2
48 Heilberufe / Das Pflegemagazin 2014; 66 (6) PflegePraxis Kommunikation Kognitiv-fördernde Pflege Geistig aktivierende Gespräche führen Eine geistig-aktivierende Gesprächsführung und ein sozial-kommuni- katives kognitives Training kann dazu beitragen, dass bei Patienten oder Bewohnern kognitive Defizite gelindert werden oder sich erst gar nicht ausbilden. Geistige Aktivierung sollte also fester Bestandteil jedes Pflegekonzeptes sein. Was bedeutet dies für die Pflege? D as Stillen elementarer Bedürfnisse – nach Essen und Trinken, nach Hygiene, nach Bewegung, Betäti- gung und oder dem, mit anderen zusam- men zu sein – wird in vielen Pflegekon- zepten verwirklicht. Die spezifisch menschlichen Bedürfnisse, sprachlich gebunden zu denken und zu kommuni- zieren wurden lange nicht als gesondert zu fördernde Körperfunktionen verstan- den. Aber sie sind genau das: Funktionen des Organs Gehirn. Damit handelt es sich um Körperfunktionen, die, wie andere Körperfunktionen auch, gezielt von der Pflege zu pflegen, zu aktivieren und zu mobilisieren sind. Wie wichtig eine geistige und kommu- nikative Betätigung für das Wohlbefinden und den körperlichen und psychischen Gesundheitszustand des Menschen ist, zeigt eindrucksvoll die Studie „Langzeitre- habilitation nach Schlaganfall: Effekte eines Kognitiven Trainings nach Stengel in Gruppen“ (Wissenschaftliche Schrif- tenreihe Kognitives Training, memo ver- lag 2013). Demnach entwickelten relativ junge Schlaganfallpatienten ohne kogni- tive Defizite bei Klinikaufnahme (Alters- durchschnitt: 54 Jahre, letzter Schlaganfall im Schnitt vor etwas mehr als zwei Jahren, Patienten größtenteils vor der Rehamaß- nahme bereits wieder arbeitsfähig), die keine gezielte geistige Anregung und Ak- tivierung durch ein kognitives Gruppen- training erhalten hatten, während ihres Klinikaufenthaltes neue kognitive Defizi- te und Hirnleistungsstörungen. Und dies, obwohl sie sehr viel Körpertraining erhal- ten hatten (im Schnitt über 58 Einheiten). Dass Patienten im Verlauf von Klinikauf- enthalten ziemlich schnell geistige Defi- zite entwickeln können, ist jedoch keine neue Erkenntnis. Psychologen haben bereits in früheren Veröffentlichungen eine Einschränkung kognitiver Kompe- tenzen als Folge eines dreiwöchigen Kran- kenhausaufenthalts von allgemeinchirur- gischen und internistischen Patienten beschrieben. Auch wenn es Konzepte, die die geistige Aktivierung gleichberechtigt mit anderen Pflegeaufgaben gezielt in die tägliche Pflege eingebunden haben, be- reits seit Mitte der 1990er Jahre gibt, wur- den sie nur vereinzelt umgesetzt. Förderung braucht Zeit Künftig muss die geistige Aktivierung sowie die Kommunikationsförderung Be- standteil eines jeden modernen Pflege- konzepts sein. Es werden Pflegekonzepte benötigt, die die geistige Mobilisierung gleichberechtigt mit der körperlichen be- trachten und auch zeitlich hierfür Raum lassen. Betriebswirtschaftlich muss dies DOI: 10.1007/s00058-014-0678-7 © Thinkstock Gespräch mit einem Patient mit semantischer Aphasie

Geistig aktivierende Gespräche führen

  • Upload
    sabine

  • View
    215

  • Download
    1

Embed Size (px)

Citation preview

48 Heilberufe / Das P� egemagazin 2014; 66 (6)

PflegePraxis Kommunikation

Kognitiv-fördernde Pflege

Geistig aktivierende Gespräche führen Eine geistig-aktivierende Gesprächsführung und ein sozial-kommuni-katives kognitives Training kann dazu beitragen, dass bei Patienten oder Bewohnern kognitive Defizite gelindert werden oder sich erst gar nicht ausbilden. Geistige Aktivierung sollte also fester Bestandteil jedes Pflegekonzeptes sein. Was bedeutet dies für die Pflege?

Das Stillen elementarer Bedürfnisse – nach Essen und Trinken, nach Hygiene, nach Bewegung, Betäti-

gung und oder dem, mit anderen zusam-men zu sein – wird in vielen Pflegekon-zepten verwirklicht. Die spezifisch menschlichen Bedürfnisse, sprachlich gebunden zu denken und zu kommuni-zieren wurden lange nicht als gesondert zu fördernde Körperfunktionen verstan-den. Aber sie sind genau das: Funktionen des Organs Gehirn. Damit handelt es sich um Körperfunktionen, die, wie andere Körperfunktionen auch, gezielt von der Pflege zu pflegen, zu aktivieren und zu mobilisieren sind.

Wie wichtig eine geistige und kommu-nikative Betätigung für das Wohlbefinden

und den körperlichen und psychischen Gesundheitszustand des Menschen ist, zeigt eindrucksvoll die Studie „Langzeitre-habilitation nach Schlaganfall: Effekte eines Kognitiven Trainings nach Stengel in Gruppen“ (Wissenschaftliche Schrif-tenreihe Kognitives Training, memo ver-lag 2013). Demnach entwickelten relativ junge Schlaganfallpatienten ohne kogni-tive Defizite bei Klinikaufnahme (Alters-durchschnitt: 54 Jahre, letzter Schlaganfall im Schnitt vor etwas mehr als zwei Jahren, Patienten größtenteils vor der Rehamaß-nahme bereits wieder arbeitsfähig), die keine gezielte geistige Anregung und Ak-tivierung durch ein kognitives Gruppen-training erhalten hatten, während ihres Klinikaufenthaltes neue kognitive Defizi-

te und Hirnleistungsstörungen. Und dies, obwohl sie sehr viel Körpertraining erhal-ten hatten (im Schnitt über 58 Einheiten). Dass Patienten im Verlauf von Klinikauf-enthalten ziemlich schnell geistige Defi-zite entwickeln können, ist jedoch keine neue Erkenntnis. Psychologen haben bereits in früheren Veröffentlichungen eine Einschränkung kognitiver Kompe-tenzen als Folge eines dreiwöchigen Kran-kenhausaufenthalts von allgemeinchirur-gischen und internistischen Patienten beschrieben. Auch wenn es Konzepte, die die geistige Aktivierung gleichberechtigt mit anderen Pflegeaufgaben gezielt in die tägliche Pflege eingebunden haben, be-reits seit Mitte der 1990er Jahre gibt, wur-den sie nur vereinzelt umgesetzt.

Förderung braucht Zeit Künftig muss die geistige Aktivierung sowie die Kommunikationsförderung Be-standteil eines jeden modernen Pflege-konzepts sein. Es werden Pflegekonzepte benötigt, die die geistige Mobilisierung gleichberechtigt mit der körperlichen be-trachten und auch zeitlich hierfür Raum lassen. Betriebswirtschaftlich muss dies

DO

I: 10

.100

7/s0

0058

-014

-067

8-7

© T

hink

stoc

k

Gespräch mit einem Patient mit semantischer Aphasie

Pflegekraft: Möchten Sie Apfelmus oder Pudding? Patient: Pflaume. Pflegekraft: Stimmt, Pflaumenmus hatten wir schon länger nicht mehr. Haben Sie das immer selbst gekocht? Patient: Nein. Pflegekraft: Wer dann? Patient: Frau. Pflegekraft: Da muss ich Ihre Frau direkt einmal fragen, ob Sie das für Sie mal wieder kochen kann, wenn sie Sie heute Mittag besucht. Aber jetzt habe ich leider nur Apfelmus oder Pudding zur Auswahl. Was möchten Sie gerne? Patient (Unschlüssig). Pflegekraft: Also ich habe das Apfelmus gegessen, das war ganz gut. Möchten Sie das mal probieren? Patient zögerlich: Ja. Pflegekraft: Aus welchen Äpfeln macht man eigentlich Apfelmus? Patient (Denkpause lassen)Pflegekraft: Stimmt das, dass besonders Boskop-Äpfel für Apfelmus geeignet sind? Patient: Ja. Pflegekraft: Warum eigentlich? Patient (Denkpause lassen)Pflegekraft: Kann das sein, weil die so viel Pektin enthalten und das Mus deshalb nicht so wässrig wird? Patient: Ja. Pflegekraft: Probieren Sie doch nachher einfach das Apfelmus und sagen Sie mir, ob es gut schmeckt! Patient: Ja.

49Heilberufe / Das P� egemagazin 2014; 66 (6)

in definierten Pflegezeiteinheiten für eine gezielte geistige Aktivierung und Kom-munikation berücksichtigt werden, die auch finanziell zu honorieren sind. Kriti-ker solcher Ansätze werfen ein, dass es schließlich während der körperlichen Pflege genügend Gelegenheiten für eine Kommunikation gäbe. Dies stimmt nur bedingt. Man kann natürlich in den we-nigen Minuten, in denen eine Pflegekraft hochkonzentriert unter Zeitdruck die körperliche Pflege durchführen muss, über das Wetter oder den Gesundheits-zustand des Patienten reden. Eine gezielte geistige Aktivierung, die auch eventuell vorhandene kognitive Defizite bei neuro-logischen Patienten und Demenzpati-enten (Denkgeschwindigkeit verlangsamt, Wortfindung erschwert, Merkfähigkeit eingeschränkt) berücksichtigt, ist unter solchen Bedingungen nicht möglich. Denn bedeutungsvolle und geistig akti-vierende Kommunikation benötigt neben Zeit auch Kommunikations- und Sprach-kenntnisse.

Patienten mit einer Demenz beispiels-weise benutzen oft Dialektausdrücke, wenn sie etwas mitteilen wollen. Außer-dem verstärkt sich im Verlauf einer De-menz oft auch die sprachliche Färbung der Hochsprache, was dann Nicht-Mut-tersprachlern Verständnisprobleme be-reitet. Wenn nun zunehmend Pflegekräf-te aus anderen Ländern ohne Dialekt-kenntnisse und ohne die für eine gezielte geistig aktivierende Gesprächsführung notwendigen sehr guten Kenntnisse der deutschen Sprache die Pflege überneh-men, werden zugleich auch Pflegekräfte mit exzellenten Deutschkenntnissen be-nötigt, die sich ergebende sprachliche Verständnisprobleme ausräumen und eine geistige Aktivierung und ein Kom-munikationstraining mit den Patienten durchführen können.

Stressfrei trainierenEine geistige Aktivierung darf die Bewoh-ner keinesfalls stressen, muss ihre Auto-nomie wahren (nicht abfragen, sondern gesprächsbetont vorgehen) und an die kognitiven Einschränkungen, die be-stimmte Krankheitsbilder mit sich brin-gen, angepasst werden. So sind Spiele wie „Stadt-Land-Fluss“ oder „Memory“, wie sie von ungeschulten Laien gern zur gei-stigen Aktivierung durchgeführt werden,

bei Demenzpatienten absolut kontraindi-ziert. Wesentliches Kennzeichen einer Demenz ist die Merkfähigkeitsstörung und die Wortflüssigkeitsstörung. „Stadt-Land-Fluss“ arbeitet jedoch größtenteils mit der phonematischen Wortflüssigkeit, weshalb dabei der Demente mit seinen Defiziten konfrontiert wird, was gegen den ausdrücklichen therapeutisch-pfle-gerischen Grundsatz bei Demenz ver-stößt, ressourcenorientiert zu arbeiten. Gleiches gilt für das bei Kindern beliebte Memory-Spiel.

Aktivierende GesprächsführungDie Grundsätze einer geistig aktivie-renden Gesprächsführung und die För-derung der sprachlichen Kommunikation sind Bestandteil der ganzheitlichen akti-vierenden Pflege aller Altersgruppen:

▶ Machen Sie bewusst jedem Patienten ein Gesprächsangebot.

▶ Lassen Sie dem Patienten Zeit, das Ge-sagte zu verstehen und sich sprachlich oder auch nicht-sprachlich zu äußern.

▶ Zeigen Sie Interesse an dem, was der Patient sagen möchte.

▶ Vermitteln Sie die Botschaft, dass Sie sich so lange Zeit nehmen, bis Sie ver-standen haben, was der Patient Ihnen sagen möchte. Hat der Patient den Fa-den verloren, wiederholen Sie alles nochmals.

▶ Achten Sie auf die nonverbalen Äuße-rungen des Patienten, 80% jeder Kom-munikation verläuft nonverbal. Verset-zen Sie sich aktiv in die Situation des Patienten. Versuchen Sie, seine Gedan-ken zu lesen.

▶ Lassen Sie den Patienten so viel wie möglich fragen und selbst entscheiden, auch und gerade bei Kleinigkeiten. Bei Patienten mit Hirnleistungsstörungen ist es günstig, die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten vorzugeben.

▶ Wiederholen Sie bei stark kommunika-tionseingeschränkten Patienten in ganzen, kurzen Sätzen, was Sie meinen, verstanden zu haben.

▶ Duzen Sie den Patienten niemals. ▶ Sprechen Sie deutlich akzentuiert und in vollständigen, aber kurzen Sätzen in normaler Lautstärke.

▶ Das Sprechtempo muss herabgesetzt werden, da bei vielen Patienten mit Hirnleistungsstörungen das kognitive Arbeitstempo verlangsamt ist. Der Pa-

tient benötigt also einfach nur mehr Zeit, das Gesagte zu verarbeiten.

▶ Nehmen Sie von Patienten geäußerte Worte oder Gesprächsgegenstände auf als Gesprächsaufhänger. Formulieren Sie daraus Fragen, die den Patienten zum Mitdenken bewegen.

▶ Kommen vom Patienten zu wenig An-regungen für Gespräche, können Ma-terialien zum Kognitiven Training ein-gesetzt werden. Es sollte jedoch nur mit nachweislich wirksamen Programmen zum sozial-kommunikativen Kogni-tiven Training gearbeitet werden.

▶ Eine Tagesvor- und -rückschau fördert die zeitliche Orientierungsfähigkeit des Patienten.

▶ Bieten Sie regelmäßig ein geistig akti-vierendes Kognitives Trainings am Krankenbett oder in der Gruppe durch geschulte Pflegekräfte an.

Aus diesen anspruchsvollen Grundsätzen wird deutlich, dass die Pflege des Geistes genauso einer Schulung bedarf, wie die Pflege des Körpers. Beides muss sich je-derzeit am Krankheitsbild mit seinen Symptomen orientieren, sollen keine un-beabsichtigten Schädigungen entstehen.

Dr. med. Sabine Ladner-MerzÄrztliche Leiterin der Akade-mie für Kognitives TrainingNöllenstr. 1170195 [email protected] bei der Verfasserin

▶ Eine geistig-aktivierende Gesprächs-führung und ein sozial-kommunika-tives Kognitives Training können dazu beitragen, dass kognitive Defizite ge-lindert werden oder sich erst gar nicht ausbilden.

▶ Kommunizieren Pflegekräfte und Patienten mehr und effektiver mitei-nander, wird dnander, wird dnander as soziale Miteinander verbessert.

▶ Die geistige Aktivierung sowie die Kommunikationsförderung muss Bestandteil eines jeden modernen Pflegekonzepts sein.

FA Z IT FÜ R D I E PFLEG E