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GEORGE SOROS Das Ende der Finanzmärkte – und deren Zukunft Die heutige Finanzkrise und was sie bedeutet FinanzBuch Verlag

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GEORGE SOROS

Das Ende der Finanzmärkte – und deren Zukunft

Die heutige Finanzkrise und was sie bedeutet

FinanzBuch Verlag

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© des Titels »Das Ende der Finanzmärkte - und deren Zukunft« (ISBN 978-3-89879-413-8) 2010 by FinanzBuch Verlag GmbH, München Nähere Informationen unter: http://www.finanzbuchverlag.de
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Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Chronik der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Teil I Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

Kapitel 1 Der zentrale Gedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

Kapitel 2 Autobiografie eines gescheiterten Philosophen . . . . . . . . . . . . . 33

Kapitel 3 Die Reflexivitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

Fehlbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

Reflexivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

Das Prinzip der menschlichen Unbestimmtheit . . . . . . . . . . . . 49

Der Irrtum der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

Fruchtbare Irrtümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

Die wissenschaftliche Methode nach Popper . . . . . . . . . . . . . . . 53

Keine Einheit der Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

Das Streben nach Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

Die postmoderne Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

Standards des politischen Diskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

Radikale Fehlbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

Kapitel 4 Reflexivität an Finanzmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

Die Gleichgewichtstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

Eine widersprüchliche Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

Der Konsolidierungsboom der 1960er-Jahre . . . . . . . . . . . . . . . 74

Immobilienfonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

Die internationale Bankenkrise der 1980er-Jahre . . . . . . . . . . 78

Das Boom-Bust-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

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Andere Formen der Reflexivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

Märkte und Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

Der Fehler der Gleichgewichtstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

Abkehr von der Einheit der Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

Das neue Paradigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

Teil II Die aktuelle Krise und was danach kommt . . . . . . . . 91

Kapitel 5 Die Hypothese von der Superblase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

Die US-Immobilienblase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

Die Hypothese von der Superblase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

Globalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

Liberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Reflexivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

Kapitel 6 Autobiografie eines erfolgreichen Spekulanten . . . . . . . . . . . . . 117

Kapitel 7 Mein Ausblick für das Jahr 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

1. Januar 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

6. Januar 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

10. März 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

16. März 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

20. März 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

23. März 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

Kapitel 8 Einige Empfehlungen an die politisch Verantwortlichen . . . . . 151

Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

Über den Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

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Chronik der Krise

Der Ausbruch der aktuellen Finanzkrise lässt sich ziemlich genaudatieren: Im August 2007 mussten die Zentralbanken intervenieren,um das Bankensystem mit Liquidität zu versorgen.

BBC berichtete:1

à Am 6. August meldete American Home Mortgage, eines dergrößten unabhängigen Eigenheim-Hypothekeninstitute der USA,Insolvenz an, nachdem es die meisten seiner Angestellten ent-lassen hatte. Das Unternehmen bezeichnete sich als Opfer desEinbruchs am US-Immobilienmarkt, von dem viele Subprime-Schuldner und -Gläubiger betroffen waren.

à Am 9. August froren die Märkte für kurzfristige Kredite ein, nach-dem die französische Großbank BNP Paribas drei ihrer Invest-mentfonds im Wert von 2 Milliarden Euro ausgesetzt hatte – wiees hieß, wegen Problemen im amerikanischen Subprime-Hypo-thekensektor. Die BNP kommentierte, sie könne die in den Fondsenthaltenen Vermögenswerte nicht bewerten, da der Markt ver-schwunden sei. Die Europäische Zentralbank pumpte 95 Milliar-den Euro in das Bankensystem des Euroraums, um die Subprime-Kreditklemme zu entschärfen. Die US-Notenbank und die Bank ofJapan unternahmen ähnliche Schritte.

à Am 10. August stellte die Europäische Zentralbank weitere 61 Mil-liarden Euro für das Bankensystem zur Verfügung. Die US-Noten-bank kündigte an, sie werde so viel Tagesgeld bereitstellen, wienötig sei, um die Kreditklemme zu bekämpfen.

à Am 13. August pumpte die Europäische Zentralbank 47,7 Milliar-den Euro in die Geldmärkte – ihre dritte Liquiditätsspritze inner-halb von drei Arbeitstagen. Auch die Zentralbanken der USA undJapans schossen Liquidität nach. Goldman Sachs kündigte an,

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1 BBC News: »Timeline: Sub-Prime losses: How Did the Sub-Prime Crisis Un-fold?«, http://news.bbc.co.uk/1/hi/business/7096845.stm.

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man werde 3 Milliarden Dollar in einen von der Kreditkrise betrof-fenen Hedge-Fonds pumpen, um seinen Wert zu stützen.

à Am 16. August nahm der größte US-Hypothekenkreditgeber,Countrywide Financial, seine gesamte Kreditlinie in Höhe von 11,5Milliarden Dollar in Anspruch. Auch der australische Hypotheken-kreditgeber Rams räumte Liquiditätsprobleme ein.

à Am 17. August senkte die US-Notenbank den Diskontsatz (zu demsie Geld an Banken verleiht) um einen halben Prozentpunkt, umden Banken bei der Bewältigung der Kreditprobleme zu helfen.Aber es half nichts. Danach beendeten die Zentralbanken der »ers-ten« Welt zunächst ihre umfangreichen Nachschüsse in die Fondsund lehnten plötzlich die lange Zeit so großzügig als Kreditgrund-lage akzeptierten, objektiv betrachtet jedoch fragwürdigen Sicher-heiten rigoros ab.

à Am 13. September wurde bekannt, dass das größte britische Hypo-thekeninstitut, Northern Rock, kurz vor der Insolvenz stand; dieslöste einen Ansturm auf die Bank nach alter Schule aus – den ers-ten seit 100 Jahren in Großbritannien.

Die Krise kam langsam, doch man hätte sie schon seit mehreren Jah-ren kommen sehen können. Sie hatte ihren Ursprung im Platzen derInternetblase gegen Ende 2000. Die US-Notenbank hatte daraufhinden Leitzins innerhalb weniger Monate von 6,5 auf 3,5 Prozentgesenkt. Dann kam der Terroranschlag vom 11. September 2001. Umdessen Einfluss auf die Wirtschaft zu beschränken, senkte die US-Notenbank die Zinsen weiter – bis auf ein Prozent im Juli 2003, denniedrigsten Satz seit einem halben Jahrhundert; und dort blieb er einganzes Jahr lang. Um die Basisinflation bereinigt, war der Zinssatz fürkurzfristige Anleihen 31 Monate in Folge negativ.

Das billige Geld führte zu einer Immobilienblase, zu einer Explosionfremdfinanzierter Übernahmen und zu anderen Exzessen. Wenn Geldnichts kostet, wird jeder Kreditgeber so lange Kredite vergeben, bissich keine Abnehmer mehr finden. Hypothekenkreditgeber lockertenihre Standards bei der Kreditvergabe und erfanden neue Wege, dasGeschäft anzukurbeln und Provisionen zu verdienen. Investmentban-ken an der Wall Street entwickelten eine Vielzahl neuer Techniken,

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Kreditrisiken auf andere Anleger abzuwälzen, u. a. Pensionsfonds undAnlagefonds, von denen hohe Renditen erwartet wurden. Darüberhinaus schufen sie Structured Investment Vehicles2, um ihre eigenenPositionen nicht einsetzen zu müssen.

Von 2000 bis Mitte 2005 stieg der Marktwert bestehender Wohn-immobilien um über 50 Prozent, und die Baubranche boomte. EinerSchätzung von Merrill Lynch zufolge stand etwa die Hälfte des gesam-ten US-Bruttoinlandsprodukt-(BIP-)Wachstums in der ersten Jahres-hälfte im Zusammenhang mit Wohnimmobilien – entweder direkt,durch den Bau von Eigenheimen und damit verbundene Käufe (z. B.Möbel), oder indirekt, indem die durch Refinanzierungen von Hypo-theken verfügbar gewordenen Gelder ausgegeben wurden. Nach einerSchätzung von Martin Feldstein, dem einstigen Vorsitzenden desCouncil of Economic Advisers, nahmen die Verbraucher von 1997 bis2006 mehr als 9 Billionen Dollar in bar aus Beleihungen ihrer Eigen-heime in Anspruch. Eine von Alan Greenspan geleitete Studie kam2005 zu dem Schluss, in den Jahren seit 2000 seien drei Prozent desgesamten privaten Verbrauchs so finanziert worden. Im ersten Quar-tal 2006 machten diese Entnahmen aus dem Wohneigentum nahezuzehn Prozent der verfügbaren privaten Einkommen aus.3

Zweistellige Steigerungen der Hauspreise reizten zu Spekulation.Wenn erwartet wird, dass der Wert von Eigentum stärker steigt als dieFremdmittelkosten, ist es sinnvoll, mehr Eigentum zu besitzen, alsman bewohnen will. Die im Jahr 2005 erworbenen Wohnimmobiliensollten zu 40 Prozent nicht als dauerhafter Wohnsitz, sondern alsAnlageobjekt oder Zweitwohnsitz dienen.4 Da das Wachstum des rea-

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SOROSChronik der Krise

2 Structured Investment Vehicle (SIV): eine außerbilanzielle Kreditarbitrage-Zweckgesellschaft im Finanzwesen.

3 Economist, 10. September 2005; Martin Feldstein: »Housing, Credit Markets andthe Business Cycle«, National Bureau of Economic Research, Working Paper13.471, Oktober 2007; Alan Greenspan und James Kennedy: »Estimates of HomeMortgage Origination, Repayments, and Debts on One- to Four-Family Resi-dences«, internes Arbeitspapier der US-Notenbank 2005–41 (Daten für das Jahr2007 von Dr. Kennedy aktualisiert und dem Autor zur Verfügung gestellt).

4 Joseph R. Mason und Joshua Rosner: »How Resilient Are Mortgage-BackedSecurities to Collateralized Debt Obligation Market Disruption?« Referat im Hud-son Institute, Washington, D. C., 15. Februar 2007, S. 11.

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len Durchschnittseinkommens ab 2000 kaum wahrnehmbar war,ließen sich die Kreditinstitute einiges einfallen, um Immobilien be-zahlbar erscheinen zu lassen. Am beliebtesten waren zinsvariableHypotheken mit anfänglichen Lockzinsen unterhalb der marktüb-lichen Sätze für die ersten zwei Jahre. Es wurde vorausgesetzt, dass dieHypothek nach zwei Jahren, wenn der höhere Zins zum Tragen käme,refinanziert würde, sodass man von den höheren Preisen profitierenund neue Provisionen kassieren könnte. Die Kreditstandards fielen insich zusammen, und es wurde üblich, Hypotheken an Schuldner zuvergeben, die zwar genügend Bonität, aber nicht genug Einkommenhatten (»Subprime-Hypotheken«). »Liar Loans«5 mit geringer oderganz ohne Dokumentation waren keine Seltenheit; der Extremfallwaren NINA- und NINJA-Kredite6, häufig aktiv begünstigt durch dieHypothekenmakler und Hypothekenkreditgeber.

Banken verkauften ihre risikoreichsten Hypotheken weiter, indemsie sie in Wertpapiere mit dem Namen Collateralized Debt Obliga-tions7 (CDO) einbanden. CDO leiteten die Cashflows aus Tausendenvon Hypotheken in eine Serie diverser Anleihen mit unterschiedlichenRisiken und Renditen, die auf die verschiedenen Vorlieben der Anle-ger zugeschnitten waren. Die Tranchen mit dem höchsten Rang, dievielleicht 80 Prozent der Anleihen ausmachten, hatten ein Erstzu-griffsrecht auf alle zugrunde liegenden Cashflows und konnten so miteinem AAA-Rating verkauft werden. Die rangniedrigeren Tranchenboten kaum Rechte und beinhalteten alle Risiken, versprachen jedoch

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SOROS Das Ende der Finanzmärkte – und deren Zukunft

5 Liar Loans = Lügnerkredite: Hypotheken, die an Kreditnehmer verkauft werden,ohne zu prüfen, ob die angebotenen Sicherheiten den Kredit tatsächlich sichernund ob der Kreditnehmer in der Lage ist, Zins und Tilgung zu bedienen, vergleich-bar den z. T. zweifelhaften Bankpraktiken nach der »Wende«, als vermeintlicheSteuersparmodelle an Menschen verkauft wurden, die mangels entsprechendenEinkommens gar kein Steuersparmodell gebraucht hätten und schließlich wederdie gekaufte Wohnung noch ihr Geld behalten konnten.

6 NINA = No Income No Assets: Kein Einkommen, kein Vermögen; NINJA = NoIncome No Job No Assets: Kein Einkommen, kein Job, kein Vermögen. ImGrunde genommen reine Abzockerei der Kreditmakler und Kreditunternehmen,die nur auf ihre Provisionen und die eingesetzten Sicherheiten (meist Immobi-lien) spekulierten.

7 Collateralized Debt Obligations (CDO) = forderungsbesicherte Schuldverschrei-bungen.

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höhere Renditen, die schlussendlich nicht ausgegeben werden konn-ten. In der Praxis unterschätzten Banker wie Rating-Agenturen dieinhärenten Risiken von Absurditäten wie NINJA-Krediten gewaltig.

Durch die Aufteilung in Tranchen und die breite Streuung solltendie Risiken minimiert werden. Wie sich jedoch herausstellte, erhöhtedas die Risiken, weil dadurch Hypotheken aus dem Besitz der Banken,die ihre Kunden kannten, in den Besitz von Anlegern gelangten, die sienicht kannten. Statt dass eine Bank oder Bausparkasse ein Darlehengenehmigte und in ihren Büchern behielt, wurden Darlehen nundurch Makler akquiriert, von »Hypothekenbanken« mit dünner Kapi-taldecke vorübergehend in den eigenen Bestand übernommen (Ware-housing) und dann en bloc an Investmentbanken verkauft; diese kon-struierten die CDO, die von Rating-Agenturen bewertet undschließlich an institutionelle Anleger weiterverkauft wurden. Auf alleUmsätze von der ursprünglichen Akquisition bis hin zum letztenFinanzkonstrukt gab es Provisionen – je höher das Volumen, destohöher die Provision. Die Aussicht, Provisionen zu verdienen, ohneRisiken zu übernehmen, förderte laxe und unethische Geschäftsprak-tiken. Im Subprime-Bereich, wo man mit unerfahrenen, uninformier-ten Kunden zu tun hatte, waren betrügerische Aktivitäten an derTagesordnung. Das Wort »Lockzinsen« verdeutlicht dieses Spiel.

Etwa ab 2005 wurden Verbriefungen zur Manie. Es war ein Leich-tes, »synthetische« Wertpapiere zu kreieren, die die Risiken realerWertpapiere nachahmten, aber nicht die Kosten für den Kauf und dasZusammenstellen tatsächlicher Kredite verursachten. So konntenrisikobehaftete Papiere vervielfacht werden – weit über das hinaus,was am Markt tatsächlich vorhanden war. Einfallsreiche Investment-banker schnitten CDO in Tranchen und verpackten diese neu in CDOvon CDO, so entstanden Potenzierungen wie »CDO2« oder sogar»CDO3«. Die obersten Tranchen von CDO mit schlechterem Ratingerhielten so plötzlich AAA-Ratings. Auf diese Weise wurden mehrAAA-Verbindlichkeiten geschaffen, als es AAA-Vermögenswerte gab.Gegen Ende machten synthetische Produkte über die Hälfte des Han-delsvolumens aus.

Der Verbriefungswahn blieb nicht auf Hypotheken beschränkt, son-dern griff auf andere Kreditformen über. Den weitaus größten Markt

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unter den synthetischen Papieren haben Credit Default Swaps (CDS)8.Dieses obskure synthetische Finanzinstrument wurde Anfang der1990er-Jahre in Europa erfunden. Die ersten CDS waren maßge-schneiderte Vereinbarungen zwischen jeweils zwei Banken. Bank A,der Swapverkäufer (Käufer des Versicherungsschutzes), erklärte sichbereit, an Bank B, den Swapkäufer (Verkäufer des Schutzes) für einspezifisches Kreditportfolio über eine bestimmte Zahl von Jahren eineJahresgebühr zu zahlen. Bank B verpflichtete sich, während der Lauf-zeit des Swaps Verluste von Bank A aus diesem Portfolio auszuglei-chen. Ehe es CDS gab, musste eine Bank, um ihr Portfolio zu diversi-fizieren, Teile von Krediten kaufen oder verkaufen, und das warkompliziert, weil dazu die Einwilligung der Schuldner erforderlichwar. Daher wurde diese neue Form der Diversifizierung sehr beliebt.Die Modalitäten wurden standardisiert, und der Nominalbetrag derKontrakte erreichte bis zum Jahr 2000 rund eine Billion Dollar.

In den ersten Jahren nach der Jahrtausendwende setzte der Vor-marsch der Hedge-Fonds ein. Auf Kredite spezialisierte Hedge-Fondsagierten im Endeffekt als Versicherer ohne Lizenz und kassierten Prä-mien auf die CDO und sonstigen Wertpapiere, die sie versicherten.Der Wert der Versicherung war oft zweifelhaft, da Verträge abgetretenwerden konnten, ohne die Vertragspartner zu informieren. Der Marktwuchs exponentiell, bis er nominal alle anderen Märkte überholthatte. Der Nennwert der ausstehenden CDS wird derzeit auf 42,6 Bil-lionen Dollar geschätzt. Zum Vergleich: Dies entspricht fast demgesamten Vermögen der US-Privathaushalte. Die Kapitalisierung desUS-Aktienmarktes beträgt hingegen 18,5 Billionen Dollar, die desMarktes für US-Schatzpapiere nur 4,5 Billionen Dollar.

Der Verbriefungswahn führte zu einem enormen Anstieg derFremdfinanzierung. Um gewöhnliche Anleihen zu halten, ist eineMarge von 10 Prozent erforderlich; durch CDS geschaffene synthe-tische Anleihen können mit einer Marge von 1,5 Prozent gehandeltwerden. So konnten Hedge-Fonds gute Gewinne erzielen, indem sie

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8 Credit Default Swap (CDS): Ein Kreditderivat zum Handeln von Ausfallrisiken,z. B. von Krediten, ähnelt einer Kreditversicherung. Dadurch erhalten Bankenund Investoren ein flexibles Instrument, um Kreditrisiken zu handeln.

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auf fremdfinanzierter Basis Risikodifferenzen ausnutzten und dieRisikoprämien verringerten.

Das konnte auf Dauer nicht gut gehen. Es gab schon einen Präze-denzfall. Der Markt für Collateralized Mortgage Obligations (CMO)9

begann sich in den 1980er-Jahren zu entwickeln. 1994 brach derMarkt der Tranchen mit den niedrigsten Ratings – auch »Giftmüll«genannt – ein, als ein 2 Milliarden Dollar schwerer Hedge-Fonds eineNachschussforderung nicht erfüllen konnte. Für Kidder Peabody wares das Ende, und die Verluste beliefen sich auf rund 55 Milliarden Dol-lar. Doch die Regulierungsbehörden taten nichts. Das frühere Vor-standsmitglied der US-Notenbank Edward M. Gramlich machte sei-nen Chef Alan Greenspan im Jahr 2000 privat auf die Missbräuche anden Subprime-Hypothekenmärkten aufmerksam, doch seine War-nung wurde beiseitegewischt. 2007 ging Gramlich mit seinen Sorgenan die Öffentlichkeit und publizierte ein Buch über die Subprime-Blase – kurz bevor die Krise ihren Anfang nahm. Charles Kindleber-ger, ein Experte zum Thema Extremsituationen an den Märkten,warnte 2002 vor einer Wohnimmobilienblase. Martin Feldstein, PaulVolcker (früherer Präsident der US-Notenbank) und Bill Rhodes (lei-tender Citibank-Manager) warnten vor einer Baisse. Nouriel Roubinisagte 2006 voraus, die Immobilienblase werde eine Rezession zurFolge haben. Doch niemand – auch ich nicht – sah voraus, wie großdie Blase werden und wie lange sie sich halten könnte. Wie das WallStreet Journal bemerkte, gab es viele Hedge-Fonds, die mit einerBaisse bei Wohnimmobilien rechneten, doch »während sie auf denEinbruch warteten, erlitten sie so schmerzliche Verluste«, dass diemeisten von ihnen schließlich von ihrer Position abrückten.10

Anfang 2007 begannen sich die Vorzeichen des Unheils zu häufen.Am 22. Februar entließ die HSBC den Leiter ihrer US-Hypotheken-sparte und räumte Verluste in Höhe von 10,8 Milliarden Dollar ein. Am

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SOROSChronik der Krise

9 Collateralized Mortgage Obligations (CMO) = besicherte Hypothekenobligatio-nen: ein Finanzschuldensicherungskonstrukt in Form einer Zweckgesellschaft,die als rechtlicher Eigentümer einer Reihe von Hypotheken auftritt. Involviertsind Banken, Hedge-Fonds, Versicherungsgesellschaften, Pensionsfonds, Invest-mentfonds, Behörden und in jüngerer Zeit Zentralbanken.

10 Wall Street Journal, 27. Februar 2008 und 15. Januar 2008; New York Times, 26.Oktober 2007.

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9. März gab DR Horton, das größte US-Bauunternehmen für Eigen-heime, Verluste aus Subprime-Hypotheken bekannt. Am 12. Märzwurde der Handel mit Aktien der New Century Financial, eines dergrößten auf Risikodarlehen spezialisierten Hypothekeninstitute, ange-sichts von Insolvenzbefürchtungen ausgesetzt. Am 13. März wurdeberichtet, dass Zahlungsrückstände auf Hypotheken und Zwangsver-steigerungen von Eigenheimen neue Höhen erklommen hatten. Am16. März bot die Accredited Home Lenders Holding Subprime-Kreditemit starkem Preisnachlass für 2,7 Milliarden Dollar zum Verkauf an,um flüssige Mittel für den laufenden Geschäftsbetrieb zu beschaffen.Am 2. April meldete New Century Financial Insolvenz an, nachdem siegezwungen worden war, für mehrere Milliarden Dollar unzureichendbesicherte Kredite zurückzukaufen.11

Am 15. Juni 2007 gab Bear Stearns bekannt, dass zwei seiner gro-ßen Hypotheken-Hedge-Fonds Probleme hatten, Nachschussforde-rungen zu erfüllen. Widerwillig räumte Bear Stearns eine Kreditlinievon 3,2 Milliarden Dollar ein, um den einen Fonds zu retten, und ließden anderen untergehen. Das Kapital der Anleger in Höhe von 1,5 Mil-liarden Dollar wurde zum größten Teil vernichtet.

Das Schicksal der beiden Hypotheken-Hedge-Fonds von BearStearns erschütterte die Märkte im Juni erheblich, doch US-Noten-bankpräsident Ben Bernanke und andere hochrangige Amtsträger ver-sicherten der Öffentlichkeit, das Subprime-Problem sei ein isoliertesPhänomen. Die Kurse stabilisierten sich, obgleich der Strom schlech-ter Nachrichten nicht nachließ. Noch am 20. Juli schätzte Bernankedie Subprime-Verluste auf nur rund 100 Milliarden Dollar. Als MerrillLynch und Citigroup hohe Abschreibungen auf untereinander be-sicherte Schuldverschreibungen meldeten, reagierten die Märkte tat-sächlich erleichtert, und Mitte Juli erreichte der S&P 500 einen neuenHöchststand.

Erst Anfang August griff an den Finanzmärkten wirklich Furchtum sich. Es war ein Schock, als Bear Stearns für zwei in Subprime-Kredite investierte Hedge-Fonds Insolvenz anmeldete und Kundendaran hinderte, aus einem dritten Fonds Barmittel abzuziehen. Wie

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11 BBC News: »Bleak Housing Outlook for US Firm«, 8. März 2007, http:// news.-bbc.co.uk/2/hi/business/6429815.stm.

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erwähnt, hatte Bear Stearns diese Fonds mit der Bereitstellung vonzusätzlichen 3,2 Milliarden Dollar zu retten versucht.

Als die Krise dann ausbrach, versanken die Finanzmärkte mit ver-blüffendem Tempo im Chaos. Was schiefgehen konnte, ging schief.Überraschend viele Schwächen wurden in bemerkenswert kurzer Zeitoffenbar. Was bei Subprime-Hypotheken mit niedrigem Ratingbegonnen hatte, griff bald auf die CDO über, insbesondere die synthe-tischen, die aus der obersten Tranche von Subprime-Hypotheken kon-struiert worden waren. Die CDO selbst waren nicht ohne Weitereshandelbar, doch es gab handelbare Indizes für deren verschiedeneArten. Anleger, die sich in Sicherheit bringen wollten, und gewinn-hungrige Baissespekulanten beeilten sich, diese Indizes zu verkaufen,und diese brachen so tief ein, dass der Wert der verschiedenen Artenvon CDO, die sie abbilden sollten, in Mitleidenschaft gezogen wurde.Investmentbanken hielten außerbilanziell hohe CDO-Positionen inden SIV. Diese wiederum finanzierten ihre Positionen durch Emissio-nen von forderungsbesicherten Handelspapieren. Als der Wert derCDO fraglich wurde, trocknete der Asset-backed Commercial Paper12-Markt aus, und die Investmentbanken waren gezwungen, ihren SIV zuHilfe zu kommen. Die meisten nahmen ihre SIV auf die Bilanz undmussten dadurch hohe Verluste realisieren. Überdies saßen dieInvestmentbanken auf hohen Kreditzusagen für fremdfinanzierteÜbernahmen. Im Normalfall hätten sie diese Kredite als CollateralizedLoan Obligations13 (CLO) verpackt und weiterverkauft, doch der CLO-Markt kam zeitgleich mit dem CDO-Markt zum Erliegen, und die Ban-ken blieben auf Forderungsausfällen im Wert von etwa 250 MilliardenDollar sitzen. Einige von ihnen ließen ihre SIV untergehen, anderesagten sich von ihren Verpflichtungen für fremdfinanzierte Übernah-men los. Zusammen mit der Höhe der Verluste der Banken führte diesdazu, dass der Aktienmarkt die Nerven verlor, und die Kursbewegun-gen liefen völlig aus dem Ruder. »Marktneutrale« Hedge-Fonds, die

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SOROSChronik der Krise

12 Asset-backed Commercial Paper (ABCP) = durch Aktiva bzw. Vermögen forde-rungsbesicherte kurzfristige Handelspapiere in Form von z. B. Geldmarkt- oderWarenwechseln.

13 Collateralized Loan Obligations (CLO) = besicherte Darlehen.

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mit einem sehr hohen Fremdfinanzierungsgrad kleine Diskrepanzender Marktpreise ausnutzen, waren nicht länger marktneutral underlitten ungewöhnliche Verluste. Einige von ihnen – die mit hohemFremdfinanzierungsgrad – wurden vernichtet. Die Folgen waren eineRufschädigung ihrer Betreiber und eine Prozessflut.

All dies setzte das Bankensystem unter enormen Druck. Die Ban-ken mussten weitere Posten auf ihre Bilanz nehmen – zu einer Zeit, in der ihre Kapitalbasis infolge unerwarteter Verluste beeinträchtigtwar. Sie taten sich schwer, ihre eigene Belastung in den Griff zubekommen, und noch schwerer, die ihrer Kontrahenten einzuschätzen.Folglich horteten sie lieber ihre Vorräte, als untereinander Kredite zuvergeben. Zunächst hatten die Zentralbanken Schwierigkeiten, genugLiquidität in das System zu bringen, da die Geschäftsbanken die Inan-spruchnahme der Anlagen, die mit einer Last behaftet waren, ebensovermieden wie Transaktionen untereinander; mit der Zeit wurdendiese Hürden jedoch überwunden. Denn wenn es etwas gibt, auf dassich Zentralbanken verstehen, so ist es die Versorgung mit Liquidität.Nur die Bank of England erlitt ein schweres Debakel, als sie versuchte,dem Hypothekenkreditgeber Northern Rock, der sich übernommenhatte, unter die Arme zu greifen. Ihr Rettungsversuch führte zu einemAnsturm auf die Bank in der Form, dass die Kunden Schlange standen,um Geld abzuheben. Schließlich wurde Northern Rock verstaatlichtund deren Verbindlichkeiten addierten sich zur Staatsverschuldungdes Vereinigten Königreichs, die dadurch die im Vertrag von Maas-tricht festgelegte Obergrenze überstieg.

Obgleich Liquidität bereitgestellt worden war, wollte die Krisenicht abklingen. Die Kreditrisikoaufschläge stiegen weiter. Nahezualle Großbanken – Citigroup, Merrill Lynch, Lehman Brothers, Bankof America, Wachovia, UBS, Credit Suisse – meldeten im viertenQuartal hohe Abschreibungen, und die meisten haben für 2008 wei-tere Abschreibungen signalisiert. Sowohl AIG als auch Credit Suissemachten zu den Abschreibungen des vierten Quartals vorläufige An-gaben, die sie wiederholt revidierten, und vermittelten damit denzweifellos richtigen Eindruck, dass sie die Kontrolle über ihre Bilanzenverloren hatten. Ein am 25. Januar 2008 bekannt gegebener Spekula-tionsverlust von 7,2 Milliarden Dollar bei der Société Générale fiel miteiner Verkaufswelle am Aktienmarkt und einer außergewöhnlichen

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Senkung des US-Tagesgeldsatzes um 75 Basispunkte zusammen –acht Tage vor der planmäßigen Sitzung des Ausschusses der US-Notenbank, der eine weitere Kürzung um 50 Basispunkte beschloss.Etwas Derartiges hatte es noch nie gegeben.

Die Probleme griffen von Wohnimmobilien auf Kreditkartenbelas-tung, Autokredite und Gewerbeimmobilien über. Sie erfassten dieFinanzversicherer, die hauptsächlich auf ein bestimmtes Konstrukt(traditionell Kommunalanleihen, aber inzwischen verstärkt Versiche-rungen für strukturierte und synthetische Produkte) spezialisiert sind(sogenannte Monoline Insurance Companies). Die Folge waren Störun-gen am Markt für Kommunalanleihen. Ein weit größeres, ungelöstesProblem droht am CDS-Markt.

Im Lauf der letzten Jahrzehnte haben die USA mehrere großeFinanzkrisen überstanden, z. B. die internationale Kreditkrise der1980er- und die US-Sparkassenkrise der frühen 1990er-Jahre. Dochdie aktuelle Krise ist völlig anderer Art. Sie hat sich von einem Markt-segment auf andere ausgebreitet, insbesondere diejenigen, wo neuentwickelte strukturierte und synthetische Instrumente verwendetwerden. Sowohl die Exposition als auch die Kapitalbasis der wichtigs-ten Finanzinstitute sind fraglich geworden, und die Unsicherheitendürften noch geraume Zeit bestehen bleiben. Dies behindert das nor-male Funktionieren des Finanzsystems und wird mit Sicherheit weit-reichende Folgen für die Realwirtschaft haben.

Die Finanzmärkte wie auch die Finanzbehörden erkannten sehrspät, dass die Realwirtschaft unweigerlich in Mitleidenschaft gezogenwürde. Es ist schwer verständlich, warum dies so war. Die Kredit-expansion hat die Realwirtschaft angekurbelt. Wie sollte sich die Kre-ditverknappung nicht negativ auf sie auswirken? Hier drängt sich derSchluss auf, dass sowohl die Finanzbehörden als auch die Marktteil-nehmer grundlegend falsche Vorstellungen von der Funktionsweiseder Finanzmärkte hegen. Diese falschen Vorstellungen haben sichnicht nur darin geäußert, dass nicht verstanden wurde, was geschieht –sie waren der Grund für die Exzesse, die zu den heutigen Markttur-bulenzen geführt haben.

Ich möchte darlegen, dass das weltweite Finanzsystem auf fal-schen Prämissen aufbaut. Das könnte Sie schockieren, besonders

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wenn ich sage, dass diese falschen Konzepte nicht nur die Finanz-märkte, sondern alle menschlichen Bereiche betreffen!

In Teil 1 lege ich den theoretischen Rahmen dar, anhand dessendas Funktionieren von Finanzmärkten verstanden werden kann. InTeil 2 wende ich diesen Rahmen auf die geschichtliche Gegenwart an.

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