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Gendün Rinpoche -- Wir Haben Vergessen, Daß Wir Buddhas Sind (Kagyü-Dharma-Verlag 1991, Buddhismu

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Lama Gendün Rinpoche

Wir haben vergessen, dass wir Buddhas sind

Kagyü-Dharma-Verlag

Aus dem Tibetischen übersetzt von Yeshe Nyingpo. Zsgest. Und ins Deutsche übersetzt von Tashi Öser

1. Auflage 1991 © Kagyü-Dharma-Verlag Peter Wägerle

Schloss Wachendorf, D-5353 Mechernich

Zeichnung Titelbild: Dieter Hoffmann Herstellung: Druckerei Klinkhammer, Euskirchen

Gedruckt auf chlorfreiem gebleichtem Papier Printed in Germany

ISBN 3-89233-015-8

Scanned 2003 by David Lehmann

Inhalt Vorwort.....................................................................................................4 Lebensgeschichte......................................................................................6 I Zuflucht ........................................................................................16 II Amitabha ......................................................................................23 III Erleuchtungsgeist..........................................................................29 IV Liebende Güte und Mitgefühl.......................................................41 V Lehrer und Schüler .......................................................................45 VI Niederwerfungen ..........................................................................52 VII Sieben-Zweige Gebet ...................................................................62 VIII Meditation.....................................................................................71 IX Mahamudra...................................................................................79 X Von hier und da zusammengetragen ............................................91 Anhang..................................................................................................102

Die Meditationshaltung ....................................................................102 Glossar ..................................................................................................105

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Vorwort „Wir haben vergessen, dass wir Buddhas sind" ist aus Belehrungen entstanden, die Gendün Rinpoche 1985 im Kamalashila Institut für buddhistische Studien gegeben hat. Die mündliche Übersetzung ins Englische besorgte Yeshe Nyingpo. Eberhard Bojanowski fertigte davon eine Niederschrift und schenkte mir eine Kopie. Dies und eine Unterredung mit dem Herausgeber gaben den Anstoss zu dem Versuch, ein Buch daraus zu erstellen. Als Gendün Rinpoche und Yeshe Nyingpo diesem Unterfangen bereitwillig zustimmten, waren alle Bedenken beseitigt. Sämtliche Kapitel dieses Buches, ausser dem letzten, sind den oben erwähnten Belehrungen entnommen. Die Zitate im letzten Kapitel entstammen verschiedenen von hier und da zusammengetragenen Unterweisungen Gendün Rinpoches. Die den Kapiteln vorangestellte Lebensgeschichte basiert grösstenteils auf einem Aufsatz von Yeshe Nyingpo. Die Fotos wurden von Dhagpo Kagyü Ling (Frankreich) zur Verfügung gestellt. Die mühselige Arbeit des Korrekturlesens erledigten Michael Wallossek und Franz Sporschill. Alle noch verbleibenden Fehler und unschönen Formulierungen sind nicht ihnen, sondern der Eigenwilligkeit des Übersetzers anzulasten. Viele andere, die hier nicht erwähnt worden sind, haben in hilfreicher Weise zur Fertigstellung dieses Buches beigetragen. Ihnen allen sei gedankt. Dieses Buch enthält Unterweisungen eines erleuchteten Lehrers, herausgegeben von einem verdunkelten Schüler. Hoffentlich hat die Dunkelheit des Schülers nicht das Licht des Lehrers geschluckt, damit auch noch Sie, liebe Leser, bei der Lektüre erhellt werden können.

Mit den besten Wünschen der Übersetzer

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Lebensgeschichte

Als Milarepa einmal im Kreis seiner Schüler eine Belehrung gab, ging so strahlend helles Licht von seinem Körper aus, dass sie es kaum ertrugen, ihn anzuschauen. Dies erweckte in ihnen grenzenloses Vertrauen. Da ihnen jedoch unvorstellbar schien, dass ein gewöhnlicher Mensch über solche Fähigkeiten verfügen könne, fragten sie Milarepa, ob er nicht eine Ausstrahlung eines Buddha oder Bodhisattva sei. Milarepa antwortete darauf: »Eure Frage zeigt, dass ihr völlig verkehrte Vorstellungen vom Dharma habt und überhaupt nicht versteht, welche Schwierigkeiten es für mich im Leben zu überwinden gab. Wenn ihr glaubt, nur eine Ausstrahlung der Buddhas oder Bodhisattvas könne solche Qualitäten besitzen, bringt ihr damit zum Ausdruck, dass es euch an wirklichem Vertrauen in die Praxis des Dharma fehlt. Sollte ich tatsächlich eine Ausstrahlung sein, bin ich bestimmt die Ausstrahlung eines Wesens aus den Höllenbereichen.«

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Ich habe keine Lebensgeschichte. Ich habe nur Tee getrunken und Tsampa gegessen. Das ist alles. Lama Gendün Rinpoche wurde im Erde-Pferd-Jahr (1918) bei Singka Dzong (Festung der Klarheit) in der Provinz Nangchen in Kham, Osttibet, geboren. Diese Gegend, über die sich ein weisser Berggipfel erhebt, wird von den Tibetern als geheiligter Platz verehrt: Der Legende nach war der Berggipfel der Geburtsort des Asketen Sangye Nyenpa, der von einer Yak-Kuh mit ihrer Milch aufgezogen wurde, später in einer Höhle des Berges meditierte und vollkommene Verwirklichung erlangte. An diesem Felsen kann man ein spontan im Stein erschienenes Dharma-Rad sehen. Rinpoches Vater, Mongdje Dargye, war Bildhauer. Er schnitt Mantras in Holz und Stein. Seine Mutter hiess Gadoma. Von frühester Kindheit an hatte ihr Sohn ein offenes Herz für die Religion. Während der Sommermonate, wenn seine Eltern ihre Herden auf die Weide führten, lebte die ganze Familie in einem Zelt. Rinpoches Lieblingsspiel bestand darin, etwas abseits eine Hütte aus Zweigen und Blättern zu bauen. Dort liess er sich in Meditationshaltung nieder und verkündete: »Ich bin ein Einsiedler.« Er baute sich einen Sitz aus Erde, füllte eine Vase mit Wasser und verschiedenen Substanzen, setzte sich auf seinen improvisierten Thron und gab Einweihungen, zu denen er Gebete rezitierte. Über diesen Lebensabschnitt erzählt Rinpoche: »Obwohl ich damals noch keinerlei religiöse Erziehung erhalten hatte, war mein Geist ganz auf den heiligen Dharma ausgerichtet. Ich betrachtete das Leben, das meine Eltern führten, einfache und aufrichtige Leute. Da ich sah, dass die weltlichen Dinge dieses Lebens sie ganz und gar in Anspruch nahmen, sagte ich mir: "Alle weltlichen Aktivitäten sind nutzlos und ohne Bestand. Worin besteht ihr Nutzen zur Zeit des Todes?

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Ein gewöhnliches Leben bringt nichts Gutes hervor, es kann nur zu Leiden führen." Ich dachte eingehend über die Leiden nach, die die Wesen in den Höllen oder die Hungergeister ertragen, und erkannte, dass sie unter diesen schlechten Bedingungen leben müssen, weil sie sich in früheren Leben nur mit weltlichen Angelegenheiten beschäftigt hatten. Ich empfand grosses Mitgefühl für ihr Elend und befürchtete, auch meine Eltern werde zur Zeit ihres Todes ein ähnliches Schicksal ereilen. Durch dieses intensive Nachdenken wandte sich mein Geist für immer von weltlichen Angelegenheiten ab. Mein Vater versuchte immer wieder, mir sein Handwerk beizubringen, aber all seine Mühe war vergebens. Mir gelang es einfach nicht, mit dem Werkzeug geschickt umzugehen. Meine Eltern waren um meine Zukunft besorgt. Schliesslich gaben sie meiner wiederholten Bitte nach, einen Meister ausfindig zu machen, von dem ich den heiligen Dharma lernen könnte. Sie beschlossen, mich in das nahegelegene Kloster von Tchödrag zu bringen, wo ich eine religiöse Ausbildung wie auch die Mittel für meinen Lebensunterhalt erhalten würde.« So begann Rinpoche, als er ungefähr sieben Jahre alt war, seine Lehrzeit im Kloster. Er passte sich zwar den Regeln der Gemeinschaft an, interessierte sich aber tatsächlich nur wenig für die traditionellen Aktivitäten der Mönche, die aus Lektüre und Rezitation von Texten, Herstellen von Tormas, heiligen Tänzen und anderen formellen Studien bestanden. Anders als die übrigen Mönche fühlte er sich nur dann wirklich zufrieden, wenn er in Meditation verweilen konnte. So verbrachte er viele Jahre zu Füssen der grossen Meister, die im Kloster lebten, um meditieren zu lernen. Zutiefst sehnte er sich nach der Praxis des geheimen Mantra, des Vajrayana, dem schnellen Weg zur geistigen Verwirklichung. Während dieser Zeit der Ausbildung praktizierte Rinpoche bereits einige Male in vollständiger Abgeschiedenheit. Als er siebzehn Jahre alt war erhielt er die volle klösterliche Ordination eines Gelong, und mit einundzwanzig ging er in das Retreatzentrum seines Klosters, um dort das traditionelle Retreat von drei Jahren und drei Monaten durchzuführen. Da er unerschütterliches Vertrauen besass, war er ein makelloses Gefäss für die Lehre

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und nahm in vollkommener Weise den Geist seines Wurzel-Lama in sich auf. Nach diesem Retreat blieb er noch etliche Jahre im Kloster Tchödrag. Er lebte in strenger Abgeschiedenheit und praktizierte intensiv. Seine Tür blieb verschlossen. Einziger Besucher war der Koch, der sich um ihn kümmerte und den Schlüssel zu seiner Zelle hütete. Eines Tages besuchte ihn sein Wurzel-Lama, Tulku Tendzin von Tchödrag, liess die Tür seiner Zelle öffnen und sagte zu ihm: »Jetzt ist es Zeit für dich herauszukommen. Deine Meditation ist vollendet, durch sie hast du Verwirklichung erlangt. Daher solltest du nicht länger zurückgezogen leben. Du bist ein wahrer Träger der unerschöpflichen Güte geworden und kannst von nun an durch ein Leben unter den Menschen zum Wohl der Wesen wirken. Deine Verwirklichung ist unumstösslich: Du bist wie ein goldener Fels, dessen kannst du gewiss sein. Handle von jetzt ab nach deinem eigenen Ermessen.« Trotz dieser Worte blieb Rinpoche zunächst weiter in seiner Zelle. Nach einem zweiten Besuch von Tendzin Rinpoche und auf das nachdrückliche Drängen von Khenpo Mingyur, einem Siddha, der im Ktoster lebte und einer seiner Lehrer war, folgte er schliesslich ihren Anweisungen und verliess seine Zelle. Er begab sich auf eine Pilgerreise, besuchte die heiligen Orte in Tibet und Nepal, brachte Opfergaben dar und verrichtete kraftvolle Wunschgebete. Nachdem so ein Jahr vergangen war, setzte er seine Praxis in Abgeschiedenheit fort und meditierte in Höhlen, die durch grosse Siddhas der Vergangenheit wie Guru Padmasambhava und Milarepa gesegnet waren. Dort erlangte Rinpoche vollkommene Verwirklichung. Im Jahr 1959, als die Ereignisse in Tibet sich zuspitzten und das Land auf Dauer militärisch besetzt wurde, lebte Gendün Rinpoche immer noch zurückgezogen. »Selbst wenn ich die Prophezeiungen von Guru Rinpoche gelesen hätte, hätte ich keinen Hinweis auf die grossen Veränderungen erhalten, die über Tibet und die Welt kamen. Eines Tages hatte ich allerdings einen Traum, in dem ich eine Stimme hörte, die mir sagte, dass die Situation in Tibet bald kritisch werden würde und ich mich zum

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Aufbruch bereit machen solle. Doch ich achtete nicht auf den Traum. Ein wenig später träumte ich von einer Frau, deren Kopf mit grüner Seide bedeckt war. Sie sagte mir, dass ich diese Gegend verlassen müsse. Ich fragte sie, wer sie sei, und sie erwiderte: "Ich bin die Beschützerin dieses Ortes". - "Und wann muss ich gehen?" - "Du wirst es von selbst wissen." Dann sah ich einen Hügel im Süden Tibets, an der Grenze zu Indien. Es war Pemakö, ein heiliger Ort, an dem ich später acht Monate Retreat machte. Ich sah mich auf dem Hügel und am Himmel einen Strahl weissen Lichts, der mein Herz traf. Etwas später schien mir die Zeit reif zum Aufbruch. Während meiner Vorbereitungen kamen zwei meiner Freunde aus ihrem Retreat in den Bergen und fragten mich, ob ich Zeichen erhalten hätte. Und so haben wir Kham verlassen - zu Fuss und bettelnd. Es war eine Zeit grossen Aufruhrs. Die Widerstandskämpfer aus Kham wie auch die Chinesen hielten alle an, die über Land zogen, und jeder wurde als Spion verdächtigt. Oft wurden Leute getötet, ohne dass ihnen Zeit für eine Erklärung blieb. Wir wurden zweimal von den Khampas angehalten, aber jedes mal dank des Schutzes der Drei Juwelen als Mönche erkannt und zuvorkommend behandelt. So näherten wir uns unter einigen Schwierigkeiten der indischen Grenze. Es gab in den Grenzgebieten sehr viele chinesische Soldaten, denn der Dalai Lama hatte gerade mit seinem Gefolge die Grenze überschritten. Wir liefen so nahe bei den Wachtposten vorbei, dass wir ihre Waffen sehen und sogar den Rauch ihrer Zigaretten riechen konnten. Aber es war jedes Mal, als ob sie uns nicht sehen würden. Wir überquerten unbehelligt die Grenze und kamen in ein Flüchtlingslager. Ich wurde darauf mit dreihundert anderen Flüchtlingen nach Sikkim geschickt, um eine Strasse zu bauen. Ich brauchte jedoch nicht schwer zu arbeiten, denn meine unglücklichen Kameraden erwiesen mir, weil ich ein Mönch war, viele Aufmerksamkeiten. Zu dieser Zeit hatte Seine Heiligkeit Karmapa gerade Sikkim erreicht und sich im alten Kloster Rumtek niedergelassen. Als er erfuhr, wo ich mich befand, liess er mich holen.« Seine Heiligkeit

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Gyalwa Karmapa betraute Rinpoche dann mit der Leitung eines neu errichteten Klosters im östlichen Bhutan. Dort blieb Rinpoche drei Jahre. Danach wurde er durch die freundliche Vermittlung Seiner Heiligkeit von einem in Kalimpong (Indien) lebenden Gönner eingeladen, in seinem Haus zu wohnen. Dort lebte er mit drei Gefährten weitere zwölf Jahre relativ zurückgezogen, ständig meditierend und Pujas haltend. Jedes Jahr ging Rinpoche nach Rumtek, dem Kloster des Gyalwa Karmapa, und erhielt von ihm zahlreiche Übertragungen. Im Jahr 1974, während der Vorbereitungen zu seiner ersten Reise in den Westen, wandte sich der Karmapa mit folgenden Worten an Rinpoche: »Ich werde nach Amerika und Europa reisen. Da die Menschen dort den heiligen Dharma nicht kennen, leiden sie sehr darunter, dass ihr Geist von störenden Emotionen aufgewühlt ist. Nur der heilige Dharma kann ein Heilmittel für ihre Leiden sein. Wenn alle Voraussetzungen für die Weitergabe der Lehre erfüllt sind, wird es deine Aufgabe sein, sie in Europa zu verbreiten. Dies steht ausser Frage, denn ich kenne die Zeichen. Ich weiss, dass du ein Lama bist, der seine Praxis zum Abschluss gebracht hat. Für dich ist jetzt die Zeit gekommen, zum Wohl der Wesen zu wirken.« Rinpoche erinnert sich seiner Reaktion: »Von der Aussicht auf eine solche Aufgabe fühlte ich mich völlig niedergeschmettert. Mir fehlten die Worte. Ich konnte einfach nichts antworten. Seine Heiligkeit legte mir seine Hand auf den Kopf und sagte lächelnd: "Danke für deine Zusage". Ich teilte Thogpa Rinpoche meine Besorgnis mit. Noch nie hatte ich gelehrt, immer nur für mich praktiziert. Ich hielt mich für dumm und unwissend. So bat ich Thogpa Rinpoche, mich noch einmal zu Seiner Heiligkeit zu bringen, damit ich ihm sagen könne, dass ich diese Aufgabe ablehnte. Thogpa Rinpoche entgegnete jedoch: "Das kannst du nicht machen, du musst Seiner Heiligkeit gehorchen."

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Gendün Rinpoche und zwei tibetische Lamas, 1975, kurz nach ihrer Ankunft in Dhagpo Kagyü Ling.

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Zwei Tage später rief mich Seine Heiligkeit Karmapa von neuem, und ich war froh, dass ich ihm meine Bitte, in Bhutan bleiben zu können, mitteilen konnte. "Es ist nicht möglich, dass du in Bhutan bleibst. Ich habe schon alles Nötige veranlasst, damit du Ausreisepapiere und Visa erhältst." - "Aber ich bin weder ein Gelehrter noch ein grosser Lama", erwiderte ich. "Ich bin dein Lama, und du musst zustimmen. Ich kenne dich gut: Du bist der Beste für diese Arbeit." Nach der Rückkehr aus Europa bekräftigte der Karmapa seine Entscheidung: "Ein Gönner hat mir einen Teil seines Besitzes in Frankreich angeboten. Dort soll ein wichtiges Zentrum für die Verbreitung des heiligen Dharma aufgebaut werden. Viele Menschen könnten dadurch Zugang zur Lehre finden, und das wird für die Abendländer von grossem Nutzen sein. Deshalb musst du nach Europa gehen. Sei unbesorgt, du besitzt das zur Erfüllung dieser Aufgabe notwendige Karma. Die Zeit ist gekommen, dass du es in die Tat umsetzt. Ich bin Karmapa, und wenn du meinem Namen vertraust, musst du meinen Worten Glauben schenken", sagte seine Heiligkeit lachend. "Ich bin ein alter Mann", antwortete ich. "Es ist wahr, dass du älter bist als ich, jedoch werde ich vor dir gehen, und du wirst mich als Kind wiedersehen. Deine Aktivität ist sehr eng mit der meinen verknüpft. Du wirst noch zwei weitere Leben in nächster Nähe von mir wiedergeboren werden und danach die vollständige Buddhaschaft manifestieren".« Im Jahr 1975 kam Gendün Rinpoche nach Frankreich und liess sich in der Dordogne nieder: Auf dem Land, das der Karmapa geschenkt bekommen und zu seinem europäischen Hauptsitz erwählt hatte. 1977, während seiner zweiten Reise in den Westen, segnete der Karmapa den Sitz des zukünftigen Klosters und gab dem Zentrum den Namen 'Dhagpo Kagyü Ling'. Seit seiner Ankunft in Europa hat sich Gendün Rinpoche unermüdlich der Verbreitung des Dharma gewidmet und ist mehrmals durch nahezu alle Länder Westeuropas gereist. Inzwischen konzentriert er sich aufgrund seines fortgeschrittenen Alters fast ausschliesslich auf die Unterweisung der Praktizierenden, die unter seiner Anleitung das traditionelle

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Retreat von drei Jahren und drei Monaten durchführen. In diesen drei Jahren und drei Monaten werden den Praktizierenden die tiefgründigen Lehren des Vajrayana unter reinsten Bedingungen übertragen. Für die Durchführung dieser intensiven Praxis wurde in Frankreich in der Auvergne ein grosses Zentrum errichtet. 1991 werden es mehr als hundert Männer und Frauen aus mehreren europäischen Ländern sein, die Dreijahres- beziehungsweise Sechsjahres-Retreats unter Gendün Rinpoche durchführen oder durchgeführt haben. Besonders am Herzen liegt Rinpoche die Schaffung eines klösterlichen Sangha, und er bemüht sich gegenwärtig darum, eine Struktur aufzubauen, die es den Mönchen und Nonnen gestattet, ihren religiösen Verpflichtungen unter bestmöglichen Bedingungen nachzukommen. Für uns gewöhnliche Wesen ist es schwierig, die Qualitäten eines erleuchteten Menschen zu erfassen, doch kann jeder, der Gendün Rinpoche trifft, die Kraft seiner Güte und die warme Ausstrahlung seines Mitgefühls unmittelbar empfinden. Diejenigen, die längere Zeit unter seiner Anleitung praktizieren, bekommen eine Ahnung von der Unermesslichkeit seiner Verwirklichung. Seine Heiligkeit, der sechzehnte Gyalwa Karmapa, hat ihn mit Milarepa verglichen und gesagt, dass er die Ebene von Dorje Chang, der Verkörperung des Dharmakaya, erreicht hat. Künzig Shamar Rinpoche, das stellvertretende Oberhaupt der Karma Kagyü-Überlieferung, beschreibt ihn mit folgenden Worten: »Lama Gendün vom Kloster Tchödrag ist ein wahrhaft spiritueller Mensch, der Bindung an das Verlangen nach Wohlstand, Achtung und Ansehen völlig abgeschnitten hat.... Es ist heutzutage schwierig, jemanden zu finden, der in Meditation und Handlung so dazu befähigt ist wie er, jedem einzelnen Schüler die Anleitung zu geben, die er braucht. Dies und seine Fähigkeit, wirklichen Segen auf seine Schüler zu übertragen, bringen seine spirituelle Verwirklichung zum Ausdruck und zeigen, dass der Mahamudra-Yogi ein seltener Fund ist, vergleichbar einem kostbaren wunscherfüllenden Juwel: Quell all dessen, was man wünscht und braucht.«

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I Zuflucht

Zu Buddha, Dharma und Sangha nehme ich solange Zuflucht, bis ich Erleuchtung erlange. Möge ich durch die Verdienste meiner Praxis zum Wohl aller W en es die Buddhaschaft verwirklichen.

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Jemand, der Zuflucht nimmt, sollte dies nicht tun, um dem Buddhismus anzugehören, sondern vielmehr, um Schutz zu erhalten und sich selbst zu helfen. Auf der Suche nach Schutz vor den Leiden des Samsara meinen wir vielleicht, dass wir bei mächtigen Göttern, bei Geistern, die in Bergen, Seen oder Bäumen wohnen, oder bei weltlichen Machthabern Zuflucht finden können. Womöglich suchen wir auch bei unseren Eltern Zuflucht und glauben, sie böten uns den Schutz, den wir brauchen. Sie alle jedoch können nur für einige bestimmte Aspekte des Daseins Schutz bieten und sind ausserstande, uns insgesamt vor all den Leiden, die eng mit Samsara verknüpft sind, zu schützen. Der Grund dafür ist, dass sie selbst immer noch in Samsara gefangen sind. Sie können uns nicht vor dem Leiden beschützen, weil sie sich selbst nicht davon befreit haben - sie sind noch nicht über das Leiden hinausgegangen. Nur jemand, der sich selbst bereits vom Leiden befreit hat, ist fähig, wirkliche Zuflucht zu bieten. Da er frei ist, kann er anderen helfen. In dieser Welt waren der Buddha und die erleuchteten Wesen imstande, vollkommene und unvergängliche Erleuchtung oder vollkommenes und unvergängliches Glück zu erlangen. Erleuchtung ist die höchste Zuflucht, die wir finden, und das höchste Ziel, das wir erreichen können. Aus diesem Grunde nehmen wir als erstes Zuflucht zum Buddha. Unter all den Wegen, die es gibt, ist derjenige der höchste, der zur Buddhaschaft, das heisst zur vollen Erleuchtung führt. Dieser Weg ist der Dharma, die Lehre des Buddha. Unter allen spirituellen Gemeinschaften ist die höchste und hilfreichste für uns der Sangha - die Gemeinschaft derer, die den Lehren des Buddha folgen, sie praktizieren. Gemeint sind vor allem die Lehrer, die imstande sind, diese Lehren weiterzugeben.

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Was bedeutet Buddha? Es ist der Name für den, der mit allen vortrefflichen Eigenschaften ausgestattet ist. Der Buddha ist vortrefflich, weil er die beiden Vortrefflichkeiten verwirklicht hat: erstens das, was aufzugeben ist, aufgegeben zu haben und zweitens das, was zu vollenden ist, vollendet zu haben. Was hat der Buddha aufgegeben? Alle Ich-Anhaftung und die damit verbundenen karmischen Schleier, negativen Emotionen und Neigungen. Der Buddha ist derjenige, der sich vollständig von allem Negativen geläutert und vollkommene Verwirklichung erlangt hat. Er ist wie eine voll aufgeblühte Lotosblume. Er hat alle spirituellen Qualitäten zur Reife gebracht und den höchsten Zustand der Versenkung, den diamantgleichen Samadhi, erreicht. Diese Verwirklichung bleibt ewig. Sie ist nicht etwas, das wieder zerstört werden kann. Sie ist unvergänglich. Diese Verwirklichung wird auch die Verwirklichung des Dharmakaya genannt oder des letztendlichen Körpers, aus dem heraus der Buddha, um den fühlenden Wesen zu helfen, durch die verschiedenen Aspekte der Formkayas seine Erleuchtung manifestiert. Was bedeutet Dharma? Der heilige Dharma bringt das Mitgefühl des Buddha zum Ausdruck. Der Buddha hat nach der Erleuchtung an all die Wesen gedacht, die nicht imstande sein würden, so wie er von selbst den reinen und authentischen Weg zu finden. Wir sind ausserstande zu sehen, was der Weg ist und wie wir ihn praktizieren sollen. Auf uns selbst gestellt fehlt es uns an der nötigen Weisheit und Zuversicht, um die geeigneten Mittel zur Verwirklichung der Erleuchtung anwenden zu können. Darum hat der Buddha uns voller Mitgefühl seine Erleuchtung und seine Lehren in Worten mitgeteilt, um den Weg zugänglich zu machen: Die Wesen können diesen Weg beschreiten, und er führt sie zur Erleuchtung. Dies ist der unfehlbare Weg des Dharma. Er hat zwei Aspekte. Der erste ist der von Buddha gelehrte Dharma der Überlieferung, der alle Arten von Belehrungen - Sutra wie Tantra - umfasst. Dies ist die Grundlage, auf die wir uns stützen und mit der wir vorankommen. Der zweite Aspekt ist der Dharma der Verwirklichung, den wir von selbst entdecken werden, wenn wir

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diese Lehre in die Praxis umsetzen und Schritt für Schritt durch unsere eigene Erfahrung die wahre Bedeutung des Dharma immer mehr verstehen. Er wird Dharma der Verwirklichung genannt, weil er uns ins Herz der vollkommenen Erleuchtung führt. In Kürze: Der Dharma ist unsere Strasse zur Erleuchtung - die Grundlage, von der wir ausgehen, und der Weg, der uns zur Verwirklichung der Erleuchtung führt. Was bedeutet Sangha? Es gibt den höchsten Sangha, der aus den Bodhisattvas der ersten bis zehnten Stufe der Verwirklichung besteht, sowie aus den Sravakas und Pratyekabuddhas des Hinayana, die das Ziel des Weges, die Befreiung von Samsara, erreicht haben. Des weiteren gibt es den monastischen Sangha, der aus mindestens vier voll ordinierten Mönchen oder Nonnen bestehen muss. Der Buddha selbst hat gesagt, dass man den Sangha als die Gegenwart seines Geistes ansehen und daher Zuflucht zum Sangha nehmen solle. In Kürze: Sangha bezeichnet alle spirituellen Lehrer, die auf dem spirituellen Weg ausgebildet worden sind, ihn vollendet und die Lehren verwirklicht haben. Dies sind die Lehrer, die voll befähigt sind, andere Wesen bis zur Erleuchtung zu führen. Solange wir nicht erleuchtet sind, brauchen wir den Dharma und den Sangha. Haben wir aber einmal das Herz der Erleuchtung erlangt, brauchen wir, da wir den Weg bereits zurückgelegt haben, nicht länger die Führung und den Weg, das heisst Sangha und Dharma werden dann nicht mehr unsere Zuflucht sein. Sie werden deshalb auch relative oder zeitweilige Zuflucht genannt. Nur der Buddha, der sowohl Ausdruck unseres Zieles - der Erleuchtung - wie auch die Verwirklichung dieses Zieles ist, wird als ewige Zuflucht bleiben. Darum wird der Buddha die letztendliche Zuflucht genannt. Sobald wir einmal verstanden haben, dass der Buddha unser grosses Ziel ist, das wir zu erreichen wünschen, suchen wir mit vollem Vertrauen bei ihm Zuflucht. Wenn wir Zuflucht nehmen, so tun wir das in einem völlig reinen und aufrichtigen Geisteszustand, mit grosser Sehnsucht, grosser Freude und grossem Vertrauen. Es heisst, dass wir durch vollständiges Vertrauen in den Buddha als Zuflucht die vollkommen

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authentische Zuflucht empfangen. Dies hat zur Folge, dass wir nicht mehr so sehr von den guten und schlechten Situationen des Lebens gefangen genommen werden, sondern über sie, über die Vergänglichkeit hinausgehen können, da wir innere Zuflucht zum Buddha genommen haben und uns auf ihn als die letztendliche Zuflucht ausrichten. Durch die einfache Tatsache, aufrichtig Zuflucht genommen zu haben, werden wir genug Kraft besitzen, die Tore zu den niedrigen Daseinsbereichen ganz zu schliessen und die Tore zum Weg der Erleuchtung ganz zu öffnen. Wenn wir Zuflucht nehmen, müssen wir auch die vollkommen reine Ausrichtung entwickeln. Damit ist gemeint, dass wir nicht so sehr mit unseren eigenen Interessen, mit der eigenen Befreiung vom Leiden, mit der eigenen Vollendung der Erleuchtung befasst sind, sondern mit grosser Anteilnahme allen fühlenden Wesen diese Zuflucht wünschen. Wir nehmen Zuflucht, damit wir den Weg des Dharma praktizieren können und die Fähigkeit erlangen, die fühlenden Wesen aus Samsara zu befreien und sie in einen Zustand des Glücks zu versetzen. Wir besitzen diese Fähigkeit im Augenblick noch nicht und suchen Zuflucht, um uns selbst zu transformieren und diese Fähigkeit in uns auszubilden. Dies ist die wirkliche Bedeutung der Mahayana-Zuflucht. Bis zu dem Zeitpunkt, wo man noch nicht das Gelöbnis der Zuflucht genommen hat, besitzt man einen gewöhnlichen menschlichen Körper, wohingegen man durch die Zuflucht einen kostbaren menschlichen Körper erlangt. Er wird kostbar genannt, weil er zu einem geeigneten Gefäss geworden ist, in das alle Lehren der Überlieferung des Buddha gegossen werden können, ohne verloren zu gehen. Hat man noch nicht Zuflucht genommen, dann wäre es so, als würde man etwas in ein Gefäss mit einem Loch einfüllen - es würde verloren gehen. Wenn man überaus kostbaren Nektar erhält, aber kein geeignetes Gefäss hat, in dem man ihn aufbewahren kann, dann wird er verloren gehen. Nach der Zuflucht jedoch kann der menschliche Körper die Lehre des Buddha aufbewahren, und darum ist er von da ab so kostbar. Die Auswirkungen der Zufluchtnahme sind: Alle Tore zu den niedrigen Wiedergeburten werden geschlossen, das Tor zum Dharma hingegen öffnet sich und man betritt mit Gewissheit den Weg der

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Erleuchtung. Es ist so, als wäre einem ein roter Faden in die Hand gegeben worden: Wenn man ihn festhält und ihm unablässig folgt, kann man sicher sein, die Erleuchtung so schnell wie möglich zu erreichen. Damit das Gelöbnis der Zuflucht bewahrt bleibt, sollte man sich gegenüber den Gegenständen, die Körper, Rede und Geist des Buddha repräsentieren, immer respektvoll verhalten. Der Körper des Buddha wird von Statuen und Bildern symbolisiert, die Rede des Buddha von allen Texten sämtlicher buddhistischen Traditionen in allen Sprachen, und der Geist des Buddha hauptsächlich von den Gewändern der Ordinierten. All dies sollte man achtungsvoll behandeln und sich zum Beispiel nicht auf eine Statue setzen oder über Texte hinwegsteigen. Wenn man einen Text liest, legt man ihn auf eine Unterlage und nicht auf den Boden. Statuen und andere Verehrungsgegenstände lässt man nicht im Schmutz stehen, sondern stellt sie an saubere und hohe Plätze, z.B. auf einen Altar. Des weiteren stellt man sich vor, dass in den Darstellungen von Körper, Rede und Geist des Buddha wirklich Körper, Rede und Geist des Buddha gegenwärtig sind. Und so kann man vor ihnen Opfergaben darbringen, Gebete rezitieren, sie umschreiten, Niederwerfungen vor ihnen machen und seine negativen Seiten vor ihnen enthüllen. Ganz gleich, was man gerade praktiziert, man sollte dabei immer denken, dass man sich in der Gegenwart des Buddha befindet. Es ist deshalb so wichtig, den verschiedenen Aspekten der Erleuchtung gegenüber seine Ehrerbietung auszudrücken, weil man dadurch eine Verbindung zur eigenen Erleuchtung herstellt. Durch die Verehrung von Körper, Rede und Geist des Buddha entwickelt man in sich selbst all die ihnen entsprechenden spirituellen Qualitäten. Es wird gesagt, dass man durch solch eine Verhaltensweise alle günstigen Bedingungen und Umstände zum Erlangen der Buddhaschaft schafft, durch die man in Zukunft selbst zu einem Gegenstand der Verehrung von Göttern und Menschen wird, und für die folgenden Leben alle günstigen Bedingungen wie einen guten Körper und gute Lebensumstände erlangt, die einem bei der Verwirklichung der Erleuchtung helfen werden. Wenn man niemals vergisst, dass man Zuflucht

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genommen hat, wird das Gelöbnis der Zuflucht bewahrt. Durch Vertrauen in die Lehre, in den Buddha und in den Lama werden die Zufluchtsgelöbnisse immer rein gehalten. Und um in einer mehr formalen Weise die Verbindung lebendig zu halten, sollte man das kleine Zufluchtsgebet mindestens siebenmal täglich rezitieren. Wenn man will, kann man es auch häufiger tun, aber vor allem sollte man keinen Tag auslassen und sich allmählich darin üben, mehr Gebete zu sprechen und mehr zu praktizieren.

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II Amitabha

E ma ho! Vor uns befindet sich der Buddha des grenzenlosen Lichts (Amitabha), zu seiner Rechten der Herr des grossen Mitgefühls (Chenresig), zu seiner Linken der Bodhisattva grosser Macht (Vajrapani). Er ist umgeben von zahlreichen Buddhas und Bodhisattvas. In diesem Paradies, das Dewachen heisst, herrschen unermessliche Freude und grosses Glück. Mögen ich und die anderen, sobald wir dieses Leben verlassen haben, von anderen Wiedergeburten nicht gehindert, gleich dort wiedergeboren werden und das Angesicht des grenzenlosen Lichts (Amitabha) erblicken. Buddhas und Bodhisattvas der zehn Richtungen, gewährt Euren Segen, damit dieses von mir gesprochene Wunschgebet ohne Hindernisse in Erfüllung geht. Täyatha pentsändriya awa bodhani soha.

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Je mehr man für sich selbst zu behalten wünscht, desto mehr Leiden schafft man sich und umso weniger wird man am Ende haben. Wenn man Zuflucht genommen hat, sollte man sich vorstellen, dass man sich immer in der Gegenwart der Zuflucht befindet. Am einfachsten und wirkungsvollsten kann man dies tun, indem man Chenresig, die Verkörperung allen Mitgefühls aller Buddhas und Bodhisattvas, als die Vereinigung der verschiedenen Zufluchtsaspekte betrachtet und auf seinen Körper meditiert: an ihn denkt, sein Mantra, soviel man kann, rezitiert und sich in der auf ihn bezogenen Praxis übt. Ausserdem kann man Wunschgebete sprechen, um im reinen Land von Buddha Amitabha und Bodhisattva Chenresig wiedergeboren zu werden, dem westlichen reinen Bereich grosser Glückseligkeit. Wenn man so betet, sollte man sich aufrichtig wünschen, dort wiedergeboren zu werden - ohne Zweifel zu hegen, ob man dort hingehen kann oder ob es diesen Bereich wirklich gibt. Man bittet einfach Chenresig und Buddha Amitabha voll Vertrauen, einen nach dem Tod in diesen reinen Bereich zu geleiten. Widmet man ihnen jeden Tag solche Wunschgebete, dann hat man zum Zeitpunkt des Todes, wenn man diesen Körper verlassen muss, die einsgerichtete Sehnsucht entwickelt, dort wiedergeboren zu werden. Einige mögen vielleicht denken, dass sie ihre Zeit besser ausschliesslich mit "höheren" Arten von Dharmapraxis wie Mahamudra, Dzogchen, Madhyamika oder Prajnaparamita verbringen sollten. Zur vollen Verwirklichung dieser Art von Praxis muss man jedoch die achte Bodhisattvastufe erreicht haben. Dorthin zu gelangen mag einige Leben dauern. Darum sind Wunschgebete für die Wiedergeburt im reinen Land von Buddha Amitabha gut. Denn um dort hinzugelangen, muss man einfach nur Vertrauen haben und den Wunsch, zur Zeit des Todes dort

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hinzugehen. Es ist deshalb so einfach, weil Buddha Amitabha, als er noch kein Buddha war, besonders stark gewünscht hat, dass alle gewöhnlichen fühlenden Wesen, die sich nach seiner Erleuchtung mit Glauben und Vertrauen an ihn wenden würden, in seinem reinen Bereich wiedergeboren werden mögen. Als er die Buddhaschaft erlangte, wurde dieser Wunsch wahr. Da es so leicht ist, sollte man so viele Wunschgebete wie möglich an Buddha Amitabha richten. Wenn man dies beständig tut, wird der Geist darin geübt sein. Wir alle wissen, dass wir sterben werden. Wenn es so weit ist, dass wir sterben, müssen wir uns dessen so bewusst wie möglich sein. Zur Zeit des Todes sollten Sie sich vorstellen, dass sich Buddha Amitabha über Ihrem Kopf befindet, und dann sehr klar mit einsgerichtetem Geist an ihn denken. Wenn Sie wissen, dass Sie sterben müssen und sich dessen voll bewusst sind, dann können Sie Ihren Geist von Samsara, vom jetzigen Leben und all seinen Erfahrungen, die sich gerade in Auflösung befinden, vollständig abwenden. Geben Sie allen Wohlstand, Besitz, Ruhm, Ansehen, alle Freunde und Verwandten, Ehemann und Ehefrau, alles, woran Sie sich gebunden fühlen, dem Buddha Amitabha: Körper, Gedanken, Geist, was immer Sie besitzen, schenken Sie alles ihm, ohne dass Sie etwas für sich zurückbehalten. Wenn Sie diese Opfergabe darbringen, sollten Sie nicht im geringsten daran haften, sondern vorbehaltlos alles geben, was Sie haben. Dadurch wird diese Gabe grenzenlos, und der Nutzen, das Positive, das so angesammelt wird, wird auch grenzenlos sein. Wenn Sie jedoch anhaften, zweifeln und zögern, etwas zu geben, dann wird dies zu einem ausserordentlich grossen Hindernis für die Befreiung. Warum? Wenn Sie zum Beispiel viel Anhaftung an Geld und Wohlstand haben, so können Sie dennoch zum Zeitpunkt des Todes nichts mitnehmen, sondern müssen allein, ohne alles gehen. Was wird dann mit den Dingen geschehen, die Sie so stark und ausschliesslich für sich selbst beansprucht haben?

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Andere werden sie besitzen. Mehr noch: Sie selber werden im Nachtodbewusstsein imstande sein zu sehen, was mit all dem Besitz geschieht, an dem Sie so sehr gehangen haben. Wenn Sie sehen, dass dies alles vergeudet oder unter andere verteilt wird, reagieren Sie höchstwahrscheinlich ärgerlich und erregt und schaffen durch diesen Ärger ein starkes negatives Karma. Dieser negative Geisteszustand wird Sie dann in einen der niederen Bereiche stossen und viel Leid bringen. Dies müssen Sie bedenken und sich vollständig von jeglicher Anhaftung an dieses Leben freimachen. Üben Sie sich darin, damit Sie imstande sind, sich zur Zeit des Todes vollständig zu befreien. Wenn Sie dem Buddha Amitabha diese Opfergabe dargebracht haben, beten Sie einsgerichtet zu ihm und entwickeln die starke Sehnsucht, von ihm in sein reines Land geleitet zu werden. Bewahren Sie Ihren Geist so, bis der Atem aufhört. Beim Stillstand der Atmung sammelt sich das Bewusstsein im Zentralkanal, verlässt den Körper durch den Scheitelpunkt des Kopfes und gelangt unmittelbar in den reinen Bereich von Amitabha. Dort manifestieren Sie sich spontan in einer Lotosblume aus Licht, die Blüte öffnet sich, und Sie können Buddha Amitabha von Angesicht zu Angesicht sehen, seine Stimme hören, Belehrungen von ihm erhalten und sind von allem Leiden befreit. Wir müssen uns jetzt darin üben, Kontrolle über unseren Geist zu gewinnen, damit wir nicht dem Einfluss von Ärger, Zorn, Eifersucht und ähnlichen Gefühlen erliegen. Dies ist hauptsächlich für die Zeitspanne nach unserem Tod wichtig, wo ein einziger Gedanke von Ärger, Zorn, Eifersucht etc. zur unmittelbaren Erfahrung wird, da wir nicht mehr unseren Körper haben, der die Auswirkungen solcher Gedanken auffängt. Jeder Gedanke, der sich nach dem Tod manifestiert, wird zur Erfahrung: Wir wären einfach hilflos unseren negativen Gefühlen und deren Folgen ausgeliefert. Wir sollten also nicht zulassen, dass unser Geist unter die Macht dieser Emotionen gerät: Jetzt! Denn jetzt können wir sie noch kontrollieren. Wenn wir uns in dieser Weise üben, festigen wir unseren Geist. Mit weniger negativen Gefühlen

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verfügen wir über mehr Freiheit, unseren Geist zum Zeitpunkt des Todes in eine positive Richtung zu lenken. Damit wir diesen positiven Zustand des Geistes erlangen, müssen wir uns darin üben, Mitgefühl mit allen fühlenden Wesen zu haben, und jeden Augenblick alles Positive, das wir angesammelt haben, weggeben: nichts für uns selbst behalten, sondern es anderen geben. Was immer wir anderen von uns geben, ob materielle Dinge oder Zustände des Geistes - alles, was wir für das Wohlergehen der anderen tun, wird uns selbst gehören. Denn das positive Ergebnis dieser Handlungsweise wird in unserem Seinsstrom heranreifen. Wenn wir jedoch alles nur für uns behalten und aufsparen wollen, statt es anderen zu geben, in unserer Tasche, unserer Truhe, unserem Haus zurückbehalten, werden wir diese Dinge nicht nur zum Zeitpunkt des Todes verlieren, sondern wir werden auch spirituell nichts gewonnen haben. Denn je mehr wir für uns behalten wollen, desto mehr Leiden schaffen wir uns und umso weniger werden wir am Ende haben. Wenn wir in dieser Weise nachdenken, wird uns klar werden, welche Art von Verhalten wir uns selbst und anderen gegenüber entwickeln sollten.

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III Erleuchtungsgeist

Möge der kostbare Erleuchtungsgeist entstehen, wo er noch nicht entstanden ist. Möge er da, wo er schon entstanden ist, sich mehren und wachsen. Möge ich - niemals vom Erleuchtungsgeist getrennt, in der Erleuchtungspraxis verwurzelt, im sicheren Halt der Buddhas - alle negativen Handlungen aufgeben. Mögen die Wünsche der Bodhisattvas zum Nutzen der Wesen verwirklicht werden. Mögen alle Wesen das Glück erlangen, das die Buddhas ihnen wünschen. Mögen alle Wesen glücklich sein und alle niederen Daseinsbereiche sich für immer leeren. Mögen die Sehnsüchte der Bodhisattvas der zehn Stufen Erfüllung finden.

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Die Weisen handeln immer zum Wohl der anderen und werden zu Buddhas. Narren berücksichtigen nur ihre eigenen Interessen und irren in Samsara umher. Wenn wir den Dharma praktizieren, ganz gleich ob wir zuhören, nachdenken oder meditieren, beginnen wir immer damit, die richtige Motivation zu entwickeln. Die richtige Motivation besteht in dem Wunsch, den Erleuchtungsgeist zu verwirklichen. Dieser Wunsch gewährleistet, dass all unsere Praxis Ausdruck des Erleuchtungsgeistes wird. Uns den Erleuchtungsgeist zu wünschen oder uns auf ihn auszurichten bedeutet, dass wir mit einer Vorstellung im Geist beginnen. Wenn wir zum Beispiel nach Indien gehen wollen, so müssen wir zuerst die Idee haben, dorthin zu gehen. Und wenn wir dann tatsächlich die Reise nach Indien antreten, wird dies die Anwendung oder Umsetzung der Idee sein. Entsprechend verhält es sich mit dem Erleuchtungsgeist. Wir müssen zuerst den Wunsch nach Erleuchtung entwickeln und uns dann wirklich auf den Weg zur Erleuchtung begeben. Wenn man zum Beispiel denkt, »ich möchte die Bedingungen für das Glück und Wohlergehen aller fühlenden Wesen herstellen«, dann ist dies der Wunsch oder die Vorstellung, die einen veranlasst, den Dharma zu praktizieren. Es heisst, wo immer es Raum gibt, dort gibt es auch Wesen, die diesen Raum füllen. Und wo immer es Wesen gibt, da ist der Geist dieser Wesen angefüllt mit negativen Gefühlen und dem Karma, das durch diese negativen Gefühle geschaffen wird. Solange die Wesen sich unter der Kontrolle negativer Gefühle und negativen Karmas befinden, solange werden sie leiden. Dies ist die Situation, in der sich alle Wesen befinden. Wir müssen verstehen, dass all diese leidenden Wesen in der Vergangenheit einmal unser Vater oder unsere Mutter gewesen sind und uns dieselbe Fürsorge erwiesen haben wie

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unsere Eltern in diesem Leben. Dies ist nicht nur einmal durch Zufall geschehen, sondern hat sich unzählige Male wiederholt. Aus diesem Grunde wird gesagt, dass es ein dauerhaftes Band zwischen allen fühlenden Wesen gibt, was heisst, dass alle fühlenden Wesen uns gegenüber dieselbe Zuneigung und Liebe gezeigt haben, wie es unsere eigenen Eltern in diesem Leben getan haben. Wenn man nicht sehr tief über die liebevolle Zuneigung und all die Aufmerksamkeit nachdenkt, die die eigenen Eltern einem gegeben haben, mag man vielleicht sagen, dass sie sich gar nicht so gut um einen gekümmert haben. Dies liegt aber nur daran, dass man bloss sehr oberflächlich darüber nachgedacht hat und glaubt: »Die Schwierigkeiten und Leiden, denen ich mich jetzt gegenüber sehe, rühren von meinen Eltern her. Ich habe keine so gute Beziehung zu ihnen und sehe überhaupt keine besondere Zuneigung und Liebe, die sie mir erwiesen hätten«. Manche mögen so denken. Sie müssen ein tieferes Verständnis entwickeln, um wirklich zu sehen, über welche Art von Zuneigung wir hier sprechen. Unsere Beziehung zu unseren Eltern begann, als wir uns im Bardo aufhielten. Zu der Zeit waren wir einfach ein Bewusstsein, das nach Schutz suchte, da wir angesichts all der Manifestationen des Bardo, die wir nicht kontrollieren konnten, vollkommen von panischer Angst beherrscht waren. Zu jener Zeit hielten wir verzweifelt nach einem sicheren Unterschlupf Ausschau. Dieser Schutz erschien in Form des Schosses unserer Mutter. Das war die erste Handlung wahrer Zuneigung uns gegenüber. Als wir geboren wurden, waren wir gänzlich unfähig, uns selbst mit Essen und Trinken zu versorgen, uns selbst anzukleiden, und wir konnten nicht ein einziges Wort mit anderen reden. Wir waren vollständig von unserer Mutter abhängig und konnten uns nur aufgrund ihrer Gegenwart und Fürsorge entwickeln. Unser Körper hätte nicht überlebt, wenn wir nach der Geburt allein gelassen worden wären. Wir hatten jedoch das Glück, dass unsere Mutter zugegen war, unseren Körper säuberte und viel Mühsal aushielt, um unser Leben, so gut sie es vermochte, zu beschützen. Sie gab uns zu essen, wenn wir hungrig waren, und zu trinken, wenn wir durstig waren. Sie kleidete uns an und sorgte sich sehr um unser Gedeihen. Sie

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beschützte uns vor allen Gefahren, vor äusseren wie Wasser, Feuer etc. oder vor inneren wie Krankheiten. Sie gab uns wirklich all ihre Liebe und Aufmerksamkeit. Jetzt im Erwachsenenalter haben wir grosse Kraft und Intelligenz, Beziehungen mit anderen, und alles erscheint jetzt sehr leicht. Diese Fähigkeiten, über die wir inzwischen verfügen, haben allesamt ihren Ursprung in der Zuneigung unserer Mutter. Wenn sie nicht in dieser Weise gehandelt hätte, hätten wir niemals all diese Fähigkeiten voll entwickeln können. Mehr noch: Sie musste vielleicht negativ handeln, um unser Leben zu schützen, oder Tiere töten, um uns zu ernähren. So könnte es sein, dass sie aufgrund des dadurch angesammelten schlechten Karmas in einem der niederen Bereiche Wiedergeburt nehmen muss. Dies alles sollten wir sehr sorgfältig bedenken. Die Situation aller Wesen ist, dass sie ohne Ausnahme glücklich sein wollen und dies zu verwirklichen suchen. Niemand will leiden. Alle Wesen, die alle einmal unsere Mutter gewesen sind, befinden sich in dieser Lage. Sie alle wünschen sich Glück und legen ihre ganze Energie darein, einen Zustand des Glücks zu erlangen. Jedoch kennen sie nicht die richtigen Mittel, dies zu bewerkstelligen. Sie wissen nicht, dass positive Handlungen zu Glück und negative Handlungen zu Leid führen, und so schaffen sie sich bei ihren Versuchen, Glück zu erlangen, in Wirklichkeit immer mehr Leid. Aufgrund ihrer Unwissenheit sind sie ganz und gar ausserstande, sich ihren Wunsch tatsächlich zu erfüllen. Damit wir für ihr Glück und ihre Befreiung vom Leiden die Bedingungen schaffen können, müssen wir uns verpflichten, den Dharma zu praktizieren. Damit wir die Mittel und Fähigkeiten erlangen, wirklich das Wohlergehen und Glück aller fühlenden Wesen zu ermöglichen, wünschen wir uns, das volle Ziel des Weges, die vollkommene Erleuchtung des Buddha zu erreichen. Diese Verpflichtung müssen wir vorbehaltlos eingehen, ohne uns von den Schwierigkeiten und Hindernissen, denen wir notwendigerweise auf dem Weg begegnen, entmutigen zu lassen.

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Wenn wir uns nicht nur mit Worten, sondern von ganzem Herzen zutiefst wünschen, das Glück aller fühlenden Wesen zu verwirklichen, dann realisieren wir den Erleuchtungsgeist des Wunsches. Mit dieser Motivation werden wir uns allen Wesen gegenüber völlig rein und aufrichtig verhalten, und jede Dharmapraxis, die wir ausführen, wird dann zur Verwirklichung des Erleuchtungsgeistes. Und weil dies so ist, werden unsere Aktivitäten tatsächlich für alle fühlenden Wesen nutzbringend sein. Alle Handlungen des täglichen Lebens -selbst eine ganz gewöhnliche Handlung - bringen dann den Erleuchtungsgeist zum Ausdruck, da sie auf dem Wunsch nach höchster Erleuchtung und der aufrichtigen Motivation, anderen zu nützen, gegründet sind. In dieser Weise werden wir allen Wesen nützen und brauchen uns nicht länger um unser persönliches Glück oder unsere persönliche Verwirklichung zu kümmern, weil sie sich von selbst daraus ergeben. Das persönliche Glück oder die Verwirklichung, die wir erfahren werden, wird die Verwirklichung des Dharmakaya sein, aus dem dann spontan, ohne willentliche Anstrengung die beiden Formkayas entstehen. Diese beiden Formkayas manifestieren die erleuchtete Aktivität und nützen allen fühlenden Wesen in jeder Weise mit den jeweils erforderlichen Mitteln. Die Grösse des Fahrzeugs, mit dem wir zur Erleuchtung reisen, hängt einzig von der Zahl der Wesen ab, mit denen wir uns befassen. Wenn wir nur mit uns selbst beschäftigt sind und einfach nur wünschen, persönlich von Leid frei zu sein - wenn wir den Zustand des Glücks nur für ein Wesen erreichen wollen, nämlich für uns selbst, reisen wir in dem kleinen Fahrzeug. Wenn wir andererseits an alle fühlenden Wesen denken und uns wirklich darum bemühen, glückliche Bedingungen für alle zu schaffen, praktizieren wir im Sinne des grossen Fahrzeugs. Die Art des Fahrzeugs, in dem wir reisen, hängt nicht von irgendeinem theoretischen Verständnis ab, sondern von der Grösse und Offenheit unserer Motivation. Es besteht ein Unterschied zwischen der Suche nach seinem eigenen Glück und der Suche nach dem Glück aller anderen. Es heisst, dass alle Erscheinungen und Umstände, denen wir begegnen, von unserem Geist, genauer gesagt von unserer Motivation und

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Ausrichtung abhängen. Wenn wir den Geist in einer bestimmten Weise ausrichten, werden die Umstände in dementsprechender Weise als eine Widerspiegelung dieser Ausrichtung erscheinen. So sind, wenn man die richtige Absicht entwickelt und der Geist rein ist, auch alle Stufen der Verwirklichung rein. Falls der Geist jedoch nicht so rein ist, sondern von negativen Absichten verdorben, dann werden alle Stufen der Verwirklichung eben diese Merkmale tragen. Darum ist es so wichtig, den positiven Zustand des Geistes fest zu begründen. Was wir einen negativen Geist nennen, ist der Geist, der nur mit sich selbst befasst und anderen Wesen gegenüber voller Negativität ist. Dieser negative Geist, der immer darauf aus ist, sich selbst zu schützen, der Leiden erschafft, der andere ablehnt usf., begeht viele unheilvolle Handlungen, die dann in Leid münden. Der positive Geist dagegen ist nur damit befasst, anderen zu nützen. Er ist voller guter Absichten, voller Freundlichkeit, voller Willen, anderen zu helfen, und drückt dies durch Körper, Rede und Geist auch tatsächlich aus. Durch seine Handlungen werden alle Freude und alles Wohlergehen der fühlenden Wesen geschaffen. Der Buddha hat gesagt, dass wir erkennen können, wie wir in der Vergangenheit gehandelt haben, wenn wir unseren gegenwärtigen Zustand betrachten - und was wir in Zukunft sein werden, wenn wir darauf schauen, wie wir uns in diesem Leben verhalten. Indem wir unseren jetzigen Körper und unsere gegenwärtige Lebenssituation anschauen - ob sie gut oder schlecht, glücklich oder unglücklich ist - können wir verstehen, welche Art von Handlungen wir in den vergangenen Leben ausgeführt haben mögen. In gleicher Weise können wir aus unserem jetzigen Handeln, sei es gut oder schlecht, folgern, welche Lebensbedingungen wir in zukünftigen Leben vorfinden werden. Wenn wir die Wesen betrachten, können wir verstehen, dass sie alle sich Glück wünschen und viel Anstrengung aufwenden, um jegliche Art von Leid zu vermeiden. Obwohl dies alle gleichermassen versuchen, sind einige glücklich und andere unglücklich, einige leiden viel, andere weniger, einige

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haben Glück, das sich zu Leid verwandelt, und andere haben Leid, das sich in Glück verwandelt. Daraus kann man schliessen, dass das Ergebnis nicht allein von dem Wunsch und den Bemühungen abhängt, mit denen man versucht, Glück zu erlangen und Leid zu vermeiden, sondern noch von etwas anderem. Die Unterschiede zwischen den Wesen und ihren Erfahrungen haben ihre Ursache im Karma, in den Handlungen, die sie in der Vergangenheit begangen haben. Und weil sie von ihrem vergangenen Karma abhängig sind, haben sie nicht die Freiheit, so wie sie es wünschen, Leid zu vermeiden und Glück zu erlangen. Wenn wir die Lebensumstände der Menschen betrachten, so sehen wir, dass sie eine Mischung aus mehr oder weniger viel Glück und mehr oder weniger viel Leid sind. Einige erfahren grosses Leid und andere kleines Leid, einige haben viel Glück und andere haben wenig Glück. Es ist immer eine Mischung. Dies ist charakteristisch für das menschliche Dasein. Die Götter in ihren Bereichen dagegen erfahren in ihrem Leben nur Glück und kein bisschen Leid. Dies liegt daran, dass sie eine Vielzahl positiver Handlungen ausgeführt haben. Ihr Glück ist jedoch nicht das letztendliche Glück. Es währt nicht ewig, sondern endet eines Tages. Das hat seinen Grund darin, dass die Götter nicht imstande sind, den Verdienst und die positiven Auswirkungen ihrer guten Handlungen in wirkliche Weisheit, in Nicht-Dualität umzuwandeln. Sie halten immer noch an der Idee eines Ichs und der Vorstellung des Verdienstes fest und können daher die nicht-duale Einheit von Weisheit und Verdienst nicht verwirklichen. So fehlt ihnen etwas, entgeht ihnen etwas. Sie können deshalb ihr Glück nur so lange geniessen, wie das von ihnen geschaffene positive Karma währt. Wenn jedoch dieses Karma erschöpft ist, werden sie ihre guten Bedingungen einbüssen und in die niederen Bereiche fallen, wo sie umgekehrt nur Leid erfahren. Im selben Augenblick, in dem sie ihren Götterzustand verlieren, verschwindet gleichzeitig alles Glück, denn in den niederen Bereichen gibt es nur Leid, und es kann aufgrund des negativen Karmas der Wesen nicht einmal ein Fünkchen Glück dort aufscheinen. Die Zustände der niederen Bereiche werden von den Wesen erfahren, deren Geist

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hauptsächlich mit der Ausführung negativer Handlungen beschäftigt ist. Wir können jetzt bestimmen, was uns in Zukunft widerfahren wird. Wollen wir günstigen Bedingungen und guten Dingen begegnen, so können wir dies durch positive Handlungen jetzt bewirken. Sind wir jedoch fortwährend voller negativer Neigungen und begehen mit Körper, Rede und Geist viele negative Handlungen, säen wir weiterhin nur Leid. Das Ergebnis aus all unseren Handlungen, seien sie positiv oder negativ, werden mit Sicherheit wir selbst erfahren müssen. Kein Weg führt daran vorbei. Es ist unmöglich, dass uns etwas begegnet, das wir nicht selbst geschaffen haben. Wenn wir Gutes tun, so ist es gewiss, dass dies uns selber, die dieses Gute getan haben, Glück bringt. Tun wir Schlechtes, dann ist genauso gewiss, dass wir selbst infolgedessen Leid erfahren werden. Es kann lange Zeit dauern - einige Monate, Jahre, Leben oder mehr - bevor sich das Ergebnis zeigt, aber es wird sich auf jeden Fall zu dem einen oder anderen Zeitpunkt manifestieren. Für die meisten von uns wird sich das Ergebnis unserer positiven und negativen Handlungen, falls sie in der einen oder anderen Weise sehr stark waren, hauptsächlich zur Zeit des Todes zeigen. Wenn wir in diesem Leben oft falsch und negativ gehandelt haben, dann wird der Geist zur Zeit des Todes, wo wir nicht mehr diesen Körper besitzen und nicht mehr über die Mittel verfügen, die Situation zu kontrollieren, von der Macht des negativen Karmas fortgetragen werden. Wir werden dann nicht mehr imstande sein, zukünftiges Leid zu vermeiden. Verstehen und beherzigen wir dies jetzt, indem wir alle negativen Handlungen unterlassen und nur noch positiv handeln, dann werden wir zur Zeit des Todes guten und günstigen Umständen begegnen, die uns helfen, in günstigen Lebensbedingungen wiedergeboren zu werden sowie letztendlich Erleuchtung zu erlangen. Wir müssen jetzt darüber nachdenken, was zur Zeit des Todes auf uns zukommen und was dann aus uns werden wird. Ich habe Ihnen all dies nicht vor Augen geführt, weil ich Sie erschrecken möchte. Wenn ich nicht darlegen würde, dass wir alle im Tod den verschiedenen Angstzuständen begegnen müssen, die aus

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unseren negativen Handlungen herrühren, und dass wir uns dessen bewusst sein müssen, dann wären Sie einfach völlig hilflos, wenn Sie im Tod auf solche Umstände treffen. Sie wüssten überhaupt nichts davon und hätten keine Mittel, die Situation umzuwandeln. Sind Sie sich jedoch jetzt schon dessen bewusst, dass Sie durch negative Handlungen und falsches Verhalten auf Leid treffen, so haben Sie immer noch Zeit, Ihre Handlungsweisen zu ändern. Sie können von jetzt ab positiv handeln, damit Sie imstande sind, die Situation zu kontrollieren und die Todesangst zu besiegen. Würde ich anders reden, hielte ich Sie nur zum Narren. Daher sage ich Ihnen auf diese Art und Weise die Wahrheit, damit es Ihnen hilft. Wenn jemand imstande ist, die Natur von Samsara klar zu erkennen, wird er seinen Geist von Samsara abwenden und dadurch fähig werden, Erleuchtung zu erlangen. Der Unterschied zwischen den Buddhas und uns besteht darin, dass wir in unserer Unwissenheit immer noch glauben, unser Glück und die Erfüllung unserer Wünsche in Samsara erreichen zu können. Wir haften immer noch an Samsara und kreisen aus diesem Grunde seit anfangsloser Zeit darin. Die gewöhnlichen Wesen befinden sich also in Unwissenheit hinsichtlich der Natur von Samsara, wohingegen die Buddhas sie klar erkannt haben. Es heisst, dass derjenige weise ist, der Glück und Wohlergehen für die anderen will, und er aufgrund dessen Erleuchtung erlangen wird. Wie Narren verhalten sich dagegen diejenigen, die nur auf ihr eigenes Wohlergehen aus sind. Sie irren aus diesem Grunde noch immer in Samsara umher. Das ausschliessliche Handeln für den eigenen Nutzen ist die Wurzel von Samsara: nur an sich selbst zu denken, sich mit anderen Wesen überhaupt nicht zu befassen, nur für sich selbst Reichtum, Ruhm, Wohlergehen oder was man sonst für gut hält erlangen zu wollen und andere vollständig zurückzuweisen. Wenn wir so handeln, begehen wir mit Körper, Rede und Geist viele negative Handlungen, die wiederum in Leid münden, das ja die Grundbedingung von Samsara ist. Solange wir so denken und handeln, müssen wir von einem Leben zum ändern endlos diesen Daseinskreislauf des Leidens erfahren. Nur Narren verhalten sich so. Wie handelt man, wenn man weise ist? Man macht sich frei

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von allen selbstsüchtigen Interessen und Motivationen und widmet sich gänzlich dem Wohlergehen anderer. Dies bedeutet, alles Leiden und Negative, alle Fehler und Niederlagen der Wesen auf sich zu nehmen und ihnen alle Siege, allen Wohlstand, alle guten Dinge, alles Glück und alle positiven Eigenschaften darzubringen. Wenn wir so handeln, entwickeln wir immer mehr Mitgefühl und liebende Güte, bis wir den Punkt erreichen, an dem unser gesamtes Verhalten nur noch von Mitgefühl allen fühlenden Wesen gegenüber motiviert ist, und wir vollkommene Erleuchtung erlangt haben. Auf diese Weise ist es möglich, ausschliesslich durch Mitgefühl den Zustand der Buddhaschaft zu verwirklichen.

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IV Liebende Güte und Mitgefühl

Wenn Du Erleuchtung erlangen willst, übe Dich nicht in vielen Eigenschaften, sondern nur in einer. Welche ist es? Mitgefühl. Ein Mensch mit grossem Mitgefühl wird alle erleuchteten Eigenschaften besitzen, als lägen sie auf der Innenfläche seiner Hand.

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Durch die Entwicklung von liebender Güte und Mitgefühl werden alle Umstände zu einer Gelegenheit, anderen wirklich zu nützen, und dadurch für uns zur unmittelbaren Ursache der Erleuchtung. Bei allem, was wir tun, sei es gehen, sitzen, essen, arbeiten, schlafen oder was auch immer, müssen wir darauf achten, dass unser Geist niemals von liebender Güte - und Mitgefühl getrennt ist. Liebende Güte bedeutet, aus seinem Geist vollständig alle negativen Absichten zu verbannen, sie durch positive zu ersetzen und sich in dieser Weise weiterzuentwickeln, bis man die Fähigkeit erlangt, allen fühlenden Wesen gegenüber mit Körper, Rede und Geist liebende Güte auszudrücken und ihnen einen Zustand dauerhaften Glücks zu wünschen. Mitgefühl bedeutet, darüber nachzudenken, dass es unendlich viele Wesen gibt, die alle unendlich viele Arten von Leiden erfahren. Sie sind in einem Kreislauf des Leidens gefangen. Solange sie darin gefangen sind, werden sie weiterhin negative Gefühle haben, negative Handlungen ausführen und dadurch ein Karma schaffen, das ihnen wiederum noch mehr Leid bringt. Wenn wir wirklich sehen, wie die Wesen, weil sie nicht ihre Unwissenheit als die Wurzel allen Leidens erkennen, in einem Kreislauf von Ursache und Auswirkung des Leidens gefangen sind, gebären wir ein kaum zu ertragendes Mitgefühl. Wir wünschen uns dann zutiefst, alle Wesen vom Leiden und von der Ursache des Leidens befreien zu können. Entsteht dieser starke Wunsch im Geist, so besitzen wir Mitgefühl. Wenn wir liebende Güte und Mitgefühl entwickeln, sollten wir nicht mehr denken: »Dies ist ein sehr negatives Wesen, es ist mein Feind - zu seinen Gunsten werde ich überhaupt nichts tun«, oder andererseits, »dies ist mein Freund, er hilft mir sehr - ich werde ihm helfen, soviel ich kann«. Wir sollten auch nicht die anderen Wesen einfach vergessen, weil wir glauben, in keiner Beziehung

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zu ihnen zu stehen. Diese Denkweise ist ganz einseitig und parteiisch, und wir müssen uns davon frei machen, damit wir für alle fühlenden Wesen gleichermassen Mitgefühl entwickeln können, ohne eine Einteilung in gut, schlecht und gleichgültig zu treffen. Wir müssen für alle fühlenden Wesen dieselbe Fürsorge entwickeln, wer oder was auch immer sie sind und unabhängig davon, ob wir glauben eine Beziehung zu ihnen zu haben oder nicht. Viele machen möglicherweise den Fehler zu denken, sie hätten Mitgefühl, weil sie zu bestimmten Leuten, wie ihren Verwandten, Freunden und Bekannten, die sie besonders gern mögen, eine starke Zuneigung empfinden. Sie lieben sie und denken, dies sei Mitgefühl. Das ist jedoch nicht der Fall. Diese Liebe wird nicht Mitgefühl genannt, sondern ist einfach eine Art weltlicher Anhaftung, bloss Ausdruck unserer eigenen Begierde: die Projektion eines unreinen und engen Geistes. Wahres Mitgefühl dagegen kennt keine Unterscheidung zwischen guten und schlechten Wesen, zwischen Verwandten und Fremden, zwischen Freunden und Feinden, sondern äussert sich in dem unwiderstehlichen Wunsch, allen Wesen zu helfen, ohne einige vorzuziehen und andere abzulehnen. Wenn wir diese Geisteshaltung entwickeln, können wir sicher sein, dass wir keine Fehler machen und uns wirklich auf dem Weg des wahren Mitgefühls befinden. Wir sollten nicht die Anzahl der Wesen, denen wir mit unserem Mitgefühl nutzen wollen, künstlich begrenzen, indem wir denken: »Ich kann vielleicht einer oder zwei Personen oder vielleicht einer Stadt oder einer Grossstadt oder einer Nation oder der ganzen Erde nützen«. Dies alles ist nicht genug. Wir sollten uns unendlich viele Wesen vorstellen, so grenzenlos wie der Raum, so unermesslich wie der Himmel selbst. Unser Mitgefühl sollte eine Dimension ohne Grenzen haben, unendlich wie der kosmische Raum sein, so dass kein Wesen, an welchem Ort und welcher Art auch immer, ausgelassen wird. Entwickeln wir in dieser Weise völlig grenzenloses und unermessliches Mitgefühl, so wird die Frucht, die uns daraus erwächst, auch grenzenlos und unermesslich sein. Wir werden dann imstande sein, für zahllose

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Wesen immer mehr Freude und Glück zu schaffen, und unsere Aktivität wird genauso umfassend wie das Weltall selbst sein. Wenn wir wirklich in echter Weise liebende Güte und Mitgefühl gebären, wird alles, was wir tun, der Ausdruck dieser Aufrichtigkeit und Positivität unseres Geistes sein: Ob wir nun Dharma praktizieren oder eine ganz gewöhnliche Tätigkeit ausführen, alles wird zum Weg und dient als Mittel, mehr und mehr wahre liebende Güte in uns zu entwickeln. Alle Umstände werden zu einer Gelegenheit, anderen wirklich zu nützen, und für uns dadurch zur unmittelbaren Ursache der Erleuchtung.

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V Lehrer und Schüler

Obwohl die Strahlen der Sonne unvorstellbar heiss sind, entfachen sie kein Feuer, wenn nicht eine Linse sie sammelt. Gleichermassen kann ohne einen Meister der Segen der Buddhas nicht wirksam werden.

Ich bete zu Dir, kostbarer Lama. Gib Deinen Segen, dass mein Intellekt Ichhaftigkeit aufgibt. Gib Deinen Segen, dass Genügsamkeit in mir entsteht. Gib Deinen Segen, dass nicht-dharmische Gedanken aufhören. Gib Deinen Segen, dass ich meinen Geist als ungeboren erkenne. Gib Deinen Segen, dass meine Verwirrung von selbst zur Ruhe kommt. Gib Deinen Segen, dass ich die Welt der Erscheinungen als Dharmakaya erkenne.

Den Meister nicht zu untersuchen ist dem Trinken von Gift vergleichbar. Den Schüler nicht zu untersuchen ist dem Springen in den Abgrund vergleichbar.

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Der Lama ist der reine Aspekt unseres Geistes. Er ist sozusagen die Stütze, die wir brauchen, um diesen reinen Aspekt zu verwirklichen. Obwohl die Natur unseres Geistes in Wirklichkeit erleuchtet oder Buddha-Natur ist, sind wir gegenwärtig nicht imstande, unsere Buddha-Natur zu sehen und zu nutzen. Eine der wirkungsvollsten Methoden, die wir anwenden können, um unsere erleuchtete Natur zum Vorschein zu bringen, ist der Guru Yoga, die Vereinigung mit dem Lama. In der Praxis des Guru Yoga beten wir zum Lama und wenden uns mit starker Sehnsucht an ihn. Dies ermöglicht, dass der Segen und die Verwirklichung des Lama mit unserem Geist verschmelzen und das Kontinuum unseres Geistes zur Reife bringen kann. Wenn man Samen sät, so reicht die Erde allein nicht, ihn spriessen zu lassen, sondern er braucht auch die Wärme der Sonne und den Regen der Wolken, damit er zur Pflanze heranwachsen und schliesslich zur Blüte kommen kann. Mit unserem Geist ist es genauso. Es genügt nicht, dass wir den Samen der Buddha-Natur besitzen, sondern wir brauchen, damit er aufgeht, Wärme und Regen. Die Wärme, die wir benötigen, entsteht durch Vertrauen und Hingabe. Mit Vertrauen und Hingabe rufen wir den Lama und richten unsere Gebete an ihn. Der Regen, der den Samen in eine Blume verwandelt, ist der Segen des Lama. Wenn wir nach dem Lama rufen, empfangen wir seinen Segen. Wie also ohne Sonne und Regen keine Pflanze heranwächst, genauso kann sich die Buddha-Natur ohne Vertrauen und Hingabe und ohne den Segen des Lama nicht manifestieren. Man sagt, dass der Lama der Ursprung aller Dharmas ist, Quelle und Wurzel allen Segens. Durch den Segen des Lama werden alle Dharmas wahrhaft verständlich und in unserem Seinsstrom wirksam. Es gibt kein anderes Mittel als den Segen des Lama, um

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vollkommene Erleuchtung zu erlangen. Darum wird in den Schriften gesagt, dass es ohne Lama unmöglich ist, Buddhaschaft zu erlangen. Dies ist der Weg, den alle Buddhas der Vergangenheit gegangen sind, um Erleuchtung zu verwirklichen. Wir müssen jedoch ein richtiges Verständnis davon haben, was Lama in diesem Zusammenhang bedeutet: nicht eine Person aus Fleisch und Blut, nicht einfach nur einen in schöne Seidengewänder gehüllten Haufen vergifteter Skandhas. Lama steht hier für Dharmakaya. Er verkörpert den Buddha Dorje Chang, den Dharmakaya selbst. Der Segen des verwirklichten Dharmakaya ist vom Dharmakaya Dorje Chang bis heute in ununterbrochener Überlieferung übertragen worden. Der Lama ist derjenige, der Kraft seiner Verwirklichung diese Übertragung hält und die Fähigkeit besitzt, den Segen des verwirklichten Dharmakaya auf den Geist des Schülers zu übertragen. Der Grund, warum wir eine besonders intensive und verbindliche Beziehung zu einem Lama entwickeln müssen, liegt eben darin, dass der Lama die Tür zum Dharmakaya ist. Wenn wir mit der Sehnsucht, seinen Segen zu empfangen, hingebungsvoll zu ihm beten, dann wird sich die Tür öffnen und der Segen des Dharmakaya kann in unseren Geist fliessen. Nur so kann der Segen übertragen werden. Wenn man in der Dunkelheit sitzt, während nebenan Licht ist, wird es nicht hell werden, ehe man die Tür öffnet. Ebenso verhält es sich mit dem Lama: Solange man sich nicht im Geist voll Vertrauen an ihn wendet, werden sein Segen und seine Verwirklichung des Dharmakaya einen nicht erreichen. Der Lama muss allerdings ein wirklich qualifizierter Lama sein: jemand, der die authentische Übertragung der Überlieferungslinie vollständig erhalten hat, sowohl die mündliche Übertragung der Texte als auch die dazugehörigen Ermächtigungen. Diese Übertragungen sollten vollkommen authentisch sein - unberührt von der Zeit, ohne jegliche Unterbrechung und Abwandlung - und einer ungebrochenen Überlieferungslinie entstammen. Dies bedeutet, dass alle Lamas, die Halter der Übertragung waren, sehr reine Menschen gewesen sein müssen, die exakt und ohne jede Verunreinigung dasselbe übertragen haben, was sie empfangen haben. Hauptsächlich ist

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damit gemeint, dass all diese Lamas ihre Samaya, ihre heilige Verpflichtung gegenüber ""den Lehren und der Überlieferungslinie, geachtet haben. Hätte der Lama nicht die Samaya bewahrt, dann wäre die Übertragung der Überlieferung unterbrochen worden. Und selbst wenn ein solcher Lama dann Belehrungen, Ermächtigungen oder was auch immer gibt, werden sie nicht mehr den Segen enthalten, da die Übertragung unterbrochen ist. Daher ist es wichtig, den Dharma von vollkommen authentischen Lamas zu erhalten, die selbst reine Gefässe der Lehre sind. Denn nur sie sind in der Lage, sie anderen Wesen frei von Zweifeln und Verdrehungen weiterzugeben, so dass der wahre Segen übertragen werden und Bestandteil unseres eigenen Seinsstromes werden kann. Ein qualifizierter Lama ist eine Person, bei der äussere Erscheinung und innere Wirklichkeit nicht verschieden sind. Es gibt Leute, die eine ansprechende Erscheinung haben und sehr geschickt darin sind, den Dharma mit schönen Worten zu erklären. Alles scheint gut zu sein, wenn man ihnen begegnet. Aber inwendig sind sie nicht so rein: Es fehlt ihnen die reine Motivation des Dharma. Sie haben das Ziel noch nicht erreicht und sind immer noch unreife Wesen. Andererseits gibt es auch die, die nach aussen hin nicht so gut wirken, keine so schöne Ausdrucksweise haben und ein ungeschicktes Verhalten, aber inwendig sehr aufrichtige, tief verwirklichte Wesen mit vielen Qualitäten sein können. Von beiden Personentypen kann man jedoch sagen, dass sie noch nicht wirklich qualifizierte Lamas sind. Ein wirklich qualifizierter Lama ist jemand, bei dem aussen und innen vollkommen mit dem Dharma übereinstimmen: In jedem Punkt, welchen Vergleich man mit den Lehren des Buddha auch immer anstellt, ist alles genauso, wie die Lehre es sagt. Treffen ein solcher Lehrer und ein vollkommen qualifizierter Schüler zusammen, ist eine ganz reine Übertragung möglich. Das beste Beispiel dafür sind Marpa und Milarepa: Weil Marpa ein so hoch verwirklichter Lehrer und Milarepa als Schüler ein so vollkommener Praktizierender war, konnte die höchste Übertragung stattfinden. Was sind nun die Qualitäten eines vollkommenen Schülers?

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Als erstes muss der Schüler unerschütterliches Vertrauen in die Drei Juwelen haben und allergrösste Aufrichtigkeit. Ferner sollte er Herzensgüte und umfassendes Mitgefühl entwickeln und den Dharma mit ebenso grosser Sorgfalt wie Unermüdlichkeit, ohne Faulheit und Wankelmut praktizieren. Sein Geist sollte, gefestigt und ruhig, sich von auftretenden Problemen und Zweifeln nicht beirren lassen. Solch ein Mensch wird ein vollkommener Schüler genannt. Es ist sehr wichtig, dass Lehrer wie Schüler alle für die Dharma-Übermittlung wesentlichen Voraussetzungen erfüllen. Wenn wir zum Beispiel Tsa-Tsas herstellen wollen, brauchen wir sowohl eine vollkommene Form wie reinen Ton, um eine schöne Reproduktion zu schaffen. Sind beide Teile vollkommen, wird man einen schönen Abdruck erhalten. Hat das Original jedoch einige Fehler, dann wird man, wie rein und vollkommen der Ton auch sein mag, dieselben Unvollkommenheiten im Abdruck wieder finden. Und ist die Form sehr schön modelliert, der Ton jedoch zu grobkörnig oder schmutzig, wird der Abdruck trotz der guten Vorlage einige Fehler aufweisen. Gleichermassen wichtig ist, dass sowohl Lehrer wie Schüler vollkommen geeignet sind. Was ist also ein Lama? Nicht jemand wie ich, ein in schöne Kleider gehüllter Haufen von Skandhas voller störender Gefühle. Was wir mit Lama meinen, ist jemand, der sich in seinem ganzen Sein bis zum wahren letztendlichen Verständnis von Mitgefühl entwickelt hat und tatsächlich den Segen seiner Verwirklichung allumfassenden Mitgefühls in den Seinsstrom der anderen Wesen übertragen kann. Heutzutage ist es sehr schwierig, solch einen wirklich vollkommenen Lehrer zu treffen. Wenn wir jedoch unseren Lehrer, mag er auch nur ein gewöhnliches Wesen sein, als den Buddha selbst betrachten mit sämtlichen Qualitäten eines erwachten Wesens, öffnen wir unseren Geist durch diese reine Sichtweise für den Segen des Buddha. Durch diese Haltung und durch die Gebete, die wir an den Lehrer richten, ist es dann möglich, dass Segen und Verwirklichung aller Buddhas im Lehrer gesammelt werden, und wir durch ihn den Segen aller Buddhas

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empfangen. Es hängt allein davon ab, wie wir den Lama betrachten. Irgendwann fragt man sich: »Wer ist mein Lama? Wie kann ich einen Lama als meinen Wurzel-Lama erkennen?« - Dies muss jeder einzelne selbst entscheiden. Es ist allein die Angelegenheit des Schülers zu wählen, wer sein Wurzel-Lama sein soll. Wenn nicht der Schüler entscheiden, sondern der Lama sagen würde, »gut, du bist mein Schüler, und ich werde dein Lehrer sein«, so würde dieser Lama nur seine Ich-Anhaftung ausdrücken. Allen Lehren des Buddha liegt jedoch die Absicht zugrunde, als Heilmittel gegen Ich-Anhaftung zu dienen. Daher sollten wir solch einem Menschen nicht trauen. Man muss sich selbst entscheiden, nach seinem eigenen Empfinden: Vielleicht empfindet man bei diesem oder jenem Lama mehr Segen, mehr Mitgefühl oder er scheint einem freundlicher zu sein - oder was auch immer man fühlt. Danach kann man einfach entscheiden, dieser ist mein Wurzel-Lama, und von ihm möchte ich gerne Belehrungen und Übertragungen erhalten. Man kann jedoch die Unterweisungen auch von verschiedenen Lamas erhalten, daran ist nichts Falsches oder Widersprüchliches. Wenn wir zu unserem Wurzel-Lama beten, können wir uns vorstellen, dass er die Vereinigung aller Lamas und aller Übertragungslinien ist, von denen wir Unterweisungen, mündliche Übertragungen oder Ermächtigungen erhalten haben. Alle Lamas sind ohne Unterschied im Aspekt des Wurzel-Lama vereinigt.

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VI Niederwerfungen

Dieser kostbare Menschenkörper, schwierig zu erlangen und leicht zu zerstören: Von jetzt ab nutze ich ihn sinnvoll. Die Welt und alle Wesen sind vergänglich. Das Leben gleicht einer Luftblase. Die Todeszeit ist ungewiss. Wenn ich sterbe, hinterlasse ich eine Leiche. Da zur Todesstunde nur der Dharma hilfreich ist, praktiziere ich von jetzt ab unermüdlich. Da mir mein Karma erhalten bleibt, erlange ich keine Freiheit in der Stunde meines Todes. Von jetzt ab will ich ungute Handlungen unterlassen und meine Zeit nur mit guten Handlungen verbringen. Mit diesem Gedanken untersuche ich mich täglich selbst. Im Samsara, wo ich ständig von den drei Arten von Leiden gequält werde, sind Orte, Freunde, Freuden und Besitz nichts anderes als das Festmahl, das der Henker mir beschert, bevor er mich zur Hinrichtung führt. Daher schneide ich alle Anhaftung ab und arbeite daran, Erleuchtung zu verwirklichen.

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In der Dharmapraxis müssen wir Schritt für Schritt vorgehen und die Praxis stufenweise in richtiger Reihenfolge erlernen. In der Dharmapraxis müssen wir Schritt für Schritt vorgehen und die Praxis stufenweise in richtiger Reihenfolge erlernen, indem wir eine nach der anderen verwirklichen. Wenn man ein Haus bauen will, muss man zu Beginn das Fundament in die Erde setzen. Darauf werden die Mauern errichtet, und dann erst kommt das Dach. Würde man das Dach decken, ohne einen soliden Unterbau zu haben, bräche alles zusammen. Mit der Dharmapraxis ist es genau dasselbe: Man sollte nicht mit zu vielen Übungen beginnen und nicht gleich zu hoch ansetzen, sondern zuerst ein solides und festes Fundament schaffen. Der Dharma beginnt mit der vorbereitenden Praxis, die in die vier äusseren, inneren und besonderen vorbereitenden Übungen unterteilt ist. Die vier äusseren vorbereitenden Übungen bestehen in der Auseinandersetzung mit den vier grundlegenden Erwägungen: Die erste bezweckt, die Freiheiten und Vorteile, die wir mit diesem menschlichen Leben erlangt haben, richtig zu verstehen. Wir müssen über die Seltenheit und Kostbarkeit des menschlichen Lebens gut nachdenken und begreifen, worin seine eigentliche Bedeutung liegt: in der Möglichkeit, den Dharma zu praktizieren. Als zweites denkt man, um die Kostbarkeit dieses Lebens besser würdigen zu können, über Tod und Vergänglichkeit nach. Zur Zeit des Todes sind alle Anstrengungen, die wir in die Welt gelegt haben, aller Wohlstand, aller Ruhm, alle Macht dieser Welt völlig nutzlos. Wir müssen allein gehen, ohne Hilfe, ohne Besitz - nichts und niemand wird uns begleiten. Das einzige, was zur Zeit des Todes weiterhilft, ist der Dharma, die Ansammlung positiver Handlungen. Wenn man sich darauf besinnt, wird man es sehr wichtig finden, den Dharma zu praktizieren, und ohne Zögern und Zaudern die notwendige Begeisterung für die Praxis aufbringen. Als drittes muss man

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erwägen, dass von unserem jetzigen Verhalten abhängt, welcher Art von Erfahrungen wir in Zukunft begegnen. Positive Handlungen bringen Glück und negative Handlungen bringen Leid. Wenn man sich dessen bewusst ist, trifft man die Wahl. Falls man nach Glück strebt, versteht man, dass man dieses Glück selbst hervorbringt, indem man durch positives Handeln und Aufgeben alles Negativen mehr Kontrolle über sein Verhalten gewinnt. Als viertes denkt man über die Fehler und Unzulänglichkeiten des Samsara, des weltlichen Lebens und der weltlichen Ziele nach: darüber, dass sie einen alle nur dahin führen, mehr negative Handlungen zu begehen und mehr negatives Karma zu schaffen. Aufgrund unserer negativen Handlungen befinden wir uns schon in diesem Leben in vielen Schwierigkeiten, und das durch sie angesammelte negative Karma wird uns in den nächsten Leben noch mehr Leid bereiten. Bedenkt man so seine Lage anhand der vier grundlegenden Erwägungen, dann wendet man seinen Geist von Samsara ab und gewinnt Interesse am Dharma, weil er einem bedeutungsvoller und sinnvoller erscheint. Nur durch diese Art von Nachdenken kann man das nötige Verlangen nach Dharmapraxis entwickeln. Sonst fehlt einem der Antrieb, den Dharma zu praktizieren. Zudem sollten wir in Betracht ziehen, dass dieser Körper, dieses Leben, diese Welt im Vergleich zu dem, was wir danach erfahren müssen, nur sehr kurze Zeit währen. Hingegen wird das, was danach kommt, unser wirkliches Land sein. Auf diese neue Erfahrung, auf diese neue Welt, die wir nach dem Tode erleben, müssen wir uns vorbereiten. Wenn wir lediglich mit diesem Leben befasst sind, werden wir unsere kurze Lebensspanne nur damit verbringen, mehr Geld, mehr Wohlstand, mehr Ruhm, mehr Macht, mehr Wissen zu erlangen. Aber nichts von dem kann uns zur Zeit des Todes und bei dem, was danach kommt, helfen, weil wir nichts davon mitnehmen können - weder Geld, noch Macht, noch Ruhm, selbst unser Wissen nicht. Wir sind ganz und gar auf uns gestellt. Das einzige, was wir mitnehmen können, ist der Zustand unseres Geistes, das heisst das, was wir an positiven und negativen Handlungen angesammelt haben. Das Ergebnis von schlechten Handlungen

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wird unser Geist in der Form von Verwirrung und grossem Leid erleben. Zu dem Zeitpunkt wird es weder möglich sein, dieses Karma mit jemand anderem zu tauschen, noch die eigene Lage zu verbessern. Wir werden völlig hilflos und machtlos sein und keine Kontrolle darüber haben, was aus uns wird, sondern den Auswirkungen unseres Karmas und der negativen Zustände unseres Geistes ohnmächtig ausgeliefert sein. Wir sollten verstehen, dass wir jetzt die Freiheit besitzen zu bestimmen, wie und mit welchem Ziel wir handeln, und damit beginnen, durch gute Handlungen und Dharmapraxis positive Umstände für die Zukunft zu schaffen. Nur eins wird uns zur Zeit des Todes wirklich hilfreich und nützlich sein: wie sehr wir unseren Geist im Dharma ausgebildet haben. Diese Ausbildung wirkt in natürlicher Weise positiv auf unseren Geist. Und wenn wir sterben, wissen wir, was getan werden muss und wie es getan werden soll. Wir verfügen über die Möglichkeit, die Situation zu kontrollieren. Haben wir diese Fähigkeit nicht vorher erarbeitet, können wir sie im Tode nicht mehr erlangen. Wenn wir nicht wissen, wie wir bei den Drei Juwelen Zuflucht und Schutz suchen können - zur Zeit des Todes sind wir nicht mehr imstande, es zu erlernen. Dann wird es zu spät sein. Wissen wir nicht, wie wir zum Lama beten können oder welche Ängste und Erscheinungen im Bardo auftreten, so wird es uns, weil wir nicht darauf vorbereitet sind, unmöglich sein, mit den auftretenden Situationen umzugehen. Darum müssen wir jetzt mit unserer Praxis beginnen. Wir müssen lernen, wie man Zuflucht zu den Drei Juwelen nimmt, wie man zum Lama betet, wie man die Nachtoderfahrungen erkennt und wie man sich darauf vorbereitet. Die vier grundlegenden Erwägungen lassen uns die Notwendigkeit der Dharmapraxis verstehen und lenken unseren Geist mitten auf den Weg zur Erleuchtung. Dann beginnen wir mit der Praxis der vier inneren vorbereitenden Übungen, die mit Zuflucht und Niederwerfung anfangen. Durch diese eine Praxis allein ist es möglich, vollkommene Erleuchtung zu erlangen, weil sie eine allumfassende Praxis ist: Wenn man Niederwerfungen macht, handelt man auf der Ebene von Körper, Rede und Geist, und es findet ein machtvoller Reinigungsprozess auf diesen drei

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Ebenen statt. Da es keine Unreinheit oder Schleier gibt, die nicht durch Körper, Rede und Geist geschaffen worden sind, hat man durch diese Praxis die Möglichkeit, alle Befleckungen von Körper, Rede und Geist zu läutern. Wie vollzieht sich dieser Läuterungsprozess? Auf der körperlichen Ebene entfernen wir die Schleier durch rückhaltlose Darbringung unseres Körpers an die Drei Juwelen und alle fühlenden Wesen, deren Bedürfnisse dadurch gestillt werden. Wenn der Körper völlig geläutert ist, manifestiert er sich als Nirmanakaya, als Ausstrahlungskörper der Erleuchtung. Auf der Ebene der Rede rezitieren wir voll Glauben und Vertrauen das Zufluchtsgebet und läutern dadurch die Schleier der Rede. Die reine, geläuterte Rede ist der Sambhogakaya, der Kommunikationskörper der Erleuchtung. Auf der geistigen Ebene gelangen wir durch immer grösser werdendes Vertrauen und zunehmende Hingabe zum augenblicklichen Gewahrsein unseres Geistes: zu wahrem Mitgefühl, das immer Wohlergehen und Nutzen aller fühlenden Wesen beabsichtigt. So verwirklichen wir die Essenz des eigenen Geistes, den Dharmakaya. Durch diese Praxis kann man also das Ziel der Erleuchtung vollständig erreichen: Wenn nämlich die drei Ebenen von Körper, Rede und Geist geläutert sind, erscheinen sie spontan als die drei Kayas des Buddha. Bevor wir uns niederwerfen, bitten wir um den Segen des Lama: Indem wir die Hände oberhalb der Stirn falten, bitten wir um den Segen seines Körpers, mit gefalteten Händen in Höhe der Kehle um den Segen seiner Rede und in Höhe des Herzens um den Segen seines Geistes. Wir stellen uns dann vor, dass wir von den Drei Juwelen und vom gesamten Zufluchtsbaum vollständig allen Segen von Körper, Rede und Geist erhalten haben und dass durch die Macht dieses Segens alle karmischen Schleier, alles Negative, das durch Körper, Rede und Geist geschaffen wurde, vollkommen gereinigt ist und wir dadurch untrennbar von Körper, Rede und Geist des Lama und der Drei Juwelen geworden sind. Wenn wir uns dann niedergeworfen haben, berühren unsere fünf Gliedmassen - Arme, Beine und Kopf - den Boden, und wir stellen uns vor, dass die fünf Geistesgifte - Unwissenheit, Stolz, Ärger, Begierde und Eifersucht - vom Körper abgeworfen werden.

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Der Körper ist dann von diesen negativen Tendenzen restlos befreit und stattdessen erscheinen die fünf Weisheiten - die erleuchteten Aspekte dieser fünf Geistesgifte. Dies geschieht jedoch nur, wenn wir voll darauf vertrauen. Ohne Glauben und Vertrauen ist eine derartige Läuterung nicht möglich. Die Niederwerfungen wären dann einfach nur ein Zeitvertreib, der nichts Besonderes bewirkt. Wir sollten nicht denken, dass wir unsere Niederwerfungen alleine machen, sondern eine weite und offene Geisteshaltung erzeugen und uns vorstellen, dass wir uns gemeinsam mit allen fühlenden Wesen niederwerfen. Gleichzeitig bringen wir zahllose Ausstrahlungen von uns selbst hervor. Diese unermessliche Versammlung rezitiert das Zufluchtsgebet. Der Klang des Gebetes durchdringt alle Welten, als käme es spontan aus allen Erscheinungsformen des gesamten Universums. Alles sollte ausgesprochen faszinierend sein, überaus anziehend und leuchtend. Es ist sehr wichtig, sich dies so vorzustellen. Wenn man denkt, »ich mache allein eine Niederwerfung«, dann hat man am Ende eine Niederwerfung gemacht. Stellt man sich jedoch vor, dass alle fühlenden Wesen, ausserdem Millionen und Abermillionen Ausstrahlungen von einem selbst sich niederwerfen, dann wird man in einer Niederwerfung Billionen vollendet haben. Dies ist kein Mittel, um mit den Niederwerfungen schnell fertig zu werden, sondern eine Methode des Vajrayana, die Praxis bedeutungsvoller und wirksamer zu machen. So hat sie mehr Reinigungskraft. Wenn wir die Niederwerfungen ausführen, werden wir unter Umständen ziemliche Schmerzen in Armen und Beinen, ja möglicherweise im ganzen Körper spüren und werden vielleicht denken: »Dies ist zu schwierig für mich. Ich bin nicht imstande, da hindurchzugehen«. Das Vertrauen in die Praxis beginnt zu schwinden oder, wie man auf tibetisch sagt, das Vertrauen wird aufgefressen. Zu dem Zeitpunkt müssen wir uns folgendermassen ermutigen: »Was ich hier tue, ist eine wirklich heilsame und positive Handlung. Sie ist so ausserordentlich wichtig, weil daraus ein positives Ergebnis entstehen wird. Bis jetzt war ich imstande, alle meine Energie für weltliche, bedeutungslose und verrückte Tätigkeiten aufzubringen, und bin dessen bis zu diesem

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Augenblick niemals müde geworden. Infolge dieser nutzlosen Aktivitäten leide ich jetzt, weil ich immer noch so sehr an Samsara festhalte. Ich habe mich bis jetzt immer in Samsara aufgehalten und bin nun aufgrund dieser durch die Niederwerfungen verursachten Schmerzen fast schon wieder bereit, zu all seinen Leiden zurückzukehren. Ich hänge wirklich sehr am Leiden. Wenn ich schon so sehr daran hänge, dann soll es zumindest etwas Nützliches für die fühlenden Wesen sein. Vielleicht bin ich durch dieses Leiden imstande, das Leiden der anderen zu verstehen, es auf mich zu nehmen und so die Leiden aller Wesen aufzulösen. Ich wünsche mir, durch diese Praxis jemand zu werden, der alle Negativitäten dieses Körpers in diesem Leben vollständig läutern und alle Wesen in den Zustand der grossen Befreiung versetzen kann.« In dieser Weise findet man die nötige Energie und Begeisterung, mit der Praxis weiterzumachen und kann sie beständig mit einem grossen Gefühl von Freude und Glück ausführen. Damit man sich an den Schwierigkeiten oder Krankheiten, die während der Niederwerfungen auftreten können, nicht festklammert, sollte man folgendes denken: »Was mir im Augenblick geschieht, ist das Ergebnis von Ich-Anhaftung. An diesem Ich liegt es, dass ich seit anfangsloser Zeit durch Samsara wandere. Die Niederwerfungen sind jedoch das unmittelbare Heilmittel gegen Ich-Anhaftung, die Wurzel von Samsara. Aufgrund früherer Handlungen des Ego leide ich jetzt. Und wer leidet? Es ist das Ego selbst! So befinde ich mich tatsächlich in einer günstigen Lage, denn je mehr das Ego leidet, desto schneller werde ich von ihm befreit werden. Dies ist ein sehr gutes Zeichen, und ich sollte es als die Güte der Drei Juwelen betrachten, dass ich imstande bin zu sehen, wie machtvoll meine Ich-Anhaftung ist. Wie glücklich bin ich, diese Anhaftung jetzt auflösen zu können.« Wenn man so denkt, entsteht Dankbarkeit für die Schmerzen, die man erfährt, und dadurch werden die Schmerzen verschwinden. Man sollte die vorbereitenden Übungen nicht für eine zweitrangige Praxis halten: als könne man mit ihnen, weil sie nur die Vorbereitungen sind, nicht die volle Erleuchtung erlangen.

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Viele denken so. Aber dies ist nicht richtig. Tatsächlich sind sie ziemlich aussergewöhnliche Übungen, und das ist auch ihr eigentlicher Name - denn ihre Auswirkungen sind wirklich aussergewöhnlich. Wenn man nämlich Körper, Rede und Geist durch sie völlig geläutert hat, ist man frei von Schleier und Befleckungen. Und wenn es keine Schleier und Befleckungen mehr gibt, ist man erleuchtet, vollkommen erwacht. Wenn man bei den Niederwerfungen nach einer Weile müde wird, sollte man sich in Meditationshaltung hinsetzen und shine - ruhiges Verweilen - praktizieren. Da Körper und Geist müde sind, gibt es wenig Festhalten und Greifen im Geist, und man kann sehen, wie leicht sich der Geist in seiner Augenblicklichkeit niederlässt. Dadurch gewinnt man Stabilität und kann den Geist leichter kontrollieren. Nach einer Weile, wenn Körper und Geist geruht haben, werden wieder mehr Gedanken und Erregung entstehen. Dies ist das Zeichen, dass man mit den Niederwerfungen weitermachen soll. So kann man beides abwechseln. Wenn zuviel Erregung im Geist ist und man sie nicht kontrollieren kann, wirken die Niederwerfungen als Gegenmittel; und wenn Körper und Geist müde geworden sind, ist die sitzende Meditation das Heilmittel. In dieser Weise kann man beständig praktizieren. Alle vier vorbereitenden Übungen bauen aufeinander auf. Als erstes nehmen wir Zuflucht und bringen Niederwerfungen dar, um uns fest auf dem Weg der Befreiung zu verankern. Als zweites reinigen wir unseren Seinsstrom durch die Dorje Sempa-Meditation und die Rezitation des Hundert-Silben-Mantras von allen tiefer liegenden Negativitäten. Als drittes sammeln wir durch die Mandala-Opferung alles Positive. Und als viertes schliesslich werden wir durch den Guru Yoga zum reinen Gefäss für den Segen des Lama. Warum brauchen wir den Segen des Lama? Zuerst läutern wir uns selbst, und dann kommt der Segen des Lama. Durch den Segen des Lama ist man imstande, unmittelbar die Essenz des Geistes zu sehen. Was sieht man dann? Dass der Sehende und das Gesehene nicht verschieden sind, keine Dualität zwischen ihnen besteht. Auf diese Weise wird man durch den Segen des Lama völlig eins mit dem Geist des Lama. Die dualistische Trennung zwischen Subjekt und Objekt hört auf, und

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dies ermöglicht es, die Natur des Geistes zu verwirklichen. Wahres Sehen bedeutet, dass es zwischen dem Sehenden und dem, was gesehen wird, keinen Unterschied gibt.

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VII Sieben-Zweige Gebet

Vor den Tathagatas der drei Zeiten und zehn Richtungen verneige ich mich voller Vertrauen mit Körper, Rede und Geist. Indem ich mir alle Buddhas als wirklich gegenwärtig vorstelle, verneige ich mich vor ihnen kraft dieses Gebets des Samantabhadra mit so vielen Körpern, wie das Universum Atome zählt, und bringe ihnen so meine Verehrung dar. Auf jedem Atom befinden sich so viele Buddhas wie es Atome gibt, inmitten von Bodhisattva-Scharen sitzend. So stelle ich mir das ganze Universum mit Buddhas erfüllt vor. Mit Lobpreisungen so grenzenlos wie der Ozean, die ein unerschöpfliches Meer vollendeter Melodien bilden, verkünde ich die Qualitäten der Siegreichen, preise ich alle Sugatas. Ich bringen ihnen ein Arrangement des Besten und Erlesensten mit der Vorstellung dar, dass alle Buddhas sich über diese unvergleichlichen und reichhaltigen Gaben freuen.

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Ich verneige mich vor allen Buddhas und bringe ihnen Opfer dar. Was immer ich, von Gier, Hass und Verblendung getrieben, mit Körper, Rede und Geist an Üblem begangen habe, bekenne ich vollständig vor den Siegreichen. Ich freue mich über die Verdienste aller Buddhas der zehn Richtungen, der Bodhisattvas, der Pratyeka-Buddhas, der Lernenden und derer, die über das Lernen hinausgegangen sind, sowie der gewöhnlichen Lebewesen. Ich ersuche die Beschützer, jene Leuchten der zehn Richtungen der Welt, die frei von Anhaftung stufenweise zur Buddhaschaft gelangten, das unvergleichliche Rad des Dharma zu drehen. Mit gefalteten Händen flehe ich jene an, die den Wunsch hegen, ins Nirvana zu gehen, so viele Zeitalter, wie es Atome gibt, um der Wesen willen hier zu bleiben. Was immer ich an Gutem durch Verneigen, Darbringen, Bekennen, freudige Anteilnahme, Ersuchen und Erflehen angesammelt habe, und sei es auch noch so gering - alles widme ich dem Ziel der Erleuchtung.

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Unsere Negativität muss für uns solch eine schmerzvolle und unerträgliche Haltung werden, dass wir sobald wie möglich davon freikommen möchten - nicht erst morgen, nicht später, sondern gleich jetzt, in diesem Augenblick. Im ersten Zweig stellen wir uns vor, dass wir uns niederwerfen und dem Buddha oder Yidam unsere Ehrerbietung darbringen. Wir tun dies jedoch nicht, um dem Buddha oder Yidam zu gefallen oder um sie glücklich zu machen, sondern die Niederwerfungen dienen als Heilmittel gegen unseren eigenen Stolz. Seit anfangslosen Zeiten haben wir in den Vorstellungen von "ich" und "mein" gedacht und sind ihnen so sehr verhaftet, dass wir aus unserem Stolz heraus viele negative Handlungen begangen haben. Dies hatte all das schlechte Karma zur Folge, das wir jetzt erfahren. Und um das gegenwärtige negative Karma und das Ich, die Wurzel des Erleidens von negativem Karma, zu läutern, machen wir Niederwerfungen. Dies ist die alleinige und wahre Bedeutung dieser Praxis. Der zweite Zweig ist das Darbringen von materiellen und geistigen Opfergaben. Die materiellen Opfergaben sind die, die wir auf dem Altar angeordnet haben, wie Reis, Wasser, Weihrauch, Blumen und was uns immer als passende Gabe erscheint. Sie sind der materielle Träger der Darbringung. Wenn wir zum Beispiel eine Blume geben, können wir uns vorstellen, dass aus dieser Blume zehn, Hunderte, Tausende, Hunderttausende oder Millionen Blumen werden. Dies ist die geistige Darbringung, die Vervielfältigung der Opfergaben durch die Vorstellungskraft des Geistes. Wir können auch allen Besitz aller Götter und Menschen aus allen Welten der zehn Richtungen

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- alles, was wir uns denken können - darbringen, auch alle Dinge im Universum, die niemandem gehören, wie Berge, Ozeane, den Himmelsraum usw. Oder wir opfern symbolisch das ganze Universum in der Form des Berges Meru und der vier Hauptkontinente, angeordnet als Mandala. Ferner können wir alle guten Handlungen darbringen, die wir und alle anderen fühlenden Wesen jemals ausgeführt haben. Wir sammeln also alle Positivität, alle materiellen und geistigen Opfergaben und geben sie vollständig weg: allen Wohlstand und alles Gute sämtlicher Wesen in den sechs Bereichen, wie wenn wir selbst es besässen. In dieser Weise stellen wir uns vor, dass wir tatsächlich alle diese Dinge darbringen, und vergrössern so durch die Macht des Geistes die Ansammlung von Verdienst. Wenn man einfach nur ein paar Reiskörner nehmen und diese darbringen würde, so wäre dies eine wahrhaft armselige Gabe, die keinen grossen Verdienst schaffen würde. Stellt man sich jedoch vor, dass man das ganze Universum darbringt, dass die gekreuzten Finger die vier Kontinente und die aufrecht stehenden Mittelfinger der Berg Meru sind und so das gesamte Universum mit allem Wohlstand der Götter und Menschen symbolisieren, und vergrössert und vervielfacht dies im eigenen Geist, dann wird die Gabe wirklich unermesslich. Entsprechend wird auch der durch die Kraft des Geistes geschaffene Verdienst unermesslich sein. Wir machen diese Opfergaben an die Drei Juwelen und Yidams nicht, um ihren Hunger oder Durst zu stillen, sondern weil wir selber all diesen Dingen so sehr anhaften. Wir denken ständig in den Begriffen des Ichs: Mein Körper, mein Geist, mein Besitz, mein Geld, meine Handlungen, meine Gedanken, meine Freunde, immer mein, mein, mein und nochmal mein. Durch diese Sichtweise haben wir soviel Negatives angesammelt, dass wir jetzt keine andere Wahl haben als zu versuchen, uns davon sowie von der Vorstellung eines Ichs zu reinigen. Dies ist die eigentliche Bedeutung dieser Gaben. Sobald wir diese ausserordentlich umfassenden Gaben dargebracht haben, lösen wir die Vorstellung eines Gebers, einer Gabe und eines Empfängers der Gabe restlos auf und verweilen einen Augenblick lang im völlig bezugsfreien Zustand des Geistes, in seiner wirklichen Natur, die

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frei von dualistischen Konzepten ist. Dies wird die Opferwolke von Samantabhadra genannt, eine Gabe, die unendlich wie der Raum ist, ohne Bezugspunkt, ohne Anfang, ohne Ende, ohne Mitte, ohne Aussen - völlige Reinheit und vollkommene Weisheit. Dadurch werden die Gaben grenzenlos und unerschöpflich, währen so lange wie der Raum selbst und sind allen Wesen verfügbar, die sich versammeln, um Opfergaben zu erhalten. Der dritte Zweig des Gebetes spricht über die Trübungen und Schleier des Geistes. Die Ursache dieser leidbringenden Geisteszustände ist Negativität. Es gibt zwei Arten von Negativität: zum einen falsche Handlungen von Körper, Rede und Geist, die hauptsächlich in diesem Leben Hindernisse bewirken; ferner Vergehen, die sich in der Zukunft auswirken, die zum Beispiel zu Geburten in niedrigeren Daseinsbereichen führen. Wenn wir wirklich verstehen, dass alle Negativität von uns selbst durch falsches Handeln geschaffen wurde, dann werden wir sie aus der Tiefe unseres Herzens voller Reue bekennen. Was bedeutet "voller Reue"? Denken wir nur oberflächlich darüber nach, welche negativen Handlungen wir in diesem Leben ausgeführt haben, glauben wir vielleicht, es seien nicht so viele. Denken wir jedoch tiefer darüber nach und untersuchen uns sorgfältig, werden wir sehen, wieviele es tatsächlich waren. Je mehr wir schauen, desto mehr werden wir finden, bis wir verstehen, dass wirklich Berge von Negativem auf unseren Schultern lasten. Bedenken wir dann, dass wir infolge dieser Handlungen vielleicht in einem der drei niederen Bereiche wiedergeboren werden, was uns grosses Leid bringen wird, so erfasst uns vielleicht Furcht oder sogar Panik angesichts solcher Aussichten. Aufgrund dieser Betrachtung werden wir echte Reue sowie ein Verständnis von Karma entwickeln - verstehen, wie Ursache und Wirkung arbeiten. Unsere Negativitäten werden für uns solch eine schmerzvolle und unerträgliche Haltung, dass wir sobald wie möglich davon freikommen möchten. Nicht erst morgen, sondern gleich jetzt, in diesem Augenblick. Wir fühlen uns genauso, als hätten wir etwas getrunken und merkten dann, dass in dem Getränk Gift war. Im selben Augenblick, da wir

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begreifen, dass wir Gift getrunken haben, werden wir sofort alles daran setzen, dieses Gift wieder loszuwerden. Mit derselben Entschiedenheit müssen wir, sobald wir verstanden haben, dass wir soviel Gift in uns tragen, augenblicklich die richtigen Mittel suchen, die uns die Möglichkeit geben, uns von allem Negativen zu befreien. Als richtige Mittel stellen wir uns die Ozeane der Drei Wurzeln vor - Lama, Yidam, Dakinis - oder einfach Dorje Sempa, der sich vor uns oder über unserem Kopf befindet. Und wir suchen Schutz und Zuflucht bei ihm und bitten ihn mit starker Hingabe, mit durchdringenden Gebeten, von dem Heranreifen all unserer Negativität befreit zu werden. Da wir so betroffen sind, werden wir auch wirkliche Reue empfinden und unsere Gebete werden eine grosse Kraft haben. Wir stellen uns vor, dass wir aufgrund unseres starken und vorbehaltlosen Vertrauens und durch Dorje Sempas alles durchdringendes Mitgefühl vollständig von jeglicher Negativität gereinigt werden. Durch die Kraft dieser Praxis kann man sich in einem Augenblick von allem Negativen, das man seit anfangsloser Zeit angehäuft hat, befreien. Läutern wir uns selbst auf diese Weise, so befreien wir uns von der Notwendigkeit, durch Leiden gereinigt werden zu müssen. Ob alles Negative geläutert wird, hängt von unserer Geisteshaltung ab. Wenn wir keine Zweifel in unserem Geist hegen, sondern volles Vertrauen in die Praxis und die Macht des Mitgefühls von Dorje Sempa haben, werden wir gewiss von allen negativen Handlungen, selbst den schlimmsten, gereinigt werden. Haben wir jedoch Zweifel und denken, »diese negative Handlung können wir vielleicht reinigen, aber jene war zu schlecht, da hilft es nicht«, dann werden wir nur die leichteren Vergehen reinigen können. Damit diese Läuterung tatsächlich wirkungsvoll ist, muss man vollkommenes, starkes Vertrauen in die Praxis haben. Besitzen wir dieses Vertrauen, können wir alles Negative, sobald es im Geist erscheint, reinigen, und uns so Augenblick für Augenblick frei von jeglicher Negativität halten. Der vierte Zweig des Gebetes handelt von freudiger Anteilnahme. Diese beginnt damit, dass wir an alle guten und positiven Dinge

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denken, die aus dreierlei Art von positivem Handeln entstehen: vorstellungsbezogenem positiven Handeln, das sich erschöpft, wie z.B. die Ansammlung von Verdienst durch positive Gedanken und Taten; vorstellungsfreier Positivität, dem Weisheitsaspekt der Meditation; und der Kombination von vorstellungsbezogenen und vorstellungsfreien positiven Handlungen. Alles Gute, was durch diese drei positiven Handlungsweisen von allen Buddhas, Bodhisattvas, Lamas, spirituellen Freunden sowie gewöhnlichen Menschen geschaffen worden ist, teilen wir mit ihnen und freuen uns sehr darüber, dass es möglich ist, all dies Gute zu tun. Aufgrund dieser grossen Freude erfahren wir dann denselben Nutzen wie diejenigen, die tatsächlich diese guten Taten ausgeführt haben. Wir sollten uns in dieser Weise über positive Handlungen jeder Art freuen. Der fünfte Zweig ist die Bitte an die Buddhas und Bodhisattvas, das Dharma-Rad zu drehen. Da jedes Wesen seine eigene Verständnisweise, seine eigene Ansicht von den Dingen hat, bitten wir die Buddhas und Bodhisattvas, dass sie die Lehren den verschiedenen Wesen entsprechend darlegen, damit die reine Lehre ihrem Verständnis zugänglich ist. Dies können verschiedene Ebenen von Belehrungen sein. Wir bitten sie jedoch hauptsächlich um die Belehrungen des Mahayana, des grossen Fahrzeugs. Im sechsten Zweig des Gebetes bitten wir die Buddhas und Bodhisattvas, nicht in die vollkommene Erleuchtung einzugehen und so Samsara für immer zu verlassen, sondern zum Wohl der fühlenden Wesen im Daseinskreislauf zu verbleiben, damit alle, die nicht imstande sind, von sich aus den wahren, makellosen Weg zu finden, Lehrer treffen können, die ihnen helfen, die richtige Richtung einzuschlagen und den reinen und vollkommenen Weg in geeigneter Weise zu gehen. Und im siebten Zweig bringen wir alle positiven Handlungen zusammen und widmen diese Ansammlung alles Guten, damit alle fühlenden Wesen den Zustand der Erleuchtung, der

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Buddhaschaft erlangen. Dieser Wunsch lässt jede positive Handlung nicht einfach nur gut sein, sondern wirklich zur Ursache der Erleuchtung werden. Schliesslich lösen wir jede Vorstellung von Subjekt und Objekt auf und ruhen für eine Weile im vorstellungsfreien Zustand. Dies macht die Ansammlung vollkommen rein.

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VIII Meditation

Ein meinem Mund entschlüpftes kleines Lied über die vollkommen reine Herzessenz Alles Haften und Festhalten überschreiten - die königliche Sicht. Nicht-Tun, Nicht-Meditation und Nicht-Zerstreuung - die königliche Meditation. Mühelosigkeit, Nicht-Annehmen und Nicht-Ablehnen - die königliche Handlung. Frei von Hoffnung und Furcht wird die Frucht sichtbar. Alle geistigen Bezugspunkte überschreitend, Nicht-Geist, ist die Natur des Geistes klar. Ohne Pfade und Stufen durchlaufend ist das Ende des Buddha-Weges erlangt. Ohne einen Gegenstand der Meditation meditierend ist unübertreffliche Buddhaschaft erreicht.

Gendün Rinpoche

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Sie werden entdecken, dass alles Leiden von der Anhaftung an Gedanken kommt Wenn wir meditieren, haben wir oft grosse Erwartungen. Wir erhoffen eine Erfahrung von Glückseligkeit und Ruhe und legen grosse Energie in unsere Meditation, um den vorgestellten Zustand zu erlangen. Diese Vorgehensweise ist jedoch nur ein Ausdruck von Begierde. Wir haben Verlangen nach einem Zustand entwickelt, der uns erstrebenswert scheint. Da wir die Erfahrung von Glückseligkeit und Ruhe meistens mit einem gedankenfreien Zustand des Geistes verbinden, erwarten wir hauptsächlich von der Meditation, von allen Gedanken frei zu werden, sozusagen einen blanken Geisteszustand zu erreichen, in dem überhaupt keine Gedanken mehr entstehen. Dies führt jedoch zu einer weltlichen Meditation, die ein weltliches Ergebnis hervorbringt. Das Glück und die Ruhe, die wir geniessen wollen, sind nicht etwas Erleuchtetes, das aus Weisheit entsteht, sondern sie entspringen der Unwissenheit. Ihre Verwirklichung schafft nur noch mehr Dunkelheit im Geist und kann sogar zur Wiedergeburt als Tier führen. Solange wir derartige Erwartungen haben, sind wir beständig auf der Suche. Und je mehr wir suchen, desto angespannter wird der Geist - völlig starr und festgefahren. Da dies sehr schmerzvoll für uns ist, und wir unsere Gedanken für diese Lage verantwortlich machen, versuchen wir noch entschiedener, sie unter Kontrolle zu bekommen. Eben dadurch vergrössern wir jedoch unsere geistige Anspannung so sehr, dass die Gedanken immer wilder werden. Es ist einfach unmöglich, sie zu kontrollieren. Je mehr wir sie zu unterdrücken versuchen, desto wilder und mächtiger werden sie, und wir geraten gleichermassen immer mehr in einen Zustand des Leidens und der Frustration. Selbst wenn es uns gelingen würde, gedankenfreie Ruhe zu erlangen, würden wir dadurch nicht befreit, sondern noch mehr an Samsara gebunden werden, weil sie als das Ergebnis von starker

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Anhaftung nur noch mehr Anhaftung schafft. Wir sind nicht aus Holz. Wenn wir jedoch so meditieren, erlangen wir den Zustand von totem Holz, was der Verwirklichung vollkommener Verwirrung oder völliger Unwissenheit gleichkommt. Wir müssen also wissen, dass wir zur Meditation Gedanken brauchen. Denn ohne Gedanken, ohne einen geistigen Prozess gibt es keinen Meditierenden. Wir sollten daher nicht versuchen, die Gedanken zu unterdrücken oder zu beseitigen, sondern einfach von der starken Anhaftung an Gedanken entspannen und loslassen. Die Anhaftungen und Vorstellungen in unserem Geist müssen wir loslassen. Während der Meditation sollten wir daher nicht versuchen zu meditieren, denn sonst schaffen wir nur noch mehr Anhaftung. Stattdessen sollten wir einfach gewahr werden, wie wir in der Welt gefangen sind, wie wir abhängig sind von unseren Empfindungen und Interpretationen dieser Welt und wie wir daran festhalten. Wir nehmen unsere Abhängigkeiten und Anhaftungen einfach wahr und haften nicht weiter daran. Auf diese Weise werden sie ihre Wirksamkeit verlieren. Indem wir unserer Anhaftung ganz gewahr sind und uns davon entspannen, fällt sie einfach von uns ab oder befreit sich aus sich selbst heraus. Wenn wir in dieser Weise einfach sitzen, ohne zu meditieren, und dies immer wieder tun, wird es durch die ständige Wiederholung zu einer natürlichen und spontanen Handlung, durch die sich unsere Schleier und Verdunkelungen von selbst klären. Wir brauchen sie nicht willentlich zu reinigen. Je mehr wir darin geübt sind, desto mehr bereinigt sich, bis wir schliesslich frei von allen Schleiern vollkommene Reinheit erreicht haben und nichts mehr zu klären übrig bleibt. Dies ist dann der makellose oder erleuchtete Zustand. Buddha heisst im Tibetischen sang gyä. Sang bedeutet rein, geläutert - von allen Schleiern und Flecken der Unwissenheit gereinigt. Gyä bedeutet erwacht oder aufgeblüht und meint das Aufblühen der ursprünglichen oder alles überschreitenden Weisheit, aus der alle guten Eigenschaften entstehen. Wir sollten praktizieren und versuchen, uns zu öffnen, um alle Negativität und Befleckung zu reinigen. Je mehr wir uns öffnen und klären, desto mehr werden wir wie der Raum - grenzenlos wie der kosmische Raum, was wirkliche Erleuchtung ist.

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Warum ist unser Geist nicht ruhig und stabil, wenn wir meditieren? Weil wir an der Welt und all den Erfahrungen, die wir mit ihr haben, hängen. Wir hängen nicht nur daran, sondern wir haften daran, und nicht nur das, wir sind vollständig gefesselt und abhängig von unseren Erfahrungen. Wenn wir in der Meditation allmählich von all dieser Abhängigkeit und Anhaftung freikommen, werden wir entdecken, dass unser Geist ruhig und stabil ist. Wir sind in Samsara gefallen, weil wir die Kontrolle über den Geist verloren haben, und befinden uns nun in einem Zustand ständigen Leidens. So leiden wir wegen unserer Freunde, weil wir unfähig sind, eine gute Beziehung mit ihnen aufrecht zu halten. Haben wir zum Beispiel Kinder als unsere besten Freunde, füttern wir sie, geben ihnen, was immer sie wünschen, und hängen sehr an ihnen. Dann werden die Kinder älter und tun, was sie mögen. Meistens mögen wir jedoch nicht, was sie mögen. Da wir nicht akzeptieren, was sie tun, können wir sie nicht bei uns behalten. Und darunter leiden wir. Dies ist das Leiden aufgrund von Freundschaften. Wir leiden auch wegen unserer Feinde, da wir so viele Feinde haben, so viele Leute, die wir nicht mögen. Wir würden sie gerne einfach loswerden und nicht mehr sehen. Aber sie kommen immer wieder, und wir sind dessen gewahr, dass wir sie ablehnen und leiden darunter. Auch unter dem, was wir tun, leiden wir. Wir wollen so viele Dinge tun, wollen starke Aktivität entfalten und viel leisten. Aufgrund dessen sind wir so stolz auf uns, jedoch neidisch und eifersüchtig anderen gegenüber. Und darunter leiden wir. Wir leiden auch unter der Vergangenheit, weil wir immer wieder daran denken, was wir in der Vergangenheit getan haben. Wenn es gut war, sind wir stolz; wenn es schlecht war, sind wir ganz verzweifelt. Und so erwächst uns Leiden aus der Vergangenheit. Wir leiden auch unter der Zukunft, weil wir so viele Hoffnungen in die Zukunft setzen und so viele Dinge erwarten, die möglicherweise nicht eintreffen werden. Darüber ängstigen wir uns und vermehren so unser Leiden. Wir leiden auch an der Gegenwart, weil wir nicht verstehen, was die Gegenwart ist, und versuchen, einen falschen Zustand von Gegenwärtigkeit zu erschaffen.

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Aus all diesen Gründen sollten wir, falls wir vom Leiden freikommen wollen, in der Meditation weder an Freunden noch Feinden hängen, weder von der Vergangenheit gejagt werden, noch die Zukunft voraus nehmen. Wir müssen verstehen, dass die Vergangenheit vergangen ist, vollständig aus und vorbei. Die Zukunft ist die Zukunft. Es gibt sie nicht, sie kommt später - es ist unmöglich, sie jetzt zu erschaffen. Und die Gegenwart ist immer neu. Wir dürfen sie nicht als etwas wirklich Bestehendes betrachten, indem wir sie in eine feste Gegenwart verwandeln. Durch unsere Bindung und Anhaftung haben wir die Klarheit unseres Geistes verloren, der sich aus diesem Grund in einem Zustand von Dumpfheit und Unwissenheit befindet. Diese Dumpfheit des Geistes lässt uns denken, dass die Schwierigkeiten von aussen, von anderen kommen, und wir sind nicht imstande zu sehen, dass alle Schwierigkeiten von innen, von uns selber kommen. Solange wir unwissend sind und diese dunkle Wolke unseren Geist überschattet, sind wir nicht in der Lage, dies zu erkennen. Zweck der Meditation ist nicht, Farben, angenehme Formen oder Visionen zu sehen, sondern sich seiner Anhaftung bewusst zu werden, die Dumpfheit und Unwissenheit im Geist wahrzunehmen und davon freizukommen. Wir sind in einem Zustand des Leidens gefangen, weil sich in unserem Geist ständig irgendein Wunsch regt. Wir halten immer nach etwas Ausschau, erhoffen oder erwarten etwas. Wir sind fortwährend auf der Suche, und das kommt daher, weil wir die ganze Zeit nur mit unseren Gedanken beschäftigt sind. Wir sind so sehr von der Wirklichkeit unserer Gedanken überzeugt, dass wir mit aller Anstrengung versuchen, sie in Erfüllung gehen zu lassen. Da wir aber nicht imstande sind, dies zu tun, leiden wir. Wenn wir erkennen können, dass diese Gedanken überhaupt keine Wirklichkeit haben und imstande sind, diesen suchenden, anhaftenden Geist loszulassen, werden sich die Gedanken ganz natürlich auflösen und mit ihnen der gesamte geistige Vorgang des Anhaftens und Festhaltens. Dadurch werden wir augenblicklich von Samsara, von all den Leiden, die wir jetzt erfahren, frei werden.

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Wenn Sie aufhören, den Gedanken nachzuhängen, und dieser suchende Geist still wird, glauben Sie, dass Sie dann noch immer leiden werden? Untersuchen Sie dies, so werden Sie entdecken, dass alles Leiden von der Anhaftung an Gedanken kommt. In der Meditation geht es nicht darum, mehr zu erlangen und dadurch mehr Bindung von Körper, Rede und Geist zu schaffen, sondern von dem, wovon wir zuviel haben, unserer Anhaftung nämlich, freizukommen. Wir brauchen nicht nach mehr ausserhalb von uns selbst zu suchen, wir müssen nur nach innen schauen und diesen anhaftenden, bindenden Geist erkennen. Wenn wir diesen Prozess der Anhaftung einmal erkannt haben, brauchen wir uns einfach nur von ihm zu entspannen, ihn loslassen und von uns abfallen lassen. Dann wird der Geist allmählich in sich selbst zur Ruhe kommen. Wenn wir in unserem Geist keine Anhaftung an Gedanken haben, gibt es keinen Platz mehr, wohin die Gedanken gehen, und kein Objekt mehr, woran sie sich festhalten können. Sobald die Gedanken nirgendwo hingehen und nach nichts greifen können, lösen sie sich einfach auf. Es gibt dann keine Gedanken mehr, und wir erfahren den friedvollen und stabilen Zustand des Geistes. Dies wird im Tibetischen shine genannt, was Befriedung der Emotionen und aller Erregung des Geistes bedeutet, das Erlangen der Stabilität, die die grundlegende Natur des Geistes ist. Glauben Sie, dass es noch einen Platz gibt, wohin die Gedanken gehen können, wenn es keine Anhaftung und kein Festhalten mehr gibt? Wenn es nichts mehr gibt, woran sich die Gedanken fixieren können, was bleibt dann von ihnen übrig? Was ist es, was übrig bleibt? Wenn wir meditieren, ist alles, was wir zu tun haben, einfach zu sitzen, uns zu entspannen, den Geist zu öffnen und ihn in seinem augenblicklichen Zustand zu belassen. Augenblickliches Gewahrsein ist frei von Festhalten und Anhaften, es ist der grundlegende, natürliche Zustand des Geistes. Wir brauchen unserem Geist oder unserer Meditation weder eine bestimmte Form noch eine bestimmte Richtung zu geben, da überhaupt keine Notwendigkeit besteht, irgend etwas zu erschaffen, über irgend etwas zu meditieren oder in irgendeiner Weise zu handeln. Frei von all diesen Versuchungen verweilen wir einfach in einem

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Zustand der Unzerstreutheit. Wenn wir so verfahren, werden wir imstande sein, den Geist unmittelbar so zu sehen, wie er ist. In der Meditation müssen wir unseren Geist zuerst in der Leerheit aller belebten wie unbelebten Erscheinungsformen niederlassen, indem wir uns vergegenwärtigen, dass der Welt und den Wesen um uns herum jede tatsächliche Wirklichkeit fehlt. Ferner versuchen wir, uns von unserer inneren Anhaftung an ein Ich zu befreien. Dann verweilen wir einfach, ruhen ganz entspannt und offen, lassen uns treiben, ohne uns mit der Wahrnehmung unseres Körpers oder irgend etwas anderem zu befassen. Auf diese Weise wird der Geist zur Ruhe kommen und sich lockerer, offener, klarer und leuchtender fühlen. Dadurch werden die Eigenschaften des Geistes wie Glückseligkeit, Leerheit und Nicht-Konzeptualität sichtbar. Je häufiger wir so verweilen, umso mehr wird der Geist zur Ruhe kommen und umso tiefer wird die Versenkung sein, bis wir das volle Samadhi der Shine-Meditation erlangen - die vollständige Versenkung, in der die Eigenschaften der Glückseligkeit, Leerheit und Nicht-Konzeptualität beständig vorhanden sind. Wir haben dann vollkommene Kontrolle über sie und verlieren sie nicht wieder. Von dieser Art ist die Erfahrung in der Shine-Meditation, der Meditation des ruhigen Verweilens. Es gibt also diese Dimension von Glückseligkeit, Leerheit und Klarheit des Geistes: Wenn wir nun diese drei Aspekte als nicht getrennt, als eine einzige Essenz erfahren, ohne daran zu haften, d.h. ohne die Erfahrung in etwas zu verwandeln und ohne sie zu verlieren -vollkommene Offenheit und vollkommene Kontrolle -wird dies Samadhi, meditative Versenkung, genannt. In dieser Erfahrung von Leerheit, Glückseligkeit und Nicht-Konzeptualität verschwindet die Erfahrung als ein Selbst, als ein Etwas und dann erscheint der Zustand der Wirklichkeit, die Essenz der Erscheinungsformen. Dies ist die Mahamudra-Meditation.

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IX Mahamudra

Der Geist kann nicht mit dem Geist gesucht werden, seine Essenz ist Leerheit, leer und ungehindert, alles erhellend. Sei jener grosse Meditierende, der ohne zu meditieren meditiert, unzerstreut in grosser Glückseligkeit, wo Klarheit und Leerheit nicht-zwei sind.

Gendün Rinpoche

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Buddhaschaft zu erlangen bedeutet nicht, etwas von aussen zu bekommen oder jemand anderes zu werden. In der Mahamudra-Meditation lässt man den Geist in einem Zustand von Frieden und Glück verweilen, so dass Körper und Geist entspannt sind. Aus diesem entspannten, offenen und unerschütterlichen Zustand kann man unmittelbar die Essenz des Geistes erkennen und zur Buddhaschaft erwachen. Mahamudra heisst auf Tibetisch chagya chenpo. Die erste Silbe cha ist der Ausdruck für die Natur der ursprünglichen Weisheit als Leerheit oder - in anderen Worten - für den Dharmakaya. Die zweite Silbe gya bedeutet vollkommen frei von allen Erscheinungsformen und Herangehensweisen des Samsara und drückt die Nicht-Verschiedenheit von Samsara und Nirvana aus. Die letzten beiden Silben chenpo bezeichnen die Einheit oder Nicht-Dualität aller Erscheinungsformen: dass sie eine einzige Essenz sind, ganz gleich, ob sie Samsara oder Nirvana angehören. Dies zusammengenommen ist die Bedeutung von Chagya Chenpo oder Mahamudra. Mahamudra ist nicht etwas Substantielles, etwas wirklich Bestehendes, das Farbe oder Gestalt besitzt. Eine andere Erklärung sagt, dass cha die ursprüngliche, selbstentstehende Weisheit der Leerheit bezeichnet, gya das ausdrückt, was alles umfasst und daher zu nichts Besonderem gehört, und chenpo das, was über alle Extreme von Dasein oder Nicht-Dasein hinausgeht. Eine weitere mögliche Erklärung ist folgende: Cha heisst normalerweise Hand, kann hier aber auch Siegel oder Symbol bedeuten und bezeichnet die vollkommene Untrennbarkeit von Glückseligkeit und Leerheit als Weisheit. Gya bedeutet weit und besagt, dass die Essenz von allem nicht die Natur von Glückseligkeit und Leerheit überschreitet.

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Chenpo bedeutet gross und drückt aus, dass dies nicht als festes Dasein oder in sich selbst bestehende Wirklichkeit angesehen werden kann, dass alle Erscheinungsformen - äussere, innere, belebte wie unbelebte - nicht als etwas wirklich Bestehendes festgestellt werden können, sondern in ihrer Essenz Leerheit oder Dharmakaya sind. Die Essenz der Phänomene als Leerheit oder Unfassbarkeit ist der Dharmakaya. Die Tatsache, dass sich aus ihm heraus, aus der Leerheit heraus alle Erscheinungen deutlich manifestieren können, wird als Klarheit oder Sambhogakaya, Körper der Freude, bezeichnet. Dass aus dieser Klarheit unbegrenzt und unaufhörlich alle verschiedenen Erscheinungsformen, die Phänomene in ihrer gesamten Vielfalt entstehen, wird als Nirmanakaya oder Ausstrahlungskörper bezeichnet. Wenn man eine reine Sicht hat, kann man alles, was auch immer erscheint, als eine Manifestation der fünf Weisheiten betrachten. Und in diesem Zusammenhang wird das folgendermassen formuliert: Die Erscheinungsformen sind leer, das heisst, sie können nicht als etwas wirklich in sich Bestehendes betrachtet werden - dies ist die Weisheit des Dharmadhatu, des unwandelbaren Raums der Gesamtheit der Erscheinungsformen. Alle Phänomene sind zwar in Essenz Leerheit, aber sie erscheinen dennoch in klarer Weise, einer Klarheit, die sich von selbst ausdrückt - dies ist die spiegelgleiche Weisheit. Leerheit und Klarheit bilden eine Einheit, das heisst, die Phänomene erscheinen gleichzeitig mit beiden Aspekten - dies ist die Weisheit der Gleichheit. Obwohl sich Leerheit und Klarheit als Einheit gleichzeitig manifestieren, vermischen sie sich dennoch nicht miteinander, so dass man immer zwischen Leerheit und Klarheit unterscheiden kann - dies ist die unterscheidende Weisheit, die die Macht besitzt, alles deutlich zu erkennen. Die Manifestation aller Erscheinung ist selbstentstehend: Völlig spontan, ohne hergestellt oder erschaffen werden zu müssen - dies ist die alles vollendende Weisheit, die alle Aktivität vollendet.

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Die letztliche Bedeutung all dieser Erklärungen ist: Wenn wir alle dualistischen Konzepte von Existenz und NichtExistenz, Subjekt und Objekt aufgeben, betreten wir den Bereich der Wirklichkeit, wo die verschiedenen Aspekte der Erscheinungsformen völlig untrennbar sind. Auf diesen Bereich, der die eigentliche Essenz der Wirklichkeit ist, weist der Begriff Mahamudra hin. In der Meditation schauen wir nicht nach etwas ausserhalb unserer selbst, sondern versuchen einfach, uns von innen her von allen Vorstellungen und Gewohnheiten des Geistes freizumachen, die ja die Ursache der Schleier und Befleckungen des Geistes sind. Sobald der Geist sich geläutert hat, kann er unmittelbar den Dharmakaya, seine eigenste Essenz, sehen. Den Dharmakaya oder die Buddhaschaft zu erlangen bedeutet also nicht, etwas von aussen zu bekommen oder jemand anderes zu werden, sondern dass der Geist sich aus sich selbst heraus befreit und sich in sich selbst als das erkennt, was er ist. Hat man dies einmal gehört und verstanden, sollte man erkennen, dass es in diesem Sinne nichts gibt, das von aussen kommt, also dem Geist äusserlich ist. Wir dürfen weder der Vorstellung anhaften, es gebe etwas ausserhalb von uns zu finden oder zu verwirklichen, noch denken, Samsara sei etwas wirklich gegenständlich Bestehendes und müsse in dieser Weise aufgegeben werden. Aufgeben müssen wir lediglich unsere innere unreine Vorstellung im Geist, das wirkliche Samsara. Wir müssen unsere innere konzeptuelle Sicht reinigen, und ist dies getan, ist Erleuchtung erlangt. Tilopa hat gesagt, dass die Wesen von weltlichen Vorstellungen verdunkelt sind. Da sie nicht wissen, dass sie den Buddha in sich selbst haben, suchen sie ihn ausserhalb und erschöpfen sich immer mehr dabei. Wenn wir meditieren, müssen wir das Verständnis entwickeln, dass alle Erscheinungsformen, innere wie äussere, alle Fehler und inneren Zustände des Geistes, in Essenz Leerheit sind, d.h. vollkommen leer von jeglicher Selbstexistenz. Die Weise, wie sie sich manifestieren ist völlig illusorisch und traumgleich. Da sie nicht-existent sind, manifestieren sie sich einfach und erscheinen wie in einem Traum. Dies ist möglich, weil es zwischen dem Geist und der Erfahrung keinen Unterschied, keine Dualität gibt. Es ist der Geist, der alle Farben, Formen,

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Erscheinungen und Erfahrungen gebiert. Seine vielfältigen Ausdrucksformen sind unbegrenzt und haben folgende drei Charakteristika: Ihre Essenz ist leer, ihre Natur illusionär oder traumgleich und ihre Erscheinungsweise unaufhörlich und unendlich. Wenn wir unseren Geist in der Meditation verweilen lassen können, erlangen wir in unserem Gewahrsein die Fähigkeit, die Nicht-Dualität von äusseren Phänomenen und innerem Geist zu erkennen. Wir beginnen allmählich zu verstehen, dass alles vom Geist abhängt, und es zwischen äusserer und innerer Manifestation, zwischen Gedanke und Geist keinen Unterschied gibt. Sie gehören zusammen. Die äussere Manifestation gibt es, weil es innen den Geist gibt. Gäbe es keinen Geist, gäbe es kein Gewahrsein, keine Fähigkeit, die Phänomene zu erkennen, und somit auch keine Phänomene. In dieser Weise sollten wir es verstehen und während der Meditation praktizieren. Wenn wir meditieren wollen, müssen wir wissen, wie man meditiert und worauf man meditiert - sonst hat die Meditation keinen Sinn. Wir müssen verstehen, was die Natur des Geistes ist, da wir ja meditieren, um diese Natur zu entdecken. Zu Anfang brauchen wir also, damit wir die richtige Herangehensweise haben, eine Art von intellektuellem Verständnis. Die Natur des Geistes ist ungeschaffen, ungeboren. Sie hat keinen Ursprung, sie beginnt nicht irgendwo an einem bestimmten Punkt noch irgendwann zu einer bestimmten Zeit. Sie hat gleicherweise kein Ende, sie endet nicht an irgendeinem Punkt zu irgendeiner Zeit. Es gibt kein Aufhören in der Natur des Geistes. Da der Geist ungeboren und ohne Aufhören ist, hat er auch keinen besonderen Ort, an dem er für eine bestimmte Zeit verweilt. Der Geist hat weder eine bestimmte Dauer noch einen bestimmten Wohnsitz. Er ist ohne Anfang, ohne Ende und ohne Verweilen. Da dies so ist, sagt man, dass er selbstwahrnehmende oder selbstwissende Klarheit ist, und bezeichnet die Weise, wie er funktioniert, mit Begriffen wie "zusammen erscheinend" oder "gleichzeitig entstehend". Die Natur des Geistes ist nicht etwas, das von etwas anderem abhängt. Sie ist völlig spontan und manifestiert sich gleichzeitig

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mit der Erscheinungsform selbst. Der Geist und die Phänomene entstehen nicht in der Weise, dass eins vom anderen abhängt, sondern gleichzeitig. Dies ist mit Bezeichnungen wie "zusammen erscheinend" oder "gleichzeitig entstehend" gemeint. Die selbstentstehende Essenz des Geistes drückt sich in den Qualitäten von Glückseligkeit, Klarheit und Nicht-Konzeptualität aus. Diese Qualitäten sind völlig spontan. Man kann sie nicht erschaffen, denn sie sind der Geist selbst. Wollen wir die Essenz und die Qualitäten des Geistes entdecken, müssen wir meditieren. Für die Meditation müssen wir jedoch zuerst verstehen, wie die Natur des Geistes beschaffen ist, weil wir sonst nicht wissen, was wir in der Meditation tun sollen. Versuchen wir herauszufinden, was unser Geist wirklich ist, dann ist alles, was wir über ihn sagen können: Er kann weder gedacht noch vorgestellt, weder analysiert noch ausgedrückt werden. All unsere Anstrengungen, den Geist zu beschreiben, sind nichts anderes als Ausdruck des Geistes selber. Was auch immer wir über den Geist wüssten, wir wären dennoch nicht imstande, ihn zu sehen. Würden wir ihn sehen, sähen wir, dass er nicht gesehen werden kann. Versuchen wir ihn zu analysieren, verstehen wir, dass er nicht verstanden werden kann. Verwirklichen wir ihn, verwirklichen wir, dass er nicht verwirklicht werden kann. Alles, was wir mit dem Geist zu tun versuchen, erweist sich als unmöglich. Versuchen wir, ihn zu fangen oder zu fixieren - unmöglich. Versuchen wir ihn, von uns zu stossen oder loszuwerden - unmöglich. Versuchen wir, ihn in Stücke zu schneiden oder zu unterteilen - ohne Erfolg. Versuchen wir, ihn zu vervielfältigen oder mit etwas anderem zu vermischen - es geht nicht. Der Geist ist zwar immer da, aber nicht als etwas Fassbares. Was können wir also tun, um Einsicht in die Natur des Geistes zu erlangen? Wir müssen meditieren und den Geist während der Meditation einfach im gewöhnlichen oder augenblicklichen Gewahrsein verweilen lassen. Die wirkliche Natur des Geistes ist einfach dieser Augenblick des Gewahrseins - nicht mehr. In diesem augenblicklichen Gewahrsein gibt es keine Form, keine Farbe - nichts, das gedacht oder ausgedrückt werden könnte.

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Wenn man unmittelbar die Essenz des Geistes sieht, erkennt man, dass es nichts gibt, was gesehen werden könnte. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es überhaupt nichts gibt, sondern dass man selbst das klare Sehen ist, worin nichts als solches gesehen wird. Dieser Zustand ist die wirkliche Essenz des Geistes oder - in anderen Worten - der Dharmakaya. Er ist völlig spontan und augenblicklich und für alle Erscheinungsformen derselbe. Die Absicht der Meditation ist, im Dharmakaya, in der Essenz oder dem augenblicklichen Gewahrsein des Geistes zu verweilen. Verweilen wir in dieser Augenblicklichkeit, verstehen wir, dass alle Erscheinungen Produkte der Neigungen unseres Geistes sind. Vergangene, gegenwärtige und zukünftige Existenzen und all die Dinge, die wir bedenken, beruhen im Grunde nur auf einem falschen Verständnis: auf den Gewohnheiten und Tendenzen des Geistes, die Dinge so zu betrachten. Während der Meditation versuchen wir einfach, dieses augenblickliche Gewahrsein zu gewinnen, das Leerheit ist und die Fähigkeit besitzt, alles zu wissen. Wenn wir unseren Geist in diesem augenblicklichen Gewahrsein verweilen lassen können, werden wir genau in diesem Augenblick die Essenz sehen können. Der Unterschied zwischen einem erwachten Geist und einem Geist, der noch in einem Zustand der Verwirrung ist, liegt in dem Vermögen, diese Essenz sehen zu können oder nicht. Ziel der Mahamudra-Meditation ist es, unmittelbar die Essenz der Verwirrung zu sehen. Dies geschieht, wenn der Geist mit dem augenblicklichen Gewahrsein, der grundlegenden Natur des Geistes, verschmelzen kann. Im selben Augenblick, in dem dies geschieht, ist der Geist von allen Negativitäten aller Leben befreit. Einfach ein Augenblick vollen Gewahrseins der Natur des Geistes, der Essenz des Geistes, die Leerheit ist, genügt, um sämtliche Negativität aller vorangegangenen Leben zu reinigen. Allerdings muss man, um das Herz dieser Erfahrung zu gewinnen, lange Zeit wieder und wieder meditieren, alle Geschehnisse als Meditation nehmen und in allen Situationen auf die Essenz meditieren. Wenn man dies tut, wird man eines Tages diese Verwirklichung erlangen und sicher wissen, dass man verstanden und die volle Bedeutung verwirklicht hat, da keine

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Anhaftung, kein Denken und keine Vorstellung darin verstrickt sind. Man hat einfach eine klare Sicht von dem, was ist und wie es arbeitet. Von diesem Tage an sind alle Zweifel völlig abgeschnitten, und die Qualität dieses Verständnisses kann nicht mehr in Frage gestellt werden. In der Mahamudra-Meditation sollen wir mit Körper, Rede und Geist nicht mehr Anhaftung, mehr Bindung, mehr Abhängigkeit schaffen, sondern uns all dessen bewusst werden und einfach loslassen. Dies ist möglich, wenn wir in diesem vollkommen gewöhnlichen, natürlichen Zustand des augenblicklichen Gewahrseins verweilen, ohne ihm eine besondere Richtung, Gestalt oder Form zu geben. Wir nehmen keine Trennung vor zwischen Körper und Geist, sondern entspannen sie einfach und verweilen in Offenheit. Körper und Geist völlig zu entspannen bedeutet nicht, dass man in sich zusammengesackt ist, sondern dass man alle Neigungen des Geistes, Dinge zu ergreifen, sie festzuhalten und sich daran zu hängen, bewusst wahrnimmt. Dafür braucht man ein ganz klares und lebendiges Gewahrsein. Wenn man dann tatsächlich seine Anhaftung sieht, braucht man sie einfach nur loszulassen. Man sollte sich nicht über seine Anhaftung ärgern, sondern sie einfach wahrnehmen und aus sich selbst befreien lassen. Das Festhalten ist das einzige, was wir aufgeben müssen. Wir müssen die Anspannung des Geistes lösen und die Gewohnheit, nach Dingen zu greifen und sie festzuhalten, aufgeben. Wenn wir diesen Zustand ursprünglichen und augenblicklichen Gewahrseins des Geistes erlangt haben, ohne Sinneswahrnehmungen festzuhalten oder von ihnen abhängig zu sein, dann gibt es nichts mehr, worüber wir nachdenken müssten. Wir verweilen frei von jeglicher Verstrickung in konzeptuelles Verstehen und von jeglicher Zerstreutheit einfach in diesem ganz natürlichen Gewahrsein, das die eigentliche Natur des Geistes ist. Dies ist die Mahamudra-Meditation. Taucht in diesem Zustand ein Gedanke auf, jagen wir ihn nicht weg, sondern schauen direkt auf seine Essenz. Schauen wir auf die Essenz des Gedankens, werden wir nichts sehen. Da nichts zu sehen ist, wird es auch keine Anhaftung geben, und der Gedanke wird sich aus sich selbst heraus befreien und als

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Dharmakaya erkannt werden. Wenn wir darin geübt sind, werden wir den Gedanken zur gleichen Zeit, da er entsteht, auch in seiner Essenz erkennen. Er befreit sich dann unmittelbar aus sich selbst heraus. Erkennen wir die Essenz der Gedanken, verwirklichen wir den Dharmakaya. Ohne Gedanken gäbe es keine Möglichkeit, den Dharmakaya zu verwirklichen. In einem Gebet wird gesagt: Die Gedanken sind nichts, aber dennoch erscheinen sie in zahllosen Formen. Dies liegt daran, dass der Geist unbegrenzt ist und unaufhörlich arbeitet. Wenn wir unseren Geist völlig ungehindert lassen und so akzeptieren, wie er ist, werden wir wie der grosse Praktizierende, der das Spiel des Geistes, das natürliche Entstehen der Gedanken, betrachtet und sich daran erfreut, ohne der unaufhörlichen Bewegung des Geistes eine Beschränkung aufzuerlegen, und einfach den Dharmakaya als die Essenz von allem geniesst. Wenn wir meditieren, sollten wir keinen Zustand des Geistes festhalten und weder dem ruhigen, glücklichen, gedankenfreien Geist, noch dem erregten Geist voller Gedanken, noch dem Gewahrsein dieser verschiedenen Zustände den Vorzug geben. Der friedvolle Geist ist der Geist und der erregte Geist ist der Geist. Im Geist gibt es keine Unterschiede, keinen Anfang, kein Ende und keine Mitte. Alles, was erscheint, ist immer und fortwährend der Geist. Es gibt keinen guten oder schlechten Geist, und so gibt es auch keine gute oder schlechte Meditation. Häufig denkt man, dass man eine besonders gute Meditation gehabt hat, wenn der Geist sehr stabil, friedvoll, ruhig und leicht war, und dass man eine schlechte Meditation gehabt hat, wenn Erregung und viele Gedanken im Geist waren. Dies ist jedoch einfach eine Vorstellung, an der wir festhalten, und dergemäss wir die Trennung zwischen gut und schlecht treffen. Wenn wir den Geist einfach akzeptieren, so wie er ist, dann lassen wir die Gedanken und verschiedenen Zustände des Geistes erscheinen, und sie werden sich aus sich selbst heraus befreien. Die Gedanken besitzen das Vermögen, sich selbst vollständig zu befreien, sobald man sie sein lässt, wie sie natürlicherweise sind. Wenn Sie so meditieren, werden Sie in Ihrer Meditation frei von jeglicher Furcht, Hoffnung oder Erwartung sein. Sie sollten sich nicht von Ihren Vorstellungen

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über gut und schlecht gefangen nehmen lassen, weil Sie dann mit grosser Erwartung von Ihrer Meditation etwas erhoffen und sehr besorgt sind, wenn die Meditation nicht Ihre Erwartungen erfüllt. Versuchen Sie also nicht, Ihrer Meditation oder Ihrem Geist irgendeine Gestalt oder Form zu geben, sondern lassen Sie den Geist sich aus sich selbst heraus befreien. Auf diese Weise sollten Sie meditieren.

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X Von hier und da zusammengetragen

Aussen und innen, das Gefäss und sein Inhalt, alles ist deine eigene Erscheinung. Erscheinend und dennoch leer, leer und dennoch manifest, untrennbar erscheinend und leer. Vergleichbar einer Illusion, einem Traum, nicht seiend und doch fähig zu erscheinen, so wie der Mond im Wasserspiegel. Dies zu erkennen befreit völlig vom Anhaften und Festhalten und Wandern von einem Extrem zum ändern. So bleibt einem nur, sich selbst in Gelassenheit aufzugeben -in unausgedachter Erleichterung auf dem Grunde der Essenz selbsterkennenden Gewahrseins. Ausser diesem gibt es nichts zu denken oder zu meditieren. Ohne Denken, ohne Handeln, ohne Meditation und ohne Zerstreuung. Bleibe bitte einfach natürlich und meditiere so.

Gendün Rinpoche

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Man sollte überhaupt keine Zweifel haben, ob man den Dharma praktizieren kann oder nicht, sondern völlig auf die eigene Fähigkeit vertrauen. Das Negative an den Illusionen ist, dass sie starke Leidenszustände hervorrufen. Sobald man die Illusionen jedoch als Illusionen erkennt, führen sie einen zur Erleuchtung.

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Der höchste Geisteszustand wird sich von selbst zeigen. *

Wir sollten uns bei allem, was wir tun, fragen: Was ist das, was uns steuert und all unsere Entscheidungen trifft?

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Wenn ein Gedanke erscheint, suche den, der diesen Gedanken denkt, und du wirst herausfinden, dass dieser Denker weder Form noch Substanz, weder Gestalt noch Farbe hat. Da ist einfach niemand zu finden.

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Nicht Gedanken als solche sollen vermieden werden, sondern ein Denken, das an Gedanken festhält. Der Ausdruck "die Gedanken nicht denken" heisst nicht, dass man keine Gedanken haben, sondern dass man ihnen nicht nachhängen soll.

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Wenn wir nicht länger an Dingen hängen oder Angst vor ihnen haben, werden sie schliesslich ihre Wichtigkeit für uns verlieren.

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Man sollte alles als gleich ansehen und keine Unterschiede machen. Das befreit von allen Gefühlen der Anhaftung, der Ablehnung, der Freude, des Leids, und der Geist verweilt in Gleichmut.

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Der Geist, der den Informationen der Sinne folgt, versorgt sich selbst mit festen Vorstellungen von Wirklichkeit. Daraus entsteht die Ansicht, "etwas zu sein".

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Sobald wir verstehen, dass alles ein Produkt des Geistes ist, gibt es keine Möglichkeit mehr, die Situation und den, der sie erlebt, voneinander zu trennen.

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Wenn der Geist völlig rein ist, wird alles als rein erlebt.

* Wir verwenden unseren Geist, der die Buddha-Natur in sich trägt, in einer sehr funktionalen und begrenzten Weise, statt seine vollen Möglichkeiten auszunutzen.

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Wenn der Geist seine wahre Natur erkennt, ist alles von gleichem Geschmack. Es gibt dann nichts Unangenehmes mehr, das man

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ablehnen müsste, und nichts, was derart begehrenswert ist, dass man es unbedingt bekommen müsste.

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Meditation ist Verweilen ohne Anhaftung. *

Man sollte sich in der Meditation wie ein ozeangrosses Glas voll klaren Wassers fühlen - ganz ruhig und klar.

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Wahre Meditation ist einfach. *

Untersuchen wir gründlich die Vergänglichkeit, lernen wir zu erkennen, dass alles leer ist, und gelangen so zu einem natürlichen Verständnis von Leerheit.

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Frei von Ablehnung und Bevorzugung sollte man den Geist so in sich ruhen lassen, wie er ist.

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Hat jemand eine reine Motivation, ist auch sein Leben rein - und umgekehrt.

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Die genaue Übersetzung des tibetischen Wortes für Meditation heisst Übung, d.h. man gewöhnt sich durch Übung daran, Anhaftung loszulassen.

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Irgendwann vor langer Zeit haben wir vergessen, dass wir Buddhas sind, und gedacht, wir seien gewöhnliche Wesen. Damals dachten wir auch, ein Ego zu haben.

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Im täglichen Leben ist es sehr wichtig, dass wir unserer Handlungen gewahr sind und nicht unter den Einfluss negativer Gefühle geraten, sondern Körper, Sprache und Geist zu positiven Handlungen nutzen. Wir sollten auf Körper, Sprache und Geist wie auf ein kleines Kind achten, sie derart beobachten, dass wir fähig werden, unsere Handlungen zu lenken - auf den Weg des guten Handelns. Solange wir ohne Aufmerksamkeit handeln, werden wir nichts ändern können.

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Wir sollten uns nie erlauben, in der Dharmapraxis nachlässig zu werden, sondern beständig und mit Energie praktizieren.

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Normalerweise sehen wir das Schlechte in anderen. Wir sollten stattdessen das Auge der Weisheit entwickeln, das nach innen gerichtet ist, und die eigenen Fehler erkennen. Solange wir uns selbst nicht kritisieren, sehen wir die Fehler nur in anderen und die Vorzüge in uns selbst. Dadurch, dass wir so leicht bereit sind, Gefühle wie Ärger und Eifersucht in anderen zu sehen, geraten wir selbst unter deren Einfluss.

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Es ist unmöglich, Glück zu verlängern und Leid zu verkürzen, da die Zustände genauso lange andauern, wie Karma dafür besteht.

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Deshalb ist es nicht gut, an glücklichen Zuständen zu hängen und leidvollen aus dem Weg gehen zu wollen. Wir müssen nur einsehen, dass sie alle Ergebnisse früherer Handlungen sind.

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Wir sollten auch kleine negative Handlungen meiden, denn sie sammeln sich mit der Zeit zu grossem negativem Karma an. Umgekehrt sollten wir viele kleine positive Handlungen tun, denn sie sammeln sich zu grossem positivem Karma an. Gutes wie schlechtes Karma entsteht nicht auf einmal, sondern ähnlich wie beim Hausbau, wo nacheinander Stein auf Stein gesetzt wird. Wenn man sich nicht in kleinen positiven Handlungen übt, ist man auch nicht zu grossen fähig.

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Ohne etwas über die wahre Natur des Geistes zu wissen, könnten wir denken, dass Meditation bedeutet, einen Geisteszustand ohne Gedankentätigkeit zu erlangen: ähnlich wie wenn man sich schlafen legt und der Geist in einen Zustand der Dumpfheit und Nicht-Aktivität fällt. Dies ist eine völlig falsche Vorstellung. Wenn sie zuträfe, müssten wir tatsächlich jedes Mal, wenn wir schlafen gehen, mehr und mehr erleuchtet werden. Dies ist jedoch offensichtlich nicht der Fall. Damit der Geist wirklich tief in die Meditation eintauchen kann, sollte man mit den Bedingungen, die man für die Meditation hat, zufrieden sein: mit dem Ort, wo man meditiert; mit den Leuten, denen man begegnet; mit all dem, was einen umgibt, und den Dingen, die man hat. Man sollte nicht versuchen, sie zu ändern. Wenn man zufrieden ist, wird der Geist ruhig und friedvoll werden.

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Wenn wir meditieren, sollten wir unser Gewahrsein im gegenwärtigen Augenblick verweilen lassen - unbeeinflusst von äusseren Geschehnissen und mit der Bereitschaft, alles zu

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akzeptieren, was geschieht: »Wenn ich sterben muss, ist es gut so, ich werde einfach sterben. Wenn es mein Karma ist, glücklich zu sein - auch gut, ich werde einfach glücklich sein. Wenn es mein Karma ist, krank zu sein, dann ist auch das in Ordnung«. Sind wir glücklich, voller Freude, ohne Probleme, ohne Krankheit, so denken wir, dass dies eine sehr gute Gelegenheit ist, zum Wohle der anderen zu arbeiten, da es keine Hindernisse gibt, die uns davon abhalten. Sind wir krank, so denken wir, dass dank des guten Einflusses des Lama und der Drei Juwelen das eigene schlechte Karma in diesem Leben heranreift, wo es relativ leicht abzutragen ist, dass die Krankheit das eigene Karma läutert und in diesem Sinne höchst positiv wirkt. Müssen wir sterben, so denken wir, dass auch dies gut ist, da der Augenblick des Todes der Augenblick der Erleuchtung ist. So gewinnen wir grosse Stärke und grosses Vertrauen, dass der Tod selbst der tatsächliche Augenblick der Buddhaschaft ist. Wenn wir diese Haltung entwickeln, bereit, alles zu akzeptieren und in allem die positiven Aspekte zu sehen, dann wird der Geist nicht durch Ablenkungen gestört.

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Wir belassen den Geist einfach in seinem natürlichen Zustand, lassen die Gedanken kommen und gehen, ohne ihnen zu folgen und ohne sie zu ignorieren. Wir nehmen einfach jeden Gedanken so wahr, wie er erscheint, und lassen ihn vorüberziehen.

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Wenn man das Gewahrsein in seinem natürlichen Zustand belässt, ohne zu versuchen, es in irgendeiner Weise zu ändern, dann bleibt der Geist natürlich und alle groben und ungeläuterten Gedanken beruhigen sich, so dass der Geist in einem Zustand von Klarheit und Leerheit verweilt. Wenn man dies in der Meditation erfährt, wird man sich bewusst, wie wichtig es ist, den Dharma zu praktizieren, und erkennt die Güte des Lama. Man wird dann glücklicher und zufriedener und sieht, dass alle

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weltlichen Belange keine wirkliche Bedeutung haben. So entwickelt man völlige Gewissheit, dass der Dharma das einzige ist, das man praktizieren sollte.

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Wenn wir auf die Meditation bezogen Hoffnung und Furcht entwickeln, wird die Meditation wie jede andere Tätigkeit oder Arbeit, wo wir hoffen, Erfolg zu haben, und uns ängstigen, dass der Erfolg ausbleibt.

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Wenn man einen Gedanken untersucht, wird man erkennen, dass er nichts ist. Er hat keine Wirklichkeit, er ist so unfassbar wie die Offenheit des Raumes.

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Es heisst, dass Erfahrungen und Meditationszustände wie der Nebel sind, der sich am frühen Morgen um den Berg sammelt. Wohingegen echte Verwirklichung wie der Berg selbst ist. Die Nebel um den Berg sind zeitweilige Erfahrungen, die verschwinden werden, so wie der Nebel sich auflöst, wenn die Sonne aufgeht. Aber die Verwirklichung wird immer bleiben. Wenn wir jedoch an diesen Erfahrungen festhalten, können sie sich nicht auflösen, und wir werden niemals imstande sein, Verwirklichung zu finden. Erfahrungen sind notwendig für die Verwirklichung, und so sollten wir nicht versuchen, die Erfahrungen nicht zuzulassen. Wir brauchen sie. Halten wir uns jedoch an ihnen fest, werden sie zu einem Hindernis und verhindern echte Verwirklichung. Falls wir nicht an den Erfahrungen haften, werden sie sich allmählich auflösen, und wir werden nach und nach einen klaren Geisteszustand erlangen, in dem echte Verwirklichung sichtbar zu werden beginnt.

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Es heisst, es könne genauso wenig einen Yogi ohne Erfahrungen geben, wie es unmöglich ist, dass im Grasland zur Sommerszeit keine Blumen blühen. Dies besagt, dass es für den Meditierenden nicht möglich ist, ein Leben der Meditation zu leben, ohne verschiedene Erfahrungen zu machen. Denn die Meditation schafft die Bedingungen für das Entstehen dieser Erfahrungen. Es ist wie mit dem Grasland im Sommer: Wenn die Sonne scheint und Regen fällt, erblühen viele Blumen. Der Boden kann einfach nicht trocken und unfruchtbar bleiben.

* Wenn man das erlangt, wonach man gestrebt hat, sucht der Geist nicht länger nach diesem oder jenem. Man ist dann ganz sicher, dass man alles vollendet hat, was getan werden musste. Dieses Gefühl, angekommen zu sein, seine Arbeit vollendet zu haben, ist das Gefühl, das man hat, wenn man die Essenz des Geistes sieht. Wenn man einmal die Essenz des Geistes gesehen hat, ist man sich völlig gewiss, dass dies die Essenz des Geistes ist, und es gibt kein Streben mehr, kein Fragen und kein Suchen. Der Geist kann dann völlig natürlich, ohne irgendeine Anstrengung oder Veränderung und voller Vertrauen in diesem Zustand verweilen. Solange man jedoch nicht diesen Zustand erreicht hat, versucht man immer wieder, dies oder jenes zu tun, in dem Bemühen, die Essenz des Geistes zu verwirklichen.

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Anhang

Die Meditationshaltung Meditiert man in krummer Haltung, so wird man, wie man es auch immer anstellt, den Geist niemals zur Ruhe bringen. Wenn man meditieren will, ist es sehr wichtig, dass man die richtige Körperhaltung lernt. Meditiert man in krummer Haltung, so wird man den Geist niemals zur Ruhe bringen. In zahlreichen Belehrungen wird betont, dass der Körper gerade und aufrecht gehalten werden muss, damit die Energiebahnen nicht abgeknickt, die Organe nicht zusammengedrückt sind und die Energien ungehindert fliessen können. Die subtilen Energien sind das Pferd, auf dem die Gedanken reiten. Fliessen sie frei und ruhig, beruhigt und klärt sich der Geist von selbst. Zum Sitzen braucht man eine bequeme Sitzmatte, die weder zu weich noch zu hart sein sollte, und ein Meditationskissen. Am besten sollte das Sitzkissen ungefähr die gleiche Breite haben wie die Spanne von der Daumenspitze zur Spitze des Mittelfingers. Man sollte es doppelt so lang machen. Die Höhe sollte, wenn man darauf sitzt, ungefähr der eigenen Faustbreite entsprechen. Die richtige Körperhaltung ist folgende: Die Beine sind in der vollen oder halben Lotoshaltung gekreuzt. Die Hände liegen so im Schoss, dass die Handkanten den Unterleib berühren. Die rechte Hand ruht auf der Innenfläche der linken. Die Daumenspitzen berühren sich leicht in Höhe des Zentrums des Nabelcakras (ungefähr vier Fingerbreit unterhalb des Nabels). Die Schultern sind entspannt, weder hochgezogen noch nach vorne gebogen. Die Ellenbogen liegen nicht am Körper an. Der Nacken ist gestreckt und das Kinn leicht zurückgezogen. Die Wirbelsäule ist vollkommen gerade, das heisst in ihrer natürlich unverkrümmten

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Form. Die Augen schauen entlang der Nasenspitze nach unten. Die Lippen berühren sich leicht, zwischen den Zähnen bleibt ein kleiner Spalt. Die Zungenspitze liegt am oberen Gaumenrand hinter den Schneidezähnen. Dies ist die Sieben-Punkte-Haltung des Vairocana, des Buddha der geläuterten Form. Diese Haltung gibt es auch in folgender Abwandlung: Die Beine sind im vollen Lotos gekreuzt. Die Daumenspitzen drücken auf die Wurzel der Ringfinger und die gebogenen Handrücken auf die Ansatzstellen der Oberschenkel. Die Arme sind völlig durchgestreckt und drücken gegen die Rippen. Die Schultern sind dadurch nach oben gezogen wie Adlerflügel. Der Kopf ist zwischen die Schultern gebettet, der Nacken völlig gestreckt und das Kinn zurückgezogen. Durch diese Haltung blockiert man all jene Energiekanäle, die das Aufkommen störender Gefühle begünstigen, und bringt so die Energie in den Haupt-Energiekanal: Das wilde Pferd des Geistes kommt zur Ruhe. Für einen Anfänger sind beide Haltungen einigermassen schwierig. Das wichtigste ist, die Wirbelsäule aufrecht zu halten, ferner Körper und Geist zu entspannen. Dann fliesst die Energie auch in den Zentralkanal. Die einzelnen Punkte der Körperhaltung haben folgende Auswirkungen: Durch den vollen Lotos wird die für die Ausscheidung sorgende Energie im Zentralkanal gesammelt. Gefühle von Neid und Eifersucht werden beruhigt. Durch die Haltung der Hände wird die Energie des Wasserelements in den Zentralkanal geleitet. Ärger und Aggression werden besänftigt. Durch die aufrechte Wirbelsäule und die richtige Haltung der Schultern wird die Energie des Erdelements in den Zentralkanal geführt. Dumpfheit und Trübheit des Geistes werden aufgelöst. Durch die richtige Kopfhaltung kommt die Energie des Feuerelements in den Zentralkanal. Begierde und Anhaftung werden losgelassen. Durch die richtige Augen- und Zungenhaltung wird die Energie des Luftelements im Zentralkanal gesammelt und Stolz beruhigt. Die Haltung der Augen, die Richtung des Schauens, wechselt je nach Meditationsweise. In der Meditation des ruhigen Verweilens (Tib.: shine, Skt.: shamatha) ist der Blick entlang der Nasenspitze gesenkt. In der Meditation der klaren Einsicht (Tib.: lhagthong,

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Skt.: vipasyana) ist der Blick geradeaus gerichtet. Bei fortgeschrittener Mahamudra-Meditation ist der Blick leicht nach oben in den Himmel gerichtet. Wenn der Körper aufrecht, zentriert und unbewegt ruht, so sitzt man fest und unerschütterlich wie ein Berg. Ist der Mund geschlossen, redet man keinen Ton - dies wird mit einer Flöte ohne Löcher verglichen. Ist der Geist ruhig und unabgelenkt, gleicht er einem Ozean ohne Wellen. Es ist unmöglich, die Meditationshaltung aus einem Buch zu erlernen. Jeder, der sie wirklich erlernen und praktizieren will, sollte sich unverzüglich nach einem Lehrer umsehen, der in der Praxis erfahren ist und sie von einem anderen erfahrenen Lehrer vermittelt bekommen hat. Einen Lehrer zu finden, der diese Bedingungen erfüllt, ist heute nicht mehr schwierig. Es gibt inzwischen etliche buddhistische Zentren in Europa, in denen man solche Lehrer antreffen kann.

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Glossar Bardo (Tib.) Bedeutet "zwischen zwei". Wird meistens als Bezeichnung für den Zwischenzustand nach dem Tod bis zur nächsten Wiedergeburt gebraucht. Bodhisattva (Skt.) Bezeichnet im Mahayana sowohl Wesen, die gelobt haben, zum Wohle aller Wesen die Erleuchtung anzustreben, als auch Wesen, die auf diesem Weg schon fortgeschritten sind und die so genannten Bodhisattva-Stufen teilweise oder ganz durchschritten haben. Bodhisattva-Stufe Eine Umschreibung des Sanskritwortes bhumi, d.h. "Erde", "Grund", Land". Es bezeichnet die Abschnitte oder Ebenen, die ein Wesen durchschreiten muss, um zur völligen Erleuchtung zu gelangen. Die zehn Bodhisattva-Stufen heissen:

1. voller Freude 2. makellos 3. leuchtend 4. strahlend 5. schwierig zu überwinden 6. von Angesicht zu Angesicht 7. weitgehend 8. unerschütterlich 9. weit reichendes Verstehen 10. Dharma-Wolke.

Dakini (Skt) Ein feenähnliches weibliches Wesen, das durch die Luft fliegen kann. Im Vajrayana verkörpert die Dakini den Weisheitsaspekt auf dem Weg zur Verwirklichung und kann in friedvoller, halb-zornvoller oder zornvoller Gestalt erscheinen, je nach dem Charakter und Entwicklungsstand des Tantra-Praktizierenden, um

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ihm zu einem inspirierenden Impuls auf dem Weg zur Erleuchtung zu verhelfen. Die verschiedenen Bedeutungsebenen der Dakini, z.B. Yidam, Botin, Schützer, weiblicher Bodhisattva, müssen aus dem jeweiligen Zusammenhang erschlossen werden. Dharma (Skt) Wörtlich u.a.: "Gesetz", "Brauch", "Lehre", "Gerechtigkeit", "Denkobjekt". Hier wird Dharma im Sinne von "die Lehre des Buddha" gebraucht. Dharmakaya (Skt) Wörtlich: "universeller Körper" oder "Wahrheitskörper". Er ist gleichbedeutend mit letztendlicher Wahrheit und wird auch als die eigentliche Leerheit des Geistes bezeichnet. Obwohl er ohne Form ist und frei von jeglicher künstlichen Tätigkeit manifestieren sich aus ihm der Sambhogakaya und der Nirmanakaya, um das Ziel aller fühlenden Wesen zu erfüllen. Dorje Chang (Tib.) Wörtlich: "Halter des Diamantzepters". In der Kagyü-Tradition ist er der uranfängliche, formlose Buddha. Als Symbol für den Dharmakaya und den Raum wird er ikonographisch mit blauer Körperfarbe dargestellt. Dorje Sempa (Tib.) Wörtlich: "Wesen mit dem Diamantzepter". Er ist eine Sambhogakaya-Form von weisser Farbe und wird vor allem mit der Reinigung von Negativitäten in Verbindung gebracht. Drei Juwelen

1. Buddha, die Verkörperung der Erleuchtung 2. Dharma, Buddhas Lehre 3. Sangha, die Gemeinschaft derjenigen, die sich der Praxis

dieser Lehren anvertraut haben: der gewöhnliche menschliche Sangha und der edle Sangha der Bodhisattvas.

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Düsum Khyenpa (1110-1193) Der erste Karmapa. Er war ein Schüler des Gampopa und ist der Begründer der Karma Kagyü-Überlieferungslinie. Dzogchen (Tib.) Wörtlich: "grosse Vollendung". Eine Bezeichnung für die Verwirklichung der Nicht-Dualität des Daseins. Der Name Dzogchen wird allgemein mit der älteren Übersetzungsschule (Nyingma) in Verbindung gebracht und steht für einen Überlieferungsstrom von Lehre und Praxis, der darauf hinzielt, die Erkenntnis der Natur des Geistes unmittelbar, ohne Stufenweg, zu erlangen. Ein vollendeter Lehrer und ein makelloser Schüler sind die unerlässlichen Voraussetzungen für diesen Weg. Einweihung Meist als Wiedergabe des tibetischen Ausdrucks wang gebraucht. Häufig wird wang auch als "Ermächtigung" übersetzt. Eine Einweihung soll einerseits Negativitäten im Geist des Schülers entfernen, andererseits stellt der spirituelle Lehrer, der die Einweihung gibt, mit dieser eine Verbindung her zwischen dem Schüler und dem jeweiligen Buddha-Aspekt, d.h. der jeweiligen "Gottheit", auf die meditiert wird. Formkaya Wörtlich: "Formkörper". Aus Mitgefühl entstandene, wahrnehmbare Manifestationen des Dharmakaya (Nirmanakaya und Sambhogakaya). Geheimes Mantra Synonym für Vajrayana Gelong (Tib.) Bezeichnung für den voll ordinierten, buddhistischen Mönch. Die weibliche Form ist Gelongma. Guru Rinpoche vgl. Padmasambhava

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Hinayana (Skt) Wörtlich: "kleines Fahrzeug". Im allgemeinen wird Hinayana als Bezeichnung für den Weg der Pratyeka-Buddhas und Sravakas gebraucht. Höllenbereich vgl. Sechs Daseinsbereiche Hungergeister vgl. Sechs Daseinsbereiche Kagyü (Tib.) Eine der vier grossen buddhistischen Schulen Tibets. Kagyü ist die Kurzform eines längeren tibetischen Ausdrucks, welcher bedeutet "die ununterbrochene Linie von Unterweisungen in den vier Arten von übertragener Vollmacht, der essentiellen Bedeutung der drei Fahrzeuge". Die vier Arten von übertragener Vollmacht sind vier Ströme von Weisheitslehren, die Tilopa erhalten hatte und die über Naropa, Marpa und Milarepa zu Gampopa gelangten, und von letzterem zu den Kagyü-Schulen. Karma (Skt) Wörtlich: "Handlung". Es bezeichnet auch die daraus resultierenden Wirkungen, die irgendwann auf den Handelnden zurückfallen. Karmapa (Skt./Tib.) Wörtlich: "Mann der Handlung". Dieser Ausdruck bedeutet: "derjenige, der das Karma besitzt, die Buddha-Aktivität zu entfalten". Mit diesem Titel wurde Düsum Khyenpa geehrt und damit von seinen Zeitgenossen anerkannt als der von Buddha im samadhirajasutra prophezeite Karmapa. Später wurde Düsum Khyenpa auch als Verkörperung von Chenresig, des Bodhisattva des Mitgefühls, anerkannt. Seine letzte Inkarnation, der 16. Gyalwa Karmapa, war S.H. Rangjung Dorje (1924-1982).

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Khampa (Tib.) Der Name eines Volksstammes im Osten Tibets. Shamar Rinpoche Bedeutende, im 13. Jahrhundert begonnene Inkarnationslinie der Karma Kagyü-Schule. Meist leitete eine Inkarnation des Shamarpa die Karma Kagyü-Schule in der Zeit nach dem Tod des jeweiligen Karmapa bis zur Inthronisation des nächsten. Der gegenwärtige Shamarpa, Chökyi Lodrö, ist die 13. Inkarnation. Lama (Tib.) In Tibet der Titel eines religiösen Lehrers oder Meisters. Leerheit Der zentrale Begriff in der Madhyamika-Philosophie. Leerheit bezeichnet dort die Abwesenheit einer Existenz aus sich selbst heraus. Demnach gibt es nichts, was von sich aus, unabhängig von anderen Umständen existiert, sondern alle Erscheinungen sind in wechselseitiger Abhängigkeit miteinander verflochten. Man spricht von der Leerheit des Selbst und der Leerheit der Phänomene. Beide Aspekt der Leerheit müssen realisiert werden. Im Mahayana wird Leerheit mit Weisheit (Skt.: prajna) assoziiert. Mit zunehmender Weisheit wächst die Erkenntnis von Leerheit. Diese ist einer der für die Erleuchtung notwendigen Aspekte; der andere ist Mitgefühl (das Ausüben der Vollkommenheiten). Ling (Tib.) Wörtlich: "Insel" oder "Ort". Ling bezeichnet einen Ort, der in positiver Weise verschieden von anderen Orten ist. Es kann zum Beispiel auch als Ausdruck für Garten verwendet werden. Madhyamika (Skt.) Die von Nagarjuna (2./3. Jahrhundert) begründete Schule des mittleren Weges, die jede definitive Aussage über das Sein oder Nicht-Sein der Erscheinungsformen widerlegt. Alle Phänomene entstehen in wechselseitiger Abhängigkeit und sind leer, das

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heisst frei von Selbstnatur oder ohne letztendlichen, fassbaren Eigenkern. Mahayana (Skt.) Wörtlich: "grosses Fahrzeug". Allgemein als Bezeichnung für den Weg der Bodhisattvas gebraucht. Kennzeichnend für diesen Weg ist die Einstellung, die Erleuchtung zum Wohl aller Lebewesen anzustreben. Mandala (Skt.) Wörtlich: "Kreis", "Gebiet". Je nach Zusammenhang hat Mandala verschiedene Bedeutungen. Als symbolische Darstellung eines Aspekts der Buddha-Natur hat ein Mandala als Grundstraktur einen zentralen Palast der jeweiligen Gottheit mit je einem Tor in den vier Himmelsrichtungen. Ein solches Mandala kann gemalt sein, aus farbigem Sand oder Reishäufchen geformt oder als dreidimensionales Modell errichtet sein. Aber auch die äussere Welt, der eigene Körper, der eigene Geist oder das ganze Universum können als Mandala betrachtet werden. Im weiteren Sinn ist ein Mandala dann die Vereinigung vieler Elemente in ein Ganzes durch die Erfahrung der Meditation. Mantra (Skt.) Ein Mantra besteht aus Sanskrit-Wörtern, die die Natur oder Energie eines Yidam symbolisieren. Mantras werden im Vajrayana immer in Verbindung mit geistigen Visualisationen gesprochen. Der Praktizierende lernt alle Geräusche als Mantra, alle Erscheinungen als Yidam und alle Gedanken als Weisheit zu betrachten. Meru (Skt.) In der buddhistischen Kosmologie der zentrale Weltenberg, der von vier Kontinenten umgeben ist. Milarepa (1040-1123) Grosser tibetischer Yogi, der in einem Leben volle Verwirklichung erlangte.

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Niedere Daseinsbereiche vgl. Sechs Daseinsbereiche Nirmanakaya (Skt.) Wörtlich: "Erscheinungskörper". Ein Buddha, z.B. Buddha Shakyamuni, nimmt Form an als Mensch mit bestimmten Eigenschaften und kann von gewöhnlichen Wesen wahrgenommen werden. Nirvana (Skr.) Wörtlich: "Erlöschen", "Aufhören", auch "Ruhe", "Glück". Bezeichnet einerseits das Heilsziel des Hinayana: das Freisein vom Zwang der Wiedergeburt durch die Beendigung von Unwissenheit und störenden Gefühlen. Andererseits wird Nirvana auch als Synonym für Erleuchtung gebraucht. Gemäss der Mahayana-Sichtweise stellt das Nirvana des Hinayana nur ein Etappenziel dar. Erleuchtung erfordert demnach nicht nur das Aufhören der Unwissenheit, sondern auch Mitgefühl und geschickte Mittel. Padmasambhava (Skt.) Wörtlich: "der aus dem Lotos Geborene"; er wird auch "Guru Rinpoche" genannt und ist ein berühmter Yogi, Weiser und Mystiker des 5. Jahrhunderts n.Chr. aus dem Lande Swat, der zusammen mit Shantarakshita den Bau des ersten buddhistischen Klosters in Tibet, Samyä, beaufsichtigte und eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung des Vajrayana in Tibet spielte. Prajnaparamita (Skt.) Prajna heisst "Weisheit", paramita heisst "überschritten", "überquert"; wird meist mit "Vollkommenheit der Weisheit" wiedergegeben. Sie ist die sechste der Vollkommenheiten (nach Freigebigkeit, Sittlichkeit, Geduld, Ausdauer und Meditation) und bezeichnet die genaue Analyse der Gesamtheit der Phänomene mit der Einsicht, dass die Wirklichkeit jenseits der Dualität von Sein und Nicht-Sein liegt.

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Pratyeka-Buddha (Skt.) Stolze Wesen, die über viele Leben religiöses Verdienst angesammelt haben und sich dann an einen Ort gebären lassen, wo weder Buddhas noch deren Lehren vorhanden sind, um aus eigener Kraft, ohne Anleitung durch einen Lehrer, Befreiung von Samsara zu erlangen. Sie tun dies hauptsächlich durch die Untersuchung der zwölf Glieder des Entstehens in Abhängigkeit. Ihre so gewonnene Einsicht, dass die Unwissenheit nur der verschleierte Aspekt des Geistes ist, vertieft sich durch Meditation, wodurch sie den Arhat-Zustand erlangen. Sie geben ihre Lehren nicht an andere weiter. Vom Mahayana-Standpunkt aus ist diese Befreiung von Samsara aber, ebenso wie bei den Shravakas, nicht die höchste Erleuchtung. Retreat (Engl.) Wörtlich: "Zurückgezogenheit". Bezieht sich auf die in Abgeschiedenheit von der Aussenwelt verbrachte spirituelle Praxis. Rumtek Seit der Flucht aus Tibet das Hauptkloster der Karmapas. Es liegt in Sikkim. Samadhi (Skt.) Wörtlich: "Zusammenbringen", "Vollendung". Ein Zustand des vollkommenen Vertieftseins, in dem der Geist unentwegt auf ein bestimmtes Objekt gerichtet ist. Samantabhadra (Skt.) Wörtlich: "all gut". Name eines der acht grossen Bodhisattvas. In der Nyingma-Tradition wird er als der ursprüngliche Buddha, als Verkörperung des Dharmakaya verehrt. Samaya (Skt.) Wörtlich: "Zusammenkommen", "Vertrag", "Gesetz". Es bezeichnet das Vajrayana-Prinzip, dem Wurzel-Lama gegenüber eine richtige Haltung zu bewahren, die Essenz der Hinayana- und

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Mahayana-Disziplin aufrechtzuerhalten und die reine Sichtweise auf alle Erfahrungen auszudehnen. Sambhogakaya (Skt.) Wörtlich: "Körper des Entzückens". Eine Manifestation des Dharmakaya, die nur von Bodhisattvas auf den zehn Stufen direkt erfahren werden kann. Der Sambhogakaya zeichnet sich aus durch fünf Gewissheiten (bezüglich Lehrer, Umgebung, Ort, Lehren und Zeit). Samsara (Skt.) Kreislauf der weltlichen Existenz, Kreislauf der Wiedergeburten: Er ist entstanden aus Unwissenheit und gekennzeichnet durch Leiden. Sechs Daseinsbereiche Dies sind die niederen Bereiche der Höllen, Hungergeister und Tiere und die höheren Bereiche der Menschen, kriegerischen Götter und Götter. Diese sechs Bereiche bilden die Welt des verwirrten Geistes, der seine Wurzeln in Gier, Hass und Unwissenheit hat. Shine (Tib.) Wörtlich: "Verweilen in Frieden". Bezeichnung für die Meditation des ruhigen Verweilens, die Geistesruhe entwickelt. Siddha (Skt.) Wörtlich: "voll Verwirklichter". Skandha (Skt.) Wörtlich: "Ansammlung", "Aggregat", "Anhäufung". Unser Körper setzt sich nach buddhistischer Lehre aus fünf Skandhas zusammen. Es sind dies: Form, Empfindung, Wahrnehmung, willentliche Gestaltung und Bewusstsein.

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Shravaka (Skt.) Wörtlich "Hörer". Im engeren Sinn ein Schüler, der die Lehren des Buddha von diesem selbst gehört hat; im weiteren Sinn ein Praktizierender, der hauptsächlich über grundlegende Lehren, wie die über die vier edlen Wahrheiten, nachdenkt und mittels der Meditation der Geistesruhe versucht, für sich selbst Nirvana zu erlangen. Sugata (Skt.) Wörtlich: "der Wohlgegangene". Ein anderer Name für den Buddha. Sutra (Skt.) Wörtlich: "Faden", "Leitfaden" oder "Regel". Sutra bezeichnet die Lehrreden des Buddha (im Gegensatz zu den Kommentaren) oder das Sutra als Weg (im Gegensatz zu den speziellen Meditationsmethoden des Tantra- oder Vajrayana). Tathagata (Skt.) Der "so Gegangene", ein anderer Name für einen Buddha. Tantra (Skt.) Wörtlich: "hauptsächliches Prinzip", "Modell", "Regel". Im engeren Sinn die Wurzeltexte des Vajrayana. Torma (Tib.) Eine aus Getreide und Butter geformte Opfergabe. Es gibt viele verschiedene Arten von Tormas, die in unterschiedlichen Zusammenhängen und für verschiedene Zwecke gebraucht werden. Tsa Tsa Miniaturbild von Stupas, Buddhas, Bodhisattvas u.a., das mit einem Stempel oder einer Form aus Lehm hergestellt und in Stupas, Schreine usw. gelegt bzw. aufgestellt wird.

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Tulku (Tib.) In diesem Zusammenhang die Bezeichnung für die Inkarnation eines grossen religiösen Lehrers. Vairocana (Skt.) Der Buddha, der die Weisheit des universellen Gesetzes verkörpert. Vajrayana (Skt.) Wörtlich: "diamantenes Fahrzeug". Es ist die Weiterentwicklung des Mahayana und zeichnet sich vor allen Dingen durch eine Vielfalt geschickter Methoden aus, die den Praktizierenden auf dem Weg zur Erleuchtung schnell voranbringen. Wunschgebet Gebet, das für das Glück und Wohlergehen aller Wesen gesprochen wird. Wurzel-Lama Ein Lehrer, der einem durch die Kraft seiner Verwirklichung einen Einblick in die Natur der Wirklichkeit geben kann. Yidam (Tib.) Wörtlich: "Samaya des Geistes". Ein Yidam bezeichnet die persönliche Schutzgottheit des Praktizierenden bzw. die Gottheit oder den Buddha-Aspekt, auf deren Meditation und Ritual der Übende sich konzentriert. Es gibt männliche und weibliche, friedvolle, halb-zornvolle und zornvolle Yidams, die Ausdrucksformen bestimmter Aspekte der Buddha-Natur sind. Zentralkanal In der tibetischen Medizin-Philosophie der Hauptenergiekanal des Körpers.