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1. Einführung 1 Gedächtnis, Denken und Sprache Vorlesungsplan 1.Einführung (Baddeley, 1999, Kap. 1) 2.Kurzzeitgedächtnis (Baddeley, 1999, Kap. 2) 3.Arbeitsgedächtnis (Baddeley, 1999, Kap. 3) 4.Langzeitgedächtnis-Systeme 5.LZG: Explizites (Deklaratives) Gedächtnis 6.Episodisches Gedächtnis 7.Semantisches Gedächtnis 8.Langzeitgedächtnis: Der Prozessansatz 9.LZG: Implizites (Nondeklaratives) Gedächtnis 10.Störungen des LZG: Amnesie 11.Amnesie II: Erklärungsansätze 12.Denken 13.Denken und Sprache Pflichtliteratur: •Baddeley, A.D. (1999). Essentials of Human Memory. Hove: Psychology Press, 1999 (Hierin die Kapitel 1,2,3,5,6,9,10,11). •Becker-Carus, C. (2004). Allgemeine Psychologie. Eine Einführung.Heidelberg: Spektrum Adademischer Verlag, 2004. (Insbesondere Kapitel 8, 10, 11) •Müsseler, J. & Prinz, W.. (2004). Allgemeine Psychologie. Heidelberg: Spektrum Adademischer Verlag, 2004. (Insbesondere Kapitel 4a) •Burgess, N., & Hitch, G. (2005). Computationalmodelsof workingmemory: puttinglong-termmemoryintocontext. Trends in Cognitive Sciences, 9, 535-541. VertiefendeLiteratur: •Eichenbaum, H. (2002). The Cognitive Neuroscience of Memory. Oxford: Oxford University Press. •Ward, J. (2006). TheStudent´sGuide to Cognitive Neuroscience. Hove, New York: Psychology Press, 2006 (insbes. Kap. 9-11). •Tulving, E. (2002). Episodicmemory: Frommindto brain. AnnualReviewof Psychology, 53, 1-25.

Gedächtnis, Denken und Sprache · American Journal of Psychology, 62, 498-525 • Schnelles und genaues Beurteilen der Anzahl von Items • Vpn werden Punkte (2 bis 200) für 200

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1. Einführung

1

Gedächtnis, Denken und Sprache Vorlesungsplan 1.Einführung (Baddeley, 1999, Kap. 1) 2.Kurzzeitgedächtnis (Baddeley, 1999, Kap. 2) 3.Arbeitsgedächtnis (Baddeley, 1999, Kap. 3) 4.Langzeitgedächtnis-Systeme 5.LZG: Explizites (Deklaratives) Gedächtnis 6.Episodisches Gedächtnis 7.Semantisches Gedächtnis 8.Langzeitgedächtnis: Der Prozessansatz 9.LZG: Implizites (Nondeklaratives) Gedächtnis 10.Störungen des LZG: Amnesie 11.Amnesie II: Erklärungsansätze 12.Denken 13.Denken und Sprache

Pflichtliteratur: •Baddeley, A.D. (1999). Essentials of Human Memory. Hove: Psychology Press, 1999 (Hierin die Kapitel 1,2,3,5,6,9,10,11). •Becker-Carus, C. (2004). Allgemeine Psychologie. Eine Einführung.Heidelberg: Spektrum Adademischer Verlag, 2004. (Insbesondere Kapitel 8, 10, 11) •Müsseler, J. & Prinz, W.. (2004). Allgemeine Psychologie. Heidelberg: Spektrum Adademischer Verlag, 2004. (Insbesondere Kapitel 4a) •Burgess, N., & Hitch, G. (2005). Computationalmodelsof workingmemory: puttinglong-termmemoryintocontext. Trends in Cognitive Sciences, 9, 535-541. VertiefendeLiteratur: •Eichenbaum, H. (2002). The Cognitive Neuroscience of Memory. Oxford: Oxford University Press. •Ward, J. (2006). TheStudent´sGuide to Cognitive Neuroscience. Hove, New York: Psychology Press, 2006 (insbes. Kap. 9-11). •Tulving, E. (2002). Episodicmemory: Frommindto brain. AnnualReviewof Psychology, 53, 1-25.

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1. Einführung

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Methoden der kognitiven Neurowissenschaften •Computersimulationen (Neural networks) •Experimentelle Tierforschung •Kognitive Neuropsychologie –Untersuchung von Menschen, die fokale neurologische Läsionen erlitten haben (z.B. durch Schlaganfall) •Functionelle Bildgebungsmethoden (functional brain imaging) Erfassen der Hirnaktivität während kognitiver Leistungen: Die „Functional Brain Imaging Methods“ • Ereigniskorrelierte Hirnpotentiale des EEG (EKPs)

• Reaktion auf einen Stimulus, Verstärkung nach wiederholter Darbietung � dann wird Antwort sichtbar

• Jede Welle zeigt einen Verarbeitungsschritt an

Magnetoencephalographie (MEG) • elektromagnetische Aktivität, die

Neuronenaktivität begleitet, wird gemessen • Aktivierung von Neuronen � man misst Magnetfelder mit sensibler Spule 1-2 cm

über der Kopfhaut • Sehr empfindlich

• Positron-emissions-Tomography (PET und SPECT) • Functionelle Magnetresonanztomographie (fMRT; engl. fMRI)

• Besonders aktivierte Strukturen mittels BOLD-Effekt messbar • Stoffwechselprozesse werden sichtbar • BOLD-Effekt: - Differenz zwischen O2-reichem und O2-armen Blut

- Tritt mit einem gewissen Zeitabstand auf, ca. 5-8 Sekunden nach neuronaler Antwort wird Veränderung sichtbar � zeitlich ungenau

• Transcranielle Magnetstimulation (TMS)

• Physiologisch wie epileptischer Anfall, keine sinnvolle neuronale Aktivität, aber sehr schnelle Erholung

• Gut, um zu prüfen, welche Hirnstrukturen bei welchen Aufgaben einen Beitrag leisten � somit auch gute räumlich Auflösung

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1. Einführung

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Das Konzept des “Problemraumes (problem space) in der funktionellen Bildgebung •Räumliche Auflösung � besonders gut bei EEG und MEG •Zeitliche Auflösung � besonders gut bei PET und (f)MRT •Bezug zur Hirnfunktion: Erfassung vs. Interferenz (= Stilllegung von Hirnbereichen (virtuell) und Beobachtung (TMS))

Meistens wird beides erhoben � optimale Info

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1. Einführung

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Alan Baddeley

� menschliches Gedächtnis in Dauer, Kapazität, Flexibilität jedem Computer überlegen

• Fast alle Hirnschädigungen haben Einfluss auf Lernen und Gedächtnis � manche sind aber besonders schwerwiegend

Ein Beispiel: Clive Wearing

• Herpesvirus hat Blut-Hirnschranke überwunden � Encephalitis � schwere Amnesie

• Lebt in „permanenter Gegenwart“, alles ist immer neu • Ist sich bewusst, was passiert • Motorische Fähigkeiten (dirigieren) intakt, erinnert sich nur nicht verbal � „like hell on earth, being dead all the time…“

Deborah Wearing 2005. 'Forever Today –A Memoir of Love and Amnesia' Neurophysiologie des Gedächtnis

• Hebbs Theorie des Cell-Assemblies: simultane Erregung von zwei Zellen führt nach mehrmaliger gemeinsamer Erregung zu einer Assoziation

� BIO • Reverberatorische

Erregungskreisläufe entsprechen Engrammen

� werden durch Hebb-Mechanismus gespreichert

Aplysia • Kiemenrückziehreflex: sensorische

Neuronen des Siphons (Ausscheidungsorgan) sind direkt mit den motorischen der Kiemen verschaltet

• Der Kiemenrückzugsreflex bei Aplysia (vereinfacht: pro Neuronenarray ist jeweils nur ein Vertreter gezeigt). Die Grundschaltung des Reflexes ist monosynaptisch, d.h. die Siphonsinneszelle ist direkt auf ein Motoneuron verschaltet. Diese Synapse

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1. Einführung

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kann jedoch über einen anderen Funktionsweg sensibilisiert werden. Schwanzreizung erregt ein facilitatorisches Interneuron, welches seinerseits auf die Synapse der Siphonsinneszelle auf das Motoneuron einwirken kann. = Sensitivierung

• Habituation nicht auf Ebene der Sinneszellen (Adaption), sondern der

Weiterleitung. � BIO

Langzeitpotenzierung

• Forschung: elektrische Stimulation im Hippocampus führte dazu, dass

miteinender verbundene Zellen stärker auf Reize reagierten � auch dauerhaft

� BIO Wie man Gedächtnis erforscht: Francis Galton (1883)

• Ließ Menschen aufschreiben, was sie zum Frühstück gegessen hatten und wie der Frühstückstisch aussah � große Unterschiede im Detail und der Lebhaftigkeit der Darstellung

Befund: Personen mit einem sehr lebhaften Gedächtnis sind zwar von ihren Gedächtnisleistungen überzeugter, ihre tatsächliche Leistung ist aber nicht besser

Was sagen uns Gedächtnisfehler über die Funktion des Gedächtnisses? •Conrad & Hull(1964): Probanden sollten eine Reihe von Konsonanten einprägen (z.B. L R P F Q H V) •Aufgabe: Diese Konsonantenreihe laut wiederholen •Gelegentliche Fehler sind systematisch: Ziffern werden häufig durch akustisch ähnliche ersetzt (z.B. P � B, F� S) • es gibt kaum visuelle Fehler (Q � O) � Die Buchstaben werden offenbar im Gedächtnis eher akustisch als visuell kodiert.

• Sprache ist ein wichtiger Mechanismus zur Gedächtnisbildung

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1. Einführung

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• Oft werden auch nicht-sprachliche Inhalte (visuelle, akustische) auf sprachlicher Ebene im Gedächtnis gespeichert, bzw. erinnert

• Vorteil sprachlichen Materials: sowohl Einspeicherung kann visuell (Schrift) oder akustisch (Gesprochen) erfolgen, als auch Abruf

Selektive Interferenz •Beispiel: Hypothese, dass sich Personen Zahlenlisten wie z.B. Telefonnummern durch interne Wiederholung (rehearsal) merken. •Wenn zutreffend, dann sollte die Verhinderung von interner Wiederholung den Abruf dramatisch verschlechtern. •Artikulation eines irrelevanten Wortes (…„das, das, das, das…“) während des Einprägens von Zahlenreihen verschlechtert die Leistung tatsächlich sehr stark

Rahmenbedingungen für Gedächtnissystem(e) •Organismen besitzen mehrere sensorische Kanäle (Sehen, Hören, Berührung, Geruch, Geschmack). •Information aus diesen Kanälen kann aufeinander bezogen werden –schon dafür ist wahrscheinlich eine elementare Form von Gedächtnis nötig. •Wissen über die Welt und ihre Regelmäßigkeiten muss erworben werden (semantisches Gedächtnis) � meist ist man sich nicht bewusst, wann man das gelernt hat •Langzeitgedächtnis für Ereignisse (episodisches Gedächtnis) ist wichtig für angemessenes Verhalten und soziale Interaktionen. � Gedächtnissystem muss in der Lage sein Informationen zu erfassen, abzuspeichern und abzurufen

Gedächtnis kann in verschiedene Subkomponenten (Gedächtnissysteme) fraktioniert werden Vorläufer der Idee: •William James (1890) •Donald Hebb (1949) Erste empirische Befunde/Modelle: •Das „modale Modell des Gedächtnisses“ von Atkinson & Shiffrin (1968) Gedächtnistheorien •Strukturorientierte Theorien (Tulving, Schacter, Baddeley): � betonen die Existenz unterschiedlicher Gedächtnissysteme für

verschiedene Arten des Gedächtnisses (episodisch, semantisch, prozedural, Priming etc.)

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1. Einführung

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•Prozessorientierte Theorien: � betonen die Bedeutung unterschiedlicher Gedächtnisprozesse für das Erinnern

(Enkodierung, Konsolidierung, Abruf etc.)

H.M. � LZG Sensorische Speicher •Visuell („iconictrace“) •Akustisch („echoic“) •Taktil Johann Andreas von Segner (1704-1777) Physiker und Mathematiker aus Pressburg/Pozsony (heute Bratislava), forschte in Jena, Göttingen und Halle • 1740: Methode, um die Dauer der ikonischen Gedächtnisspur zu messen

o glühendes Kohlestück auf ein rotierendes Rad aufgebracht o zeigte, dass ab einer bestimmten Rotationsgeschwindigkeit ein

Betrachter gerade einen ganzen Kreis wahrnahm (während bei langsamerer Rotation nur ein Teilkreis gesehen wurde)

o Zeitdauer für eine Rotation diente Segner somit als Schätzung für die Dauer der ikonischen Gedächtnisspur, ~ 0.1 s.

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George Sperling “The information available in brief visual presentations” • normalerweise nur 4 Buchstaben erinnert, wenn Sequenz für 1/20 Sekunde

dargeboten wird � Zu Kurz oder Speicherkapazität überschritten? � Methode des Teilweise Berichtens = nicht alle 9 Buchstaben wiedergeben, sondern nur die durch Ton charakterisierten

Ergebnis: Abruf nahezu perfekt, bessere Erinnerung (3 von 4 Buchstaben) als bei Vollpräsentation = alle Buchstaben gelangten in den Speicher, da Vpn vorher nicht wussten, welche Reihe wichtig sein wird Folgexperiment 1 Annahme: 10ms pro Buchstabe • Zeit zwischen Erscheinen der Buchstaben und Cue variiert � je stärker

Verzögerung, desto stärker schlechter sollte Wiedergabe sein • vorher und nachher ein heller Bildschirm gezeigt (Maske) � nach 0,5 ms kein

Effekt mehr � bei dunklem Bildschirm ist der Zerfall langsamer (längeres retinales Nachbild, bei hellen Bildschirmen gibt’s keins)

� bei hohem Ton Wiedergabe der ganzen Reihe � bei mittlerem Ton � bei tiefem Ton

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1. Einführung

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gleichzeitig gezeigt Alles andere: Zeitpunkt der Präsentation des Tons

• kurzer visueller Speicher � weiter transportiert in länger anhaltenden nicht-visuellen Speicher

Experiment Ablauf: getrennte Präsentation entweder visueller oder akustischer Items, danach Wiedergabe

• Wie ein Nachhallen (=Echo), umfasst maximal 2-3 Items, kann durch nachträgliche Instruktionen bereits verschwinden

Episodisches versus semantisches Gedächtnis: Endel Tulving (1972)

• TulvingE. (1972). Episodic and semantic memory. In Organization of Memory, ed. E Tulving, W Donaldson, pp. 381–403. New York: Academic.

• Tulving, E. (2002). Episodic memory: From mind to brain. Annual Review of Psychology, 53, 1-25.

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1. Einführung

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Fertigkeiten und Gewohnheiten (Skills) Cohen, N. J. & Squire, L. R. (1980). Preserved learning and retention of pattern-analyzing skill in amnesia: Dissociation of knowing how and knowing that. Science, 210,207-210

Untersuchung mit Amnestikern:

• Lernten Spiegelschrift lesen � effiziente Lernzuwächse, mit KG (normale Gedächtnisstruktur) vergleichbar

• Perzeptive-motorische Fähigkeiten werden genauso effizient gelernt � anderes Hirnsystem ist verantwortlich, als für bewusste Erinnerungen � Gilt als Beweis

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2. KZG

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Kurzzeitgedächtnis = Ein System für die (temporäre) Speicherung und Manipulation einer begrenzten Zahl von Informationen. •Zahl der Items oder Ideen, die simultan repräsentiert sein können ist begrenzt (~ ±7) • Kapazität kann durch Memotechniken (z.B. chunking) erweitert werden. •Wurde ursprünglich vor allem mit verbalen Stimuli untersucht. � Klassisches Beispiel: Zahlenmerkspanne (digit span) –Jacobs (1887) George A. Miller (Princeton University): „Die magische Zahl 7“ Miller, G.A. (1956). The magical number seven, plus or minus two. Psychological Review, 63, 81–97

• Vpn müssen Zahlenreihen merken � Länge wird immer erhöht, ab gewisser Anzahl von Zahlen kann Vpn es nicht mehr behalten = Digit Span

• 7 Merkeinheiten= allgemeingültig “Subitizing” Kaufman, E.L., Lord, M.W., Reese, T.W., and Volkmann, J. (1949). The discrimination of visual number. American Journal of Psychology, 62, 498-525

• Schnelles und genaues Beurteilen der Anzahl von Items • Vpn werden Punkte (2 bis 200) für 200 ms dargeboten � soll Anzahl angeben • Bis 5-6 Punkte konnten Vpn die Anzahl korrekt wiedergeben • Danach dramatischer Übergang

� Subitizing < 7 < Schätzung

Verbessern des Kurzzeitgedächtnisses •Rehearsal (innere Wiederholung) •Chunking (Gruppierung) � meist in 3er Gruppen

- Rhythmus und Reim spielen eine große Rolle, auch bei Gedichten etc.

- Kapazität des KZG wird nicht von Anzahl der Items, sondern Anzahl der Chunks bestimmt

• Lässt sich immer leichter merken, da mehr „chunks“ entstehen

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2. KZG

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Vergessen im Kurzzeitgedächtnis •Brown (1958) •Peterson & Peterson (1959)

• Man vergisst auch weniger als 7 Items schnell, wenn man sich nicht intern wiederholen kann und/ oder anderweitig beschäftigt ist

� z.B. in 3er Schritten rückwärts zählen

Vergessenskurven nach Peterson & Peterson/ Murdoch

• Sequenzen von 3 unabhängigen Konsonanten � lesen oder von 3-stelliger Zahl in 3er Schritten rückwärts zählen

• Nach 3 bis 18 Sekunden: Recall • Was zählt, ist die Anzahl der Chunks, nicht der Buchstaben!

Leistung= Funktion der Zeit zwischen Einprägen und Abspeichern

Führten mit ihrer Forschung zu Interesse am KZG

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2. KZG

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Proaktive Interferenz (Delos Wickens, 1970)

• Tiertriplets interferieren miteinander, man kann zweites nicht mehr so gut erinnern wie erstes � bei neuer Kategorie gibt es KEINE Interferenz

• Kategoriewechsel = Entlastung von proaktiver Interferenz • Effekt ist nicht auf das KZG beschränkt

• Retroaktive Interferenz = auch später gelernte Items interferieren mit früher

gelernten � aufhebbar durch Kategoriewechsel

„Release from proactive interference“(PI)

• Effekt auch mit Nachrichtenmeldungen überprüft (z.B. 3 mal Politik, 1 mal

Sport) • 1. Nachricht wird gut erinnert, dann lässt Leistung nach

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2. KZG

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� Anstieg der Leistung, wenn Meldung einer anderen Kategorie angehört

Serielle Positionseffekte: Primacy-Effect und Recency-Effect (bei free recall) Postman, l. & Philips, L.W. (1965). Short Term Temporal Changes in Free Recall. Quarterly Journal of Experimental Psychology, 17, 132-138.

• Sehr robuster Effekt- unabhängig von Länge der Liste, Geschwindigkeit, Kultur

• Man merkt sich Items am besten, die am Anfang und am Ende genannt werden � echoisches Nachhallen

• Recency –Effekt ist nur KZG-Effekt! � keine verbesserte Leistung, wenn ein Intervall vor dem Abruf liegt • Primacy-Effekt auch im LZG beobachtbar

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2. KZG

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Beruhen KZG und LZG auf unterschiedlichen Systemen? Frühe Befunde

• Neurologische Befunde: o KZG-Einschränkungen durch Läsion in linker Hemispähre (Nähe Broca

� teilweise Sprachprobleme) o LZG-Einschränkungen durch Läsionen im Temporallappen und tiefer

liegenden Strukturen

1. Bei amnestischen Patienten kann das KZG völlig intakt sein: 1.intakte Zahlenmerkspanne (e.g. Baddeley& Warrington 1970) 2.intakter Endeffekt (Recency-Effekt) beim Lernen von Listen 3.Normale Effekte in der Brown-Peterson Aufgabe 2. Umgekehrt gibt es Patienten, die ein gestörtes verbales KZG bei gleichzeitig intaktem LZG haben (doppelte Dissoziation. (e.g., Shallice& Warrington, 1970). 3. Kodierung im KZG scheint eher nach phonologischen, im LZG eher nach semantischen Merkmalen zu erfolgen (Conrad, 1964; Baddeley, 1966)

���� Baddeley (1966) •Probanden lernten 4 Arten von Wortlisten á 5 Wörtern •Phonologisch ähnlich (man, map, can, mad, cat…) •Phonologisch distinkt (pen, cow, pit, few, hot…) •Semantisch ähnlich (big, huge, wide, large, great,…) •Semantisch distinkt (old, late, strong, safe, thin…) � gleich danach Wiedergabe (=KZG):

• Gedächtnis dramatisch schlechter bei phonologisch ähnlichen Wörtern • Bei semantischer Ähnlichkeit ist der Effekt nur klein

o KZG ist sensitiv für oberflächliche Merkmale, wie z.B. Klang

� Wiedergabe nach 20 Minuten Verzögerung (=LZG):

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2. KZG

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• Phonologischer Effekt verschwindet • Semantische Ähnlichkeit bereitet die größten Schwierigkeiten

Levels of Processing = Verarbeitungstiefe •Atkinson & Shiffrin(1968) nahmen an, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Item vom KZG ins LZG übertragen wird, von der Verweildauer im KZG abhängt. •Problem: Patienten mit extrem gestörtem KZG können annähernd normal lernen (Shallice& Warrington, 1970) � Craik& Lockheart(1972):

• Übertragung eines Items vom KZG ins LZG hängt von der Verarbeitungstiefe ab

• größer, wenn ein Wort semantisch verarbeitet wird („deep encoding“), im Vergleich zu einer rein phonologischen oder orthographischen Verarbeitung („shallow encoding“).

• Die Verarbeitungstiefe kann durch die Aufgabeninstruktion beim Lernen manipuliert werden

� Bsp: Bezeichnet das Wort ein belebtes oder unbelebtes Objekt? (semantische Aufgabe, deep encoding) Beinhaltet das Wort den Buchstaben „b“? (orthographische Aufgabe, shallow encoding)

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3. Arbeitsgedächtnis

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Arbeitsgedächtnis

• Baddeley wollte von sehr komplexen Systemen zum einfachen • Frage: Was macht das KZG? Welche Funktion hat es?

= Ein System für die (temporäre) Speicherung und Manipulation einer begrenzten Zahl von Informationen. •Nützlich für das Verständnis komplexer gesprochener Sätze, Kopfrechnen, schlussfolgerndes Denken etc… Eine einfache Aufgabe schlussfolgernden Denkens (nach Baddeley& Hitch, 1974)

• Idee: Was wenn, KZG die Kontrolleinheit ist, die andere Einheiten steuert? • Aufgaben verschiedener Arten sollten miteinander interferieren

• Aufgabe, die KZG benötigt (schlussfolgerndes Denken) • Weitere Aufgabe, bei der KZG belastet ist (Zahlenreihe lernen)

� BIO • Wenige Fehler in beiden Aufgaben, nur leichte Verlangsamung

- KZG: Teil des Systems für schlussfolgerndes Denken - Beteiligung nicht vollkommen, beide Systeme überlappen leicht � weiter differenzieren? Das Arbeitsgedächtnis-Modell von Baddeley

• Bildhaft-räumlicher Notizblock und Phonologische Schleife = „Sklavensysteme“, die Gedächtnislast tragen

• Zentrale Exekutive nicht für Speicherung, nur für Kontrolle der Systeme • Grundannahme: keine auditorischen Infos, nur sprachliche gelangen in

phonologische Schleife � Modell aber unvollständig, wo wird nonverbales, akustisches gespeichert?

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3. Arbeitsgedächtnis

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Evidenz für die phonologische Schleife (phonological loop) 1.Phonologischer Ähnlichkeitseffekt: Die Tendenz, dass Fehler der Probanden phonologisch ähnlich zum korrekten Item sind (F � S, B � G etc), und die Tatsache, dass phonologisch ähnliche Items schwieriger zu erinnern sind als phonologisch unterschiedliche Items (Baddeley, 1966). 2. Irrelevanter Spracheffekt: Präsentation von irrelevanter, zu ignorierender gesprochener Sprache beeinträchtigt das KZG für visuell präsentierte Ziffern. Der Effekt ist unabhängig davon, ob die irrelevante Sprache englisch, deutsch oder arabisch ist; irrelevante nichtsprachliche Stimuli erzeugen ihn aber nicht (Salamé& Baddeley, 1982, 1989; vgl. allerdings die Arbeiten von Jones, 1994, 1995). Annahme daher: nur sprachliches Material kann in den phonologischen Speicher gelangen. 3.Der Effekt der Wortlänge auf die Gedächtnisspanne: Lange Worte � kürzere Gedächtnisspanne; kurze Worte � längere Gedächtnisspanne (Baddeley et al., 1975). Dieser Effekt liegt vermutlich am rehearsal (innerer Wiederholung), das für längere Worte länger dauert, so dass die Gedächtnisspur vorher präsentierter Wörter leichter zerfällt. Tatsächlich verschwindet der Wortlängeneffekt, wenn rehearsal durch sog. artikulatorische Supression repetitive laute Sprache („das, das, das…“) verhindert wird. � dann kein Unterschied mehr im Erinnern langer und kurzer Wörter Beispiele für Wortlängeneffekte:

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3. Arbeitsgedächtnis

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4.Artikulatorische Suppression eliminiert den phonologischen Ähnlichkeitseffekt bei visueller Präsentation (Interpretation: visuelles Material kann nicht in den phonologischen Speicher transferiert werden), und es eliminiert auch den irrelevanten Spracheffekt (Interpretation: wenn Material nicht in den phonologischen Speicher gelangt, wird es auch nicht von irrelevantem Sprachmaterial gestört). Kritik jedoch: Phonologischer Ähnlichkeitseffekt und irrelevanter Spracheffekt scheinen auf unterschiedlichen Mechanismen zu beruhen (Martin-Loeches, Schweinberger & Sommer, 1997) Beziehung Wortlänge/korrekte Reproduktion sowie Wortlänge/Lesegeschwindigkeit

• Zeit in Gedächtnisspanne ist konstant, nicht Anzahl der Items � Probanden erinnerten, was sie in 1,5 Sekunden gesagt/ gelesen haben

• Schnelle Leser erinnern mehr �

• Vll Gedächtnisspanne in Abhängigkeit von Zeit revidieren? Auditorische Vorstellung

• Man „hört“ Wörter, die man liest, kann sich Klang von Wellen etc. vorstellen Versuchen Sie, diese „englischen(?)“Sätze zu lesen •Iff yue sowned owt thiss sentans tew yoreselph, yoo will komprehenned it. •Moast peepuls eem tue bee aybul tue heer thuh wirds eevan wen thay arr surpresing artikulashun.

• Schwieriger unter artikulatorischer Suppression Exkurs: Tiefendyslexie (deep dyslexia; Coltheartet al., 1980)

• Ursache: Schlaganfall •Aussprechbare Pseudowörter („flart“„speep“) können nicht mehr gelesen werden.

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3. Arbeitsgedächtnis

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•Große Probleme beim Lesen abstrakter Wörter („Hoffnung“„Recht“) , aber geringere Probleme bei konkreten, vorstellbaren Wörtern („Haus“„Geige“). •Häufig werden „semantische Fehler“ gemacht (Währung � Geld, Fluss � See), was impliziert, das es möglich ist ein Wort ungefähr zu verstehen, ohne Zugriff auf dessen Phonologie zu haben Die Bedeutung der phonologischen Schleife für das Erlernen neuer Sprachitems: der Fall von P.V. (Baddeley, Papagno& Vallar, 1988)

• P.V.: phonologisches KZG gestört, da linke Hemisphäre gestört

1. Experiment: • Wortpaare assoziieren lernen � geht, wenn Wörter durch Bedeutung gemerkt werden • Fast keine Einschränkungen bei P.V.

2. Experiment • Unbekannte Vokabeln mit italienischen Wörter assoziieren lernen � Leistung dramatisch beeinträchtigt • P.V. hat kein einziges russisches Wort gemerkt • Durch auditorisches Defizit ist Bildung des LZG beeinträchtigt

� Phonologische Schleife ist beim Neuerlernen von Wörtern/ Sprache zentral, weniger beim Verstehen.

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3. Arbeitsgedächtnis

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Rolle der phonologischen Schleife beim Spracherwerb •Kapazität der phonologischen Schleife kann die Effizienz des Fremdsprachen-erwerbs vorhersagen •Kinder mit verzögertem Spracherwerb haben oft eine stark reduzierte verbale Gedächtnisspanne und sind besonders beeinträchtigt bei der Wiederholung von Pseudowörtern („nonword repetition deficit“) � sagt Lernfähigkeit besser voraus als Intelligenztest = Baddeley hält die phonologische Schleife für eine entscheidende Komponente beim Neuspracherwerb

• Man verlässt sich auf phonologische Schleife, wenn man Wörter anderer Sprache lernt, aber auf semantische Eigenschaften, wenn man Wörter einer bekannten Sprache lernen soll

Bildhaft-Räumlicher Notizblock Shephard& Feng(1972) � treffen sich die Pfeile?

• Zeit, die Vpn für die Entscheidung brauchen, steht in Beziehung zu Anzahl der Faltungen, die man machen müsste

• Vorgehensweise: ein Objekt wird konstant gehalten, anderes so lang rotiert,

bis es gleiche Ausrichtung hat � dann Entscheidung, ob Objekte gleich sind

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3. Arbeitsgedächtnis

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Experiment (Kosslyn& Shwartz, 1981) • Frage zu Vorderpartie des Kaninchens, dann Hinterteil

� dauert länger, man muss es erst „räumlich abtasten“ Experiment,Brooks (1968) erste Bedingung:

• Vpn sollten Buchstaben erst merken, dann vorstellen • Mental Ecken abtasten, angeben welche Linien Ecke einschließt � Aussprechen vs. auf Kärtchen zeigen � Aussprechen fällt leichter

Zweite Bedingung:

• Vpn sollten sich Satz merken: „Ein Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach“

• Dann jedes Wort aus dem Gedächtnis klassifizieren � hier besser beim zeigen, als sprechen

• Antwort durch Zeigen interferiert mit visuell-räumlicher Vorstellung, aber nicht

mit sprachlicher Verarbeitung • Sprachliche Antwort interferiert mit sprachlichen Aufgaben, aber nicht mit

visuell-räumlicher Vorstellung Grund für Dissoziation: 2 Aufgaben im selben Sklavensystem interferieren miteinander � Kapazitäten sind schon verbraucht Zentrale Exekutive (central executive) � generelle Funktion der zentralen Exekutive ist noch unbekannt •Aufmerksamkeitssystem mit begrenzter Kapazität •U.U. identisch zu dem, was andere Wissenschaftler als supervisory attentional system(SAS) bezeichneten •Kontrolliert die phonologische Schleife und den visuell-räumlichen Notizblock •Steht in Verbindung zum Langzeitgedächtnis •Ist die bisher am wenigsten gut verstandene Komponente des Arbeitsgedächtnisses Arbeitsgedächtnisspanne (working memory span; Daneman& Carpenter, 1980) •Aufgabe: Lesen einer bestimmten Anzahl einfacher Sätze; Nach dem letzten Satz soll das letzte Wort jedes Satzes reproduziert werden •Leistung korreliert mit Leseverständnis (Oakhillet al., 1988) •Arbeitsgedächtnisspanne korreliert hoch mit schlussfolgerndem Denken (Kyllonen& Christal, 1990), evtl. Intelligenz

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3. Arbeitsgedächtnis

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Episodischer Puffer = System, dass Informationen aus mehreren Quellen integriert, löst Bindungsproblem (wie Informationen im Bewusstsein verbunden werden)

• Episodisch, weil Informationen über Zeit und Raum miteinander temporär integriert werden

• Interaktion mit LZG � Informationen aus dem LZG werden benutzt, um Chunking zu gewährleisten

� Gedächtnisspanne bei Leuten wie PV auch hier verringert (LZG ist normal, deshalb ist Chunking kein Phänomen des LZG, sondern des Episodischen Puffers) • Zenrale Exekutive kann über Bewusstsein auf Episodischen Puffer zugreifen

Involvierte Struktur: wahrscheinlich inferiorer posteriorer Temporallappen

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4. LZG

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Langzeitgedächtnis

� rein prozesstechnisch alles, was länger als zwei Minuten im Gedächtnis ist

• Viele Befunde aufgrund verbaler Gedächtnisinhalte � aber wahrscheinlich generalisierbar

Methoden zur Erforschung des Gedächtnisses 1. Untersuchung neuropsychologischer Patienten (z.B.: welche Gedächtnisbereiche können unabhängig voneinander gestört sein?) 2. Experimentelle und psychophysiologische Untersuchungen (z.B.: können experimentelle Variablen bestimmte Leistungen differentiell beeinflussen? Bsp.: Enkodierungstiefe hat großen Einfluss auf expliziten Gedächtnisabruf aber keinen Einfluss auf ein implizites Gedächtnismaß wie Priming) 3.Tierexperimentelle Studien(z.B. welche neuroanatomische Läsion bewirkt welchen funktionellen Ausfall � Neuroanatomie des Gedächtnisses)

Amnesie 1. Definition: Als reine Amnesie bezeichnet man ein selektives Defizit des expliziten Langzeitgedächtnisses bei gleichzeitig erhaltenen anderen kognitiven Fähigkeiten, wie Sprache und Intelligenz. 2.Ätiologie(Ursachen): � Unterscheidung zwischen nicht erinnern können - und nicht erinnern wollen 1. Gehirnverletzungen (Schlaganfall, Anoxie, traumat. Hirnläsion) 2.Chronische Alkoholintoxikation (Wernicke-Korsakoff-Syndrom) 3.Infektiöse Erkrankungen des Gehirns (Encephalitis) 4.Psychogene Amnesien 3.Formen: Anterograde Amnesie vs. Retrograde Amnesie 4.Neuroanatomie

Retrograde vs. anterograde Amnesie Anterograde(„nach vorne gerichtete“) Amnesie: Störung beim Lernen neuer Information nach einem die Amnesie erzeugenden Ereignis Retrograde („nach rückwärts gerichtete“) Amnesie: Störung beim Erinnern alter Information, die bereits vor einem die Amnesie erzeugenden Ereignis abgespeichert wurde � meist aber Mischformen der Amnesien

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4. LZG

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Einige typische Untersuchungsmethoden –anterogrades LZG 1. Freie Reproduktion (z.B. Wortlisten) 2. Paarassoziationslernen 3. Wiedererkennen 1.Ja/Nein Test 2.ForcedChoiceTest (Target/Distraktor) Sehr gute Methode: RMBT – nah am alltäglichen Problem, gibt Anstoß zur Intervention Retrogrades LZG zu erfassen ist schwieriger objektivierbar

• Man weiß wenig über vorherige Lernphasen � Test funktioniert nur über Ereignisse aus dem öffentlichen Leben (Öffnung der Mauer, 09/11, etc.)

Der Patient H.M. Scoville, W.B., & Milner, B. (1957). Loss of recent memory after bilateral hippocampal lesions. Journal of Neurology, Neurosurgery, and Psychiatry, 20, 11-21. •Unterzog sich 1953 einer Gehirnoperation, um von schweren epileptischen Anfällen geheilt zu werden •Dabei wurden bilateral Teile der medialen Temporallappen entfernt (Amygdala, anteriore 2/3 des Hippocampus, Gyrus parahippocampalis) Folge: Schwere anterograde Amnesie

•Keine messbaren Störungen der Intelligenz, der Sprache, oder des KZG

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4. LZG

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Beruhen KZG und LZG auf unterschiedlichen Systemen? Frühe Befunde � KZG Erhaltene Bereiche des Gedächtnisses bei Amnesie: Fertigkeiten (Skills) •Perzeptuell-motorische Fertigkeiten werden häufig gut gelernt (z.B. Pursuit Rotor Aufgaben, Tracking-Aufgaben; u.a. Untersuchungen mit H.M. in den 1960er Jahren) � H.M. konnte sich nicht an Trainingssessions erinnern, wurde aber motorisch besser •Denken und Problemlösen: Gemischte Ergebnisse. Beispiel: „Turm von Hanoi“-Aufgabe- H.M. angeblich normal gut; andere Patienten mit Amnesie waren jedoch beeinträchtigt

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4. LZG

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Priming •Priming (Warrington& Weiskrantz, 1968; 1970; Graf, Squire, & Mandler, 1984) •Typischer Befund: Patienten mit Amnesie sind bei konventionellen Gedächtnistests (u.a. freier Abruf) stark beeinträchtigt, zeigen aber ähnliche Effekte von Wiederholungspriming (z.B. Herabsetzung der Erkennungsschwelle für wiederholte Items) wie Kontrollprobanden •Wichtig: Priming-Effekte werden indirekt getestet und erfordern keinen expliziten Abruf

Nicht-semantische Enkodierung: nur oberflächlich

Bei Bewertungsaufgabe: Verarbeitung erforderlich Anoxia= Unterversorgung mit Sauerstoff Durch semantische Enkodierung: höhere Leistrung der KG als bei Vowel

= Wortstammkomplettierungsaufgaben Bei Recognition: Priming-Effekt � schließt auf implizites Gedächtnis

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4. LZG

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• Weiß: KG für jede Patientengruppe, sehr präzise ausgesucht � deshalb kleine Unterschiede

• Bei Cued Recall: Priming Effekt noch größer � höhere Leistung • Ergebnisse jedoch ein wenig unbefriedigend, da Cue-Aufgabe weder richtig für implizites,

noch explizites Gedächtnis ist

Können Priming und explizites Gedächtnis auch experimentell dissoziiert werden? •Jacoby & Dallas (1981): Semantische Verarbeitung beeinflusst explizites Gedächtnis, aber nicht Priming •Aber: Burton, Bruce, & Johnston (1990); Brunas-Wagstaffet al., (1990; 1992): Priming erfordert das bewusste Erkennen des Primes •Schweinberger (2001): Auditorisches Priming durch nicht erkannte Stimmen

1. Vpn sollten Stimmen verarbeiten (bekannt vs. unbekannt) 2. Testphase: Stimmen noch einmal präsentiert, manche

ungeprimt, manche vorwärts, manche rückwärts präsentiert � Vpn mussten in beiden Phasen angeben, ob die Stimme bekannt oder unbekannt war

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4. LZG

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- Primed backward = Stimme rückwärts abgespielt (z.B. Akzent geht verloren, aber Stimmqualität ist noch da)

- In Primingphase: Vpn auf Zufallsniveau � bewusstes Erkennen ist wichtig

3. neue vs. alte Stimmen: Entscheidung bekannt/ unbekannt

- Hauptbefunde: auch in Rückwärtsbedingung signifikanter Primingeffekt

� klappt auch, wenn Prime in Experimentalphase nicht erkannt wird � Hypothese widerlegt

•Jenkins, Burton, & Ellis (2002): Normales Priming bei gleichzeitig verringertem expliziten Gedächtnis für nicht bzw. weniger beachtete Gesichter � Perceptual Load = wenn primäre Aufgabe komplex ist, keine Kapazität um andere Stimuli zu verarbeiten und vice versa

- Buchstabe soll erkannt werden a) Buchstabe benennen b) nur sagen, ob Buchstabe rot oder blau ist � aufwendig � braucht wenig Kapazität

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4. LZG

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� Distraktoren können noch mit verarbeitet werden

Experiment

• Patienten mit Demenz vom Alzheimertyp (AD) und Huntington sowie jeweils Kontrollgruppe untersucht � dramatische Dissoziation

Gedächtnis für Gesichter • „new“: Bilder, die nie gezeigt

wurden

� Effekt des Perzeptual Load im expliziten Gedächtnis

• Primingeffekt, wenn Gesicht schon mal gezeigt wurde

• Verringerung der RT ist unabhängig vom Perceptual Load

� kein Effekt des Perceptual Load im impliziten Gedächtnis

Weiß= Priming Schwarz= per Zufall zu erwarten (Stimulus + Assoziation)

• Perzeptuelles Priming: AD Patienten stark beeinträchtgt

• Kein signifikanter Primingeffekt

• Perzeptuelles motorisches Lernen (mit Stift bewegtem Target folgen)

• Huntington Patienten stark beeinträchtigt

• AD Patienten normal

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4. LZG

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� Es gibt mehr als ein implizites Gedächtnis. Beruhen auf verschiedenen Hirnsystemen. Noch einmal eine Übersicht…

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4. LZG

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Amnesien unterschiedlicher Ätiologie und ihre Symptome •Wernicke-Korsakoff-Syndrom

- vor allem anterograde Amnesie, aber auch teilweise retrograd - Amnesie reicht mehrere Dekaden zurück - Im Unterschied zu weiteren Amnestikern: kognitive Einschränkungen

•Ischämische Hirnschädigungen

- Als Folge von Schlaganfällen und Infarkten im Gehirn: Unterversorgung mit O2, Absterben von Zellverbänden

•Infektiöse Erkrankungen (Encephalitis)

- Patient T.Z.: vorher wichtiger Wissenschaftler (Autobiographie) - Nach Erkrankung starke retrograde Amnesie - Temporallappen besonders anfällig für Encephalitis �

retrograde und anterograde Amnesien folgen

•Weitere Gehirnverletzungen (z.B. Amnesie aufgrund diencephaler Läsionen) - Medialer Temporallappen; andere Systeme

•Transiente amnestische Störungen (heterogen)

- TGA- Attacken: Störungen von Stundendauer; plötzliche Attacken, danach wieder normale Leistung bei Gedächtnistests

- Ursachen: vll. Epilepsie, aber cerebral-vaskuläre Störung (Unterversorgung mit Sauerstoff und Glucose, aber kein vollständiger Gefäßverschluss,daher kein Untergang von Zellen) wahrscheinlicher

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5. Amnesie

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Erklärungsansätze der Amnesie 1. Phasenorientierte Erklärungsansätze 1.Konsolidierungstheorie 2.Enkodierungstheorie 3.Abruftheorie Konsolidierungstheorie(n) •Historisch älteste Theorie, sieht die Amnesie als Defizit beim Übertragen von Information aus dem KZG ins LZG •Probleme: –Retrograde Amnesie kann nicht erklärt werden (prämorbid erworbene Inhalte sollten bereits konsolidiert sein) –Theorie erklärt nicht das intakte Lernen von Fertigkeiten •Squire et al. (1984) nahmen daher an, dass der Zeitverlauf der Konsolidierung langsam (Monate bis mehrere Jahre dauernd) verläuft und Prozesse wie Reaktivierung und Elaboration umfasst. � Vorteil: Erklärt zumindest eine zeitlich begrenzte retrograde Amnesie

- Squire hat Problem zwar gelöst, aber auch Gültigkeit der Theorie eingeschränkt

Enkodierungstheorie(n) •Sieht die Amnesie als Problem der Enkodierung von Information. •Patienten mit Wernicke-Korsakoff-Amnesie zeigen keine Aufhebung proaktiver Interferenz beim Kategoriewechsel. • Craik& Lockheart(1972): könnte bedeuten, dass keine semantische Enkodierung stattfindet � nach Craik& Lockheart ist semantische Verarbeitung, die anfangs stattfindet, essentiell für die Enkodierung

- Aufhebung proaktiver Interferenz tritt auch bei Korsakoff-Patienten nicht auf - Beleg für Verarbeitung der Kategorieinformation ist vermindert � Problem mit semantischer Enkodierung - HM allerdings keine Probleme mit semantischer Enkodierung

•Probleme: –Retrograde Amnesie wird nicht erklärt –Ist die Gedächtnisstörung eine Sekundärfolge mangelnder Aufmerksamkeit? •Jacoby (1983): Amnesie als Defizit beim „willentlichen Erinnern“ bei gleichzeitig intakter perzeptueller Verfügbarkeit (perceptual fluency) der gelernten Items Abruftheorie(n) •Sieht die Amnesie als Problem des Abrufs von Information.

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5. Amnesie

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•Probleme: –Existenz schwerster anterograder Amnesien bei relativ geringer retrograder Amnesie –Ausmaß der retrograden Amnesie korreliert häufig nicht mit dem Ausmaß der anterograden Amnesie –Daher keine generelle Erklärung für Amnesie; Störungen des Abrufs können aber zu schweren retrograden Gedächtnisstörungen beitragen •Spezialfall: Disinhibitionshypothese (Warrington& Weiskrantz; 1970): Amnestische Patienten zeigen mangelnde Inhibition irrelevanter Items. Beispielsweise sind cued recall-Leistungen(Einschränkung der Antwortalternativen) viel besser als freier Abruf. � Hypothese wurde allerdings später verworfen � schlechte Leistung bei Items aus selber Kategorie � starke proaktive Interferenz � Theorie aber später verworfen 2. Bereichsorientierte (strukturelle) Erlärungsansätze 1.Episodisch vs. semantisch 2.Deklarativ vs. prozedural 3.Explizit vs. implizit � Versuch genau zu definieren, was gesund ist und was gestört ist Amnesie als Störung des episodischen Gedächtnisses bei erhaltenem semantischen Gedächtnis •Oft beobachtet man erhaltenes semantisches Wissen bei Amnesie •Probleme: –Semantisches Wissen wurde in der Regel vor der amnestischen Erkrankung erworben –Viele Patienten mit Amnesie zeigen eine gewisse retrograde Amnesie für öffentliche Ereignisse (vergleichbar mit der für autobiographische Ereignisse) –Viele Patienten mit Amnesie zeigen große Probleme beim Neuerwerb von semantischen Informationen (z.B. Vokabellernen); vgl. Gabrieli et al. (1983); Cermak& CO´Connor (1983). –Sind semantische Gedächtnisaufgaben generell leichter ? (können wiederholt werden � leichter zu lernen) •bei Amnesie keine Dissoziation zwischen episodischem und semantischem Gedächtnis. • aber: relativ isolierte Störungen des semantischen Gedächtnisses (De Renzi et al., 1987), so dass die Unterscheidung zwischen episodischem und semantischem Gedächtnis Sinn macht. Patientin L.B.: nur Störung des semantischen Gedächtnisses, episodisches Gedächtnis war intakt

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5. Amnesie

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Gedächtnis für Kontext –Gedächtnis für Fakten •Squire(1982): Patienten mit Wernicke-Korsakoff-Amnesie scheinen eine zusätzliche Beeinträchtigung des Gedächtnisses für zeitliche Abfolgen zu haben •Janowskyet al. (1989): Quellenamnesie. Patienten mit Läsionen im Frontallappen (ohne Amnesie) erinnern genauso viele Fakten wie Kontrollprobanden, haben aber häufig die Quelle dieser Fakten vergessen Amnesie als Störung des expliziten (deklarativen) Gedächtnisses bei erhaltenem implizitem (prozeduralem) Gedächtnis •Cohen & Squire(1980): Deklaratives Gedächtnis beinhaltet Wissen über Fakten und Ereignisse und ist dem Bewusstsein zugänglich („knowing that“). Prozedurales Gedächtnis ist implizit („knowing how“). •Graf & Schacter(1985): Verwenden die Begriffe „explizites“ vs. „implizites“ Gedächtnis als streng atheoretische Begriffe, die sich lediglich auf den Zustand des Individuums beim Gedächtnisabruf beziehen, also auf Gedächtnis, das sich aufgrund eines expliziten, bewussten Abrufs manifestiert, vs. Gedächtnis ohne bewussten Abruf.

Semantisches Gedächtnis •Warrington& McCarthy (1987): „Categories of knowledge“. Untersuchung von Patienten mit großen Defiziten im semantischen Wissen

• Erkennen von Objekten aus unkonventioneller Perspektive ist auf bestimmte Hirnregionen zurückzuführen

• Patient YOT hatte große Probleme damit: Amnesie im semantischen Gedächtnis

•Warrington& Shallice (1984) zeigten, dass semantische Gedächtnisstörungen selektiv sein können (z.B. für „belebte“ vs. „unbelebte“ Objekte).

� semantisches Gedächtnis besteht aus Untereinheiten, aber Überlegungen, ob Unterscheidung in „belebt“ vs. „unbelebt“ sinnvoll ist • Störungen sind immer domänenspezifisch

•Die relevante Trennlinie ist evtl. die zwischen Objekten, die wir hinsichtlich ihrer Funktion im täglichen Gebrauch kennen, und solchen, die wir v.a. aufgrund ihrer visuellen Form kennen. •Kiefer & Spitzer (2000).

• Unterscheidung zwischen funktionalen und visuellen Merkmalen • Belebt: eher visuell

Patient JBR • Probleme beim Erkennen belebter

Objekte, aber auch z.B. bei Musikinstrumenten

Patient YOT • Probleme bei unbelebten Objekten

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5. Amnesie

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• Unbelebt: eher funktionell

Implizites Gedächtnis: Geschichte (vgl. Schacter, 1987. Implicitmemory: Historyand currentstatus. Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, & Cognition, 13, 501-518) � Gewohnheiten laufen automatisch und ohne Bewusstsein für das Handeln ab •1649: Descartes •1804: De Biran-„Mechanisches, sensitives, und repräsentatives Gedächtnis“ •~1850-1920: –„Psychische Forschung“(psychical research) –Neurologie (Dunn, Korsakoff, Claparéde): Erste anekdotische Berichte bei Patienten mit Amnesie

• Korsakoff: amnestischer Patient wurde immer mit E-Schock begrüßt, obwohl er keine Erinnerung hatte, hat er ihm irgendwann nicht mehr die Hand gegeben

–Psychiatrie (Freud, Janet) • Hysterische Amnesie: Personen konnten sich nach Trauma nicht mehr an

belastendes Ereignis erinnern –Experimentelle Psychologie (Ebbinghaus)

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6. Vergessen

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Vergessen

Der Selbstversuch von Ebbinghaus (~1880) •Lernte169 Listen mit je13 sinnlosen Silben •Versuchte diese Listen nach variablen Intervallen wiederzulernen, und fand, dass offenbar ein Teil vergessen worden war •Die Zeit, die zum erneuten Lernen benötigt wurde, galt Ebbinghaus als Maß für das Vergessen •Es zeigte sich eine deutliche Beziehung zwischen Intervalldauer zwischen erstem und erneutem Lernen Vergessenkurve von Ebbinghaus:

Ereignisse: Erinnerung und Vergessen •Warrington& Sanders (1971): Markante öffentliche Ereignisse jedes der letzten ~30 Jahre � werden vergessen, aber jüngere Leute haben besseres Gedächtnis •Bahricket al. (1975) Gedächtnis für Namen und Gesichter ehemaliger High- School-Klassenkameraden nach mehr als 30 Jahren � Wiedererkennen (recognize) von Namen und Gesichtern noch gut, Recall schlechter � zunächst rapides Vergessen (2-3 Jahre), setzt sich dann aber nur noch gering fort Experiment, Bahrick

• Gedächtnis für erlernte Fremdsprache • Vergessen hört nach 2 Jahren fast auf � Rest geht in den

Permastore über

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6. Vergessen

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• Größe des Permastore hängt vom anfänglichen Lernen ab

Vergessen von Fertigkeiten? � Erlangen von Fertigkeiten ist mühevoll, aber essentielle Dinge werden nicht vergessen •Fleischmann & Parker (1962): Probanden, die im Flugsimulator trainiert wurden, zeigten noch nach 9-24 Monaten praktisch unveränderte Fertigkeiten Kontinuierliche(“closed loop”-) Fertigkeiten • fliegen oder Fahrrad fahren � jede Handlung ist ein Hinweis für die nächste

diskrete (“open loop”) Fertigkeiten • Schreibmaschinen-Schreiben � jede Handlung ist eine separate Antwort auf einen bestimmten Stimulus

� meiste Fähigkeiten sind eine Mischung und brauchen deklaratives Wissen: •McKenna & Glendon (1985): Vergessen von Erste-Hilfe Fertigkeiten:

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6. Vergessen

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� Fertigkeiten sollten wieder aufgefrischt werden Resistenz gegen Vergessen Selbstversuch (Linton, 1975)

• Über 5 Jahre lang täglich zwei Ereignisse in ein Tagebuch geschrieben • Zu festgelegten Zeitpunkten: Ereignisse ausgewählt und Erinnerung getestet � Auswahl geschah zufällig, manche Ereignisse wurden so mehrmals wiederholt � Ein zusätzlicher Test reduziert das Vergessensausmaß

Theorien des Vergessens 1.Vergessen als “Zerfall” der Gedächtnisspur mit der Zeit

� es gibt eine gewisse Zeit bis zum Vergessen • Kritischer Faktor sollte Zeit sein

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6. Vergessen

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2.Vergessen als Zerstörung der Gedächtnisspur durch nachfolgende Lerninhalte (Interferenz)

• Kritischer Faktor sollte Anzahl der Ereignisse sein, die in einer gewissen Zeit geschehen

Hitch& Baddeley (1977)

• Rugbyspieler sollten Namen der Teams erinnern gegen die sie gespielt hatten

• Manche Spieler hatten ein Spiel lang ausgesetzt � vorletztes Spiel war manchmal eine Woche, bei manchen aber schon zwei her � Zeit und Anzahl der Ereignisse konnten getrennt beobachtet werden

• Ergebnis: Zeit spielt keine Rolle, Anzahl der Spiele ist kritisch

� Vergessen ist abhängig von der Anzahl intervenierender Ereignisse Vergessen –Interferenz oder Zerfall? •Probanden, die Material abends unmittelbar vor dem Zubettgehen lernen, zeigen besseres Gedächtnis als Probanden, die morgens lernen(Jenkins & Dallenbach, 1924) •Vermutung: Konsolidierung im Schlaf funktioniert effizienter (evtl. vermittelt durch Träume; Crick& Mitchison, 1983), � bis heute keine klaren Belege

• Zirkadiane Rhythmen spielen eine Rolle für Leinfähigkeit und Vergessen (u.a. Gedächtniskonsolidierung könnte effektiver sein)

Experiment (McGeoch& McDonald, 1931) � Rolle der Ähnlichkeit hinsichtlich Interferenz untersucht

• Vpn sollten Listen lernen (Assoziation zwischen Adjektiv und Substantiv, dann Adjektiv erinnern)

• A ist einfacher � Adjektive verschiedener � Interferenzeffekte der Ähnlichkeit

Graphik zeigt Wahrscheinlichkeit des Erinnerns an das letzte, vorletzte etc… Team

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6. Vergessen

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Retroaktive Interferenz = neues Material überschreibt das ältere

• Typisches Paradigma: Wortpaare lernen � erst tipsy und sailor, dann cautious und sailor

• Erste Assoziation wird geschwächt � aber je stärker ist, desto resistenter ist sie

• Je stärker später gelernt wird, desto höher die Interferenz zum früheren

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7. Denken und Problemlösen

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Denken und Problemlösen •Denken als sprachlicher Gedankenstrom; „Sprache des Geistes“– propositionales (bedeutungsbezogenes) Denken •Denken als bildhafter Gedankenstrom; „im Geiste sehen“– bildhaftes Denken •Denken als Vorstellung mentaler Bewegungsabläufe –motorisches Denken = Wissensrepräsentationen (bedeutungs- vs. wahrnehmungsbezogen)

Schema= abstrakte Repräsentation von komplexen zeitlich verbundenen Handlungen, z.B. Kaffee kochen Konzepte = kognitive Repräsentationen von Klassen von Dingen, umfassen die Merkmale oder Relationen, die einer Klasse von Objekten gemeinsam sind

• Gehören zum propositionalen Denken • Gedankliche Abstraktionen • haben Vorhersagekraft (predictive power, vgl. Barsalou, 1985) • resultieren aus der Fähigkeit, individuelle Erfahrungen zu kategorisieren, ihnen

ein gleiches Etikett zu geben und sie funktionell gleichartig zu behandeln= sorgen für kognitive Ökonomie

• Konzeptbildung wird als grundlegende Fähigkeit höherer Organismen betrachtet.

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7. Denken und Problemlösen

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Theorien der Kategorisierung •Kritische Merkmalstheorie: Ein Konzept wird charakterisiert durch das Vorhandensein einer genügenden Anzahl notwendiger Merkmale. •Prototypentheorie: Ein Konzept wird charakterisiert durch einen Prototyp, welcher der zentralen Tendenz der Merkmale aller Exemplare des Konzepts entspricht. •Exemplarbasierte Theorien: Ein Konzept wird charakterisiert durch eine Sammlung von Exemplaren. Bildhaftes Denken = Denken in visuellen Bildern, die wir im Geiste sehen Experiment zu mentalen Rotation (Shepard& Cooper, 1982)

• Ein Stimulus pro Durchgang gezeigt • Aufgabe: unterscheiden zwischen normaler Darbietung und gespiegelter

Darbietung • Reaktionszeit gemessen Ergebnis: mentales Bild des Stimulus wird rotiert, bis es aufrecht ist � RT ist vom Winkel abhängig: je weiter Buchstabe von seiner normalen Orientierung in die eine oder andere Richtung rotiert worden war, desto länger brauchen Vpn für ihre Entscheidung

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7. Denken und Problemlösen

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Kognitive Landkarten: • Sind egozentriert • Geben Aufschluss über räumliches Gedächtnis

Experiment (Moar 1978)

• Vpn sollten von einem Startpunkt aus Linien zeichnen, die Städte miteinander verbinden

• Aus Vektoren der Linien wurde räumliches Konzept über GB der Vpn berechnet

= mental triangulation GB normal:

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7. Denken und Problemlösen

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Vpn aus Cambridge (Süden): Norden stark unterrepräsentiert

Vpn aus Glasgow (Norden): Süden stark unterrepräsentiert

� beide Gruppen haben GB „gerade“ gemacht, obwohl es eigentlich geneigt ist Experiment: mentale Konsequenzen der deutschen Wiedervereinigung • Vpn sollten Entfernungen von zwei deutschen Städten schätzen • 2 Bedingungen:

o Within: Entfernung Ost/Ost bzw. West/ West o Across: Entfernung West/ Ost bzw. Ost/ West

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7. Denken und Problemlösen

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Ergebnisse:

• Generelle Tendenz Entfernung zu überschätzen (wg. Luftlinie- ungewohnt, Fahren bedeutet längere Strecke)

• Überschätzung der Across-Entfernung, vor allem bei Probanden mit negativer Einstellung zur Wiedervereinigung

Neuronale Grundlagen

• Aufgrund von Läsionen untersuchbar

Experiment (Bisiach& Luzzatti, 1978):

• Patienten sollten sich Mailänder Domplatz vorstellen

• Frage: Welche Gebäude „sieht“ man?

� Patienten mit Hemineglect berichteten nur über rechte Seite � Selbes Vernachlässigungssyndrom wie in der Wahrnehmung gibt es auch in der Vorstellung.

Kognitive Landkarten spielen auch bei Einstellungen eine wichtige Rolle!

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7. Denken und Problemlösen

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Schlussfolgerndes Denken •Deduktives Denken (lat. deducere–ableiten): Die Ableitung von Erkenntnissen aus anderen, allgemeineren Sätzen Beispiel: •Prämisse: Alle Studenten sind Menschen. •Prämisse: Hasso ist ein Student. •Konklusion: Also ist Hasso ein Mensch. •Induktives Denken (lat. inducere–hinführen): Der Schluss von Einzelfällen (dem Besonderen) auf das Allgemeine Beispiel: •Schwan 1, 2, …n ist weiß. •Also sind alle Schwäne weiß •Aber: Induktive Schlüsse sind Wahrscheinlichkeitsaussagen ohne absoluten Wahrheitsanspruch. Das Bayes-Theorem •A priori Wahrscheinlichkeit: Die Wahrscheinlichkeit, Mitglied einer Klasse (z.B. weißer Schwäne) zu sein, ist umso größer, je größer der Anteil dieser (z.B. weißen) Mitglieder an der Gesamtheit (z.B. der Schwäne) ist (base-rate-rule). •Bedingte Wahrscheinlichkeit: Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis eintritt, wenn eine bestimmte Hypothese zutrifft (z.B. dass wir in Europa sind). •A posteriori Wahrscheinlichkeit: Wahrscheinlichkeit, dass eine Hypothese nach Berücksichtigung eines Ereignisses tatsächlich eintritt. Pr(A|B) = (Pr(B|A) x Pr(A)) / (Pr(B|A) x Pr(A) + Pr(B|Ac) x Pr(Ac)) •Pr(A): a priori p für A •Pr(A|B): bedingte p für A, gegeben B •Pr(B|A): bedingte p für B, gegeben A •Pr(Ac): Komplementärwahrscheinlichkeit von A Beispiel: Falsch positive Resultate in einem medizinischen Test: –Wenn ein Patient die Erkrankung hat (A), zeigt der Test sehr wahrscheinlich (p = .99) ein „positives“ Resultat (B) –Wenn ein Patient die Erkrankung nicht hat (Ac), zeige der Test sehr wahrscheinlich (p = .95)–Die Prävalenz der Erkrankung in der Bevölkerung ist mit 0.1% gering (p = .001) –Wie wahrscheinlich ist eine Erkrankung bei einem Patienten, wenn sich beim „screening“ein positives Testresultat ergibt?

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7. Denken und Problemlösen

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Auflösung Pr(D|T) = ((Pr(T|D) x Pr(D)) / (Pr(T|D) x Pr(D) + (Pr(T|Dc) x Pr(Dc) •Pr(T): p für ein positives Testresultat •Pr(D): p für das Vorliegen der Erkrankung •Pr(Dc): Komplementärwahrscheinlichkeit von D � p für das Nicht-Vorliegen der Erkrankung Pr(T) = 0.99 x 0.001 / 0.99 x 0.001 + 0.05 x 0.999 ~ 0.0194 •Das heißt: Für dieses Beispiel ist die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung bei einem Patienten, wenn sich beim „screening“ ein positives Testresultat ergibt, etwa 2%. Umgekehrt ist die Wahrscheinlichkeit eines falsch positiven Resultats 98%! � der Mensch kann aber eigentlich nicht auf diese Art denken, deshalb verschätzen wir uns hier sehr!

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8. Sprache

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Sprache

Wörter und Morpheme •Buchstaben �Zeichen für Sprachlaute •Wörter � Zeichen für Bedeutung, Begriffe oder Konzepte •Die Relation von Wort zu Bedeutung ist relativ beliebig (Pinker, 1994);

z.B.: „Hund“= „chien“(franz.) = „perro“(span.) •Relation von Wort zu Konzept ist nicht eindeutig (manche Konzepte beruhen auf mehreren Wörtern) •Morpheme, nicht Wörter, sind die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten z.B.: „be-deu-ten“

• Sprache ist dynamisch � kann nicht fixiert werden (d.h. es entstehen immer neue Wörter)

Geschichte der Psycholinguistik •Cattell(1886) Lesezeit kürzer für Wörter als für sinnlose Buchstabenkombinationen •Huey (1900) Lautes Lesen hinkt dem Fixieren beim Lesen um 6-7 Worte hinterher •Noam Chomsky (1959, 1965) Kritik am Behaviorismus, bei dem der assoziative Charakter der Sprache im Vordergrund stand. •Heute: Reaktionszeiten, Augenfixationen beim Lesen, ereigniskorrelierte Potentiale (EKPs), funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT)

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8. Sprache

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Sprechen

• Luftstrom wird durch und Lungenflügel erzeugt • Artikulation entsteht im Rachen, Mundraum, Nasenhöhle

Sprechen und Sprachverstehen gehen unterschiedliche Wege � sprachliche und konzeptuelle Informationen sind aber die selben • Sprachliches Wissen hat

Regelcharakter • Wissen über Wörter ist davon

verschieden und für jedes einzigartig

1. Man hört/sieht ein Wort � muss es

zunächst dekodieren, um bezeichnetes Lebewesen, Objekt etc. abzurufen

2. man möchte über ein Lebewesen/Objekt

sprechen/ bzw. Bezeichnung aufschreiben � muss es zunächst enkodieren, um passendes Wort zu erhalten

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8. Sprache

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Ort der Artikulation •labial = Blockade durch die Lippen (p, b, m � wichtigste Konsonanten) labio-dental = Blockade durch die Zähne (f) interdental = Zunge zwischen den Zähnen •alveolar = Blockade der Zunge hinter den Zähnen (d,s,z) •velar = Blockade der Zunge hinten am Gaumen (g) palatal = Zunge am Gaumen hinter Zahnwulst

Kombination plosiv+ frikativ= afrikat (z.B. pf, tz, tsch)

• Vokale entstehen durch Zungenstellung und Form der Lippen, Luftstrom fließt ungehindert

• Wir besitzen ein sehr großes mentales Lexikon über Wörter (sowohl akustisch

als auch visuell repräsentiert) • Akustisch werden 4-5 Wörter pro Sekunde verarbeitet

Wie lesen wir? � Graphem-zu-Phonem Regel, aber auch Weg über orthographische Repräsentation des Gesamtwortes •Umwandlung von Buchstaben in lautliche Einheiten? „H-U-N-D“. Hinweis: Wir können auch nicht existierende Buchstabenfolgen, sog. Pseudowörteraussprechen „Gemorf“, „Bofalka“ •Kodierung nach Silben?„Erd-bee-re“ •Ganzheitliches Lesen von Wörtern (Wortformen)? „Fahrrad“. Hinweis: Der Wortüberlegenheitseffekt (word superiority effect)

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8. Sprache

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Strukturelle Wortmerkmale •Wortklassenzugehörigkeit - für Syntax wichtig, Wortart ist festgelegt •Subkategorisierungsinformation - „schlafen“(kann nur mit Subjekt gepaart werden) vs. schenken“ (kann mit Substantiv, direktem und indirektem Objekt gepaart werden) – syntaktischer Rahmen, in dem Wort eine Rolle spielt •Lemma –strukturell-syntaktische Wortmerkmale, Wortklasse ist enthalten

Bilinguale

• Haben separate Wortformspeicher, teilweise auch Lemmas unterschiedlich Zweite Sprache spät lernen

• Direkte Verbindung zwischen Wortformen in der Mutter- u. Zweitsprache

• Anfänglich Wortformen in L2 nur über Verbindung zu L1 abrufbar

Zunehmende Beherrschung der Zweitsprache

• Direkte Verbindung zwischen L2 und Konzept

• Querverbindungen werden schwächer � Übersetzen läuft über Konzepte

Konjugationen werden generalisiert auf Pseudowörter, fremdsprachige Wörter � Idee der universellen Grammatik • F: Wortart bleibt gleich • D: Wortart ändert sich je

nach Morphem • Jeweils Kombination von

freien und gebundenen Morphemen

• K: Bedeutung kann sich

verändern („göttlich“)

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8. Sprache

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Das Segmentierungsproblem

• Segmentierungsprozess = Unterteilung der Sprache in einzelne Worte • Gesprochene Sprache ist akustisch kontinuierlich • Auch Segmentierungsfehler möglich, da durch kontinuierliches Sprechen

Wörter entstehen, die gar nicht tatsächlich produziert wurden • Segmentierungsproblem:

o Hörer muss Einheiten im Sprachsignal erkennen (prälexikale Zugriffseinheiten), die Zugriff auf Lexikon erlauben

o Zugriffseinheiten müssen so kategorisiert werden, dass sie Zugriff ermöglichen

� TRACE und Kohorten-Modell = Segmentierung kontinuierlicher Sprache ergibt sich als Konsequenz der Worterkennung

• Metrische Segmentierungsstragie (Cutler& Norris, 1988): Segmentierungsprozess wird durch Silben mit vollem Vokal angestoßen, alle darauf folgenden mit reduziertem Vokal als zugehörig angesehen (fürs Englische)

� Segmentierung wird durch Muttersprache bestimmt

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8. Sprache

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Variabilität zwischen Sprechern

Das variable Sprachsignal •Menschen erkennen Wörter unabhängig vom Sprecher, Art der Aussprache (siehe aber Nygaardet al., 1994: Vorteil bei vertrauten Sprechern) Nygaard

• Wörter wurden mit weißem Rauschen überdeckt (entspricht vielen Hintergrundgeräuschen, schlechter Telephonverbindung etc.)

� schwierige Worterkennungsaufgabe • Eine Gruppe hatte vorher Training � Erfahrung mit den Stimmen � verstanden später signifikant mehr Wörter • Kein Gruppenunterschied, wenn weißes Rauschen nicht vorliegt

•Sprecher produzieren Phoneme nicht in getrennter zeitlicher Abfolge, sondern zeitlich überlappend •Koartikulation“: die Bewegungen der Artikulatoren reflektieren nicht nur das aktuelle Phonem, sondern auch das vorangegangene und das folgende •Menschen können 4-7 Wörter/Sekunde verstehen, benötigen also max. ~170-250 ms pro Wort Auditive Worterkennung •Parallele Verarbeitungsmodelle dominieren (z.B. Kohortenmodell; Marslen-Wilson& Tyler, 1980)

o = modulares Modell, weil über- und untergeordnete Prozesse nicht miteinander interferieren (aber widersprüchliche Befunde dazu: lexikon beeinflusst Interpretation der akustisch- phonetischen Analsyse)

o Sprachsignal und lexikalische Repräsentation müssen passem o Wortformen als Bündel von Merkmalen gespeichert � nur nicht

erschließbare Infos werden gespeichert

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8. Sprache

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o Kann so gut mit regelhaft veränderten Spracheingaben (u.a. Auslautverhärtung) umgehen

� Phonetische Eigenschaften werden extrahiert und auf unterspezifizierte lexikalische Repräsentationen abgebildet. � Sobald Sprachsignal und lexikalische Repräsentation in wichtigen phonologischen Eigenschaften abweichen, wird die betreffende Repräsentation deaktiviert

o Wort kann eventuell noch über Reparaturprozess erkannt werden •Ein Selektionsmechanismus (wichtig in Modellen mit paralleler Verarbeitung), der sicherstellt, dass nur ein Wort erkannt wird, wird über die Zeit zunehmend spezifischer

Primingparadigma

Wörter, die nicht passen, werden wieder deaktiviert

Wenn nur noch 1 Wort übrig ist: point of recognition

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Bild-Wort-Interferenzparadigma

= Variante des Primingparadigmas • Vpn muss Bilder benennen, die als Targets dienen, Distraktor: Wort • SOA variiert � Erleichterung der Benennung durch phonologische und morphologische Verwandtschaft, semantische Beziehung verlangsamt � mehrere Lemmas werden aktiviert, man muss entscheiden, welches versprachlicht werden soll

Wortgedächtnis

• Sind Wortformen für Sprachproduktion und –wahrnehmung gleich? • Lemmas und Morpheme sind es • Wortformen kodieren phonologische Struktur der Wörter • Verschiedene Ergebnisse aus Primingparadigmen � Nutzung der Infos für

Sprechen und Verstehen sollen verschieden sein o Wortformen der Wahrnehmung und Produktion entweder verschieden o Oder werden anders verarbeitet: � Sprachwahrnehmung: auf der Ebene von Wortformen muss

entschieden werden, welches Wort gehört/ gelesen wird (schwieriger, je ähnlicher Wörter sind) � Konkurrenz zwischen Wortformen

� Sprechen: Entscheidung wird auf konzeptueller und Lemmaebene getroffen � keine Konkurrenz

Verschiedene Arten von Priming…

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Aphasien

• Ausdehnung der Sprachareale zwischen Menschen verschieden • Unterscheidung in Sprechen und Verstehen nicht ganz so einheitlich wie vermutet • Erworbene vs. entwicklungsbedingte Dyslexien � 6 Kategorien (S.577,

Müsseler& Prinz)

= Störung beim Schreiben, Lesen, Verstehen, Produktion von Sprache (keine intellektuellen o. sensorische Beeinträchtigung) • Anomie, Agrammatismus, Paraphasie,

Aprosodie, Störung beim Wiederholen, flüssigen Sprechen…

• Flüssige (normaler Sprachfluss, Störung beim Verstehen �Wernicke) vs. nicht-flüssige Aphasien (Produktionsschwierigkeiten, Hörverständnis erhalten �Broca)

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