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Januar 2005 ___________________________________________________________________ Pariser Standorte: Struktur und Entwicklung der französischen Hauptstadt Ergebnisse einer Exkursion nach Paris Seminar- und Exkursionsleitung: Iris Gebauer, MA Dipl. Geogr. Ralf Binder ___________________________________________________________________ GEOGRAPHISCHES INSTITUT DER UNIVERSITÄT STUTTGART Azenbergstraße 12 70174 Stuttgart

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Januar 2005

___________________________________________________________________

Pariser Standorte:

Struktur und Entwicklung der französischen Hauptstadt

– Ergebnisse einer Exkursion nach Paris

Seminar- und Exkursionsleitung: Iris Gebauer, MA

Dipl. Geogr. Ralf Binder ___________________________________________________________________

GEOGRAPHISCHES INSTITUT DER UNIVERSITÄT STUTTGART

Azenbergstraße 12

70174 Stuttgart

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Dieser Exkursionsbericht entstand unter der Mitwirkung folgender Autoren, die als Studierende an einer achttägigen geographischen Exkursion im Herbst 2004 teil-nahmen: Dennis Andres, Clemens Breuninger, Christian Claus, Sonja Eckstein, Andreas Frank, Ina Giebler, Diana Heitzmann, Stefanie Hörz, Claudia Kötter, Christi-ne Meyer, Gerd Naumann, Boris Pohl, Tobias Prändl, Stefanie Wiedmann, Simone Wiener.

Die Exkursionsteilnehmer bereiteten in Arbeitsgruppen einzelne Routenabschnitte inhaltlich vor, führten auf Teilabschnitten die Teilnehmer und fassten die Ergebnisse in einer schriftlichen Ausarbeitung zusammen.

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Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 8

2 Paris als Global City 8 2.1 Einleitung 8 2.2 Definition des Begriffs „Global City“ 9 2.3 Ansätze zur Hierarchisierung von Global Cities 13 2.3.1 Der „Primacy Index“ von Paul L. Knox 13 2.3.2 Hierarchisierung von Städten nach Bronger 13 2.3.2.1 Transnational Cooperations 15 2.3.2.2 Größte Banken 16 2.3.2.3 Größte Börsen 17 2.3.2.4 Größte internationale Flughäfen 18 2.3.2.5 Internationale/weltwirtschaftliche Institutionen 18 2.3.3 Alternative nichtökonomische Indikatoren 19 2.4 Die UNESCO in Paris - als Beispiel einer internationalen Institution in

der Global City Paris 20 2.4.1 Das UNESCO-Gebäude 20 2.4.2 Paris als Standort 22 2.5 Fazit 23

3 Tradierte Strukturen 24 3.1 Architektonisches Erbe 25 3.1.1 Romanik 11. bis 12. Jahrhundert - Merkmale und Beispiele 25 3.1.2 Gotik 13. - 14. Jahrhundert - Merkmale und Beispiele 26 3.1.3 Barock Ende 16. bis Mitte 18. Jh. - Merkmale und Beispiele 28 3.1.3.1 Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte von Versailles 30 3.1.3.2 Die Entwicklung der Stadt Versailles 36 3.1.4 Klassizismus 18. – Anfang 19. Jh. – Merkmale und Beispiele 37 3.1.5 Fazit 40 3.2 Städtebauliches Erbe 40 3.2.1 Geschichte der Stadt 41 3.2.1.1 Ausgewählte Einzelthemen / -standorte 42 3.3 Fazit 54

4 Gegenwärtige Strukturen und Entwicklungen des Verdichtungsraumes 55

4.1 Aktuelle städtebauliche Entwicklungen in der Kernstadt} 55 4.1.1 Städtebauliche Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg 55 4.1.1.1 „Leitplan für die Stadtplanung und Stadtentwicklung von Paris“ 56 4.1.1.2 Tour Montparnasse 62 4.1.2 Fazit 62 4.2 Wohnstandorte 63 4.2.1 Allgemeine Bevölkerungsentwicklung im Pariser Umland 63 4.2.2 Grands Ensembles als Lösungsansatz für den Bevölkerungszuwachs 64 4.2.3 Villes Nouvelles als Lösungsansatz für den Bevölkerungszuwachs 68 4.2.4 Alleé Vivaldi als Beispiel für ein Grands Ensembles 72 4.2.5 Evry als Beispiel für eine Villes Nouvelles 73 4.2.6 Bevölkerungsstruktur und -verteilung in Paris 76 4.2.7 Vergleich: 19. Arrondissement – 16. Arrondissement 77 4.2.8 Fazit 83 4.3 Industriestandorte 85

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4.3.1 Die wirtschaftliche Situation in Paris 85 4.3.1.1 Deindustrialisierung, Tertiärisierung und Dezentralisierung 89 4.3.2 Ausgewählte Standortbeispiele 91 4.3.2.1 Die Kleinindustrie im 12. Arrondissement 91 4.3.2.2 Der Parc André Citroen 93 4.3.2.3 Die Plaine Saint-Denis mit dem Stade de France 96 4.3.3 Fazit 99 4.4 Standorte der Dienstleistungsfunktionen 99 4.4.1 Der Dienstleistungssektor in Frankreich 100 4.4.2 Der Dienstleistungssektor in der Ile-de-France 100 4.4.3 Dienstleistungsstandorte in der Ile-de-France 101 4.4.3.1 Grande Couronne 101 4.4.3.2 Petite Couronne 102 4.4.3.3 Pariser Kernstadt 102 4.4.4 Einzelhandel 103 4.4.4.1 Entwicklung der Einzelhandelsstrukturen 103 4.4.4.2 Standortbeispiele für die Pariser Einzelhandelsstruktur 106 4.4.5 Regierungsviertel 114 4.4.5.1 Regierungsviertel – 7. Arrondissement 114 4.4.6 Unternehmensverwaltungen 115 4.4.6.1 Viertel der Unternehmenssitze – 8. Arrondissement 115 4.4.6.2 Finanzzentrum – 2. Arrondissement 117 4.4.6.3 Bürostandortkonzentration – La Défense 117 4.4.7 Tourismus 121 4.4.7.1 Städtetourismus 121 4.4.7.2 Wichtigkeit des Tourismus für die Ile-de-France 124 4.4.7.3 Wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus anhand der Hotelstruktur 124 4.5 Verkehrssituation in der Kernstadt – Verkehrsangebot in der Kernstadt 127 4.5.1 Öffentlicher Personenverkehr 127 4.5.1.1 Eisenbahn 128 4.5.1.2 Öffentlicher Personennahverkehr 129 4.5.2 Individualverkehr 133 4.5.3 Verkehrsneuplanung: Verbindung von Individualverkehr und ÖPNV 135 4.5.4 Fazit 136

5 Methodischer Exkurs – Zwei Erhebungen aktueller Strukturen 137 5.1 Beobachtungsbogen zur Stadtteilanalyse 137 5.2 Kartierung der Champs-Elysees 138 5.2.1 Grundlagen der Kartographie und Zielsetzung 138 5.2.2 Räumliche Einordnung der Champs-Élysées und des

Kartierungsgebietes 139 5.2.3 Methodik der Kartierung 139 5.2.4 Interpretation und Diskussion der Ergebnisse 140

6 Fazit 146

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Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Primacy Index - Wirtschaftliche und politische Bedeutung von

Global Cities 14 Abbildung 2: St-Germain-des-Prés 26 Abbildung 3: Notre-Dame/Paris 27 Abbildung 4: Invalidendom 29 Abbildung 5: Versailles zur Zeit Ludwig XIII 30 Abbildung 6: Grundriss des Schlosses mit Zimmeraufteilung des 1. Geschosses 32 Abbildung 7: Schloss und Garten von Versailles mit dem kreuzförmigen Grand

Canal 36 Abbildung 8: Panthéon 37 Abbildung 9: Louvre 39 Abbildung 10: Die verschiedenen Stadtmauern von Paris. 42 Abbildung 11: Der Ostteil der Ile de la Cité vor und nach der Umgestaltung im

Jahr 1867 43 Abbildung 12: Hauptstraßenschema des Haussmann-Planes 46 Abbildung 13: Durchbruch der Avenue de l'Opéra 47 Abbildung 14: Place de la Concorde 50 Abbildung 15: Rue de Rivoli 52 Abbildung 16: Eiffelturm Stadtplan 1:15.000 Paris 53 Abbildung 17: Werbeplakat zur Weltausstellung 1889 54 Abbildung 18: Le Marais. Stadtplan 1:15.000 Paris 57 Abbildung 19: Stadtplan 1:15.000 Paris 60 Abbildung 20: Les Halles. Stadtplan 1:15.000 Paris 61 Abbildung 21: Tour Montparnasse 62 Abbildung 22: Grands Ensembles in der Pariser Agglomeration 65 Abbildung 23: Der “Blindwütige” Le Corbusier, der gegen die Korridorstraße

wettert 66 Abbildung 24: Großwohnsiedlung von Sacrelles 66 Abbildung 25: Grand Ensemble “La Grande Borne” 66 Abbildung 26: Die Nouvelles Villes im Großraum Paris 69 Abbildung 27: “Le Camembert” in Marne-la-Vallée 70 Abbildung 28: Einfamilienhäuser in Saint-Quentin-en-Yvelines 70 Abbildung 29: “Les Pyramides” in Evry 71 Abbildung 30: Alleé Vivaldi mit Blick Richtung Jardin de Reuilly 73 Abbildung 31: Beispiel für ein Blockkonzept der 70er Jahre aus der Innenstadt in

Evry 75 Abbildung 32: Parkplatz auf dem ehemaligen Wochenmarktgelände, im

Hintergrund: die Agora40. 76 Abbildung 33: Schematische Darstellung der Lage des 19. (roter Kreis) und des

16. (gelber Kreis) Arrondissements in Paris 78 Abbildung 34: Geschosshöhen im 19. Arrondissement. Die ersten 15 Zylinder

stellen die einzelnen Beobachtungsergebnisse dar, der 16. Zylinder stellt den Durchschnitt dar 79

Abbildung 35: Geschosshöhen im 16. Arrondissement. Die ersten 13 Zylinder stellen die einzelnen Beobachtungsergebnisse dar, der 14. Zylinder stellt den Durchschnitt dar 80

Abbildung 36: Bauzeit der Gebäude im 19. Arrondissement. Die ersten 15 Zylinder stellen die einzelnen Beobachtungsergebnisse dar, der 16. Zylinder stellt den Durchschnitt dar 82

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Abbildung 37: Bauzeit der Gebäude im 16. Arrondissement. Die ersten 13 Zylinder stellen die einzelnen Beobachtungsergebnisse dar, der 14. Zylinder stellt den Durchschnitt dar 83

Abbildung 38: Beschäftigungsentwicklung 1962 – 1999 87 Abbildung 39: Berufstätige Pendler der Agglomeration in die „City“ 1990 88 Abbildung 40: Abwanderung von Industrieunternehmen aus der Ile-de-France 90 Abbildung 41: Karte von Paris mit den 20 Arrondissements. Das 12.

Arrondissement liegt im Südosten von Paris auf dem rechten Ufer der Seine. 91

Abbildung 42: Blick in die Passage du cheval blanc. 92 Abbildung 43: Seit Sommer 1999 kann man von diesem Ballon im Park André

Citroen aus Paris von oben betrachten. 93 Abbildung 44: Blick über die große Liegewiese auf hochwertige Bürogebäude am

Rande des Parks. 94 Abbildung 45: Der Park wird von der Bevölkerung gut angenommen. 95 Abbildung 46: Am linken Rand des Bildes sieht man eines der großen

Gewächshäuser, davor einen der großen Springbrunnen des Parks. 95

Abbildung 47: Industriebrachflächen in der proche banlieue von Paris. 97 Abbildung 48: Das Stade de France. 98 Abbildung 49: Arbeitskräfteeinsatz beim Bau des Stade de France und auf den

damit zusammenhängenden Baustellen. 99 Abbildung 50: Dienstleistungsstandorte in Paris. 103 Abbildung 51: Die Geldwechslerbrücke zur Ile de la Cité. 104 Abbildung 52: Die Rue Mouffetard. 106 Abbildung 53: Die Galerie Vivienne. 107 Abbildung 54: Die Passage des Panoramas. 108 Abbildung 55: Die Galeries Lafayette. 109 Abbildung 56: Die Galeries Lafayette mit ihrem kunstvoll verzierten Lichthof 110 Abbildung 57: Der Hypermarché Auchan im Einkaufszentrum von La Défense. 111 Abbildung 58: Blick auf die Champs Elyssées. 112 Abbildung 59: Die Billigkette Monoprix auf der Champs Elyssées. 113 Abbildung 60: Das Forum des Halles. 114 Abbildung 61: Im Innern des Forum des Halles. 114 Abbildung 62: Bürogebäude in der Rue Matignon. 116 Abbildung 63: Die Wertpapierbörse. 117 Abbildung 64: Die Tours Aillaud – Sozialwohnungen im Parkviertel von La

Défense. 119 Abbildung 65: Hochhäuser der 3. Generation: Kupka, Société Générale und La

Pacific – alle zu Beginn der 1990er entstanden. 120 Abbildung 66: La Grande Arche de la Défense. 120 Abbildung 67: Place du Tertre. 123 Abbildung 68: Sacré Coeur. 124 Abbildung 69: Regionale Verteilung der Hotelübernachtungen 2000. 125 Abbildung 70: Verteilung der Luxushotels in Paris. 126 Abbildung 71: Gästezimmer in George V. 127 Abbildung 72: Gare Montparnasse (Blick vom Tour Montparnasse). 129 Abbildung 73: Météorhaltestelle mit Sicherheitsglastüren. 132 Abbildung 74: Die 30 wichtigsten Stationen im Métroverkehr (Direkteinsteiger

ohne Umsteiger - 1998). 133 Abbildung 75: Place Charles de Gaulle (Blick vom Arc de Triomphe). 134 Abbildung 76: Sektoren- und Verkehrsplan von La Défense. 136 Abbildung 77: Der genutzte Beobachtungsbogen. 138

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Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Global Cities in der Literatur (Auswahl) 11 Tabelle 2: Genannte Indikatoren bei verschiedenen Autoren 12 Tabelle 3: Global Cities der Gegenwart (K = Kategorie; W = Wertung) 14 Tabelle 4: Hauptquartiere der 500 größten TNC´s (ohne Banken) im Jahre

1984 16 Tabelle 5: Rangfolge der führenden Banken- und Versicherungsstandorte

(1997) 16 Tabelle 6: Größte Börsen nach ihrem Marktwert (1992) 17 Tabelle 7: Größte Flughäfen nach internationalen Flügen/Woche (1992) 18 Tabelle 8: Bevölkerungsentwicklung in der Ile-de-France 1936 bis 1999 64 Tabelle 9: Bevölkerungs- und Wirtschaftsdaten zu den Villes Nouvelles im

Großraum Paris 69 Tabelle 10: Gründe und Merkmale für Segregation bzw. Gentrifikation 77 Tabelle 11: Kreuztabelle Arrondissement – Bewertung der Gebäudestruktur 79 Tabelle 12: Kreuztabelle Arrondissement – Bewertung des Gebäudezustandes 79 Tabelle 13: Kreuztabelle Arrondissements – Qualität des EH-Angebots 80 Tabelle 14: Kreuztabelle Arrondissements – Verkehrsaufkommen 81 Tabelle 15: Kreuztabelle Arrondissements – Qualität des Freizeitangebots 81 Tabelle 16: Kreuztabelle Arrondissements – Grünflächen 81 Tabelle 17: Räumliche Differenzierung der Pariser Region nach Industriebestand

2002 (Lokalisationskoeffizient der Beschäftigtenanteile) 87 Tabelle 18: Erwerbstätige nach Wirtschaftssektoren 2001. 101 Tabelle 19: Besucherzahlen von ausgesuchten Sehenswürdigkeiten in Paris. 122 Tabelle 20: Anzahl der Hotelzimmer 2003. 125 Tabelle 21: Entwicklung des ÖPNV (1949-1998). 131

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1 Einleitung

Dieser Exkursionsbericht basiert auf einer geographische Exkursion in die Stadt Paris und ausgewählte Standorte im Umland vom 27. September bis zum 4. Oktober 2004. Die Lernziele einer geographischen Exkursion umfassen vor allem das Beobachten, Be-schreiben und Erklären räumlicher Phänomene und die Diskussion räumlicher Problem-felder.

Das erklärte Ziel dieses Exkursionsberichts ist die Beschreibung von räumlichen Struktu-ren und auch von aktuellen Prozessen, sowie deren Erklärung. Anhand ausgewählter Standorte werden charakteristische Merkmale der Stadt Paris und von städtischen Räu-men im Allgemeinen verdeutlicht. Bei der Auswahl der Themen und der besuchten Standorte in Paris und Umland stand im Vordergrund, einen Überblick über die Stadt-entwicklung zu vermitteln und wichtige Funktionen der Stadt zu analysieren.

Die gewählte Gliederung des Berichts lehnt sich an ein traditionelles geographisches Vorgehen an und nähert sich dem städtischen Raum „scheibchenweise“. Im ersten Kapi-tel „Paris als Global City“ wird die Bedeutung der Stadt im weltweiten Maßstab abge-schätzt. Im folgenden Kapitel zu den tradierten Strukturen werden historische Grundla-gen zu städtebaulichen Strukturen und Entwicklungen der Stadt Paris dargelegt. Ergän-zend dazu wird in diesem Kapital auf Versailles eingegangen. Im vierten Kapitel folgen die Beschreibung und Erklärungsansätze für aktuelle Strukturen und beobachtbare Ent-wicklungen. In diesem Kapitel werden folgende Thematiken näher beleuchtet: aktuelle städtebauliche Entwicklungen, Wohnstandorte, Standorte der Industrie und von Dienst-leistungsunternehmen sowie die Verkehrssituation in der Kernstadt. Für jedes Teilkapitel werden Beispiele besuchter Standorte gegeben. Die während der Exkursion angewand-ten Methoden zur Datenerhebung finden sich im methodischen Exkurs wieder. Abschlie-ßend werden wichtige Ergebnisse der Exkursion zusammengefasst.

Diesen Bericht erstellten die Exkursionsteilnehmern selbst, unter der Leitung von Iris Gebauer und Ralf Binder.

2 Paris als Global City

2.1 Einleitung

Wohl kaum jemand würde der Aussage widersprechen, Paris sei eine Stadt von Welt. In wie weit ist Paris nun aber nach geographischen, und nicht nach landläufigen Maßstä-ben, eine Weltstadt bzw. eine Global City? Die Dimension „global“ ist in den letzten zwei Jahrzehnten ein sehr populärer Begriff geworden. Die Globalisierung hat sich, nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in Kultur und Lebensstil zu einem dominanten Faktor in vielen Bereichen entwickelt. So soll in dieser Arbeit geklärt werden, ob Paris tatsächlich eine Stadt von globaler Bedeutung ist oder sich nur mit dem populären Etikett „Global City“ schmückt? Dazu wird Paris im Vergleich zu anderen, tatsächlichen oder vermeintli-chen, Global Cities dargestellt.

Im ersten Teil der Arbeit wird ein Überblick über den Begriff „Global City“ und verschie-dene historische Ansätze dieses Begriffes präsentiert. Im zweiten Teil folgen die von

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Paul L. Knox und Dirk Bronger vorgenommenen Versuche einer Hierarchisierung einer Auswahl von Global Cities. Im weiteren wird anhand von fünf Indikatoren - „Transnatio-nale Cooperations“, „größte Banken“, „größte Börsen“, „größte internationale Flughäfen“ und „internationale/weltwirtschaftliche Institutionen“ - die Stellung Paris zu anderen Glo-bal Cities verglichen. Diese ökonomisch orientierten Indikatoren werden im vierten Ab-schnitt durch mögliche alternative Indikatoren ergänzt. Im Fazit wird ein Überblick über die gewonnen Erkenntnisse gegeben. Abschließend wird mit der UNESCO ein Beispiel für eine internationale Institution in der Global City Paris dargestellt.

2.2 Definition des Begriffs „Global City“

Der Begriff „Global City“ ist ein recht neuer Begriff. Er setzte sich erst Anfang der 1980er Jahren in der Stadtgeographie durch1. Obwohl die Begriffe „Weltstadt“ (bzw. „World Ci-ty“) und „Globale Stadt“ (bzw. „Global City“) den gleichen Stadttyp beschreiben können und von vielen Autoren, auch in dieser Arbeit, synonym verwendet werden, so differen-zieren manche Autoren zwischen diesen beiden Begriffen. So sind für Wolf Gaebe glo-bale Städte und Weltstädte beides herausragende Knotenpunkte im weltweiten Wirt-schaftsnetz, jedoch verdienen nur globale Städte der höchsten Rangstufe den Titel Welt-stadt2.

Der Begriff „Global City“ stammt zwar aus den Achtzigern, doch wenn man ihn mit dem älteren Begriff „World City“ (bzw. „Weltstadt“) assoziiert oder gar gleichsetzt, dann rei-chen seine Wurzeln bis 1915 zurück, als der schottische Soziologe Patrick Geddes den Begriff „Weltstadt“ in den wissenschaftlichen Wortschatz einführte3. In der vorliegenden Arbeit werden die Begriffe „Global City“ und „World City“ synonym gebraucht.

Einen ebenfalls frühen Ansatz lieferte Konrad Olbricht (1933): „ Als Weltstädte können wir solche Metropolen ansehen, die in der Politik und Weltwirtschaft eine überragende Rolle spielen und deren Börsen maßgebend für die Währung von Ländern sind (...). Sol-che Städte sind New York, London, Paris und Berlin. (...) Wir erkennen unschwer, dass diese Städte auch Brennpunkte des künstlerischen und wissenschaftlichen Lebens sind“4.

Zusätzlich zu den vier bereits erwähnten zählt er noch Chicago (aufgrund der weltweit wichtigsten Getreidebörse), Tokio und Shanghai dazu. Als die Mutter aller „Weltstädte“ sah Olbricht (1933) Babylon in seiner Blütezeit um 600 v. Chr., als ihr kultureller und ge-werblicher Einfluss von Ägypten bis zum Indus reichte, der damals bedeutendsten Welt-region5.

Laut J. H. Schultze (1959) ist neben einem demographischen Kriterium (Einwohner-zahl > 500.000) ein funktionales Kriterium ausschlaggebend, d.h. mindestens ein Funkti-

1 Zehner 2001: 192 2 Gaebe 2004: 34 3 Zehner 2001: 192 4 Bronger in: Sohn & Weber 2000: 279 5 Bronger in: Sohn & Weber 2000: 280

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onsbereich (z.B. Handel und Verkehr, Banken und Versicherungen usw.) muss weit ü-bernationale Bedeutung haben6.

Peter Hall (1966) nennt rein qualitative, keine quantitativen Kriterien7. Dazu gehören: Bedeutende politische Machtzentren mit manchmal internationalen Institutionen, Zentra-len bedeutender Industriekonzerne, große Häfen, internationale Flughäfen, führende Banken und Finanzzentren. Zudem reduziert er den Weltstadtbegriff nicht nur auf seine ökonomische Dimension, sondern hebt hervor, dass diese auch bei Kunst, Kultur, Bil-dung und Forschung eine herausragende Stellung einnehmen. Dies ist beispielsweise an Universitäten, Theatern, Museen, Opernhäusern von Weltrang zu erkennen8.

John Friedmann erstellte 1986 einen Katalog von sieben Kriterien, die alle erfüllt sein müssen und die bis heute als die wesentliche Grundlage der Weltstadtforschung gelten9, um eine Stadt als Global City zu kategorisieren10:

- Sitz von Hauptquartieren transnationaler Unternehmen und ihrer regionalen Zent-ralen

- Bedeutendes Finanzzentrum - Standort eines schnell wachsenden Sektors unternehmensorientierter Dienstleis-

tungen - Sitz internationaler Institutionen - Bedeutender Knotenpunkt von Transport und Verkehrslinien - Zentrum industrieller Produktionsstätten - Städte mit bedeutender Einwohnerzahl

Gekennzeichnet seien Global Cities „intern“ zudem durch extreme Arbeitsmarktspaltun-gen, durch die Expansion „informeller“ Wirtschaftsaktivitäten, und durch eine ausgepräg-te sozial-räumlich Polarisierung“11.

Saskia Sassen (1994) zieht ebenfalls rein qualitative Kriterien heran12. Ihrer Ansicht nach sind Global Cities:

- „Leitungszentralen eines globalen Wirtschaftssystems“ - „höchstentwickelte Telekommunikationszentren“ - „Standorte für Markttransaktionen im globalen Finanzierungsgeschäft und spezia-

lisierten Dienstleistungsverkehr“ und - Beherbergen „Management- und Kontrollfunktionen auf höchster Ebene“

Für David Simon (1995) sind vor allem drei Kriterien relevant13:

6 Taubmann in: Geographie Heute 142/1996: 5 7 ebd. 8 Zehner 2001: 193 9 Gerhard 2004: 5 10 Krätke 1995: 106f 11 Krätke 1995: 107 12 Taubmann in: Geographie Heute 142/1996: 5 13 Taubmann in: Geographie Heute 142/1996: 5.

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- Vorhandensein eines hochentwickelter Finanz- und Dienstleistungskomplexes, der internationale Agenturen, nationale und transnationale Gesellschaften, Regie-rungen und Nicht-Regierungsorganisationen bedient.

- Global Cities sind Knotenpunkte eines globalen Netzes von Kapital, Information und Kommunikation, das all die genannten Unternehmen und Organisationen umschließt.

- Vorhandensein einer hohen Lebensqualität als Attraktion für Experten, Manager, Verwaltungsspezialisten und Diplomaten. Dies beinhaltet nicht nur die physischen und ästhetischen Merkmale der Umgebung, sondern auch die wahrgenommene politische und wirtschaftliche Stabilität, Weltbürgertum und kulturelle Vielfalt.

In Abhängigkeit zum Zeitpunkt ihrer Arbeit und der angewandten Indikatoren kamen die Autoren teils auf identische, teils auf verschiedene Städte mit dem Prädikat „Global City“ (die Reihenfolge der Nennung stellt dabei keine Rangfolge dar). Tabelle 1: Global Cities in der Literatur (Auswahl)14

OLBRICHT 1933

SCHULTZE 1959

HALL 1966

FRIEDMANN 1986

SASSEN 1994

New York London Tokio

Paris

Berlin Chicago Shanghai

Tokio

Paris

Berlin Rom Stockholm Kapstadt Chicago Kalkutta Buenos Aires

New York London Tokio

Paris

Moskau Hong Kong Mexico City Rhein-Ruhr Randstadt Holland

London Tokio

Paris

Rotterdam Frankfurt a.M. Zürich New York Chicago Los Angeles Sao Paulo

New York London Tokio

Paris

Amsterdam Frankfurt a.M. Hong Kong Mexico City Sao Paulo Sydney Zürich

Eine Reihe von Städten wird von den verschiedenen genannten Autoren als Global City eingestuft, aber nur wenige Städte von allen. Dazu gehört Paris, was ihre globale Stel-lung unterstreicht. Hier wird allerdings auch deutlich, dass eine genaue Definition des Phänomens Global City nicht möglich ist.

Der aktuellste dem Autor vorliegende und auch sehr umfassende Indikatorenkatalog stammt von Gaebe15:

- Herausragende politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Funkti-onen und Institutionen, u.a. internationale Behörden, Handelsorganisationen, weltbekannte Museen

- Hohe Konzentration von ubiquitärem und lokalisiertem Wissen, von Qualifikatio-nen, Kreativität und Innovationen

- Hochentwickelte Infrastruktur mit leistungsstarken Verkehrs-, Leitungs- und Kommunikationsnetzen

14 Bronger in: Sohn & Weber 2000: 280 15 Gaebe 2004: 35

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- Steuerungs- und Kontrollfunktionen inter- und transnationaler Unternehmen (Transnational Cooperation = TNC)

- Knotenpunkte der weltweiten Organisation und Verknüpfung von Produktion und Märkten durch Personen-, Güter-, Kapital- und Informationsströme

- Zentren der Kapitalakkumulation

Trotz der unterschiedlichen Indikatoren der verschiedenen Autoren lassen sich die in der Tabelle 2 dargestellten Schnittmengen bei den diskutierten Ansätzen ausmachen.

Allen Ansätzen gemein ist ihre ökonomische Orientierung. Sowohl Standort für transnati-onale Unternehmen (TNC), als auch Börsen, Banken- und Finanzzentrum sehen alle, und das Vorhandensein von politischen Institutionen sehen fast alle Autoren als Indikator für eine Global City. Auch ist eine Entwicklung der Indikatoren zu erkennen, erstmals 1986 finden spezialisierte Dienstleistungen Erwähnung, und ab 1994 dann der Indikator Kommunikationsknotenpunkt. Dabei finden sich neben Autoren, die rein ökonomische Faktoren anführen wie Saskia Sassen auch solche, die darüber hinaus Kultur, Bildung und hohe Lebensqualität im Allgemeinen als Merkmal sehen. Die verschiedenen Autoren nennen zwar die ihrer Ansicht nach wichtigen Faktoren, diese sind jedoch nur Anhalts-punkte, da keine konkreten Daten geliefert werden. Dies verhindert auch eine exakte Hierarchisierung. Zwei Autoren, die dennoch versuchen eine Hierarchie der Global Cities darzustellen, sind Paul L. Knox (1995) und Dirk Bronger (1997). Tabelle 2: Genannte Indikatoren bei verschiedenen Autoren

Olbricht (1933)

Schultze (1959)

Hall (1966)

Friedmann (1986)

Sassen (1994)

Simon (1995)

Gaebe (2004)

Hauptquartiere von TNCs X X X X X X X

Börse, Banken- und Finanzzentrum X X X X X X X

Politische Institutionen X X X X X X

Verkehrsknotenpunkt X X X X

Spezialisierte Dienstleistungen X X X X

Wissenschaft, Kultur, Lebensqualität X X X X

Kommunikations- knotenpunkt X X X

Einwohnerzahl X X

Industrielle Produktion X

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2.3 Ansätze zur Hierarchisierung von Global Cities

2.3.1 Der „Primacy Index“ von Paul L. Knox

Paul L. Knox entwickelte eine Hierarchie anhand von zwei Kategorien16:

- Sitz transnational operierender Firmen (Top 500) und - Hauptsitz mindestens einer IGO (International Governmental Organization) oder

einer NGO (International Nongovernmental Organization)

Dieser Index offenbart die zum Teil sehr unterschiedlichen Charaktere der Weltstädte. Der globale Status von Tokio rührt von seiner Rolle als Zentrum einer der führenden Volkswirtschaften des Globus, internationale Organisationen und Institutionen machen sich dagegen rar. Dieses Verhältnis von wirtschaftlicher und politischer Relevanz ist bei London hingegen ausgewogen. Genauso unausgewogen ist dieses Verhältnis bei Brüs-sel, allerdings gerade anders herum. Brüssel spielt als Knotenpunkt der Weltwirtschaft eine nur sehr untergeordnete Rolle, als Hauptstadt der Europäischen Union (EU) poli-tisch eine umso größere. Ähnlich verhält es sich mit Paris: Seine globale Bedeutung be-ruht zwar nicht so eindeutig auf seinem politischen Status, doch überwiegt dieser deut-lich die Rolle der wirtschaftlichen Faktoren. Bemerkenswert ist, dass New York bei die-sem Index mit seinen eingeschränkten Indikatoren nur zu den globalen Städten der zwei-ten Ebene einzuordnen ist, Brüssel dagegen zur ersten Ebene. Diese Reihenfolge ist sicherlich auf die sehr kleine Anzahl der Indikatoren zurückzuführen und findet sich auch in keinem weiteren Werk so wieder.

2.3.2 Hierarchisierung von Städten nach Bronger

Dirk Bronger unternahm 1997, nach eigenen Angaben17, den ersten Versuch, mit Hilfe von acht Indikatoren eine Rangfolge der Global Cities zu erstellen18. Diese sind:

- Firmensitze der 500 größten transnationalen Unternehmen (nach Umsatz; 1994) - Hauptverwaltungen der 50 größten Banken (nach Vermögen; 1994) - Größte Börsen (1990) nach Vermögen und nach Anzahl der vertretenen ausländi-

schen Firmen - bedeutendste internationale Flughäfen nach Anzahl der Passagiere (1994) und

nach Anzahl der internationalen Flüge/Woche (1992) - Führende Seehäfen (nach Umschlag; 1994) - Sitz bedeutender internationaler/weltwirtschaftlicher Institutionen

Diese Indikatoren fasste er in einer Tabelle (vgl. Tabelle 3) für 18 Global Cities zusam-men, und erstellte anhand einer subjektiven Wertung eine Rangfolge.

16 Knox 1995: 10 17 Bronger in: Sohn & Weber 2000: 281 18 Bronger in: Feldbauer 1997: 55f

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14

Abbildung 1: Primacy Index - Wirtschaftliche und politische Bedeutung von Global Cities19

Tabelle 3: Global Cities der Gegenwart (K = Kategorie; W = Wertung)20

19 Quelle unbekannt. 20 Bronger in Feldbauer 1997: 56

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15

Wie in der Legende erläutert, wurden für die jeweiligen Indikatoren verschieden große Klassen gebildet. Die Wertung der Indikatoren ist zudem ebenfalls verschieden. Als Er-gebnis lässt sich feststellen, dass Tokio mit 45 Punkten deutlich vor New York (35 Punk-ten) liegt. Paris (27 Punkte) ist nach London (32 Punkte) auf dem vierten Rang und zählt somit zu den „Großen Vier“, jene „Kommandozentren mit Weltgeltung“.21 In nahezu allen Kategorien, mit Ausnahme als Sitz bedeutender internationaler/weltwirtschaftlicher Insti-tutionen, ist Paris vertreten

und liegt häufig bei den einzelnen Indikatoren vor einer der drei insgesamt führenden Städte. Beim Indikator „Sitz bedeutender internationaler/weltwirtschaftlicher Institutionen“ können allein New York (mit dem UNO-Hauptsitz), Chicago (Sitz der mit weitaus welt-größten Agrarbörse) und Brüssel (Sitz der EU-Kommission) punkten. Dies ist eine sehr enge Auslegung dieses Indikators. Zweifelsohne sind die drei genannten Institutionen wahrhaft von globaler Bedeutung, aber sicherlich können noch weitere Institutionen in anderen Städten ebenfalls zu dieser Kategorie gezählt werden, so zum Beispiel der Hauptsitz der UNESCO in Paris.

Festzuhalten ist, dass von den 18 Städten je sechs in einer der Hauptwirtschaftsregionen der Erde liegen: Nordamerika, Europa und Ost-, bzw. Südostasien. Dagegen liegt keine in einem Entwicklungsland. Im folgenden sollen nun die verwendeten Indikatoren näher betrachtet werden.

Dirk Bronger verwendete zwar eine Vielzahl von Indikatoren, allerdings nur in Klassen und nicht als Einzelwerte. In diesem Kapitel sollen eben diese Einzelwerte dargestellt werden. Es war leider nicht möglich die exakt gleichen Quellen zu finden, jedoch wurde versucht möglichst ähnliche Indikatoren als Alternative zu verwenden. Aus diesem Grund gestaltet sich die Rangfolge der Städte teilweise bei den einzelnen Indikatoren unter-schiedlich zu denen Brongers, die Tendenz zu bestimmten dominanten Städten ist iden-tisch.

2.3.2.1 Transnational Cooperations

Unter einer Transnationalen Cooperation (TNC; transnationales Unternehmen) versteht man Unternehmen mit einer vollen Wertschöpfungskette in mindestens zwei Volkswirt-schaften. Dazu dienen voll integrierte und im Unternehmen verbundene Gesellschaf-ten22.

Dieser Indikator steht nicht zufällig an erster Stelle, ist er doch wohl der wichtigste Indika-tor und durchweg bei nahezu allen Autoren als Indikator zu finden. Dazu betrachtet man den Standort der Hauptfirmensitze transnationaler Unternehmen. Die vorliegende Tabel-le weist leider nur die Anzahl der Firmen aus, nicht deren Umsätze.

Hier ist festzustellen, dass zehn Städte beinahe die Hälfte (242) der 500 größten TNC´s beherbergen. Allein die ersten vier Städte, darunter Paris, kommen auf 156. Die verblei-benden 344 Hauptsitze verteilen sich dann auf 47 andere Städte. New York ist nicht nur die Heimat von 59 Hauptquartieren, darunter sind wiederum 18 der 100 führenden Un-

21 Bronger in: Feldbauer 1997: 57 22 Gaebe et al. 2002

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16

ternehmen. Paris beherbergt mit 26 Hauptquartieren zwar nicht einmal die Hälfte von New York, dennoch gehört es zu den führenden Standorten weltweit. Die Dominanz der vier führenden Städte mit Paris ist noch deutlicher, wenn man den Umsatz und Absatz berücksichtigt. Auch tritt hier wieder eine Dominanz der drei Hauptwirtschaftsregionen zu Tage, denn alle Städte mit mehr als zehn Hauptsitzen befinden sich in den USA, dem Vereinigten Königreich, Japan, Frankreich und Deutschland23. Tabelle 4: Hauptquartiere der 500 größten TNC´s (ohne Banken) im Jahre 198424

Rang Stadt Anzahl der Firmen Rang Stadt Anzahl de Firmen

1 2 3 4 5 6 7 8 9

10

New York London Tokio Paris Chicago Essen Osaka Los Angeles Houston Pittsburgh

59 37 34 26 18 18 15 14 11 10

11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Hamburg Dallas St. Louis Detroit Toronto Frankfurt Minneapolis San Francisco Rom Stockholm

10 9 8 7 7 7 7 6 6 6

2.3.2.2 Größte Banken

Die folgende Tabelle zeigt die zwölf führenden Bankenstandorte nach dem Vermögen der 50 führenden Geschäftsbanken und 25 führenden Versicherungen.

Die ersten Plätze belegen wie schon beim ersten Indikator die Städte Tokio, New York, Paris und London. Trotz einiger Bankenkrisen führt Tokio deutlich. In Frankreich führte die Verstaatlichung einiger Großbanken zu einer starken Konzentration des Vermögens am Standort Paris, wodurch die Führung vor dem prominenten Bankenstandort London erklärt ist. Paris ist damit dem kumulierten Betriebsvermögen nach der bedeutendste Bankenstandort Europas. Tabelle 5: Rangfolge der führenden Banken- und Versicherungsstandorte (1997)25

Rang Stadt Betriebsvermögen (Mrd. USD)

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Tokio New York Paris London Frankfurt Beijing Osaka Amsterdam München Charlotte Düsseldorf San Francisco

3467,5 2525,3 2071,0 1650,7 1435,6 1162,0 892,4 713,8 667,6 470,3 326,3 288,9

23 Clark 1996: 147f 24Clark 1996: 148 25Sassen 2001: 180

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17

2.3.2.3 Größte Börsen

Ein weiterer und zunehmend wichtiger Indikator für eine Global City ist die Börse. Dieser Indikator ist hervorragend geeignet, die internationale Bedeutung einer Stadt anhand der notierten ausländischen Unternehmen zu zeigen. Tabelle 6: Größte Börsen nach ihrem Marktwert (1992)26

Rang Stadt Marktwert Umsatz Notierte Firmen

inländi-sche

ausländi-sche

gesamt

1 2 3 4 5 6 7

8

9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19

New York London Tokio Osaka Frankfurt Luxemburg Toronto

Paris

Mailand NASDAQ* Brüssel Amsterdam Sydney Kopenhagen Montreal Johannesburg Schweiz Korea Madrid

3,963,4282,579,3392,462,6822,406,1811,136,303 937,188 733,801 597,760 493,979 411,120 287,493 243,572 208,224 195,201 178,449 137,861 128,209 125,793 113,286

1,160,5611,044,712

393,26795,682

891,017736

41,491

582,147

867,519588,859

6,834110,29032,915

528,40211,487

124,75476,48977,21727,095

1,9691,8781,6511,163

42559

1,049515226

3,850164251

1,038257556642180688401

120 514 117

5 240 162

70

217

3 261 154 246

35 11 22 29

240 - 3

2,0892,3921,7681,168

665221

1,119

732

2294,111

318497

1,073268578671420688404

* National Association of Securities Dealers Automated Quotations (a United Statesbased electronic market)

Die Situation stellt sich sehr uneinheitlich dar. Zwar weist die New Yorker Börse den weitaus höchsten Marktwert auf, doch bei der Anzahl der notierten Firmen, v. a. bei den ausländischen, liegt London weit vorne. Paris spielt als Bankenstandort global nur eine nachrangige Rolle, liegt doch der Marktwert der dort notierten Firmen deutlich unter an-deren auch europäischen Standorten. Der Marktwert ist in New York, an der weltgrößten Börse, 6,5-mal so groß, in London immerhin noch viermal so groß. Selbst in der globalen Hierarchie weiter hinten platzierte Städte wie Frankfurt, Luxemburg und Toronto liegen deutlich vor Paris. Dieser Unterschied ist schon beim Umsatz jedoch weit geringer, so weist New York nur noch knapp den doppelten Umsatz vor wie Paris, und Tokio, Osaka und Toronto liegen hinter Paris. Der Grad der globalen Einbindung lässt sich gut an der Anzahl der ausländischen notierten Firmen erkennen. Hier weist London den höchsten Grad der Internationalisierung auf, mehr als jede fünfte Firma kommt aus dem Ausland. Paris liegt hier nur knapp hinter Frankfurt an dritter Stelle, wobei nicht ganz ein Drittel aller notierten Unternehmen aus dem Ausland stammen. New York kann dagegen nur 120 ausländische Firmen aufweisen, dies bedeutet, dass nur gut jede 17. Firma aus dem Ausland kommt. Diese nationale Prägung zeigt sich auch bei den japanischen Börsen

26Clark 1996: 151

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18

Tokio und vor allem Osaka, hier stammt nur gut jedes 233. Unternehmen aus dem Aus-land.

2.3.2.4 Größte internationale Flughäfen

Bei diesem Indikator besteht die Frage, welche Faktoren die Relevanz eines Flughafens bestimmen? Sicherlich sind die Fluggastzahlen ein wichtiger Indikator. Die Angaben über die Flugbewegungen sind nicht so aussagekräftig, aber sie geben doch einen ausrei-chenden Überblick über die Bedeutung eines Flughafens. Bei diesem Indikator dominie-ren eindeutig die europäischen Städte, dies beruht sicherlich auf den kurzen Distanzen, die in Europa für einen internationalen Flug notwendig sind. So fällt ein Flug London – Paris in die Kategorie internationaler Flug, ein Flug Miami – New York dagegen nicht.

London weist mit deutlichem Abstand die meisten internationalen Flüge auf, gefolgt von Paris als zweitwichtigstes internationales Drehkreuz. Dabei liegt Paris mit mehr als dop-pelt so vielen internationalen Flügen weit vor New York und mit beinahe dreimal so ho-hen Zahlen noch weiter vor Tokio. Tabelle 7: Größte Flughäfen nach internationalen Flügen/Woche (1992)27

Rang Stadt global regional international gesamt1 London 775 3239 40142 Paris 565 2264 28293 Frankfurt 482 1376 18584 Amsterdam 229 1593 18225 Miami 311 1389 17006 Zürich 147 1258 14057 New York 644 634 12788 Singapur 221 831 10529 Tokio 538 401 93910 Hong Kong 154 713 86711 Bangkok 231 483 71412 Los Angeles 245 419 66413 Moskau 87 400 48714 Buenos Aires 52 336 38815 Kairo 277 34 31116 Sydney 144 89 23317 Mumbai 64 111 17518 Sao Paulo 64 97 16119 Johannesburg 40 108 14820 Rio de Janeiro 93 44 137

2.3.2.5 Internationale/weltwirtschaftliche Institutionen

Dieser Indikator ist sehr wichtig, aber auch ein sehr schwierig zu gebrauchen. Wie misst und kategorisiert man die globale Bedeutung einer Institution? Bronger (1997) nennt als Beispiele den UNO-Hauptsitz in New York, die weltgrößte Agrarbörse, die Chicago

27 Keeling 1995: 123, Berechnungen des Verfassers

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Board of Trade, in Chicago (wie auch schon Olbricht 1933), und den Sitz der EU-Kommission und das NATO-Hauptquartier in Brüssel28. Die Bedeutung von Paris auf internationalem Niveau ist schon deshalb gegeben, da es als Hauptstadt der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich die Welthauptstadt der französischen Sprache ist. Daneben befindet sich in Paris das Hauptquartier der OECD, der UNESCO und weiterer 400 inter-nationaler Institutionen29. Zweifelsohne sind dies Institutionen, die durch ihre globalen Steuerungsfunktionen eine Global City ausmachen. Einen exakten Platz in einer Rang-folge kann man daraus aber nicht ableiten, man kann aber erkennen, dass Paris auch bei diesem Indikator eine global wichtige Stellung einnimmt.

2.3.3 Alternative nichtökonomische Indikatoren

Alle bisherigen Indikatoren waren vornehmlich ökonomischer Natur. Dies hat seine Ur-sache sicherlich darin, dass Kultur und vor allem ihre globale Auswirkung sich nur schlecht operationalisieren lässt. David Simon weist unter anderem auf die Bedeutung eines attraktiven Kulturlebens für die Anwerbung von Spitzenkräften hin.

Paris kann auch in der Kategorie Kultur ohne weiteres zu den Global Cities gerechnet werden, beherbergt es doch eine Vielzahl an kulturellen Einrichtungen von Weltrang30:

- die Oper an der Bastille als das modernste Opernhaus der Welt - das Haus der Wissenschaft auf dem Villette-Areal ist das größte Technologiemu-

seum der Welt - die neue Nationalbibliothek als die größte Bibliothek der Welt - der Groß-Louvre als eines der größten Museen der Welt

Aber nicht nur internationale Spitzenkräfte fühlen sich von attraktiven Räumen angezo-gen, sondern auch Touristen. So können die Touristenzahlen herangezogen werden, um das eher schwierig nachzuweisende Image einer Stadt zu bewerten. Paris ist auch hier ganz oben in der Hierarchie der Global Cities zu finden. Für die jährlich über 40 Mio. Touristen31 stehen rund 64.000 Betten in 1.300 Hotels zur Verfügung32. Anders als zum Beispiel bei den ökonomischen Faktoren lässt sich der Tourismus aber nur schwer er-fassen, kategorisieren und im Hinblick auf die Globalität einer Stadt analyisieren33. Zu-dem fehlen flächendeckende weltweit vergleichbare Daten34.

Weitere potentielle neben den bisher genannten (mit vorwiegend ökonomischem Cha-rakter) Indikatoren für eine Analyse nennt Nicole Laskowski35:

- gesellschaftliche Ansätze - ethnische Ansätze

28 Bronger in: Feldbauer 1997: 56 29 Noin & White 1997: 10 30 Matejovski 2000: 85 31 Pletsch 1997: 245 32 Brücher 1992: 59f 33 Laskowski 2001: 201 34 Bronger in: Sohn & Weber 2000: 282 35 Laskowski 2001

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Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder

20

- architektonische Ansätze - ökologische Ansätze

2.4 Die UNESCO in Paris - als Beispiel einer internationalen Institu-tion in der Global City Paris

Die UNESCO ist sicherlich mit Abstand die internationalste Institution in Paris, aber auch im weltweiten Vergleich muss sie keinen Vergleich scheuen. Im April 2003 arbeiteten dort rund 2145 Mitarbeiter aus etwa 160 verschiedenen Nationen36. Daneben unterhält die UNESCO Verbindungen in die ganze Welt, 190 Staaten sind Mitglied. Auch beim Bau und Ausschmückung des UNESCO-Gebäudes spiegelt sich dieser internationale Geist wieder, denn ein Architektenteam aus drei Nationen entwarf das Gebäude und Künstler aus aller Welt schmückten es aus. Daneben ist die UNESCO nicht nur ein Mei-lenstein bei der internationalen Zusammenarbeit, auch das Gebäude selbst ist ein Mei-lenstein, ein architektonischer Meilenstein. Auch wenn sich der Optimismus von Francoi-se Choay bei der Einweihung 1958, dass das UNESCO-Gebäude als Attraktion eines Tages auf einer Stufe mit dem Eifelturm stehen würde, bisher erfüllt hat, ist doch ein Be-such wert.

UNESCO steht für United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, Or-ganisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation. Die UNESCO hat 190 Mitgliedstaaten. Ihr Hauptsitz befindet sich in Paris.

“Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Men-schen verankert werden." – Dies ist die Leitidee der UNESCO und spiegelt die Erfahrung des 2. Weltkrieges wieder. Sie steht in der Präambel ihrer Verfassung, die 37 Staaten am 16. November 1945 in London unterzeichnet haben. Am 4. November 1946 trat die Verfassung der UNESCO in Kraft37.

2.4.1 Das UNESCO-Gebäude

„Wenn der Besucher des Jahres 2000 die Place de Fonteney betritt, wo sich nun das UNESCO-Gebäude erhebt, wird ihn der Anblick dieses Bauwerkes nicht stärker in Ver-wunderung setzen als die Ecole Militaire und der Eiffelturm. Er wird bewundern, dass drei bedeutende Augenblicke in der Geschichte architektonischer Formen so meisterhaft in einer einzigen Perspektive vereint werden konnten, und er wird sich bezaubern lassen von der Reinheit der Volumen, die wenige Männer für die UNESCO geschaffen haben“

38. Dies war die wohl estwas zu optimistische Prognose von Francois Choay, die er bei der Einweihung des Gebäudes zum besten gab.

In den Anfangsjahren residierte und tagte die UNESCO in verschiedenen Gebäuden in Paris. Zu Beginn in einer kleinen Etage am Grosvenor Square und den aneinander gren-

36 http://portal.unesco.org/en/ev.php-URL_ID=3332&URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html letzter

Zugriff 11.08.2004 37 Offenhäußer 2004:1 38 Hervé 1958: VI

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Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder

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zenden Häusern am Belgrave Square, schließlich im „Majestic“, einem großen stillgeleg-ten Hotel nahe der Champs-Elysées im Herzen von Paris39. Als man sich aus Platz- und Repräsentationsgründen für einen Neubau am Place de Fontenoy entschlossen hatte, berief die UNESCO ein internationales Architektenteam und zahlreiche Künstler für ein attraktives Bauwerk zu sorgen. Zudem sollte der internationale und friedenstiftende Cha-rakter der Institution durch die Arbeiten unterstrichen werden. Über die Jahre wurden zahlreiche Kunstwerke (u.a. Picasso, Miro, Le Corbusier) erworben, andere wiederum von verschiedenen Mitgliedsstaaten gespendet40. Die Bauarbeiten begannen 1955 und zogen sich drei Jahre hin, bis schließlich das Gebäude am 3. November 1958 feierlich eingeweiht werden konnte41.

Das UNESCO-Gebäude, das sich hinter der Ecole Militaire befindet, ist ein Paradebei-spiel für die Architektur der fünfziger Jahre42. Es ist das Gemeinschaftswerk eines inter-nationalen Architektenteams unter der Leitung von Marcel Breuer (USA), Pier Luigi Nervi (Italien, bedeutendster europäischer Stahlbetonbaumeister43) und Bernard Zehrfuss (Frankreich)44 und beraten von den namhaften Architekten Lucio Costa (Brasilien), Wal-ter Gropius (USA), Le Corbusier (Frankreich), Sven Markelius (Schweden) und Ernesto Rogers (Italien)45. Trotz der Beteiligung dieser berühmter Architekten war das UNESCO-Gebäude 1958 das „umstrittenste Gebäude Frankreichs“46. Seine Kritiker sahen durch seine Modernität eine Verunstaltung und Entwürdigung einer harmonischen Stadt47.

Die Neuheit dieses Baues lag nicht nur in seiner Y-Form des Sekretariatgebäudes, son-dern eben auch in diesem international besetzten Architektenteam. Ausländische Archi-tekten hatten zwar schon zuvor in Paris gebaut, auch bei größeren öffentlichen Gebäu-den, aber nicht ohne einen leitenden französischen Architekten. Die Form des Gebäudes war ebenfalls ein radikaler Bruch mit alten Parisern Normen48. Der Grundriss ist in Form eines Ypsilons mit einer gewölbten Fassade49.

Aus Rücksicht auf die Aufgaben der UNESCO, Verbreitung von Kultur und Wissen, sollte kein bloßer Luxus- und Prestigebau entstehen. Gesucht wurde eine funktionelle Lösung, die so ökonomisch wie möglich ausgeführt werden konnte. Deshalb ist das meistver-wendete Baumaterial Stahlbeton, der nicht nur sehr günstig ist sondern auch eine große Formenvielfalt ermöglicht. Die Funktionen wurden auf zwei Hauptgebäude verteilt, Kon-

39 Hervé 1958: V 40 http://portal.unesco.org/en/ev.php-URL_ID=7109&URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html letzter

Zugriff am 14.08.2004 41 Hervé 1958: V 42 Kalmbach 2003: 219 43 Kimpel 1982: 375 44 Eisenschmid 2001: 201 45 Hervé 1958: IV 46 Hervé 1958: VI 47 Hervé 1958: VI 48 Sutcliffe 1993: 162 f 49 Kalmbach 2003: 219

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ferenzgebäude und Sekretariat, verbunden mit einer Wandelhalle. Das dritte Element der Anlage bildet das Delegationsgebäude50.

2.4.2 Paris als Standort

Die Gründe für die Ansiedelung der UNESCO lagen neben den harten vor allem bei den weichen Standortfaktoren, insbesondere im kulturellen Umfeld. Doch finden sich auch politische Gründe die zur Wahl Paris als Standort führten.

Paris bietet der UNESCO und ihren Mitarbeitern als Hauptstadt Frankreichs und einer der bedeutendsten Städte weltweit ein attraktives Umfeld. Ihr Ruf in kultureller Hinsicht ist weltweit nahezu unübertroffen. Dieses Prestige hat historische und kulturelle Gründe. Paris hat eine sehr lange Tradition als ein Ort kulturellen Schaffens. Schon im Mittelalter war Paris nicht nur Europas größte Stadt, sondern auch Standort einer Universität - die Sorbonne. Im 18. Jahrhundert kam es zu einer Wiederbelebung Paris’ als ein Treffpunkt für Intellektuelle und Künstler aus aller Welt. Im 19. und 20. Jahrhundert fanden im libe-ralen Paris zahlreiche ausländische Künstler einen neue Heimat. Es wurde eine der kul-turellen Hauptstädte weltweit, besonders in der Literatur und Malerei. Diese anziehende Wirkung konnte auch nur kurz durch den 2. Weltkrieg unterbrochen werden und führte 1946 zur Wahl Paris’ als Standort des UNESCO-Hauptquartiers51. Auch heute ist die kulturelle Ausstrahlung Paris’ ungebrochen, beherbergt sie doch eine bemerkenswerte Anzahl kultureller Einrichtungen, einschließlich zwei Opernhäuser, 90 Museen, 75 Thea-tern, über 300 Kinos und 175 Bibliotheken. Zwei der Museen, der Louvre und das Musée d’Orsay gehören zu den bedeutendsten weltweit52.

Die Politik spielte ebenso eine entscheidende Rolle bei der Standortwahl. Seine Position als Kolonialmacht und Teil der siegreichen Allianz im 2. Weltkrieg brachte Frankreich einen Ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (United Nations, UN) ein. Dieser ist mit großem politischem Einfluss, nicht nur in Sicherheitsfragen, verbunden und begünstigte die Wahl von Paris als Standort einer so wichtigen UN-Organisation wie der UNESCO53. Zudem versuchte die Regierung in Paris zu jenem Zeitpunkt tertiäre Funkti-onen innerhalb der Stadt zu stärken, während der produzierende Sektor allmählich zu-rückgedrängt wurde54. Das erste europäische Hauptquartier der NATO (North Atlantic Treaty Organization) befand sich ebenfalls in Paris, bis Frankreich sich aus den Kom-mandostrukturen der Organisation zurückzog und das Hauptquartier nach Brüssel ver-legt wurde. Eine weitere bedeutende internationale Organisation in Paris ist die Organi-sation for Economic Co-operation and Development (OECD), dazu kommen noch mehr als 400 weitere internationale Organisationen. Im Hinblick auf die Beschäftigten in sol-chen Organisationen bei europäischen Städten ist Paris auf gleicher Höhe wie Brüssel, Genf oder Wien55.

50 Hervé 1958: VI f 51 Noin & White 1997: 254 f 52 Noin & White 1997: 140 53 Noin & White 1997: 140 54 Sutcliffe 1993: 162 55 Noin & White 1997: 10 f

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Die UNESCO stellt mit ihren rund 2145 Beschäftigten aus ca. 160 Nationen (Stand April 2003) einen erheblichen Wirtschaftsfaktor dar. Sie zählt damit sicherlich mit zu den grö-ßeren Arbeitgebern in Paris56. Zudem zieht sie weitere Institutionen an, so unterhalten 174 Mitgliedsstaaten ständige Vertretungen bei der Organisation in Paris57 mit entspre-chendem Publikums- und Reiseverkehr.

Mit ihren zahlreichen Organisationen, Clubs und Netzwerken ist die UNESCO auch ein nicht zu unterschätzender Anziehungspunkt. Weltweit unterhalten rund 330 NGOs (non-governmental organizations) „offizielle“ Verbindungen mit der UNESCO, es existieren 6.700 assoziierte Schulen, über 6.000 UNESCO Clubs, Vereine und Zentren. Dazu kommen noch mehr als 300 Firmen und Organisationen aus der Geschäftswelt, neue Partner, die sich zu den Zielen einer nachhaltigen menschlichen Entwicklung und sozia-ler Verantwortung verpflichtet haben und mit der UNESCO kooperieren58.

2.5 Fazit

Paris kann zu Recht als Global City bezeichnet werden. Die Stadt an der Seine liegt zwar in der Hierarchie hinter den drei dominierenden Weltstädten New York, London und Tokio, doch gehört sie mit zu den ganz Großen, auch wenn sie es in keiner Kategorie auf den ersten Platz schafft. Paris weist eine hohe Zahl an Hauptquartieren von TNC’s auf, und liegt als Banken- und Versicherungsstandort nach ihrem Betriebsvermögen sogar von noch vor London auf Rang drei. Wenn man beim Indikator „Größte Börsen“ insbe-sondere die Anzahl der notierten ausländischen Firmen als Maßstab für Internationalität heranzieht, so liegt die nach Marktwert führende New Yorker Börse mit fast nur der Hälf-te weit hinter der Pariser Börse. Ebenfalls vor New York liegt Paris bei den internationa-len Flügen pro Woche, nur über London werden noch mehr internationale Flüge abgewi-ckelt. Auch beim Indikator „internationale/weltwirtschaftliche Institutionen“ liegt Paris si-cherlich mit an der Spitze.

Eine Vergleichbarkeit auf weltweiter Basis fällt schwer, da es sehr wohl zahlreiche Auto-ren gibt, die sich mit dem Thema Global City beschäftigen, zumeist jedoch keine empiri-schen Daten liefern. Vergleichende Zahlen für Städte weltweit einschließlich Paris wer-den nur relativ selten geliefert, für New York, London und Tokio steht eine weitaus grö-ßere Datenbasis zur Verfügung. Dies spiegelt sich auch darin wieder, dass die Zahlen mehrerer Autoren auf einer einzigen Quelle beruhen. Diesen Mangel an empirischen Daten bezeichnet J. R. Short (2004) als das „dirty little secret of world city research“59.

Die UNESCO beschert Paris nicht nur internationalen Flair als eine der internationalsten Organisationen weltweit, sondern mit ihrem Hauptquartier einen architektonischen Mei-lenstein und Symbol für internationale Zusammenarbeit. Auch wirtschaftlich profitiert Pa-

56 UNESCO 2003: 3 57 http://portal.unesco.org/en/ev.php-URL_ID=3975&URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html letzter

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ris von den zahlreichen Mitarbeitern und dem positiven Image das, die UNESCO mit ih-ren Verbindungen in alle Welt ausstrahlt.

3 Tradierte Strukturen

Um die Entwicklung einer Stadt nachzuvollziehen, muss man unter anderem deren histo-rische Bauwerke in Augenschein nehmen. Vor allem sind es die Kirchen oder Klöster, aber auch weltliche Prachtbauten wie Königsresidenzen, Paläste u.s.w., die viel über die Entwicklung einer Stadt verraten. Aber auch Theater, Bahnhöfe, andere öffentliche Ge-bäude und sogar Wohnhäuser geben oftmals Aufschluss über den Entwicklungsstand einer Stadt im entsprechenden Zeitalter. Anhand ihrer Stylmerkmale kann der geübte Betrachter das Alter des jeweiligen Gebäudes und somit oftmals eines ganzen Viertels bestimmen. Eine Stadt erlangt ihr Gesicht nicht nur durch die Anordnung der Gebäude, aus denen Sie besteht, sondern auch durch die Gestaltung derselben. Die Fassaden der Wohnhäuser prägen das Bild der jeweiligen Straße und verraten oftmals auch ihr Alter. Selbstverständlich erlebte eine so alte und große Stadt wie Paris zahlreiche Unruhen und Umbaumaßnahmen, die größte unter Napoleon durch Hausmann, wodurch viele immobile Zeitzeugen durch neuere ersetzt wurden oder mannigfache Umbaumaßnah-men erfuhren. Dadurch wird der Blick sehr verunklärt. Zudem waren Bauten aus dem vorvergangenen Jahrtausend größtenteils nicht stabil genug, um dem Verfall zu trotzen und den Altvorderen war die Erhaltung der Bauwerke nicht so wichtig, wie der Neubau von repräsentativeren Gebäuden. So mussten beispielsweise dem Neubau der goti-schen Kathedrale Notre-Dame drei ältere Kirchen weichen. Auch von der alten Festung Louvre aus dem 13. Jh. sind nur noch einige Fundamentreste zu sehen.

So kommt es, dass man in den Gebäuden einer Stadt zwar nicht lesen kann, wie in ei-nem Geschichtsbuch, sie aber in Verbindung mit solchen das Verständnis über die Ent-stehungsgeschichte einer Stadt fördern.

Eine nicht unerhebliche Voraussetzung, die Gebäude einer Stadt in den geschichtlichen Kontext einzufügen, ist ein gewisses Maß an Sachverstand über die architektonischen Stylmerkmale einer jeweiligen Epoche. Um einen möglichst breit gefächerten Überblick über die wichtigsten Stilrichtungen des vergangenen Jahrtausends zu verschaffen, wur-den für die Paris-Exkursion fünf repräsentative Bauwerke ausgewählt, anhand derer die Merkmale der wichtigsten Epochen Romanik (St-Germain-des-Prés), Gotik (Notre-Dame), Barock (Invalidendom und Schloss Versailles), Klassizismus (das Panthéon), und das Louvre als Repräsentant unterschiedliche Stile. Das Zeitalter der Renaissance ist in Paris nicht zu finden, es beschränkt sich hauptsächlich auf den italienischen Raum. Auf das Barockschloss Versailles wird im Folgenden näher eingegangen. Versailles zählt zu den prachtvollsten Residenzen Europas, es war das Vorbild für europäische Barock-schlösser und es ist der Inbegriff des absolutistischen Königtums und Machtstrebens. Außerdem sind die Gartenanlagen ein einzigartiges Beispiel für die französische Garten-baukunst. Im Folgenden soll die Entwicklungsgeschichte des Schlosses unter den ver-schiedenen Herrschern in chronologischer Reihenfolge bis heute nachvollzogen werden. Der Schwerpunkt liegt auf Ludwig XIV, da er Versailles am stärksten prägte. Der Park und die Stadt Versailles werden im Anschluss separat behandelt.

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3.1 Architektonisches Erbe

3.1.1 Romanik 11. bis 12. Jahrhundert - Merkmale und Beispiele

„Romanisch“ ist der kunstgeschichtliche Begriff, der die Architektur des 11. und 12. Jahr-hunderts beschreibt. Er wurde zu Anfang des 19. Jahrhunderts geprägt. Man sprach deshalb vom „romanischen Stil“, weil die Baumeister dieser Epoche sich vorzugsweise der Stilelemente der römischen Baumeister bedienten, wie Rundbogen, Säulen, Pilaster und Arkaden.

Das wohl markanteste Merkmal der romanischen Baukunst ist der allseits gegenwärtige Rundbogen. Die Dachkonstruktion der frühesten romanischen Kirchen bestanden aus Holz. Sie brannten oft ab, da die Kirchen mit Fackeln ausgeleuchtet waren. Ab dem 11. Jh. ersetzten die Baumeister deshalb die Holzdecken durch Gewölbe aus Stein. Die Last der schweren Gewölbe erforderte massive Außenwände, was ein weiteres Merkmal ro-manischer Kirchen ist. Ein weiteres charakteristisches Merkmal der Romanik sind die Blendbogen. Diese sind einer geschlossenen Wand als Zierelement vorgelegt.

Als die königliche Zentralgewalt in Frankreich in der Zeit zwischen 1130 und 1300 er-starkte, gewinnt Paris, die nun unbestrittene Metropole des französischen Königreichs, ein neues Profil. Die Romanik ist als Folge der politischen Konstellationen, im damals noch eng begrenzten Herrschaftsbereich der Krone, auffallend unterrepräsentiert. Als wirklich bedeutenden Bau der Romanik kennen wir in Paris nur St-Germain-des-Prés. Zu berücksichtigen bleibt allerdings, dass viele romanische Bauwerke Opfer der Spitzhacke wurden. Trotzdem herrschte in Paris nie die Vielfalt von Burgund, Aquitaniens und der Normandie. (Droste-Hennings, Droste: 17)

Im Jahr 542 baute Childebert 1er für zuvor von Ihm nach Paris überbrachte Reliquien die Kirche und das Kloster. Die Kirche wurde von Bischof Germanus im Jahr 558 geweiht und es wurden hier die merowingischen Könige beigesetzt. Diese merowingische Kirche musste im Jahr 990 einem frühromanischen Neubau weichen. Zu diesem gehört der stämmige, schmucklose Westturm aus Handquadern. Das

Langhaus ist jünger und stammt aus dem 11. Jh.. Es zählt drei Schiffe und 5 Joche. Es ist 65 m lang und misst im Mittelschiff eine Höhe von 19 m und eine Breite von 7 m. Die Decke des Langhauses besteht aus einem Rippengewölbe aus den Jahren 1644 – 1646. Man geht davon aus, dass ursprünglich ein Steintonnengewölbe geplant war.

Der Chor der Kirche allerdings ist frühgotisch, was man deutlich an den für die Frühgotik typischen spitzen Blendbögen über den Rundbogenfenstern erkennen kann. Er ist au-ßerdem mit einem Umgang und fünf Radialkapellen umgeben, was sehr typisch war für die frühgotischen Kathedralen der Ile-de-France (etwa Noyon). Der Chor wurde um 1150 begonnen und im Jahr der Grundsteinlegung von Notre-Dame (1163) geweiht.

An St-Germain-des-Prés sind also wie so oft die Baustile mehrerer Epochen vereint, von außen jedoch kann man ein typisches Exemplar frühromanischer Baukunst beobachten.

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Abbildung 2: St-Germain-des-Prés60

3.1.2 Gotik 13. - 14. Jahrhundert - Merkmale und Beispiele

Die Gotik ist das Zeitalter, welches die Romanik ablöst. Der Begriff „Gotik“ stammt aus dem Zeitalter der Renaissance. Die italienischen Baumeister fühlten sich beim Anblick der in ihren Augen barbarischen gotischen Kathedralen an die ihrer Meinung nach eben-falls barbarischen Westgoten erinnert.

Die gotischen Kathedralen sind gekennzeichnet durch ihre äußerst filigran wirkende Bauweise. Überall sind Fenster und Portale mit Spitzbogen versehen. Um die Bauwerke noch „leichter“ wirken zu lassen, fingen die Baumeister der Gotik die horizontal wirken-den Kräfte nicht wie in der Romanik durch Zugbänder und Säulen im Inneren der Kirche ab, sondern bauten außerhalb der Kirchen ein so genanntes Strebepfeilersystem, wel-ches die enormen Kräfte abstützt.

Der am reichsten verzierte Teil einer Kathedrale ist die Westfassade. Sie wird gewöhn-lich durch drei Eingänge gegliedert, die jeweils mit kunstvollen Bildhauerarbeiten verse-hen sind und deren mittlerer der größte ist. Die Portale sind wie der Innenraum der Kir-che angeordnet. Dieser besteht aus einem hohen Mittelschiff und zwei niedrigeren Sei-tenschiffen.

In Frankreich findet man fast nur stumpfe Türme, im Gegensatz zu den Deutschen goti-schen Kathedralen. Ein weiteres Stilmerkmal der Gotik sind die Kreuzrippengewölbe. Je

60 Aufnahme A. Frank 2004.

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weiter sich der Stil entwickelte, desto mehr Rippen wurden in die Gewölbe eingefügt, teils nur aus dekorativen Zwecken.

Zur Baugeschichte: Die Grundsteinlegung des Baus war im Jahr 1163. Dem Projekt wa-ren umfangreiche Planungen vorausgegangen. Um für den gigantischen Neubau Platz zu schaffen, riss man drei Kirchen und etliche Wohnbauten ab, außerdem musste ein Teil des Krankenhauses dem Bau weichen. Mit der Anlage einer neuen Straßenachse ist der Bau von Notre-Dame also mehr als nur die Errichtung eines einzelnen Bauwerkes, es handelt sich hierbei um eine frühe städtebauliche Maßnahme. Der Initiator war Bi-schof Maurice Sully, ein hoch gebildeter Theologe.

Die auffallende Größe der Kathedrale (im Vergleich zu anderen französischen Kathedra-len aus dieser Zeit) erklärt sich aus der Tatsache, dass neben dem Bischof noch andere relevante Personenkreise Einfluss auf die Planung nahmen. Da ist zuerst der König zu nennen, dem der Bischof von Paris lehnspflichtig war. Notre-Dame ist also ganz explizit auch als Ausdruck der im 12. Jh. erstarkten Zentralgewalt zu sehen. Daneben beteiligten sich die Bürger, vor allem die wohlhabenden Zünfte, die ihrerseits in der Größe des Denkmals ein geeignetes Mittel der Selbstdarstellung erblickten. Die Finanzierung des Bauwerks stand auf soliden Fundamenten, da sich die Kirche, der Staat und die Bürger am Bau rege beteiligten. Dies ist mit ein Grund, warum schon nach 20 Jahren Bauzeit bereits der Chor der Kathedrale fertig war, der von den Ausmaßen fast denen des Lang-hauses entspricht.

Abbildung 3: Notre-Dame/Paris61

61 DROSTE und DROSTE-HENNINGS 2003: 93

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Im Jahr 1182 wurde der Chor geweiht und in Benutzung genommen. Er wurde nach Westen hin durch eine provisorische Wand geschlossen. Im Jahre 1196 stirbt Bischof Sully, der seiner Kirche testamentarisch 100 Pfund für die Bleiverdachung vermachte, was ein Indiz dafür ist, dass zu diesem Zeitpunkt wenigstens die Wände des basilikalen Langhauses schon weitgehend fertig waren. Anfang des 13. Jh. Wuchs die Westfassade empor. Deren Untergeschosse mussten statisch bedingt zuerst stehen, ehe die letzten Joche des Langhauses fertig gestellt werden konnten. Ihnen dient der Westbau als Wi-derlager.

Gegen 1220 war das Gebäude im Wesentlichen fertig gestellt. An der Fassade wurde noch bis in die Mitte des 13. Jh. weitergearbeitet. Dennoch sollte Notre-Dame weiterhin Baustelle bleiben. Man war mit dem Resultat nicht vollständig zufrieden.

Noch während man am Langhaus und an der Westfassade arbeitete, entstanden im geographischen Umfeld der Ile de France, der Champagne und der Picardie die Riesen-kathedralen der französischen Hochgotik: Chartres (Baubeginn 1195), Reims (ab 1211) und Amiens (ab 1220). Offenbar durfte die Königskirche der Hauptstadt nicht hinter die-sen zurückstehen. Ab 1220 wurde deshalb der Aufriss der Hochschiffwand im Inneren dem neusten Stand der Entwicklung angepasst. Bald folgte der Ausbau der Kapellen zwischen den Strebebögen. Dadurch wurde das Gebäude breiter, was eine Verlänge-rung der beiden Querschiffe um je ein Joch nach Norden und nach Süden erforderlich machte. Gegen 1300 war Notre-Dame dann endgültig fertig gestellt. Mit Notre-Dame fand der frühgotische Kirchenbau der Ile de France seinen Abschluss und zugleich seine Vollendung.

Später folgten noch einige Barockisierungsmaßnahmen, die vor Allem im Ostteil des Bauwerkes das gotische Gesicht verunklärten. In der Revolution nahm Notre-Dame schweren Schaden. Fast der gesamte Skulpturenschmuck der Westfassade wurde im Jahr 1793 vernichtet. Dem geplanten Abriss entging das Gebäude durch den Entschluss Robespierres, die profanierte Kathedrale dem „Höchsten Wesen“ zu weihen. 1802 wie-der dem Kult zurückgegeben, war Notre-Dame 1804 Schauplatz der Krönung Napoleons zum Kaiser. Zu dieser Zeit muss sich das Bauwerk in einem beklagenswerten Zustand befunden haben. Gegen Mitte des 19. Jh. bestand akute Einsturzgefahr, woraufhin um-fangreiche Restaurierungsmaßnahmen stattfanden, die sich über 20 Jahre hinzogen. Die Schadstoffemissionen der Großstadt ließen das Bauwerk derart verdrecken, dass Kom-plettreinigungen schon mehrfach nötig wurden.

3.1.3 Barock Ende 16. bis Mitte 18. Jh. - Merkmale und Beispiele

Allgemeine Merkmale: Im Zeitalter des Barock verbanden sich erstmals Architektur, Plastik, Malerei und Musik in einer neuen, dynamischen Stilform, die stark auf theatrali-sche Effekte ausgerichtet war. So sollte die triumphierende Macht des damaligen Katho-lizismus betont und seine Botschaft zugleich attraktiver gestaltet werden.

Das hervorstechendste Merkmal eines Barockbauwerkes ist die Raumdynamik, die vor allem aus dem Spannungsverhältnis von konvex hervor schwingenden und konkav zu-rückspringenden Wänden erwächst. Der barocke Innenraum wirkt in fast jeder Hinsicht bewusst auf theatralische Gesamtwirkung angelegt: Die Wirkung des Lichts, das ein-drucksvolle Wechselspiel von Hell und Dunkel, die ausgezeichnete Akustik – alles ist

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wohl abgewogen und ausgeglichen. Gleichgültig, wo man gerade steht, immer gewinnt man in diesen Bauten den Eindruck, alles überblicken zu können.

Die Barockarchitektur nahm ihren Ausgang in Rom und manifestierte sich am eindrück-lichsten in Kirchen, Schlössern und wichtigen öffentlichen Gebäuden, die im Großen Maßstab entworfen wurden. In mancher Hinsicht stellt die Formensprache des Barock eine Weiterführung der Renaissancearchitektur dar. Beide Stilrichtungen haben zahlrei-che Gemeinsamkeiten: Kuppel, Säulen und Pilaster gehören zu den klassischen Archi-tekturdetails, die die Baukunst des Barock von der Renaissance übernimmt. Allerdings unterscheidet sich der Barock grundsätzlich in der Freiheit, mit der diese Elemente ein-gesetzt werden – eine Unbekümmertheit, die kein Renaissancebaumeister je zugelassen hätte.

Abbildung 4: Invalidendom62

Am Beispiel des Invalidendoms kann man einige dieser typischen Formen erkennen. Er ist in seiner Formensprache direkt an sein Vorbild, den Petersdom in Rom angelehnt.

Die dynamisch geschwungene, wellenförmige Bewegung der Mauerkörper, das Haupt-merkmal barocker Sakralbauten, kann man hier wunderschön erkennen. Die typischen Ziergiebel über den Portalen und Fenstern sind hier zwar erkennbar, aber noch ver-gleichsweise wenig ausgeprägt. Der Invalidendom ist mit den typisch barocken großen Rechteck- und Rundbogenfenstern versehen.

Zur Geschichte des Invalidendomes: Ludwig VIX rief die Institution „Hôtel des Invalides“ im Jahr 1670 ins Leben. Sie diente der Versorgung der Kriegsinvaliden, daher der Name. Sie wurde in der Hauptsache durch den Einbehalt eines Teils des Soldes finanziert, was

62 http://www.fak09.uni-muenchen.de/Kunstgeschichte/projekte/arch_complete_vers/40-ren-barock-

architektur/studieneinheiten/lektion_7/VII_5_31.htm, 02.07.2004

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eine frühe Form der Sozialversicherung war. Die Bauarbeiten unter der Leitung des Ar-chitekten Libéral Bruant begannen im Jahr 1671. Bereits 5 Jahre später starb der Archi-tekt, woraufhin der durch die nach ihm benannten Mansardendächer bekannte Architekt Jules Hardouin-Mansart die Bauleitung übernahm. Nach der Fertigstellung des Gebäu-des fanden 4000 Veteranen darin Unterkunft.

Der eigentliche Blickfang des Gebäudekomplexes ist der so genannte Invalidendom, der komplett nach den Plänen von Hardouin-Mansart errichtet wurde. Dieser starb allerdings schon im Jahr 1708, lange bevor der Bau im Jahr 1735 fertig gestellt war.

Im Inneren des Zentralbaus sind bedeutende Feldherren bestattet. Die Krypta im Zent-rum der Anlage wurde im Jahr 1840 nach oben geöffnet, sodass man jetzt vom Umgang in die Vertiefung schauen kann, in deren Mitte der Porphyrsarkophag mit den sterblichen Überresten Napoleons steht, die hier 1840 zur letzten Ruhe gebettet wurden.

3.1.3.1 Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte von Versailles

3.1.3.1.1 Entwicklung vor Ludwig XIV

‚Versailles’, dessen Name wahrscheinlich von ‚versare’ (= umgraben) kommt, war ur-sprünglich der Name eines kleinen Weilers im Tal von Galie. Das Gebiet war sehr dicht bewaldet und sumpfig. Der spätere Ludwig XIII lernte diese Region durch seinen Vater, Heinrich IV, kennen, der hier gerne zur Jagd ging. 1623 beschloss er, in Versailles ein kleines Jagdschloss zu errichten, da er nach der Jagd weder nach Paris zurück reiten, noch in einem Gasthof übernachten wollte. Dieses Jagdschloss entstand 1623/24 und hatte ursprünglich eine Grundfläche von 24 x 6 m. Hinzu kamen zwei kleinere Seitenflü-gel. Das gesamte Grundstück umfasste ca. 30 ha. Schon wenige Jahre später (1631-34) wurde es erweitert. Die Seitenflügel wurden verlängert und an den vier Ecken des Schlosses wurden Pavillons angebaut. Die Abbildung 1 zeigt, wie das Schloss nach die-sen Umbaumaßnahmen aussah. Durch Grundstückskäufe wurde die Fläche auf insge-samt 80 ha vergrößert (SCHULZ 2002).

Abbildung 5: Versailles zur Zeit Ludwig XIII63

63 WACHMEIER 1975: S. 128

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3.1.3.1.2 Veränderungen unter Ludwig XIV

Als Ludwig XIII 1643 starb, war Ludwig XIV noch minderjährig und seine Mutter Anna von Österreich, unterstützt von Kardinal Mazarin, übernahm die Regentschaft. In diese Zeit fielen bürgerkriegsähnliche Volksaufstände, die u.a. durch die hohen wirtschaftlichen Belastungen, die durch den Dreißigjährigen Krieg entstanden waren, und den Zentrali-sierungsprozess der absoluten Monarchie hervorgerufen wurden. Diese ‚Fronde’ (1648-1653) war sehr prägend für Ludwig XIV. Es gab einige Situationen in denen er fliehen musste und nur knapp dem Verrat naher Verwandter oder den aufgebrachten Pariser Bürgern entkam. Als er 1661 die Macht übernahm, reagierte er sofort auf den Autoritäts-verlust der Monarchie. Außerdem wollte er Distanz zur unruhigen Hauptstadt Paris und dessen Parlament und zog sich immer häufiger nach Versailles zurück. Weitere Gründe für die sukzessive Verlegung des Hofes nach Versailles waren Ludwig XIV Vorliebe für das Landleben und seine Begeisterung für die Jagd (SCHULZ 2002).

Die Gestaltung der Gartenanlagen wurde zuerst in Angriff genommen. Da Ludwig XIV schnell nach Versailles umsiedeln wollte, zog er in das alte Schloss und ließ das heutige Schloss in verschiedenen Bauphasen um das Jagdschloss Ludwig XIII herum bauen. Dieses alte Schloss bildet heute noch den zentralen Teil von Versailles rund um den Marmorhof (SCHULZ 2002).

Wie schon erwähnt war das Gelände rund um Versailles sehr sumpfig und v.a. auch hü-gelig. Um das geplante Schloss mit Garten anzulegen, waren riesige Erdbewegungen und Entwässerungen nötig. Die Arbeitsbedingungen waren so schlecht, dass rund 20.000 Männer an Fieber erkrankten von denen 6.000 auch starben (CHAMPIGNEULLE 1971).

Für die äußerst prunkvolle Gestaltung Versailles gab es mehrere Gründe. Der Sonnen-könig, der während seiner Regierungszeit zum mächtigsten Herrscher Europas aufstieg, brauchte eine Residenz, die seinen Ruhm standesgemäß repräsentieren konnte. Außer-dem wollte er sich von niemandem übertrumpfen lassen. Nicolas Fouquet, der Oberin-tendant der Finanzen, der viele Staatsgelder in seine eigenen Taschen fließen ließ, hatte 50 km südlich von Paris ein außergewöhnliches und sehr luxuriöses Schloss errichtet, Vaux-le-Vicomte. Bei einem Fest für Ludwig XIV war das Geschirr am Tisch des Königs aus reinem Gold. Da der König jedoch sein eigenes Tafelsilber und andere Dinge kurz zuvor hatte einschmelzen lassen, um die horrenden Schulden des Dreißigjährigen Kriegs zu begleichen, war er äußerst erbost über diese schamlose Zurschaustellung des Reich-tums. Fouquet wurde folglich verhaftet, der König plünderte sein Schloss und ließ Fou-quets Künstler von da an für sich arbeiten. Diese Künstler waren maßgeblich bei der Gestaltung von Versailles: Le Vau als Architekt, Charles le Brun als Maler und Le Nôtre als Garten- und Landschaftsarchitekt (FRANZ und STROHM 1995 und SCHULZ 2002).

Wie schon erwähnt, fand der Bau Versailles in mehreren Etappen und zwar in den Frie-denszeiten statt. In der ersten Phase wurde das schon existierende Jagdschloss Ludwig XIII luxuriös ausgestattet. Außerdem wurde an den Gartenanlagen und Wasserspielen gearbeitet. In der zweiten Phase wurden durch Le Vau und nach dessen Tod durch Mansard die beiden Flügel, in denen sich die Repräsentationsgemächer von König und Königin befinden, erbaut. Dabei legte man um die Längsseiten des alten Schlosses ei-nen neuen Gebäudering. Im Erdgeschoss waren die Wohnräume der Thronfolger unter-

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gebracht. Die letzte Phase machte Versailles schließlich zur größten und prächtigsten Residenz Europas. Es entstanden der Nord- und Südflügel in denen sich weit über 100 Appartements befanden. Der nördliche Flügel diente damals hauptsächlich als Wirt-schaftsgebäude, der südliche zur Unterbringung der Leibgarde. Hinzu kamen außerdem auch noch einige kleinere, unabhängige Gebäude wie z.B. die Stallungen, die Orangerie, die Kirche von Versailles und das Grand Trianon. Eine Oper war zwar geplant, aber Ludwig XIV hatte nach seinen vielen, sehr kostspieligen Kriegen keine finanziellen Mittel dafür zur Verfügung (WACHMEIER 1975).

Abbildung 6: Grundriss des Schlosses mit Zimmeraufteilung des 1. Obergeschosses64

Das Grand Trianon liegt im Nordosten des Parks (vgl. Abbildung 7). Es entstand ab 1670 nachdem der König zwei Jahre zuvor das Dorf Trianon aufgekauft und dem Erdboden gleichgemacht hatte. In den ersten Jahren war es ein Trianon de Porcelaine, das mit blauen und weißen Porzellanfliesen verkleidet war. Diese Fliesen gingen jedoch in den Wintern kaputt und wurden 1687/88 durch roten Marmor ersetzt. Geplant war das Tria-non als privater Rückzugsort für den König, der am Hof selbst immer einem strengen Protokoll unterworfen war (SCHULZ 2002).

Versailles blieb bis zum Tod Ludwig XIV 1715 eine Baustelle, auf der bis zu 36.000 Menschen gleichzeitig arbeiteten. Die Kosten beliefen sich bis zu diesem Zeitpunkt auf 65 Mio. Livres, die Staatsschulden insgesamt auf 3 Mrd. Livres, was fast den Staats-bankrott bedeutete (SCHULZ 2002).

Versailles spielte eine wichtige Rolle in der Wirtschaftspolitik bzw. für die wirtschaftliche Entwicklung Frankreichs. Noch unter Ludwig XIII waren Luxusgüter wie Marmor, Spiegel, Stoffe und Spitzen aus Italien importiert worden. Ludwig XIV wollte so viel Geld wie mög-lich im eigenen Land belassen und leitete eine Politik des strengen Protektionismus ein. Er ließ Marmorsteinbrüche in den Pyrenäen wieder öffnen, die seit den Römern außer Betrieb gewesen waren. Außerdem reorganisierte er die alten königlichen Manufakturen und zog durch hohe Gehälter und andere Vorteile die besten französischen und auslän-dischen Techniker und Handwerker an. Somit bewirkte der Bau des Schlosses Versailles und dessen Ruhm und Vorbildfunktion im 18. Jahrhundert die Verbreitung der französi-schen Kunst in ganz Europa und den Reichtum, den Frankreich im Laufe dieser Epoche

64 WACHMEIER 1975: S. 132

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erwerben konnte (GAETHGENS 1984). 1682 machte der Sonnenkönig Versailles zum Regierungszentrum. In den Jahren bis zu seinem Tod besuchte er die Hauptstadt Paris nur noch 16 mal (SCHULZ 2002).

Schloss und Garten sind als Gesamtkunstwerk zu sehen, bei dem nichts dem Zufall ü-berlassen wurde. Alles hat symbolische Bedeutung. So ist z.B. das Prunkschlafzimmer des Königs der zentrale Raum des gesamten Schlosses (Zimmer 14 in Abbildung 6). Außerdem sind die Räume, die auf den ehemaligen Thronsaal, den Apollosalon zuführen (Apollo ist der griechische Gott des Lichts) nach Planeten bzw. Göttern des Olymp be-nannt, was nochmals Ludwig XIV Rolle als ‚Zentralgestirn’ hervorheben soll. Als Regie-rungszentrum hatte Versailles v.a. auch Repräsentationszwecke zu erfüllen und es wur-de viel getan, um v.a. ausländische Gäste von dessen Reichtum und Macht zu beeindru-cken (FRANZ und STROHM 1995 und SCHULZ 2002).

Schon zur Zeit des Sonnenkönigs war Versailles eine Touristenattraktion. Ein Kutschen-dienst brachte täglich 6.000 Besucher von Paris zur Residenz des Königs. Generell wa-ren der Garten und das Schloss der Öffentlichkeit frei zugänglich und man konnte dem König auf seinem allmorgendlichen Gang zur Kirche Bitt- und Dankesbriefe überreichen (SCHULZ 2002). Es waren täglich ca. 20.000 Personen in Versailles anwesend, inklusi-ve der schon erwähnten ‚Touristen’. Außerdem lebten ca. 1.000 Angehörige des hohen Adels im Schloss in ca. 188 Wohnungen, ca. 1.000 Adlige kamen täglich zur Visite. 9.000 Bedienstete arbeiteten am Hof, 4.000 davon lebten im Schloss selbst, die anderen 5.000 in Nebengebäuden. Durch dieses System war eine perfekte Bindung des Adels an den König und damit auch eine perfekte Kontrolle garantiert. Wer nicht anwesend war sank in der Gunst des Königs und wurde im schlimmsten Fall vom Hof verwiesen. Wer im Frankreich des Sonnenkönigs etwas erreichen wollte, konnte das nur über Versailles tun (WACHMEIER 1975 und GAETHGENS 1984).

Die schon angesprochenen Adligen, die am Hof lebten, wohnten in ziemlich einfachen und unbequemen ‚Wohnungen’. Aufgrund der Raumnot hatte man begonnen, in den Sei-tenflügeln Zwischenstöcke einzuziehen. Vor der Revolution hatte das Schloss 1.862 Zimmer, von denen 600 nicht einmal heizbar waren. Es wurde immer viel mehr Wert auf das Aussehen als auf die Bequemlichkeit gelegt (CHAMPIGNEULLE 1971).

Der genau geregelte Tagesablauf des Hofes begann um 8 Uhr mit dem Lever des Kö-nigs, bei dem nur auserwählte Personen anwesend sein durften, und endete mit dem Coucher um 23 Uhr (CHAMPIGNEULLE 1971).

3.1.3.1.3 Entwicklung nach Ludwig XIV

Nach dem Tod Ludwig XIV 1715 stand Versailles sieben Jahre lang leer, da sein Nach-folger und Urenkel, Ludwig XV, noch minderjährig war. Der neue König war ein großer Liebhaber der Jagd und ließ rund um das Schloss viele Jagdpavillons errichten. Außer-dem entstand in seiner Regierungszeit das Kleine Trianon (vgl. Abbildung 7), das als privater Rückzugsort für ihn und seine Mätresse Madame Pompadour geplant war. Des Weiteren wurde von ihm die schon lange geplante Oper in Auftrag gegeben. Am Schloss selbst oder auf dem Gelände entstanden sonst keine neuen Gebäude. Dafür wurden die Innenräume erheblich verändert und dem Geschmack der Zeit angepasst. Der barocke Stil des Sonnenkönigs wurde durch das Rokoko ersetzt. Bei diesen Umbauarbeiten wur-

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den auch viele Dinge zerstört. Das berühmteste ist die Escalier des Ambassadeurs, die zu den Räumen den Königs geführt hatte (SCHULZ 2002).

In seiner Regierungszeit wurden auch keine großen baulichen Maßnahmen unternom-men, sondern nur die Inneneinrichtung verändert. Am 6.10.1789 stürmte die aufgebrach-te Bevölkerung das Schloss und zwang die königliche Familie, wieder nach Paris ins Tuilerienschloss zu ziehen. Versailles war seit dem nie wieder bewohnt. In der Folgezeit wurden Teile des Mobiliars und der Gemälde ins Louvre gebracht, große Teile wurden aber auch einfach geplündert und in die ganze Welt verkauft. Noch heute ist man damit beschäftigt, fehlende Gegenstände zurückzukaufen. Während der Revolution war das Schloss oft in Gefahr, abgerissen zu werden. Die Bürger der Stadt Versailles verhinder-ten dies, indem sie es umnutzten. Im Schlosspark baute man Obst und Gemüse für die hungernde Bevölkerung an. 1797 wurden im Schloss schließlich ein naturkundliches Museum, eine Bibliothek und ein Musikkonservatorium eingerichtet (SCHULZ 2002).

Während seiner vielen Kriegszüge als Erster Konsul Frankreichs nutzte Napoleon Ver-sailles als Lazarett. Erst nach seiner Kaiserkrönung zeigte er Interesse daran, es zu sei-ner Residenz zu machen. Allerdings waren sowohl der Abriss als auch die Renovierung zu teuer. Ein Umbau hätte mindestens 50 Mio. Francs gekostet, Napoleon wollte aller-dings nicht mehr als 6 Mio. dafür ausgeben und bedauerte am Ende, dass die Revolution dieses Gebäude verschont hatte. Mit 6 Mio. hätte man das Schloss nicht einmal wieder bewohnbar machen können. Sein Plan für Versailles wäre, ähnlich wie bei Ludwig XIV, die Errichtung eines Kunstwerks gewesen, das sein Leben und seine Macht widerspie-gelt. Das hätte die Zerstörung des Skulpturenparks und die Errichtung von militärischen Denkmälern seiner Siege zur Folge gehabt (GAETHGENS 1984).

Beide Herrscher wären gerne wieder in Versailles eingezogen. Dies war aus drei Grün-den jedoch nicht möglich. Zum einen war die Zeit der Restauration viel zu kurz, um Plä-ne für die Restaurierung des Schlosses zu erarbeiten und umzusetzen. Zweitens wäre diese Restaurierung wie auch schon bei Napoleon viel zu teurer gewesen. Des Weiteren hätte ein Umzug des Königs nach Versailles, das immer noch das Symbol der absolutis-tischen Herrscher war, einen Affront für das liberale aber königstreue Bürgertum bedeu-ten können. Also wurde das Schloss als Notunterkunft für Emigranten genutzt (GAETHGENS 1984).

Als Ludwig Philipp 1830 an die Macht kam, war das Schloss immer noch unzerstört aber sein Schicksal war ungewiss. Da es für viele den Absolutismus repräsentierte, war es immer wieder einmal in Gefahr, abgerissen oder zumindest in eine Landwirtschaftsschu-le oder ein Lazarett umgewandelt zu werden. Um den Fortbestand Versailles zu sichern, ließ Ludwig Philipp sich das Schloss vom Parlament übereignen und beschloss, es auf eigene Kosten in ein Geschichtsmuseum umzugestalten, das er dem Ruhm Frankreichs widmen wollte. Dabei rettete er zwar das Schloss als Gebäude aber viele der Innenein-richtungen gingen für immer verloren. Unangetastet blieben nur die königlichen Appar-tements, die Kapelle, die Oper und die Spiegelgalerie. Gerade bei der Zerstörung der Prinzenwohnungen im Erdgeschoss wurden viele Werke dekorativer Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts zerstört (SCHULZ 2002).

Von 1833-37 war Versailles eine Baustelle. In Süd- und Nordflügel wurden alle kleinen Räume zerstört, um große Ausstellungssäle zu schaffen. Wichtig war für Ludwig Philipp die Vollständigkeit der Geschichte, die in seinem Museum ausgestellt werden sollte.

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Wahllos wurden alte und kostbare Gemälde neben neue und schnell angefertigte Bilder gehängt. Entscheidend war allein die chronologische Reihenfolge. Als er 1848 gestürzt wurde, enthielt das Museum bereits mehr als 3.000 Gemälde und Skulpturen (GAETHGENS 1984).

Seit 1887 versucht man, die Räume so zu rekonstruieren, wie sie im 17. und 18. Jahr-hundert aussahen. Dabei wurde wiederum das Nationalmuseum Ludwig Philipps weitge-hend zerstört (GAETHGENS 1984).

Seit den 1950er Jahren finden verstärkt Restaurierungsmaßnahmen statt und Versailles wurde wieder zu einem wichtigen Touristenmagneten mit ungefähr 7 Mio. Besuchern pro Jahr (GAETHGENS 1984).

In der deutsch-französischen Geschichte hat Versailles einen besonderen Stellenwert, da 1871 Wilhelm I im Spiegelsaal zum deutschen Kaiser ausgerufen wurde und 1919 die Unterzeichnung des Friedensvertrags am selben Ort stattfand (CHAMPIGNEULLE 1971).

3.1.3.1.4 Gartenanlagen

Die Gestaltung der Gartenanlagen wurde, wie schon erwähnt, vor dem Ausbau des Schlosses in Angriff genommen. Bis zum Tod Ludwig XIV 1715 vergrößerte sich das Gelände immer wieder. Hatte man 1662 ca. 1.000 ha Grundbesitz so waren es 1715 95 ha Garten, 1.700 ha Park und ca. 6.000 ha Jagdgebiet (SCHULZ 2002).

Das Ziel der Anlage war, die Natur dem menschlichen Willen zu unterwerfen. Ein Bei-spiel dafür ist die akkurate Achsenbildung, die sich in den Wegen als auch in den ge-pflanzten Bäumen widerspiegelt. Außerdem sollte der Park genau wie das Schloss die Pracht und Größe des Herrschers und Frankreichs symbolisieren. „Das Schloss sollte eingebunden werden in den größten Bezug räumlicher Weite und Unendlichkeit und um-gekehrt den Zielpunkt aller aus dieser Weite zusammenlaufenden Bahnen bilden.“ (WACHMEIER 1975: 148).

Der 1.650 m lange und 1.070 m breite Große Kanal (vgl. Abbildung 7) verlängert die Mit-telachse des Schlosses. Auf dieser Achse liegen außerdem das Schlafzimmer des Kö-nigs und das Apollo Becken mit einer vergoldeten Bronzeskulptur des Lichtgottes. Der Gartenarchitekt Le Nôtre und Tausende von Arbeitern waren 30 Jahre mit der Gestal-tung dieses Parks beschäftigt (FRANZ und STROHM 1995).

Wasser und Wasserspiele hatten in Versailles einen großen Stellenwert. Da Versailles an keinem Fluss liegt, hatte man immer Probleme damit, dafür genügend Wasser zur Verfügung zu stellen. Anfangs konnte man die Fontänen nur im Sommer von 10-20 Uhr in Betrieb nehmen. Bei Wasserknappheit sogar nur dann, wenn der König daran vorbei-lief. 1681 gelang Marly eine technische Höchstleistung. Er nutzte den Strömungsdruck der 100 m tiefer liegenden Seine, um Wasser über 14 Holzräder und verschiedene Kur-belwerke in das Aquädukt von Louveciennes und anschließend nach Versailles zu trans-portieren (SCHULZ 2002).

Die auf den Sonnenkönig folgenden Herrscher nahmen am Garten kleinere Veränderun-gen vor bzw. ergänzten einige Gebäude wie z.B. das Petit Trianon. Marie Antoinette ließ in der Nähe der Trianons außerdem einen zu ihrer Zeit modernen englischen Garten

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anlegen. Im Gegensatz zu den akkuraten und geradlinigen barocken Gärten von Ludwig XIV versuchte man hier, die Natur und das Landleben nachzuahmen. Sie ließ ein kom-plettes Dorf (Hameau) mit Molkerei, Wäscherei, einer Mühle etc. nachbauen (SCHULZ 2002).

Abbildung 7: Schloss und Garten von Versailles mit dem kreuzförmigen Grand Canal65

3.1.3.2 Die Entwicklung der Stadt Versailles

Das Dorf Versailles wurde 1038 zum ersten Mal urkundlich erwähnt und blieb bis zum Ausbau des Schlosses zum Regierungszentrum klein und unbedeutend. Ab 1682 setzte jedoch ein rapides Wachstum ein. 1722 hatte es 24.000 Einwohner, 1744 37.000 und 1790 50.000. Nach der Revolution und der Verlagerung bzw. später der Abschaffung des Königshauses schrumpfte die Stadt auf die Hälfte und verlor an Bedeutung. Erst durch die o.g. Ereignisse 1871 und 1919 sowie den in den letzten Jahrzehnten wieder verstärkt

65 WACHMEIER 1975: S. 127

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einsetzenden Tourismus gab es in der Stadt wieder einen Aufschwung (www.mairie-versailles.fr 26.09.2004).

Die Stadtentwicklung musste sich an die königlichen Verkehrslinien halten. Das waren drei vom Schloss wegführende Straßen, die nach Paris, Sceaux und Saint-Cloud zu den anderen königlichen Residenzen wiesen. Diese Straßen existieren noch heute. Auch bezüglich des Aussehens von Fassaden und Dächern gab es strenge Vorschriften, um ein einheitliches Bild zu erhalten. Keines der Häuser durfte höher sein als der Steinfuß-boden des Marmorhofs (entsprach zwei Stockwerken). Symbolisch gesehen bedeutete dies auch, dass die Stadt dem König immer zu Füßen lag (SCHULZ 2002).

Die heutige Bedeutung der Stadt Versailles liegt v.a. bei den vielen Schulen und Univer-sitäten wie der Ecole Supérieure Agricole, Ecole National Supérieure du Paysage etc., die sich hier angesiedelt haben (www.mairie-versailles.fr 26.09.2004).

3.1.4 Klassizismus 18. – Anfang 19. Jh. – Merkmale und Beispiele

Die klassizistische Architektur stellt einerseits eine Gegenreaktion auf die überschwäng-liche Formensprache des Barock dar.

Andererseits ist sie grundlegend beeinflusst von den antiken griechischen und römischen Bauwerken, die man bei den archäologischen Ausgrabungen von Herculaneum (1738) und Pompeji (1748) entdeckt hat. Typisch sind die freistehenden Säulen und Kolonna-den.

Abbildung 8: Panthéon66

Die Funktion des Bauwerkes: Ursprünglich stand hier die mittelalterliche Kirche der Stadtpatronin von Paris, der hl. Genoveva. 1744 gelobte Ludwig XV, schwer erkrankt, für den Fall seiner Genesung den Neubau der Kirche. Die Vorbereitungen waren langwierig und kompliziert, denn bei den Ausschachtungsarbeiten für die Fundamente stieß man auf die Gewölbe einer römisch-antiken Ziegelei, sodass erst einmal umfangreiche Kon-solidierungsmaßnahmen des Baugrundes erforderlich waren. Die Grundsteinlegung fand deshalb erst 1764 statt. Wegen finanzieller Engpässe kam es danach wiederholt zu Un-terbrechungen, sodass der Architekt Soufflot 1780 über dem unfertigen Projekt hinweg

66 http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Pantheon_paris.jpg; 26. 07. 04

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starb. Zwei seiner Schüler brachten den Bau inmitten der Revolutionsunruhen im Jahr 1790 zum Abschluss.

Danach wechselte der Bau seine Bestimmung, je nachdem, welches politische Regime gerade an der Macht war: 1791 wurde es zur nationalen Ruhmeshalle erklärt, nachdem man Voltaire hier beigesetzt hatte. Der Bau trug fortan den Namen Panthéon. 1806 be-stimmte Napoleon den Bau wieder zur Kirche. 1830 machte der Bürgerkönig Louis-Philippe ihn wieder zur Ruhmeshalle. In der „Dritten Republik“ wurde der Bau wieder zur Kirche und nach der Beisetzung Victor Hugos im Jahr 1885 wurde der Bau wieder zur Ruhmeshalle mit dem Namen Panthéon. Dabei blieb es bis heute.

Geschichtlicher Hintergrund: Die Kirche St. Geneviève, das spätere Panthéon spielt, wie auch andere Großprojekte dieser Zeit (Place Louis XV oder die Ecole Militaire) eine Schlüsselrolle in der Politik der königlichen Bauverwaltung nach 1750: Einerseits soll sie die Sorge des Königs um die französische Kirche dokumentieren und andererseits sei-nen Anspruch als ´premier fils de l´eglise´ und von Gott eingesetzten Herrscher un-terstreichen. Mit dem Patronat St. Genevièves, deren Reliquien in der Vierung ausge-stellt werden sollen, wird nicht nur die Pariser Stadtpatronin, sondern auch eine nationale Symbolfigur ausgewählt.

Was hebt den Bau von Sainte-Geneviève vor den übrigen königlichen Projekten hervor? Schon die Architektenauswahl ist außergewöhnlich. Ludwig XV beauftragt nicht etwa seinen „premier architekt“ Ange-Jacques Gabriel, auch nicht einen der in Paris etablier-ten Architekten, sondern Ludwig XV beauftragte Jacques Germain Soufflot, der sich vor Allem in Lyon einen Namen gemacht hat mit dem prestigereichen Auftrag. Soufflot ist bekannt dafür, dass er dem französischen Kirchenbau durch neuartige stilistische Ges-taltung frische Impulse geben kann.

Baubeschreibung: Sainte-Geneviève ist ein über einem griechischen Kreuz errichtetes Gebäude, dessen östlicher Kreuzarm um den Hochchor sowie zwei seitliche Türme, de-ren obere Stockwerke 1793 wieder abgetragen wurden, und dessen westlicher Kreuzarm um ein Joch und die Kolonnade des Eingangsbereichs erweitert ist. Es ergibt sich hier-durch eine Länge von 110m und eine Breite von nur 84m. In der zentral gelegenen, quadratischen Vierung erhebt sich über dreieckigen Vierungsmassiven und einer Pen-dentivzone mit weiteren Vierungsbögen der von Säulen und Fenstern gegliederte Tam-bour, über dem sich eine dreifache Kuppel mit Laterne wölbt (83m hoch). Durch die be-sondere Konstruktion der Dreischaligkeit ist die Kuppelkalotte im Inneren abgeflacht, wie auch im Invalidendom.

Dem Physiker Foucault gelang im Jahr 1849 mit dem nach ihm benannten Pendel, einer 28 kg schweren Messingkugel, die an einem 67 m langen Drahtseil unter der Kuppel aufgehängt war, der empirische Nachweis der Erdrotation. Die Ausmalungen stammen aus dem 19. Jh. und zeigen u. a. Szenen aus dem Leben der hl. Genoveva (von Puvis de Chavannes) sowie zahlreiche Begebenheiten aus der französischen Geschichte. In der Krypta, der Unterkirche sind die großen Söhne Frankreichs seit 1791 bestattet. Die Krypta fällt hier im Panthéon besonders groß aus, fast der gesamte Bau ist unterkellert.

Die Baugeschichte des Louvre ist eine außerordentlich vielfältige. Der erste Louvre war eine Festung, die von König Philipp II. Anfang des 13. Jahrhunderts zur Sicherung der westlichen Flusseinfahrt ins Stadtgebiet errichtet wurde. Diese Festung lag damals noch

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außerhalb der Stadtmauern. Es handelte sich hierbei um eine Burg mit einer quadrati-schen Festungsmauer und einem runden Bergfried. Im Inneren des heutigen Louvre kann man die freigelegten Fundamente dieser alten Wehranlage besichtigen, die bis ins 14. Jh. hinein als Schatzkammer der Krone diente. Die Könige residierten bis dahin auf der Ile de la Cité. Eine Revolte veranlasste den damals regierenden Karl V. diese zu ver-lassen und den Louvre fortan als Wohnstatt zu beziehen. Von dort aus konnte er sich besser gegen die Revoltierenden verteidigen. Zu diesem Zeitpunkt wurde eine neue Stadtmauer errichtet, in die der Louvre einbezogen wurde.

Der mittelalterliche Louvre stand bis ins Jahr 1546, Franz I. ließ ihn abreißen, da er an seine Stelle ein Renaissanceschloss errichten wollte. Nachdem der Herrscher allerdings schon im Jahr darauf das Zeitliche segnete, blieben die Pläne nur zu einem geringen Teil realisiert. Die Folge war, dass der Louvre sehr lange eine Baustelle blieb. Erst Heinrich II. ließ den von Franz I. begonnenen Bauabschnitt vollenden, wodurch uns ein in Paris seltenes Beispiel der fast nur in Italien verbreiteten Renaissancebaukunst erhalten ist. Die Witwe Heinrich II., Katharina von Medici baute, westlich abgesetzt vom Louvre, das Tuillerienschloss.

Abbildung 9: Louvre67

Der erste Bourbonenkönig Heinrich IV. ließ dieses mit dem Cour Carreé, dem Hauptge-bäude, verbinden. Dieser Verbindungstrakt misst 460 m und verleiht dem Bau mit seiner barocken Fassade ein äußerst feudalen Charakter.

Ludwig XIV. gab dem Cour Carreé mit den so genannten Louvre-Kolonnaden die ab-schließende Gestalt. Sie bilden die der Stadt zugewandten Seite. Die Umsiedelung des Hofes nach Versailles zog ein längeres erliegen der Bauarbeiten am Louvre nach sich. Im zum Teil offen gelassenen Louvre quartierten sich Künstler ein.

Während der Revolution wurde der Louvre zum Museum erklärt und unter Napoleon I. wurden die Bauarbeiten am inzwischen stark heruntergekommenen Louvre wieder auf-

67 PETERS 1992: 53.

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genommen. Die Cour Carreé wurde vollendet. Gegenüber des Verbindungstraktes zwi-schen der Cour Carreé und dem Tuillerienschloss von Heinrich IV. wurde unter Napole-on III. das spiegelbildliche Gegenstück vollendet.

Der Louvre war über die Jahrhunderte immer eine Baustelle, an der die jeweiligen Herr-scher weiter gebaut, abgerissen oder Änderungen vorgenommen haben. Der Louvre ist also ein Sammelsurium von Baustilen, aus denen man die verschiedenen Phasen der Entwicklung ablesen kann. Der Bau ist also kein Gebäude, das zu einer bestimmten Zeit einmal errichtet wurde und nun als Zeitzeuge, als Denkmal genau so erhalten werden soll, sondern es ist ein Funktionsbau, dessen Funktion sich im Laufe der Geschichte vie-le Male verändert hat und den Bedürfnissen angepasst wurde und somit seine eigene Geschichte „erzählen“ kann.

Francois Mitterrand knüpfte an diese Tradition vor ca. 20 Jahren an und erklärt den Um-bau des Louvre zum „Grand Louvre“ zu einem seiner „Grand Projets“. Im Zuge des Um-baus von dem amerikanischen Architekten chinesischer Abstammung Ieoh Ming Pei wurden unter dem Cour Carreé 66700 m² neue Nutzfläche geschaffen. Die „Spitze des Eisberges“ bildet die umstrittene Glaspyramide, die für viele einen Stilbruch bedeutet. Man könnte sie allerdings auch einfach als ein weiteres hinzugefügtes Stilelement des so viele Baustile widerspiegelnden Louvre. Der Louvre ist also bauhistorisch ein Neben- und Miteinander von Renaissance, Barock, Klassizismus, Historismus und Moderne.

3.1.5 Fazit

Anhand der vorgestellten repräsentativen Bauwerke wurden bei der Exkursion die wich-tigsten Stilelemente verschiedener Epochen erklärt und in Verbindung mit den geschicht-lichen Hintergründen gebracht. Die Studierenden sollten nachher in der Lage sein, an-hand von typischen Stilelementen das jeweils betrachtete Bauwerk epochal richtig ein-zuordnen um so die städtebaulichen Entwicklungen besser nachvollziehen zu können. Das Schloss Versailles ist wohl eines der eindrucksvolleren Beispiele für die Größe Frankreichs im 17. und 18. Jahrhundert. Zugleich ist es das Symbol für den Zentralis-mus, der sich auch heute noch in vielen Strukturen Frankreichs wieder finden lässt. Es verdeutlicht, wie ein absolutistischer Herrscher seine Visionen durchsetzte und erzwang, obwohl die Standortbedingungen nicht optimal waren. Sein Wunsch alles zu kontrollieren und zu beherrschen lässt sich sowohl an der Bindung des Adels an den Königshof, an den geometrischen Gartenanlagen als auch an der von ihm festgelegten Struktur der Stadt Versailles erkennen.

3.2 Städtebauliches Erbe

Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit der Gründung und der historischen Entwick-lung der Stadt Paris. Besonders hervorgehoben wird hierbei die Ile de la Cité, auf der die erste keltische Siedlung gegründet wurde und die somit das älteste Viertel der Stadt ist. Da die Ausdehnung von Paris danach vor allem in südlicher Richtung erfolgte, wird da-nach das Quartier Latin und dessen Entwicklung betrachtet. Auf Baron Haussmann und seine Eingriffe in das städtebauliche Bild der Stadt wird im nächsten Abschnitt eingegan-gen. Nach einer allgemeinen Beschreibung seiner Maßnahmen zur Stadtgestaltung wird die Avenue de l’Opéra als konkretes Beispiel einer typischen Haussmannschen Straße

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gezeigt. Der 1889 zur Weltausstellung errichtete Eiffelturm ist eines der bekanntesten Wahrzeichen von Paris und ein imposantes Bauwerk innerhalb des Stadtbildes.

3.2.1 Geschichte der Stadt

Die Stadt Paris wurde ungefähr im Jahr 300 vor Christus auf der Ile de la Cité durch ein keltisches Fischervolk, den Parisi, gegründet. Die damalige Siedlung trug den Namen Lutèce. Durch die Lage auf der Insel inmitten der Seine war die Siedlung vor Angriffen von anderen Stämmen geschützt. Außerdem war die Lage der Siedlung in Bezug auf den damaligen Verkehr günstig, denn einerseits diente die Seine als Wasserweg für den Schifffahrtsverkehr, andererseits verlief eine von Süden nach Norden führende Handels-straße über die Ile de la Cité. Diese Handelsstraße führte über die Insel, da die Men-schen zu dieser Zeit die Brücken aus bautechnischen Gründen an den schmalsten Stel-len des Flusses anlegen mussten. Ein weiterer Grund für die Wahl dieses Siedlungsplat-zes war auch die Tatsache, dass es sich bei der Insel mit ihren fruchtbaren Böden um einen landwirtschaftlichen Gunstraum handelte.

Nachdem die keltische Siedlung ungefähr 50 Jahre vor Christus durch die Römer erobert wurde, dehnte sich das Siedlungsgebiet zuerst hauptsächlich nach Süden aus, da es sich beim nördlichen Ufer um Sumpfgebiet handelte. Das nördliche Ufer wurde erst im 13. Jahrhundert trockengelegt und bebaut.

Schon etwa im Jahr 250 nach Christus wurde die gallorömische Stadt durch eine erste Ummauerung geschützt. Das Gebiet, das diese Mauer umschloss, entsprach der Ile de la Cité (vgl. Abbildung 10). Um das Jahr 1200 wurde die Stadt von Philippe II. Auguste befestigt. Da das Siedeln außerhalb der Stadtmauern verboten war, dienten diese als Bebauungsgrenzen. Innerhalb der Mauern entstand infolgedessen ein sehr dicht bebau-tes Gebiet mit schmalen und unübersichtlichen Gassen, von denen sich nur die alten Römerstraßen mit ihrem geradlinigen Verlauf abhoben. Das starke Wachstum der Be-völkerung und die zunehmende Enge in der Stadt führten dazu, dass sogar die Seine- Brücken mit mehrstöckigen Gebäuden bebaut wurden. Die oberen Stockwerke dieser Gebäude wurden bewohnt, während sich im Erdgeschoss Geschäfte wie Händler oder Geldwechsler befanden, die vom Verkehr auf den Brücken profitierten.

Im 13. Jahrhundert wuchs die Bevölkerung vor allem am nördlichen Seine-Ufer stark an, so dass unter Charles V. im Jahr 1370 an diesem Ufer ein neuer Mauerring angelegt werden musste. Um die Kontrolle der Zollgeschäfte zu erleichtern, wurde im Jahr 1785 eine Mauer errichtet, die dem Verlauf des heutigen zweiten Boulevardrings folgt. Im Zu-ge dieses Mauerbaus wurde das Stadtgebiet von 1104 Hektar auf 3370 Hektar erweitert. Diese Mauer stand allerdings nur sechs Jahre: sie wurde schon im Jahr 1791 abgeris-sen, da die Zolleinrichtungen durch die Revolution überflüssig geworden waren.

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Abbildung 10: Die verschiedenen Stadtmauern von Paris68.

Schon früh bildete sich eine Dreiteilung der Stadt heraus: Südlich der Seine befand sich die Université, auf der Ile de la Cité lag das geistige und religiöse Zentrum, die so ge-nannte Cité, und nördlich der Seine entstand die Bürgerstadt, die so genannte Ville, die das Geschäftszentrum der Stadt bildete. Diese Dreiteilung von Paris ist auch auf heuti-gen Karten der Stadt noch erkennbar. Die verschiedenen Viertel haben ihren Charakter und ihre Funktion zu einem guten Teil bis heute beibehalten.

3.2.1.1 Ausgewählte Einzelthemen / -standorte

Ebenso wie die auf die Stadt lässt sich eine solche Einteilung in drei Teile, wie sie im vorigen Abschnitt getroffen wurde, auch auf die Ile de la Cité anwenden: Zum einen be-fand sich mit dem Sitz des Bischofs das Zentrum religiöser Macht auf der Insel. Zum an-deren war in der Königsburg, dem heutigen Justizpalast, der Sitz des Königs, bis dieser in den Louvre und später nach Versailles zog. Daneben stellt das Hôtel de Dieu eine bedeutende Bildungs- und Sozialeinrichtung dar. Man sieht daran die herausragende Bedeutung, welche die Ile de la Cité früher für Paris hatte. Die zentrale Funktion der In-sel blieb bis in die heutige Zeit erhalten: Sie ist durch den Justizpalast, in dem sich die Polizeipräfektur befindet, bis heute als Ort staatlicher Macht erkennbar.

68 JORDAN 1996: S. 41

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Zu der Zeit des Zweiten Kaiserreiches hatte Paris mit zahlreichen hygienischen Proble-men wie Krankheiten, Seuchen und die Beseitigung der Abwässer zu kämpfen, die vor allem durch die enormen Bevölkerungszahlen in der Stadt verursacht wurden: im Jahr 1870 betrug die Zahl der in Paris lebenden Menschen 1,8 Millionen (SPECKTER 1964: 77). Kaiser Napoléon III. wollte diese Probleme beheben lassen. Deshalb setzte er Ba-ron Georges-Eugène Haussmann als Seinepräfekt ein und übertrug ihm die Aufgabe, diese Probleme zu beseitigen.

Im Jahr 1867 ließ Haussmann fast alle Gebäude auf der Insel abreißen, da auf der sehr dicht bebauten Insel mit ihren hohen Bevölkerungszahlen, den engen, verwinkelten Gas-sen und den überbevölkerten, unhygienischen Blöcke immer wieder Seuchen ausbra-chen. Dabei gestaltete Haussmann das Erscheinungsbild der Insel gänzlich neu. Die Straßen auf der Ile de la Cité wurden verbreitert und regelmäßige Blöcke angelegt (vgl. Abbildung 11).

Abbildung 11: Der Ostteil der Ile de la Cité vor und nach der Umgestaltung im Jahr 186769

Daneben schuf Baron Haussmann eine moderne Kanalisation, was das wohl wichtigste Projekt bei der Stadtumgestaltung von Haussmann war, da es zu dieser Zeit große Prob-leme mit der Abwasserentsorgung in Paris gab. Vorher wurden die Abwässer in einem Hauptsammler gesammelt, nun wurde ein neuartiges unterirdisches, dichtes Netz von Kanälen geschaffen. Diese neue Kanalisation konnte die große Menge an Abwässern verkraften.

Bei den Gebäuden, die Haussmann auf der Ile de la Cité verschonte oder die er neu er-richten ließ, handelte es sich hauptsächlich um öffentliche Gebäude wie dem Justizpa-last oder dem Hôtel de Dieu, einem Krankenhaus. Infolgedessen mussten im Zuge der Abrissmaßnahmen von Haussmann zwei Drittel der 35 000 Menschen, die bis dahin auf der Insel lebten, diese verlassen. Die einzigen Wohnhäuser, die sich noch auf der Insel

69 SPECKTER 1964: S. 71

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befanden, standen am Place Dauphine und in dem Viertel, das nördlich von der Kathed-rale Notre-Dame liegt. Bei diesem Viertel handelt es sich um das älteste Viertel von Pa-ris, was an den verwinkelten Gassen und an den dicht zusammenstehenden, kleinen Häusern erkennen lässt. Das Bild dieses Viertels unterscheidet sich damit deutlich von der übrigen Insel und lässt erahnen, wie die Insel vor den Eingriffen Haussmanns aus-sah.

Neben der Schaffung einer sauberen und mäßig dichten Bebauung auf der Ile de la Cité wollte Haussmann auch die historischen Gebäude wie die Kathedrale Notre-Dame her-vorheben. Indem er den Platz vor der Kathedrale, den so genannten Paris, vergrößern ließ, wollte Haussmann die Notre-Dame besser zur Geltung bringen, so dass sie auf Be-sucher einen stärkeren Eindruck hinterlassen sollte.

Bei der Place Dauphine handelt es sich um einen der ersten planmäßig angelegten Plät-ze in Paris. Diesen Platz ließ Heinrich IV zusammen mit der Pont Neuf in den Jahren 1578 bis 1604 anlegen. Der Platz wurde entsprechend der Topographie an der West-spitze der Ile de la Cité dreieckig angelegt und einheitlich bebaut, was bedeutet, dass die Häuser neben gleichen Geschoss- und Gebäudehöhen auch eine einheitliche Gestal-tung der Fassaden aufwies. Von diesen Gebäuden sind heute nur noch die beiden Eck-häuser am Durchgang des Platzes zur Pont Neuf erhalten. Durch den Platz, der seinen Namen zu Ehren des lang ersehnten Thronfolgers erhielt, sollten Freiflächen und besse-re Wohnlagen geschaffen werden. Außerdem konnte Heinrich IV seine königliche Macht demonstrieren, da er durch den Platz zeigte, dass er sich Freiflächen in der dicht bevöl-kerten Stadt leisten konnte. Des weiteren wurde der Platz neben der Nutzung als Markt-platz auch als öffentlicher städtischer Raum genutzt, in dem die Kommunikation zwi-schen dem König und seinen Untertanen sowie zwischen den Bürgern untereinander stattfinden konnte.

Die Pont Neuf ist die älteste heute existierende Seine-Brücke. Zur Zeit ihrer Erbauung allerdings war sie, wie der Name schon sagt, eine Neuheit: es war die erste Brücke, bei der die für Paris typische Bebauung aufgegeben wurde, weil der König die Sichtverhält-nisse nicht zerstören wollte, sondern einen Blick von seinem Königspalast auf der Ile de la Cité auf den Louvre haben wollte. Dies zeigt den Einfluss, den der König auf den Städ-tebau in dieser Zeit hatte. Eine weitere Neuerung waren die Trottoirs, also die steinernen Gehsteige, die erstmals in Paris auf der Pont Neuf angelegt wurden und die den Fuß-gängern einen sicheren und sauberen Übergang über die Seine boten.

Südlich der Ile de la Cité erstreckt sich das Quartier Latin. Nachdem die Römer die kelti-sche Siedlung Lutèce im Jahr 50 vor Christus eroberten, siedelten sie sich vor allem süd-lich der Insel an, da die hügeligen Bereiche im Süden nicht so sehr von Überschwem-mungen gefährdet waren. Es entstand die Stadt Lutetia mit Thermen, Tempeln und ge-pflasterten geradlinigen Straßen, deren Verlauf heute noch im Boulevard St. Michel zu erkennen ist. Der Boulevard verläuft geradlinig in Nord-Süd-Richtung, während die Vier-tel, die an ihn angrenzen, sehr eng und verwinkelt sind. Außer diesem Erbe der Römer im Städtebau von Paris sind kaum noch Bauwerke aus dieser Zeit erhalten. Eines davon sind die Ruinen römischer Thermen im Hôtel de Cluny. Man kann hier noch das Tepida-rium, also das lauwarme Bad, und das Caldarium, das heiße Bad, von außen sehen. Das kalte Bad, das so genannte Frigidarium ist in den Gebäudekomplex mit einbezogen. Abgesehen vom Amphitheater ist diese Therme die einzige römische Ruine in Paris.

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Obwohl sich das Quartier Latin auf altem römischem Siedlungsgebiet befindet, hat der Name Quartier Latin nichts mit dieser Tatsache zu tun. Er geht vielmehr darauf zurück, dass sich hier im 12. Jahrhundert die Universität ansiedelte. Da an ihr Studenten aus ganz Europa studierten, war die Unterrichtssprache und zugleich die gemeinsame Spra-che der Studenten Latein, weswegen das Viertel den Namen Quartier Latin bekam.

Die erste Schule in Paris befand sich auf der Ile de la Cité neben der Kathedrale Notre-Dame. Wegen des schnellen Wachstums der Schule und um der Bevormundung durch den Bischof zu entgehen, entschied sich einer der Lehrer, die Schule an das südliche Ufer zu verlegen. Diese Entscheidung aus dem 12. Jahrhundert hatte Auswirkungen bis in die Gegenwart, denn noch heute ist das Südufer der Sitz der geistigen Macht in Paris. Nach der Gründung der Sorbonne im Jahr 1253 als erste Universität Frankreichs war diese an zahlreichen politischen und religiösen Kämpfen in ganz Frankreich beteiligt. Heute befinden sich nur noch die geisteswissenschaftlichen Fakultäten im Quartier Latin. Die anderen Fachbereiche wurden auf neu gegründete Hochschulen im suburbanen Um-feld verteilt.

Dass es sich beim Quartier Latin um ein Viertel handelte und auch heute noch handelt, in dem viele Intellektuelle leben, kann man zu Einen an den zahlreichen Universitäts- und Schulgebäuden erkennen. Ein weiteres Indiz dafür sind auch die Buchläden und Druckereien, die hier zahlreich vorhanden sind. Bei den engen, verwinkelten Gassen, die sich um den Boulevard St. Michel erstrecken, handelt es sich vermutlich um die relativ preiswerten Wohngebiete für die Studenten der Universität. Anhand des Quartier Latin kann man gut erkennen, wie sich Strukturen aus der Vergangenheit im städtebaulichen Bild von Paris gehalten haben. So ist neben dem Verlauf des Boulevard St. Michel, der einer alten römischen Handelsstraße folgt, auch der Sitz der Universität bis heute unver-ändert.

Neben den oben erwähnten Problemen im hygienischen Bereich stellte zur Zeit des Zweiten Kaiserreiches vor allem der zunehmende Verkehr im Altstadtzentrum ein großes Problem dar. Auch in diesem Bereich übertrug Napoléon III die Lösung der bestehenden Probleme an Georges-Eugène Haussmann.

Seit dem Mittelalter wurde das Zentrum der Stadt vom so genannten großen Kreuz be-herrscht, eine Folge sich kreuzender Straßenzüge in Nord-Süd- beziehungsweise Ost-West-Richtung. Es fehlte im Stadtinneren vor allem an breiten Durchgangs- und Verbin-dungsstraßen. Infolgedessen musste Haussmann ein neues Verkehrsnetz schaffen, wo-bei er einen klaren Zusammenhang entstehen ließ.

Eine Maßnahme zur Veränderung des Verkehrssystems war die Verbindung der Bahn-höfe, die am äußersten Rand der Stadt gelegen waren. Es handelt sich bei diesen Bahnhöfen um mehrere Kopfbahnhöfe, die weder über eine Verbindung zueinander noch über eine geeignete Straßenfortführung zum Zentrum hin verfügten. Haussmann ließ eine Ringbahn bauen, die die Bahnhöfe miteinander verband. Von den Bahnhöfen aus-gehend ließ er breite Straßen zur Innenstadt anlegen, auf denen die Waren problemlos von den Bahnhöfen zum Zentrum transportiert werden konnten.

Auch das Straßennetz wurde von Haussmann völlig neu geschaffen. Das Zentrum die-ses neuen Straßensystems bildete ein Kreuz zweier Straßenzüge in Nord-Süd- und Ost-West-Richtung. Durch den Place de la Concorde und den Place de la Bastille, einer der

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von Haussmann entsprechend der alten Pariser Tradition gestalteten Sternplätzen, legte sich ein Ring von Straßen um die Innenstadt. Parallel zu diesem kleinen Ring befanden sich ein mittlerer Ring durch den Place de l'Etoile und ein äußerer Ring. Diese drei Bou-levardringe sollten den Verkehr um das Zentrum von Paris herum leiten. Alle drei Ringe waren durch zahlreiche Verbindungsstraßen verbunden, so dass möglichst kurze Wege entstanden (vgl. Abbildung 12).

Bei der Neugestaltung des Straßennetzes ließ Haussmann wie schon erwähnt zahlrei-che Sternplätze anlegen, auf denen die Straßen zusammentreffen. Beispiele für solche Haussmannschen Sternplätze sind der Place de la Bastille, der Place de la Nation oder der Place Charles de Gaulles, ehemals Place de l'Etoile, bei welchem Haussmann die Anzahl der auf den Platz zuführenden Straßen von fünf bestehenden auf zwölf Straßen erweitern ließ. Die Sternplätze hatten die Funktion, den Verkehr in die angrenzenden Viertel zu verteilen.

Abbildung 12: Hauptstraßenschema des Haussmann-Planes70

Haussmann legte dabei die neuen Straßendurchbrüche zum Teil parallel zu den alten Straßen an, um die älteren Straßen und Stadtteile und damit auch das alte Stadtbild zu erhalten. Bei anderen Projekten trieb Haussmann die Straßen direkt durch bestehende Wohnviertel. Ein Beispiel für ein solches Projekt war der Durchbruch der Avenue de l'O-péra in Abbildung 4. Mit dem Bau dieser Straße wurde im Jahr 1854 begonnen, wobei an beiden Enden der Avenue de l'Opéra gleichzeitig mit dm Bau begonnen wurde. Der Bau der gesamten Straße dauerte nur 24 Jahre und wurde somit im Jahr 1878 beendet. An-hand der Avenue de l'Opéra kann man besonders gut sehen, wie rücksichtslos die Stra-ße durch die bestehende Bebauung getrieben wurde (vgl. Abbildung 13).

70 SPECKTER 1964: S. 63

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Abbildung 13: Durchbruch der Avenue de l'Opéra71

Wie man in Abbildung 4 erkennen kann, ist die Struktur der vorher bestehenden Berei-che mit den engen, verwinkelten und dicht bebauten Straßen weitgehend erhalten geblieben, während sich die Avenue de l'Opéra deutlich von diesem Bild abhebt. Außer-dem zeigt die Abbildung recht deutlich, wie viele Gebäude durch die Baumaßnahmen Haussmanns zerstört wurden. Die Menschen, die in diesen Gebäuden lebten, mussten in die Außenbezirke von Paris umziehen.

Eine Besonderheit war für die damalige Zeit die enorme Breite der Straßen von 20 Meter und mehr. Durch die Breite sorgten die Straßen für genügend Licht und Luft in der Stadt. Die breiten Straßen wurden aber auch aufgrund von strategischen Aspekten angelegt: Da es in dieser Zeit vor allem im Osten der Stadt häufig zu Unruhen kam, konnten die Truppen des Kaisers das Volk wegen der breiten Straßen besser beobachten und bei Bedarf schneller eingreifen. Außerdem sollten die Viertel durch den Einschnitt, den die breiten Straßen bildeten, räumlich etwas voneinander getrennt werden, so dass die Ge-fahr von Aufständen und Unruhen reduziert werden sollte.

Durch die breiten Straßen, die Haussmann anlegen ließ, war Paris im Vergleich zu ande-ren Großstädten besser in der Lage, das enorme Verkehrsaufkommen des 20. Jahrhun-derts zu bewältigen, da der Verkehr auch in der Innenstadt ungehindert und mehrspurig fließen konnte. Zum Beispiel ist die Avenue de l'Opéra seit der Zeit ihrer Erbauung zu einer der verkehrsreichsten Straßen in ganz Paris geworden.

Bei der Schaffung der Straßenzüge legte Haussmann entsprechend der Tradition in Pa-ris sehr großen Wert auf die einheitliche Gestaltung der Fassaden. Das typische Haus dieser Zeit war fünf oder sechs Stockwerke hoch und wurde aus dem einheimischen Sandstein errichtet. Durch den Verzicht auf Erker, Terrassen und Vorgärten wurde der Eindruck der Einheitlichkeit der Straßenzüge noch verstärkt. Ganze Viertel sind in Paris von dieser Haussmannschen Bebauung geprägt. Auch in der Avenue de l'Opéra herrscht diese einheitliche Bebauung vor, wobei allerdings durch zahlreiche neue Gebäude die Wirkung zerstört wurde.

71 SCHÜLE 1997: S. 31

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Insgesamt ließ Haussmann in den Jahren von 1853 bis 1870 in Paris 19.722 Häuser abreißen, während er 43.777 Gebäude umbauen oder neu bauen ließ (JORDAN: 311. Sein Einfluss auf den Städtebau in der Stadt Paris ist nicht zu übersehen. Nur durch die breiten Straßen, die Haussmann durch das Zentrum von Paris trieb, konnte die Stadt den zukünftigen starken Verkehr problemlos bewältigen.

Die so genannte Königsachse verläuft in Ost-West-Richtung über die Rue de Rivoli, den Place de la Concorde und die Champs-Elysées. Im folgenden Abschnitt wird die Ge-schichte und Entwicklung der Königsachse beschrieben.

Die Champs-Elysées, eine der verkehrsreichsten Straßen von Paris, ist Teil der wichtigs-ten West-Ost-Verbindung von Paris und gleichzeitig Teil der berühmten Königsachse. Sie reicht von der Place Charles de Gaulle bis zur Place de la Concorde und ist mit fast zwei Kilometer Länge und 70 Meter Breite das wichtigste Teilstück der Achse vom Pont de Neuilly im Westen bis zur Place de la Nation im Osten. Es war ein langer Weg von den Anfängen des 17. Jahrhunderts bis zum heutigen Bild einer Prachtstraße, die vom etwas erhöhten Place Charles de Gaulle sich mit einer großartigen Perspektive als ein Ort großer Geschäftigkeit und des Luxus darstellt.

Der erste Ansatz, die Stadt ab den Tuileriengärten nach Westen zu öffnen, war die Anla-ge des Cours-la-Reine 1616 durch die Witwe Henri IV, Maria von Medici. Dieser führte, als Reitweg geplant, von der Süd-West-Ecke der heutigen Place de la Concorde parallel zu Seine bis zum heutigen Place de l’Alma. Ludwig XIV plante, von Paris her eine neue Straße nach Westen zum Château Saint-Germain-en-Laye, seinem Geburtsort, und wählte unter mehreren Vorschlägen Le Nôtres eine direkte Verbindung von den Tuilerien über den Hügel von Chaillot (heute Place Charles de Gaulle) nach Westen.

Der erste Abschnitt wurde etwa 1667 mit dem Grand-Cours begonnen, die Straße wurde mit Bäumen bepflanzt und reichte bis zum heutigen Rond-Point. Erst durch den Bau ei-ner Steinbrücke im Jahre 1710 über einen Abwasserkanal nahe der heutigen Rue Mar-beuf konnte die Straße bis zur heutigen Place Charles de Gaulle weitergebaut werden (1724). Ludwig XIV, gestorben 1715, erlebte dies nicht mehr. Wiederum erst 50 Jahre später wurde die Seine bei dem Pont de Neuilly (1772) erreicht und die Kuppe des Hü-gels von Chaillot um fünf Meter eingeebnet. Der 1763 fertig gestellte Place de la Con-corde stellte dann erst die Verbindung zur Stadt Paris her, die1794 mit der Aufstellung der Chevaux de Marly ihren Abschluss fand.

Die Champs-Élysées blieben bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine von der Bevöl-kerung wenig angenommene Straße, trotz einer gewissen Belebung, die sie mit dem Bau von einzelnen Herrenhäusern mit schönen Gärten vom Faubourg-Saint-Germain her, erfuhr.

Der eigentliche Ausbau zur Prachtstraße und zur wohl berühmtesten Straße Europas erfolgte erst 1828, als sie in das Eigentum der Stadt unter Auflagen zu ihrer Verschöne-rung (embellissements) überging. Es wurden Bürgersteige gebaut, asphaltierte Parallel-straßen (contre-allées) angelegt, 1200 Gas-Kandelaber installiert und entlang der Straße Restaurants, Konzert- und Theatersäle, Brunnen und sonstige öffentliche Einrichtungen erstellt und die Champs-Élysées gewannen bald das Interesse der reichen Gesell-schaftsschichten. Einen weiteren Auftrieb brachten die Pferderennen von Longchamps und die zwischen 1844 und 1900 durchgeführten verschiedenen Weltausstellungen. Im

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Zuge der letzten Weltausstellung entstanden der Grand-Palais (Kunstausstellungen, Messen), der Petit-Palais (Ausstellung des städtischen Kunstbesitzes) und der Palais de la Découverte, denen der erst zu Beginn der Mitte des 19. Jahrhunderts erstellte Palais de l’Industrie weichen musste.

Höhepunkt der Entwicklung der Champs-Élysées war aber die Fertigstellung des 1806 von Napoleon begonnenen Baus des Arc de Triomphe im Jahre 1836 und der Ausbau des Place de l’Etoile (Place Charles de Gaulle) mit dem Bau von sieben weiteren präch-tigen Avenuen durch Haussmann, die strahlenförmig in die Stadt hineinreichen.

Im 19. und 20. Jahrhundert waren die Champs-Elysées Zentrum des Tourismus, teure Flaniermeile, Standort großer Hotels und Sitz bedeutender Handels- und Industrieunter-nehmen. In den 1970er und 1980er Jahren des letzten Jahrhunderts erfolgte ein gewis-ser Niedergang, eine „Boulevardisation und Banlieusardisation“ (WICKERT 2004: 48), mit der Abwanderung vieler namhafter Unternehmen in die umliegenden Straßen sowie eine Ausbreitung von Super- märkten und Fast-Food-Restaurants und einer Verschwin-den privat genutzter Wohnungen zugunsten kommerziell genutzter Büroräume. Diese Entwicklung setzt sich bis heute fort, und das Bild der Champs-Elysées ist vorwiegend von Filialen großer Geschäftsketten geprägt. Die Gründe liegen vermutlich in den hohen Mieten und der Wochenendinvasion von Touristen und Jugendlichen aus den Banlieues.

Auf Grund einer Initiative interessierter Geschäftsleute, Künstler und Medienschaffenden begann unter dem damaligen Bürgermeister von Paris, Chirac, in den 1990er Jahren eine Renovierung und Aufwertung der Champs-Élysées und der umliegenden Straßen mit dem Bau von Tiefgaragen, Neubepflanzungen und dem Verbot allzu greller Neonre-klame u. ä. Maßnahmen der Verschönerung, deren Erfolg jedoch abzuwarten bleibt. Dennoch sind die Champs-Élysées auch heute noch ein repräsentativer Ort für Staats-empfänge, der Parade zum Nationalfeiertag, Endziel der Tour de France und ähnlicher Großereignisse (200-Jahr-Feier der Revolution).

Im Juni 1748, während der Verhandlungen über den Frieden von Aachen, beschloss die Stadt Paris zu Ehren Ludwig XV, ein Denkmal zu errichten, wie es viele andere Städte Frankreichs ebenfalls taten und schuf damit die Voraussetzung für einen neuen Königs-platz in der Stadt. Zwischen der Stadt und dem König wurde vereinbart, dass der König für den Platz und die Stadt für die Statue zuständig sein sollte. Ein erster Wettbewerb brachte 40 Vorschläge mit verschiedenen Standorten, die jedoch von Ludwig XV wegen der im Zusammenhang mit möglichen Enteignungen zu erwartenden hohen Kosten ab-gelehnt wurden. Er bot darauf hin der Stadt ein Gelände an, welches ihm gehörte und außerhalb der Stadt lag, zwischen den Champs-Élysées und den Tuileriengärten. 1753 fand ein zweiter Wettbewerb statt, der 18 Vorschläge erbrachte, über die man sich aber auch nicht einigen konnte. Darauf hin wurde Gabriel (Premier Architecte) beauftragt, die besten Ideen aus allen vorliegenden Plänen zusammenzufassen.

1753 wurde der Platz als achteckige Anlage konzipiert. Im Gegensatz zu den früher ent-standenen großen Plätzen war dieser Platz nach drei Seiten offen; im Westen zu den Champs-Élysées, im Osten zu den Tuileriengärten und im Süden zur Seine hin, mit Blick auf den Palais Bourbon, der späteren Nationalversammlung (die Pont de la Concorde existierte damals noch nicht). Nur auf der Nordseite des Platzes war eine Bebauung vor-gesehen, und zwar rechts und links der Rue Royale das Hotel de la Marine und das Ho-tel Crillon (1760 – 1765), deren äußere Gestaltung sich am Louvre orientierte.

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Abbildung 14: Place de la Concorde72

Der Platz gilt mit seinen circa 80.000 Quadratmeter als der größte und schönste Platz Frankreichs oder sogar Europas. Er war von 24 Meter breiten und 4,5 Meter tiefen Grä-ben umgeben, die wiederum von Balustraden eingefasst waren. An den acht Ecken wur-den je ein Schilderhäuschen erstellt, die später auch als Wohnungen dienten. Der Platz wurde erst 1763 mit der Aufstellung der Reiterstatue Ludwig XV fertig gestellt. Während der Revolution wurde das Reiterstandbild zerstört und der Platz in „Place de la Révoluti-on“ umbenannt. Er wurde Schauplatz zahlreicher Hinrichtungen während der Revolution.

Nach der Revolution wurde der Platz im Jahr 1828 unter Auflagen der Durchführung von Verschönerungen an die Stadt übergeben. Der über die Neu- und Umgestaltung ent-standene Streit wurde durch die Schenkung des Obelisken von Luxor durch Mohamed Ali an Louis Philipe 1831 beendet. Der Obelisk wurde unter großem Aufwand nach Paris transportiert und 1836 aufgestellt. Zur gleichen Zeit erhielt der Platz die beiden von Hit-torf geschaffenen Brunnen, die die Flüsse Rhein und Rhône und die Meere Atlantik und Mittelmeer darstellen. Auf den ehemaligen Schilderhäuschen wurden acht Frauenfiguren aufgestellt, welche die acht bedeutendsten Städte Frankreichs symbolisieren: Straß-bourg, Lille, Brest, Bordeaux, Lyon, Marseille, Nantes und Rouen.

Die wechselvolle Geschichte der Place de la Concorde und die schnell wechselnden politischen Verhältnisse der damaligen Zeit spiegeln sich in der Vielzahl der Namen, die der Platz trug, wider: Ursprünglich Place Louis XV ; 1792 Place de la Révolution ; 1795 Place de la Concorde ; 1826 Place Louis XVI ; 1828 Place Louis XV und 1830 Place de la Concorde.

72 http://www.ho0sier.com/fr/paris/place_de_la_concorde.jpg am 12.11.2004

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Heute ist die Place de la Concorde ein viel befahrener Kreuzungspunkt zwischen Champs-Élysées, Rue de Rivoli, Rue Royale und dem Pont de la Concorde als Verbin-dung zum linken Seineufer.

Rue de Rivoli: Nach Lavedan existierten schon im Jahr 1778 Pläne, eine Straße parallel zu den Tuileriengärten und Louvre als Verlängerung der Champs-Élysées über die Place de la Concorde nach Osten hin zu bauen. Auch im „Plan des Artistes de la Révolution“ (1793 – 1797), in dem die vor der Revolution erstellten Pläne zur Stadtentwicklung zu-sammengefasst waren, ist diese Straße enthalten. Aber die eigentliche Geburtstunde der Rue de Rivoli ist der 21. April 1802, als durch einen Erlass der Bau festgeschrieben wur-de.

Die Rue de Rivoli wurde von Anfang an als Prachtstraße geplant, die sich gleichwertig an die bestehenden Anlagen des Louvre und der Place de la Concorde anschließen soll-te und zunächst nur bis zum Louvre reichte. Sie gilt heute noch als größte städtebauliche Leistung des Empire. Sie ist 3070 Meter lange und 22 Meter breit.

Da der Staat Eigentümer der Grundstücke war, denn das betroffene Gelände war früher Eigentum verschiedener Orden und fiel mit der Revolution an den Staat, konnte er den potentiellen Bauherren strenge Vorschriften auferlegen und somit die schon unter Henri IV und Ludwig XIV begonnene, einheitliche Gestaltung neuer Straßen und Plätze in aller Konsequenz fortsetzen. Vorgegeben waren offene Bogengalerien in Form durchlaufen-der Arkaden nach den Plänen der Architekten Percier und Fontaine, drei Meter breit; darüber drei Obergeschosse, von denen das untere und obere mit durchgehenden Bal-konen mit eisernen Geländern zu versehen waren, darüber ein gebogenes Metalldach, ebenfalls mit durchgehenden Balkonen. Auch die Nutzung der Gebäude war streng reg-lementiert. Zugelassen waren nur Läden und Luxusgewerbe, aber keine Rauch und Lärm verursachenden Betriebe wie Bäckereien oder Metzgereien und an den Gebäuden durfte keine Reklame angebracht werden. Die zu verwendenden Baustoffe, grauer Sandstein, waren ebenfalls vom Staat vorgegeben

Diese strengen Auflagen behinderten den zügigen Ausbau der Rue de Rivoli, da die po-tentiellen Bauherren die mit den strengen Auflagen verbundenen hohen Kosten scheu-ten. Obwohl der Staat die Fassaden baute und durch einen Erlass Napoleons 1811 die Bauherren für 30 Jahre von der Grundsteuer befreit waren, wurde die Straße während der Zeit Napoleons nur bis zum Place des Pyramides fertig gestellt und war bis 1813 nahezu unbebaut.

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Abbildung 15: Rue de Rivoli73

1848 und später 1851 wurde die Verlängerung der Rue de Rivoli über den Louvre hinaus bis zum Hôtel de Ville beschlossen. Mit dem Weiterbau der Straße durch Haussmann von der Place des Pyramides bis zur Place de la Bastille und dem Anschluss an die Rue Saint-Antoine, die ausgebaut und verbreitert wurde, gelang 1865 die Vollendung einer durchgehenden West-Ost-Achse von dem Pont-de-Neuilly über die Place Charles de Gaulle, Champs-Elysées bis zur Place de la Bastille. Diesem Durchbruch der Rue de Rivoli fielen ungefähr 20 bestehende Straßen teilweise oder ganz zum Opfer. Paris ver-fügte nun mit dieser Achse und in Verbindung mit dem Boulevard de Sébastopol /de Strasbourg (1856) und den Boulevard Saint-Michel (1852) zum ersten Mal über einen zentralen Kreuzungspunkt in Nord-Süd- und Ost-West-Richtung.

Der Eiffelturm: „La dame de fer“ wurde, in einer zwei-jährigen Bauzeit, als Eingang für die Weltausstellung 1889 errichtet. Der Ingenieur Alexandre Gustave Eiffel (1832-1923), der auch „Zauberer des Eisens“ genannt wurde, fügte damit der Stadt Paris ein neues Wahrzeichen hinzu. Der Eiffelturm sollte nach der Weltausstellung nur weitere 20 Jahre existieren, im Jahr 2004 feierte er, trotz Zweifel an der Haltbarkeit seiner Stahlkonstrukti-on, seinen 115. Geburtstag.

73 http://gallery.sjsu.edu/paris/architecture/frn13004.jpg am 12.11.2004

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Abbildung 16: Eiffelturm Stadtplan 1:15.000 Paris74

Auf der Pariser Weltausstellung von 1889 wurde der hundertste Geburtstag der französi-schen Revolution gefeiert, wobei der Eiffelturm ihr ein spektakuläres Denkmal setzen sollte. Gebaut wurde mit Eisen, dem neuen Material der Industriellen Revolution. Der Turm sollte ein Symbol des Fortschritts darstelle, den Gipfel des technisch machbaren dieser Zeit.

Die Errichtung des Eisenturmes erregte die Gemüter der Pariser Bevölkerung, von de-nen viele den Turm als ein Monument des Größenwahns ansahen. In der Tageszeitung Le Temps empörten sich Künstler über die „Errichtung dieses sinnlosen und monströsen Eiffelturms mitten im Herzen unserer Hauptstadt“ (Merian 2001: 80).

Der Eiffelturm war bis 1932 (Bau des Empire State Buildings) das höchste Bauwerk der Erde, mit einer Höhe von 324 Metern bis zur Antennenspitze (BAEDEKER 2003): 187). Die erste Etage befindet sich in 57 Meter Höhe; die zweite Etage in 115 Meter Höhe und die dritte Ebene in 276 Meter Höhe. Er besteht aus 18.000 Stahlteilen, die von 2,5 Mio. Nieten zusammengehalten werden und einem Konstruktionsgewicht von 7.300 Tonnen. Alle sieben Jahre erhält der Turm einen neuen Anstrich, mit 60 Tonnen Farbe, wobei der nächste Anstrich im Jahr 2008 erfolgen wird (DROSTE-HENNINGS J. und T. DROSTE 2003: 329). Zur Jahrtausendwende wurde auf der Turmspitze ein Leuchtfeuer installiert, das bei klarem Wetter 80 Kilometer weit zu sehen war.

Der Eiffelturm ist nie verkauft worden und befindet sich nach wie vor im Besitz der Stadt Paris. Das Bauwerk wird seit 20 Jahren von einem Privatunternehmen, der Société Nou-velle d`Exploitation de la Tour Eiffel (SNTE), geführt, die weder Reklame für dem Turm betreibt noch Werbefläche am Turm vermietet. Trotz dem Verzicht von Werbung erfreut

74BAEDECKER 1999

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sich der Eiffelturm großer Bekanntheit. Ein Großteil der europäischen Bevölkerung hält den Eiffelturm sogar für das Bauwerk, das Europa am ehesten repräsentiert (Merian 2001: 79). Die Haupteinnahmen, der SNTE stammen mit 80 Prozent der Gesamtein-nahmen, von den Touristen (Merian 2001: 80), weitere Einnahmequellen für den Betrei-ber sind die Restaurants auf dem Turm.

Abbildung 17: Werbeplakat zur Weltausstellung 188975

3.3 Fazit

Während der Exkursion war vor allem die radikale Durchführung der Stadtplanungsmo-delle gut erkennbar, wie sie für Paris und Frankreich typisch ist. Schon an historischen Beispielen wie den rücksichtslosen Eingriffen Haussmanns in die Stadtgestalt wird dieser Aspekt deutlich, der sich auch in neueren Stadtplanungsprojekten wie Bercy und Les Halles wieder findet.

Weiterhin ist in Paris gut zu beobachten, wie die Funktionen und der Charakter von be-stimmten Stadtvierteln über Jahrhunderte bis heute erhalten blieben. Als Beispiel hierfür dienen das Hauptgeschäftszentrum nördlich der Königsachse und das Universitätsviertel südlich der Ile de la Cité, deren Funktion von der Erbauung bis heute weitgehend erhal-ten blieb.

75 DROSTE-HENNINGS und DROSTE 2003: 66

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Am Beispiel der Königsachse kann man erkennen, wie sich ein städtebaulicher Gedanke durch die Jahrhunderte vom Anlegen der Champs-Elysées bis zum Bau von La Défense fortpflanzt. Hierbei wollten sich die verschiedenen Erbauer ein Denkmal setzen und schufen so die längste städtebauliche Achse der Welt.

Baron Haussmann, der die Strukturen der Stadt in den Jahren 1850 bis 1871 grundle-gend neu gestaltete, erwies sich als sehr vorausschauend. Durch die breit angelegten Straßen, die Paris durchziehen, war die Stadt in der Lage, die Verkehrsmassen der Neu-zeit gut zu bewältigen. Auch aufgrund hygienischer Aspekte waren seine Erneuerungen wie die moderne Kanalisation von großer Bedeutung für die Stadt.

Abschließend kann gesagt werden, dass sich die Stadt Paris auch heute noch bemüht, die vorhandenen Plätze wie den Place de la Concorde zu erhalten. So finden sich in Pa-ris immer wieder riesige Freiflächen, die für die Stadt einen finanziellen Luxus bedeuten und so auch heute noch die Macht der Stadt demonstrieren.

4 Gegenwärtige Strukturen und Entwicklungen des Ver-dichtungsraumes

4.1 Aktuelle städtebauliche Entwicklungen in der Kernstadt}

Das Unterkapitel „Historische und neuere Stadtstrukturen“ behandelt den dynamischen Charakter der Entwicklung der Stadt Paris, beginnend mit der Stadtgründung durch den keltischen Stamm der Parisi vor ca. 300 Jahren v. Chr. auf der Ile de la Cité. Es folgte die Erschließung von Paris auf dem linken Seine- Ufer, dem Quartier Latin durch die Römer, die die Siedlung in „Lutetia“ umbenannten. Des Weiteren wurde auf den Verlauf der Stadtausdehnung, vom Bau der ersten Stadtmauer durch Philippe II. Auguste, die mit dem Wachstum der Stadt immer weiter ausgriff, bis zur Neugestaltung der Stadt un-ter Kaiser Napoleon III und seinem Präfekten Baron Georges-Eugène Haussmann ein-gegangen. Die städtebaulichen Eingriffe, die Haussmann in Paris vornehmen ließ, waren von großer Bedeutung für die Stadt und sind noch heute im Stadtbild allgegenwärtig.

Auf die städtebauliche Entwicklung in der Zeit nach Hausmann bis heute wird im zweiten Teil der Ausarbeitung eingegangen. Neben bekannten Bauwerken wie dem Eiffelturm und dem Tour Montparnasse wird auf den „Leitplan für die Stadtplanung und Stadtent-wicklung von Paris“ eingegangen. Die neueren Stadtstrukturen beziehen sich dabei auf Konzepte der Raumplanung des 20. Jahrhunderts, die zum Teil ganzen Stadtvierteln ein neues Gesicht verliehen.

4.1.1 Städtebauliche Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg

Das Kapitel der neueren Stadtstrukturen von Paris befasst sich mit der städtebaulichen Entwicklung in der Zeit seit Haussmann. Die Sanierungsviertel Bercy und Marais und das Projekt Les Halles sind Beispiele für die innerhalb des „Leitplans für die Stadtpla-nung und Stadtentwicklung von Paris“: Schéma directeur d’aménagement et d’urbanisme de la ville (S.D.A.U.) entwickelten Konzepte, die zur Erneuerung von Paris beitragen sollen. Das Beispiel des Tour Montparnasse soll das Inkrafttreten einer neuen baurechtlichen Norm von 1967 veranschaulichen.

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4.1.1.1 „Leitplan für die Stadtplanung und Stadtentwicklung von Paris“

Aufgrund wachsender Einwohnerzahlen und zunehmendem Platzmangel innerhalb von Paris beschloss die Pariser Planungsbehörde ein grundlegendes Konzept für die Stadt-planung in Paris zu entwickeln, den „Leitplan für die Stadtplanung und Stadtentwicklung von Paris“: Schéma directeur d’aménagement et d’urbanisme de la ville de Paris - abge-kürzt durch S.D.A.U. -, der 1980 mit Ergänzungen und Aktualisierungen der Öffentlich-keit vorgestellt wurde (THEIßEN 1988: 25).

Inhalt des S.D.A.U. ist eine grundlegende Bestandsaufnahme der Situation in verschie-denen Bereichen (z.B. Bevölkerungsentwicklung, Wohnungszustand) der Stadt Paris sowie die Formulierung von Planungszielen zur Verbesserung der Gesamtsituation von Paris.

Als Ziele wurde die Bewahrung der Wohnfunktion in Paris, die Begrenzung der Zahl der Arbeitsplätze und Verhinderung struktureller Einseitigkeit sowie Verhinderung einer zu starken Dissoziierung der verschiedenen Funktionen in der Stadt festgelegt. Es sollte außerdem eine Ausweitung und Verbesserung des Verkehrsnetzes und eine Verbesse-rung der Lebensqualität und Erweiterung der öffentlichen Einrichtungen hergestellt wer-den. Der Charakter von Paris und die Festigung seiner Funktion als Hauptstadt sollten bewahrt werden. Zusammengefasst lautete das Ziel, die „Erneuerung der Stadt“. Maß-nahmen in einzelnen Sektoren („Daseinsberechtigungen“) wurden getroffen wie z.B. Wohnen, Verkehr, innenstädtische Erholung sowie integrative Maßnahmen für ganze Stadtviertel. Während der Exkursion „Verdichtungsraum Paris“ wurden die Stadtviertel, le Marais und Bercy sowie das Projekt les Halles in Bezug auf die neuere Stadtplanung genauer betrachtet.

4.1.1.1.1 Le Marais (4. Arrondissement)

Das Marais-Viertel war ein ehemals sumpfiges Gelände (marais = Sumpf), das bis ins Mittelalter von einem Seitenarm der Seine durchzogen wurde. Zu römischer Zeit wurde eine Straße, durch das Gelände auf dem rechten Seineufer angelegt. Im 13. Jahrhundert wurde dann das Gebiet von Mönchen und Templern entlang der alten Römerstrasse, die heutige Rue St- Antoine trockengelegt und bebaut. Zu dieser Zeit lag das Gebiet noch außerhalb des Festungswalls (Philipp August). In die Stadt einbezogen wurde das Viertel dann ein Jahrhundert später (Ende des 14. Jahrhunderts) unter Karl V., der die Stadt-mauer weiter ausgreifen ließ, wobei der Osten durch die Bastille gesichert wurde. Karl V. bevorzugte das Hôtel St.-Pol (existiert nicht mehr) als Residenz und machte damit das Marais hoffähig. Das Marais gilt als Geburtsstätte des „Hôtel“, der glanzvollen Pariser Stadtwohnungen des französischen Adels. Die Hôtels haben einen zur Strasse hin gele-genen Ehrenhof, ein Haupttrakt mit Seitenflügel und eine rückwärtige Terrasse mit Gar-ten.

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Abbildung 18: Le Marais. Stadtplan 1:15.000 Paris76

Die große Zeit der aristokratischen Stadtpaläste war im 16. und 17. Jahrhundert, als Pa-ris zur glanzvollen Metropole Europas aufstieg und sich die feine Gesellschaft in den Adelspalästen von Marais traf. Es war das vornehme Viertel von Paris, mit Stadtvillen von Adel und Königshäusern.

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts verlor das Quartier seine Attraktivität, da Adel und Hautevolee dem Hof nach Versailles folgten (Ludwig XIV gab den Louvre als Residenz auf). Als dann im 18. Jahrhundert der Westen zum neuen Villenstandort wurde, verfiel der Marais allmählich. Es zogen seither vor allem ärmere Juden in das Viertel. Während dem Aufschwung der industriellen Revolution im

19. Jahrhundert richteten sich Handwerker und kleine Industriebetriebe in den ehemali-gen herrschaftlichen Häusern ein. In den Jahren 1969 und 1976 begannen die ersten Sanierungsprojekte und 1980 erließ die Stadt Paris einen detaillierten Sanierungsplan (plan de sauvegarde et de mise en valeur). Ziel beim Projekt „Le Marais“ war es, die

76 BAEDECKER 1999

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Bausubstanz und die architektonische Einheit des Viertels zu bewahren. Zur Zielverwirk-lichung hat die Stadt viele Gebäude aufgekauft, jedoch kauften auch kapitalkräftige Schichten schon früh neue oder renovierte Wohnungen. Es ist dennoch zu beobachten, dass der Anteil der Mietwohnungen höher ist als der Anteil der Eigentumswohnungen.

In den 1980er Jahren fand ein Gentrificationsprozess statt. Die Aufwertung des Viertels ist zum Beispiel an der neuen Nutzungen von Läden zu erkennen, wie eine ehemalige Bäckerei in der Rue de Sévigné, in der sich heute ein Schuhgeschäft befindet. Der Anteil der Selbstständigen und Personen in leitenden Funktionen an der Gesamtzahl der Be-wohner erhöhte sich um etwa 50 Prozent.

Das Viertel erfuhr einen Bedeutungswandel. Der teuer gewordene Wohnraum zog vor allem Künstler und Boutiquenbesitzer an. Das Marais ist, wie schon im 17. Jahrhundert, wieder eines der beliebtesten Pariser Wohnviertel. Zudem ist es weiterhin das wichtigste Wohngebiet der Pariser Juden. Die Rue des Rosiers ist das Zentrum der jüdischen Ge-meinde, auf ihr befinden sich jüdische Einzelhändler und sehr hochwertiger Einzelhan-del. Zu Bildung dieses jüdischen Ghettos können Kettenwanderungen oder preiswerte Wohnungen beigetragen haben.

Im Viertel le Marais liegt der vom Verkehr abgeschlossene Place des Vosges. Angelegt wurde der Platz von Heinrich IV im Jahr 1605, wobei die Bauarbeiten erst nach seinem Tod abgeschlossen wurden. Der quadratische Platz ist allseitig von 36 identischen Wohnbauten umschlossen. 1639 wurde in der Mitte des Platzes ein Reiterstandbild Ludwigs XIII aufgestellt, das den Platz unmissverständlich als Königsplatz definierte. In den Häusern um den Platz sollten Wohnungen und Läden für die Bürger entstehen, sie wurden jedoch vor allem von Adligen bewohnt und genutzt. Auf den Platz selbst wurden Turniere, die die Macht des Königs demonstrieren sollten, veranstaltet und Feste gefei-ert, die zur Kommunikation und Unterhaltung dienten.

Der Platz verlor mit dem Marais-Viertel im 18. Jahrhundert seine Bedeutung, als die dort lebenden reichen Bürger nach Versailles und in den Pariser Westen umzogen. Der Place Royale wurde nach der Revolution (~1800) in Place des Vosges umbenannt. Wie auch das Viertel verfiel der Platz langsam, da vor allem Arbeiter und ärmere Juden in das Viertel zogen. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Sanierungspläne für den Place des Vosges erstellt. Im Jahr 1980 wurden die Sanierung und Restaurie-rung der Bauten rund um den Place des Vosges abgeschlossen.

Heute werden die oberen Stockwerke vor allem von Wohnnutzung eingenommen, wäh-rend in den unteren Stockwerken Geschäfte und Galerien angesiedelt sind. In beiden Stockwerken sind viele Leerstände zu beobachten. Anscheinend hat das Viertel hier an Attraktivität verloren, diesem Prozess könnte durch Investitionen des Staates entgegen-gewirkt werden, zum Beispiel durch Anbindung an eine Metro-Station und Errichtung von Cafes und Restaurants.

Das Hôtel Carnevalet, im Viertel Marais, ist eines der besterhaltenen Adelspalais der Renaissance in Paris. Von 1547 bis 1572 dauerten die Bauarbeiten an dem Hôtel. Der von drei Flügeln umstellte Ehrenhof gelangte 1866 in den Besitz der Stadt Paris, die drei weitere Flügel auf der Rückseite errichten ließ. Auf dem Ehrenhof steht das einzige Standbild vom Sonnenkönig Ludwig XIV, das die Revolution überstanden hat. Heute be-herbergt das Hôtel, das Museum zur Geschichte der Stadt Paris.

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4.1.1.1.2 Bercy

Bercy liegt im Pariser Osten, dem traditionellen Gebiet des Kleingewerbes, der billigen Mietskasernen, kurz der sozial Schwachen. Bercy ist ein altes Weindorf in dem seit 1965 umfangreiche Sanierungs- und Neubaumaßnahmen stattfanden, durch die das Viertel ein völlig neues Aussehen mit neuen Wohnungen, Bürokomplexen und Grünanlagen erhielt. Seit dem 17. Jahrhundert war Bercy die Verladestation für Wein. Der Freihafen beschäftigte vor seiner Eingemeindung zu Paris 6.000 Arbeiter. Seit den 60er Jahren kämpfte Bercy mit der Konkurrenz anderer Standorte und veralteten Gebäudestrukturen, die Anzahl der Weinimporteure sank stetig und der Flussverkehr hatte an Bedeutung verloren. „Bercy war ein Anachronismus geworden, von modernen Zeiten überrollt, ein-gepfercht in ein hässliches, schepperndes Korsett aus Eisenbahngleisen und Schnellstraßen“ (MERIAN 2001: 92). Die überalterte Bausubstanz der Großwohnsied-lungen und Industriebauten war aber von Vorteil, die vielen freigewordenen Flächen bo-ten neue Möglichkeiten für Konversionsprojekte. Auf dem Gelände der ehemaligen Weindepots in Bercy wurde das neue Finanzministeriums und ein neuer Sportpalast ge-baut. Der Entwurf dafür wurde auf dem Reißbrett gemacht wobei ein „Erlebnis-Viertel der Zukunft“ entstehen sollte, ein Amüsierviertel aus der Retorte, maßgeschneidert für die Freizeitgesellschaft (MERIAN 2001: 92). Neuere Bauprojekte wurden bis dahin vor allem im Zentrum und im Westen von Paris durchgeführt, mit Bercy sollte zudem ein neues Gleichgewicht zwischen den Stadtbezirken hergestellt werden.

Pachtverbote, durch die Betreibergesellschaft Altarea sollten erreichen das sich nur hochwertige französische Ketten ansiedeln. Zum Bedauern der 7.000 Einwohner haben sich, aufgrund der hohen Ladenmieten kaum Metzger oder Bäcker angesiedelt (MERIAN 2001: 96).

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Abbildung 19: Stadtplan 1:15.000 Paris77

Im Jahr 1989 zog das Finanzministerium aus dem Louvre in einen Riesenkomplex der beiden Architekten Paul Chemetov und Borjo Huidobro in Bercy um, dessen Ende im Flussbett verankert ist. Im Jahr 1984 wurde am Boulevard de Bercy 8 das Stadion für Sport- und Musikveranstaltungen eingeweiht.

Die grasbewachsene Pyramide aus einem Stahlgerüst mit einer Glasfront bietet Platz für 17.000 Zuschauer. Im 13 Hektar großen Landschaftspark am Seineufer wurden die alten Weindepots zu Cafés und Weinstuben umgebaut.

In der Cour St.-Emillion 39 befindet sich seit dem Jahr 2000 die Bibliothek des Club Med World mit Restaurants, Live-Musik, Zirkus und Zauberkünstlern. Zu besseren Erreich-barkeit des Viertels wurde die neue Metrolinie, der „Méteor“ gebaut.

77 BAEDECKER 1999

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4.1.1.1.3 Les Halles

Les Halles ist das alte Markthallen-Viertel, das schon im Mittelalter die Begegnungsstätte für das einfache Volk war. Im Jahr 1183 wurden die ersten überdachten Hallen aufge-stellt und im 19. Jahrhundert auf Anordnung von Napoleon III. unter Präfekt Haussmann vom Architekten Victor Baltard (1805-1874) gewaltige Eisenpavillons erbaut, die zum Markenzeichen der Stadt wurden. Bis ins 20. Jahrhundert war das Markthallen-Viertel ein leistungsfähiges Versorgungszentrum, der „Bauch von Paris“ (DROSTE-HENNINGS und DROSTE 2003: 58). Mit steigender Bevölkerung stieg auch der Warenumschlag in den Hallen. Das Markthallen-Viertel gelangte an die Grenze seiner Leistungsmöglichkei-ten. Anfang der 1960er Jahre waren die Verkehrsströme kaum noch zu kanalisieren und so wurde im Jahr 1960 von der Planungsbehörde der Région parisienne die Schließung der Markthalle und die Errichtung eines neuen Marktes in Rungis beschlossen. 1969 nahm Rungis seinen Betrieb auf, wodurch die Markthallen in Paris funktionslos gewor-den waren.

Abbildung 20: Les Halles. Stadtplan 1:15.000 Paris78

Die Verhältnisse rund um die Hallen waren chaotisch. In Folge dieser Tatsachen be-schloss man eine Restrukturierung des Hallen-Viertels, die Eisenhallen wurden 1972 abgerissen. Jahre lang wurde über die Umnutzung des sieben Hektar großen Abrisslo-ches gestritten. 1978 setzte J. Chirac den Bau von einem gemeinsamen Bahnhof von Metro, RER und Eisenbahn durch, heute einer der größten unterirdischen Verkehrskno-tenpunkte und wichtigsten Umsteigestationen in der Region Ile-de-France. Die Riesen-baustelle wurde außerdem gefüllt mit einem gewaltigem Shoppingcenter (Architekten: Claude Vasoni, Georges Pencreach). Immer noch unterirdisch, bis in 25 Meter Tiefe be-findet sich ein riesiger Einkaufs- und Freizeitkomplex, des 1979 eröffneten Forum des Halles, das auf vier verglasten Etagen mit mehr als 300 Geschäften und Boutiquen, Ki-

78 BAEDECKER 1999

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nos, Theatern, Restaurants, Cafés und dem Pavillon des Arts für Wechselausstellungen aufwartet. Es wurde ein Dienstleistungszentrum geschaffen und auch die angrenzende Wohnstruktur wurde erneuert. Im Randbereich wurden Wohnungen und kulturelle Ein-richtungen erbaut. Zwischen dem Forum und der Kirche St. Eustach wurde ein fünf Hek-tar großer Park errichtet.

4.1.1.2 Tour Montparnasse

Mit der Verordnung von 1967 traten neue baurechtliche Normen in Kraft bei der die An-bindung der Bebauung an die Straßenlinie aufgegeben wurde. Durch ein Zurücktreten vom Straßenrand konnte Höhe und Volumen gewonnen werden (SCHÜLE 1997: 72). Zahlreiche neue Hochhäuser, wie sie in Frankreich ab einer Höhe von 50 Metern ge-nannt werden, entstanden. 1970 wurde der Montparnasse- Büroturm erbaut. Der Turm wurde mit 59 Stockwerken und einer Höhe von 209 Metern in der Innenstadt gebaut mit einem ein 70 Meter tiefen Fundament. Der Höhenwahn der 1960er und 1970er Jahre ist in der Innenstadt gestoppt worden. Heute ist faktisch das gesamte Kerngebiet der Stadt denkmalgeschützt.

Abbildung 21: Tour Montparnasse79

4.1.2 Fazit

Während der Exkursion im Verdichtungsraum Paris war vor allem die radikale Durchfüh-rung der Stadtplanungsmodelle gut erkennbar, wie sie für Paris und Frankreich typisch ist. Schon an historischen Beispielen wie den rücksichtslosen Eingriffen Haussmanns in die Stadtgestalt wird dieser Aspekt deutlich, der sich auch in neueren Stadtplanungspro-jekten wie Bercy und Les Halles wieder findet.

79Stadtplan, Quelle unbekannt

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Weiterhin ist in Paris gut zu beobachten, wie die Funktionen und der Charakter von be-stimmten Stadtvierteln über Jahrhunderte bis heute erhalten blieben. Als Beispiel hierfür dienen das Hauptgeschäftszentrum nördlich der Königsachse und das Universitätsviertel südlich der Ile de la Cité, deren Funktion von der Erbauung bis heute weitgehend erhal-ten blieb.

Am Beispiel der Königsachse kann man erkennen, wie sich ein städtebaulicher Gedanke durch die Jahrhunderte vom Anlegen der Champs-Elysées bis zum Bau von La Défense fortpflanzt. Hierbei wollten sich die verschiedenen Erbauer ein Denkmal setzen und schufen so die längste städtebauliche Achse der Welt.

Baron Haussmann, der die Strukturen der Stadt in den Jahren 1850 bis 1871 grundle-gend neu gestaltete, erwies sich als sehr vorausschauend. Durch die breit angelegten Straßen, die Paris durchziehen, war die Stadt in der Lage, die Verkehrsmassen der Neu-zeit gut zu bewältigen. Auch aufgrund hygienischer Aspekte waren seine Erneuerungen wie die moderne Kanalisation von großer Bedeutung für die Stadt.

Abschließend kann gesagt werden, dass sich die Stadt Paris auch heute noch bemüht, die vorhandenen Plätze wie den Place de la Concorde zu erhalten. So finden sich in Pa-ris immer wieder riesige Freiflächen, die für die Stadt einen finanziellen Luxus bedeuten und so auch heute noch die Macht der Stadt demonstrieren.

4.2 Wohnstandorte

Paris war schon immer einer der wichtigsten Wachstumspole Frankreichs, wenn nicht sogar der wichtigste. Dementsprechend ist auch die Bevölkerungsentwicklung dieses Raumes verlaufen. Diese Arbeit zeigt die räumliche Entwicklung der Bevölkerung im Pa-riser Umland auf, und zwar anhand zweier charakteristischen Beispiele, die für die bei-den wichtigsten Phasen dieses Vorganges stehen: die Errichtung der Grands Ensembles in der Petite Couronne und die der Villes Nouvellles in der Grande Couronne. Des Weite-ren ist es sicher sinnvoll, auch Prozesse und Entwicklungen innerhalb der Bevölkerung zu untersuchen und zu versuchen diese zu erklären. So sind es gerade die Einwohner und ihre Handlungen auf der Mikroebene die für bestimmte Veränderungen und Prozes-se auf der Makroebene verantwortlich sind. Jedes Individuum der Pariser Bevölkerung lässt sich durch mehrere Merkmale charakterisieren. Aufgrund dieser Merkmale lässt sich dann eine bestimmte Bevölkerungsstruktur und -verteilung ableiten. So besteht die Möglichkeit die Gesamtbevölkerung auf bestimmte Strukturen und Verteilungen zu un-tersuchen. Diese Ergebnisse lassen dann wiederum Rückschlüsse auf andere Prozesse innerhalb der Stadtentwicklung zu.

4.2.1 Allgemeine Bevölkerungsentwicklung im Pariser Umland

Das Pariser Umland wurde für die Stadt erst mit Einsetzen der Industriellen Revolution in Frankreich zu einem wichtigen Wohnstandort. 1861 belief sich die Einwohnerzahl von Paris auf 1,7 Millionen, im restlichen Gebiet der heutigen Ile-de-France lebten knapp ei-ne weitere Million Menschen. Doch für die vielen neuen Industrieanlagen war kein Platz in der Stadt, so dass ins Umland ausgewichen werden musste. Mit den Fabriken kamen die Industriearbeiter, die sich ihren Wohnraum in der Nähe ihrer Arbeitsplätze suchten. Sie kamen nicht nur aus Paris, sondern aus dem ganzen Land. Seit 1910 entlädt sich

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der ständige Bevölkerungsdruck auf Paris auch ins Umland. Seit 1954 nimmt die Bevöl-kerung von der Kernstadt Paris ständig ab. Damals betrug sie 2,9 Millionen, heute sind es nur noch 2,1 Millionen Einwohner in der Kernstadt (vgl. Tabelle 8). (THEISSEN 1988: 6) Tabelle 8: Bevölkerungsentwicklung in der Ile-de-France 1936 bis 199980

1936 1954 1975 1990 1999Paris 2830 2850 2300 2147 2125

Haut-de-Seine 1020 1118 1439 1391 1429Seine-St.-Denis 776 845 1322 1381 1383Val-de-Marne 685 768 1216 1218 1227Petite Couronne 2481 2731 3977 3990 4039

Seine-et Marne 409 453 756 1075 1194Yvelines 428 519 1082 1306 1354Essonnes 287 351 923 1083 1134Val d'Oise 351 413 841 1048 1106Grande Couronne 1475 1736 3602 4512 4788

Gesamt 6786 7317 9879 10649 10952

Bevölkerung in TausendDépartement

Bis 1975 profitierten in erster Linie die Petite Couronne, danach gibt es kaum noch Zu-wächse, teilweise verringert sich die Bevölkerung in diesen Départments auch wieder. Ein Beispiel für die Ausweitung in die Petite Couronne ist das Projekt der Grands En-sembles. In den 60er Jahren verlagert sich der Schwerpunkt des Bevölkerungszuwach-ses immer mehr nach außen und die Grande Couronne gewann an Bedeutung. Als Bei-spiel für diese Entwicklung wird in Kapitel 3 die Entstehung der Villes Nouvelles gezeigt.

4.2.2 Grands Ensembles als Lösungsansatz für den Bevölkerungszu-wachs

Als Grands Ensembles (große Wohnkomplexe), oder auch Grands Batiments (große Gebäude), bezeichnet man die Großwohnanlagen am Rand französischer Mittel- und Großstädte. Sie können aus bis zu mehreren Tausend Wohneinheiten bestehenden können. (SCHÜLE 1997: 45). Abbildung 22 zeigt die Grands Ensembles im Großraum Paris. Es ist deutlich zu erkennen, dass nur wenige kleine in der Pariser Kernstadt gibt. Die größten mit über 4000 Wohneinheiten liegen im Übergangsbereich Petite Couronne - Grande Couronne.

80 PLETSCH 2001: 142

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Abbildung 22: Grands Ensembles in der Pariser Agglomeration81

Die Grands Ensembles wurden nach den Ideen von Le Corbusier errichtet. Die wichtigs-ten Punkte wurden mit Begeisterung umgesetzt. Erstens: die Auflösung der üblichen Straßenlinie: der Korridorstraße; moderne Straßen sollten nach seiner Ansicht auf einen bebauten oder unbebauten Platz zulaufen. Des Weiteren waren von ihm möglichst weit aufragende Hochhäuser mit einfachen geometrischen Grundrissen vorgesehen. Sie soll-ten den Landschaftsverbrauch des modernen Menschen eindämmen. Weiterhin unter-stützten das Konzept der Grands Ensembles die sich in der ersten Hälfte des 20.Jh. her-auskristallisierende Idee der kompletten Trennung der Daseinsgrundfunktionen, also Wohnen, Arbeiten, Versorgen und Freizeit (vgl. Abbildung 23, Abbildung 24 und Abbildung 25). Dies war jedoch erst mit der Massenmotorisierung möglich. (SCHÜLE 1997: 47)

81SCHÜLE 1997: 46

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Abbildung 23: Der “Blindwütige” Le Corbusier, der gegen die Korridorstraße wettert82

Abbildung 24: Großwohnsiedlung von Sacrelles83

Abbildung 25: Grand Ensemble “La Grande Borne”84

82SCHÜLE 1997: 48 83 SCHÜLE 1997: 47

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Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dieses Konzept mit Begeisterung vom französischen Staat im Städtebau umgesetzt, um den sozialen Wohnungsbau voranzutreiben und den Bedürfnis der Bevölkerung nach billigem, schnell verfügbarem Wohnraum nachzukom-men. Die Grundideen der Grands Ensembles wurden bis in die 80er Jahre hinein ange-wandt. Heute besteht ein Grand Ensemble oft aus mehreren Tausend Wohneinhei-ten(NOIN und WHITE 1997: 112). In den 50ern musste für die rasch wachsende Bevöl-kerung der Städte Wohnraum bereitgestellt werden. Die geometrischen Formen der Hochhäuser Le Corbusiers kamen einer industriell unterstützten, schnellen Fertigstellung von neuen und vor allen Dingen billigen (Miet-)Wohnungen entgegen. Das Konzept der Funktionstrennung und die beginnende Motorisierung der breiten Masse der Bevölke-rung ermöglichte Standorte in der Peripherie, „auf der grünen Wiese“, ohne sich um eine gute Einbindung in den öffentlichen Nahverkehr Gedanken machen zu müssen. Dort war der Baugrund billig und die Arbeitsplätze des sekundären Sektors nicht fern. Positiv er-wähnt werden muss, das diese neuen Wohnungen in Vergleich zu den älteren in den Stadtkernen alle mit eigenem Bad und WC ausgestattet wurden. (SCHÜLE 1997: 46)

Am anfänglich perfekt wirkenden Konzept der Grands Ensembles regte sich aber schnell Kritik. Kritisiert wurden vor allem die Grundidee der Funktionstrennung, und der schnelle Verfall der Gebäude und die damit zusammenhängenden sozialen Auswirkungen. Die strenge Funktionstrennung ist einer der wichtigsten Kritikpunkte am Konzept der Grands Ensembles. Da die Grands Ensembles als reine Schlafstädte konzipiert wurden und fast jegliche Infrastruktureinrichtungen von vornherein ausgeklammert wurden, ergaben sich für ihre Bewohner enorme Wege, die zurückgelegt werden mussten. SCHÜLE formuliert pointiert: „Für das WC in der Wohnung musste der „Durchschnittsbürger“ eine Stunde länger zur Arbeit fahren, seine Kinder hatten einen doppelt so langen Schulweg, ein Kino war nicht zu Fuß erreichbar, der Weg zur Buslinie dauerte eine halbe Stunde und bis zum nächsten Krankenhaus brauchte er eine Stunde.“ Die Grands Ensembles werden heute als steril und „entmenschlicht“ beschrieben. Die Grands Ensembles sind schon von ihrer Idee her unattraktiv für heute lebende Menschen, welche „die Stadt der kurzen Wege“ und das vielfältige Angebot in den Städten bevorzugen. Wer es sich leisten kann, zieht weg oder erst gar nicht her. Dieser Fakt wird besonders deutlich durch die Tatsa-che, dass es sich bei den Wohnungen der Grands Ensembles fast ausschließlich um Mietwohnungen handelt. (SCHÜLE 1997: 46)

Unterstützt wird dieses Wanderungsverhalten durch den baulichen Zustand der Gebäu-de. Die schnelle, billige Bauweise, die zu Beginn dieser Entwicklung so gelobt wurden, wird heute immer mehr zum Problem. Die heruntergekommenen, renovierungsbedürfti-gen Bauten ziehen Vandalismus und Graffitikünstler an. Viele der sowieso schon weni-gen Geschäfte sind nicht nur geschlossen, sondern regelrecht “verrammelt”. Leerste-hende Wohnungen können an ihren kaputten Fenstern und zerlumpten Vorhängen schon von der Straße als solche erkannt werden. In den 80ern wurden einige wenige Versuche zur Verbesserung und Renovierung unternommen. Mit dem Argument, dass dies zu kostspielig sei wurden sie aber schnell wieder eingestellt. Heute vertreten viele die Ansicht, dass es sich bei den Grands Ensembles um verlorene Stadtteile handle, die nicht wieder hergerichtet werden können. (NOIN und WHITE 1997: 114)

84SCHÜLE 1997: 48

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Dies alles hat verständlicherweise Auswirkungen auf die soziale Zusammensetzung die-ser Stadtteile. Wenn die Besserverdienenden wegziehen, bleiben die sozial schwachen zurück: Ausländer, Arbeitslos, un- und schlecht Ausgebildete. Die Ausländer in den Grands Ensembles um Paris stammen hauptsächlich aus den Maghreb-Ländern und Südeuropa. (NOIN und WHITE 1997: 114) Man spricht im Zusammenhang mit den Grands Ensembles auch von Sarcelliastion oder der Krankheit Sarcellitis. Dies bezeich-neten die sozioökonomischen Umstände, die sich mit dieser Wohnform verbinden (s.o.). Abgeleitet werden sie vom Namen des Pariser Vorortes Sarcelles, 20km nördlich von Paris, wo 1954 eines der ersten Grands Ensembles entstand. (PLTESCH 2001: 146)

4.2.3 Villes Nouvelles als Lösungsansatz für den Bevölkerungszuwachs

In den 1960er Jahren wurde davon ausgegangen, dass der zu dieser Zeit stattfindende enorme Bevölkerungszuwachs für Paris anhalten und die Stadt von 8,4 Mio. im Jahr 1962 bis auf 14 Millionen Einwohner im Jahr 2000 anwachsen würde(FALKENBERG 1987: 683). Deshalb wurden im Leitplan von 1965 eine geordnetere Entwicklung für die Region Ile-de-France beschlossen (vgl. Abbildung 26). In sie eingebettet war auch die Idee der Villes Nouvelles (neue Städte). Sie sollten Entlastung für den Pariser Kernraum bringen und wurden deshalb in rund 30km Entfernung zur Kernstadt geplant. Dicht ge-nug, um schnell nach Paris zu gelangen, aber weit genug weg um eigenständig existie-ren zu können. Den die Eigenständigkeit der Villes Nouvelles im Vergleich zu früheren Projekten, wie etwa den Grands Ensembles, ist ihre Besonderheit. (THEISSEN 1988: 39)

Als Vorbild für die Villes Nouvelles dienten die englischen New Towns, jedoch wurde in Paris in wesentlich größeren Dimensionen geplant. Die New Towns waren für 50.000 Einwohner gedacht, jede Villes Nouvelles sollten bis zum Jahr 2000 Wohnraum für 500.000 bis 1Million Einwohner bieten. Schnell merkten die Verantwortlichen aber, dass ihre Vorhaben etwas überdimensioniert waren. Schon 1969 wurden aus den acht ge-planten Villes Nouvelles fünf mit nur 300.000 bis 500.000 Bewohnern. 1976 wurde noch einmal verkleinert (vgl. Tabelle 9).

Die heutigen Villes Nouvelles entstanden durch das Zusammenschließen mehrere zuvor unabhängiger kleiner Gemeinden. Diese waren zuvor unabhängig und überwiegend ländlich geprägt und sollen in die nun geplanten Konzepte integriert, werden um einen organisch gewachsenen Eindruck zu vermitteln (PLETSCH 2003: 149).

Die Grundidee der Villes Nouvelles, die von den New Towns übernommen wurde, ist das Prinzip der Funktionsmischung. Sie sollen alle vier Daseinsgrundfunktionen, Wohnen, Arbeiten, Versorgen und Freizeit, befriedigen. Darüber hinaus sollen sie als Unterzentren für den umgebenden Raum dienen, und so zu einer Dezentralisierung des Pariser Raums beitragen (THEISSEN 1988: 37). Weiterhin wird eine Identifikation der Einwohner mit „ihrer“ Stadt ermöglicht, weil sich dort große Teile ihres Lebens abspielen.

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Abbildung 26: Die Nouvelles Villes im Großraum Paris85

Tabelle 9: Bevölkerungs- und Wirtschaftsdaten zu den Villes Nouvelles im Großraum Pa-ris86

Bevölkerung in Tausend Zahl der

Gemeinden 1976 maximal geplant für 2000

tatsächlich 2000

Arbeitsplätze in Tausend

Cergy-Pontoise 11 200 178 84

Evry 4 300 81 47

Marne-la-Vallée 26 300 247 102 Saint-Quentin-en-Yvelines 7 300 143 81

Melun-Sénart 10 300 95 26

Gesamt 58 1400 744 341

85THEISSEN 1988: 40 86eigene Darstellung nach PLETSCH 2003: 149 und THEISSEN 1988: 39

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Das Prinzip der Mischung findet sich auch bei den einzelnen Daseinsgrundfunktionen Wohnen, Arbeit, Freizeit und Versorgung wieder. Es wird nicht nur eine Wohnform vor-gegeben, Eigentum und Miete werden gemischt angeboten. Einfamilien- und Doppel-häuser existieren neben Mehrfamilienhäusern und Großwohnanlagen (vgl. Abbildung 27 bis Abbildung 29). Die Großwohnanlagen sind von verschiedenen Architekten als Kunst-objekte geplant und sollen in allen fünf Villes Nouvelles unterschiedlich sein, um Gleich-förmigkeit zu vermeiden. (SCHÜLE 1997: 53).

Abbildung 27: “Le Camembert” in Marne-la-Vallée87

Abbildung 28: Einfamilienhäuser in Saint-Quentin-en-Yvelines88

87PLETSCH 2003:150 88SCHÜLE 1997: 49

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Abbildung 29: “Les Pyramides” in Evry89

Ein relativ hoher Prozentsatz der angebotenen Arbeitsplätze liegt im tertiären Sektor, jedoch bemühen sich die Städte auch um die Ansiedlung von Industrie. Möglichst viele der Stadtbewohner sollen auch dort arbeiten, weiterhin sollen Leute aus dem Umland in die Villes Nouvelles einpendeln. Bereits 1984 betrug die Arbeitsplatzquote, also das Ver-hältnis von Arbeitsplätzen zu Erwerbspersonen in den Villes Nouvelles, rund 0,8. Kein schlechtes Ergebnis, wenn man bedenkt, dass weder kommunale noch staatliche Sub-ventionen oder Vergünstigungen gewährt wurden. Jedoch waren die Villes Nouvelles neben dem neu eingerichteten Flughafen die einzigen Standorte für die Ausnahmege-nehmigungen zur Ansiedlung von Industrie gewährt wurden. Damit arbeiteten die Villes Nouvelles den Dezentralisierungsbestrebungen der französischen Raumordnungspolitik entgegen. Die dazu dienenden Ansiedlungsbeschränkungen wurden allerdings 1985 aufgehoben. (FALKENBER: 1987: 686).

Mit jedem neu errichteten Stadtviertel in den Nouvelles Villes wurden auch den Anforde-rungen an Schulplätzen Folge getragen. Dies war besonders wichtig wenn man die So-zialstruktur dieser Städte bedenkt (THEISSEN 1988: 42). Evry besitzt heute eine Univer-sität mit rund 10.000 Stundenten (2000). (http://www.villes-nouvelles.equipement.gouv.fr/base/evry/-index.html)

In den Villes Nouvelles wurden nicht nur die Wohn- und Arbeitsbereiche großzügiger als in den übrigen, älteren urbanen Gebieten der Ile-de-France, es wurde auch viele Grün-flächen und Parks angelegt. Da Paris doch eine zu starke Konkurrenz ist, was gehobene kulturelle Freizeitmöglichkeiten betrifft, wurde versucht, den Schwerpunkt mehr im Sport- und einfacheren Freizeitbereich zu setzten: neben vielen Sportstätten befinden sich in den Stadtzentren Kinos und Restaurants. (THEISSEN 1988: 43)

Die Villes Nouvelles haben eigene Verwaltungen, Präfekturen in Cergy, Evry und Melun-Sénart. Die Anbindungen nach Paris sind recht gut und auch innerhalb und auf das Um-land bezogen bestehen ausreichende Möglichkeiten öffentliche Verkehrsmittel zu nut-

89NOIN & WHITE 1997:118

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zen. In den Innenstädten befinden sich Kaufhäuser, Handelszentren und Fußgängerzo-nen auf denen Freizeit und Versorgung ineinander übergehen. Dies ist auch für das Um-land wichtig, da die Villes Nouvelles ja als Unterzentren fungieren sollen. (THEISSEN 1988: 43)

Die Villes Nouvelles stellen augenscheinlich ein gelungenes Projekt dar, jedoch finden Kritiker auch Punkte, die sie bemängeln können. Die Villes Nouvelles sind gewiss nicht das Nonplusultra der modernen Stadtentwicklung, aber niemand kann bestreiten, dass sie sich wesentlich besser entwickeln als vorangegangene Projekte, wie die Grands En-sembles.

Der wichtigste und verständlichste Kritikpunkt bezieht sich auf die in den Villes Nouvelles entstandenen Sozialstrukturen, besser gesagt, auf das Auftreten von Segregationen be-züglich Alter, Qualifikation und ethnische Zusammensetzung (PLETSCH 2003: 150). Die entstandenen Wohn- und Lebensverhältnisse ziehen vor allem junge Familien mit Kin-dern an. Sie sind auch verantwortlich für die teilweise starken Bevölkerungszunahmen der Städte. Die Gruppe der alten Leute ist unterbesetzt, da es für sie meist keinen Grund gibt überhaupt noch einmal umzuziehen. Dies könnte sich aber mit der Zeit ändern, wenn die jungen Leute einfach älter werden. Dann sollten sich auch die Angebote der Villes Nouvelles auf diese veränderten Anforderungen ihrer Bewohner anpassen. Durch das Arbeitsplatzangebot wird natürlich auch die Qualifikations- und Berufsstruktur der Einwohner in den Villes Nouvelles beeinflusst. Sie stellt sich fast ausschließlich aus Ar-beitern, einfachen und mittleren Angestellten zusammen (FALKENBERG 1987: 686). Die ethnische Zusammensetzung ist relativ homogen, der Ausländeranteil wird als gering angegeben, und da er auch nicht gepaart ist mit hoher Arbeitslosigkeit und extrem-schlechten Wohnbedingungen, wie dies z.B. in den Grands Ensembles der Fall ist, erge-ben sich dadurch keine nennenswerten Spannungen.

Als weiterer Punkt wird das Verhältnis der 58 Villes Nouvelles-Gemeinden gegenüber den übrigen 385 Gemeinden der Region kritisiert. SCHÜLE unterstellt den Parisers eine Kolonialisierung ihres Umfelds. Weiterhin gibt er an, dass die besondere Förderung der Villes Nouvelles-Gemeinden zur Vernachlässigung anderer führt. Erhebliche Teile des regionalen Budgets wurden für Landkauf und Erschließung für die Villes Nouvelles aus-gegeben. Die Grundstückskäufe umfassten mit 20.000 Hektar das Doppelte der Fläche von Paris.

4.2.4 Alleé Vivaldi als Beispiel für ein Grands Ensembles

Die Grands Ensembles in der Alleé Vivaldi am Jardin de Reuilly im 12éme Arrondisse-ment sind eine relativ neues Bespiele für dieses Art des Bauen in der Pariser Kernstadt. Sie wurde erst von 1987 bis 1994 auf nicht mehr genutzten Flächen des Gare de Lyon errichtet und damit sehr spät als das Konzept Grands Ensembles eigentlich schon aus der Mode gekommen war. Es entstanden 800 neue Wohneinheiten, überwiegend Sozi-alwohnungen und 35.000m² Bürofläche. Die Alleé Vivaldi ist also entgegen der Idee von Funktionstrennung ein gemischt genutztes Gebiet. Neben den Büros sind auch ver-schiedene andere Versorgungs- und Freizeiteinrichtungen entstanden. U.A. gibt es eine Grundschule, einen Kindergarten, einen Spielplatz, ein Sozialzentrum, ein Einkaufszent-rum sowie ein Schwimmbad. Nicht zu vergessen sind, vor allem bei der relativ geringen Größe von 800 Wohnungen, die Infrastruktureinrichtungen die sich für die Alleé Vivaldi

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aus ihrer sehr zentralen Lage in Paris ergeben. Dies alles macht dieses Grand Ensemble zu einem attraktiven Wohnstandort. Der bedrückende Eindruck, den Pletsch und ande-ren Autoren als so typisch dargestellt wird, kann eigentlich nicht nachempfunden werden, wenn man durch die Alleé Vivaldi auf den Jardin de Reuilly zuläuft. Denn gepflegte Grünanlagen und spielende Kinder vermitteln selten einen berückenden Eindruck. Abbildung 30 zeigt die Zentrale Achse der Alleé Vivaldi im Spätsommer 2004. (PLTESCH 2003: 243 und eigene Beobachtungen 2004)

Abbildung 30: Alleé Vivaldi mit Blick Richtung Jardin de Reuilly90

4.2.5 Evry als Beispiel für eine Villes Nouvelles

Evry liegt süd-östlich von Paris, rund 30km von der Kernstadt und 12km von Orly ent-fernt. Baubeginn für die Ville Nouvelle war 1969. Damals wohnten in diesem Gebiet rund 10000 Menschen, Evry hatte rund 7.000, die benachbarten Ortschaften Lisses, Bon-douffle und Courcouronnes je rund 1.000 Einwohner. Heute leben dort 80.000 Leute 50.000 davon in Evry-Stadt. Damit ist sie die kleinste der Villes Nouvelles, und sollte deshalb am schnellsten einen Eindruck über den heutigen Zustand dieser Projekte ge-ben können.

Der Ausbau der Stadt verlief segmentartig. Eines der ersten fertig gestellten Segmente war die Großwohnsiedlung „Les Pyramides“. 1971 wurden die Fußgängerzone „Agora“

90 Aufnahme der Exkursionsteilnehmer 2004

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und das Einkaufszentrum „Evry2“ eingeweiht, welche die Versorgung der Anwohner si-chern sollten und die Stadt als übergeordnetes Zentrum für die Umgebung attraktiver machen sollte. Angrenzend an die Agora war auch ein Wochenmarkt geplant, aber die-ser wurde aufgrund von zu geringer Nachfrage schon nach sechs Monaten wieder abge-schafft. An seiner Stelle befindet sich nun ein Parkplatz. Das modern geplante Stadtzent-rum macht heute insgesamt einen etwas „schmuddeligen“ Eindruck, auch wenn versucht wird, die Agora mit modernen Kunstwerken aufzuwerten. In den 70er Jahren wurde im „Blockkonzept“ gebaut, d.h. es gibt einen Erbauer, der einen größeren Block plant, den Bau finanziert und später kleinere Einheiten an andere weiterverkauft oder vermietet hat. Da dies aber große finanzielle Risiken für den Erbauer beinhaltet, ist man in den 80er Jahren dazu übergegangen, die Baublöcke kleiner zu machen, um das Risiko für die Investoren zu verringern und kleinräumigere Strukturen zu erhalten. Heute ist das Gebiet von Evry fast vollständig aufgefüllt. Die noch freien Flächen sind für die weitere Ansiede-lung von Industrie oder spezielle Wohngebiete, wie das geplante Studentenwohnheim vorgesehen. (M. XXX, Evry, 2004 und eigene Beobachtungen, 2004)

Gleichzeitig mit der Entstehung der Nouvelle Ville wurde auch eine neues Verkehrsleit-system für Evry angelegt. Die A6, welche mitten durch das Gebiet verläuft, sollte einer-seits die Anbindung an Paris mit dem Auto sichern, andererseits aber auch um Lisses, Bondouffle und Courcouronnes vor der geplanten stark verdichteten Bebauung in Evry zu schützen. Zu den Umgehungsstraßen kommt noch der ÖPNV: Evry ist mit 3 Bahnhö-fen an die Linie D des RER angebunden, welcher von hier aus in ungefähr eine halbe Stunde braucht, um den Pariser Kernraum zu erreichen. (M. XXX, Evry, 2004)

Viele der 50.000 Arbeitsplätze Evrys gehören zum sekundären Sektor. Denn die Neuan-siedlung von Industrie in der Ile-de-France war nur in den Gebieten der Nouvelles Villes und am neuen Flughafen möglich. Dies hat auch Auswirkungen auf die Bevölkerungszu-sammensetzung in Evry. Hier leben heute wenig hochqualifizierte, eher mittlere und we-nig qualifizierte Bevölkerungsgruppen. Besser verdienende Gruppe versuchen oft aus der Stadt ins Grüne zu ziehen und in einer der Umlandgemeinden Wohneigentum zu erwerben. Der Anteil der farbigen Bevölkerung im Stadtbild erscheint dem Betrachter relativ hoch, wobei jedoch keine Aussagen darüber gemacht werden konnten, inwieweit diese einen französischen Pass besitzen. Die Einwohner von Evry selber sind hochmobil und sehr jung. Jedes Jahr wandern 15% der Bevölkerung über die Gemeindegrenze, wobei die Gesamteinwohnerzahl in den letzten Jahren kaum noch verändert hat. 35% der Einwohner sind jünger als Zwanzig. Die hat natürlich auch Auswirkungen auf die an-sässigen Schulen. Es gibt sehr viele Grund- und weiterführenden Schulen, sowie Be-rufsschule und seit 1991 auch eine Universität. (M. XXX, Evry, 2004 und eigene Beo-bachtungen, 2004)

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Abbildung 31: Beispiel für ein Blockkonzept der 70er Jahre aus der Innenstadt in Evry91

Heute besitzt Evry nicht mehr den Status einer Ville Nouvelle mehr, sondern ist eine ganz normale Gemeinde, denn das Programm der Ville Nouvelles, und damit alle Ver-günstigungen, lief 2000 aus. Die Steuern sind deshalb verglichen mit dem Umland relativ hoch, da die Stadt viel Geld braucht, um die Kredite für den Bau der öffentlichen Einrich-tungen zurückzuzahlen. Jedoch ist die Arbeitslosenquote mit offiziell 1,3% beneidens-wert gering. (M. XXX, Evry, 2004)

Und noch eine kleine Besonderheit ist zu erwähnen: in Evry steht die erste neu gebaute Kathedrale Frankreichs, seit der Trennung von Staat und Kirche Anfang des 20. Jh. Denn seit dem muss die Kirche für derartiges selbst aufkommen, da sie vom Staat nicht mehr bezuschusst wird. (M. XXX, Evry, 2004)

91 eigene Aufnahme, 2004

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Abbildung 32: Parkplatz auf dem ehemaligen Wochenmarktgelände, im Hintergrund: die Ago-ra40.

4.2.6 Bevölkerungsstruktur und -verteilung in Paris

Die Bevölkerungsstruktur lässt sich in stadtgeographischer Hinsicht nach verschiedenen Aspekten untersuchen. So kann die Bevölkerung nach demo-graphischen, ethnischen, sozialen oder wirtschaftlichen Merkmalen unterschieden werden. Großstädte weisen oftmals eine spezielle Bevölkerungsverteilung auf. Dabei fällt auf, dass es in Großstäd-ten oftmals vorkommt, dass innerhalb der Wohngebiete die meisten Menschen ähnliche Merkmale aufweisen. Diese Bevölkerungsstruktur basiert auf ethnischer, sozialer, wirt-schaftlicher oder demographischer Segregation. Vor allem im sozialen, wirtschaftlichen und ethnischen Bereich ist diese Trennung auffällig. So kommt es in Großstädten, z.B. zu sog. „reichen“ und „armen“ Vierteln. Des Weiteren kann es neben den Segregations-prozessen auch zu Gentrifizierungsprozessen kommen. Mit dem Begriff Gentrifizierung bezeichnet man die aufwendige Sanierung und Modernisierung von Wohngebäuden, verbunden mit der Verdrängung einkommensschwächerer Bevölkerungsgruppen. Dabei werden die Wegbereiter der Gentrfikation Pioniere genannt, die zur Aufwertung beitra-gen Gentrifier. Die folgende Tabelle zeigt nun Merkmale und mögliche Gründe für Segregations- und Gentrifikationsprozesse auf.

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Tabelle 10: Gründe und Merkmale für Segregation bzw. Gentrifikation92

Segregation Gentrifikation Merkmale > Entmischung/Trennung der Bevölkerung nach > Verdrängung einer statusniedrigeren bestimmten Merkmalen (soziale, ethnische, Bevölkerung durch eine statushöhere demographische, usw.) innerhalb eines Stadt- Bevölkerung gebietes > bauliche Aufwertung innerstadtsnaher Wohn- und Gewerbegebiete > Verbesserung des Wohnumfeldes Gründe > soziale Distanz zwischen Bev.-gruppen > Lebensstilgruppe mit dem Wunsch,

> große Varianz im Einkommen der Bev. (unfreiwillige Segregation)

in der Stadt zu leben (meist kinderlose Haushalte)

> Bindung zu Familienmitglieder > architektonische attraktive Bausub- (freiwillige Segregation) stanz und günstige Entwicklungs- Perspektive > Veränderungen der Tätigkeits- und Wohnformen

4.2.7 Vergleich: 19. Arrondissement – 16. Arrondissement

Durch Segregation beeinflusste Viertel findet man auch in Paris. Schon im 17./18.Jh. konnte man zwischen dem reichen Pariser Westen und den Arbeitervierteln im Osten deutliche Unterschiede in der Baustruktur und in der Arbeits- und Lebensqualität feststel-len. Wie sich diese soziale Differenzierung heutzutage darstellt, soll anhand eines Ver-gleiches zwischen dem 16. und dem 19. Arrondissement aufgezeigt werden. Um einen Vergleich zwischen den zwei Arrondissements zu ermöglichen, wurden die Arrondisse-ments hinsichtlich verschiedenster Variablen und Indikatoren untersucht.

Das Untersuchungsgebiet ist zweigeteilt. Das 19. Arrondissement stellt den ersten Teil und das 16. Arrondissement stellt den zweiten Teil dar. So wurde ein Stadtteil im Pariser Osten und einer im Pariser Westen untersucht. Beide Viertel sind Wohnviertel und gehö-ren zur Pariser Kernstadt. Dies sind allerdings fast schon die einzigen Gemeinsamkeiten dieser beiden Arrondissements. So unterscheiden sich die Arrondissements hinsichtlich ihrer Bevölkerungsdichte erheblich. Während die Bevölkerungsdichte im 16. Arrondis-sement 20.618 EW/km² beträgt, weist das 19. Arrondissement mit 25.453 EW/km² einen deutlichen höheren Wert auf. Aus Zeitgründen konnten nicht die kompletten Arrondisse-ments untersucht werden. Es wurden lediglich ein paar Straßenzüge der Arrondisse-ments untersucht. Das waren im 19. Arrondissement die Straßen Rue de Crime, Rue Melingue, Quai de Loire, Rue petit, Rue de la villette und die Avenue Jean Jaures. Im 16. Arrondissement waren es die Straßen Avenue Foch, Avenue R. Poincare, Rue St. Didier, Rue de Sablons und die Rue Mermil.

92 Eigene Darstellung

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Abbildung 33: Schematische Darstellung der Lage des 19. (roter Kreis) und des 16. (gelber Kreis) Arrondissements in Paris93

Für die Untersuchungen der einzelnen Arrondissements standen 15 Studenten zur Ver-fügung. Für das 19. Arrondissement wurden 15 Beobachtungsbogen zurückgegeben und für das 16. Arrondissement 13 Bögen. Die Studenten wurden in Dreiergruppen aufgeteilt. Jede Dreiergruppe musste dann pro Arrondissement einen Straßenzug untersuchen. Auf eine gesonderte Schulung hinsichtlich des Beobachtens wurde verzichtet. Lediglich eine kleine Erläuterung hinsichtlich der Aufgabenstellung wurde zu Beginn der Untersuchun-gen gegeben. Auch die zu knapp anberaumte Zeit schränkte die Studenten stark ein, um eine genauere Untersuchung der Stadtteile durchzuführen. So mussten sich die Studen-ten oftmals mit groben Abschätzungen weiterhelfen.

Im Folgenden sollen nun die Ergebnisse einer tabellarischen Auswertung der Beobach-tungen aufgezeigt und danach analysiert werden. Dabei wird nun zuerst das 16. mit dem 19. Arrondissement hinsichtlich der Variablen Gebäudestruktur und Gebäudezustand anhand einer Kreuztabelle verglichen. Grundlage für die Bewertung war die Einschät-zung der Arrondissements nach den Schulnotenprinzip 1 bis 6. Andere Variablen wie Geschosshöhe und Bauzeit werden anhand eines Säulendiagramms dargestellt (zusätz-liche Ausführungen zu den methodischen Aspekten werden in Kapitel 5.1 dargelegt.).

Die Tabelle 11 zeigt, dass die Gebäudestruktur im 16. Arrondissement durchgehend po-sitiv bewertet wird. So geben drei Beobachter der Gebäudestruktur die Note 1, vier Be-obachter die Note 2 und sechs Beobachter die Note 3. Kein Beobachter stuft die Gebäu-destruktur im 16. Arrondissement mit der Note 4 oder schlechter ein. Im Gegensatz dazu stuft lediglich ein Beobachter die Gebäudestruktur im 19. Arrondissement mit der Note 2 ein. Vier Beobachter teilen der Gebäudestruktur die Note 3 zu, sechs Personen die Note 4 und weitere vier Personen sogar die Note 5. Es soll dabei aber angemerkt werden, dass kein Beobachter die Note 6 der Gebäudestruktur im 19. Arrondissement zuweist.

93 Eigene Darstellung

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Die Gebäudestruktur im 19. Arrondissement wird somit zwar deutlich schlechter bewertet als die Gebäudestruktur im 16. Arrondissement, sie wird aber nicht als katastrophal be-schrieben. Tabelle 11: Kreuztabelle Arrondissement – Bewertung der Gebäudestruktur94

Gebäudestruktur Arrondissement Note 16 19 Gesamtergebnis1 3 0 3 2 4 1 5 3 6 4 10 4 0 6 6 5 0 4 4 Gesamtergebnis 13 15 28

Tabelle 12: Kreuztabelle Arrondissement – Bewertung des Gebäudezustandes95

Gebäudezustand Arrondissement Note 16 19 Gesamtergebnis2 10 3 13 3 3 1 4 4 0 7 7 5 0 4 4 Gesamtergebnis 13 15 28

0%10%20%30%40%50%60%70%80%90%

100%

Anteil in %

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

15 Beobachter + Durchschnitt

Geschosshöhen 19. Arrondissement

mehrst.siebenst.sechsst.fünfst.vierst.dreist.zweist.einst.

Abbildung 34: Geschosshöhen im 19. Arrondissement. Die ersten 15 Zylinder stellen die ein-zelnen Beobachtungsergebnisse dar, der 16. Zylinder stellt den Durchschnitt dar96

94 Eigene Darstellung 95 Eigene Darstellung 96 Eigene Darstellung

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80

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90%

100%

Anteil in %

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

13 Beobachter + Durchschnitt

Geschosshöhen 16.Arrondissement

mehrst. siebenst. sechsst. fünfst. vierst. dreist. zweist. einst.

Abbildung 35: Geschosshöhen im 16. Arrondissement. Die ersten 13 Zylinder stellen die ein-zelnen Beobachtungsergebnisse dar, der 14. Zylinder stellt den Durchschnitt dar97

Ein ähnliches Bild wie Tabelle 11 zuvor zeigt auch Tabelle 12. So bewerten die Beob-achter den Gebäudezustand im 16. Arrondissement mit der Note 2. Lediglich drei Perso-nen weichen von dieser Bewertung ab und bewerten den Gebäudezustand mit einer 3. Wiederum deutlich schlechter schneidet der Zustand der Gebäude im 19. Arrondisse-ment ab. So bewerten nur zwei Personen den Zustand mit der Note 2, lediglich einer mit der Note 3, dagegen sieben Beobachter mit der Note 4 und immerhin vier Personen be-werten den Gebäudezustand mit der Note 5.

Anhand der Abbildungen lässt sich nur schwer eine Aussage über die Geschosshöhen in den Arrondissements 16 und 19 machen. Über 50 % der beobachteten Häuser haben aber sieben oder mehr Stockwerke. Des Weiteren fällt auf, dass die einzelnen Beobach-tungsergebnisse innerhalb eines Arrondissements sehr unterschiedlich sind. Dies lässt sich durch die verschiedenen Straßenzüge, die beobachtet werden mussten, erklären.

Mit Hilfe der Indikatoren EH-Angebot, Verkehrsaufkommen, Freizeitangebot und Grün-flächen wird nun die Wohnattraktivität am Mikrostandort beurteilt. Tabelle 13: Kreuztabelle Arrondissements – Qualität des EH-Angebots98

EH-Angebot Arrondissement Note 16 19 Gesamtergebnis1 5 0 5 2 5 1 6 3 0 3 3 4 0 3 3 5 3 8 11 Gesamtergebnis 13 15 28

97 Eigene Darstellung 98 Eigene Darstellung

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Tabelle 14: Kreuztabelle Arrondissements – Verkehrsaufkommen99

Verkehrsaufkommen Arrondissement Note 16 19 Gesamtergebnis2 5 7 12 3 2 5 7 4 0 1 1 5 6 1 7 k.A. 0 1 1 Gesamtergebnis 13 15 28

Tabelle 15: Kreuztabelle Arrondissements – Qualität des Freizeitangebots100

Freizeitangebot Arrondissement Note 16 19 Gesamtergebnis3 6 4 10 4 1 3 4 5 6 8 14 Gesamtergebnis 13 15 28

Tabelle 16: Kreuztabelle Arrondissements – Grünflächen101

Freizeitangebot Arrondissement Note 16 19 Gesamtergebnis3 6 4 10 4 1 3 4 5 6 8 14 Gesamtergebnis 13 15 28

Tabelle 13 zeigt, dass die Hälfte der Beobachter (also 14 von 28) das EH-Angebot mit der Note 4 oder schlechter beurteilen. Lediglich drei, der 14 negativen Bewertungen, werden dabei dem 16. Arrondissement zugeteilt, die restlichen elf fallen auf das 19. Ar-rondissement. Drei andere Beobachter schätzen das EH-Angebot im 19. Arrondissement als befriedigend ein. Lediglich ein Beobachter stuft das EH-Angebot im 19. Arrondisse-ment als gut ein. Dagegen bewerten im 16. Arrondissement gleich fünf Beobachter das EH-Angebot als sehr gut und weitere fünf als gut. Insgesamt schließt das EH-Angebot im 16. Arrondissement im Vergleich zum 19. Arrondissement deutlich besser ab.

In Tabelle 14 sind die Ergebnisse zum Verkehrsaufkommen aufgelistet. Ein zu hohes bzw. ein sehr gutes Verkehrsaukommen senkt die Wohnattraktivität der Arrondisse-ments. Diese Tabelle zeigt, dass im größten Teil des 19. Arrondissements das Ver-kehrsaufkommen mit gut bzw. befriedigend bewertet wird. In dem 16. Arrondissement ist eine größere Varianz zu erkennen. So bewerten sechs Beobachter das Verkehrsauf-

99 Eigene Darstellung 100 Eigene Darstellung 101 Eigene Darstellung

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kommen als mangelhaft und weitere fünf Personen als gut. Dagegen wurde die Note 3 nur von zwei Beobachtern belegt. Kein Beobachter stufte das Verkehrsaufkommen im 16. Arrondissement als ausreichend ein. Diese große Varianz ist durch die Tatsache zu erklären, dass ein Teil der Beobachter Hauptverkehrsstraßen und ein anderer Teil Ne-benstraßen untersucht haben.

Das Freizeitangebot wird wie folgt bewertet: Im 16. Arrondissement bewerten sechs Be-obachter das Freizeitangebot als mangelhaft, sechs weitere Personen als befriedigend und eine weitere Person als ausreichend. Im 19. Arrondissement bewerten sogar acht Beobachter das Freizeitangebot als mangelhaft, drei als ausreichend und vier als befrie-digend. Die Noten 1 und 2 werden von den Beobachtern nicht gewählt. Dies lässt darauf schließen, dass in beiden Arrondissements die Freizeitmöglichkeiten sehr eingeschränkt vorhanden sind.

Der letzte Indikator, der nun analysiert werden soll, sind die Grünflächen. Das Vorhan-densein von Grünflächen steigert die Wohnattraktivität des Arrondissements. Ähnlich wie zuvor beim Indikator Freizeitangebot schneiden beide Arrondissements sehr schlecht ab. So bewerten im 16. Arrondissement sieben von 13 Beobachtern und im 19. Arrondisse-ment sogar 11 von 15 Beobachtern die Grünflächen als mangelhaft. Während im 16. Arrondissement je ein Beobachter die Grünflächen mit der Note 1 bzw. 2 bewertet, stuft kein Beobachter des 19. Arrondissement die Grünflächen als gut oder besser ein.

Abbildung 36: Bauzeit der Gebäude im 19. Arrondissement. Die ersten 15 Zylinder stellen die einzelnen Beobachtungsergebnisse dar, der 16. Zylinder stellt den Durchschnitt dar102

102 Eigene Darstellung

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

Anteil in %

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

15 Beobachter + Durchschnitt

Bauzeit der Gebäude im 19. Arrondissement

nach 1945

vor 1945

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0 10 20 30 40 50 60 70 80 90

100

Anteil in %

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

13 Beobachter + Durchschnitt

Bauzeit der Gebäude im 16. Arrondissement

nach 1945 vor 1945

Abbildung 37: Bauzeit der Gebäude im 16. Arrondissement. Die ersten 13 Zylinder stellen die einzelnen Beobachtungsergebnisse dar, der 14. Zylinder stellt den Durchschnitt dar103

Anhand der Abbildung 36 und Abbildung 37 lassen sich Aussagen über die Bauzeit der Gebäude in den einzelnen Arrondissements machen. Während im 16. Arrondissement die Anzahl der Gebäude, die vor 1945 erbaut wurden, deutlich überwiegt, ist der Anteil der Gebäude im 19. Arrondissement, die schon vor 1945 erbaut worden sind, knapp un-ter 50 %. Dies lässt darauf hinweisen, dass über die Hälfte der Gebäude im 19. Arron-dissement erst in den letzten 60 Jahren erbaut wurde. Es ist dabei anzunehmen, dass es sich oftmals um staatlich subventionierte Baumaßnahmen handelte. Diese Gebäude werden heute als Sozialwohnungen genutzt.

Die Untersuchung der Variablen „Anteil der Ein- und Mehrfamilienhäuser“ ergibt, dass in beide Wohngebiete ausschließlich Mehrfamilienhäuser zu finden sind. Auch die Untersu-chungen zur Gebäudenutzung führen in beiden Arrondissements zu ähnlichen Ergebnis-sen. So überwiegt deutlich der Anteil der Wohnnutzung mit 65,6% im 19. Arrondissement bzw. sogar 73,3% im 16. Arrondissement. Die gewerbliche Nutzung ergab laut den Beo-bachtungen je 15%. Der Rest fällt auf öffentliche Gebäudenutzungen.

4.2.8 Fazit

Paris ist immer noch der zentrale Agglomerationsraum Frankreichs. Deshalb wird auch die Bevölkerung in der Ile-de-France in Zukunft weiter anwachsen und Paris selbst, des-sen Fläche für die wachsende Bevölkerung zu wenig sein wird, immer mehr ins Umland “ausfließen”. Die Verantwortlichen sollten sich deshalb schon frühzeitig Gedanken ma-chen wie und wohin sie Paris steuern möchten und Programme dazu ausarbeiten, die immer wieder aktualisiert werden müssen, damit keine Fehlentwicklungen stattfinden. Beispiele für unterschiedliche Entwicklungen sind die beiden beschriebenen Arrondis-sements. Der Vergleich der beiden Arrondissements zeigt deutliche Unterschiede hin-sichtlich der Attraktivität der Standorte. So ist das 16. Arrondissement geprägt durch we-

103 Eigene Darstellung

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nig baufällige Gebäude, die oftmals eine hervorragende Grundstruktur aufweisen. Die Gebäudefassaden sind oftmals einheitlich gestaltet, d.h. die Anzahl der Stockwerke und die Stockwerkshöhen sind innerhalb eines Straßenzuges aufeinander abgestimmt. Die auffällige und meist sehr hochwertige Ornamentik an den Haus-Fassaden verstärkt das Gefühl, dass es sich dabei um ein Wohngebiet der sozial höheren Schicht handelt. Seine Stellung als Wohngebiet der oberen Schicht hat das 16. Arrondissement schon seit meh-reren Jahrhunderten. Aufgewertet durch zahlreiche Bauprojekte (Haussmann) und Re-novierungsmaßnahmen verlor das 16. Arrondissement nie seinen Glanz. Auffällig für das 16. Arrondissement ist aber auch die abfallende Gebäudestruktur in den Nebenstraßen (z.B. Rue St. Didier). So sind in diesen Strassen die Gebäude weit weniger intensiv mit Ornamentik geschmückt als in Hauptverkehrsstraßen. Fast gegensätzlich zum 16. Ar-rondissement ist das 19. Arrondissement gestaltet. So sind innerhalb eines Straßenzu-ges Häuser unter-schiedlichster Gebäudestruktur und -höhe nebeneinander zu sehen. Auch erweckt der Gesamteindruck das Gefühl, die stadtplanerische Projekte haben die-ses Arrondissement völlig übergangen. Doch weist die Geschichte dieses Arrondisse-ments durchaus auf stadtplanerische Maßnahmen hin. Das 19. Arrondissement gilt seit seiner Eingemeindung zu Paris als Arbeiterviertel. Die wenig durchdachte Stadtpla-nungsmaßnahmen schadeten diesem Wohngebiet eher als sie es aufwerteten. So stellt das 19. Arrondissement heute einen sozialen Brennpunkt innerhalb Paris dar. Doch wäre es falsch, dass 19. Arrondissement als ein Armenviertel darzustellen. Aufgrund des rie-sigen Bevölkerungsdruckes der in Paris herrscht, zieht es auch wohlhabende Menschen in das 19. Arrondissement. Diese Menschen bevorzugen also ein weniger prachtvolles, aber innenstadtnahes Wohnviertel, und verzichten so auf eine schönere Wohngegend (z.B. in einem Vorort von Paris).

Die Stadt Paris sollte sich dabei nicht nur auf die Problematik von Wohnen und Arbeiten beschränken, sondern auch zukunftsfähige Transport-Konzepte erarbeiten, die in der heutigen Zeit immer mehr an Wichtigkeit gewinnen. Wenn sie diese Aufgaben erfolgreich meistert, kann Paris auch in Zukunft als das kräftig schlagende Herz Frankreichs be-zeichnet werden.

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4.3 Industriestandorte

Im folgenden Protokoll ist die Entwicklung der Industrie das Thema. Es ist ein Bestandteil des Exkursionsführers zum Thema „Entwicklung der Weltstadt Paris“ weil die Industrie in Paris eine mehr oder weniger wichtige Rolle spielt. In Teilkapitel 2, dem Allgemeinen Teil zur Industrie in Paris soll die Geschichte, die Entwicklung und der heutige Stand der In-dustrie aufgezeigt werden. Dadurch sollen einige Hintergrundinformationen gegeben werden, die wichtig sind, um unter anderem die Wahl der Standorte zu verstehen. Im 3. Teilkapitel werden die Standorte vorgestellt und näher beschrieben, die während der Exkursion zu diesem Thema aufgesucht wurden.

Seit Mitte der 1950er Jahre setzte der Verlagerungsprozess vieler Industrieunternehmen ein. In den Jahren 1963-1965 erreichte die Zahl der jährlich dezentralisierten Industrieun-ternehmen ihren Höhepunkt. Über die Hälfte dieser Unternehmen zog, unter anderem auch gelockt durch die Interventionsanreize des Staates, in die unmittelbaren Nachbar-regionen der Ile-de-France. Allerdings folgten nur bei 24% dieser Unternehmen auch die Hauptverwaltungen nach außerhalb. Eine wichtige Frage die sich der Stadt nach diesem Prozess stellte, war die Frage nach der Folgenutzung der nun brachliegenden Flächen. Mit dieser Frage beschäftigte sich während der Exkursion vor allem Standort 2 und 3, der Parc André Citroen und die Pleine Saint-Denis mit dem Stade de France. Der erste Standort dagegen zeigt neben der neuen Nutzung alter Industriegelände und –gebäude die Kleinindustrien im 12. Arrondissement, die sich zum Teil bis heute dort erhalten ha-ben.

Im folgenden allgemeinen Teil des Protokolls soll die Wirtschaftsstruktur in Paris, im speziellen die Industrie erklärt werden. Der momentane Stand sowie die Entwicklungen in diesem Sektor werden aufgezeigt.

4.3.1 Die wirtschaftliche Situation in Paris

Die Kernstadt nimmt, ähnlich wie die gesamte Ile-de-France in Frankreich, eine Vor-machtstellung innerhalb der Region ein. Hier wird der mit Abstand größte Teil des BIP der Region erwirtschaftet. Hier befindet sich die größte Konzentration von höherwertigen Dienstleistungen, wie Banken und Versicherungen. Auch die Branchen Kultur, Gastro-nomie und Hotellerie sind überrepräsentiert, da Paris auch das Zentrum des Tourismus innerhalb der Ile-de-France darstellt. Das Bekleidungsgewerbe konzentriert sich eben-falls auf die Kernstadt, ebenso das Druckerei- und Verlagswesen am linken Seine-Ufer. Generell lässt sich sagen, dass sich der Produktionsprozess mit der Deindustriealisie-rung und Dezentralisierung weitgehend aus dem Zentrum zurückgezogen hat, die Unter-nehmenszentralen aber weiterhin Lagen in, oder zumindest nahe dem Hauptgeschäfts-zentrum in der Ville-de-Paris bevorzugen. 70% aller Firmen in der Ile-de-France haben ihren Hauptsitz in oder am Rand des Hauptgeschäftszentrums (Burdack 2004: 33).

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Tabelle 17 macht die Bedeutungsverschiebung der Industriestandorte innerhalb der Re-gion deutlich. Die Kernstadt ist nur noch in der Bekleidungsindustrie und im Druck und Verlagswesen führend, während vor allem die Schwerindustrie Lagen in der metropolita-nen Peripherie bevorzugt. Auch die Forschung und Entwicklung hat sich weitgehend in die Grande Couronne verlagert. Ein wichtiger Grund dafür scheint die Nähe zur techni-schen und naturwissenschaftlichen Hochschule in Orsay zu sein, der mittlerweile viele Ausbildungs- und Forschungszentren gefolgt sind. In der Petite Couronne überwiegt die Pharmazie eindeutig, die anderen Bereiche sind eher durchschnittlich vertreten.

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Tabelle 17: Räumliche Differenzierung der Pariser Region nach Industriebestand 2002 (Lo-kalisationskoeffizient der Beschäftigtenanteile)

Industrie: Paris (Kernstadt) Petite Couronne Grande Couronne

Nahrungsmittel - 0 + Bekleidung ++ - -- Druck, Verlagswesen ++ 0 - Pharmazie - ++ - Haushaltsgeräte 0 - + Kfz. -- 0 ++ Flugzeug,Schiffsbau -- 0 ++ mechanische Industrie -- 0 ++ Elektrogeräte -- 0 ++ Chemie -- 0 ++ Metallverarbeitung -- 0 ++ Elektronik -- 0 ++ Wasser,Gas,Strom 0 + -- Bauwesen -- 0 + Forschung und Entwicklung 0 0 + Regionsdurchschnitt: Lokalisationskoeffizient (LQ)= 100 ++ = sehr starke Konzentration (LQ > 150) + = starke Konzentration (LQ = 120 – 150) 0 = Regionsdurchschnitt - = starkes Defizit (LQ = 50 – 80) -- = sehr starkes Defizit (LQ < 50) Quelle: Eigene Erstellung: nach Burdack 2004

Abbildung 38: Beschäftigungsentwicklung 1962 – 1999104

104 BURDACK 2004:32

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Abbildung 39: Berufstätige Pendler der Agglomeration in die „City“ 1990105

In den letzten Jahrzehnten erfuhr die Kernstadt einen stetigen Beschäftigtenverlust (vgl. Abbildung 38), doch sieht Burdack (2004: Seite.33) diesen mehr als Korrektur einer ü-bermäßigen Verdichtung, und weniger als Standortkrise. Dafür spricht auch der von ihm erwähnte Pendlerüberschuss von 635 000 Personen, täglich pendeln ca. 1 Million Men-schen nach Paris.

Die Kernstadt ist keineswegs homogen strukturiert, was es nötig macht die einzelnen Arrondissements gesondert zu betrachten. Auch die Industrie verteilt sich mit ihren un-terschiedlichen Branchen auf verschiedene Arrondissements. Auf dem rechten Seine-Ufer im 2., 3. und 4. Arrondissement, also im Zentrum, befindet sich vor allem die Be-kleidungsindustrie, Stoffverarbeitung und Lederwaren gefolgt vom Druck- und Verlags-wesen. Im 3. Arrondissement finden sich noch die speziellen Pariser Industrien wie Schmuckherstellung, Goldschmiedearbeiten und Parfümindustrien. Im 10. und 11. Ar-rondissement haben sich differenzierte feinmechanische Industrien, Elektronik und Elekt-roindustrie aber auch Papier- und Kartonherstellung angesiedelt. Im 12. Arrondissement finden sich zusätzlich zu den im 10. und 11. Arrondissement genannten noch die Holz-verarbeitung und Einrichtungsindustrie. Im Norden, im 19. Arrondissement befinden sich neben der feinmechanischen Industrie vor allem Druckereien und Lederindustrie. Im 20. Arrondissement sind die metallverarbeitenden Kleinindustrien (Automobilzulieferer, Le-derindustrien, Schuhhersteller) und im 17. und 18. Arrondissement die Bekleidungsin-dustrie, Druckereien und Elektroindustrie.

Am linken Seine-Ufer im 13. und 14. Arrondissement befinden sich feinmechanische In-dustrien, Druckereigewerbe, graphische Industrien und Auto- und Flugzeugzulieferin-dustrien. Im 15. Arrondissement waren ehemals Automobilhersteller und Zulieferer spe-ziell Citroen (BASTIE 1980: 46ff).

105 NOIN & WHITE 1997:123

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4.3.1.1 Deindustrialisierung, Tertiärisierung und Dezentralisierung

Wenn wir die eben betrachteten Standorte vergleichen, fallen erhebliche räumliche Un-gleichgewichte auf. So kann man grob die westliche von der östlichen Ile-de-France trennen.

Das Jobangebot ist in der Kernstadt und im Westen der Ile-de-France umfangreicher als im Osten und dieser Trend setzt sich in den Vororten bis hinein in die Grande Couronne fort. Gründe dafür sind die westwärts verlaufende Tertiärisierung und die Nähe zum poli-tischen und wirtschaftlichen Machtzentrum, das sich von der westlichen Kernstadt durch die Expansion zentraler Tätigkeiten bis in die westliche Petite Couronne ausdehnt. Von dieser für Firmen wichtigen Nähe zu den Entscheidungsträgern profitiert zwar die ge-samte Ile-de-France, der westliche Teil aber besonders. Das hängt mit den besseren Bedingungen, dem Image und dem Standortprestige zusammen. Der Westen der Kern-stadt bietet zum einen die besseren Wohnstandards und ist weniger durch altindustrielle Strukturdefizite belastet (NOIN und WHITE: 120ff). Zum anderen wurde durch die Auf-bauarbeit des Staates dieser Trend noch gefördert, z.B. führt La Défense in der Hauts-de-Seine mit seinen Wohn- und Bürokomplexen den Trend der westlichen Arrondisse-ments fort und erfreut sich massiver staatlicher Förderung ((SCHÜLE 1997 : 30)). Da es sich vor allem um hochrangige Dienstleistungen und Hauptverwaltungen von Firmen handelt, spielen die so genannten „weichen“ Standortfaktoren eine große Rolle, so auch die landschaftliche Attraktivität (besonders im Südwesten, z.B. Naturpark Haute Vallée de Chevreuse). Die östlichen Arbeiterviertel weisen aufgrund ihrer industriellen Vergan-genheit weniger attraktive Standorte für Dienstleistungen auf. Die hier konzentrierte Ar-beiterbevölkerung und die teilweise ärmlichen und sanierungsbedürftigen Viertel, die Brachflächen die durch die Deindustriealisierung entstanden, geringe Qualifikation der Bewohner, hohe Arbeitslosigkeit und das damit verbundene Konfliktpotential, ließ die Tertiärisierung westwärts wandern, was die genannten Probleme der östlichen Arrondis-sements und der östlichen Petite Couronne weiter verstärkte.

Insgesamt verlor die Region seit 1960 etwa 800 000 Industriearbeitsplätze. Heute be-trägt die Zahl noch etwa 650 000 (COY 2003: 63). Verstärkt wurde der Prozess durch die Dezentralisierungspolitik des Staates.

Die räumliche Konzentration von gewerblichen und industriellen Unternehmen in der Ile-de-France, und dort vor allem im inneren Stadtgebiet und der unmittelbaren Vorortzone („proche banlieue“), aber auch hohe Bevölkerungsprognosen, die bei gleich bleibendem Wachstum einen Kollaps der Stadt prophezeiten, ließen den Staat Maßnahmen zur De-zentralisierung einleiten. Als Anreize wurden den Unternehmen Förderungen, Zuschüsse und Vergünstigungen geboten, aber auch hohe Steuern und Grundstückspreise inner-halb der Ile-de-France verlangt (PLETSCH 1998: 4).

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Abbildung 40: Abwanderung von Industrieunternehmen (mit durchschnittlich 150 Beschäftig-ten ) aus der Ile-de-France, 1954 – 1981106

Abbildung 34 zeigt, dass in den 1960ern die Abwanderung am stärksten war, der Trend in den 1980ern jedoch zum Erliegen kam, was auf den Rückgang der verlockenden Ver-günstigungen (verbunden mit einem Regierungswechsel), sowie die versuchte Stärkung der Ile-de-France zur Verbesserung der Position in Europa zurückzuführen ist. Bedacht werden muss aber auch, dass die Abwanderung nicht allein auf den staatlichen Dezent-ralisierungsmaßnahmen beruhte. Die Standorte im inneren Stadtgebiet und der Vorort-zone entsprachen häufig nicht den modernen Ansprüchen und ließen eine Anpassung aufgrund der räumlichen und infra-strukturellen Einschränkungen nur selten zu (PLETSCH 1998: 4f).

- Insgesamt 4000 Industrieunternehmen verließen die Ile-de-France und wanderten in die Provinz ab. Dort entstanden dadurch ca. 500 000 Arbeitsplätze (vgl. Abbildung 40).

- Dienstleistungsunternehmen zählten nur 700 Unternehmenstransfers in die Pro-vinz, was dort etwa 100 000 Arbeitsplätze schuf (PLETSCH 2000: 99f).

Der Erfolg der Maßnahmen ist als eher gering zu bewerten, vor allem weil sich viele Un-ternehmen in den unmittelbaren Nachbarregionen ansiedelten und viele Hauptverwal-tungen in der Region blieben, bevorzugt in der Kernstadt (PLETSCH 1998: 4). Teilweise kehrten die Unternehmen auch nach Auslauf der Vergünstigungen wieder zurück (MAI-ER et al. 1997: 69). Demnach kann man hier mehr von Dekonzentration als von Dezent-ralisierung sprechen (BRÜCHER 1992: 147).

Ein weiterer Punkt ist die innerregionale Wanderung. 1986 – 1995 haben 321 Unterneh-men > 100 Beschäftigte sich von der Kernstadt in der Petite und Grande Courone ange-siedelt. Umgekehrt waren es nur 33 Unternehmen, was insgesamt zu einem Verlust von 250 000 Arbeitsplätzen in der Kernstadt führte.

Gründe für die Wanderung waren unter anderem die schlechten Bedingungen in der Kernstadt und fehlende Erweiterungsmöglichkeiten für die Werke, aber auch teure Pro-duktionskosten (PLETSCH 1998: 5).

106 PLETSCH 2000:100

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Die Maßnahmen gegen ein quantitatives Wachstum der Stadt Paris beschleunigten das qualitative Wachstum in der Stadt. Höherrangige Tätigkeiten entwickelten sich und der Übergang vom Industrie- zum Dienstleistungssektor wurde beschleunigt (BURDACK 2004: 32). Wie schon beschrieben kam besonders der Osten bei dieser Entwicklung zu kurz. Aufgrund dessen nehmen auch die sozialen Disparitäten zu.

4.3.2 Ausgewählte Standortbeispiele

In den folgenden Abschnítten werden drei Standorte beschrieben, die zum Thema „Ent-wicklung der Industrie in Paris“ besucht wurden. Die jeweiligen Hintergründe, warum der-jenige Standort jeweils gewählt wurde und die dort tatsächlich vorgefundenen Verhält-nisse werden aufgezeigt. Die Standorte waren das 12. Arrondissement mit seiner Klein-industrie, der Parc André Citroen und das Stade de France in der Plaine Saint-Denis.

4.3.2.1 Die Kleinindustrie im 12. Arrondissement

Der erste Standort zum Thema „Entwicklung der Industrie in Paris“ war das 12. Arrondis-sement. Dieses Arrondissement entstand im Zuge der inneren Neugliederung der Ver-waltungsbezirke von Paris im Jahre 1860, als die seit 1784 errichtete Mur de Fermiers Gènèraux geschleift wurde, um die Eingemeindung mehrerer bis dahin noch un-abhängiger Vororte zu ermöglichen. Die Zahl der Arrondissements vergrößerte sich nun auf 20, nachdem am Ende der Revolution am 11. Oktober 1795 zunächst 8 Arrondisse-ments mit jeweils vier Quartiers (Vierteln) geschaffen worden waren. Diese Struktur wur-de auch bei der Einrichtung der neuen Arrondissements beibehalten. Das 12. Arrondis-sement gliedert sich in vier Quartiers: Quinze-Vingts im Westen, Picpus im Zentrum, Bel-Air im Osten und Bercy im Süden.

Abbildung 41: Karte von Paris mit den 20 Arrondissements. Das 12. Arrondissement liegt im Südosten von Paris auf dem rechten Ufer der Seine107.

107 www.paris-hotel-france.com

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In diesem Arrondissement befinden sich eine differenzierte feinmechanische Industrie, Elektronik und Elektroindustrie, Papier- und Kartonherstellung sowie Holzverarbeitende und Einrichtungsindustrien (BASTIE 1980 : 46ff).

Diese Vielzahl von kleingewerblichen und kleinindustriellen Unternehmen vermehrte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts besonders stark. Ihre Ursprünge befinden sich aller-dings schon in der Frühneuzeit, als diese Industrien im 12. Arrondissement unter dem besonderen Schutz Ludwigs des XI. standen (1423 -1462).

Handwerker aus dem Bereich der Holzverarbeitung und Möbelherstellung siedelten sich insbesondere im 17. Jahrhundert an. Für sie war das 12. Arrondissement auf Grund ei-nes Erlasses Colberts im Jahr 1657, in Nachbarschaft zur ehemaligen Abtei von Saint-Antoine, ein günstiger Standort.

Obwohl die Zahl der dortigen industriellen Unternehmen immer mehr abnimmt – 1979 gab es noch 21 500 Unternehmen mit ca. 400 000 Arbeitsplätzen, inzwischen hat sich diese Zahl halbiert – ist hier noch heute die traditionelle Gewerbe- und Versorgungs-struktur gut nachvollziehbar. Denn noch immer findet man eine hohe Anzahl der Passa-gen und Hinterhöfe, die von kleinindustriellen und kleingewerblichen Unternehmen ge-nutzt werden. Nachts werden diese Passagen noch immer abgeschlossen, tagsüber kann man die meisten jedoch problemlos betreten.

So zum Beispiel die Passage du Cheval Blanc, die bei der Exkursion neben mehrerer kleinerer Passagen besichtigt wurde. Sie befindet sich, wie zahlreiche andere Passagen dieser Art in der Rue Faubourg Saint-Antoine, an der nordöstlichen Ecke der Place de la Bastille. Ihre Architektur ist weitgehend unverändert. Es wirkt wie in einem eigenen klei-nen Stadtteil – mit den nach Monatsnamen benannten Innenhöfen und Treppen (Cour Janvier, Escalier de Mars...). Selbst der Straßenlärm ist hier kaum noch zu hören. Auf den Klingenschildern im Torbereich kann man die heutige Nutzung ablesen: Agenturen, Ateliers, Studios, teilweise Privatwohnungen, aber auch einige kleine Handwerksbetrie-be, die sich immer noch hier befinden. Auf der Hauptstraße geben einige Möbelläden Hinweise auf die traditionelle Holverarbeitung und Möbelindustrien.

Abbildung 42: Blick in die Passage du cheval blanc108.

108 www.atelierbordas.online.fr

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In einer anderen, kleineren Passage waren diese Merkmale auch sehr schön zu erken-nen. Die alte Architektur, die ehemaligen mehrstöckigen Fabrikgebäude mit alten Schornsteinen sowie ein kleiner messingverarbeitender Familienbetrieb, der wahrschein-lich seit Generationen dort ansässig ist. Die mehrstöckigen Fabrikgebäude lassen auf die ehemals sehr schlechten Arbeitsbedingungen in diesen Hinterhoffabriken schließen. Festzuhalten bleibt der deutlich sichtbare Tertiärisierungsprozess, der auch die Kleinin-dustrie nicht verschonte und auch noch in Zukunft weiter voranschreiten wird.

4.3.2.2 Der Parc André Citroen

Der Parc André Citroen liegt im 15. Arrondissement am linken Ufer der Seine, stadtaus-wärts hinter dem Marsfeld. An diesem Standort lag bis Mitte der 70er Jahre das Stamm-werk des Automobilherstellers André Citroen.

Das Unternehmen wurde im Jahr 1915 hier ansässig und produzierte hier auch die le-gendäre „Ente“ 2CV. Die enorme Wichtigkeit, die dieses Unternehmen für seinen Stand-ort hatte, lässt sich unter anderem daran sehen, dass 1958 der Quai de Javel (Adresse des Hauptsitzes) in Quai André Citroen umbenannt wurde.

Zu Beginn der 1960er Jahre wurden wichtige Produktionszweige vom Stammwerk in die bretonische Hauptstadt Rennes verlagert. Grund dafür war zum einen die zunehmende Ausdehnung der Stadt Paris, wodurch die Fabrik am Quai de Javel zunehmend von Wohngebieten umschlossen wurde. Dies erschwerte nötige Erweiterungen des Unter-nehmens, ebenso entsprach der Standort nicht mehr den modernen Erfordernissen und die Produktion im dicht bebauten Stadtgebiet war einfach nicht mehr zeitgemäß. Am 15. April 1975 verließ das letzte in Javel produzierte Auto die Anlage, in der seit 1919 exakt 3 227 105 Automobile das Band verließen (www.geocities.com).

Nachdem das ehemalige Werksgelände über 20 Jahre lang brach lag und 1982 die Zent-rale des Unternehmens in den Pariser Vorort Neuilly-Sur-Seine verlegt wurde, entstand 1992 im Rahmen eines Sanierungskonzeptes der Parc André Citroen. Er ist das Zentrum mehrerer Wohnblocks des gehobenen Standards, Bürokomplexen, einem Krankenhaus sowie zahlreicher Kultureinrichtungen (PLETSCH 1998: 6). Er beruht auf einem Entwurf

Abbildung 43: Seit Sommer 1999 kann man von diesem Ballon im Park André Citroen aus Pa-ris von oben betrachten109.

109 Aufnahme S.Hörz 2004

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der Architekten Patrick Berger, Jean-Paul Viguier, Jean-Francoise Jodry und der Land-schaftsarchitekten Gilles Clément und Alain Provost. Diese hatten den 1985 von der Di-rection des Parques, Jardin et Espaces Vertes de la Ville de Paris ausgeschriebenen Wettbewerb gewonnen. Die Kosten beliefen sich auf circa 35 Millionen US-Dollar (www.uwefreund.com).

Der Nutzen des 14 Hektar großen Parks wird in erster Linie als Erholungsgebiet für die Anwohner gesehen, geht aber, wie folgendes Zitat aus dem Designkonzept deutlich macht, weit darüber hinaus. „Die Ästhetik dieses Parks solle den Einfluss von Paris auf Frankreich wie auch im weiteren Rahmen widerspiegeln, und vor allem solle es für die Geschichte der Gartenarchitektur einen Meilenstein zeitgenössischer Gartengestaltungs-trends setzen. Ziel sollte es nicht nur sein, den Anwohnern einen angenehmen Erho-lungsort anzubieten, sondern dem Park auch eine eigene Persönlichkeit und stilistische Einheit geben, die einer großen Metropole wert sei“(www.uwefreund.com).

Der Park gliedert sich in mehrere Themenbereiche. Da wäre zum Beispiel der „weiße Garten“, der nur mit weißen Blumen bepflanzt ist, der „schwarze Garten“ der ausschließ-lich aus einem dunklen Grün besteht oder der „Garten der Bewegung“, „Garten der Ver-änderung“ und so weiter. Der Park soll futuristisch wirken. Rechte Winkel, Wasserspiele und Kanäle zeigen die typisch französische Gartenarchitektur, aber auch englische und japanische Einflüsse werden deutlich. Es gibt eine große Liegewiese, Gewächshäuser und viele Mottogärtchen (www.france.com).

Abbildung 44: Blick über die große Liegewiese auf hochwertige Bürogebäude am Rande des Parks110.

110 Aufnahme S.Hörz 2004

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Abbildung 45: Der Park wird von der Bevölkerung gut angenommen111.

Beim Besuch dieses Standorts konnte man sehen, dass der Park bei der Bevölkerung gut angenommen wird. Viele Menschen aller Altersgruppen waren zu sehen. Die Ge-bäude, die vom Park aus zu sehen waren, waren alle höheren Standards. Es gab hö-herwertige Bürogebäude und Wohnblocks. Fabriken waren keine mehr zu finden. Deut-lich erkennbar war beispielsweise die Unternehmenszentrale des Mobiltelefonherstellers Sagem, welche auf die Ausdehnung höherwertiger Tätigkeiten in die westlichen Arron-dissements schließen lässt. Die höherwertigen Wohnblocks unterstützen diese Vermu-tung.

Abbildung 46: Am linken Rand des Bildes sieht man eines der großen Gewächshäuser, davor einen der großen Springbrunnen des Parks112.

111 Aufnahme C.Klaus 2004 112 Aufnahme C.Klaus 2004

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4.3.2.3 Die Plaine Saint-Denis mit dem Stade de France

Hierbei handelt es sich um ein 700 Hektar großes Gebiet im Pariser Norden, welches die Gemeinden Saint-Denis, Aubervilliers und Saint-Quen umfasst. Zu Beginn des 19. Jahr-hunderts wurden hier mit der Anlage des Canal de Saint-Denis und etwas später mit der Eisenbahn günstige Standortbedingungen geschaffen. Weitere Gunstfaktoren dieses Standortes sind die Nähe zum Zentrum mit seinen vielen Arbeitskräften und die zur Ver-fügung stehende große Fläche. Mit der Industrialisierung kam es zur Ansiedlung zahlrei-cher Betriebe der unterschiedlichsten Branchen, vor allem aber der chemischen und me-tallverarbeitenden Industrien. Folge war ein chaotisches Durcheinander von Industrieun-ternehmen jeglicher Größenordnung und Produktionsrichtung. Die dazugehörige Infra-struktur wurde besonders in den vielen Arbeiterquartieren deutlich. Die Plaine war einer der bedeutendsten Industriestandorte der Ile-de-France. (PLETSCH 2000: 105ff)

In den 1960er Jahren setzte im Zuge des jüngeren Strukturwandels der Niedergang des Gebietes ein. Zu Beginn der 1990er Jahre waren nur noch ca. 20% der Beschäftigten in der Industrie tätig, bei stark rückläufiger Gesamtbeschäftigung. Der Deindustrialisie-rungsprozess hatte hier besonders starke Auswirkungen und konnte durch die zuneh-mende Tertiärisierung nicht aufgefangen werden. Die Überbleibsel der industriellen Strukturen wie Brachflächen und Altlasten stellen besondere Anforderungen bei der Er-neuerung. Die Bevölkerungsstruktur wirft zusätzliche Probleme auf, im Rahmen des so-zialen Wohnungsbaus entstanden viele Großwohnsiedlungen, die heute zu den sozialen Brennpunkten zählen. (BUR-DACK 2004: 36ff).

Für die Jahre 2000-2006 wurde die Plaine Saint-Denis in den Planvertrag zwischen Re-gion und dem Zentralstaat aufgenommen. Im Mittelpunkt stehen Verkehrsinfrastruktur-projekte wie zum Beispiel die Verlängerung der Metrolinien. Im regionalen Entwicklungs-konzept (SDAURIF) wurde das Gebiet zum wirtschaftlichen Entwicklungsschwerpunkt gemacht (BURDACK 2004: 36ff).

Das Planungsgebiet hat einige Erfolge aufzuweisen. So sammeln sich hier heute vor allem Branchen, die auf Grund des boomenden Pariser Immobilienmarktes innerhalb der Kernstadt verdrängt wurden. Hier finden sie eben die oben genannten Vorteile wie genü-gend Fläche, gute Verkehrsanbindung und außerdem staatliche Förderung. Es sind Un-ternehmen aus dem Druck- und Verlagswesen, das Bekleidungsgewerbe, elektronische Medien sowie TV- und Filmproduktionen, welche den bedeutendsten Wirtschaftszweig darstellen. Zahlreiche Unternehmen haben sich auf vor- und nachgelagerte Tätigkeiten spezialisiert, wie zum Beispiel im Bereich Beleuchtung, Ausstattung oder Nachbearbei-tung.

Allerdings sind auch einige neue Probleme entstanden. Die Zahl der Arbeitsplätze, die durch neue Wirtschaftszweige gewonnen werden, ist gering. Außerdem kommen die Zuwächse eher Personen zugute, die außerhalb wohnen, aber nicht bereit sind, auch in die Plaine zu ziehen. Gründe hierfür sind unter anderem die sanierungsbedürftigen Wohnungen, die hohe Kriminalität und auch die Defizite in der Nahversorgung und der Gastronomie (BURDACK 2004: 36ff).

Schon in den 1980er Jahren wurden Initiativen ins Leben gerufen, die eine wirtschaftli-che, soziale und städtebauliche Restrukturierung des Gebiets zum Ziel hatten. Was dem Département zugute kam ist seine relativ günstige Verkehrslage im Norden von Paris.

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Zum einen reichen die beiden Flughäfen Le Bourget und Charles de Gaulle in das Département hinein und zum anderen durchlaufen die beiden bedeutenden Ringauto-bahnen Boulevard Périphérique und La Francilienne das Département. Außerdem schaf-fen die Fernautobahnen A 1 = Autoroute du Nord und A 4 = Autoroute de l’Est eine aus-gezeichnete überregionale Anknüpfung, die durch die Einbindung in das Hochgeschwin-digkeitsnetz der Eisenbahn (TGV = Train de la grande vitesse) ergänzt wird. Dies waren alles wichtige Rahmenbedingungen für die Entscheidung, auf den dortigen Industrie-brachflächen ein neues Fußballstadion zu bauen, in dem die Ausrichtung der Fußball-weltmeisterschaft im Jahr 1998 möglich war. Diese Entscheidung war eindeutig eine poli-tische. Im Raumordungsplan vom 26.04.1994 wurde die Plaine-St.-Denis mit dem Bau des Stadions als einer der strategischen Standorte definiert. An diese Entscheidung war die Erwartung geknüpft, dass sie Katalysatorwirkungen für eine eigenständige und nach-haltige Entwicklung in den betroffenen Gebieten haben würden. Im Falle des Stadion-baus war die Wirkung auf den ersten Blick beeindruckend. Bedingt durch die Terminvor-gabe (Durchführung der Weltmeisterschaft zwischen dem 10.06. und 12.07.1998) wurde innerhalb kürzester Zeit eine der größten Baustellen der ganzen Nation eingerichtet. In einer Rekordzeit von 31 Monaten wurde auf einer Fläche von 17 Hektar ein Stadion für 80 000 Zuschauer erbaut. Dazu wurde die Infrastruktur im Umfeld dieser Arena großzü-gig verändert und die Autobahn Nord (A1) auf einer Länge von 1,7 km übertunnelt.

Abbildung 47: Industriebrachflächen in der proche banlieue von Paris113.

113 Malecieux 1991

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Abbildung 48: Das Stade de France114.

Neu entstanden ist die moderne Bahnhofsanlage Stade de France-Saint-Denis der fran-zösischen Eisenbahngesellschaft S.N.C.F., die auch vom regionalen Schnellverkehrs-netz der Metro genutzt wird. Außerdem wurden auf einem Gelände von über 40 000 m² Grün- und Parkflächen angelegt und ein Rückhaltebecken mit einer Kapazität von 165 000 m³ unter dem Stadion zur Hochwasserversicherung des Stadtviertels angelegt. Um den Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften soweit als möglich lokal zu sichern wurde 1995 ein so genannter Groupement d’intèret puplic (GIP Plaine-Emploi) gegründet, ein Zweckverband, der sich aus Unternehmern, Vertretern der kommunalen und regionalen Behörden, verschiedenen Berufsverbänden sowie einer Reihe weiterer Institutionen zu-sammensetzte. Ihre Mittlerfunktion hatte zur Folge, dass zum Beispiel im Bereich des Bausektors rund 85 % der 732 im Zusammenhang mit dem Stadionbau entstandenen Arbeitsplätze auf dem lokalen Arbeitsmarkt besetzt wurden. Über ein Jahr lang waren täglich zwischen 1200 und 1400 Beschäftigte allein beim Stadionbau im Einsatz. Hinzu kamen bis zu 1600 Beschäftigte auf den übrigen Baustellen, die mit diesem im Zusam-menhang standen (vgl. Abbildung 49) (Pletsch 1998: 8f).

Allerdings stellt sich die Frage der Nachhaltigkeit und der Katalysatorwirkung der Maß-nahme. Als zum Jahresende 1997 die Arbeitskolonnen abzogen, schnellte die Arbeitslo-senquote wieder in die Höhe. Im Dezember 1997 betrug sie in der Gemeinde Saint-Denis 15 % (Durchschnitt in der Ile-de-France 10,8 %). Die konkrete Zahl der Arbeits-plätze die bestehen bleiben beträgt etwa 80, auch wenn im Zusammenhang mit sportli-chen Großereignissen kurzfristig mit jeweils bis zu 2 000 Beschäftigten gerechnet wird (MAYER, A. et al. 1998: 8 f).

An diesem Standort fielen folgende Dinge besonders auf: es gab sehr viele Freiflächen und auch Baustellen, an den Bürogebäude entstehen sollen, was auf eine noch beste-hende staatliche Förderung hindeuten könnte. Der Strukturwandel war also noch gut zu erkennen.

114 Aufnahme S.Hörz 2004

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Abbildung 49: Arbeitskräfteeinsatz beim Bau des Stade de France und auf den damit zusam-menhängenden Baustellen115.

An der ansonsten vorhandenen Struktur war keine Einheitlichkeit in der Baustruktur oder Nutzung zu erkennen. In den neuen Gebäuden sind hauptsächlich Dienstleister unterge-bracht. Aber auch viele alte Strukturen wie Fabrikschornsteine, ein altes Zentrum des Ortes oder eine Plattenbausiedlung waren noch zu sehen.

4.3.3 Fazit

Seit der Mitte der 50er Jahre hat sich die Industrie immer mehr aus der Pariser Kernstadt zurückgezogen. Aufgrund von Platzmangel, Dezentralisierungsmaßnahmen von Seiten des Staates und Modernisierung haben sich immer mehr Industrieunternehmen einen Standort außerhalb der Stadt oder in einem anderen Teil Frankreichs gesucht.

Während der Exkursion in Paris wurde versucht, diesen Prozess für die Exkursionsteil-nehmer deutlich zu machen. Aus diesem Grund wurden drei Standorte gewählt, die da-mit im Zusammenhang stehen. Einmal der Parc André Citroen und das Stade de France als zwei Beispiele für die Nutzbarmachung der von der Industrie verlassenen Fläche. Und zum Anderen die Kleinindustrie in den Passagen des 12. Arrondissements um zu zeigen, wie solche übrig gebliebenen Industriestandorte in der Kernstadt heute aussehen und auch um eine Vorstellung davon zu geben, wie sie früher ausgesehen haben.

4.4 Standorte der Dienstleistungsfunktionen

In dieser Ausarbeitung geht es um die Entwicklung der Dienstleistungsstrukturen in der Ile-de-France, wo Dienstleistungen besonders stark konzentriert sind. Zu-nächst wird in einem allgemeinen Teil auf die Dienstleistungen in Frankreich und in der Hauptstadtregi-on und auf die dortige Verteilung in Bezug auf Kernstadt, Grande und Petite Couronne eingegangen. Im Weiteren wird auf bestimmte Arten von Dienstleistungen fokussiert: zunächst wird näher auf den Einzelhandel eingegangen, insbesondere auf den Struktur-wandel in diesem Sektor, was durch Beispiele veranschaulicht wird. Es folgt ein Kapitel

115 MAYER ET AL 1998

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über den Tourismus und seine wirtschaftliche Bedeutung. Auch hier werden Beispiele präsentiert, die Teile der Exkursion 2004 waren: Montmartre und das Luxushotel George V. Bürostandortkonzentrationen sowie Konzentrationen von Regierungseinrichtungen sind weitere Dienstleistungsschwerpunkte, die betrachtet werden. Hier werden drei Standorte vorgestellt: das Geschäftszentrum, das sich im 8. Arrondissement befindet, das Regierungsviertel im 7. Arrondissement sowie La Défense.

4.4.1 Der Dienstleistungssektor in Frankreich

Der tertiäre Sektor dominiert heute die Beschäftigungs- und Produktionsstruktur in Euro-pa, doch in Frankreich hat er eine größere Bedeutung als in den anderen Ländern der Gemeinschaft. Während 2001 im Durchschnitt der EU-15 67,2 % der Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor tätig waren, waren es in Frankreich 69,9 %, in Deutschland nur 64,6 % (vgl. Tabelle 18).

Der tertiäre Sektor in Frankreich entwickelt sich seit Mitte der 1970er Jahre sehr rasant. Obwohl Dienstleistungen schon früh eine wichtige Rolle in Frankreich spielten, vollzog sich der Strukturwandel von der Agrar- über die Industrie- zur Dienstleistungsgesell-schaft verglichen mit anderen Industriestaaten relativ spät, aber auch vergleichsweise dynamisch. Dienstleistungen spielen heute in Frankreich eine herausragende Rolle, über 70 % der Beschäftigten arbeiten mittlerweile in diesem Sektor (www.insee.fr). Man geht von einem weiteren Anstieg aus. Insbesondere im Bereich unternehmensorientierte Dienstleistungen werden die dem eigentlichen Produktionsprozess vor- und nachgela-gerten tertiären Tätigkeiten, wie Design, Marketing etc., immer wichtiger.

Wie in allen hoch entwickelten Wirtschaften spielen die marktbestimmten Dienstleistun-gen (tertiaire marchand) auch in Frankreich eine immer bedeutendere Rolle. Die beiden Hauptbereiche services aux entreprises (unternehmensorientierte Dienstleistungen) und services aux particuliers (haushaltsorientierte Dienstleistungen) unterscheiden sich je-doch enorm in Bedeutung und Entwicklung. Der größte Bereich des tertiaire marchand sind die Services aux entreprises - mit über 14 % der Beschäftigten und über 16 % der Gesamtwertschöpfung der französischen Wirtschaft bzw. 48 % der Wertschöpfung der services marchands (diese umfassen haushaltsorientierte Dienstleistungen, unterneh-mensorientierte Dienstleistungen und Immobilienwesen). Es handelt sich zugleich um den dynamischsten Bereich, was sich vor allem durch verstärktes Outsourcing der Fir-men erklären lässt – vermehrt werden Aufgaben wie z.B. Beratungstätigkeiten ausgela-gert. Weniger dynamisch ist der Bereich der haushaltsorientierten Dienstleistungen. Während in diesem Segment 8,9 % der Beschäftigten arbeiten, beträgt der Anteil an der Wertschöpfung nur 6 %.

4.4.2 Der Dienstleistungssektor in der Ile-de-France

Im tertiären Sektor gibt es in Frankreich eine extreme Konzentration auf die Region Ile-de-France, kein anderer Standort kann sich in Bezug auf Dienstleistungen auch nur an-nähernd mit der Hauptstadtregion messen. Sowohl der tertiaire marchand (marktbe-stimmte Dienstleistungen wie z.B. Einzelhandel) als auch der tertiaire non marchand (nicht marktbestimmte also öffentliche Dienstleistungen wie z.B. Verwaltung) sind in Pa-ris im Vergleich zum Rest Frankreichs überproportional vertreten. Zwar sind Dienstleis-tungen in Städten immer höher konzentriert als im Durchschnitt eines Landes, doch in

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Frankreich ist die Konzentration auf Paris extrem stark ausgeprägt. Im Jahr 2000 arbeite-ten 80,5 % der Beschäftigten in der Ile-de-France im Dienstleistungssektor – im Ver-gleich zu 71,6 % im französischen Durchschnitt (Pletsch 2003: 260).

Paris und sein Umland sind bekannt als kulturelles und kommerzielles Zentrum Frank-reichs, als Standort internationaler Organisationen, aber auch als Finanz- und Wissen-schaftszentrum. Die Ile-de-France hat beispielsweise 55 % Anteil an der französischen Forschungsleistung sowie fast die Hälfte aller Theater und Museen Frankreichs (Burdack 2004: 32 nach Piercy 1997). Aufgrund der starken Zentralisierung in Frankreich kam es außerdem zu einer Konzentration der zentralen öffentlicher Verwaltungen. Zudem sind öffentliche Einrichtungen wie z.B. Hochschulen auf die Metropolregion konzentriert. Laut Noin und White (1997: 129) stellt die Ile-de-France sogar die größte Agglomeration Eu-ropas von Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor dar.

Tertiäre Bereiche der Industrie, beispielsweise Hauptverwaltungen oder Industriefor-schung, sind in der Hauptstadtregion stark konzentriert (Burdack 2004: 32). Waren es zu Beginn der 1960er Jahre noch 54 % der Beschäftigten in der Ile-de-France, die im Dienstleistungssektor beschäftigt waren, so waren es 2003 bereits 82 % (Coy 2003: 63). Zahlen wie diese belegen den weit fortgeschrittenen Deindustrialisierungs- und Tertiäri-sierungsprozess der Region. Es gab auch im tertiären Sektor Versuche zur Dezentrali-sierung, insbesondere im Rahmen der Dezentralisierungsgesetze von 1982/83, aber es kam kaum zu einer Milderung der Konzentration. Lediglich einige öffentliche Dienstleis-tungen wurden aus der Region herausverlagert (Noin und White 1997). Tabelle 18: Erwerbstätige nach Wirtschaftssektoren 2001116.

Landwirtschaft Industrie Dienstleistungen Frankreich 4,1 26,0 69,9 Deutschland 2,6 32,8 64,6 EU 4,2 28,6 67,2

4.4.3 Dienstleistungsstandorte in der Ile-de-France

4.4.3.1 Grande Couronne

Auch außerhalb von Kernstadt und Petite Couronne gibt es wichtige Dienstleistungs-standorte. Einige Beispiele belegen die räumliche Ausdehnung in Teile der Grande Cou-ronne: unter anderem die Wissenschaftscity (Cité Scientifique), die sich im Süden der Agglomeration befindet – um Massy und Palaiseau. Hier befinden sich staatliche For-schungseinrichtungen, wie z.B. das militärische Forschungszentrum genauso wie priva-te. Universitäre Forschung und Lehre sind dort allerdings nicht so stark konzentriert, was sich durch die stärkere Trennung von Forschungs- und Lehrbereich in Frankreich erklä-ren lässt (Schüle 1997: 233). Hervorzuheben ist des Weiteren der neue „Entwicklungs-pol“ um den internationalen Flughafen Roissy-Charles de Gaulle, nördlich der Kernstadt,

116 eigene Zusammenstellung nach http://www.statistik.admin.ch/

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wo man sich auf das Transportwesen spezialisiert hat. In der Nähe des Flughafens, in Villepinte, gibt es außerdem ein Messegelände. Auch das Val d’Europe, im Osten der Agglomeration, wo eine extreme Beschäftigtenkonzentration in haushaltsorientierten Dienstleistungen auftritt, ist solch ein ökonomischer Pol. Hier ist der Hauptarbeitgeber Disneyland Paris, im Gebiet der Ville Nouvelle Marne-la-Vallée gelegen. Auch Büro-standortkonzentrationen finden sich in den Villes Nouvelles. Im Zuge der Dezentralisie-rung im Universitätswesen wurden des Weiteren vier Universitäten in den Villes Nouvel-les eingerichtet. Laut Schüle (1997: 231) ist auch der Großhandel größtenteils in die Grande Couronne gewandert.

4.4.3.2 Petite Couronne

Die Dienstleitungskonzentration dehnt sich von der Pariser Kernstadt immer mehr nach Westen aus, auch in die Petite Couronne. In erster Linie ist hier das Département Hauts-de-Seine zu nennen, wo sich La Défense befindet. Eine Ausdehnung zentraler Funktio-nen über die Stadtgrenze von Paris hinaus belegen auch andere neue Bürostandorte im Département Hauts-de-Seine wie in Issy-les-Moulineaux und Nanterre. Des Weiteren befinden sechs Universitäten in den Vororten von Paris, auch einige der Grandes Ecoles wurden von der Kernstadt in die Petite Couronne verlagert.

4.4.3.3 Pariser Kernstadt

In Bezug auf Konzentrationen von Dienstleistungen sind in der Pariser Kernstadt hervor-zuheben:

- Bereiche mit Häufungen von bestimmten Einzelhandelsbetrieben - das Geschäftszentrum mit Unternehmenshauptsitzen, unternehmensorientierten

Dienstleistungen etc. - das Finanzzentrum - das Regierungsviertel - das Universitätsviertel

Abbildung 44 gibt einen Überblick über die Verteilung der Dienstleistungen. In Kapitel 4 werden, bis auf das Universitätsviertel, alle oben genannten Dienstleistungsschwerpunk-te näher untersucht.

Darüber hinaus häufen sich in der Stadt Paris Hotels, Restaurants, Cafés etc., haupt-sächlich aufgrund der zahlreichen Touristen. Kulturelle und Freizeitaktivitäten sind von überragender Bedeutung in Paris. In der Ville-de-Paris befinden sich beispielsweise zwei Opernhäuser, 90 Museen, von denen mit dem Louvre und dem Musée d’Orsay zumin-dest zwei zu den wichtigsten der Welt gehören, 174 Bibliotheken etc. (Noin und White 1997: 140). Im Bereich Porte de Versailles gibt es außerdem ein Messegelände.

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Abbildung 50: Dienstleistungsstandorte in Paris117.

4.4.4 Einzelhandel

Paris, wer denkt bei dieser Stadt nicht automatisch an Mode und Einkaufen? Diese Fest-stellung scheint nicht ganz falsch zu sein, denn Paris zählt zu den wichtigsten Einzel-handelszentren von Europa. Mehr als 12 % der Beschäftigten im Raum Paris sind im Einzelhandelssektor tätig. Verantwortlich dafür sind die mehr als 10 Millionen Einwohner im Großraum Paris, die als potenzielle Konsumenten das Angebot nutzen. Des Weiteren nehmen aber auch viele Bewohner anderer Regionen Frankreichs und zahlreiche Touris-ten die Angebote des Pariser Einzelhandels war. Nur bedingt durch die zahlreichen Kun-den konnte sich Paris zur Nummer eins der Einzelhandelsstandorte von Europa entwi-ckeln und sich damit zusätzlich als Weltstadt etablieren (nach NOIN und WHITE 1997: 135).

Die Einzelhandelsstrukturen in Paris sahen nicht schon immer so aus wie heute. Sie ha-ben sich im Laufe der letzten Jahrhunderte stark gewandelt. Insbesondere in der Mitte des 20. Jahrhunderts, als der Strukturwandel im Einzelhandel in ganz Europa einsetzte, kam es zu einer massiven Veränderung im Pariser Einzelhandelssektor. Im folgenden Protokoll werden die Pariser Einzelhandelsstrukturen aufgezeigt sowie deren Entwick-lung und Ausprägung näher betrachtet. Des Weiteren soll auch kurz auf die Einzelhan-delsstrukturen in der Ile-de-France ohne Paris eingegangen werden. Nach dem eher theoretischen Teil werden in Kapitel 4.1.2 die Pariser Einzelhandelsstrukturen mit Stand-ortbeispielen veranschaulicht.

4.4.4.1 Entwicklung der Einzelhandelsstrukturen

Die Entwicklung des Pariser Einzelhandels begann in der Ile de la Cité. Hier ließen sich die ersten Händler nieder und auch der erste Markt fand hier statt. Als die Ile de la Cité mehr und mehr besiedelt wurde dehnte sich der Einzelhandel in Richtung Norden aus. Ein Grund für die Ansiedlung im Norden der Insel war der Standort der Geldwechsler, die

117 Gaebe 2004: 28

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sich auf den überdachten Brücken, welche zur Ile de la Cité führten, niederließen (vgl. Abbildung 51). Dass der südliche Teil der Insel Sumpfgelände darstellte, war ein weiterer Grund für die Ausbreitung des Einzelhandels in den Norden. Die Händler und Einzelhan-delsbetriebe siedelten sich im Laufe der Zeit insbesondere im Quartier Châtelet (8. Ar-rondissement) und im Quartier St. Lazaire (9. Arrondissement) an.

Abbildung 51: Die Geldwechslerbrücke zur Ile de la Cité118.

Wenn man heute die Ile de la Cité betrachtet, erinnert nicht mehr viel an das frühere Ein-zelhandelszentrum. Der frühere Lebensmittelmarkt, der sich seit jeher auf der Ile de la Cité befand, musste aufgrund von Platzproblemen schon im 12. Jahrhundert ausgelagert werden. Er befand sich bis vor wenigen Jahren auf dem heutigen Gelände der Les Hal-les. Auch viele Einzelhändler verschwanden nach und nach in Richtung Norden. Das Einzige was noch vom Einzelhandel auf der Ile de la Cité übrig geblieben ist, ist der von Eisenkonstruktionen überdachte traditionelle Blumenmarkt und einige kleine Andenken- bzw. Souvenirläden im Bereich der Notre Dame.

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wiesen Paris sowie das restliche Frankreich eine sehr kleinbetriebliche Einzelhandelsstruktur auf. Fast 60 % der Geschäfte hatten abgesehen vom Inhaber keine und nur ca. 5 % mehr als fünf Angestellte (METTON 1990: 127). Die traditionelle Versorgungsinfrastruktur mit kleinen Bäckerläden, Tages- und Wochenmärk-ten sowie spezialisierten Straßen dominierte. Diese Einrichtungen dienten damals nicht nur der Versorgung, sondern sie stellten auch stets wichtige Orte der sozialen Kommuni-kation dar. Lediglich in Paris gab es schon im letzten Jahrhundert größere Einzelhan-delsstandorte, wie z.B. die großen Warenhäuser oder die überdachten Passagen. In den 1960er Jahren setzte jedoch der Strukturwandel im Bereich des Einzelhandels ein, wel-cher die gesamte Einzelhandelsstruktur revolutionierte. Der Strukturwandel im Einzel-handel ist gekennzeichnet durch die Expansion von Verkaufsflächen und wachsenden Betriebsgrößen. Damit einhergehend verschlechtert sich die Situation der Beschäftigten,

118 Aufnahme S.Hörz 2004.

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da auf den vorhandenen Flächen immer weniger Personal für den Verkauf und die Bera-tung eingesetzt wird. Zum Teil international operierende Einzelhandelsketten mit einer breiten und tiefen Angebotsvielfalt sowie aufgrund der hohen Stückzahlen geringen Ein-kaufspreise, haben sich als harte Konkurrenten für traditionelle Geschäfte herausgestellt und zwingen viele alteingesessene Händler zur Geschäftsaufgabe. Durch den Struktur-wandel kam es zu einer starken Zunahme von großen Super- und Hypermarchés sowie Einkaufszentren.

Die Einzelhandelsstrukturen außerhalb der Stadt Paris, in der Ile-de-France, unterschei-den sich gänzlich von jenen in der Stadt selber. Noch vor etlichen Jahren war das Ein-zelhandelsangebot im Umland von Paris sehr schlecht. Und dies obwohl die Gemeinden am Rand des Verdichtungsraumes seit dem 20. Jahrhundert einen starken Wachstums-prozess verzeichnen. Die Einzelhandelsstruktur der Ile-de-France war hauptsächlich auf den kurzfristigen Bedarf ausgerichtet. Um den mittel- und langfristigen Bedarf zu decken, mussten die Bewohner der Ile-de-France das Zentrum von Paris aufsuchen. Doch die Einzelhandelsstrukturen der Ile-de-France haben sich in den letzten Jahren durch zahl-reiche Entwicklungsmaßnahmen verändert. Diese Maßnahmen wurden kräftig durch den Staat unterstützt, mit dem Ziel, die Stadt Paris zu entlasten, insbesondere durch weniger Verkehr, und die Einzelhandels- und Versorgungsstrukturen der Ile-de-France aufzuwer-ten. Durch die Ansiedlung zahlreicher Super- und Hypermarchés wurde das Versor-gungsangebot in der Ile-de-France erhöht. Wo es im Jahre 2000 nur 4 Hypermarchés in der Kernstadt Paris gab, waren es 128 in der restlichen Ile-de-France. Auch die Zahl der Supermärkte stieg immens an, so dass es im Jahre 1990 schon mehr als 500 Supermar-chés außerhalb von Paris gab. Des Weiteren wurden in der Ile-de-France auch zahlrei-che größere Einkaufszentren im amerikanischen Stil gebaut, welche nicht nur einen Su-per- oder Hypermarché beherbergen, sondern meist auch ein großes Kauf- bzw. Waren-haus, weitere große Firmen sowie zahlreiche kleinere Läden in sich vereinen. Die gro-ßen Einzelhandelszentren sind meist an großen Straßenkreuzungen bzw. nahe den Au-tobahnen gelegen. Am Anfang entstanden diese Zentren überwiegend auf der grünen Wiese, doch seit den 1980er Jahren findet man sie fast genauso häufig in den Wohnge-bieten der Außenbezirke selbst, was z.B. in Evry, Parly II oder Clergy deutlich wird. Mit der zunehmenden Ansiedlung zahlreicher neuer Versorgungsstandorte kam es zu einer qualitativen und quantitativen Aufwertung der Einzelhandelsstrukturen in der Ile-de-France. Nun kann nicht nur der kurzfristige Bedarf befriedigt werden, sondern auch der mittel- und langfristige Bedarf. Doch obwohl nun auch außerhalb des Pariser Stadtzent-rums alle Bedürfnisse befriedigt werden können, unterscheidet sich die Kernstadt den-noch von der restlichen Ile-de-France. Gerade die charakteristischen Merkmale der Stadt Paris, mit ihrer Vielzahl an kleinen und speziellen Geschäften findet man im Umland nicht. Auch die großen Kauf- und Warenhäuser sind in der restlichen Ile-de-France eher selten vertreten. Alleine 12 von den 25 Grand Magasins der Ile-de-France befinden sich in der Kernstadt Paris. Und diejenigen in der Stadt Paris sind im Durchschnitt 13800 m2 größer als jene im Umland. Auch spezialisierte Straßen sowie traditionelle Märkte fehlen im Umland. Somit ist natürlich die Auswahl in der Ile-de-France außerhalb der Kernstadt dementsprechend geringer als in der Stadt Paris selber, welche doch in jedem Bereich ein sehr großes Warensortiment bietet. Haben nun also die Konsumenten der Ile-de-France sehr spezielle Bedürfnisse, wie z.B. Antiquitäten, müssen sie auch heute noch

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den langen Weg in die Hauptstadt nehmen, um diese zu befriedigen (METTON 1990: 134-137 und NOIN und WHITE 2000: 137-138).

4.4.4.2 Standortbeispiele für die Pariser Einzelhandelsstruktur

Die traditionellen Märkte stellen eine Besonderheit in der Pariser Stadtstruktur dar. Ein wichtiger Grund, warum sich die traditionellen Märkte in Paris sowie im restlichen Frank-reich so lange gehalten haben, ist die Bedeutung der regionalen Produkte für den fran-zösischen Konsumenten. Manche der unzähligen Märkte sind jeden Tag geöffnet, ande-re hingegen nur einmal die Woche. Häufig finden die Märkte nicht unter freiem Himmel statt, sondern sie sind durch Eisenkonstruktionen vor Regen, Schnee und Sonne ge-schützt.

Die Auswahl auf den Märkten in Paris ist sehr verschieden und häufig spezialisiert. Man findet die traditionellen Obst- und Gemüsemärkte, aber auch sehr spezielle Märkte, wie z.B. den Blumen- und Vogelmarkt nahe des Châtelet, den Briefmarkenmarkt in der Ave-nue Matignon, den Antiquitätenmarkt im 15. Arrondissement oder die großen Floh- und Trödelmärkte im Norden der Stadt (NOIN und WHITE 2000: 135).

In Paris kam es schon frühzeitig zur Konzentration von Einzelhandelsbetrieben mit glei-cher oder ähnlicher Spezialisierung. Meist ließen sich Einzelhandelsbetriebe, die diesel-ben oder ähnliche Waren anboten, in einer Straße oder manchmal auch in einem ganzen Viertel nieder. Die spezialisierten Straßen stellen auch noch heute eine Besonderheit in der Pariser Einzelhandelsstruktur dar. Die schönsten sind jene, die eine Lebensmittel- und Feinkost-Spezialisierung aufweisen, wie z.B. die Rue de Buci oder die Rue Mouffe-tard (vgl. Abbildung 52). Wenn man heute die Rue Mouffetard (Metro: Place Monge), nahe des Panthéon besucht, ist es nicht sehr schwer die Spezialisierung festzustellen. Hier reihen sich Lebensmittelfachgeschäfte und kleine Restaurants die ganze Straße entlang aneinander. Hier findet man alles, vom exklusiven Seefisch, über ausgefallene Obst- und Gemüsesorten, bis zu selbst gebranntem Likör (ADAC REISEFÜHRER 2003: 117-118).

Abbildung 52: Die Rue Mouffetard119.

119 Aufnahme S.Hörz 2004.

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Andere Straßen weisen hingegen eine gänzlich andere Spezialisierung auf. So z.B. die Avenue Montaigne und die Rue Francois auf Haute Couture, Lederprodukte und Parfum, die Rue du Paradis auf Porzellan, die Rue de Faubourg Saint-Antoine auf Möbel, die Rue de Seine und die Rue du Bac auf Kunst sowie die Champs Elysées, die Avenue de l´Opéra, der Boulevard de la Madelaine, die Rue Saint-Honoré, die Rue du Faubourg Saint-Honoré, die Avenue Victor Hugo, die Rue de Passy und die Rue de Sèvres auf den Luxushandel (NOIN und WHITE 2000: 135 und BASTIÉ 1980: 65).

Schon im 18.Jahrhundert beschloss man, dem aufkommenden Bürgertum andere Ein-kaufsmöglichkeiten zu bieten als den statusniedrigeren Bevölkerungsgruppen. Aus die-sem Grund baute man überdachte Passagen, welche das aufkommende Bürgertum vor dem Getöse und dem Dreck der Stadt fernhalten sollten. Die überdachten Passagen zählten zu den ersten Einkaufsmeilen von Paris. Schon damals reihten sich edle Bou-tiquen und exklusive Läden aneinander. Meist waren jedoch in den Passagen auch The-ater oder Kleinkunstbühnen sowie Restaurants integriert. Aber es gab auch Passagen für die niedrigeren Bevölkerungsschichten, welche eher einem Basar als einer Edelmeile glichen. Bedingt durch ihre vielfältige Nutzung werden die Passagen auch oft als Vorläu-fer der heutigen Malls angesehen.

Doch die Blütezeit der Pariser Passagen war nur kurz. Mit der Eröffnung der großen Wa-renhäuser und der Entstehung der großen Boulevards verlagerte sich der Einzelhandel und die mehr als 150 Pariser Einkaufspassagen wurden überflüssig. Sie verwahrlosten immer mehr, wurden zu Durchgängen und Abkürzungen zwischen den Boulevards und zu Zufluchtsorten für die armen Pariser Bevölkerungsschichten (MEYHÖFER und MÜL-LER-ELSNER 1997: 109-117).

Abbildung 53: Die Galerie Vivienne120.

120 Aufnahmen S.Hörz 2004.

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In den letzten Jahren wurden jedoch etliche der früheren Passagen wieder zum Leben erweckt, wie z.B. die Galerie Vivienne (vgl. Abbildung 53) bei der Nationalbibliothek (Metro: Bourse). Sie wurde im Jahre 1823 erbaut und war einst die vornehmste über-dachte Ladenstraße von ganz Paris. Wie auch die anderen Passagen verwahrloste sie immer mehr. Heute ist die 175 m lange Passage jedoch sehr aufwendig restauriert. Die Mosaikböden im neoklassischen Stil sowie die prachtvollen Säulen und Eingänge erwe-cken den Anschein, als hätte die Passage nie etwas von ihrem Glanz verloren. Die Gale-rie Vivienne zählt auch noch heute zu einer der exklusivsten Passagen von Paris. Neben der Boutique von Jean-Paul Gaultier finden sich weitere exklusive Boutiquen sowie ein Café und ein Buchladen. Aber es gibt auch Passagen, die nicht so aufwendig restauriert wurden. So z.B. die Passage des Panoramas (vgl. Abbildung 54), die Galeries des Va-rietés oder die Galerie Jouffrey.

Abbildung 54: Die Passage des Panoramas121.

In der Passage des Panoramas findet man sehr spezialisierte Einzelhandelsgeschäfte. Fast jedes Geschäft bietet Sammlergegenstände, vor allem Briefmarken, an. Die Gale-ries des Varietés ist, wie schon der Name verlauten lässt, auf Kleinkunst ausgerichtet. Auch noch heute befindet sich hier ein kleines Theater, in dem Varietéveranstaltungen stattfinden. Auch in der Galerie Jouffrey findet man sehr viele auf Sammler ausgerichtete Läden. So werden beispielsweise Sammlerpuppen, Autogramme etc. angeboten. Zu-sätzlich befinden sich hier auch noch ein Wachsfigurenkabinett sowie ein Museum. Des Weiteren findet man in allen drei Passagen kleine Restaurants und Cafés zwischen den Läden und Boutiquen.

Die so genannten Grand Magasins entstanden durch eine grundlegende Neuorientierung der Pariser Versorgungseinrichtungen, insbesondere auf Wunsch von Napoleon III., wel-

121 Aufnahme S.Hörz 2004.

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chem dies ein besonderes Anliegen darstellte. Das erste große Warenhaus, welches in Paris entstand, war das Au Bon Marché. Es wurde schon im Jahre 1854 von Aristid Bou-cicaut eröffnet und befindet sich im 7. Arrondissement. Seit seiner Eröffnung nahm der Umsatz des Unternehmens mehr und mehr zu. Auch die Zahl der Angestellten verviel-fachte sich mit den Jahren.

Obwohl das Au Bon Marché über die Jahre hinweg häufig umgebaut wurde, blieben doch die charakteristischen Merkmale der im 19. Jahrhundert erbauten Grand Magasins erhalten: Das wohl wichtigste Merkmal sind die großen Lichthöfe. Einer der schönsten befindet sich noch heute in der im Jahre 1896 erbauten Galeries Lafayette (vgl. Abbildung 55 und Abbildung 56), hinter der Opéra Garnier (Metro: Chaussée d´Antin). Die Lichthöfe stellen stets den Mittelpunkt der Gebäude dar. Meist werden die Lichthöfe von Glasdecken oder Kuppeln überwölbt, die in früheren Zeiten für die Be- und Entlüf-tung der großen Versorgungseinrichtungen sorgten. Des Weiteren zeichnen sich die Grand Magasins durch „hochwertige Hölzer, die oft mit Intarsien verziert wurden, dekora-tive bearbeitete Eisenelemente, Plaketten, Medaillons und Reliefs aus Bronze und Kup-fer, Mosaiken in Pfeilern oder Wänden, Figurenplastik und Stuckaturen, Brunnen- und Blumenkompositionen, Kristalllüster und sonstige kunstvoll verzierte Lampen“ (PLETSCH 2000: 223) aus. Die prunkvolle Verzierung spiegelt das Ziel der neu entstan-denen Kaufhäuser wider: Es sollte hauptsächlich das reiche und kaufkräftige Finanzbür-gertum angezogen werden. Doch nicht nur früher, sondern auch noch heute zählen die riesigen Kaufhäuser zu den wichtigsten Einzelhandelsstandorten von ganz Paris. Alleine das Kaufhaus Au Printemps zählt täglich zwischen 80.000 und 100.000 Besucher (PLETSCH 2000: 218-225).

Abbildung 55: Die Galeries Lafayette122.

122 Aufnahme S.Hörz 2004.

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Abbildung 56: Die Galeries Lafayette mit ihrem kunstvoll verzierten Lichtho123f

Nach PLETSCH (2003: 265-266) werden „Märkte mit einer Verkaufsfläche ab 2500 m2 als Hypermarché bezeichnet, wenn mehr als ein Drittel des Umsatzes aus dem Nah-rungsmittelbereich erwirtschaftet wird. Liegt dieser Anteil unter einem Drittel, so handelt es sich um ein Grand Magasins“. Märkte mit einer Verkaufsfläche von 400 – 2500 m2 Verkaufsfläche werden als Supermarché bezeichnet. Super- und Hypermarchés ent-standen in den 1960er Jahren aufgrund des Strukturwandels im französischen Einzel-handel. Zunächst stellten die großen Einkaufsmärkte eine Besonderheit in der französi-schen Einzelhandelsstruktur dar. Doch heute nehmen die Hyper- und Supermärkte Frankreichs, welche hauptsächlich am Rand von Ballungsgebieten liegen, mehr als die Hälfte der Fläche des Lebensmitteleinzelhandels ein. 1997 gab es allein in Frankreich weit über 137 Märkte des Hypermarchés Leclerc, 87 von Mammouth, 67 von Euromar-ché und über 67 Filialen der Kette Carrefour (LASSERRE ET AL. 1997: 158). Doch die Anzahl steigt noch immer stark an. Nach der oben genannten Definition gab es laut PLETSCH (2003: 266) zu Beginn des 21. Jahrhunderts schon 945 Hypermarchés mit einer durchschnittlichen Verkaufsfläche von 5.600 m2 und 7.400 Supermarchés mit einer durchschnittlichen Verkaufsfläche von 1.000 m2. Beide Märkte zusammen wiesen zu diesem Zeitpunkt eine Verkaufsfläche von unvorstellbaren 12,8 Millionen m2 auf. In Paris selbst stellen die Hypermarchés eher eine Ausnahme dar. Im Stadtgebiet selbst finden sich nur sehr wenige dieser großen Verbrauchermärkte. Diese Tatsache ist ein weiterer Beleg dafür, dass der Strukturwandel fast keinen Einfluss auf die Kernstadt Paris hatte. Laut NOIN und WHITE (2000: 137-138) gab es im Jahre 2000 nur 4 Hypermarchés im ganzen Pariser Stadtgebiet. Der Einzelhandel in der Kernstadt selbst, ist eher von spezi-alisiertem Einzelhandel, traditionellen Märkten und kleineren Supermärkten geprägt. Je-

123 Aufnahme S.Hörz 2004.

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doch finden sich in der Ile-de-France, außerhalb von Paris, zahlreiche Hypermarchés, wie z.B. der Hypermarché Auchan im Einkaufszentrum von La Défense (vgl. Abbildung 57).

Der Strukturwandel im Einzelhandel ist besonders gut an der Champs Elyssées (Metro: Franklin D. Roosevelt), der wohl berühmtesten Straße von ganz Paris nachzuvollziehen.

Die Champs Elyssées ist eine knapp 2 km lange Straße, im Westen von Paris im 8. Ar-rondissement gelegen. Sie ist Teil eines über 6 km langen Straßenzugs in WNW-OSO-Richtung vom Place de la Concorde bis zur Grande Arche de la Défense. Vom Place de la Concorde über den Rond Point bis zum Place Charles de Gaulle heißt dieser Straßenzug Avenue des Champs Elyssées. Östlich des Rond Point liegt ein Parkgebiet, westlich des Rond Point befindet sich die „eigentliche“ Champs Elyssées mit Einzelhan-delsstrukturen (vgl. Abbildung 58). Diese ist etwa 1.100 m lang und 71 m breit, nach OSO von 58 m auf 32 m NN abfallend.

Abbildung 57: Der Hypermarché Auchan im Einkaufszentrum von La Défense124.

Zur Zeit Heinrichs des IV, gab es im Gebiet der heutigen Champs Elysées nur Felder und Sümpfe. Nach dem Tod Heinrichs ließ Maria von Medici 1616 den Cours-de-la-Reine und 1667 die Verlängerung nach Westen anlegen. Beide Seiten der Straße wur-den mit Bäumen bepflanzt. Diese ruhigen, schattigen Alleen erhielten schon 1709 den Namen Champs Elysées (= Gefilde der Seligen). Die verschiedenen Herzöge verlänger-ten dann die Straße bis zu ihrer heutigen Größe. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts blieb die Champs Elyssées allerdings sehr ungepflegt und hatte keinerlei Bedeutung in Paris. Erst als die Avenue im Jahre 1828 in staatlichen Besitz überging wurden Gehwe-ge, Brunnen und Beleuchtungen angelegt. Kurz darauf, um die Mitte des 19. Jahrhun-derts, kam die Champs Elyssées in Mode und galt als „die“ Adresse für die bessere Ge-sellschaft. Schon damals schuf sie sich ihren Ruf als die berühmteste Straße von Paris. Zu dieser Zeit war sie bereits das Zentrum des Tourismus, Standort großer und berühm-ter Hotels sowie Sitz großer Handels- und Industrieunternehmen. Im Laufe der Jahre siedelten sich zusehends mehr und mehr hochwertige und exklusive Modeboutiquen in

124 Aufnahme S.Hörz 2004.

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der berühmten Straße an. Damit wurde der gute Ruf der berühmten Straße noch ver-stärkt (BADECKER 1999: 87-89).

Mit dem Einsetzen des Strukturwandels in den 1960er Jahren kam es jedoch zu einem Bedeutungsverlust der bis dahin so exklusiven Straße. Es kam zur zunehmenden Aus-breitung von Supermarktfilialen, Discountern (vgl. Abbildung 59), Fast-Food-Restaurants sowie zu einer starken Filialisierung. Viele Boutiquen der Modedesigner wanderten in die umliegenden Straßen, insbesondere in die Avenue Montaigne, ab, wo sich heute eine exklusive Boutique an die andere reiht. Die Gründe für das Abwandern lassen sich nur erahnen. Zum einen könnte das verstärkte Verkehrsaufkommen auf der Champs Elys-sées eine Rolle für das Abwandern der exklusiven Boutiquen spielen, oder sie wurden von den Filialisten, Discountern oder der Laufkundschaft verdrängt. Um die Champs E-lyssées wieder attraktiver zu gestalten, bildete sich in den 1990er Jahren eine Initiative aus Kaufleuten, Medienschaffenden und Restaurantbesitzern, welche erreichten, dass der damalige Bürgermeister Chirac ein umfangreiches Sanierungsprogramm für die Champs Elyssées bewilligte. Innerhalb dieses Sanierungsprogramms wurden Tiefgara-gen gebaut, ein neuer Bodenbelag sowie eine neue Bepflanzung veranlasst.

Heute findet sich auf der Avenue ein Mix aus Luxus und Massenware, der sie für jede Bevölkerungsschicht so attraktiv macht. Überwiegend finden sich Restaurants, Cafés, Kinos, Theater, Fast-Food-Ketten, Souvenirstände, Autohäuser und Büros der großen Banken und internationaler Fluggesellschaften. Trotz des großen Bedeutungsverlusts in den letzten Jahren ist die Champs Elyssées der zweitteuerste Einzelhandelsstandort der Welt, nach der East 57th Street in New York, mit Ladenmieten von 496 Euro pro Quad-ratmeter (GAEBE 2004: 189). Im Rahmen der Exkursion wurde eine Kartierung der Champs Elyssées erstellt. Eine differenzierte Darstellung der Ergebnisse und deren Dis-kussion erfolgt in Kapitel 5.2.

Abbildung 58: Blick auf die Champs Elyssées125.

125 Aufnahme S.Hörz 2004.

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Abbildung 59: Die Billigkette Monoprix auf der Champs Elyssées126.

Des Weiteren stellte und stellt die Avenue des Champs Elyssées auch einen Ort vieler offizieller Veranstaltungen dar, wie z.B. die Siegesfeier zur Beendigung des 2. Weltkrie-ges, die 200-Jahr Feier der Revolution, die jährliche Parade zum 14. Juli sowie das Ziel der Tour de France.

Das Forum des Halles entstand auf dem ehemaligen Markthallenviertel Les Halles, nahe des Centre Pompidou, wo schon im Jahre 1135 der erste Markt stattfand. Nur rund 50 Jahre später baute man große Hallen, in denen die Händler ihre Waren zum Verkauf anboten. Aufgrund der steigenden Bevölkerungszahlen wurde der Warenumschlag im-mer größer, jedoch mangelte es aufgrund der dichten Bebauung in der Innenstadt an Expansionsfläche. Somit wurde Les Halles, welcher bis zum Jahre 1969 der wichtigste Markt im ganzen Pariser Raum war, letztendlich geschlossen und ein neuer Markt in Rungis eröffnet. Lange Zeit wurde nicht entschieden was mit den Hallen geschehen soll-te. Heute befindet sich jedoch auf dem Gelände der Les Halles einer der wichtigsten Bahnhöfe der gesamten Ile-de-France und das Forum, eine Ansammlung zahlreicher Einzelhandels- und Dienstleistungsbetriebe, welche teilweise unter der Erde liegen (THEIßEN 1998: 28-29). Als Hauptgrund für den Bau des Forums galt, die Stadt Paris durch Großprojekte als Weltmetropole zu erhalten. Und das Forum sollte eines dieser Projekte darstellen. Laut NOIN und WHITE (1997: 137) beherbergt das Forum mehr als 200 Einzelhandelsbetriebe und verzeichnet über 100.000 Besucher am Tag.

Bei näherer Betrachtung des Forums des Halles ist festzustellen, dass dieses Einkaufs-zentrum überwiegend auf die jüngeren Bevölkerungsschichten und nicht auf statushöhe-re Bevölkerungsgruppen ausgerichtet ist. Es finden sich hauptsächlich Boutiquen großer Einzelhandelsketten wie beispielsweise H&M, Orsay, Pimkie und Mango sowie etliche preiswerte Boutiquen französischer Herkunft. Auch das Einkaufszentrum an sich ist nicht als sonderlich freundlich oder angenehm zu beschreiben. Mit sehr niedrigen Decken so-wie kaum Tageslicht stellt das Forum des Halles keinen sehr attraktiven Einzelhandels-standort dar (vgl. Abbildung 61). Dies könnte auch einen Grund dafür darstellen, dass

126 Aufnahme S.Hörz 2004.

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noch vor etlichen Jahren viele Geschäfte leer standen und die Ladengeschäfte hohe Fluktuationsraten verzeichneten.

Abbildung 60: Das Forum des Halles127.

Abbildung 61: Im Innern des Forum des Halles128.

4.4.5 Regierungsviertel

4.4.5.1 Regierungsviertel – 7. Arrondissement

Im 7. Arrondissement, im Viertel Faubourg Saint-Germain, liegen die Nationalversamm-lung, zahlreiche Ministerien und Botschaften – es handelt sich um das Diplomatenviertel, auch „Viertel der Macht“ genannt. Hier befindet sich auch der Hauptsitz der UNESCO (http://www.frankreich-experte.de).

127 Aufnahme S.Hörz 2004. 128 Aufnahme S.Hörz 2004.

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Faubourg Saint-Germain, eine ehemalige Vorstadt, entstand aus einer kleinen Ansied-lung um die Abtei St-Germain-des-Prés. Bis Ende 16. Jh. gab es hier nur Äcker. Im 17. Jahrhundert ließ sich die erste Frau von Heinrich IV in dem Gebiet ein großes Landhaus bauen. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert kam Faubourg Saint-Germain in Mode und der Hochadel errichtete prachtvolle Residenzen (hôtels – Palastbauten) inmitten großer Parks, das Viertel hat also eine aristokratische Vergangenheit. Die Beliebtheit des Viertels beim Adel hing damit zusammen, dass Katharina von Medici das Marais-Viertel und den dortigen Königspalast (Hôtel de Tournelles) verlassen hatte, um sich im Tuile-rienpalast niederzulassen – ihr folgte wer Rang und Namen hatte in das 7. Arrondisse-ment.

Was beim Rundgang durch das Viertel auffällt ist, dass fast alle Paläste in diesem Teil der Stadt wesentlich größer, reicher und prachtvoller angelegt sind als beispielsweise im Marais-Viertel. Dort waren sie aufgrund der Bebauungsdichte sehr beengt. Im späten 17. und im 18. Jahrhundert kam außerdem der Absolutismus in Frankreich und damit auch die Privilegisierung des Adels zur vollen Entfaltung (Pletsch 2003: 194).

Zur Zeit Napoleons des III kam es zum Niedergang von Faubourg Saint-Germain zu-gunsten der Champs-Elysées. Viele Palais wurden abgebrochen, so ist der alte Charak-ter des Viertels nur noch in einigen Straßen erhalten, beispielsweise in der Rue de Lille, Rue de Grenelle und Rue de Varenne. Die starke Konzentration von öffentlichen Einrich-tungen, insbesondere Regierungseinrichtungen hängt damit zusammen, dass es leichter ist, alte Bausubstanz zu erhalten, wenn Gebäude in Staatsbesitz sind.

Beispiele für Regierungseinrichtungen im siebten Arrondissement sind das Palais-Bourbon (128 Rue de l’Université/Quai d’Orsay), Sitz des französischen Parla-ments, also der Nationalversammlung (Assemblé Nationale), das Außenministerium am Quai d’Orsay oder das Hôtel de Matignon (57 Rue de Varenne), seit 1958 Amtssitz des Pre-mierministers. Darüber hinaus gibt es hier zahlreiche Botschaften, unter anderem die deutsche im Hôtel de Beauharnais (78 Rue de Lille).

4.4.6 Unternehmensverwaltungen

4.4.6.1 Viertel der Unternehmenssitze – 8. Arrondissement

Das traditionelle Geschäftsviertel liegt nördlich der Seine in der westlichen Kernstadt zwischen dem Palais des Congrès und der Börse, insbesondere im 8. Arrondissement. Hier befinden sich in erster Linie die Hauptsitze großer Unternehmen sowie unterneh-mensorientierte Dienstleistungen wie z.B. Unternehmensberatung oder Finanzdienste. 32 % der an der Pariser Börse notierten Unternehmen haben hier ihre Headquarters (Noin und White 1997: 131), im Bereich unternehmensorientierter Dienstleistungen sind ca. 20000 Unternehmen im 8. Arrondissement ansässig. Zum Vergleich: die Gesamtzahl der Dienstleistungsunternehmen in diesem Arrondissement beträgt 32000 (Pariser In-dustrie- und Handelskammer: www.ccip75.ccip.fr). In jüngerer Zeit erfährt das ursprüng-liche Geschäfts- bzw. Dienstleistungszentrum allerdings eine Ausdehnung nach Westen in das sechzehnte Arrondissement, aber auch in die Petite Couronne.

Was die Hauptsitze der Unternehmen anbelangt, muss erwähnt werden, dass es sich hierbei hauptsächlich um französische Unternehmen handelt, von denen die meisten

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einen Sitz in Paris haben, hauptsächlich aus Prestigegründen und aufgrund der face-to-face Kontakte bzw. der Nähe zu Kunden, zu anderen Hauptsitzen und unternehmensori-entierten Dienstleistungen und zu politischen Einrichtungen. Die Tätigkeiten, die auf sol-che Kontakte nicht angewiesen sind, befinden sich in den so genannten Backoffices in weniger zentralen und somit weniger teuren Lagen. Hauptsitze ausländischer bzw. transnationaler Unternehmen sind in der Ile-de-France weniger stark vertreten und be-finden sich eher in La Défense.

Bis zum 17. Jahrhundert bestand das Gebiet des 8. Arrondissements aus Feldern. Dann wurden die Champs-Elysées eingerichtet und mehr und mehr Adlige zogen in dieses Viertel, insbesondere im 19. Jahrhundert (http://www.frankreich-experte.de). Heute noch ist dieses Viertel eines der vornehmsten in Paris und die Spitzenmieten für Büroflächen sind hier am höchsten: bis ca. 640 Euro/qm pro Jahr – in La Défense liegen sie bei ca. 460 Euro/qm pro Jahr. Im europäischen Vergleich gibt es nur in London höhere Spit-zenmieten, im West End liegen sie bei ca. 920 Euro/qm p.a.

Bei einem Gang durch das 8. Arrondissement fällt auf, dass das Pariser Geschäftszent-rum vergleichsweise „unauffällig“ ist. Im Gegensatz beispielsweise zu amerikanischen Großstädten, aber auch europäischen wie London, gibt es im Pariser Geschäftszentrum wenig Hochhäuser, die Konzentration von Bürotätigkeiten ist nicht ganz so extrem. Strenge Auflagen verbieten den Bau von Wolkenkratzern und verlangen die Erhaltung der früheren Stadtpalais. Neue Bauten müssen sich in ihre Umgebung einfügen. So z.B. im Falle des Bürogebäudes in der Rue Matignon, das in Abbildung 21 zu sehen ist. Die Verbindung einer modernen Glasfassade mit falschen klassischen Ruinen ist Ausdruck eines Kompromisses zwischen der Stadt Paris und dem Unternehmen, das das Haus bauen ließ. Die Stadt Paris verlangte, dass sich die Fassade unauffällig in die Umgebung einfügt, die ansässige Werbagentur wünschte sich ein kreatives Gebäude.

Abbildung 62: Bürogebäude in der Rue Matignon129.

129 Aufnahme S.Hörz 2004.

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Im 8. Arrondissement befinden sich auch zahlreiche Vertreter des hochwertigen Einzel-handels und Modedesigner, so gibt es Geschäfte von Dior, Hermes oder Gucci. Auch bedeutende Regierungseinrichtungen befinden sich im 8. Arrondissement: der Elyseepa-last, seit 1873 offizielle Residenz des französischen Staatspräsidenten, das Innenminis-terium, die Botschaften Amerikas und Großbritanniens etc.

4.4.6.2 Finanzzentrum – 2. Arrondissement

Im zweiten Arrondissement befindet sich die Wertpapierbörse, die Bourse des Va-leurs (4 place de la Bourse). Sie wurde 1724 gegründet und übernimmt 96 % aller Börsen-handlungen Frankreichs (Noin und White 1997 131). 1719 hatte John Law eine Privatno-tenbank gegründet, die aber ein Jahr später zusammenbrach. Das Spekulieren mit Akti-en war beim Publikum jedoch so beliebt geworden, dass man beschloss, eine offizielle staatliche Börse zu schaffen (Michelin: 120). Ende des 19. Jahrhunderts haben sich viele Banken in der Nähe der Börse angesiedelt, so auch die französische Staatsbank (Banque de France), die 1800 gegründet worden war. Alle großen französischen Banken haben eine Vertretung in Paris. Das Viertel zwischen dem Boulevard des Italiens und der Rue de Rivoli wurde zum Finanzzentrum Frankreichs (www.parisbalades.com).

Abbildung 63: Die Wertpapierbörse130.

4.4.6.3 Bürostandortkonzentration – La Défense

Die ca. 800 ha große Büro- und Wohnstadt La Défense liegt westlich der Kernstadt in der Petite Couronne im Departement Hauts-de-Seine. Sie befindet sich am (vorläufigen) Ende der Königsachse. Das Gebiet erstreckt sich auf der Gemarkung von drei Gemein-den: Nanterre, Puteaux und Courbevoie. Der Name „La Défense“ geht zurück auf ein Bronzedenkmal von Louis-Ernest Barrias von 1883 für die Verteidigung von Paris 1871, das sich am Place de La Défense befindet.

Die Entscheidung, das Gebiet von La Défense vordringlich als Geschäfts- und Verwal-tungszentrum zu entwickeln, wurde vom Generalrat des Département Seine im Jahre 1950 getroffen. Die Hauptbegründung war, dass Paris in seiner gewachsenen Struktur über kein modernes Stadtzentrum im Sinne von CBD bzw. Downtown verfügt. La Défen-se wurde geplant, um eine Entlastung der Kernstadt zu ermöglichen. Es zogen auch ei-

130 Aufnahme S.Hörz 2004.

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nige Unternehmen von der Kernstadt hierher. Da es auf Gemarkung von drei Gemeinden liegt, richtete man eine überkommunale Planungsbehörde ein. Die Bauarbeiten für das an einem Haupteisenbahnknoten gelegene Gebiet wurden 1958 begonnen. Laut Pletsch (2000: 120) wurden 415 ha Grundfläche enteignet, was 1.650 Grundstückseigentümer betraf. 9.250 Familien und 480 Betriebe wurden umgesiedelt. Ein großer Teil des Ge-biets hatte aus Bidonvilles, slumähnlichen Siedlungen, bestanden. 1958 sollte eine Welt-ausstellung in Paris stattfinden (letztlich fand sie in Brüssel statt), hierfür wurde als erstes Gebäude von La Défense das CNIT errichtet. Dieses Centre Nationale des Industries et Techniques, auch Palais de la Défense genannt, sollte ein „Schaufenster der französi-schen Industrie darstellen“ (Pletsch 2000: 118).

Die Planung von La Défense geht großteils auf Le Corbusier zurück. Es wurde bei-spielsweise seine Vorstellung von einer Trennung von Wohn-, Verkehrs-, Arbeits-, Ver-sorgungsfunktion und die Idee vertikaler Anordnung verschiedener Kommunikationsebe-nen verwirklicht. So ist der Verkehr ganz strikt vom Rest getrennt und verläuft größten-teils unterirdisch. Auch Parkplätze, Ver- und Entsorgung etc. befindet sich unter der E-bene der Fußgänger.

La Défense ist zweigeteilt: es besteht aus einem Geschäfts- und einem Parkviertel. Das Geschäftsviertel umfasst ca. 3 Millionen Quadratmeter Bürofläche, 1.500 angesiedelte Unternehmen und ca. 150.000 Beschäftigte und ist somit das größte Dienstleistungs-zentrum Frankreichs. Pletsch (2000: 102) bezeichnet es als „bedeutendster Wachstumspol des Dienstleistungssektors von ganz Frankreich“. Coy (2003: 63) spricht von „eine(r) der weltweit größten geplanten Bürostandortkonzentrationen“. Hier konzent-rieren sich vor allem hochwertige Dienstleistungen. 14 der 20 größten französischen Wirtschaftsunternehmen haben ihren Sitz in La Défense, bzw. 13 der 50 größten Kon-zerne der Welt (Pletsch 2000: 116), so z.B. Elf Aquitaine, Esso, IBM Europe oder Fiat. Es ist durchweg das Management, das sich am Standort La Défense befindet, produziert wird hier nicht. Da es Großteils aus Bürohochhäusern besteht, deren Errichtung in der Kernstadt nicht ohne weiteres möglich ist, wird es auch als „Pariser Manhattan“ bezeich-net (Noin und White 1997: 131). Im Geschäftsviertel befinden sich auch Wohnungen, Sport- und Freizeitanlagen sowie Geschäfte. Sie sind eher in den niedrigeren Gebäuden untergebracht. Während der Grande Arche de la Défense, das Wahrzeichen von La Défense (Abbildung 8), das 1989 eingeweiht wurde, das Ministerium für Städte- und Wohnungsbau beherbergt, gibt es sonst kaum öffentliche Einrichtungen. Zentrum des Viertels ist eine Fußgängerzone auf einer riesigen Betonplattform, die als Promenade stufenweise zur Seine abfällt und mit Plätzen und Grünanlagen verschönt ist. Sie durch-zieht das gesamte Viertel in der Fluchtlinie der Königsachse (Esplanade Charles de Gaulle, in Verlängerung dazu Le Parvis).

Das Parkviertel umfasst ca. 90 ha Fläche und liegt weiter westlich in der Ebene von Nan-terre. Hier befinden sich in erster Linie Wohnblocks. Ca. 30.000 Menschen leben in La Défense. Die Wohneinheiten sind alle in den 1970er und 1980er Jahren entstanden, bei-spielsweise die Tours Aillaud: 18 runde Turmbauten bis 100 m hoch, die ausschließlich Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus beherbergen. Generell gibt es in La Défense viele Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus. Im Parkviertel befinden sich auch Ver-waltungseinrichtungen, Hochschulen, Sportanlagen, ein Krankenhaus und die Friedhöfe von Puteaux und Neuilly, die parkähnlich umgestaltet wurden. Mittelpunkt des Viertels ist der 24 ha große Parc André Malraux.

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Abbildung 64: Die Tours Aillaud – Sozialwohnungen im Parkviertel von La Défense131.

Sowohl im Geschäfts- als auch im Parkviertel spielt Kunst als Teil städtebaulicher Ges-taltung eine bedeutende Rolle. La Défense wird auch als „lebendiges Museum zeitge-nössischer Kunst“ bezeichnet (Pletsch 2000: 141). Neben zahlreichen Skulpturen, Brun-nen etc. gibt es hier auch mehrere Museen und eine staatliche Ballettschule.

La Défense ist hervorragend verkehrlich angebunden. An die Kernstadt besteht eine un-terirdische Verbindung per Metro und R.E.R. (Regionalbahn). Auch die Eisenbahn (SNCF) sowie 20 Buslinien stehen zur Verfügung. Was den motorisierten Individualver-kehr anbelangt, verläuft in Drittel des Straßennetzes unterirdisch. Es gibt eine Autobahn und eine Art Ringstraße um den Bereich von La Défense herum. 26000 Parkplätze ste-hen zur Verfügung. Allerdings kommen 60 % der Pendler mit öffentlichen Verkehrsmit-teln (Pletsch 2000: 276).

Pletsch (2000: 135) beschreibt drei Generationen von Hochhäusern. Diese lassen sich bei einem Gang durch das Geschäftsviertel leicht ausmachen. Die erste Phase brachte sehr uniforme Wolkenkratzer hervor, in der zweiten Generation, die vor allem in den 70er Jahren lag, wurden riesige Hochhäuser gebaut – die höchsten in La Défense überhaupt -, in denen kunstlichterhellte Großraumbüros dominierten. Die dritte Phase setzte nach einer langen schwierigen Zeit von Öl- und Wirtschaftskrise ab den 80ern ein. Merkmale sind individuellere Arbeitsbereiche und Büros mit natürlichem Licht. „…so wurde die Uni-formität der ersten durch die Monumentalität der zweiten und die Individualität der dritten Phase abgelöst“ (Pletsch 2000: 135). Insgesamt gibt es in La Défense eine außerge-wöhnliche architektonische Vielfalt - Architekten der ganzen Welt haben sich hier ihre Denkmäler gesetzt.

Das beeindruckendste Gebäude ist sicherlich La Grande Arche de La Défense, die den momentanen Abschluss der Königsachse darstellt. Es hatte unter verschiedenen Präsi-denten bereits einige Wettbewerbe zu diesem Projekt gegeben, die Realisierung schei-terte aber meist an einem Machtwechsel. Schließlich wurde es als eines der Prestigepro-jekte von Mitterand verwirklicht und zwischen 1985 und 1989 erbaut. Eingeweiht wurde das Gebäude im Rahmen eines Weltwirtschaftsgipfels zur 200-Jahr Feier der Revolution. Architekt ist der Däne Johann Otto von Spreckelsen. Der Kubus ist 110 m hoch und 300.000 Tonnen schwer, er ist mit Glas und weißem Carrara-Marmor verkleidet. Den Triumphbogen überragt La Grande Arche um das Doppelte, Notre Dame würde in die

131 Aufnahme C.Meyer 2004.

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Mitte des Kubus passen. Neben Büros beherbergt es eine Stiftung für Menschenrechte und wie oben erwähnt ein Ministerium. Das Gebäude befindet sich in einem leicht ver-setzten Winkel zur Fluchlinie der Achse (6,3 Grad), der exakt der Winkelabweichung des Louvre am anderen Ende entspricht.

Abbildung 65: Hochhäuser der 3. Generation: Kupka, Société Générale und La Pacific – alle zu Beginn der 1990er entstanden132.

Abbildung 66: La Grande Arche de la Défense133.

Was beim Rundgang durch la Défense auffällt, ist die Tatsache, dass weite Teile sehr unbelebt sind und fast steril wirken. So gibt es bis auf den Bereich des Place de la Défense kaum Einzelhandel oder Gastronomie. Das Einkaufszentrum „Les Quatre Temps“ wird im Michelin Reiseführer (1996: 106) als das größte Europas beschrieben, bei Pletsch (2000: 140) als eines der größten Europas, das Kino „Dôme Imax“ gar als größtes der Welt (Pletsch 2000: 142). Doch beim Besuch im Sommer 2004 war das Kino geschlossen, das Einkaufszentrum zählt heute wohl auch nicht mehr zu den größten Europas. An einigen Stellen im Geschäftsviertel hatte man den Eindruck, Gebäude, Inf-rastrukturen etc. werden nicht gepflegt und verfallen zunehmend.

132 Aufnahme C.Meyer 2004. 133 Aufnahme S.Hörz 2004.

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4.4.7 Tourismus

„Leben wie Gott in Frankreich.“ Dieses viel gehörte Zitat bringt zum Ausdruck, wie schön es in Frankreich doch sein muss. Und in der Tat: Frankreich ist eines der beliebtesten Urlaubsziele weltweit. Im Jahr 2001 kamen 76,5 Mio. ausländische Touristen in das Land, um die vielen kulturellen Sehenswürdigkeiten anzuschauen, die vielfältigen Land-schaften zu nutzen (Radtouren, Ski fahren) oder auch, um sich an den Küsten (Atlantik-küste, Côte d’Azur) zu erholen. Dagegen liegen die Touristenzahlen der USA (50,9 Mio.) und Deutschland (19 Mio.) weiter zurück (PLETSCH 2003: 277).

Heute ist der Tourismus einer der bedeutendsten Wirtschaftszweige. Allein 11,6 % des weltweiten Bruttosozialprodukts werden im Tourismussektor erzeugt (www.eduvinet.de). Der Anteil des Tourismus am Bruttoinlandsprodukt beträgt in Frankreich 7 % (Deutsch-land: 0,6 %). Neben den positiven wirtschaftlichen Folgen (Schaffung von Arbeitsplätzen, Devisenbringer, verbesserte Infrastruktur) gibt es jedoch auch negative Auswirkungen (Import von Produkten, Luftbelastung durch Abgase). Weltweit sind über 200 Mio. Men-schen im Tourismussektor beschäftigt. Diese hohe Anzahl der Beschäftigten ist eine Folge der Steigerung der Reiseintensität. Dabei steigt vor allem die Anzahl der Kurzrei-sen, die zwischen zwei und vier Tage dauern. Schon heute unternehmen 23 % der Be-völkerung neben der Urlaubsreise eine zusätzliche Kurzreise und weitere 21 % sogar mehrere Kurzreisen. Die bevorzugte Konzentration dieser Kurzreisen sind städtische Ziele. Durch seine in vielerlei Hinsicht überragende Stellung bezüglich der Anzahl an Sehenswürdigkeiten ist Paris mit der Ile-de-France zu einem der beliebtesten Ziele des Städtetourismus geworden.

4.4.7.1 Städtetourismus

Der Begriff des Städtetourismus stammt aus der Tourismusgeographie, einer noch eher jungen Disziplin innerhalb der Geographie. EBERHARD (in BECKER et al. 2003: 193) versteht unter Städtetourismus „die Beziehungen und Erscheinungen, die sich aus dem vorübergehenden Aufenthalt Ortsfremder in Städten ergeben.“ Der Stadt als Raum für Tourismus und Freizeit wurde erst im Laufe der 1970er-Jahre Beachtung geschenkt. Davor ging man davon aus, dass die Stadt für die Erholung nicht in Frage kommt, son-dern dass man lieber hinaus ins Grüne fährt. Doch durch die Errichtung von Naherho-lungsgebieten und Freizeiteinrichtungen (Erlebnisbäder, Minigolfanlagen, Kur- und Well-nesshotels…) rückte die Erholungsfunktion der Stadt zusehends in den Mittelpunkt des Interesses und die Städte gewannen dadurch an Attraktivität.

Durch die weit gefasste Definition des Begriffs „Städtetourismus“ erkennt man, dass der Tourismus in Städten verschiedene Ursachen und Ausprägungen haben kann. Bei der Gliederung der Städtetourismusarten werden die Aufenthaltsdauer und die Reisemotiva-tion als Unterscheidungskriterien angewandt. Zusätzlich ist der Städtetourismus nur ein Oberbegriff, unter dem zahlreiche Tourismusarten subsumiert werden können (Ge-schäfts-, Kongress-, Sightseeing- oder Shoppingtourismus). Städte mit über 100.000 Einwohnern werden in Frankreich von mehr als der Hälfte der touristischen Ankünfte bevorzugt, obwohl sie nur 5 % der kulturellen Sehenswürdigkeiten enthalten. In Deutsch-land ist die Stadt als Touristenziel weniger beliebt (27 % der touristischen Ankünfte), was möglicherweise an der geringen Attraktivität der deutschen Städte liegt.

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In Frankreich erhält Paris seinen hohen Stellenwert durch die „Multioptionalität“ (Se-henswürdigkeiten, Geschäfte, kulturelle und sportliche Angebote, Ausstellungsflächen). Um die Attraktivität zusätzlich noch zu steigern, stützt man sich unter anderem auf die klassischen Marketingtechniken. So nutzte man das wachsende Interesse am Industrie- bzw. Techniktourismus seit Mitte der 80er Jahre, um dasselbe Publikum nun auch auf historische Sehenswürdigkeiten aufmerksam zu machen. Ein weiterer Anziehungspunkt sind die „Grands projets“ (z.B. Grande Arche), die von international renommierten Archi-tekten in Paris in den letzten zwei Jahrzehnten errichtet wurden. „Doch die Attraktivität dieser Städte für Touristen bezieht sich nicht nur oder nicht einmal überwiegend auf mo-derne Bauten unter-schiedlicher Entstehung. Die Mischung von Bauten unterschiedlicher Entstehung, Funktion und Stilelemente macht den Reiz großer Städte aus“ (GAEBE in BECKER et al. 1993: 64). Es ist also auch die große Spannweite innerhalb eines Inte-ressengebietes dafür ausschlaggebend, dass Paris diesen hohen Stellenwert einnimmt. Die Attraktivität der Sehenswürdigkeiten schlägt sich in den Besucherzahlen nieder (vgl. Tabelle 19). Dabei liegt Notre-Dame weit vor dem Eiffelturm, der allerdings im Gegen-satz zu Notre-Dame keinen Eintritt kostet. Tabelle 19: Besucherzahlen von ausgesuchten Sehenswürdigkeiten in Paris134.

Notre-Dame 12.000.000 Eiffelturm 6.200.000 Sacré Coeur 6.000.000 Louvre 5.700.000 Centre Pompidou 5.500.000 Versailles 2.700.000 Arc de Triomphe 1.300.000 Tour Montparnasse 522.000 La Grande Arche 365.000 Stade de France 136.000

Eines der zahlreichen Beispiele, die ein beliebtes Ziel der Touristen darstellen, ist das Montmartre-Viertel. Von der höchsten natürlichen Erhebung Paris (129 m) hat man einen weit reichenden Ausblick auf die Stadt. Zudem haben die verwinkelten Gassen mit fast dörflichem Charakter einen Aspekt bewahrt, der im übrigen Stadtgebiet im Zuge der Haussmann’schen Umgestaltung vielerorts verloren gegangen ist.

Montmartre, der Märtyrerberg, ist aber auch ein wichtiges Stück Pariser Stadtgeschichte. Der Legende nach wurde der heilige Dionysius, der erste Erzbischof von Paris, am Fuße des Montmartre im Jahre 272 enthauptet. Er soll dann seinen Kopf aufgehoben und sei-nen Foltergang noch weitere sechs Kilometer nach Norden fortgesetzt haben, bis zu der Stelle, wo später der Vorort Saint-Denis entstand und wo am Ende dieses Märtyrerwe-ges die Kathedrale erbaut wurde, die zur Grabstätte der meisten französischen Könige geworden ist. Im Mittelalter befanden sich auf dem Hügel ein Nonnenkloster und ein

134 www.laurif.org

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Dorf, in dem Windmühlen standen und Weinbau betrieben wurde; später wurde in Stein-brüchen außerdem Gips abgebaut. Erst 1860 wurde das Dorf eingemeindet, wobei da-mals noch 30 Windmühlen in Betrieb waren. Das Flair und die niedrigen Mieten des Weindorfes zogen junge, meist mittellose Künstler und Literaten an. Nach dem ersten Weltkrieg zogen die meisten Künstler dann nach Montparnasse, während Montmartre zum Synonym des Pariser Nachtlebens wurde.

Im Mittelalter befanden sich auf dem Hügel ein Nonnenkloster und ein Dorf, in dem Windmühlen standen und Weinbau betrieben wurde; später wurde in Steinbrüchen au-ßerdem Gips abgebaut. Erst 1860 wurde das Dorf eingemeindet, wobei damals noch 30 Windmühlen in Betrieb waren. Das Flair und die niedrigen Mieten des Weindorfes zogen junge, meist mittellose Künstler und Literaten an. Nach dem ersten Weltkrieg zogen die meisten Künstler dann nach Montparnasse, während Montmartre zum Synonym des Pa-riser Nachtlebens wurde.

Der Place du Tertre (vgl. Abbildung 67) bildet das eigentliche Herz des Montmartre-Viertels. Während es hier in den Morgenstunden noch recht ruhig zugeht, schieben sich ab mittags die Besucherströme durch. Angelockt werden die Touristen vor allem durch die vielen Künstler und Maler, die sich jedoch weitestgehend dem Kommerz verschrie-ben haben.

Den wörtlich zu nehmenden Höhepunkt von Montmartre bildet jedoch Sacré Coeur (Abbildung 68). Mit sechs Millionen Besuchern liegt sie auf dem dritten Platz in der Be-liebtheitsskala der Touristen. Die Kirche wurde zwischen 1876 und 1914 als Zeichen der Sühne für den verlorenen Krieg gegen Deutschland 1870/71 und den niedergeschlage-nen Aufstand der Kommunarden 1871 erbaut. Sie wurde über einem Massengrab er-mordeter Aufständischer errichtet. Im 83 m hohen Campanile hängt mit 18,5 t eine der schwersten Glocken der Welt. Von den Stufen von Sacré Coeur und dem Vorplatz hat man einen herrlichen Blick über die Dächer von Paris.

Abbildung 67: Place du Tertre135.

135 Aufnahme C.Klaus 2004.

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Abbildung 68: Sacré Coeur136.

4.4.7.2 Wichtigkeit des Tourismus für die Ile-de-France

Die Ile-de-France wird jährlich von 10 Mio. ausländischen Touristen besucht. Davon kommen 87 % aus Europa, insbesondere aus Großbritannien und aus Deutschland (www.eduvinet.de). Zusätzlich besuchen noch 6 Mio. Franzosen ihre Hauptstadt. Diese große Zahl ist deshalb nicht weiter verwunderlich, weil 90 % aller Urlaubsaufenthalte der Franzosen in Frankreich stattfinden. Dazu gehören aber auch Tagungen und Kongresse. Im Vergleich dazu liegt Berlin mit 11 Mio. Touristen (davon 6 Mio. Deutsche) doch weit hinter Paris zurück (www.deutschertourismusverband.de).

Die Wichtigkeit des Tourismus spiegelt sich auch in der regionalen Verteilung der Hotel-übernachtungen wider (vgl. Abbildung 69). Die überragende Bedeutung der Hauptstadt-region erklärt sich nahe liegend aus den hohen Anteilen der Besucher von Paris, wobei sich hier Geschäfts-, Besichtigungs- und Bildungstourismus stark überlagern. Hinsicht-lich der absoluten Anzahl der Übernachtungen hat die Region PACA die Hauptstadtregi-on jedoch überflügelt. Das liegt vor allem an der großen Anzahl der Campingübernach-tungen, die an der Mittelmeerküste gemacht werden. Allerdings werden dort auf Grund der billigeren Preise mehr Übernachtungen je Reise getätigt als in Paris.

4.4.7.3 Wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus anhand der Hotelstruktur

Die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus für die Ile-de-France erkennt man unter anderem an der Anzahl der Hotelzimmer (vgl.

Tabelle 20). Die Region Ile-de-France hat mit mehr als 149 000 Hotelzimmern mehr, als die darauf folgenden Regionen PACA und Rhône-Alpes zusammen. Die Region mit den

136 Aufnahme C. Klaus 2004.

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wenigsten Hotelzimmern ist Limousin. Der Anteil der Hotelzimmer von Paris (in Bezug auf die Ile-de-France) beträgt dabei 55 % (www.laurif.org).

Auch die hohe Anzahl an Hotelzimmern in den 4-Sterne- oder Luxushotels ist beachtlich. In Paris gibt es 138 4-Sterne-Hotels und fünf Luxushotels. Amerikaner und Japaner be-vorzugen vor allem diese Sorten von Hotels, wohingegen die Europäer eher auf 1-Stern- bis 3-Sterne-Hotels zurückgreifen. Die Geschäftsleute, die einen großen Anteil an den Gesamtübernachtungen haben, übernachten ebenso in Hotels der gehobenen Katego-rie. Da viele Firmen ihren Hauptsitz auch in der Hauptstadt haben, ist der Geschäftstou-rismus eine wichtige Einkommensquelle für das Hotelgewerbe. Paris besitzt zudem das größte europäische Kongreßzentrum. Der Umsatz aus dem jährlichen Geschäftstouris-mus beläuft sich somit auf 3,3 Mrd. Dollar (www.diplomatie.gouv.fr).

Abbildung 69: Regionale Verteilung der Hotelübernachtungen 2000137.

Tabelle 20: Anzahl der Hotelzimmer 2003138.

Region Ile-de-France

Limousin Rhônes-Alpes PACA

Anzahl d. Hotelzimmer 149 019 5 258 71 778 68 628

137 PLETSCH 2003: 274 138 http://www.insee.fr

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Insgesamt gibt es in der Ile-de-France 2.230 Hotels; das sind 11,9 % aller Hotels in Frankreich (Berlin: 445 Hotels, 1,1 %). Die Übernachtungszahlen (Ile-de-France: 19,4 % aller getätigten Übernachtungen in Frankreich; Berlin: 4,1%) sind ebenfalls ein Indiz für den wirtschaftlichen hohen Stellenwert der Ile-de-France. Durch den starken Tourismus gibt es viele Arbeitsplätze. Allein im Hotelgewerbe sind es 47.000. Die herausragende Stellung von Paris spiegelt sich auch im Preis der Hotelzimmer wider: In Berlin kostet ein Hotelzimmer durchschnittlich 103€, in Paris sind es dagegen 185€.

Hotel George V: Das Hotel George V gehört zur Hotelkette Four Seasons, die Hotels auf allen Kontinenten unterhält. Dieses Hotel ist ein Beispiel für die Kategorie der Luxusho-tels. Sie haben sich vor allem im ersten und achten Arrondissement angesiedelt, da sich hier auch die luxuriösen Geschäfte niedergelassen haben (vgl. Abbildung 70). Selbst an dieser Hotelkette kann man erkennen, dass Paris zu den Weltstädten gehört, da das Einzelzimmer im Four Season Hotel in Berlin „nur“ 305€ kostet, in Paris bereits 550€.

Bei unserem Besuch bekamen wir eine Führung, bei der wir erfahren haben, dass sich in Paris 650 Angestellte (darunter 40 Auszubildende) um das Wohl der Gäste kümmern. Das 1928 errichtete, achtstöckige Gebäude befindet sich in der Avenue George V. Die prachtvollen Räumlichkeiten vereinen Art-deco-Ambiente mit restaurierten Gobelins aus dem 17. Jahrhundert und edles Interieur mit modernstem Komfort. Das Hotel besitzt 245 Gästezimmer (Abbildung 17), darunter 61 Suiten; 30 davon mit eigener Terrasse. Das Restaurant „Le Cinq“ ist mit Michelin-Sternen bedacht. Zur Ausstattung gehören zudem noch ein Health-Club mit luxuriösem Spa und eine 1.194m² Konferenz- und Veranstal-tungsfläche.

Abbildung 70: Verteilung der Luxushotels in Paris139.

139 Office du Tourisme Paris 2004.

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Abbildung 71: Gästezimmer in George V.140

4.5 Verkehrssituation in der Kernstadt – Verkehrsangebot in der Kernstadt

Das Funktionieren jeder Stadt und ihrer Agglomeration hängt von zahlreichen Infrastruk-tursystemen ab. Sie müssen an die Bedürfnisse von vielen Menschen und zahlreichen Unternehmen angepasst sein. Zudem müssen sie im Laufe der Zeit mit dem Wachstum der Bevölkerungszahlen, dem ökonomischen Wachstum und den technischen Fortschrit-ten erneuert, modernisiert und neu ausgerichtet werden. Hierzu gehört im Besonderen das Verkehrssystem.

Das Verkehrssystem der Region Paris wird im Laufe dieses Kapitels anhand der auf der Exkursion angesprochenen Themen in den Unterkapiteln öffentlicher Personenverkehr, Individualverkehr und Verkehrsneuplanung näher beleuchtet. Dabei wird jeweils erst eine allgemeine Einführung zu dem jeweiligen Thema geliefert, bevor die Besonderheiten des zum Thema ausgewählten und besuchten Standorts folgen.

4.5.1 Öffentlicher Personenverkehr

Einen wichtigen Teil des Verkehrssystems insbesondere von Agglomerationsräumen stellt der öffentliche Personenverkehr dar. Im Folgenden werden daher die auf der Ex-kursion besprochenen Aspekte Eisenbahn, anhand des Standort Gare Montparnasse, und ÖPNV, anhand Métro und RER, betrachtet.

140 http://www.fourseasons.com 2004.

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4.5.1.1 Eisenbahn

Die Bahnhöfe hatten im Haussmannschen Urbanisierungskonzept eine besondere Rolle inne. Nach ihrem Verlauf richteten sich sowohl die Straßenleitlinien als auch die Wege-führung. Zudem war die Lage der Bahnhöfe wichtig für den Stellenwert ganzer Stadtvier-tel, da die Bahnhöfe gewissermaßen die erste „Visitenkarte“ einer Stadt darstellen.

Die erste Eisenbahnlinie in Paris vom Tivoli-Bahnhof nach St. Germain wurde 1837 er-öffnet. Bereits zwei Jahre später konnte die zweite Linie nach Versailles in Betrieb ge-nommen werden. Zur Jahrhundertmitte war ein Kranz von sechs Bahnhöfen entstanden, dessen Ziel v.a. die Fernanbindung war. Es gibt keinen einzelnen Hauptbahnhof, da im Kriegsfall kein zentrales Angriffsobjekt existieren sollte. Diese Entscheidung bewirkt bis heute, dass man als Durchreisender die Stadt nur selten direkt durchqueren kann und zum Umsteigen gezwungen ist, um seine Reise fortzusetzen, da die direkte Verbindung zwischen den Bahnhöfen bis jetzt nicht erfolgt ist. Die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre und der Zweite Weltkrieg verschlechterten den Zustand der Eisenbahn. Bereits 1938 wurde das unrentable Geschäft vom Staat übernommen und seitdem von der SNCF (Société Nationale des Chemins de Fer) betrieben. Trotzdem war der Schienenverkehr bis nach dem Zweiten Weltkrieg der dominierende Verkehrsträger (BRÜCHER 1992: 80, PLETSCH 2000: 249, SCHÜLE 1997: 180).

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist zur Aufgabe der Bahnhöfe, v.a. des „Gare Mont-parnasse“ und des „Ligne de Sceaux“, neben den Fernverbindungen, immer mehr die Vorortversorgung dazugekommen (SCHÜLE 1997: 180). In den letzten Jahrzehnten hat das Netzwerk große Investitionen erhalten. Diese dienten dazu, die Linien aus dem 19. Jahrhundert zu modernisieren und zusätzliche Linien wie den TGV zu ermöglichen. Heu-te ist Paris das Hauptfernreisezentrum in Europa, was sowohl die Passagiere als auch die Waren angeht (NOIN und WHITE 1997: 147). Die SNCF befördert rund 85 Mio. Rei-sende pro Jahr im Fernverkehr (BAEDECKER 1999: 23).

Zur Besprechung dieses Themas eignet sich der Gare Montparnasse im südlichen Teil von Paris, da dieser Standort zudem die Weiterentwicklungen des Eisenbahnwesens zeigt. Der Bahnhof befindet sich, wie schon am Namen abzulesen ist, im Montparnasse-Viertel. Dieses Gelände diente lange Zeit als Steinbruch, bevor sich dort im 16. Jh. Stu-denten niederließen. Haussmann schloss das Viertel im 19. Jh. mit dem Bau der Rue Rennes und den Boulevards de Raspail und d´Arago an den innerstädtischen Bereich an. Durch diese Maßnahme wurde Montparnasse schon früh ein wichtiger Verkehrskno-tenpunkt im Süden von Paris. Noch vor dem Ersten Weltkrieg entdeckten Künstler das Viertel für sich und zogen von Montmartre hierher (DROSTE-HENNINGS und DROSTE 2003: 334/5). Der Bahnhof (vgl. Abbildung 72) selbst ist ursprünglich einer der ältesten in Paris und stammt aus dem Jahre 1840. Im Laufe der Zeit wurde die Station mehrfach um- bzw. neu gebaut. So wurde in den 1960er Jahren das Gelände letztmals neu orga-nisiert - und gleichzeitig der Tour Montparnasse gebaut - bevor in den 1990er Jahren ein neuer Teil hinzugefügt wurde. Es handelt sich dabei um einen neuen Bahnhofstrakt, den Gare de Vaugirard, von dem der TGV Atlantique in Richtung Bretagne und Westfrank-reich abfährt. Ein Teil der Gleise wurde mit dem Jardin de l´Atlantique überdacht, der somit einen Park in Form von hängenden Gärten darstellt. Aufgrund der U-förmigen Be-bauung durch drei Gebäude, dem Air France Hauptsitz im Westen, ein Gebäude mit 1.000 Appartements im Osten und dem Bahnhofshauptgebäude im Norden, ist diese

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Gartenanlage von außen nicht einzusehen (DROSTE-HENNINGS und DROSTE 2003: 335/6, THE PARIS PAGES 2004 (Internet)).

Die Befördertenzahlen des Gare Montparnasse betrugen 1988 im Vorstadtverkehr ~26 Mio. Passagiere pro Jahr und im Fernverkehr ~11,5 Mio. pro Jahr. Zum Vergleich dazu kommt der Gare de Lyon mit dem höchsten Passagieraufkommen aller Pariser Bahnhöfe auf jährlich etwa 35 Mio. Passagiere im Fernverkehr und knapp 40 Mio. in den Vorortzü-gen (PLETSCH 2000: 249). Dabei muss allerdings bedacht werden, dass der Gare Vau-girard damals noch nicht gebaut war und daher heute die Passagierzahlen aufgrund des TGV-Verkehrs höher liegen dürften.

Abbildung 72: Gare Montparnasse (Blick vom Tour Montparnasse)141.

4.5.1.2 Öffentlicher Personennahverkehr

Im ÖPNV in der Ile-de-France gibt es zwei Gesellschaften, den SNCF und den RATP (Régie Autonome des Transports Parisiens). Sie transportieren im Jahr rund 3,5 Mrd. Fahrgäste (BAEDECKER 1999: 23). Der VVS in Stuttgart hat zum Vergleich hingegen 308 Mio. Fahrgäste pro Jahr (VVS 2004). Seit dem Jahr 1975 gibt es die carte orange. Damit ist es möglich, eine Woche bzw. einen Monat lang jedes öffentliche Verkehrsmittel in einer oder mehreren Zonen zu benutzen. Diese Vereinheitlichung bedeutet u.a. einen Anreiz, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren (BASTIÉ 1980: 66, NOIN und WHITE 1997: 151). 60 % aller ÖPNV-Fahrten entfallen auf Métro und RER, 25 % auf den Bus und 10 % auf die Vorortbahnen (NOIN und WHITE 1997: 152). Im Rahmen der

141 www.community.webshots.com 2004

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Exkursion wurden die öffentlichen Verkehrsmittel Métro anhand der Neuentwicklung Météor und der RER am Standort Châtelet - Les Halles näher besprochen.

Die Vorgeschichte der Métro ist geprägt von einer Kontroverse zwischen der Stadt Paris und dem französischen Staat. So wollte der Staat die sechs Kopfbahnhöfe durch den Stadtkern hindurch verbinden. Er erhoffte sich dadurch, das räumliche Wachstum des Ballungsraums außerhalb von Paris zu steigern und gleichzeitig das Bevölkerungs- und Machtpotential der Stadt einzudämmen. Die Stadt wollte hingegen kein Eisenbahnnetz auf ihrem Boden, da die Eisenbahngesellschaft und damit indirekt der Staat Einfluss auf Paris gehabt hätte. In diesem Streit setzte sich die Stadt durch, und so kam es zum Bau der Métro, die 1900 zur Weltausstellung eröffnet wurde (BRÜCHER 1992: 90).

Dies war im Vergleich z.B. zu London, das schon 1863 seine U-Bahn hatte, relativ spät. Der Ausbau der Métro ging in der Folgezeit schnell voran, so dass beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges schon große Teile des heutigen Netzes fertig gestellt waren (THEI-ßEN 1988: 18). Die Linien folgten meist den Straßen, da das französische Bodenrecht das Eigentum bis weit ins Erdinnere vorsieht (SCHÜLE 1997: 183). Die Erweiterungen des Netzes wurden anfangs hauptsächlich in der Stadt vorgenommen und erst ab 1934 in den Vororten (BAEDECKER 1999: 22). Nach dem Zweiten Weltkrieg nahmen die In-vestitionen stark ab, da die Métro bei der Verkehrsplanung nicht berücksichtigt wurde. In dieser Phase wurde der gesamte ÖPNV politisch vernachlässigt und der Entwicklung des Autoverkehrs untergeordnet. Bis zum Anfang der 1970er Jahre wurde das Netz da-her nur noch wenig verbessert. 1962 ließ sich feststellen, dass 1/4 der Bahnen noch von der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stammten. Die starke Überalterung, die auch die tech-nische Infrastruktur betraf, führte dazu, dass die Befördertenzahlen absanken (SCHÜLE 1997: 184, THEIßEN 1988: 18/19).

Die Métro hat einige weitere Nachteile. Zum einen ist das Streckennetz nicht an die Be-dürfnisse angepasst, denn das Netz geht auch heute noch wenig über die Stadtgrenzen hinaus (vgl. Tabelle 21). Daher kann die Métro den Pendlerverkehr zwischen den Voror-ten und Paris nicht aufnehmen. Zudem ist das Tunnelprofil zu eng für die Vorortzüge und den RER, was sich aus dem Machtkampf zwischen der Stadt und dem Staat erklärt. Die Stadt wollte verhindern, dass eine Eisenbahn auf ihrem Gebiet verkehrt. Weitere Prob-leme sind die geringe Länge der Bahnsteige für maximal vier Wagen mit rund 800 Plät-zen und dass da die Taktung nicht beliebig gesteigert werden kann. Es existieren außer-dem einige Planungsfehler im Métrosystem. Dies betrifft u.a. die Umsteigebahnhöfe. Hier wurde weder die Möglichkeit eingeplant, auf der einen Seite ein- und auf der anderen Seite auszusteigen, noch wurden die Umsteigestationen übereinander angelegt, was nun zu langen Wegen beim Umsteigen führt. In den letzten Jahren wurden einige Mo-dernisierungen und Erweiterungen, allerdings nur um wenige Kilometer, durchgeführt, um die Métro besser anzupassen (SCHÜLE 1997: 186/7, THEIßEN 1988: 19-21). Diese Entwicklung lässt sich anhand Tabelle 21 nachvollziehen. So wurde das Métronetz zwi-schen 1949 und 1960 in der Ile-de-France gerade um 3 km ausgeweitet, in der Stadt Paris blieb es sogar nahezu gleich. Von 1960 bis 1998 kann aus der Tabelle hingegen eine Verlängerung des Netzes um ~40 km von 169 km auf 211 km in der Ile-de-France abgelesen werden. Dabei entfällt knapp die Hälfte der Vergrößerung auf das Gebiet der Stadt Paris. Trotz aller Nachteile ist die Pariser Métro bis heute ein Vorbild für die ganze Welt und bietet in der Innenstadt ein dichtes Netz, bei welchem der Abstand zwischen den einzelnen Stationen nie größer als 500 m ist.

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Tabelle 21: Entwicklung des ÖPNV (1949-1998)142.

Zu den Modernisierungen im Bereich des ÖPNV gehört die vollautomatische Métrolinie 14, Météor (= Métro Est-Ouest Rapide), die in der momentanen Ausdehnung von den Stationen Saint-Lazare bis Bibliothèque François Mitterrand reicht und auf der Exkursion als Standort für die Besprechung der Métro und ihrer Weiterentwicklungen diente. Der Baubeginn dieses Projekts war in den 1990er Jahren. Im Oktober 1998 wurde das erste Teilstück von Madeleine bis Bibliothèque François Mitterrand mit einer Länge von 1,7 km eröffnet. Die Gründe für den Bau des Météor sind zum einen die Entlastung der Métroli-nie 1 und des RER A mit rund 8.000 Personen pro Stunde und Richtung und zum ande-ren die bessere Verknüpfung zwischen den hier verkehrenden RER- und Métrolinien. Seit dem Dezember 2003 ist der 2.Teil des Projekts, die Erweiterung von Madeleine

142 BASTIÉ 2004: 379

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nach Saint-Lazare, in Betrieb. Der Météor legt die 8 Stopps von seiner Anfangs- bis zu seiner Endstation in 11 Minuten zurück und erreicht damit eine durchschnittliche Ge-schwindigkeit von 40 km/h (SPG MEDIA LIMITED 2004 (Internet)). Dies entspricht dem Doppelten des Métrodurchschnitts, wobei berücksichtigt werden muss, dass die Métro mehr Haltestellen auf einer vergleichbaren Strecke versorgen muss. Der Météor hat als vollautomatische Métrolinie keinen Fahrer. Die Fahrer können durch Fortbildungen in den Kontrollzentren eingesetzt werden, wo sie per Computer und Überwachungskame-ras den reibungslosen Ablauf kontrollieren und notfalls eingreifen können. Zu dem Si-cherheitskonzept gehören auch die Glastüren an jeder Station, die sich erst öffnen, wenn die Bahn steht und zum Einsteigen bereit ist (vgl. Abbildung 73).

Abbildung 73: Météorhaltestelle mit Sicherheitsglastüren143.

Für die Zukunft ist ein weiterer Ausbau der Linie 14 nach Süden zur neuen Station O-lympiades geplant, die im Sommer 2006 in Betrieb genommen werden soll. Die Kosten für das Gesamtprojekt Météor werden mit ungefähr 1 Mrd. € beziffert (SPG MEDIA LIMI-TED 2004 (Internet), JANBERG 2004 (Internet)).

Bei der näheren Betrachtung des RER, der mit einem auf die Vororte ausgedehnten, regionalen Métrosystem vergleichbar ist, stellt sich die Frage, warum das bestehende Métronetz nicht ausgebaut wurde. Denkbare Gründe sind die Konkurrenz zwischen RATP und SNCF, die unterschiedlichen Spurweiten und die „Überalterung“ der Métro. Ein weiterer möglicher Grund ist nach SCHÜLE (1997) ein sozialer Umstand, da der RER als Transportmittel für die „aufsteigenden Dienstleister aus den begüterten Voror-ten“ gedacht war. „Den Mief der Métro wollte man ihnen ersparen“ (SCHÜLE 1997: 187).

Der RER stellt also eine Ergänzung von Métro und Eisenbahn dar mit dem Ziel, Paris mit den Vororten besser zu verbinden. Im Jahr 1969 wurde der erste Abschnitt des RER, die Linie A zwischen Boissy-Saint-Léger und Nation, eröffnet. Für den RER wurden in Paris neue aufwändige Anschlüsse gebaut, aber sonst meist die bestehenden Anschlüsse ausgebaut. Das System des RER unterliegt einem großen Widerspruch. Auf der einen

143 BVG 2004 (Internet)

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Seite soll er fern liegende Orte schnell bedienen und auf der anderen die einzelnen Vor-orte versorgen. Dieser Tatsache wird z.T. dadurch Rechnung getragen, dass es durch-gehende und nichtdurchgehende Züge gibt. Der RER stellt mit den nichtdurchgehenden das erste funktionierende Vorortsystem dar und erreicht eine durchschnittliche Ge-schwindigkeit von 70-90 km/h (SCHÜLE 1997: 189/90, THEIßEN 1988: 21).

Zur Besprechung dieser Thematik wurde auf der Exkursion die Station Châtelet-Les Hal-les gewählt, da diese einen wichtigen Verkehrsknotenpunkt des ÖPNV darstellt und die Ausmaße des ÖPNV in Paris somit gut verdeutlichen kann. Hier treffen sich drei Haupt-strecken des RER-Netzes (Linie A, B und D) und vier Métrolinien. Damit handelt es sich mit ~800.000 Personen pro Tag, die hier umsteigen, um eine der wichtigsten Umsteige-stationen der Ile-de-France.

Abbildung 74 zeigt die 30 wichtigsten Einsteigestationen in die Métro des täglichen Pendlerverkehrs. Dabei kommt die Bedeutsamkeit der Umsteigehaltestelle Châtelet-Les Halles jedoch nicht zur Geltung, da bei dieser Abbildung nur die „Ersteinsteiger“ und nicht die Umsteiger dargestellt werden (DROSTE-HENNINGS und DROSTE 2003: 374, PLETSCH 2000: 183, U2M SERVICES INTERNET 2004: 4 (Internet)).

Abbildung 74: Die 30 wichtigsten Stationen im Métroverkehr (Direkteinsteiger ohne Umsteiger - 1998)144.

4.5.2 Individualverkehr

Die Bedingungen für das Automobil in Paris waren mit den breiten Boulevards, den weit-läufigen Plätzen und den prunkvollen Brücken ideal. Bis zu den 1930er Jahren war das Auto wegen des Geldes jedoch nur ein Verkehrsmittel unter anderen. Nach dem Zweiten

144 BASTIÉ 2000: 388

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Weltkrieg begann allerdings die Ausdehnung des städtischen Raums um Paris. Dies ver-langte auch nach einer Beschleunigung der Transporte, wofür das Auto durch seine grö-ßere Geschwindigkeit und Flexibilität ideal war (SCHÜLE 1997: 189/90).

In der Ile-de-France gibt es heute (1990) rund 5,2 Mio. Fahrzeuge (NOIN und WHITE 1997: 155). Im Vergleich dazu waren es in Stuttgart (2002) 348.842 Kraftfahrzeuge (STUTTGART 2004). In der Region Ile-de-France werden 2/3 des gesamten Ver-kehrsaufkommens vom Individualverkehr getätigt, was zu kaum lösbaren Problemen führt (THEIßEN 1988: 22). Ein Grund dafür ist, dass der ÖPNV nur einen Teil der Mobili-tätsbedürfnisse der Bevölkerung befriedigen kann. Im zentralen Bereich, v.a. in der Stadt Paris und entlang der radialen Straßen, besitzt er eine hohe Effizienz. Dies ändert sich in den inneren und äußeren Vororten, wo die Versorgungssituation durch den ÖPNV um einiges schlechter ist. Somit ist der Privatverkehr unvermeidlich. Ein Indiz dafür ist, dass der Autobesitz mit zunehmender Entfernung vom Zentrum zunimmt. In der Stadt Paris hatten 1990 46 % der Haushalte ein Automobil, in der Petite Couronne 68 % und in der Grande Couronne bereits 82 % (NOIN und WHITE 1997: 155).

Abbildung 75: Place Charles de Gaulle (Blick vom Arc de Triomphe)145.

Ein geeigneter Standort zur Besprechung des Individualverkehrs ist der auch auf der Exkursion gewählte Place Charles de Gaulle, da der Arc de Triomphe einerseits einen guten Überblick bietet, und andererseits der Platz als ein „Symbol des ewigen Verkehrs-chaos“ (PRINZ 2001: 82) in Paris mit 200.000 Fahrzeugen am Tag gilt (NOIN und WHI-TE 1997: 155). Auf Abbildung 75 ist von diesem Verkehrschaos nur wenig zu sehen, was sich damit begründen lässt, dass dieser Standort auf der Exkursion an einem Samstag-mittag besucht wurde. Der Name des typischen haussmannschen Sternplatzes lautete früher Place d´Etoile (Etoile = Stern), welcher nach der Erweiterung von 5 auf 12 zu-sammenlaufenden Straßen völlig gerechtfertigt war. Nach dem Tod Charles von de

145 Aufnahme S.Hörz 2004.

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Gaulle wurde der Platz zu seinen Ehren in Place Charles de Gaulle umbenannt. Von der Dachplattform des Arc de Triomphe, dem ehemaligen Abschluss der am Louvre begin-nenden Ost-West-Achse, ist die zentrale Position des Platzes im Westen von Paris gut nachzuvollziehen. So ist dieser Teil der Stadt als verkehrstechnisch empfindlichster Teil zu sehen, da Staus an diesem Kreisverkehr Auswirkungen auf nahezu die ganze Stadt haben, da von hieraus der gesamte westliche Teil der Stadt erschlossen wird (DROSTE-HENNINGS und DROSTE 2003: 305, PLETSCH 2000: 202/3).

4.5.3 Verkehrsneuplanung: Verbindung von Individualverkehr und ÖPNV

Dieses Kapitel wird einen Einblick in die Neuplanung von Verkehrsstrukturen anhand von La Défense, das im Rahmen der Exkursion besucht wurde, geben. Das Dienstleistungs-zentrum La Défense liegt westlich von Paris und wurde seit Ende der 1950er Jahre ge-baut. Die Planung des Projekt orientiert sich an den Ideen von Le Corbusier, der eine Trennung von Wohn-, Verkehrs-, Arbeits- und Versorgungsfunktionen in seinen Stadt-modellen vorgesehen hatte. Diese Ideen wurden auch beim Bau der Verkehrsinfrastruk-tur in weiten Teilen verwirklicht (PLETSCH 2000: 274).

Bei der Planung der Verkehrsführung wurde nach den Erfordernissen für den Durch-gangs- und den Anliegerverkehr in verschiedene Systeme differenziert wie auf Abbildung 76 zu sehen ist. Der Durchgangsverkehr wurde in einem geradlinigen Tunnel unter dem Viertel durchgeleitet. Parallel zu diesem laufen auch die Linien der Métro und des RER, die verlängert oder neu geplant wurden. Weiterhin wurde auch der KfZ-Anliegerverkehr durch die Anlage einer birnenförmig verlaufenden Ringstraße, die Ableitungen an den Tunnelzugängen besitzt, von den sonstigen städtischen Funktionsbereichen getrennt. Der Zugang zu den einzelnen Vierteln kann damit kreuzungsfrei von der Ringstraße er-folgen. Die Ringstraße wurde von Anfang an als Einbahnstraße konzipiert, da schon vor dem Ausbau von La Défense am Pont de Neuilly mit ~60.000 Fahrzeugen pro Tag eines der höchsten Verkehrsaufkommen der Hauptstadtregion herrschte und Behinderungen damit verhindert werden sollten. La Défense besitzt rund 26.000 Parkplätze und von den 22 km Gesamtlänge des neu angelegten Straßennetzes befindet sich rund ein Drittel unterirdisch (PLETSCH 2000: 120-124).

Der ÖPNV, besonders die Anbindung durch die Métro und den RER waren bei den Pla-nungen sehr wichtig, da eine hohe Anzahl an Pendlern erwartet wurde. Sehr günstig war dabei, dass die Bahntrasse, die St. Lazare und St. Germain-en-Laye verbindet schon über La Défense führte und diese Trasse für die Métrolinie 1 und den RER A erweitert werden konnte. Die Zentralstation von La Défense ist die Grande Arche de La Défense, die von etwa 150.000 Fahrgästen am Tag frequentiert wird. Die Bedeutung des ÖPNV für La Défense zeigt sich darin, dass 60% der 140.000 Beschäftigen von La Défense den ÖPNV nutzen, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen (PLETSCH 2000: 126/7+275/6+281).

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Abbildung 76: Sektoren- und Verkehrsplan von La Défense146.

4.5.4 Fazit

Zusammenfassend konnte auf der Exkursion festgestellt werden, dass im Bereich der Eisenbahn bei zahlreichen Bahnhöfen, wie dem besuchten Gare Montparnasse, immer mehr die Aufgabe der Vorortversorgung neben den Fernverbindungen dazugekommen ist. Beim ÖPNV bleibt festzuhalten, dass die Métro einige strukturelle Nachteile und feh-lende Modernisierungen und Erweiterungen aufweist. Es wird allerdings versucht, diesen negativen Aspekten durch Neuentwicklungen wie dem Météor entgegenzuwirken. Der RER lässt sich als Ergänzung der Métro darstellen, da diese aufgrund ihrer Struktur nicht in der Lage ist, den Pendlerverkehr aufzunehmen.

Beim Individualverkehr zeigt sich, dass er im zentralen Bereich, d.h. v.a. der Stadt Paris, aufgrund des gut ausgebauten ÖPNV nur eine geringe Rolle spielt. In den inneren und äußeren Vororten überwiegt er hingegen und ist unvermeidlich, da das Angebot des ÖPNV hier nicht ausreicht, um das tägliche Verkehrsaufkommen aufzunehmen.

146 PLETSCH 2000: 125.

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Die Verkehrsprobleme werden wohl auch in den nächsten Jahren in der Ile-de-France und v.a. in Paris selbst zu den dringlichsten und am schwersten zu lösenden gehören. Damit stellt Paris keinen Einzelfall dar, denn die meisten Großstädte haben mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Die Lösungsansätze sind ebenfalls vergleichbar mit denen an-derer Städte, wie z.B. die Erhöhung des Anreizes öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Das Besondere an der Situation von Paris ist die Tatsache, dass ein Teil der Probleme auf die zentralistische Struktur der landesweiten Verkehrssysteme mit Ausrichtung auf Paris zurückzuführen ist. Zudem hat der bereits erwähnte Streit zwischen dem Staat und der Stadt Paris zu zahlreichen Problemen geführt, mit denen Paris heute noch zu kämp-fen hat.

5 Methodischer Exkurs – Zwei Erhebungen aktueller Strukturen

5.1 Beobachtungsbogen zur Stadtteilanalyse

Die in Kapitel 4.2.7 Ergebnisse zur Differenzierung von Wohnstandorten in der Pariser Kernstadt beruhen auf einer Erhebung mittels des in Abbildung 77 dargestellten Beo-bachtungsbogens. Der Beobachtungsbogen dient den Beobachtern zum einen als Hilfs-mittel bei der Untersuchung und zum anderen dient er zur kurzfristigen Ergebnissiche-rung. Das Bewerten verschiedenster Indikatoren unterstützt die Beobachter dabei, sich einen breit gefächerten Gesamteindruck von den Verhältnissen in den Arrondissements zu machen. Neben den Gebäuden, die auf Zustand, Struktur, Geschosshöhe und Bau-zeit untersucht werden, sollen also auch Qualität des Einzelhandelsangebots und Frei-zeitflächen genauer untersucht werden. Allerdings weist der benutzte Beobachtungsbo-gen qualitative Schwächen auf. So wird zweimal die Qualität des Einzelhandelsangebots abgefragt. Die Variable Geschosshöhe lässt gar keine Aussage über die Bevölkerungs-verteilung bzw. Bevölkerungsstruktur zu. Bei anderen Variablen sind die Bewertungs-muster ungenau angegeben oder führen zu Schwierigkeiten beim Ausfüllen. Des Weite-ren ist die Auflistung der „Weiteren Indikatoren“ nicht zielorientiert genug und liefert so nur sehr schwache Ergebnisse für die Gesamtuntersuchung. Neben dem Beobachten wäre auch eine Befragung der Bewohner sinnvoll gewesen. Die Befragung hätte sicher-lich aufschlussreichere Ergebnisse geliefert als das reine Beobachten. Dennoch gibt der Bogen einen ersten groben Einblick in die jeweiligen Arrondissements und erlaubt trotz der aufgeführten Schwächen interessante Aussagen über die Bevölkerungsverteilung. So können mit den Variablen Gebäudestruktur und Gebäudezustand Aussagen über die vermutliche Einkommensklasse der ansässigen Bewohner gemacht werden.

Für die Untersuchungen der einzelnen Arrondissements standen 15 Studenten zur Ver-fügung. Für das 19. Arrondissement wurden 15 Beobachtungsbogen zurückgegeben und für das 16. Arrondissement 13 Bögen. Die Studenten wurden in Dreiergruppen aufgeteilt. Jede Dreiergruppe musste dann pro Arrondissement einen Straßenzug untersuchen. Auf eine gesonderte Schulung hinsichtlich des Beobachtens wurde verzichtet. Lediglich eine kleine Erläuterung hinsichtlich der Aufgabenstellung wurde zu Beginn der Untersuchun-gen gegeben. Auch die zu knapp anberaumte Zeit schränkte die Studenten stark ein, um

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eine genauere Untersuchung der Stadtteile durchzuführen. So mussten sich die Studen-ten oftmals mit groben Abschätzungen weiterhelfen.

Abbildung 77: Der genutzte Beobachtungsbogen.

5.2 Kartierung der Champs-Elysees

5.2.1 Grundlagen der Kartographie und Zielsetzung

Die Aufgabe der Kartographie ist das Sammeln, Verarbeiten, Speichern und Auswerten von raumbezogenen Informationen sowie deren Veranschaulichung durch kartographi-sche Darstellungen. Dabei unterscheidet man die theoretische von der praktischen sowie die topographische von der thematischen Kartographie (WILHELMY 2002: 13f.). Die auf der Exkursion Paris durchgeführte Kartierung auf den Champs-Élysées zählt hiernach zur praktischen thematischen Kartographie.

Eine Karte ist das verebnete, maßstäblich verkleinerte und erläuterte Modell räumlicher Informationen, je nach Zweck generalisiert (vereinfacht) und inhaltlich begrenzt. Thema-tische Karten visualisieren auf einer inhaltlich entsprechend reduzierten und überarbeite-ten topographischen Grundlage spezielle Themen mit dem Ziel einer bestimmten Aussa-ge (ARNBERGER 1977: 13). Eine Karte wird dem chorologischen Charakter der Geo-graphie besser gerecht als das gesprochene oder geschriebene Wort, da mit ihr das „räumliche Nebeneinander“ auch nebeneinander dargestellt werden kann, und nicht, wie bei der Textform, als „Nacheinander“.

Notwendig für jede Kartenerstellung ist eine gezielte Stoffauswahl, eine sog. Konkretisie-rung dreifacher Art: sachlich, räumlich und zeitlich (WILHELMY ebd.). Im Falle der hier vorgenommenen Kartierung war die Erhebung der Daten sachlich auf die Flächennut-

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zung, räumlich auf die Flurstücke an der Avenue des Champs-Élysées und zeitlich inso-fern begrenzt, als die Kartierung nur die Situation am Stichtag (02.10.2004) widerspie-gelt. Folglich war das Ziel dieser Kartierung eine thematische Karte, die auf der Grundla-ge einer Flurkarte die räumliche Verbreitung der verschiedenen Flächennutzungen sowie ihre qualitative bzw. quantitative Ausprägung darstellt.

5.2.2 Räumliche Einordnung der Champs-Élysées und des Kartierungs-gebietes

Die Avenue des Champs-Élysées liegt im Westen von Paris im 8. Arrondissement. Sie ist Teil eines über 6 km langen Straßenzugs in WNW-OSO-Richtung, der vom Place de la Concorde bis zur Grande Arche de la Défense verläuft. Vom Place de la Concorde über den Rond Point bis zum Place Charles de Gaulle (Place de l’Étoile) heißt dieser Straßenzug „Avenue des Champs-Élysées“. Während östlich des Rond Point ein unbe-bautes Parkgebiet liegt, an das der Jardin des Tuileries angrenzt, befinden sich westlich vom Rond Point die „eigtl. Champs-Élysées“: etwa 1.100 m lang und 71 m breit, nach OSO von 58 auf 32 m NN abfallend, lückenlos mit sechs- und achtgeschossigen Gebäu-den bebaut. Dieser Teil, westlich des Rond Point bis zum Place de l’Étoile, entspricht dem Kartierungsgebiet.

5.2.3 Methodik der Kartierung

Als Kartengrundlage wurde eine Flurkarte von K. WIEK herangezogen, der 1967 über einen geographischen Vergleich des Kurfürstendamms mit den Champs-Élysées promo-vierte. Diese Flurkarte wurde im Rahmen der Kartierung am 02.10.2004 hinsichtlich der Grundstücksgrenzen nur leicht modifiziert, im Wesentlichen aber um die Abgrenzung der Geschäftsflächen im Erdgeschoss erweitert. Jedoch dürfen weder die Grundstücksgren-zen noch die Geschäftsflächen als geometrisch exakt bzw. flächentreu betrachtet wer-den.

Die Erhebung der Flächennutzung auf der Avenue des Champs-Élysées im Erdgeschoss sah die Aufnahme der Geschosszahl der Gebäude, eine stark vereinfachte Skizze der Geschäftsflächen, die Betreiberart, die Branchenzuordnung und den Namen des Unter-nehmens vor (vgl. Klassifizierungsschlüssel im Anhang). Erwartet wurde eine Konzentra-tion des hochpreisigen Einzelhandels und der hochrangigen Dienstleistungen. Entspre-chend wurde auch der Klassifizierungsschlüssel ausgelegt. Er unterscheidet hinsichtlich der Betreiberart zwischen Ein- und Mehrbetriebsunternehmen (Traditionalisten und Filia-listen), sowie hinsichtlich der Branche zwischen Einzelhandel, sonstigen Dienstleistun-gen (ausgenommen Einzelhandel), Verwaltung und Wohnnutzung. Diese Letzteren, als Branchenebene 1 benannt, wurden dann durch die Untergliederung in die Branchenebe-nen 2 bis 4 weiter differenziert.

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BETREIBER BRANCHENEBENE 1 BRANCHENEBENE 2 BRANCHENEBENE 3 BRANCHENEBENE 4

1 _ Fachgeschäft / Spezialgeschäft 1 _ Bäcker 2 _ Metzger 3 _ Sonstiges, nämlich:____

2 _ Supermarkt / Gemischtwarenladen 1 _ Lebensmittel

3 _ Sonstiges, nämlich:____

1 _ Warenhaus (z.B. Karstadt)

2 _ Kaufhaus (z.B. C&A)

1 _ Drogeriemarkt 2 _ Tabakwaren 3 _ Parfümeriewaren 4 _ Bekleidung: a _ eine Marke führend (z.B. Esprit) b _ verschiedene Marken führend 5 _ Schmuck / Uhren 6 _ Haushaltswaren / Stahlwaren / Waffen 7 _ Möbel 8 _ Sportgeräte / Sportbekleidung 9 _ Musikinstrumente 10 _ Elektronik / Telekommunikation 11 _ Sonstiges, nämlich:____

2 _ Konsumgüter

3 _ Sonstiges, nämlich:____

1 _ Einzelhandel

3 _ Besonderer Bedarf

1 _ Apotheke 2 _ Optik / Hörgeräte 3 _ Antiquitäten / Antiquariate 4 _ Kunst (Galerie, Atelier) 5 _ Sonstiges, nämlich:____

1 _ Unternehmensberatung / Steuerberatung / Wirtschaftsprüfung / Vermögensberatung / Vermögensverwaltung / Personaldienstleistung / Zeitarbeit 2 _ Rechtsanwalt / Notar 3 _ Kreditinstitut / Bank 4 _ Versicherung 5 _ Architekturbüro / Ingenieurbüro 6 _ Makler für:____ 7 _ Übersetzung / Sprachschule 8 _ Design (Mode, Grafik, Foto) 9 _ Agentur (Film, Künstler, Models) 10 _ Werbeagentur / Marketing 11 _ Presse / Verlag / Medien 12 _ Friseursalon 13 _ Reisebüro 14 _ Reinigung 15 _ Internetcafé 16 _ Maßschneiderei für:____

17 _ Gastgewerbe

1 _ Hotel (Angabe der Sterne) 2 _ Restaurant (kein Fast Food) 3 _ Fast-Food-Restaurant 4 _ Café / Bistro 5 _ Imbissbude / Stehcafé 6 _ Eissalon 7 _ Diskothek 8 _ Bar 9 _ Kasino / Spielhalle 10 _ Theater / Kino 11 _ Sonstiges, nämlich:____

18 _ Gesundheitswesen

1 _ Allgemeiner Arzt 2 _ Facharzt 3 _ Zahnarzt 4 _ Heilpraktiker 5 _ Krankengymnastik / Massagepraxis / Physiotherapie 6 _ „Wellness“ / Schönheitssalon / Solarium 7 _ Psychologe / Psychoanalytiker 8 _ Sonstiges, nämlich:____

2 _ Sonstige Dienstleistungen

19 _ Sonstiges, nämlich:____

3 _ Verwaltung

1 _ Politischer Art (z.B. Ministerium, Partei, Gewerkschaft, Botschaft, ...) 2 _ Wirtschaftlicher Art (z.B. Unternehmenssitz, Niederlassung, ...) 3 _ Sonstiges, nämlich:____

4 _ Wohnnutzung

1 _ Traditioneller Dienstleister / Einzelbetrieb 2 _ Filiale / Kette

5 _ Sonstiges 1 _ Museum 2 _ Gewerbe / Handwerk 3 _ Sonstiges, nämlich:____

5.2.4 Interpretation und Diskussion der Ergebnisse

Die drei Karten (vgl. Seiten 143ff) sind analog zur Gestaltung des Klassifizierungsschlüs-sels erstellt. Während die zwei ersten Karten das Einzelhandelssortiment und das

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Dienstleistungsangebot auf den Champs-Élysées veranschaulichen, stellt die dritte Karte die traditionellen Einzelhändler den Filialisten gegenüber. Aufgenommen wurden am 02.10.2004 die Nutzungen des EG und 1. OG; jedoch waren die Angaben zum 1. OG zu lückenhaft, um in Form einer aussagekräftigen Karte dargestellt zu werden.

Schon bei der Aufnahme der Nutzungen fielen überraschend viele Brachflächen auf: ins-gesamt 11 Geschäftsflächen waren ungenutzt, wurden abgerissen oder zum Zeitpunkt der Kartierung umgebaut. Zwei andere, in der Karte nicht als Brache gekennzeichnete Flächen waren ebenso in ungenutztem Zustand, eine Filiale der Modemarke BOSS, die im Herbst 2004 bezogen werden sollte, und eine von Louis Vuitton, die wegen Renovie-rungsarbeiten geschlossen war. Eine bedeutsame räumliche Konzentration der Brachflä-chen lässt sich aber nicht erkennen; allenfalls die Tendenz, dass sich am und in der Nä-he des Rond Point (südöstliches Ende der Champs-Élysées) weniger konsumorientierte Nutzungen wie auch Brachen leicht häufen. Am anderen Ende der Avenue, Richtung Arc de Triomphe, scheinen sich hingegen eher hochpreisige Einzelhändler niedergelassen zu haben. So waren im Westen BOSS, Louis Vuitton, Bang & Olufsen, Bally, Montblanc und Cartier anzutreffen.

Wenn auch die Abgrenzung und Größe der einzelnen Flurstücke bzw. Ladenflächen – wie oben schon angesprochen – flächenmäßig nicht genau genommen werden dürfen, da sie vor Ort nach Augenmaß skizziert wurden, so erscheint trotzdem der mittlere Ab-schnitt der Avenue kleinteiliger als die beiden übrigen Bereiche – bedenkt man auch, dass die Einkaufspassagen im Osten aus teilweise über 40 Einzelgeschäften bestehen. Zusätzlich zu seiner Kleingliedrigkeit bildet der Osten der Champs-Élysées scheinbar auch einen qualitativen Gegenpol zum hochpreisigen Westteil. Zwischen Rond Point und der Rue de Berri befinden sich u.a. die Modediscounter Zara und GAP, zwei Warenhäu-ser, ein Disneystore sowie Mc Donalds und Planet Hollywood.

Die Karte des Einzelhandelsangebots zeigt, dass die Champs-Élysées als „Modemeile“ nach wie vor stark von Bekleidungsgeschäften geprägt ist. Die Wertigkeit des Beklei-dungseinzelhandels erstreckt sich dabei von mittelpreisigen Modemarken wie Zara oder GAP über Benetton und Lacoste bis zu einzelnen kleinen Boutiquen des Hochpreisseg-ments. Relativ geschlossen haben sich die Parfümerien im mittleren Nordteil zwischen der Rue Washington und der Rue La Boétie angesiedelt. Im Vergleich mit der Karte der Dienstleistungen (= sonstige Dienstleistungen, ausgenommen Einzelhandel) lässt sich nicht nur im Hinblick auf etwa Parfümeriewaren oder Einkaufspassagen, sondern ganz allgemein die Dominanz des Einzelhandels im Norden sowie das Vorherrschen der Dienstleistungen in der Südhälfte feststellen, so z.B. die Verwaltung von Unternehmen, Banken und öffentlichen Institutionen. Die einzigen beiden Hotels auf der Avenue, Cla-ridge und Marriott, beide 4 Sterne führend, liegen im nördlichen Mittelfeld. Analog den Bekleidungsgeschäften beim Einzelhandel häufen sich bei den Dienstleistungen jene des Gastronomiegewerbes, v.a. Restaurants (17, davon 6 Fastfood) und Cafés (13).

Auf der Karte „Traditionalisten vs. Filialisten“, auf der alle Einzelhändler und sonstigen Dienstleister soweit möglich und sinnvoll entweder den Ein- oder den Mehrbetriebsun-ternehmen zugeordnet wurden, sticht die überwiegende Mehrzahl von Filial-/Einbetriebsgeschäften – besonders im Westen der Avenue – ins Auge. Der Nordosten der Champs-Élysées ist un-verkennbar von Einkaufspassagen (7 Stück) geprägt, deren Einzelnutzungen aufgrund der Vielzahl nicht kartiert werden konnten. Sie umfassen

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meist von 5 bis über 40 Boutiquen, die mehrheitlich dem Einzelhandel (hier vor allem dem Bekleidungsbereich) zuzuordnen sind. In den Karten erhielten sie rotblaue Schraf-fierungen, da hier Filialisten mit traditionellen Geschäften sowie Einzelhandel und sonsti-ge Dienstleistungen gemischt auftreten. Nach Kriterien der Angebotsbreite und -tiefe abgegrenzt fanden sich lediglich drei Warenhäuser; alle übrigen Einzelhändler für Kon-sumgüter führten nur eine Warengruppe, diese aber in großer Tiefe, und werden somit als Kaufhäuser bezeichnet. Unter den mit „keine Angabe“ markierten Grundstücken im Südosten befinden sich eine Bibliothek (öffentliche Dienstleistung) und ein Kunsthändler.

Insgesamt wurde die Erwartung einer Einkaufsstraße der Luxusklasse eher nicht bestä-tigt. Zwar sind stellenweise noch Unternehmen wie Cartier, Louis Vuitton, Gucci, Mont-blanc oder Bally ansässig, doch finden sich diese in indirekter Nachbarschaft von zwei Mc Donald’s-Filialen, einem Planet Hollywood sowie Wechselstuben und Souvenirshops. Vermutlich befindet sich die Avenue des Champs-Élysées also momentan in einem Um-bauprozess, in einer Art Strukturwandel, der durch die Abwanderung hochwertiger Ein-zelhändler und Dienstleister in die am Rond Point mündende Avenue Montaigne durch einen wachsenden Anteil des Niedrigpreissegments gekennzeichnet ist. Um aber diesen Prozess im Zeitverlauf in seiner Qualität und Richtung eindeutig bestimmen, und die Be-ziehungen zwischen der Avenue des Champs-Élysées und der Avenue Montaigne auf-zeigen zu können, sind weitere differenziertere Kartierungen in zeitlichen Abständen nö-tig.

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6 Fazit

In diesem Exkursionsbericht wurden räumliche Strukturen und Prozesse in großen städ-tischen Räume am Beispiel der Stadt Paris, ergänzt um Umlandstandorte, beschrieben und Erklärungsansätze aufgezeigt. Die zentralen Ergebnisse werden im Folgenden zu-sammengefasst.

Tradierte städtebauliche Strukturen weisen in Paris eine große Persistenz auf. Obwohl nur noch wenige Spuren von Gebäuden aus der römischen Zeit existieren, lassen sich noch heute Grundrisse der damaligen Hauptverkehrsachsen nachvollziehen. Auch die seit Jahrhunderten bestehende Spezialisierung der nördlich der Seine befindlichen Ar-rondissements auf den Handel und die Prägung der südlich davon gelegenen durch die Universität blieb bis heute erkennbar. Schließlich zeigt sich auch am Beispiel der Kö-nigsachse, dass städtebauliche Entwicklung durch lang andauernde Kontinuitäten ge-prägte sein kann.

Die seit Jahrhunderten bedeutende Rolle des Staates hinsichtlich der Stadtentwicklung kommt in Paris in vielerlei Hinsicht zum Ausdruck: Im 7.Arrondissement und in der Nähe zu den Champs-Elysées konzentrieren sich staatliche Einrichtungen. Auch die großen Plätze können als Symbol der großen Bedeutung des Staates verstanden werden. Die aktive Rolle der Politik beim Stadtumbau zieht sich wie ein Roter Faden durch die Stadt-geschichte. Im Bericht genannte Beispiele für beobachtete Strukturen sind die Sanie-rungsmaßnahmen unter Haussmann, die Errichtung von La Défense, der Abriss von Les Halles und die Neunutzung dieses Areals, die Umnutzung des Geländes von Bercy und - außerhalb der Kernstadt - die Nutzungskonversion des Geländes des heutigen Stade de France oder die Villes Nouvelles.

Die Kernstadt Paris hat immer noch eine bedeutende Funktion als Wohnstandort. Inner-halb des Stadtgebiets bestehen sehr starke Unterschiede bezüglich der Wohnqualität der Arrondissements und der sozio-kulturellen Charakteristika ihrer Bewohner, wie am Vergleich von 16. und 19. Arrondissement deutlich wird. Insgesamt existiert in der Kern-stadt ein räumlicher Gegensatz zwischen eher statusniedriger Bevölkerung im Osten und -höherer im Westen. Wegen der räumlichen Beengtheit in der Kernstadt und bedingt durch Verdrängung von Wohnbevölkerung aus Paris setzt sich das „Ausfließen“ der Stadt in das Umland immer weiter fort.

Weit fortgeschritten ist angesichts ungünstiger Standortbedingungen der Deindustrialisie-rungsvorgang in der Stadt Paris und auch im kernstadtnahen Umland findet fortgesetzt Deindustrialisierung statt, beides beschleunigt durch staatliche Dezentralisierungsmaß-nahmen. Der Park André Citroen ist ein Beispiel für den starken Rückgang industrieller Funktionen in der Stadt, lediglich an wenigen Reststandorten, z.B. im 12.Arrondissement sind Handwerk und Kleinindustrie verblieben. Mit der Deindustrialisierung entstanden Industriebrachen, deren weitere Nutzung teilweise lange Zeit unklar blieb. In einigen Fäl-len hat der Staat für die weitere Nutzung gesorgt, wie z.B. das Finanzministerium in Ber-cy oder im Fall des Stade de France.

Überragend ist die Bedeutung von Paris in seiner Funktion als Dienstleistungsstandort. Seine Stellung ist insbesondere auf zwei Eigenschaften zurückzuführen: die hohe touris-

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tische Attraktivität und die Tatsache, dass die Region Paris Europas Bürostandort Num-mer eins ist. Paris und sein Umland sind bevorzugter Standort für die Verwaltungssitze von überwiegend national tätigen Unternehmen, traditionell konzentrieren sie sich im 8.Arrondissement, heute auch in La Défense. Besonders stark ist die Konzentration von Banken und Versicherungen. Morphographisch machen sich Unternehmenssitze und Bürostandorte im Gegensatz zum CBD amerikanischer Städte in der Kernstadt Paris wegen der restriktiven Vorgaben nicht bemerkbar, Hochhäuser gibt es praktisch nicht, wohingegen es gerade die Hochhauskulisse ist, die La Défense auszeichnet. Paris ver-zeichnet dank herausragender Sehenswürdigkeiten weltweit die höchsten Besucherzah-len und ist bei Kongress- und Messereisen europaweit führend.

Die Kernstadt Paris ist noch immer stark durch den traditionellen Einzelhandel geprägt. Ein Strukturwandel hin zu großflächigem Einzelhandel findet hier nur punktuell statt, es finden sich an großflächigem Einzelhandel nur Kauf- und Warenhäuser. Wie andere Großstädte weist Paris starke Funktionsspezialisierungen auf, wie z.B. die Konzentration von Modeunternehmen im 8.Arrondissement. Eine Besonderheit sind die zahlreichen, zum Teil schon lange existierenden Passagen, teilweise mit ausgeprägter Funktionsspe-zialisierung auf z.B. Briefmarken oder Kinderspielzeuge.

Die Verkehrssituation in der Kernstadt ist vergleichbar zu anderen Stadträumen dieser Größenordnung und wird tendenziell durch die zentralistisch geprägte Raumstruktur ver-stärkt. Der motorisierte Individualverkehr (MIV) ist dank dem gut ausgebauten öffentli-chen Personennahverkehr und der Straßenschneisen des Haussmannscher Stadtum-baus relativ lange unproblematisch geblieben. Die aktuell notwendige Entlastung der Verkehrsträger wird durch strukturelle Defizite der Metro und ihren Modernisierungsbe-darf behindert. Inzwischen gibt es mit dem RER und anderer Schienentransportsystems einige Ansätze, die bestehenden Mängel auszugleichen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Paris mit seinen Funktionen von großer Bedeutung weit über Frankreich hinaus besitzt und mit Recht als Global City bezeichnet werden kann. Dafür sprechen z.B. die hohe Zahl von Hauptsitzen international tätiger Unternehmen und internationaler Organisationen (z.B. UNESCO), die herausragende Bedeutung als Banken- und Versicherungsstandort und die Rolle einer Verkehrsdreh-scheibe von globaler Bedeutung147.

147 Alegria!

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