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Integration von Vorwissen beim Textverstehen Integration von Vorwissen beim Textverstehen Anja Roye, Janet Keil, Eva-Maria Gonser, Wiebke Haberbeck, Eva Lübke, Tobias Deutsch & Constanze Dittrich Gedruckt im Universitätsrechenzentrum Leipzig Einleitung Einleitung Im Mittelpunkt unserer Untersuchung stand die Prüfung der Hypothesen, ob das Lesen eines Textes die Aktivierung von Wissen nach sich zieht und ob es eine zeitliche Vorzugsrichtung bei der Aktivierung von Wissen entsprechend einer natürlichen Abfolge von Ereignissen gibt. Grundlage bildeten Arbeiten von Kintsch 1988/93 sowie von Beyer, Guthke & Thiele, 1995. Mit Hilfe eines Wiedererkennungsparadigmas wurden Reaktionszeiten und Fehlerraten gemessen. Im Hauptversuch wurden Texte dargeboten. Nach jedem Text folgte ein Testwort, bei dem die Probanden so schnell wie möglich entscheiden sollten, ob es im vorherigen Text enthalten war. Variiert wurde dabei, ob das Testwort auf den Text semantisch prospektiv (vorwärtsgerichtet) oder retrospektiv (rückwärtsgerichtet) bezogen war, bzw. eine neutrale Beziehung zwischen Testwort und Text bestand. Für die Auswertung waren nur die Testworte relevant, die nicht im Text enthalten waren. Bei der Ablehnung dieser Testworte sollte es zu einer verzögerten Reaktion kommen, wenn eine semantische Beziehung zwischen Text und negativem Testwort besteht. Ursache ist eine Interferenz zwischen dem aktivierten Vorwissen infolge des Textlesens Verzögerung sollte von der zeitlichen Beziehung abhängen. Hypothesen Hypothesen 1. Die korrekte Ablehnung der negativen Testwörter ist verzögert, wenn eine semantische Beziehung zwischen Text und Testwort besteht, da es zu einer Interferenz zwischen Vorwissen und Testwort kommt. 2. Weist das Testwort im Bezug auf den Satz eine vorwärts gerichtete Orientierung auf, sollte die Verzögerung stärker ausfallen. Methoden Methoden Stichprobe: 57 Vpn; 82,5% (f), 17,5% (m); Durchschnittsalter 22,4 Jahre (18-32) Faktoren: “semantische Relation zwischen Vorinformationstext und Testwort" (vorhanden vs. nicht vorhanden) und “Typ des zeitlichen Bezugs zwischen Vorinformationstext und Testwort” (prospektiv vs. retrospektiv) Testworte, die eine Beziehung aufwiesen, wurde so ausgewählt, dass entweder eine prognostische oder eine retrospektive Beziehung zum Vorinformationstext vorhanden war. Zur Unterbindung von Antwortstrategien wurden zusätzlich positive Text-Testwortpaare (Ja- Antworten, 50%) und Items zur Wortartbalancierung (Testworte waren Substantive, Verben, Präpositionen oder Adjektive) konstruiert. Drei Untersuchungsabschnitte mit je einer vorangestellten Übungsphase (motorische Reaktionzeitmessung, Lesezeitmessung, Haupttestphase) wurden realisiert. Ergebnisse Ergebnisse Ergebnisse Ergebnisse Es konnte eine Hauptwirkung des Faktors „semantische Beziehung“ sowohl in der Versuchspersonenanalyse (F1) als auch in der Itemanalyse (F2) nachgewiesen werden [F1(1.56) = 17.82, MSE = 15880.46, p = 0.000; F2(1.29) = 17.28, MSE = 9492.54, p = 0.000]. Dies stützt unsere erste Hypothese. Eine Wechselwirkung und somit ein Zeitrichtungseffekt war nicht feststellbar [F1(1.56) = 2.72, MSE = 15647.77, p = 0.105; F2(1.29) = 0,38, MSE = 12534.67, p = 0.543]. Auch die Abb.2 , welche sich auf die Fehler bezieht, stützt die erste Hypothese und verwirft die zweite. Abb. 2 : Mittlere Fehlerzahl in Abhängigkeit von semantischer Bezogenheit und zeitlicher Orientierung (Fvor– vorwärts, semantisch relatiert; Fneutral –semantisch neutral; Frueck – rückwärts, semantisch relatiert) Bei semantischer Beziehung zwischen Text- und Testwort treten mehr Fehler auf als bei neutraler Beziehung. Die Zeitrichtung wirkt sich dagegen nicht aus. Um einen möglichen Effekt des Materials auszuschließen, führten wir eine dreifache Varianzanalyse unter Hinzunahme des Faktors Material (viergestuft) durch. Es zeigten sich keine signifikanten Materialeffekte. Die verwendeten Materialtypen können deshalb als gleichwertig betrachtet werden. 900 950 1000 1050 R tin m s R tvo r R tneutral R trueck R tneutral Diskussion Diskussion In früheren Untersuchungen wurde eine stärkere Verzögerung für prospektiv-relatiertes Vorwissen nachgewiesen. Warum deutet sich das in unserer (und anderen neueren) Untersuchungen nur noch tendenziell an und ist inferenzstatistisch nicht nachweisbar?Dafür kommen mehrere Gründe in Frage: Die Vorwissenaktivierung könnte im komplexeren Text schon frühzeitig beim Lesen einsetzen und daher nicht mehr experimentell kontrollierbar sein. Eine zu geringe Stichprobengröße könnte der Grund für die mangelnde statistische Signifikanz des angedeuteten Effektes sein. Dies ließe sich durch Zusammenlegen der Daten mit denen einer Berliner Stichprobe, bei der dasselbe Ergebnis erzielt wurde, überprüfen. Vielleicht gibt es diesen Effekt auch gar nicht und vorwärtsgerichtetes Wissen ist tatsächlich nicht schneller verfügbar als rückwärtsgerichtetes Wissen. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass es im Rahmen Literatur Literatur -Beyer,R., van der Meer,E., Hagendorf,H. & Strauch,D. (1998): Nutzung der zeitlichen Organisation von Wissen beim Verstehen von Sätzen und Texten. Zeitschrift für Psychologie, 206, 145-168 -Beyer, R., Guthke, Th. & Thiele, B. (1995): Integration von Vorwissen beim Sprachverstehen in Abhängigkeit vom Lebensalter. Zeitschrift für Psychologie, 203, 361-378 -Dijk, T.A. van & Kintsch, W. (1983): Stategies of Discourse Comprehension. Academic Press. New York -Kintsch, W. (1988): The role of knowledge in discourse comprehension: A construction-integration model. Psychological Review, 92, 2, 163-182 Abb. 1 : Mittlere Reaktionszeiten (Ablehnungszeiten ) in Abhängigkeit von semantischer Bezogenheit und zeitlicher Orientierung (Rtvor – vorwärts, semantisch relatiert; Rtneutral – semantisch neutral; Rtrueck– rückwärts semantisch relatiert) 0 2 4 6 F in % Fvor Fneutral Frueck Fneutral Gedruckt im Universitätsrechenzentrum Leipzig

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Hypothesen 1. Die korrekte Ablehnung der negativen Testwörter ist verzögert, wenn eine semantische Beziehung zwischen Text und Testwort besteht, da es zu einer Interferenz zwischen Vorwissen und Testwort kommt. - PowerPoint PPT Presentation

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Page 1: Gedruckt im Universitätsrechenzentrum Leipzig

Integration von Vorwissen beim TextverstehenIntegration von Vorwissen beim TextverstehenAnja Roye, Janet Keil, Eva-Maria Gonser, Wiebke Haberbeck,

Eva Lübke, Tobias Deutsch & Constanze Dittrich

Gedruckt im Universitätsrechenzentrum Leipzig

Einleitung Einleitung Im Mittelpunkt unserer Untersuchung stand die Prüfung der Hypothesen, ob das Lesen eines Textes die Aktivierung von Wissen nach sich zieht und ob es eine zeitliche Vorzugsrichtung bei der Aktivierung von Wissen entsprechend einer natürlichen Abfolge von Ereignissen gibt.Grundlage bildeten Arbeiten von Kintsch 1988/93 sowie von Beyer, Guthke & Thiele, 1995. Mit Hilfe eines Wiedererkennungsparadigmas wurden Reaktionszeiten und Fehlerraten gemessen.Im Hauptversuch wurden Texte dargeboten. Nach jedem Text folgte ein Testwort, bei dem die Probanden so schnell wie möglich entscheiden sollten, ob es im vorherigen Text enthalten war. Variiert wurde dabei, ob das Testwort auf den Text semantisch prospektiv (vorwärtsgerichtet) oder retrospektiv (rückwärtsgerichtet) bezogen war, bzw. eine neutrale Beziehung zwischen Testwort und Text bestand. Für die Auswertung waren nur die Testworte relevant, die nicht im Text enthalten waren. Bei der Ablehnung dieser Testworte sollte es zu einer verzögerten Reaktion kommen, wenn eine semantische Beziehung zwischen Text und negativem Testwort besteht. Ursache ist eine Interferenz zwischen dem aktivierten Vorwissen infolge des Textlesens und der Testwortrepräsentation.Der Grad der Verzögerung sollte von der zeitlichen Beziehung abhängen.

HypothesenHypothesen1. Die korrekte Ablehnung der negativen Testwörter ist verzögert, wenn eine semantische Beziehung zwischen Text und Testwort besteht, da es zu einer Interferenz zwischen Vorwissen und Testwort kommt. 2. Weist das Testwort im Bezug auf den Satz eine vorwärts gerichtete Orientierung auf, sollte die Verzögerung stärker ausfallen.

MethodenMethodenStichprobe: 57 Vpn; 82,5% (f), 17,5% (m); Durchschnittsalter 22,4 Jahre (18-32) Faktoren: “semantische Relation zwischen Vorinformationstext und Testwort" (vorhanden vs. nicht vorhanden) und “Typ des zeitlichen Bezugs zwischen Vorinformationstext und Testwort” (prospektiv vs. retrospektiv) Testworte, die eine Beziehung aufwiesen, wurde so ausgewählt, dass entweder eine prognostische oder eine retrospektive Beziehung zum Vorinformationstext vorhanden war.Zur Unterbindung von Antwortstrategien wurden zusätzlich positive Text-Testwortpaare (Ja-Antworten, 50%) und Items zur Wortartbalancierung (Testworte waren Substantive, Verben, Präpositionen oder Adjektive) konstruiert.Drei Untersuchungsabschnitte mit je einer vorangestellten Übungsphase (motorische Reaktionzeitmessung, Lesezeitmessung, Haupttestphase) wurden realisiert.

ErgebnisseErgebnisse

ErgebnisseErgebnisseEs konnte eine Hauptwirkung des Faktors „semantische Beziehung“ sowohl in der Versuchspersonenanalyse (F1) als auch in der Itemanalyse (F2) nachgewiesen werden [F1(1.56) = 17.82, MSE = 15880.46, p = 0.000; F2(1.29) = 17.28, MSE = 9492.54, p = 0.000]. Dies stützt unsere erste Hypothese.Eine Wechselwirkung und somit ein Zeitrichtungseffekt war nicht feststellbar [F1(1.56) = 2.72, MSE = 15647.77, p = 0.105; F2(1.29) = 0,38, MSE = 12534.67, p = 0.543]. Auch die Abb.2 , welche sich auf die Fehler bezieht, stützt die erste Hypothese und verwirft die zweite.

Abb. 2: Mittlere Fehlerzahl in Abhängigkeit von semantischer Bezogenheit und zeitlicher Orientierung (Fvor– vorwärts, semantisch relatiert; Fneutral –semantisch neutral; Frueck – rückwärts, semantisch relatiert)

Bei semantischer Beziehung zwischen Text- und Testwort treten mehr Fehler auf als bei neutraler Beziehung. Die Zeitrichtung wirkt sich dagegen nicht aus.

Um einen möglichen Effekt des Materials auszuschließen, führten wir eine dreifache Varianzanalyse unter Hinzunahme des Faktors Material (viergestuft) durch. Es zeigten sich keine signifikanten Materialeffekte. Die verwendeten Materialtypen können deshalb als gleichwertig betrachtet werden.

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DiskussionDiskussionIn früheren Untersuchungen wurde eine stärkere Verzögerung für prospektiv-relatiertes Vorwissen nachgewiesen. Warum deutet sich das in unserer (und anderen neueren) Untersuchungen nur noch tendenziell an und ist inferenzstatistisch nicht nachweisbar?Dafür kommen mehrere Gründe in Frage: Die Vorwissenaktivierung könnte im komplexeren Text schon frühzeitig beim Lesen einsetzen und daher nicht mehr experimentell kontrollierbar sein. Eine zu geringe Stichprobengröße könnte der Grund für die mangelnde statistische Signifikanz des angedeuteten Effektes sein. Dies ließe sich durch Zusammenlegen der Daten mit denen einer Berliner Stichprobe, bei der dasselbe Ergebnis erzielt wurde, überprüfen. Vielleicht gibt es diesen Effekt auch gar nicht und vorwärtsgerichtetes Wissen ist tatsächlich nicht schneller verfügbar als rückwärtsgerichtetes Wissen. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass es im Rahmen unseres Experimentes nicht möglich ist, genaue Aussagen bezüglich der zeitlichen Orientierung von Vorwissen in Satz-und Texverarbeitung zu treffen. Dazu bedarf es noch weiterer Untersuchungen unter Berücksichtigung der angedeuteten Probleme .

LiteraturLiteratur-Beyer,R., van der Meer,E., Hagendorf,H. & Strauch,D. (1998): Nutzung der zeitlichen Organisation von Wissen beim Verstehen von Sätzen und Texten. Zeitschrift für Psychologie, 206, 145-168 -Beyer, R., Guthke, Th. & Thiele, B. (1995): Integration von Vorwissen beim Sprachverstehen in Abhängigkeit vom Lebensalter. Zeitschrift für Psychologie, 203, 361-378-Dijk, T.A. van & Kintsch, W. (1983): Stategies of Discourse Comprehension. Academic Press. New York-Kintsch, W. (1988): The role of knowledge in discourse comprehension: A construction-integration model. Psychological Review, 92, 2, 163-182-Kintsch, W. (1993): Information Accretion and Reduction in Text processing: Inferences.Journal Discourse Processes, 16, 1-2, 1-10

Abb. 1: Mittlere Reaktionszeiten (Ablehnungszeiten) in Abhängigkeit von semantischer Bezogenheit und zeitlicher Orientierung (Rtvor – vorwärts, semantisch relatiert; Rtneutral – semantisch neutral; Rtrueck– rückwärts semantisch relatiert)

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