Gering Qualifizierte – die Parias der Wissensgesellschaft!? Wie die Entgrenzung von Bildung...
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Gering Qualifizierte – die Parias der “Wissensgesellschaft”!? Wie die Entgrenzung von Bildung soziale Ausgrenzung erzeugt. Manfred Krenn (FORBA) Arbeitskreis “Wissenschaft und Verantwortlichkeit” an der Universität Innsbruck, 19.4. 2012
Gering Qualifizierte – die Parias der Wissensgesellschaft!? Wie die Entgrenzung von Bildung soziale Ausgrenzung erzeugt. Manfred Krenn (FORBA) Arbeitskreis
Text of Gering Qualifizierte – die Parias der Wissensgesellschaft!? Wie die Entgrenzung von Bildung...
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Gering Qualifizierte die Parias der Wissensgesellschaft!? Wie
die Entgrenzung von Bildung soziale Ausgrenzung erzeugt. Manfred
Krenn (FORBA) Arbeitskreis Wissenschaft und Verantwortlichkeit an
der Universitt Innsbruck, 19.4. 2012
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2 Parias als Ausgegrenzte Gesellschaftliche Bewertung von
geringer Qualifikation Diskurs um Wissensgesellschaft als
entscheidende Rahmung Gering Qualifizierte als unterste Stufe einer
auf Bildung basierenden Version eines modernen Kastenwesen: Status
der Unbeschftigbaren
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3 Wissensgesellschaftsdiskurs als wirkmchtige Konsensformel Es
ist deshalb kaum bertrieben festzustellen, dass die Zeitdiagnose
Wissensgesellschaft das augen- blicklich diskursmchtigste
sozialwissenschaftliche Deutungsangebot und gleichzeitig eine wirk-
mchtige Konsensformel darstellt.(Bittlingmayer 2005)
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4 Herrschaftskritische Sichtweise
Wissenschaftgesellschaftskonsens als ggw. Stand des symbolischen
Klassenkampfes Klassifizierungskmpfe Kampf um das Monopol auf die
Macht zur Deutung der Welt (Gesellschaft) doxa (Bourdieu) das
Willkrliche als Selbstverstnd- liches und nicht mehr
Hinterfragbares Soziale Ausgrenzungsgefahr von gering
Qualifizierten als quasi natrwchsiger Prozess
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5 (Weiter)Bildung als Antwort auf Unsicherheit? Fast alle
scheinbar ewigen Formen, Unsicherheit zu bewltigen, verlieren an
Bedeutung Familie, Ehe, Geschlechterrollen, Klassen, Parteien,
Kirchen, zuletzt auch der Wohlfahrtsstaat. Auf diese Vervollkomm-
nung der Unsicherheit gibt es bislang nur drei Antworten: Bildung,
Bildung, Bildung. (Ulrich Beck 2004)
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6 Chancen von gering Qualifizierten in einer (behaupteten)
Wissensgesellschaft Mainstream-Diskurs: drei spezifische
Verengungen Sachzwang zur Hherqualifizierung Marginalisierung
einfacher Arbeit Bildung/Qualifizierung als (hpts.) Antwort auf
Arbeitsmarkt-Probleme von GQ Bildung/Qualifizierung als prinzipiell
positiver Wert Bildungsabstinenz als Manko, Defizit
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7 Wer gilt als gering qualifiziert? Begriffsbestimmung gering
qualifiziert: keine Berufsausbildung: nur (oder keinen)
Hauptschulabschluss Personen mit Lehrabschluss auf Positionen unter
FacharbeiterInnenniveau
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8 keine Marginalisierung von einfacher Arbeit und gering
Qualifizierten weder Ttigkeiten noch Personen verschwinden zwar
Rckgang der Anzahl von PflichtschulabsolventInnen, aber
PISA-Ergebnisse: 28% als Risikogruppe fr funkt. AA in
Berufsschulen: 37% Disuse-Hypothese: 30% Erw. m. schw.
Grundqualifikation (Schneeberger/Mayr 2004) in 30% an Arbeitspltzen
o. bes. berufl. Kompetenzen (in Privat-U. > 10 Besch., EWCS
2005) 18% taylorist. AO: geringe Autonomie, geringe Lerndynamik,
hohes Arbeitstempo, repetitive und monotone Arbeiten 12% einfach
strukturierte Arbeit: geringe Lerndynamik, wenig kodifizierte,
informelle Handlungsablufe
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9 Arbeitsmarktchancen von gering Qualifizierten Verdrngung und
Stigmatisierung Verdrngung durch Qualifizierte in D 2002: 45,5%
Qualifizierte auf Einfach-Arbeitspltzen in : mehr als 50% m.
Lehre/BMS, 5-10% ab Matura, z.T. durch Gruppen mit spez.
Bedrfnissen (StudentInnen) gesell. Anerkennung von Einfacharbeit
sinkt, schlechte Arbeitsbedingungen (Lhne, Arbeitszeiten, kaum
Vollzeit- jobs) zunehmende Stigmatisierung vernderte
Zusammensetzung durch Bildungsexpansion Label nicht
beschftigungsfhig kaum Mglichkeiten zur nachtrglichen Korrektur
(Solga)
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10 Neue Chancen durch Lebenslanges Lernen? eindeutiger Befund:
doppelte Weiterbildungs- schere Matthusprinzip formale und
informelle Weiterbildung marginale Beteiligung von gering
Qualifizierten berufl u. betriebl. WB: Pflichtschule: 12%,
berufsbezogene WB whrend Arbeitszeit: PflichtschulabsolventInnen
5,6% (AES)
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11 Arbeitsbezogene Weiterbildung nach Bildungsabschluss
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12 Grnde fr die Nicht-Beteiligung von gering Qualifizierten und
deren Bewertung mainstream: Barrieren objektive/strukturelle
Faktoren: Charakteristika des AP, der ausgebten Ttigkeit subjektive
Faktoren: geringes Lerninteresse, negative Schulerfahrungen,
fehlendes Durchhaltevermgen Bewertung der Nichtteilnahme:
Defizitblick Weiterbildung als grundstzlich positiv und
wnschenswert: Beseitigung von Barrieren fr Beteiligung (Zugang)
Gleichsetzung von Nicht-Beteiligung mit bildungsfernen
Einstellungen Hintergrund normativer Bildungsbegriff (sozial
konstruiert) bildungsbrgerliches Milieu versetzt mit konomischen
Verwertbarkeitskriterien
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13 Alternative Bewertung der Nichtteilnahme Nichtteilnahme als
Eigensinn und Widerstand Neuer Blickwinkel subjektive Grnde der
Betroffenen: fehlender subjektiver Sinn: in Inhalt und Form
befremdend von auen oktroyiert und fremdbestimmt
Kosten/Nutzen-Kalkl: Kosten fr Lebensqualitt (monetr,
psycho-sozial, zeitlich) in keinem Verhltnis zum konkreten Nutzen
Neue Bewertung subjektive Grnde der Betroffenen: Pdagogik:
gelingendes Lernen - Lernauforderung als sinnvoll im
Lebenszusammenhang: Lernwiderstand als Ergebnis formaler
Weiterbildung LLL als soziale Norm - von GQ als Form
gesellschaftlicher Gewalt erlebt
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14 Lebenslanges Lernen als normative (An)Forderung
Strategiepapier zur Umsetzung des LLL in sterreich: Fr
Geringqualifizierte wird es immer schwieriger, Beschftigung zu
finden und zu halten. Berufliche Kompetenzen und deren stndige
Weiterentwicklung schaffen Beschftigbarkeit und werden zur primren
Sule sozialer Absicherung (BMUKK 2008, 10).
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15 LLL als Entgrenzung von Bildung Ausdruck einer
Pdagogisierung aller Lebensbereiche Funktion: Legitimierung der
Individualisierung sozialer Risiken gesellschaftliches
Erziehungsprogramm Qualifizierung als permanente Lernverpflichtung
bildungspolitischer Beitrag zum allg. Flexibilisierungsdruck enger
Zusammenhang zu Prozessen der Entgrenzung von Arbeit
selbstgesteuertes Lernen als neue Lernkultur- Kompetenzen dazu
allerdings sozial hchst ungleich verteilt Erhhung des Drucks auf
gering Qualifizierte
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16 Die soziale Dimension von (Weiter)Bildung - Milieu, Habitus
Vorstellung eines einheitlichen Bildungssubjekts falsch
unterschiedliche Bedeutung von Bildung im Lebens- zusammenhang
(obere mittlere untere Milieus) Bildungsprozess selbst soziale
Dimension selbstgesteuertes Lernen entspricht Habitus der
mittleren/oberen Milieus (an bestimmte Form der Persn-
lichkeitsbildung gebunden) ebenso der Modus des
kognitiv-reflexiven, abstrakten Lernens
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17 Beispiel 1 SH-Studie: Selbstreflexion als symbolische Gewalt
Herr H: Und dann sind wir dort gesessen in einer Runde. Und dann
mit den Ballspielen, Ball zuschupfen, dann muss derjenige sagen,
was er fr Probleme hat. Jetzt habe ich zu der gesagt: Hren Sie zu,
ich bin - da war ich noch 40 oder, ja, 45 -...ich bin 45 Jahre und
werde Ihnen sicherlich nicht meine Probleme sagen, weil Sie knnen
mir eh nicht helfen sage ich. Und zweitens einmal: Haben Sie eine
Arbeit? Nein. Sage ich: Jetzt sitze ich da 5 Wochen... Na, Sie
sind...Sie wollen nicht mitarbeiten! Da sage ich: Das hat mit
Mitarbeiten nix zu tun, aber das bringt nix, habe ich gesagt Das
bringt berhaupt nix, Ihnen bringt es was,, sage ich Sie haben
Arbeit, Sie verdienen was, aber die anderen alle und wir alle, sage
ich Das bringt berhaupt nix. Und da war ich 3 Tage dort, dann bin
ich in den Krankenstand gegangen. Dann war es eh aus, nicht. (S.
15)
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18 Die soziale Dimension von (Weiter)Bildung - Milieu, Habitus
Resmee: Vernderung in den Arbeitsstrukturen kombiniert mit
Vernderung der Pdagogik statt berwindung von Defiziten durch
Anpassung
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19 Beispiel 2 SH-Studie: Kompetenzen von funktionalen
AnalphabetInnen Frau M.: Also das soll ja nicht der Sinn des Lebens
sein, dass ich mich da dauernd frchten muss und die Panik haben vor
den Leuten, was die mit dir auffhren, weil du packst es nicht mehr
lange. Also ich zumindest nicht mehr. Ich habe heute...ein gewisses
Alter, jetzt reicht es mir dann einmal. Wissen Sie, was ich meine.
Fr andere Leute muss ich das machen? Fr andere Leute, weil du nicht
mehr kannst. Es ist traurig. Das ist traurig. Und dass da keiner da
ist, der, sagen wir, einmal sagte: Hrst, wir helfen ihr, wir geben
ihr eine Chance, dass wir sie wo reinbringen nach dem allen. Fngt
ja alles wieder an.... Aber ich meine...es ist ja nicht notwendig,
wenn sich die bemhen wrden, dass ich in ein Projekt komme statt
einen Kurs zu machen, dass sie mich runtermachen. Weil wenn ich
dort einen Kurs mache und ich komme nicht mit, dann ist das mein
Todesurteil zuhause. Das ist so, 100%ig. (S. 34)
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20 Beispiel 2 SH-Studie: Kompetenzen von funktionalen
AnalphabetInnen Frau M.: Na, pass auf. Das kommt ja jetzt. Ich wei
nicht, was die wollen. Jetzt weit ja du eigentlich von mir, was ich
fr eine Kindheit habe und was ich fr eine Schulung habe. Und ich
bin heute 54 Jahre. Das, was ich brauche, ja, ich bin
lebensgescheit, also weil ich sehr viel in der Natur... Ja, ich
wrde nicht verhungern, weil ich wei, was ich essen kann. Ja, ich
bin... Wie sagt man? Ein naturwissenschaftlicher Mensch, so auf die
Art. Ich habe mich immer selber durchgesetzt. Ja. Und dass man sich
heute, dass man heute, wie das am Arbeitsamt ist, einen Menschen so
runtermacht, nur weil ich ein paar Wehwehchen habe, dass man dem
nicht behilflich ist. Ich traue mir nicht dort oben zu sagen, dass
ich nicht gescheit lesen oder nicht gescheit rechtschreiben kann.
Da happert es. Rechnen auch. Gerade nur, was ich fr meinen
Hausbrauch brauche, das kann ich schon rechnen, weil da habe ich ja
Zeit, zu dem, was ich rechnen muss, was ich ausgeben muss.
Verstehst mich? Ich hre: Kurse. Ich kriege die Panik. Mein Zucker
erhht sich auf 200 oder irgendwas. Weil ich zuckerkrank geworden
bin, seit 10 Jahren jetzt, nicht, einen Schock durch die Operation
gehabt habe. Ist ja wurscht. Mir rennt die Kindheit sehr viel
nach.(S.31)
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21 Reduzierung der Gefahr sozialer Ausgrenzung von GQ in
Wissensgesellschaft umfassender Ansatz 1. Ausgrenzungsprozesse
thematisieren: Macht von Diskursen Defizitsichtweise(n) revidieren
sozialen Charakter von (Weiter)Bildung freilegen 2. Gestaltung von
Weiterbildung 3. Gestaltung von Arbeit Qualitt von einfacher Arbeit
(Arbeitsbedingungen) lernfrderliche Arbeitsorganisation 4.Schaffung
von Arbeitspltzen und berufl. Entwicklungs- mglichkeiten fr gering
Qualifizierte ffentliche Beschftigungspolitik
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22 Danke fr Ihre Aufmerksamkeit! Download der Studie: Gering
qualifiziert in der Wissensgesellschaft Lebenslanges Lernen als
Chance oder Zumutung? FORBA-Forschungsbericht 2/2010 unter:
www.forba.at/de/download www.forba.at