw. administrativen Prozessen angegeben. Hinzukommen Informationen über Ziele (siehe 3.2) und Funk-tion, Einsatzgebiet (siehe 3.3) sowie erforderliche Res-sourcen bzgl. Zeit, Personaleinsatz, Investitionen in Sach-mittel und möglichen Qualifizierungsbedarf. Über eineAuflistung weiterführender Literatur können sich Anwen-der zusätzliche Informationen beschaffen. Um die prak-tische Anwendung zu unterstützen, sind den Methodenaußerdem Werkzeuge in Form von Dokumentenvorlagenzugeordnet.

    4. Diskussion und Schlussfolgerung

    4.1 ValidierungZur Validierung des Referenzmodells wurden jeweilszweitägige Workshops bei 3 mittelständischen Phar-maunternehmen durchgeführt. In diesen wurde geprüft,inwieweit es möglich ist, einzelne Unternehmen im Refe-renzmodell abzubilden. Zum Auftakt wurde jeweils eineUnternehmensbesichtigung durchgeführt, wobei der Fo-kus auf die Produktion sowie angrenzende Unterneh-mensprozesse gelegt wurde. Anschließend wurden derIst-Zustand und aktuelle Aktivitäten des Unternehmenszunächst mit einer strategisch und dann mit einer ope-rativ tätigen Mitarbeitergruppe besprochen. In beidenTeilen wurde eine fachlich möglichst inhomogene Zu-sammensetzung der Gruppe gewählt, um Sichtweisen

    aus verschiedenen Unternehmensprozessen einfließenzu lassen. Im strategischen Teil des Workshops wurdezusammen mit Mitgliedern der Geschäftsführung undBereichsleitern die aktuelle Unternehmensstrategie be-sprochen und daraus Ziele mit Bezug auf ein unterneh-mensspezifisches GPS abgeleitet. Anschließend wurdenbereits in Unternehmensprozessen angewendete GPS-Methoden aufgenommen. Auf Basis der definierten Un-ternehmensziele und bereits angewendeter Methodenwurden aus dem Methodenkatalog weitere mögliche Me-thoden ausgewählt. Abschließend wurden die Inhalte undVerständlichkeit eines beispielhaften Methodenblatts be-wertet. Im operativen Teil des Workshops wurden mitMeistern und Gruppenleitern konkrete Probleme in ih-rem Arbeitsumfeld besprochen. Zudem wurden aktuellbereits angewendete Lean-/GPS-Methoden und die da-durch erreichten Verbesserungen sowie während der Ein-führung aufgefallene Schwierigkeiten diskutiert. FolgendeErkenntnisse konnten aus der Validierung gewonnenwerden:. Die für das GPS relevanten Teile der Unternehmens-strategie lassen sich durch das Zielsystem weitest-gehend darstellen. Während das Zielfeld Qualität vonallen Unternehmen am stärksten priorisiert wird, ist dieGewichtung der übrigen Ziele sehr unternehmensspe-zifisch.

    . Bezogen auf Kernprozesse werden GPS-Methoden ak-tuell v. a. in der Verpackung eingesetzt. Potenziale füreine Intensivierung bzw. Ausweitung der Aktivitätenwerden darüber hinaus in der Formulierung gesehen.Bei den Unterstützungsprozessen gilt dies insbeson-dere für das Qualitätsmanagement, die Instandhaltungund das Facility-Management.

    . Viele Prinzipien werden zumeist unter GMP-Gesichts-punkten verfolgt. Der Einsatz zugehöriger Methodenerfolgt häufig nur projektspezifisch. Aus Sicht der Un-

    Ziele Durch die A3-Methode sollen Problemursachen identifiziert und Maßnahmen zu deren nachhaltiger Lösung entwickelt werden.

    Funktion

    Qualität

    ●●○Kosten

    ●●○Zeit

    ●●○Flexibilität

    ●●○Mitarbeiter

    ●●○

    Planung

    ●●○Analyse

    ●●●Kontrolle

    ●○○

    A3-Methode§ Zusammenhängende

    Elemente§ Ziele und Funktion§ Beschreibung§ Einsatzgebiet§ Ressourcen§ Werkzeuge§ Chancen/Risiken§ Beispiel§ Literatur

    A3-Vordruck.pptx

    Abbildung 8: Ausschnitt eines Methodenblatts am Beispiel der A3-Methode.

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  • ternehmen sind hier deutliche Verbesserungspoten-ziale vorhanden.

    . Die Unternehmen konnten geeignete Methoden für dievon ihnen definierten Ziele und Probleme aus demMethodenkatalog identifizieren. Trotz sich z.T. über-schneidender Geschäftsfelder der Unternehmen wardie getroffene Auswahl sehr individuell und wies nurgeringe Schnittmengen auf.

    4.2 Weiteres Vorgehen und AusblickEin allgemeingültiges Referenzmodell dient als Grundlagefür die Konfiguration eines unternehmensspezifischenGPS auf Basis individueller Rahmenbedingungen undZiele des Unternehmens. Auf dieser Grundlage kann dieImplementierung des unternehmensspezifischen GPS indie operativen Arbeitsprozesse des Unternehmens erfol-gen. Hierfür geeignete Vorgehensweisen sollen im wei-teren Projektverlauf entwickelt werden. Abschließendkönnen diese in ein Software-Tool überführt werden,um Unternehmen die praktische Anwendung der Projekt-ergebnisse zu erleichtern.

    Weiterführend bietet eine verstärkte Digitalisierungund Entwicklung in Richtung Industrie 4.0 eine sinnvolleErgänzung zur Anwendung von GPS. Neben der Erfüllungregulatorischer Vorgaben, wie den weiterwachsendenGMP-Anforderungen, der Serialisierung sowie den spezi-fischen Anforderungen bestimmter Absatzmärkte, beste-hen noch bedeutende Potenziale zur effizienteren Orga-nisation von Informations- und Materialflüssen. Geradefür mittelständische Pharmaunternehmen in Deutsch-land sind in diesem Zusammenhang geeignete Technolo-gien erforderlich, um dem internationalen Wettbewerbder pharmazeutischen Industrie und dem stetig steigen-den Druck der Kostenträger im Gesundheitswesen Standzu halten.

    Danksagung

    Das IGF-Vorhaben 18890 N „LeanProductionPharma –Entwicklung eines Ganzheitlichen Produktionssystemsfür mittelständische Pharmaunternehmen zur Erhöhungder Wettbewerbsfähigkeit“ der Forschungsvereinigungder Arzneimittel-Hersteller e.V. – FAH, Bürgerstr. 12,

    53173 Bonn wurde über die AiF im Rahmen des Pro-gramms zur Förderung der industriellen Gemeinschafts-forschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaftund Energie aufgrund eines Beschlusses des DeutschenBundestages gefördert.

    n L ITERATUR

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    280 Siekmann et al. • Ganzheitliche Produktionssysteme Pharm. Ind. 80, Nr. 2, 272–280 (2018)© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)

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