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Germanisti k Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften Einführung in die Germanistische Linguistik 1. Sitzung Die Entstehung der Germanistischen Linguistik
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GermanistikFachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften
Einfhrung in die Germanistische Linguistik 1.Sitzung Die Entstehung
der Germanistischen Linguistik
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Einfhrung in die Germanistische Linguistik, 1 Fachbereich
Sprach- und Literaturwissenschaften 2 Vorstufen Seit der
Konsolidierung der europischen Nationalsprachen (Italienisch,
Spanisch, Franzsisch, Deutsch u.a.) als Kultur- und Wissenschafts-
sprachen im 16. Jh. gab es kontinuierlich eine wissenschaftliche
Beschftigung mit der deutschen Sprache und ihrer Geschichte. Der
erste Ansatz war normativ im Sinne einer Sprachreinigung, einer
Verbesserung der deutschen Sprache. Die Sprachgesellschaften des
17. Jh. ahmten hnliche Initiativen in Italien (Accademia della
Crusca, 1582 gegrndet) und Holland (Rederijkerkamers) nach und
hatten so poetische Namen wie: 1617 Fruchtbringende Gesellschaft
(Palmenorden) in Weimar 1643 Teutschgesinnte Genossenschaft in
Hamburg 1644 Lblicher Hirten- und Blumenorden an der
Pegnitz/Pegnitzschfer in Nrnberg 1656 Elbschwanenorden in
Lbeck.
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Einfhrung in die Germanistische Linguistik, 1 Fachbereich
Sprach- und Literaturwissenschaften 3 Diese Arbeit schlug sich auer
in konkreten Vorschlgen zur Sprachreinigung und zur Poetik in
Wrterbchern und Grammatiken der (hoch)deutschen Sprache nieder. So
verffentlichte 1641 Christian Gueintz mit Billigung der
Fruchtbringenden Gesellschaft eine deutsche Grammatik unter dem
Titel Deutscher Sprachlehre Entwurf. Noch im gleichen Jahr legte
Justus Georg Schottel seine umfangreiche Teutsche Sprachkunst vor
(Umfang ca. 1500 Seiten). Mehrfach ergnzt erschien sie 1663 unter
dem Titel Ausfhrliche Arbeit von der Teutschen HaubtSprache. In
dieser Schrift wird auch eine Genealogie des Deutschen versucht,
d.h. eine Zusammenfgung verschiedener Entwicklungsperioden. Jakob
Grimm wird diesen Gedanken im 19. Jh. wieder aufgreifen. Die
Tradition der Sprachgesellschaften und Sprachakademien wird heute
durch die Acadmie franaise, die Gesellschaft fr Deutsche Sprache
und hnliche Institutionen in anderen Lndern fortgesetzt.
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Einfhrung in die Germanistische Linguistik, 1 Fachbereich
Sprach- und Literaturwissenschaften 4 Anfang des 18. Jh. schrieb
Gottfried Wilhelm Leibniz (noch in Franzsisch) seine Nouveaux
Essais sur lEntendement Humain , die erst posthum (1765)
verffentlicht wurden. Im Band ber die Wrter wird auch die
Gleichrangigkeit der deutschen mit den klassischen Sprachen
behauptet und es werden Hinweise auf ihr Alter und ihre
Verwandtschaft mit historischen Sprachstufen gegeben. In die
philosophische Debatte ber den Ursprung der Sprache griff 1772
Johann Gottfried Herder ein und sein 1784-1791 entstandenes Werk
Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit entwirft eine
Kulturanthropologie der Sprache. Gottfried Herder (1744-1803)
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Einfhrung in die Germanistische Linguistik, 1 Fachbereich
Sprach- und Literaturwissenschaften 5 Die Grammatiker der deutschen
Aufklrung schreiben in derselben Epoche auf der Basis der
Literatur- sprache des 18. Jh. umfangreiche Grammatiken und Lexika.
1781 Johann Christoph AdelungDeutsche Sprachlehre 1774-1786 Ders.
Versuch eines grammatisch-kritischen Wrterbuchs der Hochdeutschen
Mundart, besonders aber der oberdeutschen (5 Bde.).
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Einfhrung in die Germanistische Linguistik, 1 Fachbereich
Sprach- und Literaturwissenschaften 6 Die theoretische Diskussion
des 19. und teilweise des 20. Jh. wurde durch das Werk des groen
Typologen und vergleichenden Sprachwissenschaftlers und Sprach-
philosophen Wilhelm von Humboldt (1767-1835) geprgt. Posthum
erschien 1836 seine Schrift ber die Verschiedenheit des
menschlichen Sprachbaus und ihren Einflu auf die geistige
Entwicklung des Menschengeschlechts (Vgl. fr eine Zusammenfassung
der beschriebenen Entwicklungen Agricola u.a., 1969, Bd. 1:
240-246). Wilhelm von Humboldt (1767-1835)
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Einfhrung in die Germanistische Linguistik, 1 Fachbereich
Sprach- und Literaturwissenschaften 7 Von der romantischen
Sprachwissenschaft zu den Junggrammatikern Mit der Entdeckung der
Verwandtschaft zwischen den klassischen Sprachen (Griechisch,
Latein) und Deutsch einerseits und den nordindischen Sprachen
andererseits (besonders dem historischen Sanskrit, d.h.
Altindischen), entstand der Impuls zur historisch-vergleichenden
Sprachwissenschaft, welche das 19. Jh. dominieren sollte. Als
Ausgangspunkt kann Friedrich von Schlegels Schrift von 1808 ber die
Sprache und Weisheit der Inder. Ein Beitrag zur Begrndung der
Altertumskunde gelten. Schlegel gilt als einer der Begrnder der
Indogermanistik. Im Laufe des Jahrhunderts wird das vergleichende
Paradigma in der Germanistik und Romanistik mit groem Erfolg
angewandt.
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Einfhrung in die Germanistische Linguistik, 1 Fachbereich
Sprach- und Literaturwissenschaften 8 Die eigentlichen Begrnder der
sich konstituierenden Disziplin Germanistik ist fr die
Sprachwissenschaft (teilweise auch die Literaturwissen- schaft)
Jakob Ludwig Carl Grimm (1785-1863). Gemeinsam mit seinem Bruder
Wilhelm Carl Grimm (1786- 1859) sammelte und publizierte er
dieKinder- und Hausmrchen (1812- 1822). Jacob Grimm legte mit einer
Serie von Werken den Grundstein zu einer erneuerten Wissenschaft
der deutschen Sprache und Kultur: 1816/1818 erschienen die
Deutschen Sagen. Brder Grimm, Gemlde
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Einfhrung in die Germanistische Linguistik, 1 Fachbereich
Sprach- und Literaturwissenschaften 9 Seine Konzeption vom
Gegenstand der Deutschen Sprachwissenschaft lsst sich aus der
Vorrede zum ersten Band der Deutschen Grammatik, 1819, entnehmen
(vgl. Arens, 1969, Bd. 1: 196 f.). Kein Volk auf Erden hat eine
solche Geschichte fr seine Sprache wie das deutsche. Zweitausend
Jahre reichen die Quellen zurck in seine Vergangenheit, in diesen
zwei- tausend ist kein Jahrhundert ohne Zeugnis und Denkmal. Welche
ltere Sprache der Welt mag eine so lange Reihe von Begebenheiten
aufweisen, und jede an sich betrachtet vollkommenere, wie die
indische oder griechische, wird sie fr das Leben und den Gang der
Sprache berhaupt in gleicher Weise lehrreich sein?
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Einfhrung in die Germanistische Linguistik, 1 Fachbereich
Sprach- und Literaturwissenschaften 10 Germanistikstudium 1830 bei
Jacob Grimm Nicht unerwhnt soll die politisch fortschrittliche, da
demokratische Grundorientierung der beiden Grndungsvter
bleiben.
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Einfhrung in die Germanistische Linguistik, 1 Fachbereich
Sprach- und Literaturwissenschaften 11 Hauptwerke von Jakob Grimm
1812 und 1815:Deutsche Mrchen 1816/1818:Deutsche Sagen
1819/1837:Deutsche Grammatik 1828:Deutsche Rechtsaltertmer
1833:Deutsche Mythologie 1840-1860:Deutsche Weistmer
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Einfhrung in die Germanistische Linguistik, 1 Fachbereich
Sprach- und Literaturwissenschaften 12 Diese Richtung, die in ihren
Fortsetzungen die Germanische Philologie (vgl. den Grundri der
Germanischen Philologie, Trbner, Straburg) bildete, prgte die
deutsche Sprachwissenschaft bis in die 60er Jahre des 20.
Jahrhunderts. Die Konzeptionen von Ferdinand de Saussure (1916),
Bloomfield (1933) und des Europischen Strukturalismus fanden nach
dem 2. Weltkrieg erst langsam Eingang in die germanistischen
Lehrplne (konsequent erst in Folge der 68er Revolution). Seitdem
hat die Germanistische Sprach- wissenschaft andere Konturen
erhalten, obwohl die Ergebnisse der Philologie ihren Wert behielten
(sie verloren lediglich ihre ausschlieliche Relevanz).
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Einfhrung in die Germanistische Linguistik, 1 Fachbereich
Sprach- und Literaturwissenschaften 13 Behaghels Geschichte der
deutschen Sprache, 1916, beschreibt den Gegenstand der deutschen
Sprachwissenschaft wie folgt: Die Geschichte der deutschen Sprache
befat sich mit der Entwicklung der Sprache bei denjenigen
Volksstmmen, die zusammen mit den Englndern und Friesen den
westgermanischen Sprachstamm gebildet haben. Ein Teil dieser Stmme
gibt frhzeitig die heimische Volksart auf und ist dann nicht mehr
Gegenstand unserer Darstellung. Praktisch wird das Englische und
das Friesische nicht bercksichtigt. Das nordwestliche Sprachgebiet
umfasst das Niederfrnkische, das seit dem selbststndigen
Mittelniederlndischen und der politischen Ablsung der Niederlande
im 16. Jh. ausgegrenzt wird. Der stliche Teil umfasst in Behaghels
Terminologie das Niederschsische (bis nach Preuen; vgl. die Karte
in Behaghel, 1916). Er sagt: Den stlichen Zweig bezeichnet man auch
als plattdeutsch, oder man beschrnkt auf ihn allein die Bezeichnung
niederdeutsch (ibidem: 48). Behaghel schlgt Niederdeutsch als
Dachbegriff fr Niederfrnkisch und Niederschsisch vor. (Hervorhebung
W.W.)
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Einfhrung in die Germanistische Linguistik, 1 Fachbereich
Sprach- und Literaturwissenschaften 14 Regionale Gliederung des
Deutschen nach Behaghel
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Einfhrung in die Germanistische Linguistik, 1 Fachbereich
Sprach- und Literaturwissenschaften 15 Demnach steht fr die
Germanische Philologie die Geschichte der deutschen Sprache im
Vordergrund. Germanisch heit letztlich Westgermanisch mit
Ausschluss des Englischen und Friesischen und (zu einem spteren)
Zeitpunkt des Niederlndischen. Das Plattdeutsche ist eindeutig
Bestandteil des Gegenstandsfeldes. Die historische Tiefe gibt Grimm
mit 2 000 Jahren an, Behaghel (ibidem: 1) setzt mit dem 7. Jh. an:
(...) von da an besitzen wir Quellen der deutschen Sprache, die auf
deutschem Boden geschrieben sind. Da die ersten Quellen recht
drftig sind (meist Namen, einzelne Wrter und Stze), wird das
Gotische (eine bereits im 1. Jahrtausend ausgestorbene
ostgermanische Sprache) traditionellerweise in die
Germanisten-Ausbildung miteinbezogen. Alternativ kann fr eine alte
Sprachstufe auf das Altnordische, das in islndischen Urkunden
dokumentiert ist, zurckgegriffen werden. Es gehrt aber zu den
nordgermanischen Sprachen. Als Nachbarsprachen nennt Behaghel
(ibidem: 4 f.) die romanischen Sprachen im Westen und Sden (heute:
Franzsisch, Rtoromanisch, Ladinisch, Italienisch), die slawischen
Sprachen (sie begrenzen den Raum des Deutschen im Osten, wobei sich
die Grenzverlufe historisch verndert haben) und einige Sprachinseln
(etwa das Sorbische in der Lausitz und die [frheren] deutschen
Sprachinseln in der Tschechischen Republik, Slowakei, Polen und
Russland).
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Einfhrung in die Germanistische Linguistik, 1 Fachbereich
Sprach- und Literaturwissenschaften 16 Beispiel fr eine Sprachinsel
Saterfriesisch (Seeltersk) Gesprochen in Deutschland Sprecher1.000
bis 5.000 (Wolbert Smidt 2001) Linguistische Klassifikation
Indogermanische Sprachen Germanische Sprachen Westgermanische
Sprachen Anglo-Friesische SprachenAnglo-Friesische Sprachen
Friesische Sprache Ostfriesische Sprache Saterfriesisch Offizieller
Status AmtsspracheGemeinde Saterland, NiedersachsenSaterland Die
Lage der Gemeinde Saterland
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Einfhrung in die Germanistische Linguistik, 1 Fachbereich
Sprach- und Literaturwissenschaften 17 Im Nordosten grenzte das
Deutsche an die baltischen Sprachen, wobei in den Stdten historisch
eine Zweisprachigkeit Deutsch/Litauisch oder Deutsch/Lettisch
herrschte (bis 1945). Eine Sprachinsel im Slawischen stellt das
Ungarische dar, das zu den Finno-ugrischen Sprachen gehrt. Deutsch
grenzt im Osten des heutigen sterreich an das Ungarische. Im Norden
wird das Deutsche vom Englischen (jenseits der Nordsee), vom
Friesischen (auf den nordfriesischen Inseln) und vom Dnischen
begrenzt. Das Hochdeutsche, die heutige Schriftsprache, ist in
einem komplizierten Ausgleichsprozess in den ostdeutschen
Siedlungsgebieten (Meinerisch), aus den berregional aktiven
Kanzleien, den Druckersprachen (Ostmitteldeutsch und Gemeines
Deutsch) hervorgegangen. Die ostmitteldeutsche Druckersprache wurde
durch die Sprache der Luther-Bibel weiter geformt und
ausgebreitet.
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Einfhrung in die Germanistische Linguistik, 1 Fachbereich
Sprach- und Literaturwissenschaften 18 Vernderung der Drucker-
sprache zwischen 1500 und 1650
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Einfhrung in die Germanistische Linguistik, 1 Fachbereich
Sprach- und Literaturwissenschaften 19 Einteilung der deutschen
Dialekte und Regional- sprachen (zur Zeit des deutschen
Sprachatlas, d.h. um 1920)
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Einfhrung in die Germanistische Linguistik, 1 Fachbereich
Sprach- und Literaturwissenschaften 20 Das Deutsche als Konstrukt
Die in der nationalen Besinnung auf die deutsche Sprache seit den
Humanisten beschworene Kontinuitt des Deutschen ist jedoch ein
Konstrukt oder, positiv ausgedrckt, eine identittsstiftende
Schpfung. In althochdeutscher Zeit (ab 800 n. Chr.) gab es neben
den immer vorhandenen kleinrumigen Sprechdialekten nur so genannte
Schreibdialekte mit schwacher Normierung. Das Mittelhochdeutsche
war (ebenfalls mir regionalen Variationen) eine Literatursprache
der Ritterhfe und fahrenden Snger und war lngst ausgestorben und
vergessen, als das Hochdeutsche ab dem 15. Jh. entwickelt wurde (es
wurde in der Romantik wieder entdeckt).
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Einfhrung in die Germanistische Linguistik, 1 Fachbereich
Sprach- und Literaturwissenschaften 21 Dazwischen gab es das
Mittelniederdeutsche als Schreibsprache der Hanse im
Sptmittelalter, das sich am Lbbischen (Schreibsprache von Lbeck)
orientierte. Es stellt die erste politisch relevante Spracheinheit
im Gebiet der Hanse und Norddeutschlands dar. Diese Sprachform
wurde dann als Schreibnorm im 16. und 17. Jh. von der
ostmitteldeutschen Schriftsprache verdrngt. Bis zur Mitte des 19.
Jh., also bis zu Einfhrung und Umsetzung der allgemeinen
Schulpflicht mit dem Hochdeutschen als Schriftsprache, gab es eine
hochdeutsche Sprechsprache nur in sozialen Schichten, die sich aus
politischen oder wirtschaftlichen Grnden in ihrer Sprechsprache an
der Schriftsprache orientierten (selbst Goethe hat mit Frankfurter
Akzent gesprochen). Die so genannte Spracheinheit ist also eine
Erscheinung, die in etwa zeitlich mit der nationalen Einheit (1871)
Gestalt annimmt.
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Einfhrung in die Germanistische Linguistik, 1 Fachbereich
Sprach- und Literaturwissenschaften 22 Hamburger Brgereid in
Plattdeutsch von 1835 Bremer Brgereid in Plattdeutsch bis 1815
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Einfhrung in die Germanistische Linguistik, 1 Fachbereich
Sprach- und Literaturwissenschaften 23 Die germanischen Sprachen
(rot) im Kontext der Verteilung der groen Sprachfamilien