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Math Semesterber (1992) 39: 137-142 Mathematische Semesterberichte © Springer-Verlag 1992 Gegenbeispiele zum Infimum und Supremum bei Ableitungen Gunter Pickert Eichendorffring 39, W -6300 Giellen Eingegangen am 9.9.1991, angenomrnen am 13.9.1991 Zusammenfassung. Es werden mittels Polynomfunktionen Beispiele in einem Intervall differenzierbarer Funktionen gebildet, deren Ableitung beschriinkt ist aber kein Maximum bzw. Minimum besitzt. 1. Der Schrankensatz fiir eine in [a, b] (a < b) differenzierbare Funktion f liiBt sich folgendermaBen formulieren (s. z.B. [2]): (1) . f(b) - f(a) mf{f'(x)lx E [a,b]} b-a sup {f'(x)lx E [a,b]} , wenn man bei Infimum und Supremum die uneigentlichen Werte -00 bzw. 00 zuliiBt. Die durch f(x) = {x 2 sin x- 2 0 f:. Ixl 1, o fur x = 0 definierte, auf [-1,1] differenzierbare Funktion f zeigt, daB Infimum und Su- premum in (1) tatsachlich die Werte -00,00 annehmen konnen (s. [1], Ex. 6, S. 37). Es fragt sich nun, ob andererseits bei beschrankter Ableitung Infimum und Supremum in (1) auch Funktionswerte von l' sein miissen, d.h. ob eine in einem Intervall beschriinkte Ableitung dort stets ein Maximum und Minimum besitzt. In [1] (Ex. 7, S. 37/38) wird das folgende Gegenbeispiel angegeben (hier geringfiigig vereinfacht): f(x) = {x 4e- x2 sin x- 3 0 f:. Ixl 1/2 , o furx=O; Supremum und Infimum von l' in [-1/2,1/2] sind 3 bzw. -3, und diese sind keine Funktionswerte von l' in dem betreffenden Intervall. In den folgenden

Gegenbeispiele zum Infimum und Supremum bei Ableitungen

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Math Semesterber (1992) 39: 137-142 MathematischeSemesterberichte

© Springer-Verlag 1992

Gegenbeispiele zum Infimum und Supremumbei Ableitungen

Gunter Pickert

Eichendorffring 39, W -6300 Giellen

Eingegangen am 9.9.1991, angenomrnen am 13.9.1991

Zusammenfassung. Es werden mittels Polynomfunktionen Beispiele in einemIntervall differenzierbarer Funktionen gebildet, deren Ableitung beschriinkt istaber kein Maximum bzw. Minimum besitzt.

1. Der Schrankensatz fiir eine in [a, b] (a < b) differenzierbare Funktion f liiBtsich folgendermaBen formulieren (s. z.B. [2]):

(1). f(b) - f(a)mf{f'(x)lx E [a,b]} ~ b-a ~ sup {f'(x)lx E [a,b]} ,

wenn man bei Infimum und Supremum die uneigentlichen Werte -00 bzw. 00

zuliiBt. Die durch

f(x) = {x2 sin x-2f~r 0 f:. Ixl ~ 1,

o fur x = 0

definierte, auf [-1,1] differenzierbare Funktion f zeigt, daB Infimum und Su­premum in (1) tatsachlich die Werte -00,00 annehmen konnen (s. [1], Ex. 6,S. 37). Es fragt sich nun, ob andererseits bei beschrankter Ableitung Infimumund Supremum in (1) auch Funktionswerte von l' sein miissen, d.h. ob eine ineinem Intervall beschriinkte Ableitung dort stets ein Maximum und Minimumbesitzt. In [1] (Ex. 7, S. 37/38) wird das folgende Gegenbeispiel angegeben (hiergeringfiigig vereinfacht):

f(x) = {x4e- x 2sin x-3 r:~r 0 f:. Ixl ~ 1/2 ,

o furx=O;

Supremum und Infimum von l' in [-1/2,1/2] sind 3 bzw. -3, und diese sindkeine Funktionswerte von l' in dem betreffenden Intervall. In den folgenden

138 G. Pickert

Abschnitten sollen nun Gegenbeispiele konstruiert werden, die sich besser rna­tivieren sowie graphisch darstellen lassen als das eben angefiihrte und zudemmit kubischen und quadratischen Polynomfunktionen auskommen, die allerdingsllaneinandergestiickelt" werden miissen.

2. Als Definitionsbereich der zu bildenden Funktion I wahlen wir das Intervall[0,1], fordern, urn inf{f'(x)/x E [0,In = 0 zu erzwingen,

(2) I'(x) > 0 fiir aIle x E [0,1]

sowie lim,,_oo /'(I/n) = 0 und sorgen andererseits durch 1(1/n) = lin dafiir,daB /,(0) f; 0 wird und damit das Infimum nicht Minimum sein kann. Das fiihrtzu der weiteren Forderung

(3) 1(1/n) = lin = f'(I/n) fiir aIle n EN.

Wegen (2) ist nach dem Monotoniesatz I auf [0,1] streng monoton wachsendund daher wegen (3)

n 1xE[I/(n+1),I/n] ==> n+lf/(x)lxf1+;,

also

lim l(x)lx = 1x_o

und somit

(2') /,(0)=1,

da nach (3) wegen der Stetigkeit von I

(3') 1(0) = 0

folgt. Wegen (2), (2') ist das Infimum 0 von I kein Funktionswert von I', d.h./' hat kein Minimum. Ein Gegenbeispiel mit der ersten der gewiinschten beidenEigenschaften erhalten wir also, wenn wir eine auf [0,1] definierte differenzierbareFunktion I mit (2), (3) hersteIlen, fiir die dann auch (2'), (3') gelten miissen. Wirbrauchen - auBer der Festsetzung 1(0) = 0 - dazu nur die Einschrankungen vonI auf die Intervalle [l/(n + 1), lin] (n E N) anzugeben, d.h. - etwas allgemeinerformuliert - zu a, b mit 0 < a < b f 1 eine auf [a, b] definierte differenzierbareFunktion 9 mit

(2*)

(3*)

g'(x) > 0 fiir all x E [a,b] ,

g(a) =a =g'(a) , g(b) =b =g'(b) (s. Fig. I) .

Mit In = 9 fiir a = 1/(n + 1), b = lin ist dann

(4) I = U In U {(010)}nEl\!

Gegenbeispiele zum Infimum und Supremum bei Ableitungen 139

o a

Abb.l.

/./

b-

das gewiinschte Gegenheispiel.Urn die vier Gleichungen in (3*) durch eine Polynomfunktion zu erfiillen,

geniigt der Ansatz (Entwicklung an der Stelle a)

(5) g(x) = a + a(x - a) + u(x - a)2 + vex - a)3 ,

in dem die ersten heiden Gleichungen aus (3*) schon eingearbeitet sind. Dieheiden anderen Gleichungen in (3*) lassen sich nach kurzer Rechnung umformenzu

(6)3 - 2a - b

u=b-a

2-a-bv = - (b _ a)2 .

Damit erfiillt die kuhische Polynomfunktion g mit (5), (6) die Gleichungen (3*).Wegen (6) und a < b~ 1 hat man v < O. Fur die quadratische Polynomfunktiong' ist daher {xlg'(x) > O} ein Intervall, so daf (3*) wegen a,b > 0 auch (2*)nach sich zieht.

Urn nun fur die nach (4) mittels dieser kubischen Polynomfunktionen gebil­dete (in Fig. 2, eingeschrankt auf [1/6,1] graphisch dargestellte) Funktion f (mitnach unten beschrankter Ableitung ohne Minimum) auch das Supremum von f'zu untersuchen, bestimmen wir fur die Funktion g aus (5), (6) das Maximumvon g', das ja wegen

gl/(x) = 2u + 6v(x - a)

an der Stelle emit

(7)u

c- a =-­3v

(8)

angenommen wird (in Fig. 2 sind diese Wendepunkte fur fur n = 1,2,3 markiert).Man erhalt aus (5), (6), (7) dann den Maximalwert von g' (in [a, b]) als

'() a2+ b2+ ab - 6( a + b) + 9g c =

3(2 - a - b)

140

und daraus bei der Einsetzung a = l/(n + 1), b = l/n

(9) lim g'(c) = 3/2.n-+oo

1-------------

I II II II II II I: II II I

r-~- - ---------

;;: : :r-.',,::::--J II . I I

E· ' - ..J I

r- I J I~ I

II1

o 1

Abb.2.

G. Pickert

Andererseits aber ergibt (8) die Abschatzung6(2 - a - b)(~ - g'(c)) = 3(a + b) - 2(a2+ b2+ ab) > 3(a + b) - 2(a + b)2 ;; 0fiir a = l/(n + 1), b = l/n (also a + b f 3/2), wegen 2 - a - b > 0 also

(9') g'(c) < 3/2 .

Zusamrnen ergeben (9), (9'): 3/2 ist das Supremum von I', aber nicht Funkti­onswert von f'. Unser Gegenbeispiel hat also auch die zweite der gewiinschtenEigenschaften.

3. Will man die Forderung (3) durch Polynomfunktionen in den Intervallen[l/(n + 1), l/n] ohne deren weitere Zerstiickelung erfiillen, so benotigt man of­fenbar solche von einem Grad;; 3. Halbiert man aber die-Intervalle, so kommtman mit quadratischen Polynomfunktionen aus. Das zeigen wir zuerst mittelseinfacher Flacheninhaltsiiberlegungen, indem wir - mit den Bezeichnungen aus2 - die Funktion g' in [a, b] als stiickweise linear und stetig mit "Knickpunkt"C zur Abszisse c = i(a + b) (s. Fig. 3) herstellen; der Graph von g' ist also derStreckenzug ACUCB mit A = (ala), B = (bib), womit schon die g' betreffendenGleichungen aus (3*) erfiillt sind. Bestimmt man nun g durch

g(x) = a +l x

g' ,

so ist eine weitere Gleichung aus (3*) erfiillt, und die noch fehlende, g(b) = b,besagt dann (mit "Betragstrichen" werden im folgenden die Flacheninhalte derdurch ihre Ecken angegebenen Polygone bezeichnet):

Gegenbeispiele zum Infimum und Supremum bei Ableltungen

c

141

o a

Abb.3.

c b 1

(10) IAabBCI = b - a .

Mit A l =(all), B; = (bI1) hat man

b - a = IAlabBll ,

was mit (10) zusammen (nach Abziehen von IAabBI)

IABCI = IABB1Ati

ergibt. Verwandelt man nun das Trapez ABB1Al in das flachengleiche Paralle­Iogramm ABB2A2 (s. Fig. 3), so folgt mit Co, Cl aIs den Mittelpunkten von ABbzw. A2B2

ICoCI = 21CoCli = 2(1-IcCoD= 2(1- e) = 2 - a - b

und daraus schliefilich

1l(e) == leGI == IcGol + ICoCI = e + 2 - a - b = 2 - '2(a + b) < 2 .

Einsetzen von a = l/(n + 1), b = lin liefert dann

lim g'(e) = 2 ,n ...... oo

so daB fur die nach (4) gebildete Funktion I die Ableitung I' das Supremum 2hat, dieser Wert aber wegen

g'(e) = max{g'(x)lx E [a,b]} < 2

kein Funktionswert von f' sein kann.

142 G. Pickert

Ohne Benutzen des Graphen von g' und des Flacheninhaltebegriffs kann mandieses Ergebnis auch durch Zusammensetzen von 9 aus zwei quadratischen Po­lynomfunktionen gewinnen (g = 91 U 92):

91(X) =a + a(x - a) + u(x - a? fiir x E [a, c] ,92(X) = b + b(x - b)+ v(x - b)2 fur x E [c, b] .

Man hat jetzt nur noch u, v so zu wahlen, daB

wird. Das ergibt die Gleichungen

u+v=l

4 - 2(a+ b)u - v = ---'--_....

b-adamit

4 - 3a - bu = 2(b _ a) (> 0) ,

und schlieBlich wieder

4 - a - 3bv = - 2(b _ a) « 0)

1 1g'(c) = a + 2u(c - a) = a + '2(4 - 3a - b) = 2 - '2(a + b) .

Literatur

1 Gelbaum, B.R., Olmstedt, J.M.H.: Counterexamples in analysis. San Francisco: Holden-Day1964

2 Pickert, G.: Prii.fonnales und fonnales Beweisen bei i' = f. Didaktik Math. 20, 139-145(1992)