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TREFFPUNKT FORSCHUNG | 8 | © 2010 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2010, 44, 6 – 10 Die in den vergangenen Jahren in mas- sivem Umfang eingesetzten Sequenzier- automaten der „zweiten Generation“ haben den Preis eines menschlichen Genoms bereits deutlich unter $50.000 fallen lassen. Experten zitieren als bald zu erreichenden Meilenstein das 1000- Dollar-Genom.Von diesem Punkt an dürfte die Genomanalyse dann nicht nur zu Forschungszwecken sondern auch zur medizinischen Diagnose ein- gesetzt werden. Einer der Bereiche, die davon am meisten profitieren dürften, ist die Krebsmedizin. Sobald die Kosten vernachlässigbar werden, wird man bei vielen Patien- ten das Genom der Krebszellen mit dem der gesunden Zellen vergleichen können und dadurch zum einen her- ausfinden, welche Mutationen das un- gehemmte Wachstum ausgelöst oder gefördert haben, zum anderen aber auch im Einzelfall feststellen, auf wel- ches Medikament die Krankheit am besten ansprechen wird [1]. Ein erstes Beispiel einer solchen Analyse wurde bereits Ende 2008 ver- öffentlicht – das Genom von Krebs- zellen im Vergleich mit gesunden Hautzellen einer Patientin, die mit 55 Jahren an akuter myeloischer Leu- kämie erkrankt war [2]. Obwohl die Genomforscher an der Washington University in St. Louis im US-Bundes- staat Missouri das gesamte Genom der gesunden und der malignen Zel- len sequenzierten, beschränkte ihre zunächst veröffentlichte Auswertung sich auf Veränderungen in katalogi- sierten Genen. Dort fanden sie acht neue Mutationen sowie zwei Verände- rungen, die bereits bekannt waren. Um die Relevanz der einzelnen Muta- tionen einschätzen zu können, das räumen die Autoren ein, werden aller- dings viele weitere Genome von Leukämiepatienten erforderlich sein. Ende vergangenen Jahres legten Forscher vom Sanger-Zentrum in Hinxton bei Cambridge drei weitere Analysen von Krebsgenomen vor.In zwei Studien, die Mitte Dezember in Nature online veröffentlicht wurden, stellten sie komplette Genome von Zelllinien eines Lungenkrebs- und ei- nes Hautkrebs-Patienten vor und ana- lysierten die zahllosen Mutationen (un- abhängig davon, ob sie sich in Genen befanden oder nicht). In der dritten Arbeit identifizierten sie Umordnun- gen von DNA-Abschnitten in Gewebe- proben und Zelllinien von 24 verschie- denen Brustkrebs-Patientinnen. In der Lungenkrebs-Studie ver- glichen Erin Pleasance et al. die Geno- me von zwei Zelllinien, die 1985 von einem 55-jährigen Patienten mit einem kleinzelligen Bronchialkarzinom er- zeugt worden waren [3]. Die Tumor- Zelllinie leitete sich von einer Knochenmark-Metastase ab und war gewonnen worden, bevor der Patient mit Chemotherapie behandelt wurde. Als Vergleich dienten sowohl eine von weißen Blutkörperchen des- selben Patienten abgeleitete Zelllinie, als auch das allgemeine menschliche Referenz-Genom. Die Forscher fanden 22.910 ver- mutliche Mutationen in der Krebs- Zelllinie.Welche von diesen den Krebs auslösten oder förderten (driver mu- tations) und welche lediglich als Tritt- brettfahrer (passenger mutations) mit von der Partie waren, ist jedoch aus dieser Studie noch nicht zu ermitteln. Das liegt unter anderem daran, dass die unterschiedliche Häufigkeit von somatischen Mutationen (also Muta- tionen, die nicht die Keimbahnzellen betreffen, also nur einen Teil der Zellen des jeweiligen Individuums betreffen und nicht vererbt werden können) in verschiedenen Bereichen des Genoms bisher unzureichend ver- standen ist.Wenn also das Krebsgenom von dem gesunden Genom abweicht, kann es ebenso gut die gesunde Zelle sein, die eine somatische Mutation er- litten hat. Selbst wenn das Referenz- Genom mit der gesunden Zelle über- einstimmt, kann man noch nicht hun- dertprozentig sicher sein. Der Patient könnte (in einigen wenigen der über 20.000 Fälle) eine erbliche Mutation tragen, und eine von den beiden Zell- linien könnte zu der „normalen“ Ver- sion zurückmutiert sein. Um wirklich sicher zu sein, was normal und was mutiert ist, müsste man mehrere „frische“ Patienten un- tersuchen, von denen man dann auch mehrere Zellarten, einschließlich Keimbahnzellen, sequenzieren könn- te. Nur mit frischen Proben in Verbin- dung mit perfekt dokumentierten Krankheitsgeschichten ist es auch möglich, medizinische Schlussfolge- rungen zu ziehen.Von dem hier untersuchten und vermutlich schon lange verstorbenen Patienten wissen die Autoren noch nicht einmal, ob und wieviel er geraucht hat. Zwar tre- ten 97 Prozent der Fälle dieser Krebs- erkrankung bei Rauchern auf, doch das lässt immer noch Raum für ein 3-prozentiges Risiko, dass die mit großem Aufwand katalogisierten Mu- tationen mit dem Rauchen gar nichts zu tun haben. Dieses „Lungenkrebs-Genom“ kann also nur als Machbarkeitsbeweis gelten. Um wirklich zu verstehen, wie die Schadstoffe im Tabakrauch auf der Genomebene Lungenkrebs verursachen, wird man weitere Ge- nome von zahlreichen Patienten mit besseren Hintergrundinformationen benötigen. Unter ähnlichen Schwächen leidet auch das gleichzeitig veröffent- lichte „Hautkrebs-Genom“, das eben- falls auf Zelllinien aus dem vorigen Jahrhundert beruht [4]. In diesem Fall wurden 33.345 vermutete Mutationen identifiziert, doch welche von diesen den Krebs verursachten ist noch nicht ersichtlich. Eine andere Vorgehensweise wähl- ten die Genomforscher aus Cambridge KREBSFORSCHUNG Genomanalyse von Tumoren Die technischen Verbesserungen bei der Genomsequenzierung lassen den Preis eines einzelnen menschlichen Genoms immer tiefer fallen. Der systematische Vergleich von Krebsgenomen mit der DNA der gesunden Zellen desselben Patienten ist bereits praktikabel und dürfte schon bald die Krebsmedizin revolutionieren. [1] M. R. Stratton et al., Nature 2009, 458, 719. [2] T. J. Ley et al., Nature 2008, 456, 66. [3] E. D. Pleasance et al., Nature 2009, doi: 10.1038/ nature08629. [4] E. D. Pleasance et al., Nature 2009, doi: 10.1038/ nature08658. [5] P. J. Stephens et al., Nature 2009, 462, 1005. [6] M. Groß, Nachr. Chem. Techn. 2010, Feb-Heft, 137–139.

Genomanalyse von Tumoren

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Page 1: Genomanalyse von Tumoren

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8 | © 2010 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2010, 44, 6 – 10

Die in den vergangenen Jahren in mas-sivem Umfang eingesetzten Sequenzier-automaten der „zweiten Generation“haben den Preis eines menschlichenGenoms bereits deutlich unter $50.000fallen lassen. Experten zitieren als baldzu erreichenden Meilenstein das 1000-Dollar-Genom.Von diesem Punkt andürfte die Genomanalyse dann nichtnur zu Forschungszwecken sondernauch zur medizinischen Diagnose ein-gesetzt werden. Einer der Bereiche,die davon am meisten profitierendürften, ist die Krebsmedizin.

Sobald die Kosten vernachlässigbarwerden, wird man bei vielen Patien-ten das Genom der Krebszellen mitdem der gesunden Zellen vergleichenkönnen und dadurch zum einen her-ausfinden, welche Mutationen das un-gehemmte Wachstum ausgelöst odergefördert haben, zum anderen aberauch im Einzelfall feststellen, auf wel-ches Medikament die Krankheit ambesten ansprechen wird [1].

Ein erstes Beispiel einer solchenAnalyse wurde bereits Ende 2008 ver-öffentlicht – das Genom von Krebs-zellen im Vergleich mit gesundenHautzellen einer Patientin, die mit 55 Jahren an akuter myeloischer Leu-kämie erkrankt war [2]. Obwohl dieGenomforscher an der WashingtonUniversity in St. Louis im US-Bundes-staat Missouri das gesamte Genomder gesunden und der malignen Zel-len sequenzierten, beschränkte ihrezunächst veröffentlichte Auswertungsich auf Veränderungen in katalogi-sierten Genen. Dort fanden sie achtneue Mutationen sowie zwei Verände-rungen, die bereits bekannt waren.Um die Relevanz der einzelnen Muta-tionen einschätzen zu können, dasräumen die Autoren ein, werden aller-dings viele weitere Genome vonLeukämiepatienten erforderlich sein.

Ende vergangenen Jahres legtenForscher vom Sanger-Zentrum inHinxton bei Cambridge drei weitereAnalysen von Krebsgenomen vor. Inzwei Studien, die Mitte Dezember inNature online veröffentlicht wurden,stellten sie komplette Genome vonZelllinien eines Lungenkrebs- und ei-nes Hautkrebs-Patienten vor und ana-lysierten die zahllosen Mutationen (un-abhängig davon, ob sie sich in Genenbefanden oder nicht). In der drittenArbeit identifizierten sie Umordnun-gen von DNA-Abschnitten in Gewebe-proben und Zelllinien von 24 verschie-denen Brustkrebs-Patientinnen.

In der Lungenkrebs-Studie ver-glichen Erin Pleasance et al. die Geno-me von zwei Zelllinien, die 1985 voneinem 55-jährigen Patienten mit einemkleinzelligen Bronchialkarzinom er-zeugt worden waren [3]. Die Tumor-Zelllinie leitete sich von einerKnochenmark-Metastase ab und wargewonnen worden, bevor der Patientmit Chemotherapie behandelt wurde.Als Vergleich dienten sowohl einevon weißen Blutkörperchen des-selben Patienten abgeleitete Zelllinie,als auch das allgemeine menschlicheReferenz-Genom.

Die Forscher fanden 22.910 ver-mutliche Mutationen in der Krebs-Zelllinie.Welche von diesen den Krebsauslösten oder förderten (driver mu-tations) und welche lediglich als Tritt-brettfahrer (passenger mutations) mitvon der Partie waren, ist jedoch ausdieser Studie noch nicht zu ermitteln.Das liegt unter anderem daran, dassdie unterschiedliche Häufigkeit vonsomatischen Mutationen (also Muta-tionen, die nicht die Keimbahnzellenbetreffen, also nur einen Teil derZellen des jeweiligen Individuumsbetreffen und nicht vererbt werdenkönnen) in verschiedenen Bereichen

des Genoms bisher unzureichend ver-standen ist.Wenn also das Krebsgenomvon dem gesunden Genom abweicht,kann es ebenso gut die gesunde Zellesein, die eine somatische Mutation er-litten hat. Selbst wenn das Referenz-Genom mit der gesunden Zelle über-einstimmt, kann man noch nicht hun-dertprozentig sicher sein. Der Patientkönnte (in einigen wenigen der über20.000 Fälle) eine erbliche Mutationtragen, und eine von den beiden Zell-linien könnte zu der „normalen“ Ver-sion zurückmutiert sein.

Um wirklich sicher zu sein, wasnormal und was mutiert ist, müssteman mehrere „frische“ Patienten un-tersuchen, von denen man dann auchmehrere Zellarten, einschließlichKeimbahnzellen, sequenzieren könn-te. Nur mit frischen Proben in Verbin-dung mit perfekt dokumentiertenKrankheitsgeschichten ist es auchmöglich, medizinische Schlussfolge-rungen zu ziehen.Von dem hieruntersuchten und vermutlich schonlange verstorbenen Patienten wissendie Autoren noch nicht einmal, obund wieviel er geraucht hat. Zwar tre-ten 97 Prozent der Fälle dieser Krebs-erkrankung bei Rauchern auf, dochdas lässt immer noch Raum für ein 3-prozentiges Risiko, dass die mitgroßem Aufwand katalogisierten Mu-tationen mit dem Rauchen gar nichtszu tun haben.

Dieses „Lungenkrebs-Genom“kann also nur als Machbarkeitsbeweisgelten. Um wirklich zu verstehen,wie die Schadstoffe im Tabakrauchauf der Genomebene Lungenkrebsverursachen, wird man weitere Ge-nome von zahlreichen Patienten mitbesseren Hintergrundinformationenbenötigen.

Unter ähnlichen Schwächenleidet auch das gleichzeitig veröffent-lichte „Hautkrebs-Genom“, das eben-falls auf Zelllinien aus dem vorigenJahrhundert beruht [4]. In diesem Fallwurden 33.345 vermutete Mutationenidentifiziert, doch welche von diesenden Krebs verursachten ist nochnicht ersichtlich.

Eine andere Vorgehensweise wähl-ten die Genomforscher aus Cambridge

K R E B S FO R S C H U N G

Genomanalyse von TumorenDie technischen Verbesserungen bei der Genomsequenzierung lassen den Preis eineseinzelnen menschlichen Genoms immer tiefer fallen. Der systematische Vergleich vonKrebsgenomen mit der DNA der gesunden Zellen desselben Patienten ist bereitspraktikabel und dürfte schon bald die Krebsmedizin revolutionieren.

[1] M. R. Stratton et al.,Nature 2009, 458,719.

[2] T. J. Ley et al.,Nature 2008, 456,66.

[3] E. D. Pleasance etal., Nature 2009,doi: 10.1038/nature08629.

[4] E. D. Pleasance etal., Nature 2009,doi: 10.1038/nature08658.

[5] P. J. Stephens et al.,Nature 2009, 462,1005.

[6] M. Groß, Nachr.Chem. Techn. 2010,Feb-Heft, 137–139.

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bei der Analyse von Brustkrebs. Indiesem Fall sequenzierten sie nur die Enden von zahlreichen großen DNA-Fragmenten der Krebs- undVergleichszellen mit dem Ziel, Um-ordnungen des genetischen Materialsaufzuspüren. Da dies weniger auf-wendig ist als die Gesamtsequenz,konnten die Forscher gleich 24 Tumo-re vergleichen, darunter sowohl fri-sche Proben, als auch Zelllinien. DerVergleich der Ergebnisse aus beidenGruppen zeigt, dass die Zellliniendeutlich mehr genetische Veränderun-gen aufwiesen als die Gewebepro-ben, was die oben geäußerte Kritikan der Verwendung alter Zelllinienbestärkt.

Die Tumor-Gewebeproben wiesenzwischen einer und 231 Umordnun-gen auf, mit einem Medianwert von38. Es ergaben sich keine einfachenZusammenhänge zwischen bestimm-ten Klassen von Tumoren und be-stimmten Arten von Veränderungen.Allerdings kamen die Tumore mitzahlreichen Tandem-Verdoppelungen(wobei ein DNA-Abschnitt verdoppeltund das zweite Exemplar am Endedes ersten angehängt wird) meist ausder Gruppe der nicht-hormonabhän-gigen Krebserkrankungen, was einerster Hinweis auf ursächliche Zu-sammenhänge sein mag.

Alles in allem ist dies erst derAnfang eines neuen und vielverspre-chenden Aufbruchs in der Krebs-medizin. Die in Kürze erwartetenneuen Methoden zur Sequenzierungvon DNA-Einzelmolekülen [6] dürftendie Kosten der Sequenzierung schnellweiter senken, so dass die Sequen-zierung von Tausenden von Krebs-genomen in Reichweite rückt.Abge-sehen von der Basenfolge wird mandabei auch epigenetische Informa-tion, etwa die Methylierung bestimm-ter Basen mit erheben müssen. Erst indiesem Maßstab wird die Genom-forschung konkrete Informationenüber die genetischen Auslöser unddie Behandlungsoptionen einzelnerKrebsfälle liefern.

Michael Großwww.michaelgross.co.uk

Kann man von Kohlensäure sprechen? Koh-lensäure war bislang nur in gelöster Form alsCarbonat hoffähig. Der Name Kohlensäurewar den Getränkeflaschen vorbehalten, inLehrbüchern wurde er mit äußerster Vorsichtverwendet. Feste und gasförmige Kohlensäurewurde bereits näher untersucht und zeigtesich haltbarer als allgemein angenommen. Imwässrigen Medium jedoch sollte ein sofortigerZerfall in Kohlendioxid und Wasser stattfin-den. Dissoziationskonstante war aber nichtdirekt zugänglich.

Leitet man Kohlendioxid in neutralesWasser ein, wird es hydratisiert und bildetKohlensäure. Die Hydratation des Kohlen-dioxids ist eine langsame Reaktion. Zugleichdeprotoniert Kohlensäure und bildet einGleichgewicht, das sowohl zum Bicarbonatwie auch zum Carbonat führt. Der pH-Wertsinkt hierbei. Der erste Deprotonierungs-Schritt ist schnell, weshalb sich keine Kohlen-säure ansammelt.

Eine Titration erfasst nur das Gesamt-gleichgewicht vom Kohlendioxid zum Bi-carbonat. Der effektive pKS-Wert von 6,35sagt nichts über die Säurestärke der Kohlen-säure selbst aus.

Um Kohlensäure in wässriger Lösung zuuntersuchen, nutzten die Chemiker ihr Säure-Base-Verhalten. Sie beobachteten das Gleich-gewicht zwischen Kohlensäure und Bicarbo-nat in schwerem Wasser, bei dem Säure undkonjugierte Base über eine Protonierung mit-einander in Beziehung stehen. Die Protonenliefert eine Photosäure, die durch Licht an-geregt deprotoniert. Durch Licht macht ihreDissoziationskonstante einen Sprung hin zur starken Säure. Eingesetzt wurde hierfür 2-Naphtol-6,8-disulfonat. Die Dissoziationwird mit einem Laserimpuls in Echtzeit ge-

messen. Sie erfolgt im Femtosekunden-bereich und kann im IR-Spektrum verfolgtwerden.

Da die Dissoziationskonstante der Photo-säure bekannt ist, beantwortet das Experi-ment die mechanistische Fragestellung: Hängtdie Reaktionsgeschwindigkeit von der Diffu-sion der Protonen durch Hydrathüllen aboder lagern sich die Protonen zunächst andas Lösemittel an und gehen dann von die-sem auf die Basen über? Die Photosäure de-protoniert innerhalb von 8,6 ps. Bis zur Proto-nierung des Bicarbonats vergeht aber mehrZeit. Da im IR-Spektrum keine anderen Bandenerscheinen, benötigt das Deuteron die Zeit,um durch die Hydrathüllen der Säuren undBasen zu diffundieren. Die Reaktionsgeschwin-digkeit wird also von der Diffusion begrenzt.

Der Versuchsaufbau ermöglichte, die Le-bensspanne von deuterierter Kohlensäure von300 Nanosekunden zu bestimmen.Vor allemaber folgt die Deprotonierung und nicht derZerfall in Kohlendioxid und Wasser, wie bis-lang allgemein gelehrt wird. Kohlensäure rea-giert wie eine gewöhnliche Carbonsäure. IhreSäurestärke ist mit einem pKS-Wert von 3,45mit der von Ameisensäure zu vergleichen.

Pläne, den Kohlenstoffkreislauf mit einerkünstlichen Senke durch die langfristige Lage-rung von Kohlendioxid in tieferen Meeres-schichten zu beeinflussen, sollten also dasSäure-Base-Verhalten von Kohlensäure berück-sichtigen. Gänzlich neu zu untersuchen ist dieEinwirkung wässriger Kohlensäure auf festeOberflächen, wie bei der Verwitterung vonSedimenten und Gesteinen.

[1] K. Adamczyk, M. Prémont-Schwarz, D. Pines, E. Pines,E. T. J. Nibbering, Science 2009,, 326, 1690–1694.

Sylvia Feil, Burgdorf

K U R Z Z E I T S PE K T ROS KO PI E

Und es gibt sie doch: KohlensäureDie Kinetik der chemischen Reaktion von Kohlensäure in wässriger Lösung war bislang wenig charakterisiert. Erik Nibbering und Mitarbeiter vom Max-Born-Institut in Berlin haben mit israelischen Kollegen verfolgt, wie Bicarbonat in schwerem Wasser ultraschnell zur deuterierten Kohlensäure protoniert wird [1]. Die freie Kohlen-säure überdauert mehrere Nanosekunden, bevor sie wieder deprotoniert.

Abb. Kohlensäure ist in Wasser länger stabil als bisher angenommen: mehrere Nanosekunden. Die Azidität ist vergleichbar mit der von Ameisensäure.

CO2(g) + 3H2O i CO2(aq) + 3H2O i H2CO3 + 2H2O i HCO3– + H3O+ + H2O i CO3

2– + 2H2O+