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Nr. 9/2009 7,90 / 15,40 sFr. D 57525 Das Magazin für Psychologie und Hirnforschung GEHIRN&GEIST gehirn-und-geist.de GEHIRN & GEIST PSYCHE UND KREBS Fördert positives Denken die Heilungschancen? (S. 36) WEIBLICHES GEHIRN Warum Frauen anders denken (S. 60) KAUFSUCHT Das verkannte Leiden (S. 14) Mosaik der Persön- lichkeit Mosaik der Persön- lichkeit Hirnforscher erkunden das Ich

Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

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Die Geheimnisse des Ich

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Page 1: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

Nr. 9/ 2009

€ 7,90 / 15,40 sFr.

D 5

7525

Das Magazin für Psychologie und Hirnforschung

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gehirn-und-geist.de

gehirn&geist

PsYChe UnD KreBsFördert positives Denkendie Heilungschancen? (S. 36) WeiBLiChes gehirnWarum Frauen anders denken (S. 60) KAUFsUChtDas verkannte Leiden (S. 14)

Mosaik der Persön- lichkeit

Mosaik der Persön- lichkeit hirnforscher erkunden das ich

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www.gehirn-und-geist.de 3

editorial

Carsten KönnekerChefredakteur

[email protected]

Neu im HaNdel!Soeben erschien das vierte Heft unserer Serie »Kindesentwick-lung« – mit einer Auswahl der besten G&G-Artikel zum Jugendalter. Themen unter anderem: Hirnumbau während der Pubertät, Ursachen und Therapie von Essstörungen, Sucht-gefahr durch Partydrogen, Mobbing per Internet und Handy sowie Schuleschwänzen

AUTorEn In dIESEM HEfT

Kaufsucht stellt für Betroffene wie für deren Angehörige ein gravierendes Problem dar. Warum die Störung häufig unbehandelt bleibt, erklärt die Psychologin Astrid Müller vom neuropsychiatric research Institute in fargo, north dakota (S. 14).

Gibt es seelische risikofak-toren für Krebs? Hilft positives denken bei der Genesung? Volker Tschuschke, Professor für Medizinische Psychologie an der Universität Köln, erforscht, wie die Psyche Ausbruch und Verlauf von Tumorerkrankungen beein-flusst (S. 36).

Vor mehr als 2000 Jahren beschrieb Herophil von Chalcedon als Erster den Aufbau des Gehirns. der Anatom Helmut Wicht von der Universität frankfurt am Main und G&G-redakteur Hartwig Hanser stellen den Urvater der Hirnforschung und sein Wirken vor (S. 50).

die GeHeimNisse des icH

Als wir in der Redaktion die aktuelle Serie über »Die 5 größten Rätsel der

Hirnforschung« planten, stand schnell fest, dass die Folge »Gehirn und Persön­

lichkeit« gleichzeitig Titelthema werden würde. Denn die Frage, wie Gehirn­

aktivität mit unserem Ich­Erleben sowie mit individuellen Persönlichkeitsmerk­

malen zusammenhängt, betrifft jeden – und beschäftigt seit einigen Jahren eine

wachsende Zahl von Wissenschaftlern.

Ein intaktes Selbstbild zu haben ist für die meisten von uns so selbstverständ­

lich wie laufen oder sehen können. Erst psychische Erkrankungen führen uns vor

Augen, dass das Ich aus den Fugen geraten kann, etwa wenn während einer

psychotischen Phase die Grenze zwischen Ich und »Welt« verschwimmt. Der

Psych iater Uwe Herwig geht davon aus, dass die Suche nach den neurobiolo­

gischen Korrelaten solcher Störungsbilder neue Therapiewege eröffnet. Darüber

hinaus hofft der Forscher von der Uniklinik Zürich, eine ganz andere Frage be­

antworten zu können: Warum verfügen wir überhaupt über ein Ich, das sich sei­

ner selbst und der Umwelt bewusst ist und im Normalfall beides klar voneinan­

der trennt? Dieses Rätsel, das die Philosophie­ und Wissenschaftsgeschichte seit

2500 Jahren beschäftigt, greift die aktuelle Forschung auf (S. 24).

Die Erkundung des Selbst geht aber noch weiter. Zumindest in Ansätzen lernen

Neuroforscher heute zu verstehen, wie Persönlichkeitseigenschaften und Gehirn­

prozesse zusammenhängen. Hier gilt es vorsichtig zu sein und nicht vorschnell

das biologische Geschehen als Ursache bestimmter Charaktermerkmale eines

Menschen auszugeben. Dennoch ist es hochspannend zu beobachten, dass eine

lange bestehende Kluft zwischen Persönlichkeitspsychologen einerseits und Neu­

rowissenschaftlern andererseits aktuell durch eine Reihe von Studien überbrückt

wird. Einer der Protagonisten dieser Forschung ist Christian Fiebach, Professor für

Kognitive Neurowissenschaften an der Universität Heidelberg. Ab S. 30 trägt er

die wichtigsten Befunde seines jungen Forschungszweigs zusammen.

Eine gute Lektüre wünscht Ihr

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titelthema

24DerBlicknachinnenWie entsteht unser Selbstbild? Und – wa­rum überhaupt? Immer tiefer dringen Neu­ropsychologen und Hirnforscher in das menschliche Bewusstsein vor. Ihr Fazit: Ein »Ich« zu haben, ermöglicht es dem Men­schen, flexibel und kontrolliert zu agieren

Serie: die 5 gröSSten rätSel der HirnforScHung (iii)30PuzzleDerPersönlichkeitDie grauen Zellen bringen unsere geistigen Leistungen hervor. Sollte man dann nicht an Eigenarten des Gehirns individuelle Züge wie Impulsivität oder Intelligenz ablesen können? So weit sind Forscher noch nicht. Doch schon heute zeichnet sich ein Bild des »charakterbildenden« Wechsel­spiels von Genen, Gehirn und Umwelt ab

psychologie

14 WennshoPPenzursuchtWirD

Obwohl Betroffene lieber schweigen und Ärzte sie oft nicht beachten, ist Kaufsucht ein ernsthaftes Problem. Die Psychologin Astrid Müller erklärt, wann die Shopping­lust entgleitet und welche Behandlung hilft

Angemerkt!19 FalscheGeWichtunGForscher, Politiker und Medien sollten nicht länger so tun, als sei in erster Linie jeder selbst für sein Körpergewicht verant­wortlich, kritisiert der Mediziner Johannes Hebebrand von der Universität Duisburg­Essen

interview20»lernenistein

kommunikativerakt«Die Entwicklungspsychologin Uta Frith verrät, warum es den Schulerfolg von Kindern fördert, wenn sie sich in andere hineinversetzen

8 GeistesBlitze

ProteinalserFolGsinDikatorDepressionsbehandlung hinterlässt chemische Spuren

GeschWächtealzheimeraBWehrMit dem Alter und im Krankheits­verlauf schwindet die Zahl schützen­der Antikörper

skePtischesitzenBleiBerMänner und Frauen »speed­daten« doch nicht verschieden!

GutGeBrüllt!Kapuzineraffen manipulieren Art­

genossen mit fingierten Warnschreien

schWieriGerstartinsleBenNächstgeborene Kinder nach einer Totgeburt haben ein schlechteres

Verhältnis zur Mutter

meinezanGeGehörtzumirDas Gehirn integriert Werkzeuge ins eigene Körperbild

Dochkein»GlücksGen«?Ein einzelner Erbfaktor erhöht nicht das Depressionsrisiko

Titelmotiv: Meganim / Porträt: Fotolia / Daniel Dash [M]

Das sind unsere Coverthemen Diese Artikel können Sie als Audiodatei im Internet beziehen: www.gehirn-und-geist.de/audio

inHAlt

kAufSucHt 14

502300 JAHre HirnAnAtomie 3636PSycHe und krebSHermAnn-gitter-illuSion 56

Page 4: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

rubriken

3 Editorial 6 Leserbriefe66 Besser Denken: Coaching statt

Nachhilfe – so fördern Eltern ihre Kinder am besten

70 Auf Sendung 72 Termine77 Bücher und mehr

u. a. mit Rezensionen zu Jonah Lehrer: Wie wir entscheiden Stephan Schleim et al.: Von der Neuroethik zum Neurorecht? Sam Gosling: Snoop

80 Gewinnspiel 84 Impressum85 Winters’ Nachschlag 87 Marktplatz 88 Online 90 Vorschau

geHirn&geiSt – das Magazin für Psychologie und Hirn forschung aus dem Verlag Spektrum der Wissenschaft

spezial psyche und krebs

36DentoDimleiBDie Diagnose Krebs hat nichts von ihrem Schrecken verloren. Wie bewältigen Tumor­patienten ihr schweres Schicksal? Kann die Psyche Ausbruch und Verlauf der Krank­heit beeinflussen? Wirkt sie sich gar auf die Lebenserwartung der Betroffenen aus? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Kölner Psychoonkologe Volker Tschuschke

42»meinleBenmitDemkreBs«2004 wurde bei Petra Bugar Darmkrebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Nach sofortiger Operation folgten diverse Chemotherapien – doch der Tumor kam wieder. Heute berichtet die 53­Jährige, wie sie gelernt hat, sich trotz ihrer unheilbaren Erkrankung die Freude am Leben zu bewahren

hirnforschung

50anatomDererstenstunDeVor mehr als 2000 Jahren begründete Herophil von Chalcedon die Humananato­mie – die Lehre vom Aufbau des mensch­lichen Körpers. Er beschrieb als Erster die Teile unseres Gehirns, die Hirnnerven sowie die Netzhaut des Auges. Doch seine Methoden waren nicht gerade zimperlich

von Sinnen56 FlüchtiGeschatten

auFDerstrassenkreuzunGWie die berühmte Hermann­Gitter­Illusion zu Stande kommt, galt längst als geklärt. Doch 2004 brachte ein einziges Bild die Lehrbuchweisheit zu Fall. Bis heute stehen Wahrnehmungsforscher vor einem Rätsel, konstatiert der Psychologe Rainer Rosen­zweig

60hormonelleharmonieZwei Hirnhälften sitzen in unserem Kopf. Von unseren Hormonen hängt ab, ob wir beide Hemisphären zu gleichen Teilen oder eher einseitig nutzen, entdeckten die Biopsychologen Markus Hausmann und Ulrike Bayer von der Durham University

24 Das Selbst im Gehirn

30 Neuronale Grundlagen des Charakters

titelthema

Mosaik derPersönlichkeit

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6 G&G 9_2009

In BezIehungen denkenIm Interview erläuterte der Psychiater und Philosoph Thomas Fuchs, wie kulturelle Ein - flüsse die Informationsverarbeitung in un- serem Gehirn verändern. (»Kultur exis tiert zwischen Gehirnen«, Heft 6/2009, S. 20)

Wolf Delong, Erlangen: Den Beginn der

Artikelserie »Die 5 größten Rätsel der Hirn­

forschung« in Heft 6/2009 begrüße ich

sehr. Besonders bemerkenswert fand ich

das Interview mit Herrn Professor Fuchs,

das die Aussage »Eine Tasse ist nicht ein­

fach eine Tasse, sondern ein Ding mit ei­

ner bestimmten Handhabung« enthielt.

Die Frage wäre: Wie muss man sich

das praktisch vorstellen? Warum fällt es

uns so schwer, derart in Beziehungen zu

denken? Prof. Fuchs stößt hier ein Thema

an, dessen Raum gar nicht groß genug

sein kann, weil es unser Weltbild nachhal­

tig verändern wird, falls wir die Diskus­

sion ernsthaft fortführen. Meines Erach­

tens zeigt sich hier unser Unvermögen,

ausreichend in Beziehungen zu denken.

Stets fokussieren wir auf Objekte und

versuchen, diese in Modellen zu beschrei­

ben. Dabei bleiben die Beziehungen auf

der Strecke.

keIne TaBus In der WIssen-schafT!Jens Asendorpf und Matthias Wenderlein präsentierten unterschiedliche Sichtweisen zum Einsatz von Intelligenztests. (»Darf man mit IQ-Tests Ethnien oder Geschlechter vergleichen?«, Heft 5/2009, ab S. 14)

Dr. Tobias Wieczorek, Karlsruhe: Der Aus­

sage, dass mit Intelligenztests Ethnien

oder Geschlechter nicht verglichen wer­

den dürfen, ist aufs Heftigste zu wider­

sprechen. Bei Wissenschaft geht es in

ers ter Linie um Erkenntnisgewinn, unab­

hängig davon, ob einem die gewonnenen

Erkenntnisse gefallen oder nicht – wobei

stets die angewendeten Methoden eben­

so zu untersuchen sind wie das eigent­

liche Untersuchungsobjekt. Irgendwelche

Bereiche aus diesem Erkenntnis streben

herauszunehmen, quasi zu ta buisieren,

aus welchen Gründen auch immer, ent­

spricht nicht der wissenschaftlichen Vor­

gehensweise. Selbst wenn man sich auf

einen Kanon einigte, was erforschbar ist

und was nicht – und das ist schon schwer

genug vorstellbar, man denke nur an die

divergierenden Ansichten zu Themen

wie Gentechnik, Kerntechnik, Evolution

oder moderne Chemie –, es bleibt die Tat­

sache, dass eine solche Einschränkung

nicht dem Wesen der Wissenschaft ent­

spricht.

Dass Intelligenztests noch nicht am

Ende ihrer Möglichkeiten angelangt sind,

alTernaTIve TraumaTherapIenDer Mediziner Ulrich Frommberger und der Psychologe Nikolas Westerhoff gaben einen Überblick über die effektivsten Behandlungsmethoden bei Posttraumatischer Belastungs-störung. (»Dem Schrecken ein Ende setzen«, Heft 6/2009, ab S. 38)

Ute Kaiser, Erding: Ein großer Teil des Artikels stellt pharmakologische und nur ein

verhältnismäßig kurzer Teil therapeutische, rein aufdeckende, konfrontative Metho­

den vor. Die große Richtung der stabilisierenden, langwierigeren Verfahren aber spa­

ren die Autoren aus.

Maßgebliche Traumaforscher wie Luise Reddemann und Willi Butollo haben he­

rausgefunden, dass der Betroffene erst viermal Stabilisierung braucht, bevor er sich

konfrontieren kann, und dass der Wert der Konfrontation sehr überschätzt wird. Ein­

maligen Ereignissen von Gewalt und Grauen kann man vielleicht gut mit narrativer

Expositionstherapie begegnen, aber chronische, diffuse oder frühkindliche Traumata

können durch zu schnelle Konfrontation im Gegenteil sogar massiv verstärkt werden.

Es ist nicht jedes Trauma gleich, und auch nicht jedem kann man gleich begegnen. Das

aber legt der Artikel nahe!

Es ist eine Frage der Werte, die man zu Grunde legt: Was ist wichtiger, die Heilung

eines Menschen oder sein schnelles wieder Funktionieren?

Michael Peter Antes, Saarlouis: Als Hypnopsychotherapeut und Ausbilder in Hypno­

therapie bedauere ich es sehr, dass die Autoren die Hypnotherapie noch nicht einmal

im Ansatz erwähnten, obwohl dieses Verfahren neben der EMDR wahrscheinlich das

wirkungsvollste Traumabehandlungskonzept enthält. Insbesondere die kombinierte

Traumatherapie von Götz Renartz stellt ein innovatives und leicht anwendbares Ver­

fahren dar, Traumata aufzulösen. Sie erwähnen zwar auf S. 44 den Behandlungsansatz

von Mervin Smucker aus den USA, der teilweise Elemente enthält, die in der Hypno­

psychotherapie verwendet werden, doch wäre es sicher hilfreich und sinnvoll, auf das

bekannte Expertenwissen der Praktiker zurückzugreifen, statt so zu tun, als müsste

man hier das Rad neu erfinden.

Langer SChatten der Vergangenheitals Kind erlebte Misshandlungen können ein trauma verursachen. Fo

toli

a / S

anip

ho

to

leserbriefe

Page 6: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

www.gehirn-und-geist.de 7

Briefe an die Redaktion …… sind willkommen! Schreiben Sie bitte mit Ihrer vollständigen Adresse an:Gehirn&Geist Frau Anja Albat-Nollau Postfach 10 48 40, 69038 HeidelbergE-Mail: [email protected] Fax: 06221 9126-729 Weitere Leserbriefe finden Sie unter: www.gehirn-und-geist.de/leserbriefe

Nachbestellungen unter: www.gehirn-und-geist.de oder telefonisch: 06221 9126-743

Zuletzt erschienen:

6/2009 5/20097-8/2009

mag zutreffen, nur lässt sich dieser Zu­

stand gewiss nicht verbessern, indem

man die Forschung mit ihnen verbietet.

Außerdem ist die Behauptung, es gehe

um das Wohl der Menschen, ohnehin

meist vorgeschoben; in der Regel stehen

andere Interessen dahinter wie Machter­

halt, religiöse Deutungshoheit, Festhal­

ten an lieb gewonnenen Überzeugungen,

Aufrechterhalten von Ideologien – kurz

der Versuch, Diskrepanzen zwischen der

Welt und dem eigenen Weltbild durch

Korrektur der Welt (oder eben durch nicht

Hinsehen) aufzulösen.

Das mag für sich privat jeder nach ei­

genem Belieben entscheiden, aber aus

seiner Entscheidung Verbote für andere

abzuleiten, führt früher oder später zur

Gefährdung der Freiheit der Wissen­

schaft. Wehret den Anfängen!

zölIBaT und mIssBrauchDen evolutionären Wert von Spiritualität und Frömmigkeit erkundete der Religions-wissenschaftler Michael Blume (»Homo religiosus«, Heft 4/2009, ab S. 32)

Prof. Kuno Kirschfeld, Tübingen: Im Ar­

tikel wird die Fotografie einer lachenden

Kinderschar an der Hand einer Nonne ge­

zeigt. Daneben steht: »Die freiwillige Ehe­

und Kinderlosigkeit wichtiger Glaubens­

vertreter stärkt unterm Strich den Erhalt

der Gemeinschaft.« Leider kann ich sol­

che Bilder nicht mehr unbefangen an­

schauen; heute müsste der positive Kom­

mentar zum Bild doch kritisch hinter­

fragt werden. Zu lang ist die Kette der

Berichte über den Missbrauch von Kin­

dern und Jugendlichen durch katholische

Priester und kirchliche Einrichtungen,

wie vor Kurzem aus Irland.

Meines Erachtens müsste geklärt wer­

den, ob der Missbrauch von Kindern

durch zölibatär lebende Priester beson­

ders häufig ist. Parallel müsste von ideo­

logiefreien Psychotherapeuten oder Psy­

chiatern untersucht werden, ob zölibatä­

res Leben dieses Fehlverhalten womög­

lich begünstigt.

Die »freiwillige Ehelosigkeit« ist zu­

dem nur bedingt freiwillig. Natürlich ent­

scheiden sich angehende Priester und

Nonnen in ihrer Jugend aus freien Stü­

cken für das Zölibat. Während eines über

lange Jahre gelebten Lebens kann sich

aber die Einstellung zur Ehelosigkeit än­

dern, ein Weg zurück ist dann allerdings

versperrt: Er würde fast immer den Ver­

lust der Arbeit bedeuten und damit der

sozialen Sicherheit.

Sollte sich ein ursächlicher Zusam­

menhang zwischen Kindesmissbrauch

und zölibatärem Leben ergeben, so

müsste unsere Regierung diese Evidenz

der katholischen Kirche vorlegen mit

dem Ziel, eine Abschaffung des Zölibats

zu erreichen. Schlimmstenfalls müsste

der Gesetzgeber tätig werden. Wenn es

um unsere Kinder geht, darf es keine Ta­

bus geben.

chemIe BrauchT zeITLaut einer neuen EEG-Studie bemerkt das Gehirn von Klavierspielern einen Fehlgriff, noch bevor der falsche Ton erklingt. (»Fehler erkannt, doch nicht gebannt«, Geistesblitze Heft 6/2009, S. 8)

Dr. Joachim von Hirsch, Schwerte: Der

Impuls, der zur Handbewegung führt,

dauert 0,1 Sekunden, weil er chemisch,

nämlich molekular durch Botenstoffe,

erfolgt. Ähnlich erfolgt die Diffusion in

wässriger Lösung. Botenstoffe heißen

Botenstoffe, weil sie Stoffe, also Materie,

sind. Die Informationsweitergabe durch

Materie erfolgt mit einer endlichen Ge­

schwindigkeit. So dauert es eine halbe

Sekunde, bis ich den Schmerz verspüre,

wenn ich mir mit einer Nadel in den gro­

ßen Zeh steche. Diese endliche Geschwin­

digkeit beträgt somit rund fünf Meter

pro Sekunde.

erraTumIm Inhaltsverzeichnis von G&G 6/2009

war bei einem Geistesblitz unter der

Über schrift »Universeller Ohrenschmaus«

von »Afrikanern« statt (richtigerweise)

von »Urwaldbewohnern« die Rede. Wir

bitten diese unglückliche Formulierung

zu entschuldigen.

Foto

lia

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Sch

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eorG

iew

daneben gegriffeneinen fehler beim Klavierspiel registriert das gehirn von Pianisten sogar schon, bevor er zu hören ist.

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8 G&G 9_2009

geistesblitzefo

toli

a / B

ori

s fr

anz

Um Depressionen zu behandeln, grei-

fen Ärzte häufig auf Medikamente

zurück, die den Stoffhaushalt des Gehirns

verändern. Nun konnten Kieler Forscher

nachweisen, dass auch reine Psychothe-

rapie auf ähnliche Weise wirkt: Eine er-

folgreiche Behandlung lässt die Konzen-

tration des Transkriptionsfaktors CREB

(CyclicAMP Response Element-Binding

Protein) ansteigen. Dieses Protein sorgt

dafür, dass bestimmte Gene in den Zell-

kernen von Neuronen vermehrt abgele-

sen werden.

Ein Team um den Psychiater Jakob

Koch von der Kieler Christian-Albrechts-

Universität untersuchte insgesamt 30

Patienten, die unter Depressionen litten.

Sechs Wochen lang absolvierten die Pro-

banden eine Interpersonelle Psychothe-

rapie mit insgesamt zwölf Gesprächs-

sitzungen. Bei rund der Hälfte der Teil-

nehmer zeigte diese Kurzzeitbehandlung

Wirkung: Die Schwere ihrer Depression –

per Fragebogen ermittelt – ging deutlich

zurück.

Bereits eine Woche nach Therapiebe-

ginn konnten die Forscher bei diesen Pa-

tienten eine erhöhte Konzentration an

pCREB, der aktiven Form des Proteins,

messen. Bei jenen Teilnehmern, die nicht

auf die Behandlung ansprachen, fand

sich dagegen kein solcher Anstieg.

Was zuvor schon für Antidepressiva

bekannt war, trifft somit auch für die

Psychotherapie zu: Eine erfolgreiche Be-

handlung führt zu mehr aktiviertem

CREB. Das Protein fördert unter anderem

das Wachstum neuer Nervenzellen und

Synapsen, was eine wichtige Rolle beim

Lernen spielt. »Zum ersten Mal zeigt ein

zellulärer, biologischer Marker die Wir-

kung einer Psychotherapie an«, so die

Autoren der Studie. (sc)

Psychotherapy and Psychosomatics

78, S. 187 – 192, 2009

PsychotheraP ie

Protein als ErfolgsindikatorDepressionstherapie erhöht die Konzentration eines wichtigen Transkriptionsfaktors im Gehirn.

Bei der Alzheimerkrankheit kommt es

vermehrt zu Ablagerungen im Ge-

hirn und in den Blutgefäßen. Diese so

genannten Plaques bestehen aus ver-

klumpten Eiweißresten, den Beta-Amy-

loiden. Wie Wissenschaftler der Stanford

University in Palo Alto (US-Bundesstaat

Kalifornien) jetzt herausfanden, besitzen

auch gesunde Menschen Antikörper ge-

gen diese Proteinklumpen. Das Immun-

system kann sie demnach also bekämp-

fen – im Prinzip jedenfalls. Die Zahl der

Antikörper sinkt jedoch mit zuneh-

mendem Alter und fortschreitender Er-

krankung.

Das Team um Markus Britschgi und

Tony Wyss-Coray untersuchte bei insge-

samt 250 gesunden sowie an Alzheimer

erkrankten Probanden zwischen 21 und

89 Jahren, auf welche Arten von Plaques

ihre natürlichen Antikörper reagieren.

Diese Eiweißklumpen gibt es nämlich in

vielen Varianten – aus verschieden ab-

gewandelten und mutierten Formen des

ursprünglichen Beta-Amyloids.

Auf Mikrochips testeten die Wissen-

schaftler für 100 davon, wie das Blut der

Probanden auf sie reagierte. Ergebnis:

Am stärksten banden die Antikörper an

so genannte Oligomere, kleinere Klum-

pen aus nur wenigen Peptiden. Statt der

großformatigen Ablagerungen bekämpft

das Immunsystem offenbar eher die frü-

hen Vorläufer, die sich nur aus wenigen

Molekülen zusammensetzen. Diese Pla-

ques haben alle noch eine relativ ähn-

liche Form und können von den Antikör-

pern besser erkannt werden.

Frühere Experimente hatten bereits

gezeigt, dass es Antikörper gegen die nor-

male, nichtmutierte Form des Beta-Amy-

loids gibt. Deren Anzahl kann durch ge-

zielte Immunisierung sogar erhöht wer-

den. Die Forscher konnten nun erstmals

belegen, dass selbst junge und gesunde

Menschen Antikörper gegen die abge-

wandelten Formen des Peptids in sich

tragen. Nach Ansicht der Wissenschaftler

könnte eine Behandlung mit diesen Pep-

tiden zu einer stärkeren Bildung von

Antikörpern führen und so das Immun-

sys tem besser gegen die Alzheimerkrank-

heit wappnen. (sc)

PNAS online 2009, DOI:

10.1073pnas.0904866106

DeMeNZ

Geschwächte AlzheimerabwehrMit dem Alter und mit fortschreitender Erkrankung schwindet die Zahl schützender Antikörper.

sPiEl mit!Der natürliche schutz gegen Alzheimer bröckelt mit den Jahren. Umso wichtiger ist es, das Gehirn im Alter fit zu halten.

Page 8: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

www.gehirn-und-geist.de 9

PartNerWahL

skeptische sitzenbleiberMänner und Frauen sind beim Speeddating ähnlich wählerisch.

Untersuchungen zum Speeddating schienen bislang stets

eine alte Weisheit zu bestätigen: Frauen seien bei der Part-

nerwahl kritischer als Männer. Doch nun sammelten die Psy-

chologen Eli Finkel und Paul Eastwick von der Northwestern

University in Evanstown (US-Bundesstaat Illinois) Belege dafür,

dass diese Erkenntnis dem »Versuchsaufbau« geschuldet sein

könnte.

Beim Speeddating treffen sich männliche und weibliche Sin-

gles jeweils zu einem kurzen Geplauder. Üblicherweise bleiben

die Damen an ihrem Tisch sitzen, während die Herren alle fünf

Minuten den Platz wechseln. Nach Ende der Veranstaltung kreu-

zen die Teilnehmer auf einem Fragebogen an, welchen ihrer Ge-

sprächspartner sie gerne wiedersehen möchten.

Im ersten Durchlauf eines solchen Prozederes konnten Fin-

kel und Eastwick die gängige Lehrmeinung bestätigen. Männer

wollten im Schnitt 50 Prozent ihrer Dates noch einmal treffen;

die Frauen konnten sich dies lediglich in 43 Prozent der Fälle

vorstellen.

In einem zweiten Durchgang ließen die beiden Psychologen

ihre Probanden jedoch kurzerhand die Rollen tauschen. Nun

blieb Er sitzen und empfing alle fünf Minuten eine neue Sie.

Und siehe da: Die Männer votierten jetzt ihrerseits nur noch

bei 43 Prozent der Damen für ein Wiedersehen, dagegen waren

die Frauen mit 46 Prozent weniger wählerisch als zuvor.

Finkel und Eastwick organisierten 15 Speeddating-Abende

mit insgesamt 350 Teilnehmern. Ihr Fazit: Nicht das Geschlecht

entscheidet darüber, wie kritisch die Probanden bei der Partner-

wahl sind – sondern, ob sie stets am gleichen Tisch sitzen blei-

ben oder umherwandern!

Die Dauerhocker könnten die Hinzutretenden leichter als

»Bewerber« wahrnehmen und sich dadurch besonders begehrt

fühlen. Das verleite dazu, strengere Maßstäbe anzulegen. Zu-

dem würden Männer bei möglichen Partnerinnen besonderes

Augenmerk auf das Verhältnis von Hüfte zu Taille legen – und

das lässt sich besser beurteilen, wenn die Frau steht. (jd)

Psychological Science 2009 (im Druck)

sCHÄtZCHEN WECHsEl DiCHWer beim speeddating die Plätze wechseln muss, beurteilt potenzielle Partner/innen weniger kritisch.

Mit

frd

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café

Tagesaktuelle Meldungen aus Psychologie und Hirnforschung finden

Sie im Internet unter www.wissenschaft-online.de/

psychologie

Page 9: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

10 G&G 9_2009

EiN KlUGEs KERlCHEN …schlägt Artgenossen per Fehlalarm in die Flucht – und heimst das Futter selbst ein.

Um Konkurrenten auszustechen, stoßen südamerikanische

Schwarze Kapuzineraffen (Cebus apella nigritus) falsche

Alarmschreie aus: Diese sollen Artgenossen vor vermeintlichen

Raubtieren warnen. Während die alarmierten Tiere fliehen, nut-

zen die Schreihälse die Gelegenheit, Futter zu stibitzen.

Dies beobachtete Brandon Wheeler von der Stony Brook

University (US-Bundesstaat New York) bei einer Affenherde, der

er Bananenstücke auf Holzplattformen anbot. Dabei variierte

Wheeler die Menge und Aufteilung des Futters. Rangniedere

Tiere nutzten die Strategie des gezielten Fehlalarms häufiger als

dominante Affen.

Außerdem lenkten die Tiere ihre Gruppenmitglieder umso

eher in die Irre, je größer der Vorteil war, den dieses Manöver

versprach. Indem sie andere täuschten, sparten sich die Trickser

offenbar wertvolle Energie im Wettstreit um Nahrung, glaubt

Wheeler.

Obwohl die Primaten ihre Artgenossen regelmäßig irre-

führten, reagierten die anderen Gruppenmitglieder immer wie-

der auf die vermeintlichen Warnrufe und flüchteten. Offen-

sichtlich schätzen sie den Verlust einer kleinen Nahrungsration

geringer ein als die Gefahr zu sterben, falls tatsächlich ein Feind

die Horde bedroht. Falsche Warnschreie, um eine Beute nicht

mit anderen teilen zu müssen, wurden zuvor bereits bei Vögeln

beobachtet. (lw)

Proceedings of the Royal Society B online 2009,

DOI: 10.1098/rspb.2009.0544

VerhaLteNsforsch uNG

Gut gebrüllt!Kapuzineraffen manipulieren Artgenossen mit fingierten Warnschreien.

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KiNDeseNtWicKLuNG

schwieriger start ins lebenNächstgeborene Kinder nach einer Totgeburt haben ein schlechteres Verhältnis zur Mutter.

Eine Totgeburt schadet der körperli-

chen und geistigen Gesundheit des

nächstgeborenen Kindes nicht – erhöht

aber die Gefahr familiärer Spannungen.

Das fand ein Team um Penelope Turton

von der St George’s University of London

heraus. Die Forscher begleiteten insge-

samt 52 Frauen, die ein Kind tot geboren

hatten und danach ein weiteres auf die

Welt brachten, bis der Nachwuchs sechs

bis acht Jahre alt war. Als Vergleichsgrup-

pe dienten 51 Mütter, die noch kein Kind

verloren hatten.

Während die Nächstgeborenen nach

einer Totgeburt ebenso intelligent sowie

psychisch und körperlich gesund waren

wie Gleichaltrige aus der Kontrollgruppe,

fanden die Forscher vermehrt Probleme

in der Mutter-Kind-Beziehung. Die Müt-

ter kritisierten und kontrollierten ihren

Nachwuchs häufiger, die Atmosphäre

beim gemeinsamen Spiel war weniger

harmonisch, und beide waren weniger

engagiert bei der Sache.

Außerdem meinten die Mütter bei ih-

ren Kindern mehr Schwierigkeiten im

Kontakt mit Gleichaltrigen zu beobach-

ten – auch wenn das aus Sicht der jewei-

ligen Lehrer nicht zutraf. Ob beim Kind

tatsächlich Probleme vorlagen, blieb un-

klar, so Turton.

Die neuen Befunde passen zu einem

Phänomen, das bislang nur aus Einzel-

fällen bekannt war: Beim »Ersatzkind-

Syndrom« sind Mütter kritischer gegen-

über ihrem Kind eingestellt, weil sie den

Nachwuchs mit einer Idealvorstellung

vom verlorenen Geschwister vergleichen.

Es könnte allerdings auch sein, dass sie

ihr Kind als besonders verletzlich wahr-

nehmen und besorgter beobachten.

Die Forscher wollen die Entwicklung

der Nächstgeborenen nun bis in das Ju-

gendalter hinein beobachten, um heraus-

zufinden, ob sich das problematische

Mutter-Kind-Verhältnis langfristig nicht

doch auf Psyche oder Gesundheit aus-

wirkt. (cg)

Journal of Child Psychology and

Psychiatry online 2009;

DOI: 10.1111/j.1469-7610.2009.02111.x

Page 10: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

Unser geschickter Umgang

mit Werkzeugen – eine

der leichtesten Übungen für

Homo sapiens – wurzelt offen-

bar darin, dass das Gehirn die

entsprechenden Gerätschaf-

ten sehr schnell als Teil des

Körpers wahrnimmt. Das be-

richten französische Forscher

von der Université Claude Ber-

nard in Lyon.

Ein Team um Alessandro

Farné ließ Probanden zunächst

mit Hilfe eines mechanischen

Greifers kleine Objekte von ei-

ner Tischplatte auflesen. In-

nerhalb kurzer Zeit veränderte

dies das normale Koordina-

tionsvermögen der Versuchs-

personen: Wer mehrfach mit

dem künstlich verlängerten

Arm zugelangt hatte, konnte

zwar weiterhin mit bloßer

Hand nach Objekten greifen,

ging dabei jedoch langsamer

und vorsichtiger zu Werke als

zuvor – so, als müsse sich der

Bewegungsapparat erst wieder

auf die kürzere Gliedmaße

einstellen.

In einem zweiten Schritt

demonstrierten die Forscher,

dass das Hantieren mit Ge-

genständen tatsächlich die ei-

gene Körperwahrnehmung

beeinflusst: Berührungen an

Ellbogen, Handgelenk oder

Mittelfinger verorteten die

»werkzeugerprobten« Pro-

banden weiter von ihrer Kör-

permitte entfernt als vor dem

Gerätetraining.

»Ist das Werkzeug erst ein-

mal in das Körperschema in-

tegriert«, erklärt Farnés Kolle-

gin Lucilla Cardinali, »kann es

wie ein echter Körperteil kon-

trolliert werden.« Diese Mani-

pulation der Selbstwahrneh-

mung erfolgt sehr schnell, hält

aber nur kurz an. Nach zehn

bis fünfzehn Minuten war der

Effekt bereits wieder ver-

schwunden. (cs)

Current Biology 19(12),

R478 – R479, 2009

seLBstWahrNehMuNG

meine Zange gehört zu mirBinnen kurzer Zeit integriert unser Gehirn Werkzeuge ins eigene Körperbild.

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WiE ANGEWACHsENDas Hantieren mit Werkzeugen verändert die Wahrnehmung des eigenen Körpers.

Page 11: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

12 G&G 9_2009

PsychoGeNet iK

Doch kein »Glücksgen«?Forscher bezweifeln, dass ein einzelner Erbfaktor das Depressionsrisiko erhöht.

ZWisCHEN FREUD UND lEiDDen Verdacht, ein spezifischer Erbgutfaktor erhöhe das Risiko, an einer Depression zu erkranken, konnten Us-Forscher in einer neuen Überblicksstudie nicht bestätigen.

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Wer eine bestimmte Form des Gens

5-HTTLPR in sich trägt, soll mehre-

ren Studien zufolge eher dazu neigen, die

guten Seiten des Lebens in den Blick zu

nehmen und Stress besser verarbeiten zu

können. Träger anderer Erbgutvarianten

seien dagegen anfälliger für Depressio-

nen (siehe auch G&G 9/2007, S. 52).

Doch nun kamen Zweifel an dieser

Theorie auf: Amerikanische Psychogene-

tiker konnten den besagten Zusammen-

hang in der bislang umfangreichsten Da-

tenanalyse nicht bestätigen.

Neil Risch von der University of Cali-

fornia in San Francisco (USA) wertete zu-

sammen mit Kollegen insgesamt 14

Studien mit über 14 000 Probanden aus.

Von jedem Teilnehmer kannten die For-

scher die Ausprägung des vermeintlichen

»Glücksgens«, das wichtig für den Trans-

port des Hirnbotenstoffs Serotonin ist.

Zudem wussten sie, ob die Probanden

mit belastenden Lebensumständen zu

kämpfen hatten und ob sie an Depressi-

onen litten.

Ergebnis der statistischen Auswer-

tung: Es fand sich zwar eine Verbindung

zwischen der psychischen Störung und

emotionaler Belastung – die jeweilige Va-

riante des Gens 5-HTTLPR spielte jedoch

keine Rolle. Weder fühlten sich Personen

mit einer Mutation in diesem Gen allge-

mein öfter niedergeschlagen noch schie-

nen sie anfälliger dafür zu sein, unter

schwierigen Lebensumständen an De-

pression zu erkranken.

Risch und seine Kollegen kritisieren,

dass die »genetisch bedingte Schwer-

mut« vorschnell als wissenschaftlich er-

wiesen gegolten habe. Einzelne positive

Befunde stellten noch keinen Beweis für

ein genetisch verankertes Erkrankungs-

risiko dar, so die Wissenschaftler. (sc)

Journal of the American Medical

Association 301(23), S. 2463 – 2471, 2009

12

Page 12: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

14 G&G 9_2009

Als Frau L. zum ersten Mal in die Sprechstun­

de kam, war sie sehr niedergeschlagen. Sie

berichtete, dauernd Streit mit ihrem Mann zu

haben. Auslöser waren meist Mahnungen we­

gen unbezahlter Rechnungen – offenbar gab

Frau L. zu viel Geld für Kleidung und Wohnungs­

dekoration aus. Fast täglich gefielen ihr neue Sa­

chen, die sie unbedingt haben musste. Obwohl

die Freude an den erworbenen Dingen stets sehr

schnell nachließ, konnte sie dem Kaufdrang

nicht widerstehen. Manchmal versteckte sie die

Einkäufe sogar vor ihrem Mann und ihren Kin­

dern. Der Keller war längst mit Kisten voller

Vasen, Sofakissen und Kerzenständern vollge­

stopft. Aus Angst prüfte Frau L. schon gar nicht

mehr ihren Kontostand; auch die Post öffnete

sie nicht mehr. Sie schämte sich dermaßen für

ihr Verhalten, dass sie mit niemandem darüber

sprechen konnte.

So wie dieser Patientin geht es vielen Men­

schen: Die Lust am Einkaufen entgleitet ihnen.

Vorher vertrieb das Shoppen trübe Launen

oder belohnte für erledigte Arbeit – jetzt ist ein

ernsthaftes, behandlungsbedürftiges Problem

entstanden, Psychologen sprechen vom »patho­

logischen Kaufen«.

Die Betroffenen benutzen die Waren so gut

wie nie, manchmal packen sie diese nicht ein­

mal aus. Oft verheimlichen oder verstecken

sie ihre Einkäufe; mitunter vergessen sie sie

schlichtweg. Was erstanden wird, hängt von per­

sönlichen Vorlieben ab: Schuhe, Taschen, Elek­

tronikartikel, Bücher, Küchengeräte oder auch

Lebensmittel. Dabei kaufen die Betroffenen

nicht unbedingt nur Dinge für sich selbst,

manchmal beschenken sie auch andere. Wäh­

rend manche Kaufsüchtige die Komplimente,

die exklusive Zuwendung und das quasifreund­

schaftliche Verhältnis zu den Verkäufern genie­

ßen, bevorzugen andere das vermeintlich ano­

nyme Katalog­ oder Onlineshopping.

Unabhängig davon, was oder wie jemand am

liebsten kauft – Shoppingsüchtigen geht es im­

mer um den Akt an sich. Dieser kann eine Art

Flucht sein: Betroffene konzentrieren sich so

stark auf den Erwerb von Waren, dass sie unan­

genehme Gefühle nicht mehr spüren und auf

diese Weise Konflikte ausblenden können. Für

die Patienten scheint keine andere Ablenkungs­

strategie so schnell zu wirken, so einfach und

gesellschaftlich so akzeptiert zu sein wie das

Einkaufen.

psycholoGie i patholoGisches Kaufen

Wenn Shoppen zur Sucht wird

Au f e i n en Bl ick

Kauflust außer Kontrolle

1 Eine Kaufsucht kann vorliegen, wenn

jemand permanent und über längere Zeit überflüs-sige Dinge erwirbt. Der Akt des Kaufens löst dabei ein Hochgefühl aus, das schnell wieder verfliegt.

2 Die Betroffenen wissen um die Sinnlosigkeit

ihres Verhaltens, können dieses jedoch nicht kon-trollieren. Die Folgen sind Angst, Scham und Depres-sionen – und ein wachsen-der Schuldenberg.

3Bisher gibt es nur wenige Behandlungs-

ansätze. Eine neu entwi-ckelte Verhaltenstherapie zeigt erste Erfolge.

1-2-3 Kasten

1.

2.

3.

Wer seinem ständigen Kaufdrang nicht widerstehen kann, hat möglicherweise ein behandlungs­

bedürftiges Problem. Meist suchen Betroffene jedoch erst Hilfe, wenn die Schulden sie

erdrücken oder die Partnerschaft zu zerbrechen droht. Die Psychologin Astrid Müller erforscht,

was das pathologische Kaufen kennzeichnet, und erklärt die Therapiemöglichkeiten.

Von astrid Müller

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www.gehirn-und-geist.de 15

FETTE BEUTEAusgedehnte Streifzüge durch die Innenstadt oder gelegent-liche Frustkäufe sind noch nicht krankhaft. Kaufsüchtigen dagegen vergeht die Freude am Erworbenen schnell, ihr Shop-pingdrang bleibt auch bei leerem Konto ungebrochen.

Andere empfinden ein regelrechtes Hochge­

fühl beim Kaufen. Zwar reicht die Intensität der

Glücksmomente nicht an die eines Drogen­

rausches heran – das Bewusstsein ist beim Shop­

pen kaum getrübt. Doch vor allem in der Fanta­

sie der Betroffenen scheint das Hochgefühl gren­

zenlos: Viele stellen sich während des Kaufens

vor, wie sie hinterher mit Bewunderung und

Lob für ihre »gute Wahl« überschüttet werden.

Frust statt VergnügenDiese Wirkung verfliegt allerdings schnell. Be­

reits beim Bezahlen an der Kasse oder mit Ein­

treffen einer bestellten Sendung stellen sich

Reue, Scham und Schuldgefühle ein. Die kurz­

fristig verdrängten Probleme treten wieder in

den Vordergrund.

Unvernünftige Kaufimpulse überfallen jeden

Menschen ab und an. Pathologisches Kaufen

unterscheidet sich jedoch vom gelegentlichen

Schnäppchenwahn oder von Frustkäufen da­

durch, dass die Betroffenen extrem häufig und

in unüberschaubaren Mengen Waren erstehen,

die sie sich gar nicht leisten können. Kaufsüch­

tige versuchen, die negativen Konsequen zen

ihres Verhaltens zu verharmlosen, zu rechtfer­

tigen oder oft auch durch Lügen oder Betrüge­

reien zu kaschieren. Mitunter kommt es sogar

zu Strafdelikten, um dem Kaufdrang nachge­

hen zu können – darunter Scheckbetrug oder

Bestellungen unter falschem Namen.

Die amerikanische Psychiaterin Susan McEl­

roy von der University of Cincinnati formulierte

bereits 1994 wissenschaftliche Diagnosekrite­

rien für pathologisches Kaufen oder compulsive

buy ing (siehe Kasten auf S. 16). Die Betroffenen

sind sich ihres ungezügelten Konsumverhaltens

und den daraus resultierenden Schäden durch­

aus bewusst, dennoch gelingt es ihnen nicht,

den Drang unter Kontrolle zu bringen. Erschwe­

rend kommt hinzu, dass eine Kaufsucht meis­

tens nicht plötzlich auftritt, sondern sich über

Jahre hinweg langsam entwickelt. Den Kontroll­

verlust verheimlichen viele Betroffenen so lange,

bis ihnen der Schuldenberg über den Kopf

wächst oder der Partner mit Trennung droht.

Obwohl es auf den ersten Blick so aussehen

mag, ist diese Verhaltensstörung kein neues

Phänomen: Bereits vor 100 Jahren beschrieb

der deutsche Psychiater Emil Kraepelin (1856 –

1926) die »krankhafte Kauflust« in seinen Lehr­

büchern. Er bezeichnete sie als »Oniomanie«

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Page 14: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

16 G&G 9_2009

(zu Deutsch: krankhafter Kauftrieb) und hielt

sie für eine Störung der Impulskontrolle.

Trotz der langen Geschichte des Konzepts ist

die Forschungslage zum pathologischen Kaufen

noch immer eher dürftig. Breitere Beachtung bei

Psychiatern, Soziologen und Konsumforschern

fand das Phänomen erst in den 1990er Jahren.

Dabei scheint es durchaus weit verbreitet zu

sein: Laut Schätzungen sind in Deutschland

rund sechs Prozent der Erwachsenen zumindest

akut gefährdet, wenn nicht gar eindeutig betrof­

fen. Dies ergab eine 2005 veröffentlichte Reprä­

sentativbefragung, bei der Wissenschaftler der

Universität Hohenheim und der Fachhochschu­

le Ludwigshafen die Kaufsuchtgefährdung mit

Hilfe eines Fragebogens erfassten (siehe Kasten

auf S. 18).

Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte 2006 ein

amerikanisches Forscherteam der Stanford Uni­

versity um den Psychiater Lorrin Koran. Dem­

nach zeigen in den USA gleichfalls knapp sechs

Prozent der Bevölkerung Symptome einer Kauf­

sucht. Beide Studien ergaben zudem, dass jün­

gere Menschen deutlich öfter dem Shopping­

wahn erliegen als ältere.

Exzessive Kaufgewohnheiten gelten gemein­

hin als ein typisch weibliches Problem. Tatsäch­

lich bewegte sich der Frauenanteil unter den

Kaufsuchtpatienten in mehreren Untersuchun­

gen zwischen 80 und 95 Prozent. In der Bevöl­

kerung scheinen jedoch Männer und Frauen

gleich häufig kaufsuchtgefährdet zu sein – dies

belegen die Resultate der amerikanischen Stu­

die von Koran.

Viele Betroffene horten die erworbenen Wa­

ren zu Hause. Die entstehende Unordnung und

das Nichts­mehr­finden­Können provozieren

weitere unnütze Einkäufe. Soziale Aktivitäten

wie etwa Einladungen an Freunde nehmen im­

mer mehr ab, da sich die Betroffenen für das zu­

nehmende Chaos in ihrer Wohnung schämen.

Es fällt ihnen auch immer schwerer abzuschät­

zen, ob eine Kaufentscheidung angemessen ist,

weil sie längst die Übersicht über ihren Haus­

halt verloren haben (siehe den Beitrag über das

»Messie­Syndrom«, G&G 7­8/2009, S. 20).

Von den Kaufsüchtigen, die sich in Behand­

lung begeben, leiden mehr als 90 Prozent an

mindestens einer weiteren psychischen Er­

krankung: Wie wir in einer eigenen Studie am

Universitätsklinikum Erlangen feststellten, sind

Depressionen und Ängste mit etwa 80 Prozent

am weitesten verbreitet; fast jeder Dritte litt

an Essstörungen oder einer weiteren Suchter­

krankung.

Angesichts der vielen Begleitsymptome stellt

sich die Frage, ob Kaufsucht überhaupt ein ei­

genständiges Störungsbild ist – oder ob es sich

nicht vielmehr um ein »Nebenphänomen« an­

derer psychiatrischer Erkrankungen handelt.

Bislang ist es Wissenschaftlern nicht gelungen,

diese Frage endgültig zu beantworten. Auch

ein erschöpfendes Modell darüber, wie patho­

logisches Kaufverhalten entsteht, gibt es noch

nicht.

Kaufsüchtig oder nicht?

Bereits 1994 formulierte die amerikanische Psychiaterin Susan McElroy von der University of Cincinnati folgende Diagnosekriterien für pathologisches Kaufen oder compulsive buying:

ó unwiderstehliche, sich aufdrängende und sinnlose Kaufimpulse oder -handlungenó Erwerb von mehr Waren, als der Betroffene sich leisten kannó Erwerb unnötiger Waren über längere Zeitspannenó erheblicher Leidensdruck, verursacht durch den ständigen Kaufdrang; Beeinträchtigung

von sozialen und beruflichen Funktionen und/oder Verursachung finanzieller Probleme (Verschuldung oder Konkurs)

ó Auftreten der Kaufexzesse nicht nur im Rahmen manischer oder hypomanischer Phasen

KICK PER KARTEDer Akt des Kaufens löst bei den Betroffenen ein regel-rechtes Hochgefühl aus. Dabei ist nebensächlich, was sie erwerben – solange sie shop-pen, sind sie von ihren Proble-men abgelenkt.

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www.gehirn-und-geist.de

Allerdings mehren sich die Hinweise darauf,

dass Selbstwertprobleme, hohe Impulsivität

und geringe Selbstkontrolle wesentlich dazu

beitragen, dass Menschen kaufsüchtig werden

und es lange Zeit bleiben. Die Patienten be­

schreiben sich oft als wenig selbstbewusst und

sozial ängstlich. Offenbar gibt es einen engen

Zusammenhang zwischen dem Konsumdrang

und der emotionalen Befindlichkeit: In vielen

Fällen lösen negative Stimmungen die »Kaufat­

tacken« aus. Ganz sicher spielt auch die kultu­

relle Umgebung eine Rolle – pathologisches

Kaufen ist fast ausschließlich in Ländern mit

kapitalistischen Wirtschaftssystemen bekannt.

Auch neurobiologische Ursachen könnten

zur Störung beitragen, zum Beispiel ein Un­

gleichgewicht im Serotonin­ oder Dopamin­

haushalt. Allerdings lassen sich auf Grund der

häufigen Begleiterkrankungen solche Befunde

kaum spezifisch der Kaufsucht zuordnen.

Unwiderstehliche ImpulseExperten sind sich auch noch uneinig, wie sich

die Kaufsucht in die gängigen psychiatrischen

Klassifikationssysteme einordnen lässt. Am

plausibelsten erscheint den meisten Psychia­

tern, sie als »Impulskontrollstörung« zu werten.

Darunter fallen auch andere Verhaltensmuster,

die den Betroffenen oder anderen Menschen

schaden, wie Kleptomanie oder pathologisches

Glücksspiel. Mit diesen Phänomenen hat die

Kaufsucht beispielsweise gemein, dass der Pa­

tient die aufkommenden Impulse als unwider­

stehlich erlebt und sein Verhalten nicht rational

begründen kann. Außerdem setzen Kaufsüch­

tige ihre Handlungen trotz negativer Konse­

quenzen fort – dies spricht für eine Störung der

Impuls kontrolle.

Andere Autoren betrachten den psycholo­

gischen Mechanismus dahinter tatsächlich als

Sucht – nur dass die Betroffenen nicht von einer

Substanz abhängig sind. Nach diesem Verständ­

nis fallen Kaufsucht, Spielsucht, Arbeitssucht,

Sexsucht und Internetsucht in die gemeinsame

Kategorie der »Verhaltenssüchte«.

Ob mangelnde Impulskontrolle oder Sucht –

den meisten Patienten dürfte die Antwort auf

diese Frage egal sein. Doch die unklare wissen­

schaftliche Einordnung trägt dazu bei, dass es

bisher nur wenige professionelle Behandlungs­

angebote gibt. Denn obwohl die Konsumexzes­

se sowohl bei den Betroffenen selbst als auch

bei ihren Angehörigen einen enormen Leidens­

druck erzeugen, übersehen oder bagatellisieren

Ärzte und Psychologen das Beschwerdebild

Hilfe zur SelbsthilfeDa es bislang kaum Be- handlungsangebote speziell für Kaufsüchtige gibt, gründeten sich in den letzten Jahren mehrere Selbsthilfegruppen in Deutschland. So ist zum Beispiel seit 2002 in Hannover »Lindes Selbst-hilfegruppe« aktiv (www.kaufsuchthilfe.de) und in Bayern seit 2006 die Fürther Selbsthilfegruppe »KAUSUD«.

liTeRATuRTiPPkarsten, c.: shoppen ohne ende. Wenn kaufen zur sucht wird. patmos, Düsseldorf 2008.Ratgeber für Betroffene, inklu- sive Fragebogen zur Selbstein-schätzung. Die Autorin Carien Karsten ist Psychotherapeutin mit dem Spezialgebiet Kauf-sucht.

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18 G&G 9_2009

QuellenBlack, D. W.: a review of com­pulsive Buying Disorder. in: World psychiatry 6, s. 14 – 18, 2007.Koran, L. M. et al.: estimated prevalence of compulsive Buying Behavior in the uni­ted states. in: american Jour­nal of psychiatry 163, s. 1806 – 1812, 2006.Müller, A. et al.: a rando­mized, controlled trial of group cognitive Behavioral therapy for compulsive Buy­ing Disorder: posttreatment and 6­Month Follow­up re­sults. in: Journal of clinical psychiatry 69, s. 1131 – 1138, 2008.

Weitere Quellen unter:www.gehirn­und­geist.de/artikel/1001648

nach wie vor häufig. Selbst wenn die begleiten­

den Erkrankungen wie Ängste oder Depressio­

nen erfolgreich behandelt wurden, normalisiert

sich das Kaufverhalten nur selten.

Daher wirken auch die etablierten Medika­

mente in der Regel nicht: Eine Behandlung mit

Antidepressiva hilft nur in Einzelfällen. Die we­

nigen bisher publizierten Studien zu Serotonin­

Wiederaufnahmehemmern (SSRI) konnten kei­

ne Überlegenheit dieser Stoffe gegenüber einem

Placebo in der Behandlung von pathologischen

Käufern belegen.

Neues Konsumverhalten lernenErste Ergebnisse sprechen jedoch dafür, dass

eine gezielte Psychotherapie den Betroffenen

helfen könnte. Eine Forschergruppe um den

Psychiater James Mitchell von der University of

North Dakota erprobt derzeit eine speziell für

Kaufsüchtige entwickelte kognitive Verhaltens­

therapie. An der Psychosomatischen und Psy­

chotherapeutischen Abteilung des Universitäts­

klinikums Erlangen haben wir eine modifizierte

deutsche Version dieses Programms entwickelt.

In zwölf Therapiesitzungen lernen die Patien­

ten, ihre Kaufattacken zu reduzieren, indem sie

deren Ursachen auf den Grund gehen. Gleich­

zeitig üben sie ein angemessenes Konsumver­

halten ein. Da Kaufsüchtige in der Regel schlecht

mit Geld umgehen können, stehen auch Finanz­

management und die Bedeutung von EC­ und

Kreditkarten auf dem »Lehrplan«. Die meisten

Patienten verwalten ihre Konten längst nicht

mehr selbst, weil die Karten von den Banken

eingezogen wurden oder Angehörige die finan­

zielle Verantwortung übernommen haben. Doch

das hilft nur kurzfristig, die Patienten müssen

den Umgang mit Geld selbst neu erlernen.

2008 haben wir in einer Gruppentherapie­

studie mit 60 Patienten gezeigt, dass diese Be­

handlung wirksam ist: Etwa die Hälfte der Teil­

nehmer erfüllten nach der Therapie nicht mehr

die Kriterien einer Kaufsucht – auch wenn bei

vielen noch Restsymptome bestanden. Die Wei­

terentwicklung solcher störungsspezifischen An­

gebote scheint derzeit der vielversprechendste

Ansatz, um das Problem »pathologisches Kau­

fen« in den Griff zu bekommen. Ÿ

Astrid Müller ist Psychologin und leitete die Studie zur Verhaltenstherapie Kaufsüchtiger am Universi-tätsklinikum Erlangen. Zurzeit forscht sie am Neuro-psychiatric Research Institute in Fargo (US-Bundes-staat North Dakota).

www.gehirn-und-geist.de/audio

Der »Hohenheimer Kaufsuchtindikator«

Die Forschungsgruppe Kaufsucht der Universität Hohenheim entwickelte einen Fragebogen, um Patienten oder Versuchspersonen auf Anzeichen von pathologischem Kaufen zu testen. Hier ein Auszug aus den insgesamt 16 Fragen: trifft trifft nicht zu zu

Wenn ich Geld habe, dann muss ich es ausgeben.

Oft verspüre ich einen unerklärlichen Drang, einen ganz plötzlichen, dringenden Wunsch, loszugehen und irgendetwas zu kaufen.

Ich kaufe oft etwas, nur weil es billig ist.

Ich habe schon öfters etwas gekauft, das ich mir eigentlich gar nicht leisten konnte.

Einkaufen ist für mich ein Weg, dem unerfreulichen Alltag zu entkommen und mich zu entspannen.

Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich mir etwas gekauft habe.

(aus Raab, G. et al.: Screeningverfahren zur Erhebung von kompensatorischem und süchtigem Kaufverhalten (SKSK). Hogrefe, Göttingen 2005.)

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www.gehirn-und-geist.de 19

angemerkt!

Die Datenlage zur Therapie der Adipositas (»Fettleibigkeit«) im Kindes- und Jugendalter ist entmutigend. Laut einer Auswer-

tung von mehr als 60 bis zum Jahr 2006 veröffentlichten Studien sind die Erfolge der gängigen Behandlungen zur Gewichtsreduk-tion äußerst bescheiden. Selbst wenn die Pfunde während der Therapie purzeln, so nehmen doch die allermeisten Kinder auf längere Sicht wieder zu. Ähnliches gilt für die Prävention: Zwar gelingt es häufig, Teilnehmer entsprechender Kurse zu mehr Be-wegung zu animieren. Das Körpergewicht lässt sich damit jedoch allenfalls marginal beeinflussen – so das Ergebnis einer großen Metaanalyse aus dem vergangenen Jahr mit nahezu 10 000 Kin-dern und Jugendlichen. Es erstaunt, dass Mediziner und Politiker dennoch weiter so tun, als sei dem Problem mit Imagekampa-gnen und guten Worten beizukommen.

Setzen wir an den falschen Ursachen an? Das Körpergewicht eines Menschen ergibt sich aus dem komplexen Zusammenspiel

zahlreicher innerer und äußerer Faktoren. Die etwa 20 bislang be-kannten beteiligten Genvarianten haben zwar jeweils nur kleine Effekte – Menschen jedoch, die viele solcher Adipositas fördernder Erbanlagen besitzen, sind tatsächlich häufiger übergewichtig als solche mit nur wenigen. Für die wachsende Zahl fettleibiger Men-schen zeichnen aber nicht die Gene verantwortlich. Verändert ha-ben sich vor allem die Umweltbedingungen, unter denen gene-tisch vorbelastete Menschen leichter dick werden: preiswerte, kalorienreiche Lebensmittel, die überall erhältlich sind, gepaart mit Bewegungsmangel.

Die Vielzahl erfolglos erprobter Präventionsansätze stimmt skeptisch. Sollte man nicht eher zu repressiven Mitteln greifen? In Kalifornien etwa hatte die Verteuerung von Zigaretten, das Ab-schaffen von Zigarettenautomaten, das Anheben des gesetzlichen

Mindestalters für den Kauf und das Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden durchaus Wirkung. Dort rauchen nur noch etwa acht Prozent der Jugendlichen – in Deutschland liegt die Rate dagegen bei über 40 Prozent!

Ähnliche Maßnahmen im Kampf gegen Übergewicht scheinen denkbar: So wird gegenwärtig etwa diskutiert, die Werbung der Lebensmittelindustrie im Umfeld von Kindersendungen einzu-schränken. Auch könnte der Mehrwertsteuersatz für industriell verarbeitete Lebensmittel auf den Regelsatz von 19 Prozent er-höht werden, während der für unverarbeitete Produkte entfällt. Statt sportliche Aktivität nur zu propagieren, wäre es sinnvoll, echte Anreize für körperliche Bewegung zu schaffen – sei es durch den Ausbau von Spielplätzen, Fahrradwegen und Fußgängerzo-nen, sei es durch die Verteuerung des Autofahrens. Und wie wäre es mit einer Vergnügungssteuer für Internet und PC-Spiele?

Bislang hat man solche strukturellen Massnahmen kaum ins Auge gefasst, etwa aus Sorge um jene Arbeitsplätze, die direkt oder indirekt an der Auto-, Nahrungsmittel- und Medienindustrie hängen. Doch scheint eine gesellschaftliche Diskussion darüber dringend geboten: Schließlich sind in den westlichen Industrie-ländern zwischen 15 und 30 Prozent der Bevölkerung von Adiposi-tas betroffen.

Ein weiterer wichtiger Faktor, um die Rate an Übergewichtigen zu senken, lautet: mehr Bildung! In den Industrieländern erhöht ein niedriger oder fehlender Schulabschluss ebenso wie ein gerin-ger sozialer Status das Adipositasrisiko deutlich. Politiker, Medien und Adipositasforscher sollten nicht länger einfach so tun, als sei in erster Linie jeder selbst für sein Körpergewicht verantwortlich. Eine solche Haltung stigmatisiert adipöse Menschen zu Unrecht.

Johannes hebebrand ist Professor an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Universität duisburg-essen.

falsche gewichtUngIm Kampf gegen Adipositas helfen gute Ratschläge allein nicht weiter.

literaturtipp hebebrand, J., simon, c.-P.: Irrtum Übergewicht. Zabert Sandmann, München 2008.

Politiker, Medien und Adipositasforscher sollten nicht länger einfach so tun, als sei in erster Linie jeder selbst für sein Körpergewicht verantwortlich

www.gehirn-und-geist.de 19

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20 G&G 9_2009

»Lernen ist ein kommunikativer Akt«

Frau Frith, was versteht man unter »natür-

licher Pädagogik«?

Kinder kommen mit der Erwartung zur Welt,

dass ihnen etwas beigebracht wird. Sie reagie­

ren von Anfang an höchst sensibel auf Signale,

die ihnen die Bedeutung einer Information an­

zeigen und an denen sie erkennen: Achtung,

jetzt kommt etwas, was ich mir merken sollte!

Das lässt sich schon früh beobachten, etwa bei

wenigen Monate alten Säuglingen: Wenn man

sie durch Blickkontakt und Heben der Stimme

auf die Wichtigkeit eines Objekts hinweist, se­

hen sie es länger an. Die Psychologen György

Gergely und Gergely Csibra haben das in bahn­

brechenden Experimenten gezeigt (siehe Kas­

ten S. 22). Es gibt eine ganze Reihe metakogni­

tiver Prozesse, die dem Lernen den Weg ebnen.

Was bedeutet »metakognitiv« in diesem Zu-

sammenhang?

Wörtlich meint der Begriff so viel wie »denken

über das Denken«. Darin liegt eine ganz große

Stärke des Menschen: Er reflektiert sein eige­

nes geistiges Vermögen und das von anderen.

Psychologen sprechen hier auch von »Theory

of Mind«. Laufend bilden wir Hypothesen da­

rüber, was unsere Mitmenschen im Schilde

führen, wie sie uns sehen und welches Wissen

und Können wir bei ihnen voraussetzen kön­

nen. Das muss allerdings nicht bewusst ablau­

fen. Die Mechanismen, die das kindliche Ler­

nen leiten, sind meist so subtil, dass sie uns im

Alltag kaum auffallen. Vielleicht haben For­

scher deshalb so lange gebraucht, sich ihrer an­

zunehmen.

Können Sie ein Beispiel geben?

Wenn ich in der Bahn sitze und Mitreisende

beobachte, bin ich ständig dabei, im Geist die

Perspektive zu wechseln. Der Mann da sieht

müde aus, hatte bestimmt einen harten Tag.

Die in dem dünnen Kleid dachte wohl, es sei

wärmer draußen. Das passiert automatisch,

ich merke es kaum. Eine wesentliche Erkennt­

nis der »natürlichen Pädagogik« ist nun, dass

die Fähigkeit zu solchen mentalen Rollenwech­

seln das Lernverhalten von Kindern formt.

Funktioniert Lernen nicht ganz unterschied-

lich, je nachdem ob es um Geschichtsdaten,

Radfahren oder um ein verträgliches Sozialver-

halten geht?

psycholoGie i kindesentwicklunG

Wie begreifen Kinder die Welt? Unter welchen Bedingungen erwerben sie Wissen

besonders gut? Welche Rolle spielt dabei die Fähigkeit, sich in andere hineinzu­

versetzen? Diese Fragen beschäftigen die renommierte Entwicklungspsychologin

Uta Frith seit Jahrzehnten. Ihr Kredo: Der natürliche Wissenserwerb liefert das

beste Vorbild für die Schule.

»Die Mechanismen, die das kindliche Lernen lei-ten, sind meist so subtil, dass sie uns im Alltag kaum auffallen. Vielleicht haben Forscher des-halb so lange gebraucht, sich ihrer anzunehmen«

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Mit

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Das ist richtig. Ich beziehe mich hier aber auf

eine tief verankerte Grundausstattung, die

überall zum Tragen kommt. Bei der Suche nach

dem Erfolgsrezept für effektives Lernen haben

Forscher oft allein die Inhalte betrachtet, den

zu lernenden Gegenstand. Dabei machen viel­

leicht gerade die sozialen und emotionalen

Umstände den Unterschied. Natürlich muss

sich ein Mathematiklehrer überlegen, wie er

Formeln und Rechenwege didaktisch geschickt

aufbereitet. Vermeintlich nebensächliche Fak­

toren sind aber ebenso wichtig, angefangen

bei der Atmosphäre im Klassenzimmer bis zur

Erlaubnis, Fehler zu machen oder selbst etwas

austüfteln zu dürfen. Diese Faktoren entschei­

den oft darüber, ob ein Lernstoff hängen bleibt

oder nicht.

Sie meinen also, statt sich nur auf das Was

zu konzentrieren, sollte man auch das Wie des

Lernens betrachten?

Genau. Worauf es letztlich ankommt, ist dies:

Lernende und Lehrende, Kinder und Eltern,

Schüler und Pädagogen müssen sich aufeinan­

der einstimmen. Wenn das Kind dafür nicht

zugänglich ist, kann ich noch so oft die Augen­

brauen heben oder meine Stimme modulieren.

Ich muss es im richtigen Moment tun. Beson­

ders offensichtich wird das bei Autisten. Viele

ihrer kognitiven Defizite gründen darin, dass

sie die Bedeutung metakognitiver Signale nicht

einschätzen können oder sie gar nicht wahr­

nehmen. Weil sie die Absichten und Gedanken

anderer Menschen spontan nicht entschlüs­

seln können, ist es sehr schwierig, den Betrof­

fenen gezielt bestimmtes Wissen zu vermit­

teln. Irrelevante Informationen haben für sie

den gleichen Stellenwert wie das eigentlich

Wichtige. Das zeigt: Lernen ist in hohem Maß

ein kommunikativer Akt.

Wie hängt das mit dem Talent zusammen,

sich in den Kopf anderer hineinzuversetzen?

Ich glaube, dass vieles von dem, was wir unter

dem Begriff Metakognition zusammenfassen,

letztlich im Selbstkonzept von Kindern wur­

zelt. Im Englischen gibt es dafür den Begriff

self awareness, der nicht so leicht ins Deutsche

zu übersetzen ist. Self awareness bezieht sich

auf die Fähigkeit, sich selbst wahrzunehmen

und in unterschiedliche Rollen zu schlüpfen.

Das kann wie gesagt vollkommen implizit

bleiben, also ohne, dass wir es recht mitbekä­

men oder steuern würden. Ein Sechsjähriger

denkt ja nicht bewusst »Oh aufgepasst, der

Lehrer räuspert sich, jetzt sagt er gleich etwas

Wichtiges«. Dennoch verfehlt das Signal nicht

seine Wirkung.

Fördert es auch das Lernen?

Erfolgreicher Wissenserwerb basiert auf mehr

als nur auf Lehrdidaktik. Hier spielen geistige

Prozesse hinein, die auf höherer Ebene ange­

siedelt sind. Kinder sind keine passiven Spei­

cher oder Schwämme, aber sie nehmen andau­

ernd für sie interessante Informationen auf.

Heute begreifen wir, wie differenziert bereits

die Kleinsten auf besonders wertvolles Wissen

achten. Sie nehmen nicht unbesehen alles in

sich auf, sondern selektieren aktiv. In Ge­

sprächen mit Eltern oder Lehrern höre ich im­

mer wieder diesen Satz: »Wenn sie (die Kinder)

doch nur lernen würden, was wir ihnen sagen.«

Ich denke dann oft, aber sie lernen doch – im­

merzu! Nur nicht immer genau das, was man

ihnen vorgibt.

Halten Sie es für eine Illusion zu glauben,

man könne Lernprozesse exakt steuern?

Man sollte sich jedenfalls von der Idee des »Ein­

trichterns« verabschieden. Das fördert nicht

den Lernerfolg. Dafür braucht es ein funktio­

nierendes Wechselspiel von Lehrenden und

Lernenden.

Wie lassen sich metakognitive Fähigkeiten

besser in der Schule berücksichtigen?

UTA FRITH> geboren 1941 in Rockenhau­sen bei Kaiserslautern> studierte experimentelle und klinische Psychologie in Saar­brücken und London> Promotion und langjährige Forschungstätigkeit am Univer­sity College sowie dem Medical Research Council in London> Mitbegründerin des Institute of Cognitive Neuroscience in London, wo sie die Abteilung für kognitive Entwicklungspsy­chologie leitete> Mitglied zahlreicher wissen­schaftlicher Akademien, darunter die Royal Society und die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina> seit 2007 Research Foundati­on Professor an der Universität in Aarhus (Dänemark)> verheiratet mit dem Psycho­logen Chris Frith (siehe G&G 4/2008, S. 42), zwei Söhne

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22 G&G 9_2009

Indem man sie übt! In einer originellen Unter­

suchung haben Angela Davis­Unger und Ste­

phanie Carlson von der University of Washing­

ton in Seattle Kinder gebeten, die Rolle von

Lehrern einzunehmen. Ich denke, man sollte

die Rollen von Lehrern und Schülern nicht im­

mer strikt trennen. Viele Kinder profitieren da­

von, wenn sie einmal die Seiten wechseln und

selbst erklären sollen. Das fördert die Fähigkeit

zur Selbstreflexion unbewusst. Kinder sind au­

ßerdem oft viel eher bereit, von Altersgenossen

zu lernen – es ist ganz natürlich für sie, sich mit

Gleichaltrigen zu vergleichen und sich Dinge

abzugucken.

Und das wiederum verbessert den Wissens-

erwerb?

Vielleicht nicht unmittelbar, aber Interesse,

Motivation, Wichtiges von Unwichtigem tren­

nen zu können – das sind Grundvorausset­

zungen für nachhaltiges Lernen. Das meiste,

das Kinder lernen sollen, ist mit keiner direk­

ten Belohnung verbunden. Aus diesem Grund

ist auch die Übertragbarkeit von Tierexperi­

menten begrenzt: Ratten lernen Assoziationen

zwischen einfachen Reizen und damit gekop­

pelten Veränderungen in der Umwelt – Futter­

gabe oder Stromschläge zum Beispiel. In der

Schule fallen ganz andere Faktoren ins Ge­

wicht, etwa die Signale anderer richtig zu

deuten.

Haben Sie Zweifel, dass sich Erkenntnisse

aus der Lernforschung an Tieren auf den Schul-

unterricht übertragen lassen?

Menschen lernen viel mehr von anderen Men­

schen als aus eigener Erfahrung. Das hat riesige

Vorteile: Wir müssen nicht alle die gleichen

Fehler machen! Die soziale Weitergabe von

Wissen mag ansatzweise bei einigen Affen­

arten zu beobachten sein, aber sie ist weit ge­

hend ein Privileg des Menschen. Die Fähigkeit,

Traditionen und Wissensbestände weiterzu­

geben und immer weiter auszubauen, bildet

die Grundlage unserer Kultur. Und Kultur ist

für mich gleichbedeutend mit Bildung.

Es heißt oft, schulisches Lernen solle Spaß

machen. Dennoch muss man immer auch

Durststrecken und Widerstände dabei überwin-

den. Ist das Ideal vom selbstbestimmten, fröh-

lichen Lernen nicht eine Illusion?

Ganz bestimmt. Lernen erfordert viel Selbst­

kontrolle, also das Vermögen, spontane Im­

pulse zu unterdrücken, Belohnungen aufzu­

schieben. Fragen Sie ein Kind, ob es jetzt sofort

einen Lolli haben will oder zwei in einer Stun­

de, dann wird es bei hoher Selbstkontrolle eher

bereit sein zu warten. Und diese hängt statis­

tisch gesehen enger mit dem schulischen Er­

folg zusammen als der IQ. Ÿ

Die Fragen stellte G&G-Redakteur Steve Ayan.

quellenDavis­Unger, A., Carlson, S. M.: development of teaching Skills and relations to theory of Mind in Preschoolers. in: Journal of Cognition and de-velopment 2009 (im druck).Duckworth, A., Seligman, M. E. P.: Self-discipline outdoes iQ in Predicting academic Per-formance of adolescents. in: Psychological Science 16, S. 939 – 944, 2005.

»Natural Paedagogy« – eine neues ForschungsprogrammVeRANsTAlTUNgs­TIPP»Psychologie und Zu-kunftsfragen« heißt eine neue Veranstaltungsreihe der Deutschen Gesell-schaft für Psychologie (DGP). In diesem Rahmen findet am Mittwoch, den 9. September 2009, in der Fruchthalle Kaiserslautern eine Podiumsdiskussion statt mit dem Titel »Die Rolle der Hirnforschung in der Entwicklungs- und Lernpsychologie: Zwischen Euphorie und Ablehnung«. Uta Frith und andere Experten diskutieren mit dem Publikum, wie die Schule von morgen aussehen sollte. Beginn: 19.30 Uhr; der Eintritt ist frei. Informationen im Internet: www.sowi.uni-kl.de/wcms/dgps-podium.html

Heute richten Psychologen und lernforscher ihr Augenmerk vermehrt auf jene metakogni-tiven Einflüsse, die das natürliche Lernen vom jüngsten Kindesalter an vorbereiten, prägen und begleiten. Dazu zählen etwa die Modula-tion der Stimme oder der Mimik. So etablierte sich in den letzten Jahren ein neues Arbeits-gebiet – die »Natural Paedagogy«.

Die Forschergruppe um György Gergely und Gergely Csibra an der Central European University in Budapest zeigte, wie stark der Blickkontakt zu Erwachsenen die Aufmerksam-keit von Babys lenkt. In einem Experiment sah eine Frau den Testsäugling zunächst direkt an und wandte sich dann einem von zwei vor ihr befindlichen Gegenständen zu (siehe Bild). Der zuvor hergestellte Kontakt ließ den Blick des Kindes sehr viel länger beim jeweili gen Objekt verweilen.

Laut den Forschern strukturieren mimische und sprachliche Signale seitens der Eltern das kindliche Lernen, da sie zwischen wichtiger und unwichtiger Information unterscheiden helfen. Kinder lernen so, effektiver zu lernen.

(Csibra, G., Gergely, G.: Natural Paedagogy. In: Trends in Cognitive Sciences 13(4),

S. 148 – 153, 2009.)

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24 G&G 9_2009

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]In vIelfalt vereInt So zahlreich wie die einflüsse, die einen Menschen prägen, sind auch die Schichten des Ichs. Dennoch erleben wir es als den mentalen fixpunkt schlechthin.

titelthema i ich-bewusstsein

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www.gehirn-und-geist.de 25

Jeder Mensch besitzt ein Bild seines Selbst, das stabil und nur schwer

wandelbar erscheint. Doch wozu ist es gut, ein »Ich« zu haben? Der

Psychiater Uwe Herwig kennt eine plausible Antwort: Es ermöglicht

uns, Gefühle und Handlungen zu steuern.

Von uwe herwiG

Frau K. fragt sich, wer sie eigentlich ist. Seit

Monaten fühlt sich die 37-Jährige befrem-

det, oft kommt es ihr so vor, als würde sie ne-

ben sich stehen. Ihre Familie, ihr Beruf, ihr gan-

zes Lebens erscheinen ihr irgendwie sinnlos.

Frau K. grübelt viel, leidet unter Beklemmungen.

Manchmal gerät sie ihren Kindern gegenüber

grundlos in Wut und macht sich anschließend

Vorwürfe. Sie denkt daran, sich umzubringen.

Herr M. dagegen glaubt, er sei höchstpersön-

lich dazu auserkoren, die Welt zu retten. Er hält

sich für außergewöhnlich begabt, tüftelt näch-

telang an einer grandiosen, neuen Weltordnung.

Er schlägt das fertige Manuskript mehreren

Buchverlagen zur Veröffentlichung vor, bestellt

einen teuren Sportwagen, obwohl er schon jetzt

Schulden hat. Herr M. fühlt sich so gut und

selbstsicher wie noch nie.

Das sind nur zwei Beispiele dafür, was passie-

ren kann, wenn das Selbstbild von Menschen

aus den Fugen gerät. Psychische Erkrankungen

wie die von Frau K. und Herrn M. – Depression

und Manie – verzerren die Vorstellung, die die

Betroffenen von sich haben. Eine realistische

Selbstwahrnehmung ist wesentlich für eine ge-

sunde Psyche. Mag das eigene Ich auch oft

schwer zu fassen sein, haben wir doch alle intui-

tiv eine Idee davon, wer wir sind.

Neurowissenschaftler versuchen aus zwei

Gründen, den Wurzeln des Selbst im Gehirn auf

die Spur zu kommen. Zum einen versprechen

sie sich davon, seelische Erkrankungen besser

zu verstehen und behandeln zu können. Zum

anderen wollen sie ein alte Frage des Mensch-

seins beantworten helfen: Weshalb besitzen wir

überhaupt ein Ich? Warum sind wir nicht ein-

fach biologische Automaten, die sich ihrer selbst

und ihrem Verhältnis zur Umwelt eben nicht

bewusst sind – Wesen, die manche Neurophilo-

sophen (etwas geringschätzig) als Zombies be-

zeichnen?

In unserem subjektiven Erleben existiert für

gewöhnlich eine klare Grenze zwischen innen

und außen. Gedanken und Gefühle, Motive und

Erinnerungen empfinden wir als uns selbst zu-

gehörig. Auch wenn wir uns mental in andere

Menschen hineinversetzen und deren Wünsche

und Gefühle erschließen, verwechseln wir diese

normalerweise nicht mit unseren eigenen. Die

Trennung zwischen »ich« und dem Rest der

Welt erscheint somit als erstes wichtiges Merk-

mal des Selbst.

Stabilität trotz VeränderungDas zweite ist seine Stabilität. Das Selbst bildet

einen festen Rahmen, in den wir all unsere Ge-

danken, Gefühle und Erfahrungen einordnen.

Das Merkwürdige daran: Während wir das eige-

ne Ich als konstant erleben, unterliegt es doch

einem ständigen Wandel. Jede neue Erfahrung

formt uns, sowohl biografisch als auch biolo-

gisch. Wie sich der Körper durch seinen Stoff-

wechsel laufend verändert, tritt auch das Selbst

nie auf der Stelle. Viele innere und äußere Fak-

toren prägen es – angefangen bei der Erziehung

und Sozialisation bis hin zu alltäglichen Erfah-

rungen im Erwachsenenalter. Denn diese beein-

flussen das Ablesen genetischer Information

und somit auch den Aufbau synaptischer Kon-

takte oder die Geburt neuer Nervenzellen im

Au f e i n en Bl ick

Selbst ist ... das Hirn

1 Jeder Mensch hat ein Bewusstsein für innere

Vorgänge wie Gedanken, Gefühle, Erinnerungen. Diese erscheinen als der eigenen Person zugehörig und stabil – außer bei bestimmten psychischen Störungen.

2 Viele Hirnareale, die mit dem Ich-Bewusst-

sein zu tun haben, liegen an der »kortikalen Mittellinie« der beiden Hemisphären.

3 Selbstwahrnehmung ermöglicht es, Emotio-

nen und Handlungsim-pulse bewusst zu kontrol-lieren. Dies lässt sich auch trainieren.

Mehr zuM titelheMa> Puzzle der PersönlichkeitWie sich der Charakter im Gehirn abbildet (S. 30)

Page 23: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

26 G&G 9_2009

Gehirn. Das lässt vermuten, dass sich die Kon-

stanz des Selbst nicht irgendwie automatisch

ergibt, sondern eine aktive Leistung unseres

Gehirns darstellt. Nur, wie erbringt es sie? Und

warum überhaupt?

Ein Blick auf die Entwicklung des Ich-Kon-

zepts bei Kleinkindern liefert erste Anhalts-

punkte. Ab dem Alter von etwa drei bis fünf Mo-

naten können Babys ihre Körperbewegungen

einigermaßen sicher kontrollieren, mit zirka an-

derthalb Jahren erkennen die Kleinen sich dann

erstmals im Spiegel. Ab zwei Jahren verwenden

sie Begriffe wie »ich« und »mein«; eigene Ge-

fühlsregungen (»Ich bin traurig«) benennen sie

mit etwa drei Jahren. Im Grundschulalter meh-

ren sich die Vergleiche mit anderen, die Zeit des

Kräftemessens beginnt, woraus nach und nach

ein Selbstwertgefühl entsteht. Jugendliche und

junge Erwachsene erwerben über immer diffe-

renziertere soziale Rollen schließlich eine aus-

gereifte persönliche Identität.

Explosionsartiges WachstumParallel zu diesen Entwicklungsstufen formen

sich die neuronalen Verbindungen. Bei der Ge-

burt existieren nur wenige synaptische Ver-

knüpfungen zwischen den schätzungsweise 100

Milliarden Nervenzellen des Gehirns. Bis zum

sechsten Lebensjahr kommt es zu einem ex-

plosionsartigen Anwachsen der synaptischen

Verdrahtung, die sich gleichzeitig immer mehr

Das Selbst – philosophisch betrachtetGeistesgeschichtlich ist die Beschäftigung mit dem Selbst sehr alt. In der an-tiken griechischen Philosophie kam wohl erstmals der Gedanke auf, dass un-ser Verhalten durch eine dahinterstehende Psyche bestimmt wird. Von He-raklit (540/535 – 483/475 v. Chr.) stammt der Appell »Erkenne dich selbst!«. René Descartes (1556 – 1650) unterschied in seinem Dualismus von Geist und Körper die »res extensa« von der »res cogitans«. Beide Sphären träfen sich in der Zirbeldrüse des Gehirns. Descartes’ »Ich denke, also bin ich« definiert das Selbst als über jeden philosophischen Zweifel erhaben.

Immanuel Kant (1724 – 1804) erklärte, dass der menschliche Verstand seine eigene Welt konstruiert, und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831) sah in der Selbsteinsicht einen höheren Entwicklungsstand des Bewusstseins. Der amerikanische Psychologe William James (1842 – 1910) betrachtete Emo-tionen und Selbst in naturwissenschaftlich-reduktionistischer Weise als Funktionen des Gehirns. Sigmund Freud (1856 – 1939) wiederum entdeckte das Unbewusste als mitbestimmende Instanz, die man bei der psychothera-peutischen Modifikation des Selbst berücksichtigen müsse.

festigt. Dabei verschwinden ungenutzte Ver-

knüpfungen; andere, die durch bedeutende

oder wiederholte Erlebnisse gebahnt werden,

konsolidieren sich.

Der Neurologe Antonio R. Damasio von der

University of Iowa entwarf Mitte der 1990er Jah-

re ein hierarchisches Drei-Ebenen-Modell des

Selbst. Demnach stellt das »Protoselbst« eine

neuronale Repräsentation des Organismus dar.

Auf dieser zunächst unbewussten Ebene geht es

vor allem darum, allgemeine Körperfunktionen

und das innere biochemische Gleichgewicht,

die Homöostase, zu erhalten. Zuständig sind

hierfür der Hirnstamm, das Mittelhirn sowie

der Hypothalamus. Erst wenn hier Probleme

auftreten, werden diese höheren Hirnzentren

gemeldet.

Auf der mittleren Ebene – Damasio spricht

vom »Kernselbst« – steht die Interaktion mit der

Umwelt im Vordergrund. Hier entsteht ein un-

mittelbares Bewusstsein unseres Selbst im Hier

und Jetzt. Neuronal betrachtet sind unter ande-

rem Teile des Zwischenhirns beteiligt, vor allem

der Thalamus sowie die Mandelkerne (Amygda-

lae), der zinguläre Kortex, die Insula und der me-

diale präfrontale Kortex (Grafik rechts). Körper-

signale erzeugen im »Kernselbst« einfache Be-

wusstseinsinhalte wie etwa Hungergefühle.

An der Spitze von Damasios Modell steht das

»autobiografische Selbst«. Es gewährleistet, dass

wir das eigene Verhalten reflektieren und es ge-

zielt beeinflussen können. Dafür ist laut Dama-

sio ein sprachliches Bewusstsein erforderlich,

wie es nur der Mensch besitzt. Entsprechend

sind neuronale Sprachzentren wie die Broca-Re-

gion sowie der Hippocampus als Vermittler-

instanz für den Gedächtnisabruf beteiligt. Auf

dieser Bewusstseinsebene können wir unter

Einbeziehung früherer Erfahrungen und aktu-

eller Ziele Handlungsimpulse rational und ana-

lytisch abwägen. Der präfrontale Kortex im

Stirnhirn übt dabei die Funktion eines internen

Kontrolleurs aus.

Damasios Modell beschreibt viele Aspekte

des Selbst – um diese zu erforschen, greifen For-

scher jedoch oft auf einfachere Unterscheidun-

gen zurück. Eine verbreitete ist die zwischen

körperlichen und gedanklichen (kognitiven)

Komponenten. Wir spüren den eigenen Körper

über somatosensorische Rückmeldungen von

der Haut und den Gelenken, aber auch aus dem

Bauchraum (viszeral). Besonders wichtig für

diese Eigenwahrnehmung ist ein Abschnitt der

Hirnrinde am Übergang vom Frontal- zum

Schläfenlappen – die vordere Insula. Dies konn-

Weshalb besitzen wir überhaupt ein Ich? Warum sind wir nicht einfach biolo-gische Auto-maten, die sich ihrer selbst nicht bewusst sind?

Page 24: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

www.gehirn-und-geist.de 27

ten Hugo D. Critchley und seine Kollegen vom

Wellcome Department for Imaging Neurosci-

ence in London 2004 nachweisen.

Die Forscher ließen Probanden die eigene

Herzfrequenz einschätzen: Während die Ver-

suchsteilnehmer im Magnetresonanztomogra-

fen (MRT) lagen, lauschten sie per Kopfhörer ih-

rem eigenen Pulsschlag entweder in Echtzeit

oder um 500 Millisekunden verzögert. Die Auf-

gabe: zu entscheiden, ob der eigene Puls direkt

oder zeitversetzt erklang. Je besser ein Proband

dies unterscheiden konnte, desto stärker fiel die

Aktivität in der Inselregion aus. Wie weitere

Messungen ergaben, hatten Probanden mit be-

sonders sensiblem Körperempfinden (sie kla-

gen beispielsweise eher über trockene Augen

oder Magendrücken) eine größere Inselrinde als

andere Personen.

Kognitive Aspekte des Selbst spiegelten sich

dagegen im medialen präfrontalen Kortex

(MPFC) wider. In einem Experiment von Joseph

Moran und Kollegen am Dartmouth College in

Hanover (US-Bundesstaat New Hampshire) von

2006 sollten gesunde Probanden beurteilen,

wie gut eine Reihe von Adjektiven auf sie per-

sönlich beziehungsweise auf eine andere, ihnen

bekannte Person zutrafen. Waren die Wörter auf

sich selbst zu beziehen, fiel die Aktivität jener

Frontalhirnregion stärker aus – und zwar unab-

hängig vom emotionalen Wert des Adjektivs,

also ob es eine positive oder negative Eigen-

schaft beschrieb.

Erregung beim eigenen AnblickZu ähnlichen Befunden kamen Thilo Kircher

von der Psychiatrischen Universitätsklinik Mar-

burg sowie Stephen M. Platek und Kollegen

von der University of Pennsylvania in Philadel-

phia. Ihre Probanden sahen Fotos des eigenen

Gesichts sowie von anderen bekannten und

un bekannten Menschen. Wie der gleichzeitige

Hirnscan ergab, aktivierte das Betrachten des ei-

genen Porträts vermehrt mediale präfrontale,

insuläre und parietale Kortexareale.

Diese Regionen melden sich schon bei der

bloßen Erwartung des Probanden, sich gleich

selbst zu sehen, also ehe das Bild erscheint. Das

berichtete Annette Brühl von der Universitäts-

klinik Zürich auf dem Kongress der Deutschen

Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und

Nervenheilkunde (DGPPN) 2008 in Berlin.

Die Unterscheidungen zwischen »ich« und

»andere« bietet Forschern einen naheliegenden

Ansatzpunkt, um der neuronalen Selbstreprä-

sentation auf die Spur zu kommen. Offenbar

unterscheidet das Gehirn sehr genau zwischen

Eigen- und Fremdreizen. Das führt beispielswei-

se dazu, dass wir uns nicht selbst kitzeln kön-

nen, obwohl der entsprechende Hautreiz mit

dem beim Gekitzeltwerden durch eine andere

Person identisch ist. Wir hören auch unsere ei-

gene Stimme in der Regel nicht bewusst, obwohl

sie wie jedes andere Geräusch von außen ans

Ohr dringt.

Knut Schnell von der Psychiatrischen Uni-

versitätsklinik in Bonn untersuchte dies näher.

Laut Ergebnissen seiner Arbeitsgruppe nehmen

wir Reize, die als Folge eigener Handlungen ent-

stehen, tatsächlich deutlich schwächer wahr als

extern erzeugte. In einer bildgebenden Studie

konnte Schnell zeigen, dass beim Beobachten

von eigenen im Vergleich zu fremden Hand-

lungen während eines einfachen Videospiels

ein Netzwerk aus präfrontalen Kortexarealen

sowie dem unteren Scheitellappen (inferior pa-

rietal) verstärkt in Aktion trat.

Wie ist das zu erklären? Der präfrontale Kor-

tex ist als Planungs- und Kontrollinstanz für

Handlungen bekannt. Er sendet eine Kopie sei-

ner Bewegungsprogramme in Regionen des

Scheitellappens, der wiederum für die Wahr-

nehmung fremder Bewegungen zuständig ist.

Durch dieses Feedback kann selbst erzeugter In-

put quasi herausgerechnet werden – das heißt,

Innere MitteDie neuronale Selbstrepräsen-tation beansprucht Areale in vielen verschiedenen Hirntei-len. Besonders dicht gesät sind sie auf der Innenseite der Hemisphären, auch »kortikale Mittellinie« genannt. Zu den als »CMS« zusammenge-fassten Strukturen (von englisch Cortical Midline Structures) zählen neben dem orbitofrontalen und dem zingulären vor allem der mediale präfrontale Kortex. Dieser teilt sich in einen ventral (»zum Bauch hin«) und einen dorsal (»zum Rücken hin«) gelegenen Ab- schnitt auf. Auch Gebiete im Scheitellappen (hier markiert: medial parietal) und die Amygdala werden – je nach experimentellem Vorgehen – von ichbezogenen Reizen aktiviert.

transparente Schnittansicht des Großhirns (grün)

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medialer parietaler Kortex (MPC)

posteriorer zingulärer Kortex (PCC)

orbitofrontaler Kortex (OFC)

ventromedialer präfrontaler Kortex (VMPFC)

dorsomedialer präfrontaler Kortex (DMPFC)

Mediale Schnittansicht des Großhirnsanteriorer zingulärer Kortex (ACC)

Amygdalae

Hippocampus Kleinhirn(Cerebellum)

Page 25: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

28 G&G 9_2009

die Intensität der Wahrnehmung schwächt sich

deutlich ab. Bei akut psychotischen Patienten

kann diese Selbst-fremd-Unterscheidung gestört

sein – mit dem kuriosen Nebeneffekt, dass sie

selbst herbeigeführte Berührungen der eigenen

Haut unverändert stark empfinden und sich so-

mit prinzipiell auch selbst kitzeln könnten.

Das führt uns zu der Frage, weshalb sich

überhaupt so etwas wie ein Selbst entwickelt

hat. Welchen Vorteile hat ein »autoreflexiver«

Organismus gegenüber einem alternativen, der

sich seiner selbst nicht bewusst ist und folglich

kein Ich besitzt? Eine große Rolle dürfte dabei

die Regulation von Gefühlen spielen. Denn hier

kommt der Selbstwahrnehmung eine wichtige

Funktion zu: Sie erlaubt uns, unserer Gefühle

bewusst zu werden, sie zu bewerten und gegebe-

nenfalls zu modulieren. Das eigene Ich dient da-

bei als eine Art Projektionsfläche.

Gefühlskontrolle im AlltagWir begegnen laufend vielerlei Reizen, die emo-

tional bedeutsam sind: vom bissigen Nachbars-

hund über den nervigen Kollegen bis hin zum

lang ersehnten Kinoabend mit Freunden. Unse-

re Gefühlsreaktionen und daraus entstehende

Verhaltensimpulse wie Flucht, Kampf oder Freu-

densprünge zu regulieren, ist eine wichtige Fä-

higkeit; ohne sie wäre ein verträgliches soziales

Miteinander unmöglich. Areale des präfronta-

len Kortex spielen hier abermals eine entschei-

dende Rolle. Sie modulieren die von den Man-

delkernen ausgehende Aktivität und können so

die emotionale Erregung hemmen.

Doch wie gehen wir im Alltag eigentlich mit

unseren Gefühlen um? Eine simple Strategie be-

steht darin, sie einfach über sich ergehen zu las-

sen. Das ist allerdings oft nicht praktikabel. Eine

andere Möglichkeit ist die Unterdrückung des

emotionalen Ausdrucks – etwa, indem man in

belastenden oder Angst auslösenden Situatio-

nen bewusst »gute Miene« macht. Wie Studien

gezeigt haben, verändern mimische oder an-

dere motorische Signale durchaus unsere Stim-

mungslage. Allerdings kann ständiges Unter-

drücken von Emotionen den subjektiven Lei-

densdruck und die damit verbundene Erregung

noch verstärken.

Eine dritte, günstigere Variante bezeichnen

Psychologen als »kognitive Neubewertung«

(oder Reappraisal, wie der englische Fachbegriff

lautet). Sie zielt auf eine Entspannung des emo-

tionalen Erlebens und eine reduzierte physiolo-

gische Reaktion wie zum Beispiel verlangsam-

ten Herzschlag. Mittels funktioneller Bildge-

bung konnten Kevin Ochsner und James Gross

von der Stanford University in Kalifornien 2005

die neuroanatomischen Korrelate der kogni-

tiven Neubewertung aufzeigen.

Die Forscher präsentierten gesunden Pro-

banden unangenehme oder neutrale Bilder. Ein

Teil der Versuchspersonen sollte sie einfach auf

sich wirken lassen. Andere hatten die Aufgabe,

sie durch gedankliche Neubewertung so zu

interpretieren, dass sie ihre negative Bedeu-

tung verloren. Einen bedrohlich die Zähne flet-

schenden Hund kann man beispielsweise zum

treuen Beschützer seines Frauchens umdeuten.

Ergebnis: Neubewertung führte zu weniger

unangenehmen Gefühlen. Dabei wurden vor

allem mediale und laterale präfrontale Areale

aktiv, während die Mandelkerne sowie der orbi-

tofrontale Kortex in ihrer Aktivität gehemmt

waren.

In einer eigenen Studie von 2007 ließen wir

gesunde Probanden schon bei Erwartung unan-

genehmer Bilder die Strategie der kognitiven

Neubewertung anwenden. Sie sollten sich in

Der feine UnterschiedIch und Selbst: Der ame- rikanische Psychologe Wil- liam James (1842 – 1910) unterschied zwischen »I« und »Me«. Ersteres sei der »Wissende« (Ich). Den Inhalt seines »Wissens« – Gedan-ken, Wünsche, Vorlieben et cetera – bilde dagegen das Selbst. Nach einer anderen Definition ist das Ich der je- weils aktuell bewusste Teil des Selbst, quasi die Spitze des Eisbergs.

Emotion und Gefühl: Als Emotionen bezeichnen manche Forscher grundle-gende körperliche Erregungs - zustände. Erst aus deren gedanklicher Bewertung entstünden Gefühle. In der Alltagssprache benutzen wir beide Begriffe meist synonym.

»SIeh an, DaS bIn ja Ich!«In einem von Uwe herwigs experimenten betrachteten Probanden fotos der eigenen oder anderer Personen. bei Selbstbetrachtung regte sich der zinguläre Kortex (hier gelb) besonders stark.

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www.gehirn-und-geist.de 29

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literAturtipp Damasio, a.: ich fühle, also bin ich. dtv, münchen 2001.Sachbuch-Klassiker zum Ver - hältnis von Ich und Gehirn

einem »Reality Check« jeweils vor einer Bilder-

reihe vergegenwärtigen, dass sie nur in einem

Scanner lagen und an einem Experiment teil-

nahmen, welches für sie persönlich keinerlei Be-

drohung darstellte. Probanden, die sich dies

nach eigenem Bekunden erfolgreich zu Herzen

nahmen, zeigten ebenfalls eine stärkere Aktivi-

tät insbesondere im medialen und dorsolate-

ralen präfrontalen Kortex sowie verminderte

Aktivität in den Mandelkernen. Das funktio-

nierte selbst dann, wenn den Probanden unbe-

kannt war, ob sie gleich einen angenehmen oder

unangenehmen Reiz zu sehen bekommen wür-

den. Die Strategie hilft also auch in Situationen,

in denen man nicht weiß, was auf einen zu-

kommt.

Auf die Bewertung kommt es anEmotionen zu kontrollieren ist somit zu einem

gewissen Grad möglich. Nicht umsonst ist dies

ein Element vieler psychotherapeutischer Tech-

niken. Das Grundprinzip reicht aber noch viel

weiter zurück: Bereits Mark Aurel schrieb in sei-

nen »Selbstbetrachtungen«, dass seelische Be-

lastung nicht durch ein äußeres Ereignis selbst

entsteht, sondern durch unsere Bewertung des-

selben. Der Mensch habe jederzeit die Macht,

diese zu verändern.

Ganz so einfach ist es wohl nicht. Schließlich

scheitern wir häufig bei dem Versuch, uns im

Zaum halten. Oft überwältigen uns Gefühle, ehe

wir uns zur Räson rufen können. Und bei tief

verwurzelten Ängsten wie etwa einer Spinnen-

phobie hilft es zunächst ohnehin nicht viel, sich

einfach zu sagen: »Das ist doch nur ein harm-

loses Tierchen!« Allerdings können wir jene

Hirnregionen, die für die kognitive Kontrolle

zuständig sind, durchaus trainieren.

Meditationstechniken wie die der Achtsam-

keit fördern das bewusste Wahrnehmen der ei-

genen Emotionen und körperlichen Empfin-

dungen. Gleichzeitig helfen sie, sich innerlich

davon zu lösen. Mindfulness – so die englische

Übersetzung – umfasst das absichtliche, auf-

merksame und nicht wertende Bewusstsein für

den Moment. Die achtsamkeitsbasierte Psycho-

therapie hat in den letzten Jahren einen be-

merkenswerten Aufschwung erlebt (siehe G&G

12/2006, S. 40).

Mittlerweile sind begleitende neurobiolo-

gische Vorgänge auch recht gut erforscht. Of-

fenbar sind dabei ähnliche Hirnregionen aktiv

wie bei der Emotionsregulation. J. David Cres-

well, Psychologe an der University of California

in Los Angeles, bestimmte 2007 mittels Frage-

bogen die natürliche Neigung von Probanden,

im Alltag achtsam zu sein. Dies lässt sich zum

Beispiel an der Sensibilität des eigenen Körper-

empfindens festmachen. Dann führten die Teil-

nehmer im Hirnscanner eine Aufgabe aus, bei

der sie emotionalen Gesichtsausdrücken die

passenden Affektwörter wie Freude, Trauer

oder Ekel zuordnen sollten. Als Kontrollauf-

gabe galt es, das Geschlecht der Abgebildeten

anzugeben.

Wiederum zeigten besonders achtsame Per-

sonen stärkere präfrontale Aktivierung. Die

Mandelkerne regten sich bei der Affektbenen-

nung gleichzeitig weniger heftig als bei anderen

Probanden. Offenbar üben vor allem präfron-

tale Areale über hemmende Signale Kontrolle

über die Amygdala aus.

Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren könn-

ten sich hier in Zukunft ganz neue Perspektiven

ergeben: Angenommen, man würde Proban-

den, die solche mentale Techniken üben, in Echt-

zeit die eigene Hirnaktivität rückmelden, zum

Beispiel indem man die registrierten Erregungs-

muster auf einem Bildschirm darstellt. Dann

könnten die Probanden ihren »Trainingserfolg«

anhand der geänderten Hirnaktivität über-

prüfen und diese so leichter zu beeinflussen

lernen.

Einen solcher Ansatz stellte Christian Plew-

nia von der Klinik für Psychiatrie und Psycho-

the rapie der Universität Tübingen ebenfalls auf

dem DGPPN-Kongress 2008 in Berlin vor. Zu-

sammen mit anderen Instituten untersucht sei-

ne Arbeitsgruppe, ob diese Art des Neuro-Feed-

backs die emotionale Selbstregulation unter-

stützen kann. Neuere Studien lassen das zwar

vermuten, doch ist die Technik bislang noch zu

aufwändig, um sie im Behandlungsalltag ein-

zusetzen.

Auch wenn es also noch einige Zeit dauern

dürfte, bis Menschen wie Frau K. und Herrn M.

mit solchen Methoden geholfen werden kann –

die Erforschung der neuronalen Grundlagen des

Selbst ist noch für manche Überraschung gut.

Vor allem führt sie uns vor Augen, dass das Bild,

welches wir uns von uns selbst machen, eine

Leis tung unseres Denkorgans darstellt und dass

wir es positiv beeinflussen können. Ÿ

Uwe Herwig ist Leiter der Arbeitsgruppe Emotions-regulation an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich und außerplanmäßiger Professor an der Uni-versität Ulm.

www.gehirn-und-geist.de/audio

Page 27: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

30 G&G 9_2009

Die Geheimnisse des Charakters galten bislang als das Terrain von Psychologen.

Doch heute können Neurowissenschaftler immer besser individuelle Eigenarten

im Denkorgan verorten, weiß Christian Fiebach von der Universität Heidelberg.

Er umreißt eines der großen Rätsel der Hirnforschung: Wie hängt die Persönlich­

keit eines Menschen mit den Eigenheiten seines Gehirns zusammen?

von christian Fiebach

In den letzten Jahrzehnten haben wir sehr viel

über die Arbeitsweise des Gehirns gelernt. Das

betrifft sowohl die Funktion der Nervenzellen

als auch – auf höherer Ebene – die Aufgabentei­

lung zwischen den verschiedenen Hirnarealen,

die für psychische Leistungen wie das Verste­

hen von Sprache, die Gedächtnisspeicherung

oder auch unser emotionales Erleben maßgeb­

lich sind.

Neurowissenschaftler versuchen dabei in

ers ter Linie zu verstehen, wie das Gehirn ganz

allgemein mentale Leistungen erbringt – das

heißt, sie erforschen universelle, bei jedem von

uns im Prinzip gleich ablaufende Prozesse. Nun

wissen wir aber aus alltäglicher Erfahrung, dass

sich Menschen durchaus stark voneinander un­

terscheiden. Der eine ist besonders sprachbe­

gabt, die andere dagegen gewieft im Rechnen

oder logischen Schlussfolgern; die eine fürchtet

sich leicht, der Nächste fällt durch einen beson­

ders impulsiven Charakter auf.

Solche mehr oder weniger stabilen Vorlieben

und Persönlichkeitszüge bilden die Grundlage

unserer Individualität. An den extremen Enden

ihrer Ausprägungen stehen oft psychische Er­

krankungen wie zum Beispiel Angststörungen.

Persönlichkeitspsychologen entwickelten viel­

fältige Instrumente, um interindividuelle Un­

terschiede im Erleben und Verhalten von Men­

schen einordnen und beschreiben zu können.

Dazu zählen vor allem standardisierte Frage­

bögen, mit deren Hilfe empirisch begründete

Persönlichkeitsdimensionen ermittelt werden

können, wie etwa die so genannten Big Five (sie­

he Kasten auf S. 33). Dagegen verstehen wir die

biologischen Grundlagen der Persönlichkeit bis

heute noch wenig.

Hans Jürgen Eysenck (1916 – 1997), ein bedeu­

tender britischer Psychologe deutscher Abstam­

mung, entwickelte in der zweiten Hälfte des

20. Jahrhunderts seine »Aktivierungstheorie der

Persönlichkeit«. Sie basiert auf der Annahme, es

gebe drei wesentliche charakterliche Dimen­

sionen: Neurotizismus (etwa gleichbedeutend

mit emotionaler Labilität und Ängstlichkeit so­

wie einem Hang zu negativen Gefühlen), Extra­

version – darunter fallen vor allem Geselligkeit

und Optimismus – sowie Psychotizismus. Die­

ser zuletzt genannte Begriff gilt als relativ un­

scharf, weil er unter anderem so verschiedene

Mehr zuM theMa> Der Blick nach innenhirnforscher erkunden das Ich-Bewusstsein (S. 24)

Puzzle dertitelthema i neuropsycholoGie

Teil 1: Kultur (6/2009) Teil 2: Neurogenese

(7-8/2009) Teil 3: Persönlichkeit

(9/2009) Teil 4: Empathie (10/2009) Teil 5: Bewusstsein

(11/2009)

der Hirnforschung

NEUE SERIE

DieG&G-SERIE

Page 28: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

www.gehirn-und-geist.de 31

Au f e i n en Bl ick

Hirn mit Charakter

1 Persönlichkeitszüge wie Ängstlichkeit,

Impulsivität und Intelli-genz lassen sich ansatz-weise auf bestimmte Eigen- arten der Gehirne von Menschen zurückführen.

2 Dazu gehören Unter-schiede in der Hirn-

aktivität und -anatomie sowie im Erbgut.

3 Individuelle Persönlich-keitsmerkmale entste-

hen im Wechselspiel von Genen, Gehirn und Umwelt.

Eigenschaften wie Neugier, Ag gres sivität, Domi­

nanz und Gewissenhaftigkeit in sich vereint.

Der springende Punkt in diesem Modell ist

jedoch folgender: Die jeweilige Ausprägung der

drei Grunddimensionen ist laut Eysenck weit

gehend genetisch festgelegt und geht auf die Er­

regbarkeit bestimmter körperlicher Systeme zu­

rück. So reagiere bei Personen mit starkem Neu­

rotizismus bespielsweise das limbische System,

das am Entstehen von Emotionen beteiligt ist,

besonders schnell und heftig auf Reize, die an­

dere Menschen eher kalt lassen.

Historische VorläuferAnders als Eysenck führte dessen jüngerer Kol­

lege Jeffrey Gray (1934 – 2004) Unterschiede hin­

sichtlich der Ängstlichkeit und Impulsivität von

Menschen auf deren neurobiologische Emp­

fänglichkeit für belohnende und bestrafende

Reize zurück. Gray postulierte ein fest im Ge­

hirn verankertes Behavioural Approach System

(BAS), das die Annäherung an positiv verstär­

kende Reize kontrolliere – etwa Nahrung, Sexu­

alpartner, aber auch Lob, Geld oder Drogen. Ist

dieses System leicht erregbar, so äußere sich das

in besonders impulsivem Verhalten. Das Beha-

vioural Inhibition System (BIS) hingegen steuert

nach Gray das Vermeiden von negativen Kon­

sequenzen. Eine hohe Reaktivität des BIS bringt

somit erhöhte Ängstlichkeit mit sich.

Der Neuropsychologe Richard Davidson von

der University of Wisconsin­Madison vertritt

ähnliche Ideen im Rahmen seiner Lateralisie­

rungstheorie der Persönlichkeit. Grob verein­

facht besagt dieses Modell, dass der linke Fron­

talkortex eher die Hinwendung zu angenehmen

oder gewünschten Reizen steuere, während das

Pendant in der rechte Hirnhälfte für Vermei­

dung oder Rückzug bei Gefahr zuständig sei.

Davidson schloss dies aus Hemisphärenun­

terschieden in der Verarbeitung emotionaler

Reize. So zeigen sich stärkere EEG­Signale über

dem linken Stirnhirn, wenn Testpersonen freu­

dige Gesichter betrachten; die vom rechten

Stirnhirn ausgehenden elektrischen Potenzial­

schwankungen sind dagegen größer beim An­

blick trauriger Gesichter.

Unterschiede im emotionalen Erleben zwi­

schen Individuen wurzeln laut Davidson in

Asymmetrien der neuronalen Grundaktivität,

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graue zellen, Buntes ichOb kreativ, expressiv, rational oder impulsiv – das gehirn macht den unterschied.

Page 29: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

32 G&G 9_2009

die den »affektiven Stil« einer Person begrün­

den. Je nach Dominanz einer der beiden Seiten

des Frontalhirns spreche sie eher auf positive

Reize wie Belohnungen an oder trachte eher

danach, negative zu vermeiden.

Davidson geht dabei von einem biologisch

bedingten Kontinuum zwischen Hinwendung

und Rückzug aus, während Gray diese als unab­

hängige Dimen sionen auffasste. Eine Person

könne Grays Theorie zufolge durchaus auf bei­

den Gebieten hohe Ausprägungen zeigen – eine

solche hochimpulsive und gleichzeitig ängst­

liche Persönlichkeit entspreche dem klassischen

Neurotizismus.

Die differenzialpsychologische Forschung

hat also eine Reihe von Theorien und Modellen

hinsichtlich der biologischen Grundlagen der

Persönlichkeit hervorgebracht. Allerdings gibt

es bislang wenig Klarheit darüber, welcher

Erklärungsansatz am ehesten zutrifft. Mit da­

zu beigetragen haben dürfte, dass der Main­

stream der Persönlichkeitspsychologie lange

Zeit kaum nach den zu Grunde liegenden neu­

ronalen Mechanismen forschte, während sich

Neurowissenschaftler umgekehrt wenig für

interindividuelle Unterschiede interessierten.

Verfeinerte Methoden der kognitiven Neuro­

wissenschaften ermöglichen es heute jedoch,

diese Kluft zu überwinden und die biologischen

Korrelate der Einzigartigkeit des Individuums

zu ergründen.

Ein Aspekt der Persönlich­

keit, der in den meisten

Modellen auftaucht, ist der

Faktor Neurotizismus. Er be­

schreibt in erster Linie Un­

terschiede in den emotionalen Reaktionen von

Menschen. Bei geringer Ausprägung neigt die

Person zu wenig Ängstlichkeit und ist eher po­

sitiv gestimmt. Wie bereits Eysenck annahm,

dürfte der Grad des Neuroti zismus somit auf

die emotions verarbeitenden Netzwerke des

Gehirns zurückzuführen sein.

Grundsätzlich wären zwei Möglichkeiten

denk bar: Einerseits könnten sich verschiedene

Persönlichkeitstypen hinsichtlich der Hirnanato­

mie unterscheiden – beispielsweise in Größe oder

Struktur der grauen Substanz in bestimm ten

Arealen. Andererseits könnten die Gehirne ängst­

licherer Menschen aber auch sensibler auf (ver­

meintlich) bedrohliche Reize reagieren als die von

forscheren Naturen. Für beides gibt es Belege.

So berichtete die Forschergruppe um Turhan

Canli von der Stony Brook University (US­Bun­

desstaat New York), dass das Volumen der Man­

delkerne (Amygdalae), einem wichtigen Gefühls­

zentrum des Gehirns, mit gleich zwei Persön­

lichkeitsdimensionen zusammenhängt (siehe

Grafik links). Die linke Amygdala war bei Canlis

Probanden umso größer, je extrovertierter sich

diese in entsprechenden Tests zeigten. Die rech­

te Amygdala erwies sich dagegen als umso klei­

ner, je höher die Betreffenden auf der Neuroti­

zismusskala abschnitten.

Dieser zweite Befund passt zu früheren Er­

kenntnissen, wonach auch depressive Patienten

häufig eine verkleinerte Amygdala besitzen. Ob

starker Neurotizismus somit eine Art Vorläufer

depressiver Erkrankungen darstellt, wie man­

che Forscher vermuten, ist allerdings nicht end­

gültig geklärt. Doch spielt die Amygdala offen­

bar eine besonders wichtige Rolle für Persön­

lichkeitsdispositionen, die mit dem emotionalen

Erleben verknüpft sind.

Doch auch hinsichtlich der Hirnfunktion gilt

es zu differenzieren: Die Aktivität der Mandel­

kerne verschiedener Menschen mag einerseits

in ihrer Grundaktivität variieren – so könnten

ängstliche Personen eine dauerhaft erhöhte Er­

regung der Amygdala aufweisen. Andererseits

wäre es denkbar, dass diese Hirnregion nur zeit­

lich begrenzt heftiger reagiert, etwa wenn man

mit Furcht einflößenden Reizen oder potenziell

gefährlichen Situationen konfrontiert wird.

Studien mittels Positronenemissionstomo­

grafie (PET), in denen die neuronale Grundakti­

Masse Mit Klasseeine studie von 2005 legt nahe: Je größer die linke amygdala eines Menschen anatomisch ausgeformt ist, desto extrover-tierter ist er (links). Mit wach-sendem Volumen der rechten amydala hingegen verringert sich der neurotizismus (rechts).

(aus Omura, K. R. et al.: Amygdala Gray Matter Concentration is

Associated with Extraversion and Neuroticism. In: Neuroreport

16(17), S. 1905 – 1908, 2005.)

0,870,860,850,840,830,820,810,800,790,780,77

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0,740,730,720,710,700,690,680,670,660,650,64

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Page 30: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

www.gehirn-und-geist.de 33

vität durch Messungen des Glukoseumsatzes

im Gehirn unter Ruhebedingungen bestimmt

wird, ergaben tatsächlich einen dauerhaft er­

höhten Energieverbrauch der Amygdala bei de­

pressiven Patienten. Das legt in der Tat nahe,

dass eine ängstliche Persönlichkeit (wie Eysenck

annahm) mit einer Erhöhung der Amygdala­

Grundaktivität einhergeht – auch wenn dies an

gesunden Probanden noch nicht nachgewie­

sen wurde. Vielleicht stellt die erhöhte Grund­

akti vität auch nur eine Überkompensation des

reduzierten Volumens der Mandelkerne bei

psychisch Kranken dar.

Auch kurzfristige (phasische) Antworten auf

furchtbezogene Reize (wie etwa ängstliche Ge­

sichter) fallen bei ängstlichen Personen stärker

aus als bei wenig ängstlichen, was Grays Annah­

me einer erhöhten Empfindlichkeit der neuro­

nalen Emotionsverarbeitung stützt.

Von den Genen zum BotenstoffSo spannend solche Befunde sind, erklären sie

noch nicht, warum die Gehirne verschiedener

Personen unterschiedlich reagieren. Durch die

Kombination persönlichkeitspsychologi scher

Fragebögen mit molekulargenetischen Metho­

den gelang dem Psychiater Klaus­Peter Lesch

von der Julius­Maximilians­Universität Würz­

burg vor wenigen Jahren ein wichtiger Schritt

zur Beantwortung dieser Frage (siehe Interview

in G&G 3/2004, S. 39).

Lesch und seine Mitarbeiter untersuchten

ein Gen, das die Bauanleitung für den Seroto­

nintransporter enthält. Hierbei handelt es sich

um ein Protein, das den Botenstoff Serotonin

nach getaner Arbeit aus dem synaptischen Spalt

entfernt, also dem Raum zwischen zwei Zellen.

Dieser wird bei der neuronalen Kommunika­

tion durch chemische Botenstoffe, so genannte

Neurotransmitter, überbrückt. Der Serotonin­

transporter befördert den Transmitter in die

präsynaptische Zelle zurück. Ist diese Wieder­

aufnahme nicht sehr effektiv, so kann die er­

höhte Konzentration des Botenstoffs eine leich­

tere Reizbarkeit etwa der Amygdala bewirken.

Nun gibt es das Gen mit dem Bauplan für

den Serotonintransporter in zwei Varianten:

Etwa jeder Fünfte von uns trägt ein kürzeres, so

genanntes s­Allel in sich, das gegenüber der wei­

ter verbreiteten, längeren Form zu einem etwas

weniger effizienten Serotoninabbau an den Sy­

napsen führt. Wie Lesch und seine Mitarbeiter

zeigten, neigen s­Allel­Träger im Mittel zu grö­

ßerer Ängstlichkeit. Offenbar können also Un­

terschiede in zellulären und molekularen Me­

chanismen zu dispositionellen Unterschieden

im emotionalen Erleben führen.

Ein Team um Ahmad Hariri und Daniel Wein­

berger von den National Institutes of Mental

Health in den USA stützte diese Annahme in

einer viel beachteten Arbeit von 2002: Beim

Betrachten von angstbesetzten Bildern zeigten

s­Allel­Träger stärkere Aktivität in der Amygdala

als Träger des längeren l­Allels.

Allerdings sollten solche Ergebnisse mit Vor­

sicht interpretiert werden. Einzelne Genvaria­

tionen (so genannte Polymorphismen) erklären

statistisch in der Regel nur sehr geringe Anteile

der Unterschiedlichkeit zwischen Personen –

meist deutlich weniger als zehn Prozent der ge­

samten Streubreite. Das ist kaum überraschend,

da neurobiologische Einflüsse wie die Aktivität

eines Neurotransmittersystems multigeneti­

schen Ursprungs sind – also durch eine Vielzahl

von Erbfaktoren kontrolliert werden (siehe

»Geis tesblitze«, S. 12 in diesem Heft).

Zudem ist – neben genetischen Faktoren –

der Einfluss der Umgebung sehr bedeutsam.

»Big Five« – das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit

Das heute am weitesten verbreitete Modell der Persönlichkeit umfasst fünf Faktoren – die so genannten Big Five: Neurotizismus beschreibt eine emotionale Labilität, die sich in erhöhter Ängstlichkeit oder Reizbarkeit ausdrückt, in Sorgen sowie in der Tendenz, negative Emotionen zu erleben. Extraversion umfasst Aspekte wie Geselligkeit, Aktivität, Erlebnishunger und die Tendenz, positive Emotionen zu erleben. Offenheit für Erfahrungen bezeichnet intellektuelles Interesse, aber auch Fantasie und Experimentierfreude. Verträglichkeit beschreibt soziale Kom-petenzen, Kooperationsbereitschaft und Uneigennützigkeit, während der Faktor Gewissenhaf-tigkeit auf Organisiertheit und Ordnungsliebe abzielt.

Die kognitiven Neurowissen-schaften ermögli-chen es heute, die biologischen Korrelate der Einzigartigkeit des Individuums zu ergründen

Page 31: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

34 G&G 9_2009

Das Wissen um den jeweiligen Genotyp allein

bringt daher wenig. Wie er sich im Verhalten ei­

ner Person auswirkt, bestimmen andere Gene

sowie die Erfahrungen und Lebensweise des

Einzelnen sehr stark mit.

Die Gefühlsreaktionen ei­

nes Menschen sind zwar ein

wichtiger, beileibe aber nicht

der einzige Aspekt seiner Per­

sönlichkeit. Auch andere Ei­

genschaften lassen sich an definierten Hirn­

strukturen festmachen.

Denken wir zurück an das Streben nach Be­

lohnung, das Jeffrey Gray in seinem Modell des

Behavioural Approach System (BAS) als Basis der

Impulsivität von Menschen beschrieb. Aus neu­

rowissenschaftlicher Sicht wurzelt dieses Merk­

mal sehr wahrscheinlich im Belohnungssystem

des Gehirns.

Die dazugehörigen Kerngebiete wie das ven­

trale Striatum in den Basalganglien betrachten

Forscher als Motor unseres zielgerichteten Han­

delns. In einer noch unveröffentlichten Studie,

die wir zusammen mit Joe Simon und Stefan

Kaiser von der Psychiatrischen Universitäts­

klinik Heidelberg durchführten, reagierte das

ventrale Striatum bei Personen mit stark ausge­

prägter Annäherungstendenz – also bei impul­

siven Naturen – stärker auf einen Geldgewinn

als bei anderen Personen.

gene, gehirn, geistDieses schema ilustriert den stand der Forschung: Die gene beeinflussen über anatomische und biochemische Faktoren die hirnfunktion. Diese steuert, vor dem hintergrund der jeweiligen umwelt, Psyche und Verhalten.

Und auch hier lassen sich anatomische so­

wie genetische Unterschiede nachweisen. Einen

spannenden Befund lieferte Anfang 2009 die

Arbeitsgruppe um Bernd Weber vom Life &

Brain Center der Universität Bonn. In ihrer Stu­

die wurden Novelty Seeker neuroanatomisch

untersucht – das sind Zeitgenossen, die beson­

ders oft neue, aufregende Situationen suchen

(siehe auch G&G 5/2008, S. 28).

Weber und Kollegen bestimmten mittels der

Diffusionstensor­MRT, wie stark bei ihren Ver­

suchsteilnehmern bestimmte Hirnregionen

anatomisch miteinander verbunden waren. Der

Grad der Vernetzung zwischen dem Striatum

und der Amygdala stieg dabei mit wachsender

Tendenz zum Novelty Seeking. Die erhöhte Kon­

nektivität könnte etwa dazu führen, dass mehr

relevante Informationen in eine Region gelan­

gen, wodurch diese – etwa das Striatum – ver­

mutlich stärker erregt wird.

Der Stoff, aus dem Wünsche sindIm Belohnungssystem des Gehirns ist Dopamin

der wichtigste Botenstoff. Für diesen Transmit­

ter sind inzwischen ebenfalls eine Reihe von ge­

netischen Variationen bekannt. Der Psychologe

Martin Reuter von der Universität Bonn unter­

suchte in einer Studie aus dem Jahr 2006, wie

die individuelle Tendenz zu positiven Gefühlen

und Annäherungsverhalten durch zwei Gen­

varianten beeinflusst wird, welche die Wirksam­

keit von Dopamin kontrollieren. Eines davon

steuert den Abbau des Transmitters durch das

COMT­Enzym (Catechol­O­Methyltransferase);

das andere reguliert die Dichte des D2­Dopa­

minrezeptors im Gehirn.

Reuter konnte zeigen, dass genau diejenigen

Genotyp­Kombinationen zu einer erhöhten

Annäherungstendenz führten, die auch erhöhte

Dopaminkonzentrationen mit sich brachten.

Indem sie den gemeinsamen Einfluss zweier

Genpolymorphismen ins Visier nahmen, tru­

gen Reuter und seine Kollegen dem multigene­

tischen Ansatz Rechnung.

Neben Gefühlen und Motiva­

tion macht auch die intellek­

tuelle Leistungsfähigkeit die

Individualität einer Person

aus. Um sie bestimmen zu

können, hat die differenzielle Psychologie ver­

scheidene Intelligenztests entwickelt.

Hirnforscher fahnden auch auf diesem Ge­

biet nach biologischen Korrelaten. So suchte

etwa Richard Haier von der University of Cali­

anatomie

Verhalten

transmitter

reaktivität/hirnfunktion

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Kognitionen/emotionen

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QuellenBishop, s. J.: CoMt val158met Genotype affects recruit-ment of neural Mechanisms supporting fluid intelligence. in: Cerebral Cortex 18(9) s. 2132 – 2140, 2008.cohen, M. X. et al.: Connecti-vity-Based segregation of the human striatum Predicts Pe-rosnality Characteristics. in: nature neuroscience 12(1), s. 32 – 34, 2009.

Page 32: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

Quellen (fortsetzung)haier, r. J. et al.: structural Brain Variation and General intelligence. in: neuroimage 23, s. 425 – 433, 2005.reuter, M. et al.: Molecular Genetics support Gray’s Per-sonality theory: the inter-action of CoMt and DrD2 Polymorphisms Predicts the Behavioral approach system. in: international Journal of neuropsychopharmacology 9, s. 155 – 166, 2006. stelzel, c. et al.: effects of Do-pamine-related Gene-Gene in teractions on Working Me-mory Component Processes. in: european Journal of neu-roscience 29, s. 1056 – 1063, 2009.

fornia in Irvine als einer der Ersten nach Hirn­

regionen, deren Volumen statistisch mit der In­

telligenz von Probanden zusammenhängt. Laut

seinen Studien sind anatomische Korrelate der

Intelligenz über das gesamte Gehirn verteilt.

Die stärksten Effekte seien jedoch im Präfron­

talkortex zu finden.

2008 berichteten Sonia Bishop und John

Duncan von der University of Cambridge au­

ßerdem, dass die Aktivierung dieser Hirnregion

während der Bearbeitung von Aufgaben aus In­

telligenztests wiederum von der genetischen

Ausstattung abhängt: Probanden mit einem

COMT­Genotyp, der zu höheren Dopaminkon­

zentrationen im Frontalhirn führt, zeigten bei

gleicher Leistung geringere Hirnaktivierung –

ihre Gehirne arbeiteten sozusagen effizienter.

Da Intelligenz ein hochkomplexes Maß dar­

stellt, in das verschiedene Teilfähigkeiten wie

Aufmerksamkeit, Gedächtnis oder Verarbei­

tungstempo einfließen, dürfte eine Vielzahl von

Einflüssen darauf wirken. Wie die einzelnen As­

pekte der geistigen Leistungsfähigkeit neuronal

und genetisch genau kontrolliert werden, ist ein

spannendes Forschungsfeld der Zukunft.

Befunde von Christine Stelzel aus meiner Ar­

beitsgruppe deuten darauf hin, dass die oben

beschriebenen Dopamingene auch die Leistung

des Arbeits gedächtnisses beeinflussen – etwa

die Fähigkeit, Informationen im Geist zu mani­

pulieren, was zum Beispiel beim Kopfrechnen

sehr wichtig ist.

Persönlichkeitseigenschaften wie Ängstlich­

keit, Impulsivität und Intelligenz weisen also

Korrelate in der Funktion des Gehirns, in seiner

Struktur sowie in der genetischen Ausstattung

auf. Wie sich diese auf das Erleben und Verhal­

ten auswirken, hängt dabei auch von den Be­

dingungen der Umwelt ab (siehe dazu die Gra­

fik links unten). Die Erforschung dieses kom­

plexen Wechselspiels steht zwar noch am

Anfang, doch zeichnet sich bereits ab: Die Indi­

vidualität eines Menschen wurzelt in seinem

Denkorgan – wenn auch nicht in einer einzel­

nen Hirnregion. Ÿ

Christian Fiebach ist Leiter der Arbeitsgruppe »Neu-rokognition interindividueller Unterschiede« und Professor für Kognitive Neurowissenschaften an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

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Page 33: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

36 G&G 9_2009

Wie bewältigen Krebspatienten ihr schweres Schicksal? Beeinflusst die

Psyche den Ausbruch und den Verlauf der tödlichen Erkrankung?

Kann eine optimistische Einstellung gar das Leben der Betroffenen ver-

längern? Das erforscht der Kölner Psychoonkologe Volker Tschuschke.

Von Volker Tschuschke

Leipzig im Sommer 1990. Fast sieben Jahre

litt Rolf B.* bereits an Leukämie – jetzt schien

seine Chance gekommen. Nach der Wende in

der DDR konnte der Statiker endlich auf eine

Transplantation hoffen. Das Knochenmark sei-

nes in Westdeutschland lebenden Bruders sollte

die tödliche Krankheit stoppen.

Doch die Ernüchterung folgte auf dem Fuß:

Die Ärzte machten ihrem Patienten nur wenig

Hoffnung, da sich sein Gewebe stark von dem

seines Bruders unterschied. Tatsächlich löste

das fremde Knochenmark nach dem Eingriff

heftige Abstoßungsreaktionen des Immunsys-

tems aus, welche die Mediziner medikamentös

nur schwer in den Griff bekamen. Ein Jahr nach

der Operation brach der Blutkrebs erneut aus.

Doch Rolf B. gab nicht auf. Er suchte sich eine

neue Stelle und baute mit seiner Familie ein

Haus – für ihn existierte die Krankheit nicht.

Trotz der »Minuslebenserwartung«, wie er seine

eigenen Chancen realistisch einschätzte, kon-

zentrierte er sich auf ein einziges Ziel – die fi-

nanzielle Absicherung seiner Familie. Mit unge-

brochenem Lebenswillen bekämpfte er seine

Krebserkrankung mehr als 17 Jahre lang.

Wir wissen nicht, ob Rolf B. gestorben wäre,

wenn er sich nicht an seinem Lebensziel fest-

gehalten hätte. Doch sein Beispiel stützt eine in

der Bevölkerung und bei etlichen Medizinern

weit verbreitete Überzeugung: Die Psyche eines

Menschen könne den Verlauf einer tödlichen

Krankheit wie Krebs verzögern oder gar stop-

pen. Doch ist das wirklich so? Und wie sieht es

umgekehrt aus – können bestimmte psycho-

logische Faktoren den Ausbruch des Leidens

begünstigen? Gibt es gar, wie mitunter gemut-

maßt wird, eine »Krebspersönlichkeit«?

Mit solchen Fragen beschäftigt sich die Psy-

choonkologie, eine Disziplin, die unter anderem

erforscht, ob es zwischen der psychischen Kon-

stitution einer Person und der Entstehung bös-

artiger Tumoren Zusammenhänge gibt. Um es

gleich vorwegzunehmen: Die Meinungen hie-

rüber sind auch unter Experten gespalten. Wäh-

rend ein großer Teil der Psychoonkologen ent-

schieden abstreitet, dass es psychisch oder so-

zial verursachte Krebserkrankungen gibt, wollen

andere Forscher dies zumindest nicht von vorn-

herein ausschließen.

Zweifelhafte StudienSchon 1991 hat der dänische Onkologe Anders

Bonde Jensen vom Universitätskrankenhaus

Odense die bis dahin vorliegenden Studien

zur Entstehung von Brustkrebs kritisch durch-

leuchtet: Erhöht ein bestimmter Persönlich-

keitstypus tatsächlich das Risiko von Frauen, an

dieser tückischen Krebsart zu erkranken, wie

einige Mediziner behaupten? Jensen ging mit

seinen Kollegen hart ins Gericht. Die meisten

Arbeiten schienen zweifelhaft, da sie zu kleine

Stichproben umfassten und häufig statistische

Mängel aufwiesen. Dennoch zeigte sich zumin-

dest ein schwacher Zusammenhang: Frauen, die

spezial i psychoonkoloGie

Den Tod im Leib

Au f e i n en Bl ick

Psyche und Krebs

1 Seelische Prozesse wirken sich auf das Im-

munsystem aus und können damit den Aus-bruch und Verlauf von Krebserkrankungen beein- flussen.

2 Ob eine positive Grundeinstellung die

Überlebenschance von Tumorpatienten erhöht, ist unter Psychoonkologen umstritten.

3 Eine fundierte psycho-logische Betreuung

kann aber zumindest die Lebensqualität von schwer kranken Krebspatienten er-heblich verbessern.

Mehr zuM theMa> »Mein Leben mit dem

Krebs« (S. 42)Psychologische Patienten­betreuung in einer Krebs­klinik in Freiburg

* Name geändert

Page 34: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

www.gehirn-und-geist.de 37

Den Tod im Leib

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WUNDER KÖRPER, WUNDE SEELEDieses Selbstbildnis malte eine 32-jährige Patientin nach ihrer Brustoperation in einer Freiburger Tumorklinik. Die künstlerische Beschäftigung mit dem eigenen Körper hilft vielen Betroffenen, dessen Verletzlichkeit zu akzeptieren.

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38 G&G 9_2009

Schwierigkeiten haben, Gefühle wie Ärger oder

Wut auszudrücken, litten demnach häufiger an

Brustkrebs.

Zu einem ähnlichen Schluss kamen im sel-

ben Jahr Jürg Bernhard von der Schweizerischen

Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsfor-

schung in Bern und Patricia Ganz von der Uni-

versity of California in Los Angeles. Auch ihre

Literaturrecherche deutete darauf hin, dass

Emotionsunterdrückung mit einem erhöhten

Risiko für Tumorerkrankungen – in diesem Fall

Lungenkrebs – verbunden sein könnte. Aller-

dings: Da diese Krankheit sehr stark vom Rauch-

verhalten der Betroffenen abhängt, ließ sich ein

Zusammenhang mit dem jeweiligen Gefühls-

leben der Patienten nicht eindeutig belegen.

Gibt es die »Krebspersönlichkeit«?Ebenfalls 1991 erschien die Studie der Arbeits-

gruppe von Gabriel Kune von der University of

Melbourne (Australien). Die Forscher hatten 637

Dickdarmkrebspatienten zu ihren familiären

Hintergründen und Lebensgewohnheiten be-

fragt und mit denen von 714 Gesunden vergli-

chen. Ergebnis: Unter den Erkrankten berichte-

ten signifikant mehr Personen über eine un-

glückliche Kindheit als in der Kontrollgruppe.

Außerdem sprachen sie häufiger davon, dass sie

sich nach einer für sie ärgerlichen Situation be-

sonders unwohl fühlten.

Problematisch an all diesen Studien war ihr

retrospektiver Charakter: Die Betroffenen wur-

den rückblickend befragt, nachdem sie ihre Dia-

gnose kannten – was ihr psychisches Befinden

wie auch ihr Urteil über ihre Lebenssituation

mit Sicherheit beeinflusste. Solidere Ergebnisse

sollten dagegen groß angelegte prospektive Stu-

dien liefern, bei denen die Probanden zuvor

einem bestimmten Persönlichkeitstyp zugeord-

net werden, um dann zu überprüfen, wie viele

von ihnen bösartige Tumoren entwickeln.

Die britische Krebsforscherin Tina Morris

vom King’s College Hospital in London stellte

bereits in den 1980er Jahren die These auf, Per-

sönlichkeiten vom so genannten Typ C seien

für Krebserkrankungen besonders empfänglich.

Hierunter fallen Menschen, die als gutmütig,

selbstaufopfernd, geduldig und unterwürfig er-

scheinen. Demgegenüber steht der risikofreu-

dige, ungeduldige und ehrgeizige Typ A, der ein

höheres Risiko für Herzinfarkte tragen soll.

Diese Typologie erweist sich allerdings in der

klinischen Praxis als problematisch, da sich nur

ein Bruchteil der untersuchten Personen klar

einer solchen Kategorie zuordnen lässt. Es

wundert daher kaum, dass seriöse prospektive

Studien zum Thema »Krebspersönlichkeit« bis

heute an einer Hand abzuzählen sind.

So zeigt sich – falls überhaupt – nur eines:

Menschen, die zur emotionalen Unterdrückung

neigen, die vor allem ihren Ärger herunterschlu-

cken und eher angepasst auftreten, scheinen im

Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung häu-

figer an Tumoren zu erkranken. Eine derartige

Beziehung zwischen Persönlichkeitsstil und

Krebs stellt allerdings noch keine kausale Erklä-

rung dar. Es bleibt die Frage: Warum ist das so?

Wir können von vornherein nicht ausschlie-

ßen, dass psychische oder auch soziale Faktoren

die Entstehung einer Tumorerkrankung beein-

flussen. Schließlich gibt es eine zentrale Körper-

funktion, auf die sich die Psyche nachweislich

auswirkt: das Immunsystem. 2001 wertete die

Arbeitsgruppe von Eric Zorrilla von der Univer-

sity of Pennsylvania in Philadelphia hierzu zahl-

reiche Studien aus. Demnach zeichneten sich

depressive Patienten durch ein geschwächtes

Immunsystem aus. Vor allem die Anzahl der

weißen Blutkörperchen, die eine entscheidende

Rolle bei der Abwehr von Krankheitserregern

spielen, lag bei manchen Patienten dramatisch

niedrig. Janice Kiecolt-Glaser und Ronald Glaser

von der Ohio State University in Columbus ka-

men 2002 zu einem ähnlichen Ergebnis. Ihre

Metastudie wies eine Zunahme von entzün-

dungsfördernden Zytokinen im Blut der Betrof-

fenen nach. Entzündungen beschleunigen wie-

derum Alterungsprozesse, belasten das Herz-

Kreislauf-System und gelten als kanzerogen.

Damit ist die Frage nach einer psychosozial

bedingten Tumorentstehung, die viele Medi-

ziner energisch verneinen, noch längst nicht

vom Tisch. Wir dürfen eines nicht vergessen:

Beim Zusammenspiel von Psyche, Immunsys-

tem und Krebs handelt es sich keineswegs um

eine eindeutige Verknüpfung von Ursache und

Wirkung. Krebs ist eine hochkomplexe Krank-

heit, die von zahlreichen Faktoren bestimmt

wird. So können die genetische Veranlagung,

Umweltgifte wie Tabakrauch und Alkohol oder

Viren das Leiden direkt auslösen. Falsche Er-

nährung, mangelnde Be wegung sowie Stress

und gestörter Schlaf tragen ebenfalls zur Er-

krankungsrisiko bei. Und solche Verhaltens-

weisen werden von der menschlichen Psyche

gesteuert, die – wie beschrieben – auch unmit-

telbar das Immunsystem beeinflusst. Dieses

wiederum kann seinerseits auf Grund negativer

Effekte von Umweltfaktoren, Krankheitserre-

tschuschke, V.: Psychoonkologie. Psychologische aspekte der entstehung und bewältigung von krebs. schattauer, stuttgart 2006. 314 s., € 39,95.In seinem Buch fasst unser Autor Volker Tschuschke die wich - tigsten Forschungsergebnisse der Psychoonkologie zusammen.

Die Psyche spielt auf vielfältige Weise eine Rolle bei der Entste-hung von Krebs

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www.gehirn-und-geist.de 39

gern oder Gendefekten versagen. Damit spielt

die Psyche wohl auf vielfältige Weise eine Rolle

bei der Entstehung von Krebs (siehe Bild oben).

Umgekehrt wirkt sich selbstverständlich ein

bösartiger Tumor auf das psychische Befinden

des Betroffenen aus. Die Patienten müssen ihr

Schicksal seelisch verarbeiten, was je nach Kon-

stitution unterschiedlich gut gelingt. So wies

etwa eine 1998 publizierte Studie von Forschern

um Robert Schnoll von der University of Rhode

Island in Kingston (USA) nach, dass aktive,

kämpferische Frauen wesentlich leichter eine

Brustkrebsdiagnose bewältigten als Leidensge-

nossinen, die eher ängstlich, resignierend und

fatalistisch veranlagt waren.

Offensive Krankheitsbewältigung2003 haben Mediziner um Susanne Sehlen von

der Ludwig-Maximilians-Universität München

2169 Tumorpatienten befragt, die sich einer

Strahlentherapie unterziehen mussten. Auch

hier zeigte sich, dass sowohl subjektiv empfun-

dene Hilflosigkeit als auch eine zwanghafte Be-

schäftigung mit der Krankheit das seelische

Wohlbefinden der Betroffenen stark beeinträch-

tigten. Zu ähnlichen Schlüssen kamen 2004

Thomas Hack und Lesley Degner von der kana-

dischen University of Manitoba, die 55 Brust-

krebspatientinnen drei Jahre lang begleitet hat-

ten, sowie zwei Jahre zuvor die Arbeitsgruppe

von Annette Stanton von der University of Kan-

sas in Lawrence bei der Befragung von 70 Pa-

tientinnen: Frauen, die sich offensiv mit ihrer

Krankheit auseinandersetzten, ging es deutlich

besser als denjenigen, die ihr Leiden verdräng-

ten. Entsprechende Ergebnisse fand 2005 un-

sere Arbeitsgruppe in Köln zusammen mit

Kol legen aus Ulm, Hannover und Berlin bei ei-

ner Langzeitstudie mit Leukämiepatienten, die

eine Knochenmarkstransplantation überstan-

den hatten.

Eine offensive Einstellung zur Krankheit

kann also für die Psyche der Betroffenen durch-

aus hilfreich sein. Aber wirken sich psycholo-

gische Komponenten auch auf den Verlauf ei-

ner Krebserkrankung aus?

Hier gehen die Meinungen von Wissen-

schaftlern wiederum weit auseinander. James

Levenson und seine Kollegen vom Medical Col-

lege of Virginia in Richmond kamen Anfang der

1990er Jahre nach einer Literaturrecherche zu

einem ernüchternden Fazit: Mit den bis dahin

vorliegenden Untersuchungen ließ sich kaum

ein positiver Einfluss der Psyche auf den Krank-

heitsverlauf nachweisen. Spätere Studien wie

die von Bert De Brabander von der Universität

Antwerpen aus dem Jahr 1999 deuteten hinge-

gen darauf hin, dass Stress die Rückfallrate er-

höht. Inwieweit sich das soziale und familiäre

Umfeld des Patienten auf den medizinischen

Status auswirkt, ist unter Forschern ebenfalls

bis heute umstritten.

Wenn wir davon ausgehen, dass der biolo-

gische Krankheitsverlauf sowie die psychischen

Bewältigungsstrategien nicht vollkommen un-

abhängig voneinander ablaufen, könnten sie

sich theoretisch auf dreifache Weise gegenseitig

beeinflussen:

Psyche und KrebsDas unkontrollierte Zellwachstum von Tumo-ren wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst: Umweltgifte oder Viren können die Krankheit auslösen; die genetische Veranlagung spielt eben-falls eine Rolle. Nicht zu unterschätzen ist eine ungesunde Lebensweise mit falscher Ernährung, mangelnder körperlicher Bewegung und gestörtem Schlaf. Etliche dieser Faktoren beeinträchtigen ihrerseits das Immunsys-tem, so dass der Körper sich schlechter gegen Zellwucherungen zur Wehr setzen kann. Damit beein-flusst die Psyche sowohl direkt über das Verhalten als auch über das Immun-system die Krankheit Krebs.

KREBS(unkontrolliertes

Zellwachstum)

mangelndekörperliche Bewegung Fehlernährung

falsches Schlaf- und Entspannungs-verhalten

Vitamine?

Gendefekte/AnlageViren

Hormone

Umweltgifte

Versagen des Immunsystems

ungesunde Lebensführung

PSychE

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40 G&G 9_2009

literAturtipps für pAtienten:Servan-Schreiber, D.: das antikrebs-buch. kunstmann, München 2008.Der Hirnforscher und Psych- iater David Servan-Schreiber erklärt die Zusammenhänge zwischen Krebs und Lebens-stil aus Sicht des Betroffenen: Bei ihm selbst wurde ein Hirn tumor diagnostiziert.

für Mediziner:Angenendt, G. et al.: Praxis der Psychoonkologie. Psy cho-edukation, beratung und the rapie. hippokrates, stutt-gart 2007.Weis, J. B. et al.: Psychoedu-kation mit krebspatienten. therapiemanual für eine strukturierte Gruppeninter-vention. schattauer, stutt-gart 2006.

originalquellen finden sie im internet unter:www.gehirn-und-geist.de/artikel/1001595

1. Eine kämpferische Einstellung stärkt das Im-

munsystem und fördert so direkt die Heilung

oder reduziert wenigstens das Rückfallrisiko.

2. Die mentale Auseinandersetzung mit der

Krankheit hilft bei der Zusammenarbeit zwi-

schen Arzt und Patient und unterstützt so indi-

rekt den Heilungsprozess.

3. Das psychische Wohlbefinden hängt seiner-

seits davon ab, wie schnell oder langsam die

Krankheit fortschreitet.

Welche Zusammenhänge wirklich zutreffen,

bleibt noch wissenschaftlich zu klären. Für die

Betroffenen selbst viel entscheidender scheint

die Frage: Was kann man tun, um mit seinem

schweren Schicksal besser fertig zu werden?

20 Jahre psychoonkologische Forschung ha-

ben inzwischen gezeigt, dass vor allem eine pro-

fessionelle Unterstützung den Patienten zu-

gutekommt. So lassen sich Angst, Depression,

Stress und seelische Erschöpfungszustände mit

entsprechenden Methoden deutlich reduzieren,

was zu einer höheren Lebensqualität der Betrof-

fenen beiträgt.

Entspannungsübungen wie autogenes Trai-

ning scheinen zwar nicht unmittelbar in den

biologischen Krankheitsverlauf einzugreifen,

doch lassen sich damit Nebenwirkungen von

Bestrahlungs- und Chemotherapie mildern. Der

therapeutische Effekt von Musik, der sich bei-

spielsweise bei Kindern mit Migräne bewährt

hat (siehe G&G 3/2005, S. 32), ist in der Onko-

logie bislang kaum untersucht; es gibt aller-

dings Hinweise, dass Musiktherapie zumindest

kurzfristig für Entspannung sorgen und Schmer-

zen bei Krebspatienten lindern kann. Eine sol-

che Unterstützung bietet sich vor allem bei akut

be lastenden Behandlungszyklen oder am na-

henden Lebensende der Patienten an. Auch

alternative Methoden wie Akupunktur (siehe

G&G 7-8/2005, S. 32) oder Aromatherapie (siehe

G&G 5/2006, S. 12) können wenigstens kurz-

fristig Ängste lösen.

Besonders bewährt bei Tumorpatienten ha-

ben sich Gruppentherapien: In einem psycholo-

gisch betreuten Kreis von Menschen, die dassel-

be Schicksal teilen, lernt der Patient, dass er mit

seiner Krankheit nicht allein steht, und erfährt

seelische Unterstützung durch Leidensgenos-

sen. Allerdings sträuben sich viele Betroffene,

an solchen Gruppensitzungen teilzunehmen –

aus Angst, noch intensiver mit belastenden The-

men wie Schmerz und Tod konfrontiert zu wer-

den oder die eigene Leidensgeschichte offenba-

ren zu müssen. Doch letztlich liegt genau hierin

die Chance: Der Betroffene muss sich dem Un-

vermeidlichen stellen – und gefürchteten Tabus

offensiv begegnen. Diese aktive Auseinander-

setzung mit Todesängsten hilft vielen Patienten,

mit dem eigenen Schicksal fertig zu werden und

das Thema Sterben für sich seelisch zu ent-

schärfen.

Ungebrochener LebenswilleFehlt es an psychischer Unterstützung, etwa

durch Familie oder Freunde, führt dies nach-

weislich zu schlechteren Krankheitsverläufen.

Doch selbst viele Ärzte fragen sich: Kann eine

positive Grundeinstellung tatsächlich das Fort-

schreiten der Krankheit verzögern? Leben sol-

che Patienten länger? Die Studienlage hierzu

könnte kaum verwirrender sein: Untersuchun-

gen, die keinerlei Zusammenhänge zwischen

psychoonkologischer Betreuung und Überle-

benszeit nachwiesen, stehen etwa gleich vielen

Studien gegenüber, die sehr wohl einen Effekt

entdeckten. Auch hier gehen die meisten For-

scher davon aus, dass die Psyche zumindest

über den Umweg des Immunsystems die

Krebserkrankung positiv oder negativ beein-

flussen kann.

Dennoch wissen wir bis heute nicht, ob eine

psychologische Betreuung die Überlebenschan-

cen von Tumorpatienten tatsächlich verbessert.

Methodische Mängel vieler Untersuchungen

könnten hierfür mitverantwortlich sein. So ver-

glichen Forscher gerade bei Studien, die gegen

eine lebenszeitverlängernde Wirkung sprechen,

verschiedene Krebserkrankungen mit jeweils

unterschiedlichen Prognosen und Therapien

miteinander. Auch die Qualifikation des einge-

setzten Personals könnte eine kritische Größe

darstellen: Wenn eine Krankenschwester ab und

an die Hand des Patienten hält, ist das kaum als

psychoonkologische Behandlung zu werten. Es

bedarf hier schon eines therapeutisch versier-

ten Arztes oder Psychologen.

Letztlich sollten Ärzte, Patienten und An-

gehörige jeder mit Inbrunst vorgetragenen Auf-

fassung zu diesem Thema – sei sie pro oder

kontra – mit gesunder Skepsis begegnen. Oft

handelt es sich um ideologisch motivierte Äu-

ßerungen, die nicht sachlich fundiert sind. Eines

scheint jedoch sicher: Ein ungebrochener Le-

benswille, wie ihn Rolf B. trotz schlechter Aus-

sichten zeigte, kann helfen, ein schlimmes

Schicksal seelisch zu bewältigen. Ÿ

Volker Tschuschke ist Psychoanalytiker und leitet die Abteilung für Medizinische Psychologie am Uni- ver sitätsklinikum Köln.

Page 38: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

Vor fünf Jahren erfuhr Petra Bugar von ihrer Tumorerkrankung – und die Prognosen sind

schlecht. Heute sagt sie: »Obwohl ich unheilbar krank bin, lebe ich gerne.« Doch das war

nicht immer so, wie sie Gehirn&Geist-Redakteurin Rabea Rentschler bei einem Besuch in

einer Freiburger Tumorklinik erzählt.

text: Rabea RentschleR I Fotos: ManFRed Zentsch

speZIal I RepoRtage

»Mein Leben mit dem Krebs«

Page 39: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

43

Die Überlebensrate von Krebspatienten hat

sich dank verbesserter Diagnostik und

neuer Behandlungsmöglichkeiten in den letz-

ten vier Jahrzehnten verdoppelt: In den 1970er

Jahren starben drei Viertel aller Patienten inner-

halb von fünf Jahren, heute ist es nur noch jeder

zweite – statistisch betrachtet ein großer Erfolg.

In der Realität nehmen solche Zahlen der Dia-

gnose Krebs aber nicht den Schrecken: Als ein

Onkologe Petra Bugar 2004 mitteilte, dass sich

in ihrem Unterleib ein Rektumkarzinom gebil-

det habe, kam das für sie einem Todesurteil

gleich. Heute, fünf Jahre später, ist sie 53 Jahre

alt und hat so viele Klinikaufenthalte hinter

sich, dass sie aufgehört hat zu zählen. Die nächs-

te Chemotherapie in einer privaten Krebsklinik

in Freiburg im Breisgau steht kurz bevor. Angst

habe sie mittlerweile nicht mehr.

»Mein Leben mit dem Krebs«, wie sie es

nennt, »begann vor fünf Jahren.« Die Beamtin

und Kommunalpolitikerin aus Magdeburg fuhr

wie jedes Jahr mit ihrem Mann und ihren bei-

den Kindern zum Skifahren. Nach einem Tag

auf der Piste entdeckte sie abends Blut im Stuhl.

Am folgenden Montag konsultierte sie ihren

Hausarzt. Der schickte sie umgehend zu einem

Spezialisten. Die 48-jährige wurde gründlich

untersucht, eine Stuhlprobe an ein externes

Labor geschickt – dann hieß es abwarten. Zwei

Tage später der Anruf: Die Befunde seien da,

und Petra Bugar solle in die Praxis kommen. Der

Arzt hatte keine guten Nachrichten für sie: »Der

Krebs ist bereits fortgeschritten, Sie müssen

dringend operiert werden.«

Während der Onkologe, den sie an diesem

Vormittag zum zweiten Mal in ihrem Leben sah,

ihr sichtlich verlegen die nächsten Therapie-

schritte erklärte, hatte Petra Bugar das Gefühl,

ihn aufmuntern zu müssen: »Machen Sie sich

keine Gedanken, Sie können ja nichts dafür.«

Das Ganze dauerte kaum eine Viertelstunde.

Vielen Ärzten fällt es schwer, Patienten eine

schlimme Diagnose mitzuteilen. Zwar befür-

worten die meisten Mediziner heute den of-

fenen Umgang mit schlechten Nachrichten – in

den 1980er Jahren galt das noch als unverant-

wortlich –, aber aus Angst, nicht den richtigen

Ton zu treffen, weichen manche auf die Sach-

ebene aus, ohne die emotionale Verfassung

ihrer Patienten zu berücksichtigen. »Das ist

auch nicht verwunderlich«, sagt Monika Keller

von der Universität Heidelberg, »denn kaum ein

Arzt hat gelernt, wie man solche Gespräche

führt.«

Die Psychotherapeutin setzt sich dafür ein,

dass Onkologen schon während der Facharzt-

ausbildung üben, niederschmetternde Dia g-

nosen einfühlsam mitzuteilen. Unter ihrer

Leitung wird seit 2008 an sieben deutschen

Universitätskliniken das Trainingsprogramm

KoMPASS (Kommunikative Kompetenz zur

Verbesserung der Arzt-Patienten-Beziehung) er-

probt. Ärzte aus Leipzig, Köln, Düsseldorf, Mainz,

Heidelberg, Tübingen und Nürnberg lernen in

Rollenspielen, denen reale Fälle zu Grunde lie-

gen, wie sie sich nicht nur fachlich, sondern

auch psychologisch bewähren. Die Gespräche

mit speziell geschulten Schauspielern, welche

die Patienten mimen, werden auf Video aufge-

zeichnet und später analysiert.

Die Unsicherheit der Ärzte»Anfangs denken viele: Oh nein, ich habe alles

falsch gemacht!«, beschreibt Keller die Reaktion

einiger Onkologen zu Beginn der Schulung.

Doch mit der Zeit empfänden sie die Hilflosig-

keit, die Gesprächspausen oder auch die emoti-

onalen Ausbrüche ihrer Patienten als weniger

belastend. Dafür spricht ebenfalls der Vergleich

der 150 bislang trainierten Mediziner mit einer

Kontrollgruppe – Fachärzten, die nicht an dem

Kurs teilgenommen haben. Fast alle Absolven-

ten melden zurück, dank des Trainings weniger

Angst vor schwierigen Begegnungen zu haben

und besser auf die Bedürfnisse der Patienten

eingehen zu können.

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Mehr zuM theMa> Den Tod im Leib (S. 36)Psychoonkologen unter­suchen den zusammenhang zwischen Psyche und Krebs (S. 36)

Im EInKLang mIT SIchanfangs fühlte sich die 53-jährige Petra Bugar ihrer Tumorerkrankung hilflos ausgeliefert. Trotz mehrerer Rückfälle hat sie im Lauf der letzten fünf Jahre gelernt, mit dem Krebs zu leben.

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44 g&g 9_2009

Vier Monate nach der Schulung findet ein

Anschlussseminar statt. »Hier zeichnet sich ab,

dass die meisten Onkologen – und damit indi-

rekt auch ihre Patienten – von einer berufs-

begleitenden Supervision profitieren würden«,

so Keller. »Doch dafür fehlt schlicht das Geld.«

KoMPASS wird von der Deutschen Krebshilfe fi-

nanziert, die 2008 an die 100 Millionen Euro für

174 Forschungsprojekte ausgab. Doch nur ein

Bruchteil der Gelder fließt in psychologische

Projekte; das meiste kommt der Grundlagen-

sowie der somatischen Therapieforschung zu-

gute. »Das ist ja auch verständlich«, sagt Keller.

Das Beste, was einem Patienten passieren kann,

ist, dass er geheilt wird. Doch obwohl sich die

Prognosen für viele der über 200 verschiedenen

Krebsarten ständig verbessert haben, stürzt eine

Tumorerkrankung praktisch jeden in eine exis-

tenzielle Krise.

Damit Onkologen von Anfang an auf die

damit einhergehenden emotionalen Probleme

eingehen können, wollen Keller und ihr Team

die KoMPASS-Daten bis Ende 2009 vollständig

auswerten, um die positiven Effekte des Trai-

nings auf das Empathievermögen, die Kommu-

nikationsfähigkeit und die berufsbedingten

Belastungen der Ärzte schwarz auf weiß prä -

sen tieren zu können, was wiederum der ganz-

heitlichen Behandlung von Tumorpatienten

zugutekommen soll. »Dies ist ein erster Schritt

dahin, dass ein Kommunikationstraining für

Onkologen auch in Deutschland verpflichtend

in die Facharztausbildung integriert wird. In

England und der Schweiz ist das schon üblich.«

Dass solche Maßnahmen nötig sind, zeigt

nicht nur die Erfahrung von Petra Bugar. 2008

veröffentlichte das Wissenschaftliche Institut

der Niedergelassenen Hämatologen und Onko-

logen (WINHO) die Ergebnisse einer Studie, bei

der über 15 000 Tumorpatienten in 145 Krebs-

kliniken und -praxen in Deutschland befragt

wurden. Auf den ersten Blick klingen die Resul-

tate ganz gut: Die meisten Patienten sind ins-

gesamt zufrieden mit ihrer ärztlichen Versor-

gung. Im Detail betrachtet schnitten allerdings

drei Punkte relativ schlecht ab: geringe ärztliche

Kompetenz bei Fragen zu alternativen Behand-

lungsmethoden, zu wenig Aufklärung und Mit-

spracherecht bei Therapieentscheidungen –

und vor allem eine mangelhafte psychosoziale

Betreuung, auch für die Angehörigen.

Drei Punkte, die massive Konsequenzen für

die Lebensqualität der Betroffenen haben kön-

nen, wie eine weitere Umfrage des Instituts er-

gab: Nicht ausreichend unterrichtete und be-

treute Patienten fühlen sich dem Krebs stärker

ausgeliefert. Sie sind unsicherer, ängstlicher

und häufiger depressiv. Sowohl ihre psychi-

schen Belastungen als auch ihre körperlichen

Schmerzen oder Nebeneffekte der Therapie wer-

den oft übersehen.

Hilflose AngehörigeAuch Petra Bugar sah sich dem Krebs anfangs

hilflos ausgeliefert. Verstärkt hatte dieses Ohn-

machtsgefühl nicht nur die ungenügende me-

dizinisch-psychologische Betreuung. Auch pri-

vat fand sie wenig Unterstützung. Als sie nach

dem Termin beim Onkologen nach Hause kam

und ihrem Mann von der Diagnose erzählte,

fehlten ihm die Worte. Er wusste nicht, wie er

mit der Schreckensnachricht umgehen sollte,

und ignorierte fortan schlicht die Tatsache, dass

seine Frau schwer krank war.

Auch am Arbeitsplatz zogen sich die meisten

zurück, als sie von der Krankheit ihrer Kollegin

hörten. »Die Diagnose schockiert nicht nur die

Betroffenen selbst, auch Freunde und enge An-

gehörige wissen oft nicht, wie sie sich nun ver-

halten sollen«, erklärt Nina Rose, Psychologin

an der Freiburger Tumorklinik SanaFontis. Die

Krankheit stelle Beziehungen auf die Probe;

manche Paare schweiße der Krebs fester zusam-

men, andere zerbrechen daran.

Bei Petra Bugar und ihrem Mann war Letzte-

res der Fall. »So schrecklich die Zeit war, rückbli-

ckend bin ich froh, dass es so gekommen ist«,

sagt sie heute. Bei Gesprächen mit Psychologen

merkte Petra Bugar, dass sie ihr Leben lang ver-

sucht hat, den Erwartungen anderer gerecht zu

werden – ihre eigenen Bedürfnisse hatte sie

hintangestellt. »Viele Patienten nehmen eine

mEnTaLE hILfESTELLungVon allein wäre Petra Bugar nicht auf die Idee gekommen, sich psychologische unterstüt-zung zu suchen. »Krebspatien-ten kommen nur selten von sich aus auf uns zu«, sagt die Psychotherapeutin nina Rose. »Dabei können wir helfen, mit der aktuellen Krise umzu-gehen.«

Acht Minuten… Zeit haben Ärzte in Deutschland im Schnitt dafür, ihren Patienten eine Krebsdiagnose mitzutei-len – in anderen europäi-schen Ländern dauert ein solcher Patientenkontakt zwischen elf und 19 Minu- ten. Wenn sie wirtschaft-lich arbeiten wollen, müssen Onkologen jähr- lich rund 4000 emotional belastende Gespräche führen.

(Untersuchung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlich-

keit im Gesundheitswesen in Köln, 2007)

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Krebserkrankung zum Anlass, neu über ihr Le-

ben nachzudenken«, bestätigt Nina Rose. Man-

che fühlen sich schuldig, weil sie vielleicht ster-

ben und ihre Lieben dann ohne sie zurecht-

kommen müssen, andere verzweifeln an der

Frage: Warum gerade ich? Wieder andere treffen

die Entscheidung, etwas Grundlegendes zu än-

dern – so auch Petra Bugar. Sie verließ ihren

Mann samt Eigenheim und zog in eine kleine

Zwei-Zimmer-Wohnung in der Magdeburger In-

nenstadt.

»Wir bewerten die Situation nicht, in der sich

ein Patient befindet, sondern unterstützen ihn

da, wo er gerade steht«, sagt Rose. »Dabei versu-

chen wir, den Partner und die Familie mit einzu-

beziehen, denn Krebs betrifft in den seltensten

Fällen nur den Erkrankten allein.« Auch die An-

gehörigen seien dabei gefordert. »Oft stehen sie

unter dem Druck, für den Patienten stark sein

zu müssen, und bagatellisieren ihre eigenen Be-

lastungen, um den Kranken nicht zu beunruhi-

gen«, fährt die Psychologin fort. Deshalb lehnen

Familienmitglieder solche Gespräche häufig ab.

»Sehr viele Leute stecken Psychoonkologie in

eine Schublade mit einer problemorientierten

Einzel-, Familien- oder Paartherapie. Dabei wol-

len wir den Menschen ganz einfach helfen, mit

dem Sturz aus ihrer bisherigen Wirklichkeit

klarzukommen«, so Rose.

Die Diagnose Krebs löst oft nicht nur ein

emotionales Chaos aus, sondern auch ein orga-

nisatorisches. Vielfach kommen Geldsorgen

hinzu. Psychoonkologen versuchen das Thema

Krebs zu enttabuisieren und ermutigen Patien-

ten und Angehörige, ihre Bedürfnisse auszu-

sprechen. Scheinbar banale oder lieblose Fragen

kommen zur Sprache: Sind finanzielle Engpässe

zu erwarten, und wie kann man ihnen begeg-

nen? Welche staatlichen und gemeinnützigen

Hilfeleistungen gibt es? Wer kann sich um Kin-

der, Eltern oder Haustiere kümmern? Darf man

überhaupt schon darüber nachdenken, wie es

Eine bösartige Tumorerkrankung wird von vielen Menschen als die gefährlichste aller Krankheiten angesehen, ungeachtet der verbesserten Behandlungsmöglichkeiten. Mangelhaftes Wis-sen darüber, was sich hinter der Diagnose Krebs verbirgt – etwa die Tatsache, dass es rund 200 verschiedene Tumorarten mit jeweils unterschiedlichen Verläufen gibt –, ist eine Ursache. Hinzu kommen häufig Erfahrungen mit Krebskranken im wei-teren Umfeld. Die Erinnerung kann dabei trügerisch sein: Un-günstige Krankheitsverläufe bleiben besonders in Erinnerung und prägen die eigenen Erwartungen.

Wer einmal an Krebs erkrankt war, kennt die Angst vor einem Rückfall (Rezidiv). Die Gewissheit, endgültig geheilt zu sein, stellt sich auch nach einer längeren krankheitsfreien Zeit kaum ein. Ein Rest von Unsicherheit und Angst bleibt.

Was kann man gegen Angst tun?Alles, was dem Gefühl von Unsicherheit entgegenwirkt oder die Bedeutung der ängstigenden Situation verringert, kann die Furcht bannen oder erträglicher machen. Dazu gehört:ó InFORMATIOnEn EInHOLEn. Über die Krankheit allgemein ebenso wie über erprobte Behandlungsmöglichkeiten und da-rüber, wie man selbst die eigene Gesundung unterstützen kann. Fragen des individuellen Krankheitsverlaufs wie auch des Risikos für ein Wiederauftreten der Krankheit sollten mit einem Arzt besprochen werden, der alle Untersuchungsbe-funde kennt.ó DIE AnGST MöGLIcHST GEnAU »AnSEHEn«. Was ängstigt am meisten? Die Furcht vor Schmerzen, vor der Behandlung,

vor der Abhängigkeit von anderen oder die Angst zu sterben? Die Befürchtungen sollten zu Ende gedacht werden, denn wenn die Furcht greifbar wird, lässt sich eher Abhilfe finden. Auch Verleugnung kann in bestimmten Phasen eine sinnvolle Reaktion darstellen, wenn die Angst sonst unerträglich wäre.ó DIE AnGST AUSDRÜcKEn. Schreiben, malen oder mit an-deren schöpferischen Mitteln der Furcht eine Gestalt geben, hilft oft, sie besser zu verstehen, was wiederum entlastend wir-ken kann.ó SIcH ERInnERn. An schwierige Situationen zurückdenken, die man schon erfolgreich durchgestanden hat, stärkt das Ge-fühl für die eigenen Bewältigungsmöglichkeiten.ó PLAnEn. Was man im Fall einer Verschlechterung konkret tun kann und wer dabei helfen könnte. Dazu gehört die Mit-verantwortung für Behandlungsmethoden, das Ausschöpfen der Schmerztherapie, Vereinbarungen mit Familienangehöri-gen etwa in Form einer Vorsorgevollmacht und möglicherwei-se eine Patientenverfügung.ó EnTSPAnnEn. Innere und äußere Verkrampfungen sind eine Begleiterscheinung der Angst. Sie lassen sich mit Entspan-nungsverfahren abbauen oder, soweit es die körperliche Ver-fassung zulässt, mit körperlicher Bewegung (spazieren gehen, Rad fahren, schwimmen oder anderer Sport). ó DEn ScHönEn SEITEn DES LEBEnS GEWIcHT GEBEn. Was ist in meinem Leben sinnvoll, wo kann ich meine besonderen Fä-higkeiten einbringen, was macht mir Freude, und was sollte ich erweitern oder ausbauen? Wie kann ich mir dabei von anderen helfen lassen?

Krebs in DeutschlandJedes Jahr erkranken 436 000 Menschen in Deutschland an Krebs, 211 500 Patienten sterben jährlich daran. Exper-ten schätzen, dass die Zahl der Tumorerkrankungen bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent zunehmen wird. Der Grund: Die Lebenserwartung steigt – und Krebs ist eine Erkrankung, von der insbesondere ältere Menschen betroffen sind.

Wege aus der Angst: Die Zukunft zulassen

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weitergeht, falls der geliebte Mensch tatsächlich

stirbt?

»Tumorpatienten und ihre Angehörigen ha-

ben in der Regel bereits genug Belastungen, des-

halb wird prinzipiell auch nicht ›aufdeckend‹

gearbeitet, also nach Defiziten aus der Kindheit

gesucht«, erklärt Rose. Vielmehr wird gemein-

sam besprochen, welche Ressourcen vorhanden

sind und welche noch aktiviert werden können:

Welche Form der Unterstützung durch Famili-

enmitglieder oder Freunde ist sinnvoll? Was hat

allen Betroffenen seit Diagnosestellung gutge-

tan? Wie kommt der Patient zur Ruhe?

Petra Bugar entspannt sich beim Malen. Des-

halb nahm sie die Einladung der Kunsttherapeu-

tin Wendy Routen-Hardy, gemeinsam kreativ zu

werden, gerne an. Sie freut sich auf ihre zwei

Stunden Kunsttherapie pro Woche während

ihres Aufenthalts in der Freiburger Tumorkli-

nik. Die Sitzungen basieren auf einer Methode

der italienischen Psychiater Gaetano Benedetti

und Maurizio Peciccia, die das »progressive the-

rapeutische Spiegelbild (PTS)« 1986 ursprüng-

lich im Umgang mit psychotischen Menschen

erfanden. Auf Basis der PTS-Methode entwi-

ckelte Wendy Routen-Hardy eine Kunsttherapie-

form speziell für Tumorpatienten: Therapeut

und Patient malen dabei gemeinsam ein Bild,

wobei Letzterer das Thema vorgibt. »Die Spie-

gelbild-Methode«, so Wendy Routen-Hardy, »ist

wie das PTS eine Art nonverbaler Kommunika-

tion, bei der der Therapeut versucht, in die Ge-

fühlswelt des Patienten einzutauchen und in

seinen Skizzen spiegelt oder gar verstärkt, was

er in den Zeichnungen des Patienten sieht.«

Ziele der Übung können sein: Emotionen, Sor-

gen oder Konflikte ausdrücken und verarbeiten,

Entspannung erfahren sowie die Selbst- und

Körperwahrnehmung verbessern.

Petra und Wendy setzen sich gemeinsam vor

einen weißen Bogen Papier, und die Patientin

beginnt: Sie wählt blaue Kreide und malt einen

großen Kreis. Wendy zeichnet einen kleinen

hellblauen daneben. Danach nimmt Petra eine

andere Farbe und zeichnet einen Stamm in die

Mitte ihres Kreises – Wendy einen in ihren. So

geht es hin und her.

Emotionen Gestalt gebenWährend sie malen, sprechen Therapeutin und

Patientin nicht miteinander. Ab und zu müssen

beide lachen, weil eine Figur nicht so gelingt,

wie sie es sich vorstellen. Sonst sind sie ernst

und konzentriert bei der Sache. Zum Schluss

fragt Wendy ihre Patientin, wie sie sich beim

Malen gefühlt hat, und ob sie mit dem Bild et-

was Bestimmtes verbindet. Petra sagt, dass die

Farben und Motive ihrer Werke immer etwas da-

mit zu tun haben, was sie gerade beschäftigt.

»Andere Patienten«, so Routen-Hardy, »ver-

binden nicht sofort etwas mit ihren Zeich nun-

gen.« In solchen Fällen versucht die Therapeu-

tin auch nicht, eine besondere Bedeutung he-

rauszulesen. Nach ein paar Sitzungen werden

In BILDERn SPREchEnWorte sind nicht erlaubt, wenn Kunsttherapeutin Wendy Routen-hardy und Petra Bugar gemeinsam kreativ werden. hingegen sind Lachen und andere gefühlsregungen nicht nur geduldet, sondern sogar gewünscht.

Krebszahlen weltweitWeltweit erkranken jedes Jahr mehr als 11 Millionen Menschen erstmals an Krebs. 7,9 Millionen ster- ben daran. Damit ist Krebs die zweithäufigste Todes-ursache überhaupt nach Herz-Kreislauf-Erkrankun-gen. Im Jahr 2030 werden voraussichtlich 16 Millio­nen Menschen jährlich an Krebs erkranken.

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alle Bilder nochmals auf den Tisch gelegt und

betrachtet. Dann erkennen viele Patienten

plötz lich doch eine tiefere Bedeutung darin: Sie

entdecken Gefühle wie Angst oder Wut oder

fangen an zu weinen – unterdrückte Emotionen

kommen an die Oberfläche. Manchen fällt auf,

dass ein Motiv plötzlich nicht mehr vorkommt

oder eines im Lauf der Zeit besonders dominant

geworden ist.

Für Petra Bugar symbolisiert der Kreis, der

sich in fast allen ihren Bildern wiederfindet, ihre

»kleine heile Welt«. Anfangs platziert sie kein

Motiv außerhalb der blauen Linie. Statt der

zarten Pflanze, die sie meist hineinmalt, zeigen

einige neuere Bilder einen starken Baum oder

ein lachendes Gesicht (siehe Bilderserie oben).

Für Petra spiegelt dies eine Sorge der letzten

Monate: Sie fragt sich, wie sie auch außerhalb

des geschützten Umfelds der Klinik mit der Tat-

sache klarkommen soll, dass sie nicht mehr wie

früher zur Mehrheit der Gesunden in der Ge-

sellschaft gehört. Sie möchte ihren Körper trotz

seines Versagens wieder lieb gewinnen.

Im Hier und Jetzt lebenHass auf den eigenen kranken Körper empfin-

den sehr viele Krebskranke irgendwann. »Wir

haben die Erfahrung gemacht, dass diesen Pati-

enten neben der Kunsttherapie auch Achtsam-

keitsübungen sehr guttun«, sagt Nina Rose. Sie

helfen Betroffenen, im Hier und Jetzt zu leben

und sich in ihrer Verletzlichkeit zu akzeptieren,

statt unablässig über die Vergangenheit zu trau-

ern oder sich in Zukunftsängsten zu verlieren.

Zwar hat die Kunsttherapie eine lange Ge-

schichte in der Psychoonkologie, ihre Erfor-

schung steckt aber tatsächlich noch in den Kin-

derschuhen. »In den letzten 25 Jahren wurden

unzählige Fallbeispiele beschrieben und analy-

siert und auch kleinere kontrollierte Studien

durchgeführt«, sagt Harald Gruber, Leiter des

Fachbereichs Kunst und Therapie an der Alanus

Hochschule bei Bonn. So ergab eine im Januar

2009 veröffentlichte schwedische Studie von

der Umeå-Universität, dass bereits eine Stunde

Kunsttherapie pro Woche die Lebensqualität

von Brustkrebspatientinnen deutlich erhöhte.

Untersucht wurden 41 zufällig ausgewählte

Frauen unmittelbar vor einer Bestrahlung so-

wie zwei und sechs Wochen danach. Jene, die

künstlerisch aktiv wurden, fühlten sich sowohl

psychisch als auch körperlich besser als die 21

Patientinnen, die nicht an den Sitzungen teilge-

nommen hatten. Erstere hatten weniger Angst

vor der Zukunft und ein positiveres Selbstbild.

Eine Leipziger Studie aus demselben Jahr

kam zu ähnlichen Ergebnissen. Bei dieser

Untersuchung nahmen 18 Männer und Frauen

mit unterschiedlichen Tumorerkrankungen an

einem wöchentlichen Gestaltungskurs teil. 22

Wochen lang beschäftigten sie sich zunächst

mit unterschiedlichen Maltechniken und -ma-

terialien. »In der Anfangsphase sollten sich die

Patienten einfach nur mit den kreativen Gestal-

tungsmöglichkeiten vertraut machen«, erklärt

Heide Götze von der Universität Leipzig. In

einem zweiten Schritt wurden die Teilnehmer

ermutigt, ein Thema ihrer Wahl künstlerisch

umzusetzen. War dies gefunden, sollten sie die

verbleibenden Wochen dazu nutzen, eine Art

Bildband zu erstellen, in dem neben den im

Kurs entstandenen Werken auch erklärende

Texte einfließen konnten. In praktisch allen

»Büchern« thematisierten die Patienten ihre

Krebserkrankung, wobei dies nicht vorgegeben

war. Die psychische Belastung der Erkrankten

Die häufigsten Krebs­erkrankungen Frauen erkranken vorran-gig an Brust-, Lungen-, Magen- und Darmkrebs. Bei Männern treten vor allem Lungen-, Magen-, Leber-, Darm-, Speiseröh-ren- und Prostatakrebs auf. Lungen-, Magen-, Leber-, Darm- und Brust-krebs verlaufen in beson-ders vielen Fällen tödlich. Rauchen ist der größte Risikofaktor, der zu einer Tumorerkrankung führt.

VoRSIchTIgE KonTaKTaufnahmE Die meisten Bilder von Petra Bugar dominiert ein blauer Kreis. Er symbolisiert ihre »kleine heile Welt«. Zu Beginn der Kunsttherapie spielte sich alles darin ab (links). Erst nach und nach verband sie ihren Kreis mit dem kleineren der Therapeutin (mitte) und öffnete ihn schließlich der außenwelt (rechts).

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war im Anschluss an den Kurs wesentlich gerin-

ger als zuvor und zugleich deutlich niedriger als

bei den Krebspatienten der zufällig ausgewähl-

ten Vergleichsgruppe.

»Welche Künstlerische Therapieform für wel-

chen Patienten in welchem Krankheitsstadium

am besten geeignet ist, können wir derzeit noch

nicht sagen«, so Gruber weiter. Er arbeitet gera-

de an einer vergleichenden Überblicksstudie zu

den Wirkfaktoren in den Künstlerischen Thera-

pien (Musik-, Tanz- und Kunsttherapie). Seiner

Einschätzung nach scheinen soziale Herkunft

und Bildungsgrad keine Rolle zu spielen. Es

komme vermutlich eher auf die Charakterei-

genschaften eines Menschen an. »Generell öff-

nen sich mehr Frauen als Männer kreativen

Behandlungsmethoden«, ergänzt Gruber. Ein

Umstand, der in der Psychotherapie allgemein

bekannt sei.

»Dass Männer eine Krebserkrankung grund-

sätzlich anders verarbeiten als Frauen, lässt sich

daraus nicht ableiten«, betont Monika Keller.

»Erfahrungsgemäß kommunizieren sie ihre mit

dem Krebs verbundenen Ängste aber auf unter-

schiedliche Weise.« Deshalb würden emotional

stark belastete Männer oft übersehen. Für sie sei

es besonders wichtig zu wissen, dass sie nicht

etwa deshalb Unterstützung brauchen, weil sie

psychisch krank sind. »Diese Männer standen

vor ihrer Erkrankung mitten im Leben und hat-

ten alles im Griff«, so die Leiterin der psycho-

onkologischen Abteilung der Heidelberger Uni-

klinik. Jetzt sind sie in hohem Maß von anderen

abhängig, was sie beschämt und nicht selten

dazu führt, dass sie sich zurückziehen und ihre

Krankheit und deren Konsequenzen verdrän-

gen. Dabei leiden Männer wahrscheinlich ähn-

lich stark wie Frauen unter den psychischen Fol-

gen einer Krebserkrankung – und diese können

zu einer schweren Depression oder gar zu Selbst-

mordgedanken führen.

Vanessa Strong und Kollegen von der Univer-

sity of Edinburgh untersuchten 2007 über 3000

Tumorpatienten. Knapp ein Viertel von ihnen

litt unter klinisch relevanten Belastungen wie

Angstzuständen und Depressionen. 2008 un-

tersuchten die Forscher eine zweite Stichprobe

von mehr als 2900 Krebserkrankten. Ergebnis:

Knapp acht Prozent von ihnen quälten Gedan-

ken wie »Tot wäre ich besser dran« oder »Viel-

leicht tue ich mir selbst etwas an«. Zwei Fak-

toren korrespondierten überdurchschnittlich

stark mit den Selbstmordgedanken: emotio-

naler Stress und chronische Schmerzen.

Die Angst im NackenAuch Petra Bugar hat immer wieder starke

Schmerzen und weiß, dass sie – statistisch gese-

hen – an ihrer Krankheit sterben wird, weil die

Wahrscheinlichkeit für ein Rezidiv, eine erneute

Tumorbildung, in ihrem Fall hoch ist. Drei Jahre

lang zog sie von einer Kontrolluntersuchung

zur anderen, immer mit der Angst im Nacken,

der Krebs könnte trotz mehrerer Operationen

und Chemotherapien zurückkommen. Im Som-

mer 2007 hatte sie die Nase voll davon. Sie er-

füllte sich einen lang gehegten Wunsch und

machte eine Reise durch Indien. »Krebserkrank-

te, die in ihrem Alltag immer nur funktioniert

haben, wollen nun endlich einmal etwas nur für

sich tun«, sagt Nina Rose. Viele beginnen ein

neues Hobby oder planen Unternehmungen für

die Zeit, wenn es ihnen wieder besser geht.

Nach ihrer Heimkehr lebte Petra Bugar, als

sei nie etwas gewesen – nur viel bewusster: »Ich

regte mich nicht mehr wegen Kleinigkeiten auf,

besuchte meine Kinder öfter und meditierte

viel«, sagt sie. Zu Kontrolluntersuchungen ging

sie nicht mehr. Endlich wuchsen die Haare nach,

heilten die Schleimhäute, schmeckte das Essen

wieder. Den Krebs schloss sie einfach aus ihrem

Leben aus. »Positiv denken«, lautete ihr Motto.

Wie schön, wenn die Geschichte hier zu Ende

wäre. Doch Anfang August 2008 erkältete sich

Petra Bugar. Sie wurde immer schwächer, ver-

drängte aber den Gedanken an Krebs: »Alles,

nur nicht wieder ins Krankenhaus.« Im Januar

2009 brach ihr Immunsystem zusammen, sie

VERgängLIch, aBER SchönBeim anblick der gänseblüm-chen muss Petra Bugar daran denken, wie verletzlich ihr Körper ist. Die Kunsttherapie hat ihr geholfen, ihn dennoch lieb zu haben.

Krebs bei KindernJährlich erkranken in Deutschland ungefähr 1800 Kinder und Jugend­liche unter 15 Jahren an Krebs. Diese Zahl ist seit vielen Jahren konstant. Die Heilungschancen liegen mittlerweile bei 80 Prozent. Die häufigsten Krebserkrankungen im Kindesalter sind Leukä-mien (Blutkrebs), Tumoren des Gehirns und des Rü- ckenmarks sowie Lymph-knotenkrebs.

(Quelle aller statistischen Angaben: Robert Koch-Institut,

2008)

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konnte nicht mehr laufen und sehen. Der Not-

arzt brachte die geschwächte Frau in die Unikli-

nik Magdeburg. »Sie haben Metastasen im Ge-

hirn«, teilte ihr ein Arzt mit; übermorgen werde

operiert, danach Chemotherapie und Reha. »Ihr

könnt mich alle mal!«, dachte Petra Bugar da.

Sie wollte einfach nicht mehr.

Damals fragte sie sich, ob sie womöglich

nicht genug gekämpft hätte und selbst die

Schuld für den Rückfall trage. »1989 und zu Be-

ginn der 1990er Jahre sorgten ein paar Studien

für Aufsehen in der Onkologie«, sagt Monika

Keller. Die Untersuchungen stellten einen Zu-

sammenhang zwischen einer optimistischen

Einstellung und einem positiven Krankheitsver-

lauf bei Tumorpatienten fest. »Doch die Ergeb-

nisse ließen sich nicht replizieren«, betont die

Expertin. Heute gelte als gesichert, dass eine be-

sonders kämpferische Einstellung die Krebshei-

lung nicht nachweisbar beeinflusse. »Dieser My-

thos kursiert aber immer noch in den Köpfen

der Menschen«, so Keller weiter. Problematisch

daran sei nicht die Hoffnung auf Genesung, son-

dern der Druck, unter den Menschen geraten,

wenn ihr Körper trotz guten Willens nicht auf

Therapiemaßnahmen anspricht oder der Krebs

erneut ausbricht. Nach Kellers Einschätzung

vermittelt auch das Umfeld vielen Betroffenen,

sie hätten nicht stark genug an ihre Genesung

geglaubt oder sich zu sehr hängen lassen.

Die Kinder von Petra Bugar machten ihrer

Mutter keine derartigen Vorwürfe, sondern er-

mutigten sie, die Situation anzunehmen und

das Beste daraus zu machen. »Das ist enorm

wichtig, damit Betroffene nicht in Hoffnungs-

losigkeit versinken und resignieren«, sagt auch

die Psychologin Rose. Dank der Unterstützung

durch ihre Kinder, Therapeuten und Ärzte fasste

Petra Bugar neuen Mut. Sie willigte in die erneu-

te Operation ein. Für die Nach- und Weiterbe-

handlung reist sie jedes Mal in die Privatklinik

nach Freiburg. Die Kosten für den Aufenthalt

muss sie teilweise selbst tragen, aber sie fühlt

sich hier gut aufgehoben. Es stehen mehrere

Chemotherapien auf dem Plan. Das heißt pro

Behandlung drei Tage lang Erbrechen und wun-

de Schleimhäute, meist gepaart mit Hautaus-

schlag und Haarausfall, danach folgen elf Tage

Pause. Wie oft sie diese Tortur in ihrem Leben

noch aushalten muss, weiß sie nicht. »Sterben

will ich so bald jedenfalls nicht.« Ÿ

Rabea Rentschler ist G&G-Redakteurin.

www.gehirn-und-geist.de/audio

EIn WEITER WEgBeim Interview vertraute Petra Bugar g&g-Redakteurin Rabea Rentschler viele persönliche Details an. Doch es dauerte lange, bis die 53-Jährige so offen mit einer fremden über ihre Krebserkrankung sprechen konnte.

Quellengötze, h. et al.: Gestaltungs­kurs für krebspatienten in der ambulanten nachsorge. in: forschende komplementär­medizin 16(1), s. 28 – 33, 2009. oster, I. et al.: art therapy improves experienced Qua­lity of life among Women undergoing treatment for breast cancer: a randomized controlled study. in: euro­pean Journal of cancer care. 18(1), s. 69 – 77, 2009.Strong V. a. et al.: better off dead: suicidal thoughts in cancer Patients. in: Journal of clinical oncology: official Journal of the american so ciety of clinical oncology 26(29), s. 4725 – 4730, 2008.

Weitere Quellen unter: www.gehirn­und­geist.de/artikel/1002094

Weblinksinformationsseiten für krebs­patienten:www.krebsinformations dienst.dewww.krebsgesellschaft.dewww.frauenselbsthilfe.dewww.prostatakrebs­bps.detraining für Ärzte:www.kompass­o.de

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�Vor mehr als 2000 Jahren begründete Herophil von Chalcedon die

Human anatomie – die Lehre vom Aufbau des menschlichen Körpers.

Der Arzt beschrieb als Erster die Architektur unseres Gehirns, die

Hirnnerven sowie die Netzhaut des Auges. Doch seine Methoden waren

alles andere als zimperlich.

Von Helmut WicHt und HartWiG Hanser

Alexandria im Jahr 270 v. Chr. Eine junge

Stadt, die Gründung liegt kaum zwei

Menschenalter zurück. Auf der Insel Pharos, die

dem Hafen vorgelagert ist, entsteht gerade der

höchste Leuchtturm der Welt. Er wird einmal als

eines der sieben Weltwunder der Antike in die

Geschichte eingehen. Der Herrscher, der in Ale­

xandria Hof hält, ist Ptolemäus II. – Sohn eines

Generals von Alexander dem Großen. Im Grun­

de ein Militärdiktator, lässt sich Ptolemäus als

Pharao feiern und bekennt sich öffentlich zum

Inzest mit seiner Schwester Arsinoë.

In diesem turbulenten Schmelztiegel treffen

Menschen aus aller Herren Länder aufeinander.

Alexandria boomt – wirtschaftlich wie kulturell.

Auch auf wissenschaftlichem Gebiet ist einiges

los. Mitten im Stadtteil Brucheion hat die Regie­

rung eine Akademie hochgezogen: das Museion

mit Labors, Sammlungen und Bibliotheken. Hier

pflegt man keine mühseligen Debatten über die

Ethik der Forschung oder skrupulöse Betrach­

tungen zur Technikfolgenabschätzung. Die For­

scher wie Politiker der Antike fackeln nicht lan­

ge, sondern machen Nägel mit Köpfen. Üppige

Budgets und Topgehälter lassen kluge Köpfe von

überall her in das Forscherparadies strömen. Ei­

ner der bedeutendsten kam schon vor vielen

Jahren: Herophil von Chalcedon.

Geboren um 330 v. Chr. in einem Stadtteil

des heutigen Istanbul, studierte Herophil bei

dem zehn Jahre älteren Praxagoras von Kos Me­

dizin – in der Tradition des berühmten Hippo­

krates (um 460 – 370 v. Chr.), was ihm sicher die

Türen des Museion zu öffnen half. Als prakti­

zierender Arzt hält sich Herophil an bewährte

Therapiemethoden: Diäten, Medikamente, hie

und da ein Aderlass. Diagnostisch aber ist er

seiner Zeit weit voraus. Bei Krankenbesuchen

hat er stets seine Klepshydra dabei, eine trag­

bare Wasseruhr. Fühlt er den Puls des Patien ten,

vergleicht er ihn nicht wie die anderen Ärzte

mit seinem eigenen, sondern misst mit der

Wasseruhr die exakte Zeit und rechnet dann die

genaue Frequenz aus. Die Patienten sind von so

viel Kompetenz und Hightech tief beeindruckt,

vielleicht wirkt schon das allein heilend. Hero­

phils Geschäfte laufen gut, denn ganz Alexand­

ria ist zwangskrankenversichert.

Mediziner, Forscher und Günstling der MächtigenDoch im Inneren seines Herzens fühlt sich He­

rophil mehr als Forscher denn als Arzt. Er leitet

im Museion eine eigene Arbeitsgruppe mit

technischem Personal und Arztschülern. Seine

Kontakte zu den Schaltstellen der Macht sind

bestens, mit Ptolemäus pflegt er fast freund­

schaftlichen Umgang. Was Herophil für seine

Forschung braucht, bekommt er umgehend.

Als Mediziner mit anatomischen Interessen ist

HirnforscHunG i GescHicHte

Au f e i n en Bl ick

Die Geburt der Neuroanatomie

1 Herophil von Chalce-don (um 330 v. Chr. –

250 v. Chr.) gilt als erster Forscher, der systema- tisch den Aufbau des menschlichen Nervensys-tems studierte.

2Laut Berichten des Römers Celsus (um 25 v.

Chr. – 50 n. Chr.) nahm Herophil dafür auch Vivisektionen vor – sprich er schnitt Menschen bei lebendigem Leib auf.

3 Herophil beschrieb unter anderem Groß-

und Kleinhirn, die Hirn-nerven, die venösen Blutleiter im Gehirn, den vierten Hirnventrikel sowie die Netzhaut des Auges. Zudem unterschied er erstmals zwischen senso-rischen und motorischen Nerven.

natom der ersten Stunde

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das vor allem eins: menschliche Körper als Se­

zierobjekte.

Hier reißt nun leider der bunte Historien­

film, und wir betreten vermintes Gelände –

denn was sonst über Herophil bekannt ist, ba­

siert im Wesentlichen auf Mutmaßungen und

Informationen aus zweiter Hand. Von ihm

selbst ist kein längerer Text überliefert. Es gibt

lediglich ein paar Fragmente, zusammenge­

nommen vielleicht 20 oder 30 Zeilen, die spä­

tere Autoren vermutlich wörtlich von ihm

übernommen haben. Die Bibliothek im Musei­

on, die seine Schriften enthielt, fiel 48 v. Chr.

einem Brand zum Opfer.

Was Herophil tat, schrieb und lehrte, wissen

wir also nur aus den Berichten anderer – Celsus,

Galen, Rufus, Soranus, Tertullian –, die alle lan­

ge nach ihm lebten. Ihnen zufolge schrieb He­

rophil mindestens sechs Bücher, womit wohl

Pergamentrollen gemeint sind: ein Werk über

Anatomie, eines über den Puls, eines über die

Hebammenkunst, eines über Therapie, eines

über Diät und eines mit dem rätselhaften Titel

»Gegen die vorherrschenden Meinungen«.

Aus dem, was Celsus und Kollegen berich­

ten, geht hervor, dass Herophil ein exzellenter

Anatom gewesen sein muss, ja geradezu der

Anatom der Antike. Was andererseits auch

kaum überrascht, denn er war schlicht der Ers­

te, der systematisch den menschlichen Körper

aufschnitt und in ihn hineinschaute. Angeblich

sogar in lebende Körper. Und genau das ist die

Tretmine: Herophil war Vivisektionist!

Zumindest hat das der Römer Aulus Corne­

lius Celsus behauptet (siehe Kasten S. 52 oben),

der von etwa 25 v. Chr. bis 50 n. Chr. lebte, also

gut 200 Jahre nach dem Griechen. Aber es

spricht viel dafür, dass er Herophil und dessen

Zeitgenossen und Kollegen Erasistratos Vivi­

sektionen keineswegs einfach unterstellte, um

sie zu diskreditieren. Vielmehr lassen auch ei­

nige der Entdeckungen des Forscherduos ver­

muten, dass sie auf Beobachtungen am leben­

den Organismus zurückgingen.

So hat Herophil als Erster die Lungenvenen

und ­arterien richtig beschrieben. Das kann

man aber nur, wenn man die Strömungsrich­

tung und die Art des Bluts (hellrot = arteriell

klassiker der anato-mischen präparationnach dem entfernen des schädeldachs und dem Weg-klappen der harten hirnhaut (dura mater) sieht man den längs verlaufenden sinus sagit- talis superior und die Venen der Großhirnrinde, die in ihn einmünden (blau hervorgeho-ben). dieses und die folgenden Bilder stammen aus Vesals »de humani corporis fabrica« von 1543. Vesal ist für die neuzeit das, was herophil für das altertum war: der anatom schlechthin. Viele Beschrei-bungen herophils, der keine Bilder hinterließ, lassen sich anhand von Vesals illustratio-nen gut nachvollziehen.

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Herophil und Erasistratos haben als Erste die Fähigkeit des Empfindens (Sensorik) und des Agierens (Motorik) den Nerven zugeordnet – vorher glaubte man, die Blutgefäße seien dafür zuständig. Das griechische For-scherduo erkannte, dass unterschiedliche Nerven für diese beiden Aufgaben verantwortlich sind, es also spezielle sensorische und motorische Nerven gibt. Unsinn ist aus heutiger Sicht allerdings Erasistratos’ Behauptung, die sensorischen Nerven gingen aus den Hirnhäuten hervor, die motorischen hingegen aus dem Hirn selbst.

Anerkannt wurde das sensomotorische Konzept damals nicht. Schon in der Antike wiesen Kritiker zu Recht darauf hin, dass es Fälle von Nervenschä-digungen gibt, bei denen sowohl sensorische als auch motorische Ausfälle auftreten. Also seien die Nerven gemischt und nicht entweder sensorisch oder motorisch.

Im Grunde hatten alle Recht: Im peripheren Nervensystem, also außer-halb von Gehirn und Rückenmark, sind tatsächlich die meisten Nerven ge-mischt, haben also sensorische und motorische Anteile. Dort aber, wo die Nerven ins Rückenmark eintreten, spalten sie sich stets in zwei Wurzeln auf: die sensorische Hinterwurzel und die motorische Vorderwurzel. Charles Bell (1774 – 1842) und François Magendie (1723 – 1855) konnten zeigen, dass die Durchtrennung der vorderen Wurzeln der Spinalnerven zu Lähmungen füh-ren, die der hinteren Wurzeln jedoch zu Gefühllosigkeit. Auch diese Versuche waren übrigens Vivisektionen – allerdings an Hunden.

Sensorik und Motorik: Gewaltenteilung im Nervensystem

Auf Vivisektionen Herophils weist vor allem folgender Text des römischen Medizinschriftstellers Aulus Cornelius Celsus (um 25 v. Chr. – 50 v. Chr.) hin (Übersetzung: Helmut Wicht).

»Weil die verschiedenen Arten von Schmerzen und Krank-heiten in den inneren Organen entstehen, so glauben sie [eine bestimmte Gruppe von Ärzten, die »Rationalisten«], dass nie-mand jenen mit einer Kur abhelfen könne, der diese nicht kenne. [Sie glauben also], dass es notwendig ist, die Körper der Toten aufzuschneiden und deren Eingeweide und Gedärme zu durch-forschen. [Sie glauben weiter], dass dies bei Weitem am besten Herophil und Erasistratos gemacht haben, die [aber auch] ver-brecherische Menschen, die sie von den Königen aus den Kerkern erhielten, bei lebendigem Leibe aufgeschnitten haben sollen und bei noch anhaltender Atmung dasjenige beschaut haben sollen, was die Natur vorher verborgen gehalten hätte …«

Celsus selbst findet die Methode gleichermaßen brutal wie nutzlos:»Es ist aber sowohl grausam als auch überflüssig, die Körper von Lebenden aufzuschneiden, die von Toten zu eröffnen hingegen ist für die Wissbegierigen unerlässlich: Denn sie müssen die Lage

und Anordnung kennen, die der Leichnam besser als der lebende und verwundete Mensch darbietet.«

Celsus formuliert dabei sehr vorsichtig. Er sagt lediglich, dass es Leute gibt, die behaupten, dass Herophil und Erasistra-tos Vivisektionen vorgenommen haben sollen.

Für Latinisten hier zum Vergleich der Originaltext aus Celsus’ »De medicina« (prooemium, 23, 24 und 74): »Praeter haec, cum in interioribus partibus et dolores et morborum varia genera nas cantur, neminem putant his adhibere posse remedia, qui ipsas ignoret. Ergo necessarium esse incidere corpora mortuo-rum, eorumque viscera atque intestina scrutari; longeque op-time fecisse Herophilum et Erasistratum, qui nocentes homines a regibus ex carcere acceptos vivos inciderint, considerarintque eti-amnum spiritu remanente ea, quae natura ante clausisset …«

Und die zweite, oben zitierte Stelle:»Incidere autem vivorum corpora et crudele et supervacuum est, mortuorum discentibus necessarium: nam positum et ordinem nosse debent, quae cadaver melius quam vivus et vulneratus homo repraesentat.«

Herophil – ein Vivisektionist?

beziehungsweise dunkelrot = venös) kennt –

und dazu muss das Blut noch fließen. Auch die

Unterscheidung von motorischen und senso­

rischen Nerven (siehe Kasten links) geht auf

Herophil und Erasistratos zurück – wobei die

beiden Forscher mitunter noch Sehnen und

Nerven verwechselten. Ob ein durchschnitte­

ner oder gequetschter Nerv sensorisch oder

motorisch ist, lässt sich am leichtesten anhand

der Funktionsausfälle ermitteln. Und Funktion

setzt wiederum Lebendigsein voraus.

Von Grausamkeit umwehtUnd schließlich war Herophil bestimmt kein

zimperlicher Mensch. Als Gynäkologe erfand er

ein Gerät mit dem Namen Embryosphakter:

den »Embryozerhacker«. Diesen soll er nicht

nur für Abtreibungen eingesetzt haben, son­

dern wohl auch zur Rettung der Schwangeren

bei schweren Komplikationen. Dennoch umwe­

hen gewaltsamer Tod und Grausamkeit diesen

Mann. Er hätte ja stattdessen auch das Stetho­

skop erfinden können – hat er aber nicht.

Die Fülle von Herophils anatomischen Ent­

deckungen ist beeindruckend. Die Netzhaut des

Auges, die Eileiter, die inneren männlichen Ge­

schlechtsorgane, der Kanal des Gesichtsnervs

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Wenn man das Schädeldach entfernt, blickt man zunächst nicht auf das Gehirn, sondern auf die harte Hirnhaut, die Dura mater (siehe Bild oben links). Sie enthält blutgefüllte Hohlräu-me (blau hervorgehoben), durch die das Blut aus dem Hirn ab-fließt. Es handelt sich dabei anatomisch gesehen nicht um echte Venen, denn ihnen fehlt die elastische Muskelschicht in der Wand, die alle Blutgefäße auszeichnet. Aus diesem Grund

nennen Anatomen diese Hohlräume Sinus durae matris – die Buchten der Dura mater oder venöse Blutleiter. Die größeren von ihnen treffen sich am Hinterrand des Kleinhirnzelts im »Torcular des Herophil«, heute Confluens sinuum genannt (siehe Bild rechts). Von dort aus strömt das Blut weiter abwärts zur Vena jugularis, der Drosselvene des Halses, die unterhalb der Schädelbasis entspringt.

Das »Torcular des Herophil«

unterm schädeldachBlick auf die dura mater, nachdem das schädeldach ringsherum aufgesägt und abgehoben wurde. Blau hervorgehoben ist der sinus sagittalis superior, einer der venösen Blutleiter der dura mater.

kanalisation im GehirnGroßhirn samt dura mater sind hier entfernt, in der vorderen kopfhälfte erkennt man die horizontale schnittfläche. dahinter fehlt das Großhirn, so dass ein weiteres stück dura mater zum Vorschein kommt, welches das kleinhirn bedeckt: das tentorium cerebelli (großer stern). Blau hervorgehoben sind Blutleiter, die im »torcular des herophil« (kleiner stern) zusammenlaufen.

im Schädel, ein Ventrikel des Gehirns sowie des­

sen große venöse Blutleiter, die Gliederung in

Groß­ und Kleinhirn, diverse Hirnnerven – all

das hat er als Erster korrekt beschrieben (siehe

Kasten S. 55).

Gewürdigt haben es seine Nachfolger kaum.

Nur eine einzige Struktur, ein Hohlraum in den

Hirnhäuten, ist nach ihm benannt: das Torcu­

lar Herophili (siehe Kasten oben). Und dabei

handelt es sich auch noch um einen Überset­

zungsfehler. Ein Torcular ist eine Schrauben­

presse für die Weinherstellung. Herophil nann­

te diesen Hohlraum lenos, was man zwar mit

Presse übersetzen kann, aber auch mit Trog

oder Behälter. In letzterem Sinne hat Herophil

es vermutlich gemeint: ein Gefäß für das ve­

nöse Blut. Ohnehin strich man das Torcular He­

rophili Ende des 19. Jahrhunderts aus der ana­

tomischen Nomenklatur. Der Hohlraum heißt

jetzt schlicht Confluens sinuum – der Zusam­

menfluss der venösen Sinus (Blutleiter).

Für die fiktive Schlussszene läuft unser His­

torienschinken noch einmal an: Um 250 v. Chr.

liegt Herophil auf dem Sterbebett, rund 80 Jah­

re alt ist er geworden! Neben ihm sitzt sein Kol­

lege Erasistratos – auch schon um die 70 und

ein wenig klapprig. Ihr Lebtag haben sich die

zwei gestritten, ob die Arterien normalerweise

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Abfluss für die Hirnflüssigkeit

Quellenleven, k. (hg.): Antike me­dizin – ein lexikon. c.h.beck, münchen 2005.potter, p.: herophilus of chal­cedon: An Assessment of his place in the history of Anato­my. in: bulletin of the history of medicine 50, s. 45 – 60, 1976.von staden, h.: herophilus – the Art of medicine in early Alexandria. cambridge uni­versity press, cambridge 1989.Komplette Sammlung der antiken Quellen inklusive detaillierter Auseinanderset­zung mit den Vivisektionen

Calamus scriptorius bedeutet so viel wie Schreibfeder. Tatsächlich hat der vom Hirnstamm ge-bildete Boden des vierten Ventrikels eine vergleichbare Gestalt. Dem römischen Arzt Galen (um 130 – 215) zufolge war Herophil der Erste, der in den vierten Ventrikel hineinschaute und dabei diese Struktur beschrieb.

Heute wird der Begriff immer noch verwendet, aber inzwischen nur noch für die Spitze des schreibfederartigen Gebildes. Und man weiß inzwischen auch, wozu der Calamus scriptorius gut ist: Er sorgt dafür, dass der Liquor – das Hirnwasser, von dem im Inneren des Gehirns pro Tag fast ein halber Liter entsteht – nach außen abfließen kann, damit sich kein Wasserkopf bildet (der Liquor gelangt letztlich in den Blutkreislauf). Dies geschieht durch eine Öffnung an der Spitze der Schreibfeder: die Apertura mediana ventriculi quarti. Davon wusste Herophil aller-dings wohl noch nichts.

der Vierte Ventrikelschneidet man das tentorium cerebelli heraus (siehe Bild s. 53 rechts), nimmt das kleinhirn aus seiner Grube und klappt es nach vorn, wird der vierte Ventrikel des hirnstamms sichtbar (hier gelb). er ähnelt seiner Form nach einer schreibfeder: herophils calamus scriptorius. Blau hervorgehoben sind venöse Blutleiter.

Groß- und Kleinhirn Auch Laien fällt beim Betrachten eines Gehirns als Erstes die Unterteilung in das dominierende Großhirn und das feiner gefurchte Kleinhirn am unteren Hinterkopf auf. Schon Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) beschrieb 100 Jahre vor Herophil diese beiden Teile als Enke-phalon und Parenkephalis (Hirn und Nebenhirn) – aber nur bei Tieren. Herophil war der Erste, der beim Menschen nachsah.

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Die Verkabelung von Gehirn und Augen

nur die luftartigen Lebensgeister (Erasistratos

nennt sie Pneuma) oder auch Blut (das glaubt

Herophil) enthalten. Auch jetzt können sie sich

nicht einigen. »Schneid’ mich halt auf und

guck nach!«, ächzt Herophil schließlich und

stirbt. Erasistratos folgt seinem Ratschlag und

findet: Die Arterien sind fast blutleer, es ist

nichts drin – nur Pneuma eben, wie er selbst ja

meinte.

Heute wissen wir: Nach dem Tod versackt

das Blut in den Venen. Ihre Wände sind wesent­

lich dünner und nachgiebiger als die von Arte­

rien (was ebenfalls Herophil entdeckte). Hier

sammelt sich daher nach dem Kreislaufstill­

stand das Blut. Selbst so große Arterien wie die

Aorta enthalten bald nach dem Tod nur noch

Reste geronnenen Lebenssafts. Manchmal

muss man eben doch beim Lebenden nach­

schauen, um die Wahrheit zu finden. Ÿ

Helmut Wicht ist promovierter Biologe und Privat­dozent für Anatomie an der Dr. Senckenbergischen Anatomie der Johann Wolfgang Goethe­Universität Frankfurt a. M. Hartwig Hanser ist G&G­Redakteur.

Die Hirnnerven zu finden ist nicht ganz einfach, denn sie liegen versteckt an der Basis des Gehirns. Es gibt zwölf Paare von ihnen. Herophil hat sie wohl alle ge-sehen, aber nur sieben Paare gezählt; er hat einige Nerven zusammengefasst, die Anatomen heute unterscheiden.

Die Sehnerven nannte er laut Galen poroi, was so viel heißt wie Gänge oder Röhren. Die irreführende Vorstellung, dass die Nerven hohl seien und in ihnen irgendein pneumatisches oder hydrau-lisches Wirkprinzip am Werk sei, findet sich bei den Griechen schon lange vor Herophil. Diese Hypothese wurde erst in der Neuzeit überwunden, als man die elektrische Erregbarkeit von Nerven, Hirn und Muskeln entdeckte.

Interessanterweise gebrauchte Hero-phil aber das Wort poroi nur für die Seh-, nicht für die anderen Hirnnerven. Damit erwies er sich als erstaunlich hellsichtig, denn der Sehnerv ist der einzige, der in seinem Inneren einen winzigen Hohl-raum besitzt – durch den die Arteria cen-tralis retinae zur Netzhaut des Auges ge-langt. Das Auge selbst hat Herophil übrigens auch als Erster detailliert be-schrieben, mitsamt allen Häuten und Adern.

Wenn Herophil diesen Hohlraum tat-sächlich gesehen haben sollte, muss er sehr gute Augen gehabt haben. Aber dann müsste ihm auch aufgefallen sein, dass der Hohlraum nicht bis zum Gehirn reicht, denn die Arterie tritt erst in der

Nähe des Augapfels in den Nerv ein. An-dererseits ist das nur beim Erwachsenen so. Am Anfang der Embryonalentwick-lung erscheint der Sehnerv tatsächlich durchgängig hohl, und sein Hohlraum hängt mit dem des Hirns zusammen. Er wächst samt Auge aus dem Gehirn her-vor, Auge und Sehnerven sind letztlich

hohle Ausstülpungen des hohlen Ge-hirns! Später verschwinden diese Gänge, und nur ein winziger Rest bleibt: jener, in dem die Arteria centralis retinae liegt. Das alles aber konnte Herophil kaum wissen, dazu hätte er ein Mikroskop ge-braucht. Und das war zu seiner Zeit noch lange nicht erfunden.

Von unten Betrachtetdie gelb hervorgehobene struktur stellt den sehnerv und die hinteren teile der augen dar. nachträglich rot markiert ist die arteria centralis retinae, die in den sehnerv eindringt, so dass dieser auf seinem letzten Wegstück zum augapfel einen zentralen hohlraum aufweist: den kanal für diese arterie.

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Wie die berühmte Hermann-Gitter-Illusion zu Stande kommt, galt

längst als geklärt. Doch ein einziges Bild brachte 2004 die alte Lehr meinung

zu Fall und stellt Wahrnehmungsforscher aufs Neue vor ein Rätsel.

Von RaineR RosenzweiG

hiRnfoRschunG i optische täuschunG

Flüchtige Schatten auf der Straßenkreuzung

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LingeLbach-gitter Bei der 1995 von Elke und Bernd Lingelbach sowie Michael Schrauf geschaffenen Variante des Hermann-Gitters scheinen schwarze Punkte in den weißen Kreisen an den Kreuzungen wild durcheinanderzuflackern. Im Dezember 2000 wurde das Muster per E-Mail mit der Aufforderung verbreitet, schwarze Punkte als Stimmen für Al Gore und weiße für George W. Bush zu zählen und das Ergebnis danach noch einmal zu kontrollieren – als Anspielung auf die seinerzeit erforderliche Neuauszählung der Stimmen zur US-Präsident-schaftswahl. Dadurch wurde die Illusion weltweit bekannt.

von sinnen

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Dunkle Quadrate, an deren Ecken graue Fle-

cken aufschimmern: Das Hermann-Gitter

(siehe Bild oben) zählt zu den bekanntesten

Wahrnehmungstäuschungen. Bereits 1844 be-

schrieb sie der schottische Physiker Sir Dawid

Brewster (1781 – 1868). 1870 wurde der deutsche

Physiologe Ludimar Hermann (1838 – 1914) auf

die Illusion aufmerksam – eher zufällig beim

Betrachten einer Abbildung in einem Physik-

buch. Deshalb erwähnte er sie auch nur in einem

beiläufigen Kommentar, und die Täuschung

verschwand wieder in der Versenkung. Erst Mit-

te des 20. Jahrhunderts entdeckten Wahrneh-

mungspsychologen sie neu und begannen, ver-

schiedene Variationen zu produzieren, die alle

einen ähnlichen Effekt aufweisen (Bild links).

Bei der Originaltäuschung bildet der weiße Hin-

tergrund zwischen den regelmäßig angeord-

neten schwarzen Quadraten helle »Straßen«.

An deren Kreuzungen erscheinen verwaschene

dunkle Flecken – kurioserweise aber immer nur

dort, wo man gerade nicht genau hinblickt, also

in der Sehperipherie. Wie entstehen diese

»flüchtigen Schatten«?

Schon 1960 schlug der Neurophysiologe

Günter Baumgartner eine höchst plausibel klin-

gende Erklärung des Phänomens vor. Sie basiert

auf der Tatsache, dass Informationen der Seh-

zellen bereits in der Netzhaut des Auges von

den Ganglienzellen verarbeitet werden. Diese

hermann-gitterAn den Kreuzungen der hellen Linien fallen dunkle Flecken auf, die verschwinden, wenn man den Blick genau darauf richtet. Die Illusion ist nach dem deutschen Physiologen Ludimar Hermann (1838 – 1914) benannt, der sie 1870 als einer der ersten Forscher erwähnte.

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58 G&G 9_2009

empfangen Signale von einem annähernd kreis-

förmigen Gebiet der Netzhaut – dem rezeptiven

Feld der Ganglienzelle. Dieses ist in einen inne-

ren und einen äußeren, ringförmigen Bereich

aufgeteilt (siehe Bild oben).

Die visuelle Täuschung des Hermann-Gitters

erklärte Baumgartner mit Hilfe eines speziellen

Typs von Ganglienzellen: den On-Zentrum-Zel-

len. Diese reagieren besonders stark, wenn der

innere Bereich des rezeptiven Felds stimuliert

wird, der äußere jedoch nicht. Off-Zentrum-Zel-

len verhalten sich genau umgekehrt. Diese Vor-

verarbeitung erleichtert es unserem Sehsystem,

Änderungen in der Umwelt effektiv zu verarbei-

ten und beispielsweise Stufen und Kanten auch

unter schlechten Sehbedingungen zu identifi-

zieren, etwa bei Nebel.

Erfasst nun eine On-Zentrum-Zelle beim

Hermann-Gitter eine »Kreuzung« (im Bild

rechts oben), wird der äußere Bereich des rezep-

tiven Felds stärker gereizt, als wenn sie die Mitte

zwischen zwei Quadraten im Visier hat (links

oben). Entsprechend schickt die Zelle ein etwas

schwächeres Signal ans Gehirn. Dieser Signal-

unterschied sei verantwortlich für die dunklen

Flecken an den Kreuzungen, so Baumgartner.

Das Modell erklärt auch, warum das Phäno-

men nur am Rand des Sehfelds funktioniert und

nicht dort, wo wir gerade hinsehen. Wenn wir et-

was fixieren, fällt das Bild auf den Bereich des

schärfsten Sehens der Netzhaut: die Fovea. Dort

ist die Dichte der Sehzellen etwa 14-mal höher

als in den übrigen Bereichen des Sehfelds. Die

rezeptiven Felder der für die Fovea zuständigen

Ganglienzellen sind somit auch viel kleiner –

und registrieren entsprechend keinen Unter-

schied mehr zwischen »Straße« und »Kreu-

zung« (im Bild unten).

Zerstörte IllusionWahrnehmungsforscher stürzten sich be-

geistert auf Baumgartners Erklärung, denn sie

gab ihnen eine Möglichkeit, rezeptive Felder

mittels Variation des Gitters zu vermessen und

genauer zu untersuchen. Das Hermann-Gitter

entwickelte sich in der Folge zu einem der be-

liebtesten Forschungsobjekte der Wahrneh-

mungspsychologen.

Doch vor fünf Jahren erfolgte der Pauken-

schlag: Eine ungarische Forschergruppe um

János Geier vom »Stereo Vision«-Forschungsin-

stitut in Budapest stellte im Sommer 2004 eine

daS aLte modeLLLaut Günter Baumgartners klassischer Erklärung der Hermann-Gitter-Illusion rufen unterschiedliche Antworten von »On-Zentrum-Zellen« aus der Sehperipherie die dunklen Flecken hervor (oben): Licht im grün markierten Bereich des rezeptiven Felds lässt die Zelle feuern (+), Licht im rot mar-kierten Bereich dagegen führt zur Hemmung (–). Im Bereich des schärfsten Sehens auf der Netzhaut, in der Fovea, sind die rezeptiven Felder deutlich kleiner, weshalb sich die Zellantworten beim direkten Fokussieren nicht mehr unter-scheiden und der Effekt ver-schwindet (unten).

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auf den ersten Blick unverdächtig anmutende,

aber revolutionäre Variation des Hermann-Git-

ters vor und stürzte damit die heile Welt der

Wahrnehmungsforscher in eine Krise. Eine ein-

fache Verzerrung der »Straßen« im Hermann-

Gitter ließ die Täuschung ausbleiben: Die grau-

en Flecken waren verschwunden (siehe Bild

oben)! Laut Baumgartners Modell müssten je-

doch auch in der neuen Variante des Gitters

dunklere Stellen an den Kreuzungen auftreten.

Ein einziges Bild brachte damit ein von den

meisten Experten akzeptiertes Erklärungsge-

bäude zum Einsturz – ein wissenschaftshisto-

risch höchst seltenes Ereignis. Zwar äußerten

bereits Jahre zuvor verschiedene Wissenschaft-

ler immer wieder Zweifel an Baumgartners Er-

klärung und führten dabei durchaus überzeu-

gende Argumente ins Feld, doch das allein konn-

te die Mehrzahl der Fachleute nicht überzeugen.

Offenbar bedurfte es eines starken visuellen Be-

weises – und der lag nun mit Geiers Bild vor.

Bis heute sind sich die Wahrnehmungsfor-

scher noch nicht darüber einig, welche Erklä-

rung des Phänomens das obsolete Modell von

Baumgartner ablösen wird. Vielleicht muss man

sich ja sogar ganz von der Vorstellung verab-

schieden, die Illusion ließe sich einfach und an-

schaulich begründen. Einen Hinweis darauf,

dass diese pessimistische Einstellung berechtigt

sein könnte, lieferte kürzlich ein Experiment

zweier britischer Forscher: Der Informatiker Da-

vid Corney und der Wahrnehmungspsychologe

Beau Lotto vom University College London trai-

nierten ein künstliches neuronales Netz, aus

einer Vielzahl von Eingangssignalen, die dem

visuellen Input ähneln, korrekte Antworten zu

erzeugen. Und siehe da – das Netzwerk unterlag

ganz von selbst einer Reihe von Täuschungen,

die optischen Illusionen vergleichbar sind. Da-

runter fanden sich auch graue Flecken wie im

Hermann-Gitter.

Dieses Ergebnis liefert freilich noch keine

Erklärung. Aber es zeigt, dass unser Sehsystem

unter gewissen Umständen möglicherweise gar

nicht anders kann, als Effekte zu produzieren,

die mit der physikalischen Umwelt nicht in Ein-

klang zu bringen sind – eben visuelle Täu-

schungen. Ÿ

Rainer Rosenzweig ist promovierter Wahrneh­mungspsychologe und Geschäftsführer des Nürnberger Erlebnismuseums »Turm der Sinne«.

LiteraturtippRosenzweig, R. (Hg.): nicht wahr?! Sinneskanäle, hirn­windungen und Grenzen der Wahrnehmung. Mentis, Pa­derborn 2009.Sammelband mit Beiträgen des Turm­der­Sinne­Sympo­siums von 2007

QueLLenCorney, D., Lotto, R. B.: What are lightness illusions and Why do We See them? in: Pu­blic library of Science com­putational Biology 3(9), e180, 2007.Geier, J. et al.: Straightness as the Main factor of the her­mann Grid illusion. in: Percep­tion 37(5) S. 651 – 665, 2008.Schiller, P. H., Carvey, C. E.: the hermann Grid illusion revi­sited. in: Perception 34(11), S. 1375 – 1397, 2005.

die widerLegungIn dieser Variante des Her-mann-Gitters nach János Geier tritt die Täuschung nicht auf, obwohl die On-Zentrum-Zellen laut Baumgartners Modell hier ebenfalls dunkle Flecken an den Kreuzungen erzeugen müssten. Noch gibt es kein allgemein akzeptiertes Modell, das dieses Phänomen zufrieden stellend erklären könnte.

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Zwei Hirnhälften sitzen im Kopf. Ob wir beide Hemisphären gleich stark nutzen

oder bestimmte Probleme eher einseitig angehen, steuern unsere Hormone.

Von Markus HausMann und ulrike Bayer

HirnforscHunG i lateralisierunG

ungleiches duoÄhnlich wie in dieser künstle­rischen darstellung sehen die beiden hirnhälften fast sym­metrisch aus. doch sie sind auf unterschiedliche Aufgaben spezialisiert.

hormonelle harmonie

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www.gehirn-und-geist.de 61

Wie Bild und Spiegelbild erscheint unser

Gehirn auf den ersten Blick. Doch der Ein-

druck täuscht. Seit mehr als 100 Jahren wissen

Forscher, dass die nahezu symmetrischen, nur

durch den Balken verbundenen Hirnhemisphä-

ren trotz ihres ähnlichen Aussehens durchaus

unterschiedliche Aufgaben erfüllen. Sie kontrol-

lieren zwar in trauter Zweisamkeit unser Verhal-

ten, doch die linke Seite glänzt etwa mit ihren

»sprachlichen Fähigkeiten«, während das rechte

Pendant vor allem unserer räumlichen Wahr-

nehmung dient. Diese als »funktionelle zere-

brale Asymmetrie« bekannte Eigenschaft des

Gehirns kennzeichnet nicht nur den Menschen,

sondern auch viele Tierarten.

Das Ausmaß der Lateralisierung – also der

funktionellen Ungleichheit zwischen beiden

Hirnhälften – kann allerdings je nach Geschlecht

beträchtlich variieren: Während Männer sprach-

liche und räumliche Aufgaben stärker mit der

jeweils darauf spezialisierten Hirnhälfte bewäl-

tigen, scheinen Frauen dabei beide Hemisphä-

ren zu etwa gleichen Teilen einzusetzen. Das

weibliche Gehirn ist also funktionell symme-

trischer organisiert als das männliche (siehe

G&G 6/2003, S. 56). Dies zeigen auch moderne

Verfahren wie die Elektroenze phalografie (EEG)

oder die funktionelle Magnetresonanztomo-

grafie (fMRT).

Doch was verursacht diese Unterschiede in

der Symmetrie? Aus biologischer Sicht drängen

sich sofort Verdächtige auf: die Geschlechts-

hormone. Auch wenn Mann und Frau grund-

sätzlich über die gleichen Botenstoffe verfügen,

liegen sie doch in sehr unterschiedlichen Kon-

zentrationen vor. Männer zeigen hohe Spiegel

männlicher Sexualhormone – auch Androgene

genannt – mit dem prominentesten Vertreter

Testosteron. Auch Frauen besitzen diese Sub-

stanz, allerdings in viel geringeren Mengen. Als

wichtigste weibliche Hormone gelten dagegen

das zu den Östrogenen zählende Östradiol so-

wie das Progesteron.

Geschlechtshormone steuern in erster Linie

die Fortpflanzung. Im Gehirn, das sie über das

Blut erreichen, üben sie jedoch zahlreiche Ef-

fekte aus, die nicht unmittelbar mit Sexualität

zusammenhängen. Inzwischen mehren sich

Hinweise, dass die genannten Geschlechtsun-

terschiede in der Hirnasymmetrie zumindest

zum Teil hormonell verursacht sein könnten.

Um den Zusammenhang zwischen Hor-

monen und Hirnorganisation zu beleuchten,

eignen sich Männer nicht so gut als Versuchs-

personen, denn ihr Hormonspiegel bleibt trotz

tages- und jahreszeitlicher Schwankungen im

Großen und Ganzen ziemlich konstant. Frauen

zeigen hingegen im Lauf ihres Menstruations-

zyklus starke Veränderungen: In den Tagen der

Regelblutung produzieren sie nur geringe Men-

gen weiblicher Geschlechtshormone. Vor dem

Eisprung steigt dann der Östradiolgehalt stark

an, der Progesteronspiegel verharrt zunächst

weiter auf niedrigem Niveau. Erst nach dem

Eisprung erreicht Progesteron zusammen mit

einem zweiten Östradiolgipfel sein Maximum.

Am Ende des monatlichen Zyklus sinken beide

Hormonwerte wieder ab (siehe Kasten S. 62).

Diese natürlichen Schwankungen haben wir uns

in den letzten Jahren zu Nutze gemacht, um die

Auswirkungen der Sexualhormone auf die

funktionelle Hirnasymmetrie zu untersuchen.

Probandinnen im ZyklustestZunächst gingen wir bei unseren Untersu-

chungen von einem regelmäßigen Zyklus von

28 Tagen aus. Allerdings hält sich die Natur nur

selten an dieses strenge Lehrbuchschema – wir

mussten also die Hormonwerte unserer Pro-

bandinnen stets direkt messen, um deren Zy-

klusphase genau zu bestimmen. Dann ließen

wir die Frauen während ihrer Menstruation

(wenn die Hormongehalte niedrig lagen) sowie

nach dem Eisprung (mit hohen Hormonspie-

geln) verschiedene sprachliche und räumliche

Aufgaben lösen.

Um die funktionelle Hirnasymmetrie zu tes-

ten, setzten wir die Methode der visuellen Halb-

feldstimulation ein (siehe Kasten S. 63): Dabei

präsentierten wir auf einem Computermonitor

verschiedene Reize – Wörter oder geometrische

Figuren –, die für sehr kurze Zeit entweder im

rechten oder im linken Gesichtsfeld erscheinen

und damit nur von einer Hirnhälfte verarbeitet

werden können. Die Probandinnen sollten nun

möglichst schnell den jeweiligen Reiz mit

einem in der Bildschirmmitte präsentierten

Wort oder Muster vergleichen.

Wie erwartet zeigten die Frauen während ih-

rer hormonarmen Tage eine typisch männliche

Hirnasymmetrie. Im hormonellen Boom nach

dem Eisprung waren dagegen beide Hirnhälf-

Au f e i n en Bl ick

Flexible Asymmetrie

1 Die beiden Hirnhemi-sphären sind auf

unterschiedliche Aufgaben spezialisiert: Während die linke bei der Sprachverar-beitung dominiert, über-nimmt die rechte eher räumlich-geometrische Aufgaben.

2Geschlechtshormone beeinflussen den Grad

dieser Arbeitsteilung: Weibliche Gehirne zeigen bei niedrigem Hormon-spiegel (während der Menstruation) eine asym-metrische Organisation, wie sie auch für Männer typisch ist. Nach dem Ei- sprung, wenn die Hormon-werte ansteigen, wirken beide Hemisphären dage- gen stärker zusammen.

3 Nach der Menopause tritt die funktionelle

Hirnasymmetrie deutlicher hervor. Künstliche Hor-mongaben reduzieren dies.

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62 G&G 9_2009

Der erste Tag der Regelblutung gilt als Beginn des Menstruationszyklus der Frau. Während der Menstruation (1), die etwa vier bis fünf Tage dauert, liegen die Geschlechtshormone nur in geringen Konzentrationen vor. In der an-schließenden follikulären Phase reift eine Eizelle mitsamt umgebendem Nährgewebe, den Follikelzellen, die wiederum das Hormon Östradiol (Ö) ab-geben (2). Dabei verdickt sich die Schleimhaut der Gebärmutter; die Östra-diolkonzentration steigt kurz vor dem Eisprung (Ovulation) am 14. Tag auf ihr Maximum an. Jetzt reißt der Follikel und gibt die Eizelle frei (3). Während des Eisprungs stimuliert das Luteinisierende Hormon (LH) die Umwandlung des restlichen Follikelgewebes in den so genannten Gelbkörper (Corpus luteum), der wiederum in der lutealen Phase Progesteron (P) ausschüttet. Etwa sie-ben bis acht Tage nach dem Eisprung erreicht die Konzentration von Östra-diol zusammen mit der von Progesteron ihren zweiten Gipfel (4). Wurde die Eizelle nicht befruchtet, degeneriert der Gelbkörper in der prämenstruellen Phase, die Hormonkonzentrationen sinken wieder ab (5). Jetzt wird auch die Schleimhaut der Gebärmutter abgebaut, mit der einsetzenden Regelblu-tung beginnt ein neuer Zyklus. Er dauert im Schnitt 28 Tage, kann aber indi-viduell stark variieren.

Weibliche Rhythmen: Hormonschwankungen während des Menstruationszyklus

1 5 14

1

23

4

5

24 28menstruell

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rela

tive

Hor

mon

konz

entr

atio

n

follikulär Ovulation luteal prämenstruell

ten gleich stark aktiv. Die zerebrale Asymmetrie

schien sich vor allem nach dem Progesteron-

spiegel zu richten: Je höher die Konzentra tion

dieses Botenstoffs lag, desto symmetrischer,

also »weiblicher« arbeitete das Gehirn.

Können Hormone die Symmetrie der Hirn-

funktionen tatsächlich direkt beeinflussen?

Wie unser Gehirn arbeitet, sollte zunächst ein-

mal davon abhängen, wie die beiden Hemi-

sphären miteinander kommunizieren. Dies ge-

schieht hauptsächlich über den Balken, auch

Corpus callosum genannt, der mit mindestens

200 Millionen Nervenfasern erregende und

hemmende Signale in beide Richtungen über-

trägt (siehe Bild links). Und wahrscheinlich be-

stimmt insbesondere die gegenseitige Hem-

mung das Ausmaß der zerebralen Asymmetrie:

Werden dem Gehirn sprachliche Reize dargebo-

ten, übernimmt die linke Hirnhälfte die Ober-

hand, indem sie die Aktivität der rechten Seite

zügelt. Umgekehrt verhält es sich vermutlich,

wenn räumliche Reize wie beispielsweise geo-

metrische Figuren oder auch Gesichter erschei-

nen. Jetzt arbeitet in erster Linie die rechte He-

misphäre – und hemmt gleichzeitig ihr linkes

Pendant.

Zeitweilig gehemmtWir gehen nun davon aus, dass die weiblichen

Geschlechtshormone diese Hemmprozesse ih-

rerseits vermindern, so dass die beiden Hemi-

sphären quasi »gleichberechtigt« agieren – das

Gehirn arbeitet symmetrischer. Unsere Experi-

mente mit der visuellen Halbfeldtechnik erlau-

ben jedoch nur indirekte Hinweise darauf, dass

Hormone auf die neuronale Kommunikation

einwirken. Um zu sehen, was wirklich im Ge-

hirn geschieht, haben wir 2008 zusammen mit

Susanne Weis und ihren Kollegen von der Rhei-

nisch-Westfälischen Technischen Hochschule

Aachen eine so genannte funktionelle Konnek-

tivitätsanalyse per fMRT durchgeführt: Wäh-

rend unsere Probandinnen wiederum sprach-

liche und räumliche Aufgaben bewältigten,

zeichnete der Hirnscanner die Aktivitäten in

ausgesuchten Gebieten der jeweiligen Hemi-

sphären auf.

Dabei offenbarte sich, dass Bereiche des

Frontallappens der sprachdominanten linken

Hirnhälfte tatsächlich entsprechende Areale

auf der rechten Seite hemmten – allerdings nur

während der Menstruation. In dieser Phase ar-

beiteten die Gehirne der Frauen eher asym-

metrisch, also »männlicher« (siehe Bild S. 64).

Wenige Tage vor dem Eisprung, wenn der Öst-

VerdrAhtetrechte und linke hirnhälfte kommunizieren miteinander über nervenfaserbündel, so genannte Kommissuren. die mächtigste dieser Quer­verbindungen ist der Balken (corpus callosum).M

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Mit der visuellen Halbfeldstimulation lässt sich bei gesunden Menschen die funktionelle Hirnasymmetrie testen: Die Pro-banden fixieren die Mitte eines Computermonitors, wo zu-nächst zentral ein Wort oder eine geometrische Figur auf-taucht (siehe Bild oben links). Nach einer kurzen Pause erscheint ein neuer Reiz – und zwar so, dass er entweder im rechten oder im linken Gesichtsfeld wahrgenommen wird. Da sich die Seh-bahnen im Gehirn überkreuzen, verarbeitet zunächst nur die

Hemisphäre, die der Präsentationsseite gegenüberliegt, diesen Stimulus (oben rechts). Die Versuchsperson soll möglichst schnell entscheiden, ob das aktuell wahrgenommene Objekt gleich (G) oder ungleich (U) zum zuvor gesehenen war.

Typischerweise erkennen wir Wörter schneller, wenn sie im rechten Gesichtsfeld auftauchen und damit direkt in die linke Hirnhälfte gelangen; bei räumlichen Mustern verhält es sich umgekehrt.

Einseitige Betrachtung: die visuelle Halbfeldstimulation

radiolspiegel deutlich ansteigt, nimmt diese

Hemmung dagegen deutlich ab – die Versuchs-

personen offenbaren jetzt eine typisch weib-

liche symmetrische Hirnorganisation. Dies be-

stätigt unsere Annahme, dass Sexualhormone

die Kommunikation zwischen den beiden Hirn-

hälften beeinflussen und darüber das Ausmaß

der zerebralen Asymmetrien verändern.

Auf gute ZusammenarbeitTrotz dieser gegenseitigen Hemmung agieren

rechte und linke Seite unseres Denkorgans kei-

neswegs gegeneinander; vielmehr können und

müssen sie zusammenwirken. Schließlich stößt

die dominierende Hirnhälfte bei schwierigen

Problemen schnell an ihre Kapazitätsgrenzen.

Wenn sich die beiden Hemisphären die Arbeit

teilen und ihre Informationen über den Balken

austauschen, kann das Gehirn auch bei hö-

heren Anforderungen schnell und effizient zu

einer Lösung gelangen.

Um das Ausmaß dieser interhemisphäri-

schen Integration zu bestimmen, zeigten wir

2008 unseren Probandinnen abermals ver-

schiedene Objekte, die sie mit einem zentral

präsentierten Reiz vergleichen sollten. Der Clou

diesmal: Die Versuchspersonen sahen jeweils

nur Teilbilder in der linken und rechten Ge-

sichtsfeldhälfte. Die beiden Hirnhälften muss-

ten also miteinander kommunizieren, um

schnell zu entscheiden, ob die Objekte überein-

stimmten. Dabei offenbarten sich wiederum

Schwankungen im Monatszyklus: Nach dem Ei-

sprung – wenn die Hormonwerte hoch sind –

kooperierten die beiden Hemisphären beson-

ders intensiv.

Ein direkter Beweis dafür, dass Hormone die

dynamischen Veränderungen in der funktio-

Zeit

Zeit

Chance

Chance

G GU U

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64 G&G 9_2009

nellen Hirnorganisation auslösen, sind diese

Experimente allerdings immer noch nicht.

Schließlich geht der Menstruationszyklus mit

einer ganzen Palette von physiologischen und

psychologischen Veränderungen einher. Daher

erweiterten wir den Personenkreis unserer Ver-

suchspersonen und zogen nun auch Frauen hin-

zu, die bereits die Wechseljahre hinter sich hat-

ten. Manche von ihnen nahmen Östrogene und

Gestagene ein, um negative Symptome wie Hit-

zewallungen, Schlafstörungen oder Knochen-

schwund zu vermeiden, welche den allmäh-

lichen Rückgang des Östradiol- und Progeste-

ronspiegels begleiten können. Diese Hormon-

ersatztherapie, die allerdings auf Grund ihrer

Nebenwirkungen umstritten ist, gibt Neurowis-

senschaftlern die Gelegenheit, die Wirkung der

von außen zugeführten Stoffe zu untersuchen.

Tatsächlich zeigten unsere 2009 veröffent-

lichten Ergebnisse, dass Frauen nach der Meno-

pause, sofern sie keine Hormonpräparate ein-

nahmen, sprachliche oder räumliche Aufgaben

vorwiegend mit einer Hirnhälfte lösten – ähn-

lich wie Frauen während der Monatsblutung

oder auch Männer. Dieses Muster verändert

sich auch bei nach zwei bis drei Wochen wieder-

holten Tests bei den älteren Frauen kaum – of-

fensichtlich auf Grund der stabil bleibenden

Hormonspiegel.

Nicht besser, aber andersDiese Asymmetrie verschwand jedoch fast voll-

ständig bei Probandinnen, denen eine Hormon-

ersatztherapie verordnet worden war: Dann zeig-

ten ihre Gehirne eine ähnlich symmetrische Ar-

beitsweise wie bei jüngeren Geschlechtsgenos-

sinnen während der hormonreichen Zyklusphase.

Der Effekt trat besonders stark bei Frauen auf, die

Östrogene einnahmen. Weitere Studien ergaben,

dass sich dabei insbesondere die Leistung der

rechten Hirnhälfte veränderte. Die Kommunika-

tion zwischen den beiden Hemisphären scheint

jedoch – im Gegensatz zu unserem Befund bei

jüngeren Frauen – im Alter hormonell verhält-

nismäßig unbeeinflusst zu bleiben.

Bereits in den 1990er Jahren fanden Hirnfor-

scher Hinweise darauf, dass mit zunehmendem

Alter Areale im rechten Scheitel- und Hinter-

In den Diskussion um psychologische Unterschiede zwischen den Ge-schlechtern und die jeweiligen Vorlieben von linker und rechter Hirnhälfte kursieren viele Mythen und Missverständnisse. Neuropsychologische Expe-rimente ergeben zwar häufig hemisphärisch ungleich verteilte Aktivität im Gehirn, so genannte Lateralisierungen: So scheint das rechte Frontalhirn stärker an emotionalen Reaktionen beteiligt zu sein als das linke, und der rechte Scheitellappen wird besonders beim Verarbeiten von Zahlen sowie räumlichen Informationen aktiv. Demgegenüber sitzen in der linken Hirn-hälfte die neuronalen Sprachzentren.

Messungen der Hirnaktivität mittels bildgebender Verfahren betrachten allerdings immer nur die »Spitze des Eisbergs« – das heißt, sie offenbaren jene Hirnregionen mit der stärksten Aktivität bei einer gegebenen Aufgabe. Das bedeutet keinesfalls, dass das übrige Gehirn schweigt. Rechte und linke Hemisphäre arbeiten vielmehr stets Hand in Hand und ergänzen einander. Von einer »emotional-ganzheitlichen« rechten Hirnhälfte im Gegensatz zur »logisch-analytischen« linken zu sprechen, geht also an der Realität vorbei.

Ähnliches gilt für Geschlechterdifferenzen auf psychologischer Ebene. In entsprechenden Subkategorien von Intelligenztest schneiden Männer statis-tisch gesehen zwar bei räumlich-konstruktiven Problemen eher etwas bes-ser ab als Frauen. Diese wiederum haben in sprachlichen Untertests häufig die Nase vorn. Solche Unterschiede fallen jedoch erstens gering aus – zwei beliebig ausgewählte Personen gleichen Geschlechts schneiden meist weit unterschiedlicher ab als im statistischen Vergleich von Mann und Frau. Zwei-tens lassen derartige Differenzen keinerlei Aussage über einzelne Menschen zu (siehe auch G&G 5/2009, S. 14). Die Tücke der Statistik besteht darin, dass wir ihre Ergebnisse allzu schnell pauschalisieren. (sa)

Lechts und rinks: Mythen ums Gehirn

MonAtliche heMMungAreale des linken Frontalhirns regen sich bei der Verarbeitung von sprache (rot). gleichzeitig werden die entsprechenden gebiete der rechten seite ge­ hemmt (gelb). Während männ­ liche gehirne diese hirnasym­metrie konstant zeigen, tritt sie bei Frauen nur während der Menstruation auf.

Mit

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8)

Page 61: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

literAturtipplautenbacher, s. et al. (hg.): Gehirn und Geschlecht. neu-rowissenschaft des kleinen unterschieds zwischen frau und Mann. springer, heidel-berg 2007.Markus Hausmann, Onur Güntürkün und Stefan Lau- tenbacher stellen die Unter-schiede zwischen Männer- und Frauengehirnen vor.

originalquellen finden sie im internet unter:www.gehirn-und-geist.de/artikel/1001597

hauptslappen, die insbesondere visuelle Reize

verarbeiten, an Leistungsfähigkeit verlieren.

Als Kompensation könnte das Gehirn die Stra-

tegie entwickelt haben, bereits bei leichteren

kognitiven Problemen in stärkerem Maß über

den Balken Informationen auszutauschen, um

so beide Hirnhälften einsetzen zu können. Da-

durch lassen sich altersbedingte kognitive Defi-

zite recht gut ausgleichen.

Was bedeuten nun die hormonell bedingten

Veränderungen im Gehirn für den Alltag?

Bringt ein mehr oder weniger symmetrisch or-

ganisiertes Gehirn Vorteile für seinen Besitzer?

Diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantwor-

ten, da beide Organisationsformen ihre Trümp-

fe ausspielen könnten: In einem asymmetrisch

organisierten Gehirn wirken benachbarte Hirn-

areale eng zusammen. Die Informationen kön-

nen daher auf kurzen Wegen untereinander

ausgetauscht werden – das Gehirn sollte da-

durch rascher arbeiten als ein eher symme-

trisch organisiertes Denkorgan. Dieses wiede-

rum dürfte störungsfreier funktionieren, da

beide Hirnhälften an der Problemlösung mit-

wirken, so dass die eine Hälfte ein potenzielles

Manko der anderen teilweise ausgleichen kann.

Mit anderen Worten: Für die Asymmetrie

spricht höhere Geschwindigkeit, für die Sym-

metrie eine geringere Fehleranfälligkeit. Wel-

che Strategie besser ist, hängt von der jewei-

ligen Situation ab.

Zu bedenken ist auch, dass unsere Tests kei-

neswegs typische Alltagsaufgaben wie Autofah-

ren, Einkaufen oder Briefeschreiben widerspie-

geln. Daher lassen sich ihre Ergebnisse auch

nicht so ohne Weiteres verallgemeinern! Ob

»weibliche« Gehirne je nach Hormon spiegel be-

stimmte Probleme besser oder schlechter mei-

stern, kann also niemand pauschal beantworten.

Sicher bleibt nur eins: Es verändert sich die Art

und Weise, wie sie die Aufgaben angehen. Ÿ

Markus Hausmann ist promovierter Biopsychologe und forscht an der Durham University in Großbri-tannien. Ulrike Bayer ist promovierte Biopsychologin und Mitarbeiterin in Hausmanns Arbeitsgruppe.

www.gehirn­und­geist.de/audio

AZ "G&G" Symposium2009 210x143 03-2009.indd 1 27.05.2009 15:53:53 Uhr

Page 62: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

66 G&G 9_2009

besser denken – PraxistiPPs von trainern und beratern

richtiG fördern

CoaChing statt naChhilfeEin neuer Ansatz der Trainer Alexander Christiani und Jürgen Hoffmann nutzt bewährte

Methoden der Erwachsenenbildung, um Kinder und Jugendliche in der Schule und bei den

Hausaufgaben zu unterstützen. Sie machen Eltern zu erfolgreichen Coachs ihrer Sprösslinge.

Von AlexAnder christiAni und JürGen hoffmAnn

Kinder sind die Zukunft unseres

Landes – ihre Ausbildung stellt daher

eine äußerst wichtige gesellschaftliche

Aufgabe dar. Doch steckt unser Schulsys­

tem seit Jahren in der Krise, wie die Pisa­

Studien und zuletzt die bundesweiten

Bildungsproteste gezeigt haben. Wo die

Politik versagt, sind die Eltern gefordert.

Deren Engagement ist inzwischen zum

entscheidenden Faktor für den schuli­

schen Erfolg der meisten Kinder und Ju­

gendlichen in Deutschland geworden.

Um die Chance ihrer Sprösslinge auf

eine viel versprechende berufliche Karri­

ere zu vergrößern, geben Eltern hier zu

Lande jedes Jahr rund eine Milliarde Euro

für professionelle Nachhilfe aus. Häufig

ist dabei gar nicht die Versetzung akut ge­

fährdet; den meisten Eltern geht es um

eine nachhaltige Verbesserung des Noten­

durchschnitts.

Dabei besitzen Kinder eine angebore­

ne Lernmotivation und eignen sich neues

Wissen und neue Fertigkeiten oft viel

schneller an als Erwachsene. Nur macht

der Schulalltag es ihnen oft schwer, dieses

Potenzial zu realisieren. Hier bietet un­

sere Initiative »LIFE’S’COOL« eine Alter­

native zum herkömmlichen Nach hilfe­

unterricht. Das Trainingsprogramm gibt

den Eltern bewährte Lern­ und Motiva­

tionsmethoden aus der Erwachsenenbil­

dung an die Hand, damit sie ihren Kin­

dern das vermitteln können, was in erster

Linie den Schulerfolg ausmacht: Freude

am Lernen und ein effektiver Gebrauch

der eigenen Lernbegabung.

1) Lernen Die richtige Lerntechnik verhilft zu

schnelleren Erfolgen, und diese fördern

die Freude am Lernen. Damit Eltern das

Lerntalent ihrer Kinder bewahren und

fördern können, sollten sie sich in einem

ersten Schritt die notwendigen Techni­

ken am besten selbst aneignen. Dann

können sie im Familienalltag vormachen,

wie man Sachverhalte schnell und nach­

haltig verinnerlicht.

Bewährt sind Merkwortsys teme, die

in kürzester Zeit ermöglichen, beispiels­

weise die 50 Bundesstaaten der USA oder

die Opern von Richard Wagner auswen­

dig zu lernen. Hierbei werden den Zahlen

Bilder zugeordnet, die sich mit ihnen

leicht assoziieren lassen: Die Eins wird

zum Leuchtturm, die Zwei zum Schwan,

die Drei zur Brille, die Vier zum Stuhl und

so fort (siehe G&G 6/2003, S. 86). Um sich

neue Fakten einzuprägen, werden diese

mit den Bildern in Verbindung gebracht.

Hierbei gilt: Nicht lange nachdenken,

sondern sich den Zusammenhang ein­

prägen, der spontan vor dem inneren

Auge entstanden ist.

Angenommen, Sie möchten sich die

Opern Richard Wagners (ohne die bei­

den Frühwerke) in der Reihenfolge der

Ent stehung merken. »Rienzi« steht

dann etwa auf dem Leuchtturm, »Der

fliegende Holländer« reitet auf dem

Rücken des Schwans, beim »Tannhäuser«

schmücken Tannen die Brille, »Lohen­

grin« sitzt auf dem Stuhl und so weiter.

Erfolgreiche Lerntechniken fördern das

assoziative Denken, da sie Begriffe und

Bilder mit einander verknüpfen und da­

mit beide Gehirnhälften gleichmäßiger

bean spruchen.

Auch so genannte Mind Maps (siehe

G&G 10/2006, S. 74) nutzen beide Gehirn­

hälften, da sie Begriffsbeziehungen visu­

alisieren. Ein zentrales Thema steht im

Mittelpunkt, als Ausgangspunkt für da­

mit in Verbindung stehende Begriffe, die

in abzweigenden Haupt­ und Unterästen

Das Engagement der Eltern ist ein entscheidender Faktor für den Schulerfolg

Page 63: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

www.gehirn-und-geist.de 67

Gehirn&Geist / AndreAs rzAdkowsky

»du schaffst das!«Kompetente förderung durch die Eltern kann teure Nachhilfekurse überflüssig machen. dazu gehören Lerntechniken, Motivationshilfen und die richtige ansprache.

eingefügt werden (siehe Grafik S. 68). So

entsteht ein Netz zusammenhängender

Informationen. Bereits Grundschulkinder

können ihren Unterrichtsstoff mit Hilfe

einfacher Mind Maps strukturieren, an­

wenden und sich einprägen.

Zudem steigert ein schnelleres Lese­

tempo den Lernerfolg von Kindern. Schon

in den ersten Klassen lässt es sich spiele­

risch schrittweise erhöhen. Dabei geht

der Zeitgewinn keineswegs auf Kosten

des Textverständnisses. Im Gegenteil –

wer schneller liest, kann auch mehr be­

halten. Für ein höheres Lesetempo gilt es

vor allem, Bremsen in der Körpermotorik

zu lösen. Statt mit dem Finger an der Zei­

le entlangzufahren und das Geschrie ­

bene in Gedanken mitzusprechen, muss

man versuchen, möglichst viel Text mit

einem Blick zu erfassen und Wörter sowie

Sätze als Bilder wahrzunehmen (siehe

G&G 6/2005, S. 74). Eltern sollten mit ih­

ren Kindern versuchen, jeden Tag die pro

Minute gelesene Textmenge um fünf

Wörter zu steigern.

2) Motivation Die Vermittlung effizienter Lerntechni­

ken nutzt freilich wenig, wenn die Kinder

einfach keine Lust haben, zu lernen. Stän­

Page 64: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

68 G&G 9_2009

dige Ermahnungen (»Mach jetzt endlich

deine Hausaufgaben«) sind ebenso kon­

traproduktiv wie gut gemeinte Beste­

chungsversuche (»Wenn du jetzt die Vo­

kabeln lernst, darfst du …«). Ein guter

Coach dagegen braucht seine Schützlinge

gar nicht immer anzutreiben, da diese

sich freiwillig anstrengen.

Um dieses Ziel zu erreichen, müssen

Eltern herausfinden, was ihren Nach­

wuchs am ehesten motiviert. Und das

hängt wiederum damit zusammen, über

welchen Informationskanal die Kinder

am leichtesten lernen: auditiv, visuell,

kommunikativ oder motorisch (siehe

Kasten rechts).

Oft haben Eltern aber Schwierigkeiten,

dies zu bestimmen, da ihnen die nötige

Distanz fehlt; dann hat es sich bewährt,

Großeltern oder andere Verwandte mit

häufigem Kontakt zu den Kindern da­

nach zu fragen. Deren Beobachtungen

wie »Marie singt und tanzt den ganzen

Tag« (motorisch), »David ist ein richtiger

Bücherwurm« (visuell), »Michael ist der

große Sandkastenorganisator« (kommu­

nikativ) geben meist klare Hinweise auf

den Lerntyp des Kindes. Natürlich pfle­

gen viele Menschen durchaus zwei oder

mehrere Lernstile, aber häufig dominiert

einer davon.

Danach geht es daran, die kindlichen

Hauptmotivatoren zu ermitteln. Grund­

sätzlich hat jeder Mensch die Fähigkeit,

sich selbst zu motivieren – fast wie auf

Knopfdruck. Wir alle haben Denk­ und

Gefühlsgewohnheiten, die sich nutzen

lassen, um uns zu begeistern und anzu­

treiben. Eltern können diese Motivatoren

gezielt ansprechen – beispielsweise bei

Kindern, die stark auf Herausforderungen

reagieren. Werden diese mit dem Satz

»Das schaffst du nie« konfrontiert, setzen

sie meist alles daran, das Gegenteil zu be­

weisen. Andere orientieren sich an Vor­

bildern, die etwas erreicht haben, was sie

selbst anstreben, etwa der beste Freund,

der ältere Bruder oder der Vater. Diese

stacheln den inneren Antrieb an, nach

dem Motto: »Was der kann, kann ich

auch!«

Wieder andere Kinder brauchen als

Ansporn die Dynamik einer Gruppe. Hier

lässt die Verpflichtung gegenüber dem

Team innere Widerstände überwinden

und treibt zu Höchstleistungen an. Die

unterschiedlichen Motivatoren korres­

pon dieren oft mit einzelnen Lernstilen.

So dürfte das letztgenannte Beispiel dem

kommunikativen Lerntyp entsprechen.

Anhand eines eigens entwickelten Fra­

genkatalogs, der unter www.lifescool.de

kostenlos abrufbar ist, können Eltern ein

ganz individuelles Motivationsrezept für

jedes ihrer Kinder erstellen. Das erleich­

tert nicht nur die Bewältigung der schu­

lischen Aufgaben, sondern schafft auch

eine gute Basis für ein ausgegliche nes Fa­

milienleben, da häusliche Regeln leichter

eingehalten werden.

3) Kommunikation

Oft stoßen jedoch Vorschläge der Eltern

beim Kind auf Ablehnung, etwa wenn

LaNdKartE dEs dENKENsMind Maps helfen bereits Grundschulkindern, ein thema zu strukturieren und sich wichtige Zusammenhänge einzuprägen. hier ein von einem schüler angefertigtes Beispiel.

Blutkreislauf

Kinder kriegen

sehen

Riechen

fühlenPickel

liebe, Mitgefühl

Blut waschen

schmerzlustKälteWärme

nährstofftransport

immunsystemschutz vor Krankheiten

alkohol

Wirbelsäule

augen

nase

haut

Becken

Brustkorb

nachdenken

nervenzellen

sinne

Beugemuskel

streckmuskel

KReislaUflymphsystem

Blutkreislauf

nerven

sKelett

DER KÖRPER

oRganenieren

leber

herz

MUsKeln

gehiRn

68 G&G 9_2009

Page 65: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

Wie lernt mein Kind?

DER auDitivE LERntyP nimmt lerninhalte und informationen bevorzugt über das gehör auf, auch etwa, indem er sich texte selbst laut vorliest. Diese Menschen kön-nen besonders gut mündliche aufgaben absolvieren und texte auswendig lernen, sind meist sehr eloquent und verfolgen gern gespräche, hören Vorträge oder auch Musik. Zum lernen brauchen sie aber eine ruhige Umgebung, nebengeräusche stö-ren die Konzentration.

DER visuELLE LERntyP begreift lerninhalte, indem er sich davon ganz wörtlich ge-nommen ein Bild macht. er nimmt informationen durch lesen und Beobachten auf, sucht nach Veranschaulichungen durch filme oder grafiken, achtet auf formen und farben. schriftliche aufgaben liegen ihm mehr, notizen sind für ihn unverzichtbare hilfsmittel, um informationen zu verarbeiten und zu behalten. Der visuelle lerntyp braucht eine geordnete und aufgeräumte lernumgebung, nicht das kreative Chaos.

DER KoMMuniKativE LERntyP benötigt zum effektiven lernen einen Partner. er sucht das gespräch und die Diskussion, um lerninhalte sprachlich zu erfassen, zu hinterfragen, zu erläutern. seine stärke ist die gesprächsrunde, die öffentliche Dis-kussion.

DER MotoRischE LERntyP muss sich in den lernprozess körperlich einbringen. er will Dinge anfassen und selbst ausprobieren. lernen löst bei ihm einen Bewegungs-drang aus; er unterstreicht Worte und Reden mit ausholender gestik. Wie der kom-munikative typ bevorzugt er gesellschaft beim lernen, und zwar aktive Partner, die wie er selbst informationen motorisch aufnehmen und verarbeiten.

dabei nicht der richtige Ton getroffen

wurde. Nur ein positiver Gesprächsstart

ermöglicht eine zielführende Kommuni­

kation! Eltern müssen lernen, die Koope­

ration ihres Nachwuchses zu gewinnen.

Hierfür sollten sie nicht ihre eigene Ab­

sicht ins Zentrum der Ansprache stellen

(»Du sollst jetzt endlich die Hausaufga­

ben machen!«), sondern sich überlegen,

mit welchen Worten sie am besten die ge­

wünschte Reaktion der Kinder erreichen

können.

Ganz allgemein können Eltern mit

den richtigen Formulierungen erstaun­

liche Veränderungen im Verhalten ihrer

Sprösslinge erzielen. Zum Beispiel: Statt

den bewegungslustigen Sohn zu ermah­

nen, wenn er mal wieder Sonntag früh

morgens die Treppe hinuntergetrampelt

ist und dabei alle anderen aufgeweckt

hat, sollte man ihn fragen, wie es sich sei­

ner Ansicht nach ermöglichen ließe, dass

der Rest der Familie am Wochenende aus­

schlafen kann. So lassen sich ganz unter­

schiedliche Konflikte innerhalb der Fami­

lie klären und entschärfen, auch Streitig­

keiten zwischen Geschwistern. Sogar das

leidige Problem der Hausaufgaben ist auf

diese Weise meist lösbar. Zum Beispiel,

indem die Eltern den Nachwuchs in die

Entscheidung einbinden, wann wichtige

Schulaufgaben zu erledigen sind – etwa

vor oder nach einem anstrengenden Fuß­

ballspiel mit Freunden.

Kinder dürfen ruhig selbst die Erfah­

rung machen, wann der Lernerfolg grö­

ßer für sie ist. Eltern sollten Angebote

machen, Vorschläge unterbreiten, Alter­

nativen aufzeigen, aber nicht einfach

diktatorisch bestimmen. Denn die Kin­

der müssen selbst ausprobieren, was für

sie gut ist. Dann können sie auch selbst­

ständig zur richtigen Einsicht gelangen,

wenn sich der Erfolg einmal nicht ein­

stellt. Ÿ

Alexander Christiani ist Coach und Trainer, Jürgen Hoffmann Unternehmensberater. Beide sind Väter von jeweils drei Jungen, die ihre Schullaufbahn gerade abgeschlossen haben beziehungsweise kurz vor dem Ab-schluss stehen.

www.gehirn-und-geist.de

Page 66: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

70 G&G 9_2009

auf sendung

SamStag, 15. auguStDeutschlands größter Gedächtnistest

Wie kann man lernen, Namen, Gesichter

oder Zahlen besser zu behalten? Die Sen-

dung präsentiert Tests des Lang- und

Kurzzeitgedächtnisses und stellt wissen-

schaftlich fundierte Methoden vor, um

die eigene Merkfähigkeit zu steigern.

NDR, 21.45 Uhr

Sonntag, 16. auguStPhilosophie der Gefühle (5/5)

Herzensbildung: Vom Wesen der Gefühle

Heutzutage »fühlt es überall«, sagt Ute

Frevert, Direktorin am Max-Planck-Ins-

titut für Bildungsforschung in Berlin. Im

Medienzeitalter habe jeder die Möglich-

keit, Emotionen effektvoll zu inszenie-

ren. Monika Maria Trost fragt nach: Gibt

es überhaupt noch »echte Gefühle«?

3sat, 9.15 Uhr

DienStag, 18. auguStMessies: Leben im Chaos

Die Sammelleidenschaft von »Messies«

kann extreme Ausmaße annehmen (sie-

he auch G&G 7-8/2009, S. 20). Anett

Wundrak und Birgit Mittwoch beglei-

teten zwanghafte Horter durch ihr häus-

liches Chaos und befragten Experten,

welche Ursachen diese psychische Stö-

rung haben kann.

MDR, 20.45 Uhr

mittwoch, 19. auguStJungs auf der Kippe

Jungen sind die neuen Sorgenkinder, die

Verlierer – vor allem auf dem Arbeits-

markt. Elf Prozent scheitern schon am

Schulabschluss. Die Dokumentation geht

den Ursachen dafür auf den Grund: Wird

das angeblich so starke Geschlecht heute

vernachlässigt?

Phoenix, 12.30 Uhr

Freitag, 21. auguStDem Schmerz auf der Spur

Allein 2008 stieg die Zahl der Schmerz-

patienten um 20 Prozent auf zehn Mil-

lionen. Neue Untersuchungen zeigen:

Chronischer Schmerz ist ein erlerntes

Verhalten, ein in Körper und Geist ab-

gespeichertes Programm. Der Film von

Antje Schmidt beleuchtet aktuelle Er-

kenntnisse der Schmerzforschung.

3sat, 10.15 Uhr

Heilung durch Hypnose –

Neue Erfolge einer alten Therapie

Hypnose kann Angst nehmen, Geburts-

schmerzen lindern und sogar bei Opera-

tionen helfen, und das ganz ohne me-

dienträchtigen Hokuspokus. Was passiert

dabei im Gehirn? Lässt sich der Mensch

einfach »umprogrammieren«, und wel-

che Gefahren drohen dabei?

3sat, 11 Uhr

Planet Wissen

Auf der Suche nach dem Glück

Die meisten Menschen wünschen sich

mehr Erfolg, mehr Geld, mehr Freunde.

Ihr Ziel: dem Glück näherzukommen.

Doch was macht uns überhaupt glück-

lich? Die Sendung stellt das »Lustzen-

trum« im Gehirn vor und spürt den viel-

fältigen Wirkungen des Botenstoffs Do-

pamin nach.

Bayerisches Fernsehen, 12.30 Uhr

Nachtcafé

Glaube und Religion – Alles reiner

Selbstbetrug?

Dass der Glaube sogar Berge versetzen

kann, weiß der Volksmund schon lange.

Doch inzwischen behaupten auch seriöse

Wissenschaftler, dass Religiosität beim

Überwinden von Krankheiten hilft. Gäste

der Sendung sind unter anderem der Im-

munologe Beda Stadler von der Uni-

versität Bern sowie Nikolaus

Schneider, Vorsitzender der

evangelischen Kirche im

Rheinland.

SWR, 22 Uhr

Sonntag, 23. auguStFuture Kids (1/10)

Bildung in der frühen Kindheit

Kinder sind unsere Zukunft – deshalb hat

die frühkindliche Bildung eine immer

größere Bedeutung. Der bayerische Bil-

dungsplan sieht sogar vor, Naturwissen-

schaften schon in Krippen und Kinder-

tagesstätten zu vermitteln. Auch Hirn-

und Entwicklungsforscher haben längst

erkannt: Kleinkinder sind keine »leeren

Blätter«, die man beschreiben kann, son-

dern entdecken die Welt aktiv.

Bayerisches Fernsehen, 9.35 Uhr

SamStag, 29. auguStIch verstehe, was du fühlst

Der preisgekrönte Film von Gunther

Franke schildert den Umgang mit alten

und verwirrten Menschen.

3sat, 13.15 Uhr

montag, 31. auguStSchreiende Seelen

Die Posttraumatische Belastungs-

störung (PTBS)

Wer Extremsituationen erleben musste,

hat oft noch lange Zeit darunter zu lei-

den. Der Film befasst sich mit der Ver-

breitung Posttraumatischer Belastungs-

störungen unter Bundeswehrsoldaten.

Zu Wort kommen Betroffene und ihre

Angehörigen, Experten und Vertreter des

Militärs.

3sat, 18 Uhr

DienStag, 1. SeptemberGrenzen der Zeit

Zeit wird höchst subjektiv empfunden:

Aus dem Blickwinkel einer Fliege agieren

Menschen wie in Zeitlupe; umgekehrt

muss der Mensch Hochgeschwindigkeits-

kameras einsetzen, um die Flugmanöver

des Insekts zu verstehen. Mit extremen

Wechseln von Tempo und Perspektive

gibt der Film unerwartete Einsichten in

die Welt jenseits unserer alltäglichen

Zeitwahrnehmung.

3sat, 10.15 Uhr

Themenabend

Auf Kosten der Gesundheit

Auch ökonomisch gesehen richten Krank-

heiten großen Schaden an: Je mehr Be-

handlungen finanziert werden müssen,

Page 67: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

RadiotippsDienStag, 11. auguStZeig mir dein Gesicht und ich sage dir,

wer du bist!

Oft glauben wir schon auf den ersten

Blick zu wissen, ob wir jemanden sym-

pathisch finden oder nicht. Aber liegen

wir damit auch tatsächlich richtig?

Dieses Feature erklärt, wie sehr wir

unseren intuitiven Urteilen vertrauen

können.

Nordwestradio, 19.05 Uhr

Freistil

Von Lust und Frust des Kaufens

In der bunten Warenwelt gibt es ganz

unterschiedliche Typen von Käufern:

Die Bandbreite reicht von den Shop-

ping-Begeisterten über Gelegenheits-

käufer oder Schnäppchenjäger bis hin

zu den völligen Konsummuffeln. Eine

kleine Alltagspsychologie des Kaufens.

(Siehe auch den Artikel ab S. 14 in diesem

Heft.)

Deutschlandfunk, 20.05 Uhr

Sonntag, 23. auguStForschung aktuell

Von wegen Spatzenhirn

Volkart Wildermuth über kluge Vögel

und die Evolution der Intelligenz.

Deutschlandfunk, 16.30 Uhr

Freistil

Benehmen Sie sich!

Der »Benimm-Knigge« macht’s mög-

lich: Wie man mit guten Manieren durch

schlechte Zeiten kommt.

Deutschlandfunk, 20.05 Uhr

DienStag, 25. auguStNeurochirurgie – Der Schnitt in Hirn

und Rückenmark

Die Arbeit von Neurochirurgen besteht

nicht nur aus spektakulären Fällen: Rü-

ckenmarksverletzungen zählen genauso

dazu wie Missbildungen, Blutungen und

Gefäßanomalien. Eine Reportage aus

der Universitätsklinik Heidelberg.

Deutschlandfunk, 10.10 Uhr

DonnerStag, 27. auguStWissenswert

Stottern – wenn die Sprache hängt

Für Stotterer gibt es mittlerweile viel-

fältige Hilfs- und Behandlungsangebote.

Die »Kasseler Therapie« nutzt jetzt so-

gar Erkenntnisse der Hirnforschung: Da-

bei werden gezielt ganz bestimmte Are-

ale im Denkorgan stimuliert, die offen-

sichtlich für den normalen Redefluss

von Bedeutung sind.

hr2 Kultur, 8.30 Uhr

SamStag, 5. SeptemberGesundheitsgespräch

Spitzenmedizin direkt –

Psychoonkologie

Zwei Mediziner der Ludwig-Maximili-

ans-Universität München im Gespräch

über die psychischen Auswirkungen ei-

ner Krebsdiagnose und -therapie. (Siehe

auch das Spezial zum Thema ab S. 36 in

diesem Heft.)

Bayern2, 12.05 Uhr

Page 68: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

72 G&G 9_2009

Termine

26. – 30. auguSt, brixen / italien37. Interdisziplinärer Herbst-

Seminar-Kongress für Sozialpädiatrie –

Entwicklung, Intervention, Prävention

Information: Deutsche Akademie für

Entwicklungsförderung und Gesundheit

des Kindes und Jugendlicher e. V.,

Heiglhofstr. 63, 81377 München

Telefon: +49 89 724968-0, Fax: -20

E-Mail: [email protected]

www.akademie-muenchen.de

9. September, KaiSerSlautern Podiumsdiskussion: Die Rolle der

Hirnforschung in der Entwicklungs-

und Lernpsychologie –

Zwischen Euphorie und Ablehnung

Eine Veranstaltung im Rahmen der

Initiative »Psychologie und Zukunftsfra-

gen«, Fruchthallstr. 6, 67653 Kaisers-

lautern, mit einem Eröffnungsvortrag

von Uta Frith, London

Beginn: 19.30 Uhr

Information: Dr. Claudia Steinbrink,

Telefon: +49 631 205-3441

E-Mail: [email protected]

www.sowi.uni-kl.de/wcms/dgps-podium.

html

11. – 15. September, Freiburg81. Verhaltenstherapiewoche:

Psychotherapeutische und psycho-

soziale Versorgung von Migranten

Information: Institut für Therapie-

forschung (IFT),

Ellen Andersson, Montsalvatstr. 14,

80804 München

Telefon: +49 89 360804-94, Fax: -98

E-Mail: [email protected]

www.ift.de

12. – 16. September, erFurtErfurter Psychotherapiewoche:

Anything goes? Möglichkeiten und

Grenzen (nicht nur) von Psychotherapie

Information: Organisationsbüro der

Erfurter Psychotherapiewoche,

Fischmarkt 5, 99084 Erfurt

Telefon: +49 361 64224-48, Fax: -49

E-Mail: [email protected]

www.psychotherapie-woche.de

16. – 19. September, Köln2. Deutscher Suchtkongress

Veranstaltungsort: Fachhochschule Köln,

Geisteswissenschaftliches Zentrum,

Mainzer Str. 5, 50678 Köln

Information: Thieme.congress,

Rüdigerstr. 14, 70469 Stuttgart

Telefon: +49 711 8931-588

E-Mail: [email protected]

www.suchtkongress09.de

18. – 20. September, marburgTagung: Befreiende Sozialarbeit –

Jugendliche zwischen Autonomie und

den Institutionen

Information: St.-Elisabeth-Verein e. V.,

Hermann-Jacobsohn-Weg 22,

35039 Marburg

Telefon: +49 6421 1808-0, Fax: -40

E-Mail: [email protected]

www.elisabeth-verein.de

12. oKtober, berlin Das optimierte Gehirn

Sieben führende Experten stellen ge-

meinsam mit Gehirn&Geist ein Memo-

randum zu den gesellschaftlichen Chan-

cen und Risiken des »Neuro-Enhance-

ment« vor.

Veranstaltungsort: Leibniz-Saal der

Berlin-Brandenburgischen Akademie der

Wissenschaften, Akademiegebäude am

Gendarmenmarkt, Marktgrafenstr. 38,

10117 Berlin

Beginn: 16.00 Uhr

Anmeldung: Europäische Akademie

GmbH, Friederike Wütscher

Telefon: +49 2641 973-311

E-Mail: [email protected]

www.ea-aw.de

15. – 18. oKtober, Kempten im allgäu Festival »Emotion and Meaning

in Music«

Grundlagen der Musikwahrnehmung

aus neurokognitiver und aus musika-

lischer Sicht

Kartenvorverkauf: AZ Service Center,

Bahnhofstr. 13, 87435 Kempten

Telefon: +49 831 206 430

Information: Zeitklänge e. V.,

Bichelackerstr. 9, 87480 Wengen

www.zeitklaenge.com

19. oKtober, FranKFurt a. m.Symposium »Kopf oder Bauch –

Zur Biologie der ökonomischen

Entscheidung«

Diskussion mit dem Bremer Hirnfor-

scher Gerhard Roth über die Selbst-

betrachtung des Geistes und neuro-

biologische Ansätze des philosophischen

Denkens

Veranstaltungsort: Aula der Goethe-

Universität, Campus Bockenheim,

Mertonstr. 17, 60325 Frankfurt a. M.

Beginn: 13.00 Uhr, voraussichtliches

Ende: 19.00 Uhr

desto schlechter für die Gemeinschaft.

Müssen wir an der Gesundheit sparen?

ARTE, ab 21 Uhr

DonnerStag, 3. SeptemberIrre im Krieg

Seit dem Ersten Weltkrieg bedienen sich

Militärs psychiatrischer Methoden. Da-

mals sollten »Kriegszitterer« mit Elektro-

schocks geheilt werden. Im Zweiten Welt-

krieg experimentierte die US-Army mit

Tranquilizern, Amphetaminen und ande-

ren Psychopharmaka. Ein Streifzug durch

100 Jahre »Macht und Missbrauch der

Militärpsychiatrie«.

3sat, 21 Uhr

Freitag, 4. SeptemberDie Hölle im Kopf – Leben mit Migräne

In Deutschland leiden rund zehn Millio-

nen Menschen an Migräne. Viele gehen

in ihrer Not lieber zum Apotheker als

zum Schmerztherapeuten. Mittlerweile

gibt es Medikamente, die sogar bei aku-

ten Migräneattacken helfen – wenn sie

richtig eingesetzt werden.

3sat, 10.15 Uhr

Dick durch Diät?

Warum es manchmal aussichtslos ist, ab-

nehmen zu wollen. Ein Film von Tilman

Jens und Bettina Oberhauser.

3sat, 10.45 Uhr

Kurzfristige Programmänderungen der

Sender sind möglich.

Page 69: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

www.gehirn-und-geist.de 77

bücher und mehr exzellent solide durchwachsen mangelhaft

JonahLehrerWIE WIR ENTSCHEIDENDaserfolgreicheZusammenspielvonKopfundBauch[Piper,München2009,352S.,€19,95]

Wer lenkt den Wagen?Intuition und Ratio ergänzen sich beim Entscheiden

Honig-Mandel-, Schoko-Kirsch- oder

doch lieber ein Waldbeeren-Müsli?

Weil sich Jonah Lehrer immer wieder mit

der Wahl zwischen verschiedenen Früh-

stückszerealien quälte, entschloss er sich

dazu, ein Buch über Entscheidungen zu

schreiben.

Der 28-jährige Neurowissenschaftler

klärt jedoch nicht nur die Frage, wie unser

Gehirn mit einem Überangebot an Kon-

sumgütern fertig wird. Vielmehr verwebt

er neueste Erkenntnisse seines Fachs mit

Entscheidungen etwa von Piloten, Poker-

spielern oder Anlageberatern, bei denen

oft nur ein schmaler Grat zwischen Erfolg

und Misserfolg liegt.

Der Hirnforscher, der auch Literatur

und Theologie studierte und bei Nobel-

preisträger Eric Kandel promovierte, be-

ginnt seine Erkundungsreise bei Platon

(zirka 428 – 348 v. Chr.). Der menschliche

Geist sei wie ein Wagengespann, das unter

anderem von den Gefühlen gezogen wer-

de, meinte der griechische Philosoph. Der

Verstand müsse die Richtung vorgeben

und die widerspenstigen Emotionen im

Zaum halten.

Anhand vieler aktueller Beispiele aus

den Neurowissenschaften modernisiert

Lehrer nun Platons Metapher. Er zeigt,

dass das Bauchgefühl die Wahl zwischen

zwei Alternativen nicht notwendigerwei-

se negativ beeinflusst, sondern oft sogar

eine bessere Entscheidungsgrundlage bie-

tet. Der Verstand solle deshalb die Zügel

auch mal aus der Hand geben.

In seinem Resümee gibt Lehrer prak-

tische Tipps, wie wir das Zusammen-

spiel von Vernunft und Intuition opti-

mieren können und so zu besseren Ent-

scheidungen gelangen. Bei kniffligen

Fragen solle man sich demnach besser

auf das Bauchgefühl verlassen. Es lohne

sich aber, den Verstand einzuschalten,

wenn die Wahl vergleichsweise einfach

erscheint, weil nur wenige Größen einzu-

berechnen sind.

Auch wenn solche Aussagen nicht voll-

kommen neu sind: Dem Autor gelingt

das Kunststück, die Hirnforschung aus

dem Labor in den Alltag zu holen. In be-

kömmlichen Häppchen serviert er sei-

nen Lesern aktuelle Ergebnisse der jun-

gen Forschungsdisziplin und erzählt ne-

benbei auch noch viel beispielsweise

über moderne Brandbekämpfung und

die Hydraulik von Flugzeugen.

Im Plauderton erläutert Lehrer, welche

Rolle der präfrontale Kortex bei der Wahl

TIPP des

mOnATs

G&G – Bestsellerliste

1. Grön, O.: »ICH HabE EINEN TRaum« Was hat er zu bedeuten? [Heyne, münchen 2009, 271 S., € 19,95]2. Reichholf, J. H.: RabENSCHWaRzE INTEllIGENz Was wir von Krähen lernen kön-nen [Herbig, münchen 2009, 253 S., € 19,95]3. Havener, T.: ICH WEISS, WaS Du DENKST Das Geheimnis, Gedanken zu lesen [Rowohlt, Reinbek 2009, 189 S., € 12,–]4. Geisselhart, O.: NOTIzbuCH Im KOpf So merken Sie sich alles [Gräfe & unzer, münchen 2009, 191 S., mit audio-CD, € 19,90]5. ustorf, a.-E.: WIR KINDER DER KRIEGSKINDER Die Generation im Schatten des zweiten Weltkriegs [Herder, freiburg 2009, 189 S., € 19,95]6. prior, m.: mINImax-INTERvENTIONEN fünfzehn minimale Interventionen mit maximaler Wirkung [Carl auer, Heidelberg 2009, 8. auflage, 97 S., € 9,95]7. baker, R.: WENN plöTzlICH DIE aNGST KOmmT panikattacken verstehen und überwinden [brockhaus, Witten 2008, 192 S., € 9,95]8. Salcher, a.: DER vERlETzTE mENSCH [Ecowin, Salzburg 2009, 279 S., € 19,95]9. birkenbihl, v.: KOmmuNIKaTIONSTRaINING zwischenmenschliche beziehungen erfolgreich gestalten [mvG, münchen 2008, 29. auflage, 315 S., € 8,90]10. Hüther, G.: DIE maCHT DER INNEREN bIlDER Wie visionen das Gehirn, den menschen und die Welt verändern [vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009, 5. auflage, 137 S., € 14,90]

Nach verkaufszahlen des buchgroßhändlers KNv in Stuttgartmehr Informationen und bestellmöglichkeiten: www.science-shop.de/bestsellerliste

des richtigen Möbelstücks spielt oder wie

dopaminerge Neurone ein Schlachtschiff

im Golfkrieg retteten. »Jonah Lehrer

macht Hirnforschung alltagstauglich«,

urteilt darum der bekannte Neurowissen-

schaftler Antonio Damasio auf der Rück-

seite des Einbands.

Es mag auch Wissenschaftler geben,

die manche Ausführungen von Lehrer als

Spekulation betrachten würden. Doch

der Autor vollbringt, was bei eifrig publi-

zierenden Forschern manchmal zu kurz

kommt: Er setzt die unzähligen Einzel-

befunde des interdisziplinären Wissen-

schaftszweigs zu einem Gesamtbild zu-

sammen – und schafft es noch dazu, alles

in ein Werk zu verpacken, das sich span-

nender liest als mancher Kriminalroman.

Sabrina Boll ist Diplompsychologin und promoviert am Institut für systemische Neurowissenschaften des Universitätsklini-kums Hamburg-Eppendorf.

Page 70: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

78 G&G 9_2009

StephanSchleim,TadeMathiasSpranger,HenrikWalter(Hg.)vON DER NEuROETHIK zum NEuRO-RECHT? [Vandenhoek&Ruprecht,Göttingen2009,263S.,€16,90]

revolution – oder fauler Zauber?Die Hirnforschung und ihre Folgen

Die Fallhöhe könnte kaum größer

sein: Für die einen revolutionieren

die Erkenntnisse der Neurowissen-

schaften unser Menschenbild und die

Gesellschaft, da sie das Zuschreiben von

Verantwortung und Schuld am eigenen

Tun als naiven Irrtum entlarven. Für die

anderen ist das alles nur ein fauler Zau-

ber – ein von den Medien und einigen

Hirnforschern inszeniertes Tamtam, das

die wissenschaftlichen Fakten in keiner

Weise rechtfertigen. Wer hat nun Recht?

Eine Tagung in Bonn ging 2007 dieser

Frage nach. Neuroforscher, Psychologen,

Philosophen und Juristen tauschten da-

bei ihre Argumente aus: über den neuro-

nalen Determinismus (»Ist das Verhalten

eines Menschen aus Hirnpozessen ableit-

bar?«), über die gerichtliche Verwertbar-

keit von Hirnscans (»Sind Straftäter mit

verminderter Frontalhirnaktivität nur

bedingt schuldfähig?«) sowie über die

Willensfreiheit an und für sich. Ein wich-

tiger Beitrag zum interdisziplinären Aus-

tausch über neuroethische Fragen.

Dieser Band versammelt nun die zehn

wichtigsten Diskussionsbeiträge jener

Veranstaltung. Die teils namhaften, wenn

auch ausschließlich deutschsprachigen

Autoren, darunter der Gedächtnisfor-

scher Hans J. Markowitsch und der Philo-

soph Dieter Birbaumer, stoßen im Gro-

ßen und Ganzen in das gleiche Horn: Die

weit reichenden Schlussfolgerungen be-

stimmter Hirnforscher (Gerhard Roth

und Wolfgang Singer an vorderster Front)

schaufenster – weitere neuerscheinunGen

Kinder und Familie• Knauff, C.: »ICH bIN EINE GuTE muTTER« Warum es Ihrem Kind besser geht,

wenn Sie nicht immer perfekt sind [Campus, frankfurt a. m. 2009, 227 S., € 17,90]• Ricking, H., Schulze, G., Wittrock, m.: SCHulabSENTISmuS uND DROp-OuT

Erscheinungsformen – Erklärungsansätze – Intervention [uTb, Stuttgart 2009, 200 S., € 16,90]

• Schaller, C.: ElTERN uND KIND – EIN STaRKES TEam So schaffen Sie die besten voraussetzungen für Schulerfolg [Kösel, münchen 2009, 208 S., € 14,95]

• Singer, K.: DIE SCHulKaTaSTROpHE Schüler brauchen lernfreude statt furcht, zwang und auslese [beltz, Weinheim 2009, 296 S., € 16,95]

HirnForscHung und PHilosoPHie• Grabe, S., pessler, O., Kästle, m., Kienemann-zaradic, u.: HIRNfORSCHuNG 3

Doping für die grauen zellen (2 audio-CDs) [frankfurter allgemeine zeitung, frankfurt a. m. 2009, zirka 120 minuten, € 19,90]

• Kornhuber, H.H.: fREIHEIT – fORSCHuNG – GEHIRN – RElIGION Wege durch dichtes Gelände [lit, münster 2009, 72 S., € 19,90]

• Schöne-Seifert, b., ach, J. S., Opolka, u., Talbot, D. (Hg.): NEuRO-ENHaNCEmENT Ethik vor neuen Herausforderungen [mentis, paderborn 2009, 367 S., € 39,80]

• Sloterdijk, p.: Du muSST DEIN lEbEN ÄNDERN Über Religion, artistik und an-thropotechnik [Suhrkamp, frankfurt a. m. 2009, 714 S., € 24,80]

PsycHologie und gesellscHaFt• levitin, D. J.: DER muSIK-INSTINKT Die Wissenschaft einer menschlichen leiden-

schaft [Spektrum akademischer verlag, Heidelberg 2009, 432 S., € 26,95]• molcho, S., Hennemann, p.: umaRmE mICH, abER RÜHR mICH NICHT aN

Die Körpersprache der beziehungen – von Nähe und Distanz [ariston, münchen 2009, 192 S., € 19,95]

• Schmid, W.: aNDERS DENKEN – aRbEIT am GlÜCK lebenskunst und Älterwerden [Hoffmann und Campe, Hamburg 2009, 57 minuten, € 12,95]

medizin und PsycHotHeraPie• batthyany, D., pritz, a.: RauSCH OHNE DROGEN Substanzungebundene Süchte

[Springer, Wien 2009, 369 S., € 49,95]• bohne, a.: TRICHOTIllOmaNIE [Hogrefe, Göttingen 2009, 90 S., € 19,95]• paulitsch, K.: GRuNDlaGEN DER ICD-DIaGNOSTIK

[facultas, Wien 2009, 320 S., € 24,90]• Schaade, G.: DEmENz Therapeutische behandlungsansätze für alle Stadien der

Erkrankung [Springer, Heidelberg 2009, 140 S., € 39,95]

ratgeber und lebensHilFe• Gaschke, S.: KlICK Strategien gegen die digitale verdummung

[Herder, freiburg 2009, 199 S., € 19,95]• Khaschei, K.: SCHON WIEDER mONTaG 50 Ideen, mit denen Sie den Jobfrust

überwinden [Campus, frankfurt a. m. 2009, 192 S., € 14,90]• Slater, l.: ERWaCHSENE bRauCHEN mÄRCHEN

magische Geschichten, die helfen, Konflikte und alltagsängste zu überwinden [beltz, Weinheim 2009, 212 S., € 17,95]

Page 71: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

Sam GoslingSNOOp

What Your Stuff Says about You[basic books, New York 2009, 272 S., € 12,99]

meIn lIeblIngsbuchLektüretipps von klugen Köpfen

»snoop« ist englisch und bedeutet »herumschnüffeln« – und genau darum geht es in diesem buch: Wer erstmals die Wohnung eines neuen bekannten betritt, begutachtet gerne mal bücher und CDs oder wirft gar einen verstohlenen blick ins Schlafzimmer. aber welche Einrichtungsdetails sagen tatsächlich etwas über den bewohner aus? Worauf gründet unser urteil über die persönlichkeit des Gastge-bers? und was davon trifft tatsächlich zu? Solche fragen beantwortet der psycho-loge Sam Gosling von der university of Texas in austin in seinem ersten buch und bildet den leser dabei – spielerisch und mitreißend – zum profiler aus: Er lernt, die persönlichkeit eines unbekannten anhand von dessen besitztümern und vorlieben einzuschätzen. Hinweise geben Schlaf- und arbeitszimmer, CD-Sammlung, bücher-regal und Homepage – Spuren, die wir in unserer umwelt hinterlassen. Die aktu-elle persönlichkeitsforschung präsentiert der preisgekrönte psychologe in leicht verständlichem Englisch. Schade, dass es nichts vergleichbares auf Deutsch gibt.

bORIS EGlOff ist Professor für Persönlichkeitspsychologie und diagnostik an der universität Mainz.

gingen von unzulässigen Voraussetzun-

gen aus. Weder könne man anhand neu-

ronaler Parameter das Verhalten eines

Menschen vorhersagen noch Lügner ent-

tarnen. So weit sei die Hirnforschung

noch lange nicht, und ob es jemals dazu

komme, bleibe ungewiss. Zu vielschichtig

erscheine das Verhältnis von Gehirn und

Verhalten.

Letztlich rührt das Ganze an den Un-

terschied zwischen deskriptiver Wissen-

schaft und normativer Gesellschaftsord-

nung, wie etwa der Strafrechtler Günther

Jakobs in seinem Beitrag darlegt. Soll hei-

ßen: Begriffe wie »Störung« oder »Schuld«

haben in erster Linie ordnende Funktion –

sie sind aber nicht naturgegeben.

So existiert, bei aller fachlichen Exper-

tise, schlichtweg kein objektives Kriteri-

um dafür, wann ein Mensch »psychisch

krank« oder »schuldunfähig« ist. Solche

Kategorien müssen somit als das akzep-

tiert werden, was sie sind: gesellschaft-

liche Konstruktionen.

Der Sammelband bringt den Leser auf

den aktuellen Stand der Diskussion – eine

gute Grundlage zum Beispiel für Uni-

versitätsseminare über Neuroethik. Auf

Grund seiner nüchternen bis akade-

misch-spröden Sprache jedoch eher von

Insidern (oder solchen, die es werden wol-

len) zu goutieren.

Steve Ayan ist Diplompsychologe und G&G-Redakteur.

Mit

frd

l. G

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DGSL-LernLust-Kongress 23. bis 25. Oktober 2009 Hotel Sonnenhügel, Bad Kissingen

"Spielend" lernen mit Methodenvielfalt heißt es auch in diesem Jahr für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des DGSL-LernLust-Kongresses. Genießen Sie mit uns:

- ca. 30 interessante Workshops, - viele Impulse für die Unterrichts- und Weiterbildungspraxis, - den Kontakt zu alten Bekannten und neuen Kollegen,- und natürlich die unnachahmliche Atmosphäre unserer Veranstaltungen.

Der DGSL-LernLust-Kongress – ein Muss für alle, die nach dem Motto „Freude am Lernen “ arbeiten.

Ausführliche Informationen finden Sie unter http://www.dgsl.de. DGSL gem. e.V. Telefon 08124 444111 Poigenberger Str. 1 Telefax 08124 444112 85669 Pastetten E-Mail [email protected]

Page 72: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

80 G&G 9_2009

Oh Schreck – auf der Bank, wo wir im-

mer Eis essen, sitzt schon jemand!

Für Coline ist ein solcher Routinebruch

eine Katastrophe, denn sie hat das »As-

perger-Syndrom«, eine Sonderform von

Autismus. Die fiktive Tagebuchschreibe-

rin schildert, wie sie ihre Grundschulzeit,

Pubertät und Berufswahl erlebt hat.

Autorin Nicole Schuster, die selbst an

Asperger leidet, beschreibt anschaulich,

warum autistische Menschen unge-

schriebene Gesetze im alltäglichen Mit-

einander erst mühsam erlernen müssen

wie die Grammatik einer Fremdsprache.

Nach jedem Eintrag erklärt die Psycholo-

gin Melanie Matzies die gesellschaft-

lichen Gepflogenheiten genauer – etwa,

dass man sich für ein Geschenk sogar

dann bedankt, wenn es einem nicht be-

sonders gefällt.

Die Autorinnen richten sich auch an

Kinder mit Asperger-Syndrom. Doch

dazu sind einige Tagebucheinträge et-

was zu lang geraten, und sie thematisie-

ren oft zu viele Probleme auf einmal. Au-

ßerdem erwecken sie zuweilen den Ein-

druck, die Betroffenen seien dümmer

oder tollpatschiger als andere Kinder.

Aber vieles, was Coline erlebt, erfahren

Gleichaltrige ähnlich – nur quält es sie

weniger, oder sie passen sich klagloser

an. Für einen Lehrer oder Betreuer, der

mit autistischen Kindern zu tun hat, ist

das Buch jedoch eine große Hilfe.

Cordula Kienle ist Studienrätin und hat selbst schon autistische Kinder unterrichtet.

MelanieMatzies,NicoleSchusterCOlINES WElT HaT TauSEND RÄTSElAlltags-undLerngeschichtenfürKinderundJugendlichemitAsperger-Syndrom[Kohlhammer,Stuttgart2009,208S.,€24,80]

tagebuCH einer autiStinEinblicke in die Welt von Kindern mit Asperger-Syndrom

1. Kaufsucht …a) wurde schon vor rund 100 Jahren beschrieben.b) kennt man seit 1982 als klinisches Störungsbild.c) gibt es erst seit der Entwicklung des Internets.

2. eine reihe von Hirnarealen, die an der neuronalen repräsentation des selbst beteiligt sind, fassen Forscher unter dem Kürzel cms zusammen. es steht für …a) Coherence management Systemb) Cerebral mediators of the Selfc) Cortical midline Structures

3. Wie viel zeit nehmen sich Ärzte in deutschland durchschnittlich, um einem Patienten mitzuteilen, dass er an Krebs erkrankt ist?a) 8 minutenb) 11 minutenc) 19 minuten

4. Was hat der anatom Herophil von chalcedon (330 – 250 v. chr.) nicht entdeckt?a) die Netzhautb) den Hippocampusc) getrennte Nerven für Sensorik und motorik

5. Wie verändert sich das gehirn von Frauen nach den Wechseljahren?a) Es arbeitet »männlicher«.b) Es arbeitet »weiblicher«.c) Es verändert sich überhaupt nicht.

Hätten sie’s gewusst?Die antworten auf die folgenden fragen stehen in der aktuellen ausga-be von gehirn&geist. Wenn Sie die richtigen lösungen (zum beispiel 1a, 2b, 3c, ...) finden, schicken Sie diese bitte mit dem betreff »September« per E-mail an: [email protected]

unter allen korrekten zuschriften verlosen wir drei Exemplare von unserem tipp des monats:

JonahLehrerWIE WIR ENTSCHEIDENDas erfolgreiche zusammenspiel von Kopf und bauch[piper, münchen 2009, 352 S., € 19,95]

alle Teilnehmer des Jahres 2009 haben außerdem die Chance, ein g&g-abonnement für 2010 zu gewin-nen. machen Sie mit! Einsendeschluss ist der 15. September 2009. Die auflö-sung finden Sie in g&g 11/2009.

KOPfnussdAs g&g-gewInnsPIel

auflösung der Kopfnuss 6/2009: 1c, 2b, 3c, 4b, 5afür die richtige lösung der Kopfnuss 5/2009 geht jeweils eine ausgabe von »Denken hilft zwar, nützt aber nichts« an die drei Gewinner: Eva aich (Essen), Caroline Ott (Würzburg), Dr. Richard Teichner (Dresden).

für die korrekten antwortenzur Kopfnuss 6/2009 erhalten jeweils einmal »Die Welt der psychotherapie«: Sarah bleisinger (Erlangen), Dr. alexander Tewes (lüneburg), Dominik H. zimmermann (aschaffenburg)

Page 73: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

www.gehirn-und-geist.de

Anlass zu diesem Buch war für Autor

Jens-Uwe Martens ein »Erweckungs-

erlebnis«: Der Diplompsychologe ärgerte

sich wie so oft darüber, dass das Spiel-

zeug seiner Kinder noch in der Garagen-

einfahrt lag. Doch diesmal brachte ihn

ein Nachbar mit einer beiläufigen Äuße-

rung dazu, die verstreuten Spielsachen

als Ausdruck der unbeschwerten Zeit zu

betrachten, die er mit dem eigenen Nach-

wuchs genießen könne.

Zu einem solchen Perspektivwechsel

möchte der Autor nun auch anderen

Menschen verhelfen, indem er sie dazu

anleitet, ihre Einstellungen sich selbst

und ihrem Leben gegenüber sorgfältig zu

analysieren und gegebenenfalls zu verän-

dern. Außerdem richtet er sich an Studie-

rende der Psychologie und an Trainer so-

wie Führungskräfte, welche die Einstel-

lung anderer Menschen beeinflussen

wollen.

Im ersten Teil stellt Martens anschau-

lich dar, was Einstellungen sind und wie

sie unser Leben bestimmen. Neben zahl-

reichen Zitaten untermalen Geschichten

und Anekdoten die graue Theorie. Im

weiteren Verlauf erläutert er verwandte

Konstrukte wie Ich-Stärke, Glück, Visio-

nen oder die Bedeutung des Selbstbilds.

Der Bezug zum Thema Einstellungen

wird dabei allerdings nicht immer deut-

lich, und Empfehlungen zur weiterfüh-

renden Lektüre fehlen ebenso wie man-

che Quellenangabe – zum Beispiel zu je-

nen Untersuchungen, die gezeigt haben

sollen, dass die rechte, mit dem Unbe-

Jens-UweMartensEINSTElluNGEN ERKENNEN, bEEINfluSSEN uND NaCHHalTIG vERÄNDERNVonderKunst,dasLebenaktivzugestalten[Kohlhammer,Stuttgart2009,178S.,€22,–]

iCH Will MiCH ändern!Anleitung zum Perspektivwechsel

wussten eng verbundene Gehirnhälfte

der linken, vernunftorientierten Hälfte

bei komplexen Entscheidungen überle-

gen ist.

Erst im letzten Drittel kommt der Psy-

chologe dann »zum Kern der Überle-

gungen«: Wie lassen sich Einstellungen

verändern? Anhand von 21 Regeln legt er

dar, was dabei zu beachten ist. Zum Bei-

spiel, warum man dazu den Verstand und

die Gefühle ansprechen sollte und wel-

che Rolle Belohnungen, Gewohnheiten

und der Freundeskreis spielen. Schade

nur, dass der Autor oft nicht zwischen

solchen Lesern unterscheidet, die sich

selbst ändern möchten, und jenen, die

Einstellungen bei anderen beeinflussen

wollen.

Dass Martens keine Geheimtipps ge-

ben kann, ist ihm nicht vorzuwerfen – im

Gegenteil, es spricht für seine Seriosität.

Wegen der Vielzahl an Regeln bleibt für

jede einzelne aber oft nur eine knappe

Seite und somit kein Raum für konkrete

Anweisungen oder Übungen. Und wie

lassen sich überhaupt die passenden

Tipps finden und auf die eigene Situation

übertragen?

Fazit: Für Studierende, die einen wis-

senschaftlichen Einstieg in das Thema

suchen, bleibt das Buch zu oberflächlich.

Und wer konkrete Methoden sucht, mit

denen er seinen Mitmenschen zum Bei-

spiel in Sachen Gesundheitsvorsorge auf

die Sprünge helfen kann, wird hier eben-

falls nicht fündig. Stattdessen fordert der

Autor dazu auf, zunächst die eigenen Ein-

stellungen ins Visier zu nehmen und die

dabei gewonnenen Erkenntnisse auf die

Arbeit mit anderen zu übertragen.

Geeignet ist das Buch für Menschen,

die aktiv an sich arbeiten möchten. Als

Leitfaden taugt es aber nur bedingt, denn

der Leser kommt nicht umhin, sich selbst-

ständig zu analysieren und eigene Strate-

gien zu entwickeln. Wie bei Büchern zur

Raucherentwöhnung hängt der langfris-

tige Erfolg wohl auch hier hauptsächlich

davon ab, wie groß der eigene Leidens-

druck tatsächlich ist.

Andrea Retzbach ist Diplompsychologin und promoviert an der Universität Koblenz-Landau.

Page 74: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

82 G&G 9_2009

kurz und BündiG

martin Hautzinger, paul pauli

pSYCHOTHERapEuTISCHE mETHODEN (Enzyklopädie der psychologie, band 2)[Hogrefe, Göttingen 2009, 917 S., € 169,–]

Der neue band in der Reihe »Enzyklopädie der psychologie« liefert die bislang umfangreichste wissenschaft-liche bestandsaufnahme der gängigen psychotherapiemethoden. Die Titel der beiträge namhafter fachvertre-ter füllen allein 14 eng bedruckte Seiten des Inhaltsverzeichnisses. Der Schwerpunkt liegt auf kognitiv-verhal-tenstherapeutischen methoden, und jenseits der Therapieschulen ergänzen Themen wie Krisenintervention, Konfliktmediation, Kommunikationstraining und Gruppentherapie den band. als anleitung für praktiker ist das Werk zu unhandlich und zu wissenschaftlich. für das Regal eines Therapieforschers ist es jedoch ein muss.

Christian Hesse

DaS KlEINE EINmalEINS DES KlaREN DENKENS22 Denkwerkzeuge für ein besseres leben[C.H.beck, münchen 2009, 288 S., € 14,95]

Klar denken können – wer wollte das nicht! Der Stuttgarter mathematikprofessor Christian Hesse verspricht uns dafür einen kompakten Werkzeugkasten. Er führt 22 grundlegende Denkprinzipien auf, darunter die Suche nach analogien, das verallgemeinern oder das zergliedern in Teilprobleme, und garniert sie mit vielen anek-doten und bonmots aus der Geistesgeschichte. Doch statt praktischer Tipps enthält der band vor allem eins: viel mathematik. für leser mit formel-phobie ein Graus und für die meisten anderen auch kein Schmöker für müßige Nachmittage, sondern ein arbeitsbuch zum mittüfteln.

Wolfgang Seidel

EmOTIONSpSYCHOlOGIE Im KRaNKENHauSEin leitfaden zur Überlebenskunst für Ärzte, pflegende und patienten[Spektrum akademischer verlag, Heidelberg 2009, 292 S., € 19,95]

Der Glaube an die Wirksamkeit einer Heilmethode ist ein entscheidender faktor für die so genannte Com- pliance – die Therapietreue des patienten. Nur wenn dieser seinem arzt vertraut und sich verstanden fühlt, kann ein gemeinsames arbeitsbündnis entstehen. Chirurg Wolfgang Seidel, ehemaliger Direktor des lehrkran-kenhauses an der universität Tübingen, erläutert anhand von fallbeispielen die wichtigsten Emotions- und motivationstheorien für die arbeit in einer Klinik. mit viel verständnis für beide Seiten versucht er Wissen zu vermitteln, das die Kommunikation zwischen arzt, patient und pflegepersonal fördert. Ein leitfaden ohne fachsimpelei für alle, die im Krankenhaus arbeiten.

Judith Nestler, lutz Goldbeck

SOzIalE KOmpETENz Training für lernbehinderte Jugendliche (SOKO)[beltz pvu, Weinheim 2009, 118 S., € 39,95]

Die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in ulm hat das bisher einzige deutschsprachige Training für sozial auffällige lernbehinderte Jugendliche entwickelt. pädagogen und Therapeuten in förderschulklassen und Jugendhilfe finden darin solides Hintergrundwissen, eine detaillierte beschreibung von acht Sitzungen und praktische arbeitsmaterialien auf einer beigelegten CD-ROm. lobenswert sind die klare Gliederung sowie ein Kapitel, das eine Studie zur Wirksamkeit von »SOKO« im internationalen vergleich erörtert.

Page 75: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

www.gehirn-und-geist.de

Der berufliche Alltag des amerikani-

schen Hirnforschers Wilder Penfield

(1891 – 1976) dürfte auf die meisten Men-

schen schockierend gewirkt haben. In den

1930er Jahren sägte der Neurochirurg die

Schädel von rund 520 Patienten auf und

versetzte ihren grauen Zellen elektrische

Stromstöße. Die Betroffenen waren wäh-

renddessen bei vollem Bewusstsein –

Penfield sprach und scherzte sogar mit

ihnen. Weil das Gehirn selbst schmerz-

unempfindlich ist, genügte für die Proze-

dur eine örtliche Betäubung. Sinn und

Zweck des Unterfangens: Penfield suchte

bei seinen Patienten nach Anfallsherden,

die ihre Epilepsie verur sachten, um die

jeweilige Region schließlich operativ zu

entfernen.

Der Ruhm des Chirurgen beruht je-

doch nicht auf seiner medizinischen Heil-

kunst, sondern darauf, was er nebenbei

herausfand: etwa dass die Menschen ein

Kribbeln oder Kitzeln in den Armen oder

Beinen spürten, wenn er bestimmte Stel-

len im Gehirn elektrisch reizte. Nach und

nach erstellte Penfield eine Hirnkarte,

auf der sich der gesamte Körper abbilden

ließ – mit überproportional großen Are-

alen für Fingerspitzen und Lippen.

Diese Arbeit war so bahnbrechend,

dass sie heute in kaum einem Band zur

Hirnforschung fehlt. Nun versuchen die

amerikanische Sachbuchautorin Sandra

Blakeslee und ihr Sohn Matthew, ein Wis-

senschaftsjournalist, ein ganzes Buch mit

SandraundMatthewBlakesleeDER GEIST Im KöRpERDasIchundseinRaum[SpektrumAkademischerVerlag,Heidelberg2009,341S.,€24,95]

neurobiologiSCHeS allerleiNichts Neues zum Thema Körper und Geist

diesem Thema zu füllen. Aber gar so viel

geben Penfields Karten nicht her. Die

Blakeslees holen also weiter aus – sie

möchten mittels der Karten illustrieren,

»wie Körper und Geist ineinandergreifen,

um unser körperliches, fühlendes Selbst

zu schaffen«.

Doch was sie als neue Erkenntnisse prä-

sentieren, ist nur eine Mischung aus Alt-

be kanntem: neurobiologisches Allerlei,

einige Krankheitsbilder und psychologi-

sche Experimente. Wer also nicht blutiger

Neuro-Novize ist, trifft auf die üblichen

Verdächtigen, darunter den Hirnforscher

Vila yanur Ramachandran, der den so ge-

nannten Neglect – die eingeschränk te

Wahrnehmung einer Raumseite bei be-

stimmten Hirnschäden – beschrieb.

Damit die Kost leicht verdaulich ist,

werden die Seiten gefüllt mit Beispielen

aus dem Alltag und dem Erfahrungs-

schatz von Therapeuten, Hausfrauen und

Talkshow-Ikonen. Zum Beispiel erfährt

der Leser, wie es der Moderatorin Oprah

Winfrey gelang, mit Hilfe von strenger

Disziplin und Aerobic-Kursen abzuspe-

cken. So aufgekratzt und aufmerksam-

keitsheischend, wie das Buch daher-

kommt, wirkt es wie das gedruckte Pen-

dant zu einer bunten Talkshow im Nach-

mittagsprogramm, die sich auf wissen-

schaftliches Terrain verirrt hat.

Die Schicksale wechseln so oft wie das

TV-Programm, und nichts sagende Info-

boxen und Tipps sorgen für weitere Zer-

streuung – zum Beispiel die Empfehlung,

mehr barfuß zu laufen, weil das angeblich

so gesund ist. Der Klappentext verspricht:

Dieses Buch werde den Leser lehren, »an-

ders zu denken«. Hoffentlich nicht.

Olaf Schmidt ist promovierter Biologe und arbeitet als freier Journalist in Essen.

alle rezensierten bücher, cd-roms und dVds können sie im science-sHoP bestellen

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Page 76: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

84 G&G 9_2009

ImPressum

Herausgeber: dr. habil. reinhard BreuerChefredakteur: dr. Carsten könneker (verantwortlich)artdirector: karsten kramarczikredaktion: dr. Hartwig Hanser (Chef vom dienst), dipl.-Psych. steve Ayan (textchef), dr. Andreas Jahn (online-koordinator), dr. katja Gaschler, dipl.-Psych. Christiane Gelitz, dipl.-theol. rabea rentschler freie Mitarbeit: Joachim Marschall Schlussredaktion: Christina Meyberg (ltg.), sigrid spies, katharina werlebildredaktion: Alice krüßmann (ltg.), Anke lingg, Gabriela rabelayout: karsten kramarczikredaktionsassistenz: Anja Albat-nollauredaktionsanschrift: Postfach 10 48 40, 69038 Heidelberg tel.: 06221 9126-776, fax: 06221 9126-779 e-Mail: [email protected] beirat: Prof. dr. Manfred Cierpka, institut für Psychosomatische koopera-tionsforschung und familientherapie, universität Heidelberg; Prof. dr. Angela d. friederici, Max-Planck-institut für neuro-psychologische forschung, leipzig; Prof. dr. Jürgen Margraf, Abteilung für klinische Psychologie und Psychotherapie, universität Basel; Prof. dr. Michael Pauen, institut für Philosophie, universität Magdeburg; Prof. dr. frank rösler, fachbereich Psychologie, Philipps-universität Marburg; Prof. dr. Gerhard roth, institut für Hirnforschung, universität Bremen; Prof. dr. Henning scheich, leibniz-institut für neurobiologie, Magdeburg; Prof. dr. wolf singer, Max-Planck-institut für Hirnforschung, frankfurt/Main; Prof. dr. elsbeth stern, institut für lehr- und lernforschung, etH ZürichHerstellung: natalie schäfer, tel.: 06221 9126-733Marketing: Annette Baumbusch (ltg.), tel.: 06221 9126-741, e-Mail: [email protected]: Anke walter (ltg.), tel.: 06221 9126-744verlag: spektrum der wissenschaft verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 48 40, 69038 Heidelberg, Hausanschrift: slevogtstraße 3–5, 69126 Heidelberg, tel.: 06221 9126-600, fax: 06221 9126-751, Amtsgericht Mannheim, HrB 338114verlagsleiter: dr. Carsten könneker, richard Zinken (online)geschäftsleitung: Markus Bossle, thomas Bleckleser- und bestellservice: tel.: 06221 9126-743, e-Mail: [email protected] und abonnementsverwaltung: spektrum der wissenschaft verlagsgesellschaft mbH, c/o Zenit Pressevertrieb GmbH, Postfach 81 06 80, 70523 stuttgart, tel.: 0711 7252-192, fax: 0711 7252-366, e-Mail: [email protected], vertretungsberechtigter: uwe Bronnbezugspreise: einzelheft: € 7,90, sfr. 15,40, Jahresabonnement inland (10 Ausgaben): € 68,–, Jahresabonnement Ausland: € 73,–, Jahres abonnement studenten inland (gegen nachweis): € 55,–, Jahres abonnement studenten Ausland (gegen nachweis): € 60,–. Zahlung sofort nach rechnungserhalt. Postbank stuttgart, BlZ 600 100 70, konto 22 706 708. die Mitglieder der dGPPn, des vBio, der GnP, der dGnC, der GfG, der dGPs, der dPG, des dPtv, des BdP, der Gkev, der dGPt, der dGsl, der dGkJP, der turm der sinne gGmbH sowie von Mensa in deutschland erhalten die Zeitschrift g&g zum gesonderten Mitgliedsbezugspreis.anzeigen/druckunterlagen: karin schmidt , tel.: 06826-5240315, fax: 06826-5240314, e-Mail: [email protected] Marktplatz: medienpunkt e. k., raimund t. Arntzen, Am Aichberg 3, 86573 obergriesbach, tel.: 08251 88808-52, fax: 08251 88808-53, e-Mail: [email protected]: Zurzeit gilt die Anzeigenpreisliste nr. 8 vom 1. 11. 2008.gesamtherstellung: vogel druck und Medien service GmbH & Co. kG, Höchberg

sämtliche nutzungsrechte an dem vorliegenden werk liegen bei der spektrum der wissenschaft verlagsgesellschaft mbH. Jegliche nutzung des werks, insbesondere die vervielfältigung, verbreitung, öffentliche wiedergabe oder öffentliche Zugänglichmachung, ist ohne die vorherige schriftliche einwilligung der spektrum der wissenschaft verlagsgesellschaft mbH unzulässig. Jegliche unautorisierte nutzung des werks berechtigt die spektrum der wissenschaft verlagsgesell-schaft mbH zum schadensersatz gegen den oder die jeweiligen nutzer. Bei jeder autorisierten (oder gesetzlich gestatteten) nutzung des werks ist die folgende Quellenangabe an branchenüblicher stelle vorzunehmen: © 2009 (Autor), spektrum der wissenschaft verlagsgesellschaft mbH, Hei delberg. Jegliche nutzung ohne die Quellenangabe in der vorstehenden form berech tigt die spektrum der wissenschaft verlagsgesellschaft mbH zum schadensersatz gegen den oder die jeweiligen nutzer. für unaufgefordert eingesandte Manuskripte und Bücher übernimmt die redaktion keine Haftung; sie behält sich vor, leserbriefe zu kürzen.

bildnachweise: wir haben uns bemüht, sämtliche rechteinhaber von Ab bildungen zu ermitteln. sollte dem verlag gegenüber dennoch der nachweis der rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nach träglich gezahlt.issn 1618-8519 www.gehirn-und-geist.de

»Was kann man tun, wenn man ei-

gentlich nichts tun kann, weil

der Jugendliche nichts tun will?« Gründe,

warum psychisch auffällige Heranwach-

sende eine Therapie ablehnen, gibt es

viele. Sie wollen keine Hilfe, sie sind

misstrauisch, sie haben Angst, sie schä-

men sich oder wollen ihren Eltern den

Aufwand ersparen. Und wenn sie sich

doch von ihren besorgten Angehörigen

mitschleppen lassen, sitzen sie oft schwei-

gend da. Wie man diese harten Nüsse

trotzdem knackt, will uns Jürg Liechti ver-

mitteln.

Der Humanmediziner und Systemthe-

rapeut orientiert sich dabei am Konzept

des »konsultativen Einbezugs«. Dahinter

steht zunächst einmal die Überzeugung,

dass Therapiemotivation nicht nur vom

jugendlichen Klienten bestimmt wird,

sondern auch vom familiären Kontext,

und somit beeinflussbar ist. Im Kern geht

es darum, dem Jugendlichen einen Rah-

men zu bieten, der eine Zusammenarbeit

ohne Gesichtsverlust erlaubt. In mehre-

ren Schritten wird die widersprüchliche

Startsituation – Eltern suchen Hilfe, Ju-

gendliche weigern sich – auf eine gemein-

same Grundlage gebracht.

Wichtig ist dabei, zuerst die Perspek-

tiven aller Beteiligten zu akzeptieren und

sie anschließend »neu zu rahmen«, in-

dem sie um weitere Aspekte bereichert

werden. So kann sich beispielsweise eine

Mutter selbst eingestehen, dass auch sie

Hilfe braucht, anstatt sich nur über ihren

JürgLiechtiDaNN KOmm ICH HalT, SaG abER NICHTSMotivierungJugendlicherinTherapieundBeratung[CarlAuer,Heidelberg2009,252S.,€24,95]

Harte nüSSe Wie sich Jugendliche zur Teilnahme an einer Therapie animieren lassen

kiffenden Sohn zu beklagen. Der Thera-

peut zieht den Sohn, der bisher nur als

Problemfall gesehen wurde, als Experten

heran und bindet ihn ein: »Vielleicht

könntest du mir helfen, deine Mutter

besser zu verstehen?« Unter diesem neu-

en Blickwinkel entwickelt sich eine ge-

meinsame Basis zur weiteren Zusam-

menarbeit.

Ein wichtiges Thema, ein viel verspre-

chender Ansatz. Doch so groß das Inte-

resse beim Leser auch sein mag: Die Freu-

de an der Lektüre bleibt aus. Das Buch

wirkt trotz des fünfseitigen Inhaltsver-

zeichnisses und einer Aufteilung in neun

Ka pitel unstrukturiert. Immer wieder

schleicht Liechti um das eigentliche The-

ma »Therapiemotivation« herum wie die

Katze um den heißen Brei – und driftet

dann doch wieder ab. So mag ein eigenes

Kapitel über Pubertät seinen Sinn haben –

jedoch nur, wenn die Leser dabei etwas

Neues erfahren.

Die wissenschaftlichen Erklärungen

kommen allerdings meist nicht über das

Niveau eines Psychologiegrundstudiums

hinaus. Den therapeutisch arbeitenden

Lesern, an die sich Liechti unter anderem

richtet, werden diese psychologischen

Grundlagen sicherlich größtenteils be-

kannt sein.

Verstrickt in NebensächlichesInnerhalb der Kapitel springt der Autor

zwischen Theorie und spannenden Fall-

beispielen hin und her. Oft gelingt die

Verknüpfung jedoch nicht so recht, da

Liechti sich immer wieder in Nebensäch-

lichkeiten und Exkurse verstrickt. Mehr-

zeilige, verschachtelte und umständlich

formulierte Sätze sind bei ihm außerdem

keine Seltenheit. Und nicht zuletzt fällt es

schwer, über die wiederholte Werbung

für das Berner Zentrum für Systemische

Therapie und Beratung hinwegzulesen.

Ein Lichtblick ist das siebte Kapitel.

Hier erhalten die Leser wertvolle Ein-

sichten in das Handwerkszeug der syste-

mischen Therapie – mehr davon hätte

dem Buch gutgetan.

Johanna Senghaas ist Diplompsychologin und arbeitet als Wissenschaftsjournalistin in München.

Page 77: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

GEHIRN&GEIST 06_09 85

winters’ nachschlag

Wissen Sie noch, was ein Pokemon ist? Nein?! Na ja, die Zeit des großen Wahns liegt auch lange zurück – so lange, dass

er bereits als »retro« gilt und inzwischen schon wieder angesagt ist. Knapp zusammengefasst stellt ein Pokemon ein abgrundtief hässliches, von irgendwelchen Asiaten erfundenes Monster dar, für das Kinder überall auf der Welt sämtliches Geld ihrer Eltern ausgeben, dessen sie habhaft werden können.

Wie ich nun kürzlich zu meinem Entsetzen feststellte, ist mein Lieblingsneffe Nikko eines der Opfer des derzeit erneut kursie-renden Pokemonvirus. Mit ihm infizierter Nachwuchs, das war mir sofort klar, lernt nichts mehr für die Schule und gerät unweiger-lich auf die schiefe Bahn. Ich als sein Patenonkel war fest ent-schlossen, Nikko zu retten.

Da kam mir der Artikel »Coaching statt Nachhilfe« (siehe S. 66) gerade recht. Ihm zufolge sollten Erwachsene den Lerntyp ihrer Kinder bestimmen und sich ein paar Lerntechniken antrainieren, um dann als leuchtende Vorbilder dem Nachwuchs das richtige Pauken beizubringen.

Sofort schritt ich zur Tat. Ich besorgte mir ein Pokemon-Buch mit dem Verzeichnis aller schätzungsweise 493 Monster und begann, ihre Namen mit der im Artikel beschriebenen Merkworttechnik auswendig zu lernen. Mit meiner beeindruckenden Gedächtnis-leistung wollte ich Nikkos Ehrgeiz anstacheln, mich im Lernen dann seinerseits zu übertrumpfen.

Während ich den verzweifelten Versuch unternahm, jeder Zahl ein Bild und dann jedem Pokemon ein solches Zahlenbild zuzu-ordnen, schweiften meine Gedanken immer wieder ab. Warum um alles in der Welt hieß ein und dasselbe Pokemon auf Japanisch Poppo und auf Deutsch Taubsi? Nein, ich werde hier nicht erklä-ren, mit welchem Bild ich mir dieses Fabelmonster merkte.

Ein unangenehmer Nebeneffekt meiner Bemühungen war, dass mich in meinem Stammcafé auf einmal alle anstarrten, nur

weil ich halblaut Pokemon-Namen memorierte. Schließlich je-doch fühlte ich mich bestens vorbereitet und empfing abends daheim meinen Lieblingsneffen mit der Frage, ob er mir den Na-men des schmetterlingartigen Pokemons mit den roten Augen nennen könne.

»Smettbo, 50 Prozent weiblich, 50 Prozent männlich, Gewicht 32 Kilo, Größe 1,1 Meter«, deklamierte Nikko. »Spielen wir Fuß-ball?« Nicht schlecht für den Anfang, der Kleine! Meine Trickkiste war aber noch lange nicht erschöpft. Also griff ich seinen Vor-schlag auf – offensichtlich gehörte er zum motorischen Lerntyp.

»Du triffst niemals das Garagentor«, forderte ich ihn heraus. »Falls doch, erkläre ich dir, wie man die Fläche eines Garagentors berechnet!« Lernen als Belohnung, lösbare Aufgaben als Motiva-tionsanreiz – die Autoren des Artikels wären sicher stolz auf mich! Sekunden später durchschlug der Fußball die Panoramascheibe des Wohnzimmers und blieb in der Vitrine mit den Porzellan-figuren liegen. »Hoppla, tut mir leid, Onkel Pipi!« »Onkel wer?!«, schrie ich, ohne zu merken, dass ich dabei war, innerlich von meinem durchdachten pädagogischen Konzept abzuweichen. »Wenn du die Pokemons besser gelernt hättest, dann wüsstest du, dass das ein Kompliment war!«, strahlte mich der kleine Klug-scheißer an.

Um es kurz zu machen – es wurde noch ein lehrreicher Tag. Al-lerdings hauptsächlich für mich. Unter anderem erfuhr ich, dass man a) die Fläche einer Glasscheibe am einfachsten mit dem im Handy eingebauten Taschenrechner berechnet und b) bei Poke-mon-Meisterschaften locker genug Geld verdienen kann, um sei-nem Onkel ein kaputtes Fenster zu ersetzen.

Und noch eins wurde mir klar: Wenn mir Gespräche mit meinem klugen, motivierten und darüber hinaus auch noch mit einem strammen Schuss gesegneten Neffen so viel Spaß machen, muss ich wohl ein kommunikativer Lerntyp sein.

ULI WINTErS ist Diplomkünstler – und verwechselt ständig Glutexo mit Glumanda.

[email protected]

Onkel PiPi und die PanOramascheibeWer Kinder motivieren möchte, sollte dazu besser keine japanischen Fantasieviecher verwenden!

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Page 78: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

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Page 80: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

88 GEHIRN&GEIST 05_07

online-tipps

Zum TiTelThema »ich und PersönlichkeiT« (s. 24)der charakter-codeJeder Mensch ist anders: Manche stecken Schicksals-

schläge leicht weg, andere werfen schon Kleinigkeiten

aus der Bahn. Wie wir mit Stress und leidvollen Erfah-

rungen fertig werden, kann von einem einzigen Gen

abhängen

www.gehirn-und-geist.de/charakter

Zum sPeZial »Psychoonkologie« (ab s. 36)neue strategien gegen krebsDas Sonderheft von »Spektrum der Wissenschaft«

berichtet über die neuesten Fortschritte im Kampf

gegen Krebs

www.spektrum.de/krebsdossier

Mehr zur Krebsmedizin finden Sie auch auf der

Themenseite des Verlags Spektrum der Wissenschaft

www.spektrum.de/krebs

WichTs Winkel nuTZlosen WissensHelmut Wicht sinniert über jenen Teil unseres Körpers, der

unseren Kopf einschließlich Gehirn trägt: die Halswirbelsäule.

Genauer gesagt, den ersten Halswirbel, den so genannten Atlas

www.gehirn-und-geist.de/wichts-winkel

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BraincasT»Bewegung!«, heißt es ab Braincast 163. In drei Folgen wid-

met sich Arvid Leyh dem Mammutthema Motorik und er-

klärt, auf welchen verschlungenen Pfaden das Gehirn dem

Körper Beine macht

www.gehirn-und-geist.de/braincast

52 GEHIRN&GEIST 9_2007 GEHIRN&GEIST 9_2007 53

TITElTHEma ı GENETIScHE pSycHoloGIE

Der Charakter-CodeJeder Mensch ist anders: Manche stecken Schicksalsschläge leicht weg, andere

werfen schon Kleinigkeiten aus der Bahn. Wie wir mit Stress und leid-

vollen Erfahrungen fertig werden, kann von einem einzigen Gen abhängen.

VoN TuRHaN caNlI

Mehr zuM TheMa»Unser flexibles Erbe« (S. 58): Wie Lebenserfah-rungen die Genaktivität steuern

erbe gut, alles gut?einige gene scheinen tatsäch­lich ein Wörtchen dabei mit­zureden, wie wir das auf und ab des lebens meistern.

52 GEHIRN&GEIST 9_2007 GEHIRN&GEIST 9_2007 53

GenveränderunGen

Ein Atlas des Krebsgenoms 6Die Katalogisierung sämtlicher Gene, die hinter der Zell-Entartung

stecken, ist eine Herkulesaufgabe. Der Krebsatlas wird neue Wege

durch die komplexe Biologie der Tumorerkrankungen weisen

ZellbioloGie

Krebs – sind Stammzellen schuld? 16Die verborgene Wurzel allen Übels scheinen sie zumindest

bei mehreren Tumortypen zu sein

Missbrauchte iMMunabwehr

Bösartige Entzündungen 24Tumoren machen sich bei ihrem Wachstum auch immunologische

Entzündungsreaktionen zu Nutze, die sonst der Wundheilung dienen.

Daher sollte die traditionelle Chemotherapie durch eine neue

Generation von Entzündungshemmern ergänzt werden

anGioGenese-heMMer

Gebändigte Blutgefäße 32Medikamente, die eigentlich einem Tumor die Blutzufuhr abschnei-

den sollen, normalisieren zunächst seine chaotischen Gefäße – und

öffnen gerade damit ein Zeitfenster für seine Zerstörung

therapeutische iMpfunG

Mit Hitzeschockproteinen gegen Krebs 44Eine Blockade wichtiger Mitglieder dieser ungewöhnlichen

Proteinfamilie kann Krebszellen das Überleben erschweren. So

genannte antigenführende Mitglieder vermögen dagegen

das Immunsystem gegen die entarteten Zellen zu mobilisieren

Feind als Freund Viren umzubauen und gezielt auf Krebszellen anzusetzen, ist keine Utopie. Jegliche Form einer Virotherapie birgt allerdings ihre speziellen Vor- und Nachteile

Die dunkle Seite von Stammzellen Bei nicht wenigen Tumortypen kann eine nur kleine Gruppe von Zellen, die Schlüsselmerkmale mit Stammzellen gemein haben, die Krankheit verschlimmern. Sie gilt es gezielt auszurotten

Herkulesaufgabe Alle Mutationen bei unterschiedlichen Krebsarten aufzuspüren, damit entscheidende Veränderungen auf Gen- und Proteinebene gezielt behandelt werden können – diesen Zweck verfolgt das Großprojekt Krebsgenomatlas

Brandbeschleuniger Die Tumorentstehung wird bei man- chen Krebsformen durch eine schwe-lende Entzündung begünstigt

I N H A L T

Krebsprävention Die bislang gültige Aussage, dass hoher Obst- und Gemüsekonsum vor Krebs schützen kann, musste nach neueren Ergebnissen einer euro-päischen Großstudie abgeschwächt werden

6 24 7066 16

D O S S I E R : N E u E S T R A T E g I E N g E g E N K R E B SAusgewählte Spektrum-Artikel zum Thema

MedikaMente

Fortschritte in der Brustkrebstherapie 52Eine effektivere, individuellere Behandlung – diesen Wunschtraum

helfen die neuesten zielgerichteten Medikamente zu erfüllen

porträt

»Uns fehlt dieser Spirit« 60Der Krebsforscher Axel Ullrich, einer der Pioniere der

modernen gezielten Krebstherapie, kommentiert den Stand

der Forschung auf seinem Gebiet

interview

Mit Obst und Gemüse vorbeugen? 66 Nach neueren Ergebnissen der europäischen EPIC-Studie ist

der vor Krebs schützende Effekt hier schwächer als gedacht

virotherapie

Mit Viren gegen Krebs 70 Tumoren im Körper zerstören, ohne gesunde Zellenzu schädigen –

mit speziell umgebauten Viren wollen Forscher dieses Ziel erreichen

interview

»Den Impfstoff hätte es schon früher geben können« 78Gebärmutterhalskrebs lässt sich seit 2006 durch eine Impfung

vorbeugen – dank grundlegender Arbeiten von Harald zur Hausen,

Nobelpreisträger 2008

Editorial 3 · Impressum 39 · Kelchproteine gegen Krebs 42 Titelmotiv: Entartete Stammzellen, eine tödliche Gefahr

(Grafik: Kenn Brown & Chris Wren, Mondolithic Studios )

Spektrum der WissenschaftDossier 3/2009

erschienen in:G&G 9/2007, S. 52

Page 81: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

GEHIRN&GEIST 05_07 89

Zum Thema »naTürliche Pädagogik« (s. 20)Was kleinkinder brauchen»Frühkindliche Bildung« führt bei Eltern und Kindern

oft zu einem vollen Terminkalender. Ist Förderung

rund um die Uhr tatsächlich sinnvoll? Der zweite Teil

unserer Serie »Kindesentwicklung« hilft Eltern, Päda-

gogen und Erzieherinnen, sich eine eigene Meinung zu

bilden

www.gehirn-und-geist.de/kleinkinder

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Jeder dritte Deutsche erkrankt einmal im Leben an

einer psychischen Störung. Unsere Patienteninforma-

tionen erklären, welche Symptome für welche see-

lische Erkrankung typisch sind, wie diese entsteht und

welche Konsequenzen sie haben kann. Ärzte, Psycholo-

gen und Pädagogen können die Informationsblätter als

PDF kostenlos von der G&G-Website herunterladen

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g&g-archivUnser Online-Archiv enthält alle in G&G erschienenen Artikel,

recherchierbar über eine komfortable Stichwortsuche. Sämt-

liche Beiträge können Sie im Volltext als PDF-Dokumente her-

unterladen – als G&G-Abonnent kostenlos

www.gehirn-und-geist.de/archiv

Blogs miT hirnOb freier Wille, Neuro-Enhancement oder Anekdoten aus

dem Forscheralltag: Was immer Psyche und Gehirn betrifft,

die Autoren der Brainlogs (»Hirntagebücher«) spießen es

auf. Mal tiefgründig, mal humorvoll – diskutieren Sie mit!

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besser FernsehenKinder müssen den Umgang mit der Flimmerkiste erst lernen. Gut zu wissen, welche TV-Inhalte ihnen nützen – und welche eher schaden

inhalt

schule aktuell

46 Lernen Fürs LebenDas Thüringer Bildungsprojekt »Nelecom« setzt auf lebensnahen Unterricht und nimmt dazu Eltern und die ganze Kom­mune in die Pflicht

interview50 »eIn seeLIsches PoLsTer aUFbaUen« Heidelberger Schüler wurden ein Jahr lang in dem neuen Schulfach »Glück« unterrich­tet – mit messbarem Erfolg. Ein Gespräch mit dem Initiator des Projekts, dem Päda­gogen Ernst Fritz­Schubert

30 Fernsehen wILL GeLernT seIn TV­Konsum schade der kindlichen Ent­wicklung, heißt es oft kategorisch. Trotz­dem sollten Eltern ihrem Nachwuchs die Flimmerkiste nicht völlig vorenthalten – sondern ihn behutsam an das Medium heranführen

38 saFer sUrFen Das Internet birgt für Kids viele Gefahren: Sie stoßen auf pornografische Inhalte, werden beim Chatten belästigt oder von Mitschülern gemobbt. Zum Glück gibt es Mittel und Wege, um solchen Risiken vorzubeugen

rubriken

3 Editorial71 Impressum90 �Bücher�und�mehr

Neue Literatur zu Schüler­ mobbing, Lernen, Jungen und innovativen Schulkonzepten

98 Vorschau

Psychologie

12 wenn dIe schULbanK drücKT Bauchweh, Unlust – oder Schulangst? Wie man Warnsignale richtig deutet und Kindern die Furcht vor dem Unterricht nimmt

18 Im hImmeL haben aLLe FLüGeL Die Jüngsten glauben noch, sie würden niemals sterben. Erst nach und nach entwickeln Kinder eine realistische Vorstel­lung vom Lebensende

24 schaU mIr In dIe aUGen, KLeIner! In vielen Schulklassen gibt es ein Kind, das seine Lehrer oder Kameraden schlecht wiedererkennt. Womöglich leidet es an Prosopagnosie – der »Gesichtsblindheit«

medienerziehung

6 schULKIndnews

bLoss schneLL erwachsen werden! Bei Problemen in der Familie kom­men Mädchen früher in die Pubertät

maThe be-GreIFenGestikulieren hilft beim Rechnen­lernen

ZaPPeLIG dUrch ZUsäTZe Lebensmitteladditive machen Kinder unruhig

FLexIbLes KöPFchenDie Gehirne hochbegabter Kinder sind besonders wandlungsfähig

KeIne brILLenschLanGeGrundschüler halten Altersgenossen mit Sehhilfen für klüger und ehrlicher

nIchT mIT äPFeLn Und bIrnenAbstrakt vermittelte Matheregeln sind für die Lernenden leichter auf andere Fälle zu übertragen

aUF LInKs GePoLTGehirne von Linkshändern lassen sich nicht auf Rechtshändigkeit umstellen

PädaGoGen In noT Beleidigungen durch Schüler belasten Lehrer besonders stark

morGenmUFFeL mIT GUTer enTschULdIGUnGKörperzellen von »Nachteulen« ticken langsamer als die von Frühaufstehern

sPezial hochbegabung

54 cLeVer, KreaTIV – erFoLGreIch? Außergewöhnliche Intelligenz ist noch kein Garant für schulischen Erfolg. Hoch­begabte Kinder müssen auch optimal gefördert werden

58 hochbeGabUnG: FaKTen Und FIKTIonen

Über Menschen mit einem hohen IQ kursieren viele Klischees. Der Psychologe Detlef Rost räumt mit verbreiteten Miss­verständnissen auf

besser lernen

66 FIT Für babeL Lange dachten Lernforscher, zu viele Fremdsprachen verwirrten das Schülerhirn nur. Falsch: Kinder, die gleich in mehrere Idiome eintauchen, lernen sie oft leichter

interview74 KInder sInd

KeIne Taschenrechner Schüler müssen die tiefere Bedeutung von Zahlen beim Rechnenlernen von Anfang an verstehen. Wie das geht, erklärt die Mathematikdidaktikerin Inge Schwank

80 wIchTIGe handarbeITDas Abc lernen per Tastatur? Besser nicht, sagen Forscher. Denn das Schreiben mit der Hand hilft, Buchstaben zu verinnerlichen

84 dIe wUrZeLn der LeGasThenIe Ein maßgeschneidertes Computertraining halbiert die Zahl der Lesefehler bei Kindern bereits nach wenigen Minuten

schlauer sPrachmixGleichzeitig verschiedene sprachen lernen? das bringt sogar Vorteile, meinen Lernforscher

sicher im netzwas eltern tun können, um ihre Kinder vor den Gefahren im Internet zu schützen

ende ohne schreckenso begreifen Kinder, was »tot sein« bedeutet

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Ein Sonderheft von

Das Magazin für Psychologie und Hirn forschung aus dem Verlag Spektrum der Wissenschaft

Titelmotiv: Jeff Shanes / fotolia

Das sind unsere Coverthemen

keine angst vor der schule!Jedes zweite Kind fürchtet sich gelegentlich vor dem Unterricht. manche schwänzen, andere klagen morgens über bauch-schmerzen. was hilft gegen schulangst?

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1 © www.gehirn-und geist.de / Eine Vervielfältigung für Klienten ist unter Angabe der Quelle Gehirn&Geist erlaubt. Stand: 2009

depression Informationen für Betroffene und ihre Angehörigen

WAS IST EINE DEPRESSION?

Depressive fühlen sich niedergeschlagen, verzwei-felt und haben keine Freude mehr an Dingen, für die sie sich zuvor begeisterten. Sie sind oft erschöpft, müde und antriebslos und können trotzdem nicht ein- oder durchschlafen. Das sexuelle Verlangen sinkt, einige verlieren deutlich an Gewicht, manche nehmen deutlich zu. Sie sind weniger leistungsfä-hig, empfinden auch geringfügige Tätigkeiten als anstrengend, können sich nicht mehr konzentrieren oder entscheiden und grübeln viel. Sie sehen pessi-mistisch in die Zukunft und fühlen sich wertlos – bis hin zu Todesgedanken und konkreten Suizidplänen oder -versuchen. Manche haben Schuldgefühle. Einige leiden auch an körperlichen Beschwerden wie Magenproblemen oder Kopfschmerzen. In schweren Fällen lassen sie sich gar nicht mehr aufheitern und fühlen sich emotional leer. Sie leiden dann häufig auch an einem Morgentief und bewegen sich entwe-der besonders langsam oder nervös und fahrig.

Eine chronische Depression (Dysthymie) liegt vor, wenn jemand über mindestens zwei Jahre an der Hälfte aller Tage niedergeschlagen ist und an zwei oder mehr der folgenden Merkmale leidet: Schlaf-, Konzentrations- oder Selbstwertprobleme, veränder-ter Appetit, Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit.

Ein Sonderfall sind jene Depressionen, die sich mit manischen Episoden abwechseln (»bipolare Stö-rung«). Kennzeichen dieser mindestens vier Tage währenden Phasen mit übertrieben guter (manch-mal auch reizbarer) Stimmung sind ein geringes Schlafbedürfnis, gesteigerte Betriebsamkeit und innere Unruhe sowie ein überhöhter Selbstwert bis hin zu Größenwahn. Die Betroffenen beschäftigen sich übermäßig mit angenehmen Aktivitäten wie Sex oder Einkaufen. Sie sind penetrant gesellig und

blind für Gefahren, schmieden unrealistische Pläne, sind geschwätzig und kaum zu unterbrechen, aber leicht ablenkbar und springen schnell zwischen den Themen. Wer versucht sie in ihrem Eifer zu bremsen, erntet oft Wut und Ärger.

WIE VERBREITET SIND DEPRESSIONEN UND WIE VERLAUFEN SIE?

Studien zufolge erkrankt weltweit etwa jeder Sieb-te einmal im Leben an einer Depression – rund 12 Prozent der Männer und 20 Prozent der Frauen. Damit ist die Depression die häufigste psychische Störung bei Frauen. Jeder zweite Betroffene erkrankt vor dem 40. Lebensjahr, jeder Zehnte mit 60 oder älter. Eine depressive Phase dauert im Schnitt sechs bis acht Monate. Die Hälfte aller Betroffenen erleidet im Durchschnitt nach fünf Jahren einen Rückfall, jeder Dritte erholt sich ohnehin nur teilweise. Einen schwereren Verlauf erleben vor allem Frauen sowie diejenigen, die schon in jungen Jahren das erste Mal erkranken, die genetisch vorbelastet sind, viele Konflikte sowie wenig Unterstützung erfahren oder an weiteren psychischen oder körperlichen Erkran-kungen leiden.

WIE ENTSTEHEN DEPRESSIONEN?

Forscher nehmen an, dass verschiedene Faktoren zusammenwirken – wie genau, ist noch nicht geklärt.

Familie. Es gibt eine genetische Veranlagung für Depressionen. Das haben Vergleichsuntersuchungen von eineiigen und zweieiigen Zwillingen gezeigt. Biologie. Forscher haben bei Depressiven biologische

depressionINFORMATIONEN FÜR BETROFFENE

G&G-Serie »Kindesentwicklung« Nr. 2

Page 82: Gehirn Und Geist September Nr 09 2009 (Elements ATTiCA)

90 G&G 9_2009

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brennpunkt: Die folgen Der ArmutWie sich das Gehirn und die geistigen Anlagen eines Kindes

entwickeln, hängt auch vom Wohlstand seiner Eltern ab. Laut

aktuellen Studien leiden vor allem Sprache, Arbeitsgedächtnis

und Handlungsplanung unter einem niedrigen »sozioökono­

mischen Status«. Neuer Zündstoff in der Debatte um Kinder­

armut und Bildungschancen

Die krux mit Der StAtiStikWie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau tatsächlich

Brustkrebs hat, wenn das Ergebnis der Mammografie positiv

ausfällt? Nur jeder fünfte Gynäkologe kennt die richtige Antwort,

wie der Psychologe Gerd Gigerenzer herausfand. Der For scher

erklärt, wie man medizinische Daten richtig interpretiert

lAbSAl Der tränenWeinen reinigt die Seele.

Das glauben nicht nur Laien­

psychologen, auch viele

Psych iater empfehlen ihren

Pa tienten, sich ab und zu mal

»auszuheulen«. Kontrollierte

Labortests konnten bislang

jedoch nicht belegen, dass wir

uns nach dem Weinen grund­

sätzlich besser fühlen. Ent­

scheidend ist vielmehr, wie

die Umwelt darauf reagiert!

vorschau ı g&g 10_2009 erscheint am 15. september 2009

»Was will ich eigentlich?« So sehr wir uns das auch fragen,

bleiben die Ziele unseres Handelns doch oft im Dunkeln.

Fest steht: Der Mensch verspricht sich von seinem Tun –

im Großen wie im Kleinen – zumeist Glück, Wohlbehagen,

Freiheit. Doch Forscher haben herausgefunden, dass be­

wusste und unbewusste Motive überraschend wenig mit­

einander zu tun haben: Was wir zu wollen glauben, entspricht

nicht unbedingt dem, was uns im Innersten bewegt!

Was uns wirklich antreibt

Von A nAch bJeder »mobile Organismus« – von der Ameise bis zum

Menschen – muss sich im Raum orientieren können. Nur,

wie geht das? Haben wir eine detaillierte Karte unserer

Umgebung im Kopf? Oder merken wir uns einzelne Land­

marken? Hirnforscher studieren den inneren Kompass, der

uns den rechten Weg weist

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