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Geschichte des Nahe-Hunsrück-Raumes von den Anfängen bis …media.ebook.de/shop/coverscans/206PDF/20677974_lprob_1.pdf · 2015. 11. 24. · Dotzauer, Winfried: Geschichte des Nahe-Hunsrück-Raumes

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  • Winfried Dotzauer

    Geschichte des Nahe-Hunsrück-Raumes von den Anfängen bis zur Französischen Revolution

  • Winfried Dotzauer

    Geschichte des Nahe-Hunsrück-Raumes

    von den Anfängen bis zur

    Französischen Revolution

    Franz S teiner Verlag Stuttgart 200 1

  • Umschlagabbildung: Bad Kreuznach mit Nahebriicke, Wörthkirche und Kauzenburg. Zeichnung nach einem Merian-Stich.

    Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Dotzauer, Winfried: Geschichte des Nahe-Hunsrück-Raumes von den Anfängen bis zur Französischen Revolution 1 Winfried Dotzauer. - Stuttgart : Steiner, 2001

    ISBN 3-5 15-07878-9

    Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urhebenechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikrover- filmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungs- anlagen. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. O 2001 by Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, Sitz Stuttgart. Druck: Druckerei Peter Proff, Euras- burg. Printed in Germany

  • INHALTSVERZEICHNIS

    Vorwort und Einleitung . Die Landschaft des Nahe-Hunsrück-Raumes unter besonderer Berücksichtigung der Territonalstruktur ............................... 9

    .................................... I . AUSBLICK ALTF DIE VOR- UND FRÜHzEIT 19 Die Anfänge der Besiedlung .................................................................... 19 Römische Zeit .......................................................................................... 28 Frühes Christentum als Brückenschlag zwischen der gallo-romanischen und der fränkischen Bevölkerung ............................................................ 46

    .................. Franken und Romanen in der Zeit der Merowingerherrscher 52 . Die Verwaltung in der frühen fränkischen Zeit ................................... 59 Karolinger ................................................................................................ 63 Der Besitz der großen Klöster: Prüm. Fulda. Lorsch. St . Maxirnin. Weißenburg im Elsaß. St . Alban vor Mainz . Kölner Fernbesitz ............. - Prüm .................................................................................................... - Fulda .................................................................................................... - Lorsch .................................................................................................. - St . Maximin ......................................................................................... - Weißenburg .........................................................................................

    .............................................................................................. . - St A l b a - Erzbistum Köln .................................................................................... - Nivelles ................................................................................................ Die Ottonenzeit ........................................................................................ 97 Die Gaugrafen und ihre Erben . Die Wildgrafen ...................................... 112 Salische Bezüge zum Nahe-Hunsrück-Raum ........................................ 139 Die Erzbischöfe von Mainz und der Nahe-Hunsrück-Raum in salischer und früher staufischer Zeit . Das Auftauchen der rheinischen Pfalzgrafen ............................................................................................... 141 Die Anfänge der Grafen von Sponheim . Die Gründung des Klosters Sponheim ................................................................................................. 148 . Die Gründung der Stadt Kreuznach durch die Grafen von

    Sponheim ............................................................................................. 157

  • Inhaltsverzeichnis

    Die Grafen von Sponheim in der Zeit der staufischen Herrschaft (bis zur sponheimischen Teilung von 1223139) . Nähe zum deutschen

    ................................. Herrscherhaus. Albert von Sponheim. Sayner Erbe 161 - Die Besitzentwicklung und politische Entwicklungstendenzen der

    Sponheimer im Mittelalter ................................................................... 169 Die Rheingrafen ....................................................................................... 174 Die Herren von Bolanden ........................................................................ 178 Die Grafschaft Veldenz (1 11311 135 . 1789) ........................................... 182

    ........................................................... Die Städte Bingen und Kreuznach 185 1 . Die Stadt Bingen. das deutsche Königtum und die Erzbischöfe von

    Mainz ................................................................................................... 185 . ................................................... 2 Die sponheimische Stadt Kreuznach 208

    Die Grafschaften Sponheim-Kreuznach und Sponheim.Starkenburg . Die Vordere und die Hintere Grafschaft Sponheim bis zum Aussterben

    ................................................................... des Grafengeschlechtes 1437 218 1 . Sponheim Kreuznach (Vordere Grafschaft Sponheim) ....................... 218 2 . Sponheim-Starkenburg (Hintere Grafschaft Sponheim) ..................... 255

    111 . DIE TERRITORIEN DES NAHE-HUNSRÜCK-RAUMES BIS ZUR FRANZÖSISCHEN REVOLUTION ...................................................... 297 Bingen unter der Herrschaft des Mainzer Domkapitels ........................... 297 . Die Verwaltung durch Domkapitel und Stadt ..................................... 300 . Handel. Politik und Kriege .................................................................. 302 Simmern von der raugräflichen Herrschaft zum pfalzgräflichen Herzogtum ................................................................................................ 307 . Exkurs: Der weitere kurpfälzische Hunsrück.Besitz . Das Amt

    ............................................................................................ Stromberg 321 Die Vordere Grafschaft Sponheim als Kondominat 1437-1707108 und die Zeit vor 1789 ...................................................................................... 321 . Exkurs:Der kupfalzische Soonwald .................................................... 343 Die Hintere Grafschaft Sponheim als Kondominat und dessen Auflösung (1776) ....................................................................................................... 347

    .......................... Die Wild- und Rheingrafen seit dem späten Mittelalter 355

    Die Herrschaft Oberstein (1075-1794) .................................................... 369 Kleine Herrschaften ................................................................................. 373 Franz von Sickingen. Ein Symptom für die Nahe-Hunsrück-Region ...... 378

    ................................................................ Überterritoriale Erscheinungen 385

  • Inhaltsverzeichnis

    IV . ANHANG ................................................................................................ 389 Literatur .................................................................................................... 389 Gedruckte Quellen ................................................................................... 405 Archivnachweise. Repertorien ................................................................. 408 Ortsregister ............................................................................................... 409 Verzeichnis der Veröffentlichungen ........................................................ 428

  • VORWORT UND EINLEITUNG. DIE LANDSCHAFT DES NAHE-HUNSRÜCK-RAUMES

    UNTER BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG DER TERRITORIALSTRUKTUR

    Die deutschen Landschaften, große und kleinere, finden nach und nach, nachdem Verwaltungsgrenzen die noch von dynastischen Raumgebilden gestalteten willkür- lichen Einheiten ablösen, im Zeichen neuer Regionalisierungsvorstellungen ihre monographischen Darstellungen. Schon im 19. Jahrhundert konnte dies da erfolgen, wo sich in idealer Weise das von einer einzigen Dynastie beherrschte Land mit der naturräumlichen Gliederung deckte. Nun folgen auch solche, die bis 1945 durch Ländergrenzen zerschnitten waren. Die Geschichte des Nahe-Hunsrück-Raumes, ohne eine dauerhaft herrschende und beherrschende Dynastie oder zentrale Resi- denz, konnte vor dem 20. Jahrhundert nicht geschrieben werden, sie ist trotz ausge- zeichneter Vorleistungen in den Teilabschnitten der Landkreise, Städte und ländli- chen Kommunen noch immer Desiderat. Die vorliegende Arbeit kann diesen An- spruch lediglich für einen bestimmten thematischen Ausschnitt und nur bis zum Jahr 1789 erfüllen. Nicht mehr verantwortlich thematisiert wurden die Auswirkun- gen der sich mit dem Endjahr der Titelangabe 1789 verbindenden gedanklichen Assoziationen der Ereignisse und der Analyse der Französischen Revolution.

    Das hier vorzustellende Werk nimmt sich eines Vorhabens an, das einer beson- deren Erläuterung der Zielsetzung bedarf, um sich nicht vorschnell einer Kritik von Lesern beugen zu müssen, denen das Verhältnis zwischen den Ableistungen und den Defiziten des Erreichten und nicht Erreichten in die falsche Kehle kommen könnte. Gleich vorweg, eine Geschichte der Landschaft im umfassenden Sinn soll nicht abgeleistet werden, dafür ist unter der gewandelten geschichtswissenschaftli- chen Konzeption und dem in allen Teilbereichen erarbeiteten hohen wissenschaftli- chen Niveau der ganzheitliche Ansatz nicht mehr eigentlich ableistbar, es sei denn, man ginge das umfassende komplexe Gebilde ,,Landschaftu mit einem Team von Spezialisten an. Diese wegweisenden Teamleistungen mit wissenschaftlichem Durch- bruchscharakter hat es gegeben und gibt es immer wieder, für die ehemalige preußi- sche Rheinprovinz im Verständnis der Rheinlande, dann für einen größeren rheini- schen Raum, der vom Niederrhein bis zur Pfalz reicht, und dann für einen nicht unbeträchtlichen Teil der Landkreise als den sehr praktikablen Bausteinen auf der mittleren Ebene. Erinnert sei an die Reihe „Die deutschen Landkreise" und an die ,,Kreischroniken", aber auch die „Kunstdenkmäleru spielen eine wesentliche, nicht nur flankierende Rolle. Als überraschend fruchtbar hat sich in den letzten Jahrzehn- ten die Gattung der Ortschroniken oder Ortsgeschichten erwiesen, deren Ansatz zwar - meist durch die Erstnennung der Gemeinde gegeben - im Mittelalter liegt, aller- dings eine wirklich bereichernde Darstellung meist erst mit der Frühen Neuzeit ein- setzt und die Zeitgeschichte den eigentlichen Akzent trägt.

  • Vorwort und Einleitung

    Schon die Abgrenzung des Bereichs Nahe-Hunsrück erscheint diskussionswür- dig, obwohl für Jahrhunderte als Grundzug deutlich wird, daß die Nahelandschaft ihre politische und kirchliche Zielrichtung auf den Vorderen Hunsrück, den Soon- wald und die Hochflächen des Hunsrücks ausgerichtet hat, wobei sie nur selten den Mosellauf erreichte bzw. sogar überspringen konnte. Wenigstens gilt dies für den Unter- und Mittellauf der Nahe, und besonders für die Frühzeit der historisch faßba- ren Entwicklung, wobei im Gegensatz zum Oberlauf der Nahe und dem Hunsrück- Hochwald-Gebiet mit direktem trierischen Einfluß eher Westimpulse über den ,,Osten", Mainz und Worms, bezogen worden sind. Originäre westliche Einflüsse der westfränkischen und lothringischen Kirchen, zu denen auch Trier zu zählen ist, erreichten die moselnahen Gebiete und die obere Nahe, die bereits einen Übergangs- raum mit eigenen Strukturen darstellt, sowie Teile des Westrichs. Die Einzugsge- biete von Alsenz und Glan sind in ihrer Zuordnung gleichermaßen problematisch, wobei man von der abwertenden Einschätzung des Gebietes als Neben- und Hinter- land, das es durch die Grenzziehung seit 18 15 und den Verlauf der Eisenbahnlinien und Straßenanbindungen erhalten hatte, absehen muß. Die Grenzen zwischen Hin- terland und Aktivlandschaften waren im Mittelalter, abgesehen von einem gewissen patrizischen Dünkel der Bewohner größerer Städte, nie eigentlich diskriminierend. Das ,,nordpfälzische" Gebiet erhielt Impulse aus Worms und Speyer und aus dem Westen, später von Zweibrücken, Veldenz, dem eigentlichen pfälzischen Bereich des alten Reichslandes um Kaiserslautern sowie den jüngeren Dynasten- und arri- vierten Dienstmannengeschlechtern der Nachbarräume.

    Auch die Einflüsse der fränkischen Reiche und Teilstaatlichkeiten haben sich auf dem Umweg über Worms und Mainz in einer schließlichen Ost-West-Bewe- gung bemerkbar gemacht, die sich irgendwo im waldreichen Hochflächen-Gebirge vor dem Einschnitt des Moseltals festlief. Die römische Provinz, das Frankenreich und das Karolingerreich haben den Raum, von allerdings nicht zu vernachlässigen- den Übergangsphasen abgesehen, vereinheitlicht, obwohl ethnische, rechtliche, so- ziale und kulturelle Unterschiede bestanden. Der Teilungsvertrag von Verdun (843) hat diese immerhin Richtungen aufzeigende Vereinheitlichung schmerzlich ausein- andergerissen. Über den detaillierten Verlauf dieser spätkarolingischen Grenzen, die wichtige Entwicklungen grundgelegt haben, wissen wir wenig Exaktes, aber sie haben vermutlich auch linear unseren Raum in seinen Waldgebieten durchzogen.

    Eine eigentliches Mittelpunktzentrum für unsere Landschaft hat sich nicht ent- wickeln können, die Zentralen lagen in Worms, Mainz, Trier und auch Metz, gele- gentlich sogar in Köln. Die Verwaltungsspezifika waren entsprechend den Belan- gen der repräsentierten Reiche ausgelegt und trugen den kleinregionalen Besonder- heiten nur bedingt Rechnung. Bingen mit seinen in die römische Zeit weisenden urbanen Traditionen, lag - trotz gewisser Vorteile für eine mittlere regionale Ver- waltungskonzeption -, den Rhein als grundlegende transportierende Komrnunikati- onsachse begreifend, zu randlich für den Naheraum. Die Pfalz Ingelheim blieb auf den Strang des Reichsgutes beschränkt, der sich kompakt in Richtung Schwabsburg und Oppenheim erstreckte, während sich die alten königlichen Fisci an der unteren Nahe und im vorderen Hunsrück dem Zugriff entzogen, die kleine Pfalz Crucinia- cum-Kreuznach nur einen untergeordneten Verwaltungsposten für die Ingelheimer Jagd- und Forstrechte im Soonwald bildete.

  • 12 Vorwort und Einleitung

    setzt, daß die Grafen von Sponheim als Newcomer-Dynastie die Wild- und Rhein- grafen in den Schatten gedrängt haben. Das biologische Erlöschen der Sponheimer führte dazu, daß das gleichwohl in mühevollen Regentenleistungen angehäufte ter- ritoriale Kapital fast ausschließlich den Pfalzgrafen zufiel, die ebenfalls relativ spät auf dem Hunsrück und an der Nahe aufgetaucht waren, aber unter Zuhilfenahme von institutionsspezifischen Privilegien und unter rigorosem Einsatz der salischen Erbkomponente eine rechtliche und schließlich auch besitzmäßige Vorherrschaft an der Nahe und auf dem Hunsrück anmelden konnten, zumal die trierischen und die mainzischen Ansprüche hinsichtlich einer raumbeherrschenden Stellung bereits von den einheimischen Dynasten, die praktisch ohne es zu ahnen in der langfristigen Systematik einer pragmatischen Entwicklung ihre Köpfe als Schildträger für die Pfalzgrafen hinhielten, abgeblockt worden waren. Selbstverständlich haben nicht die Grafen von Sponheim-Kreuznach über die Erzbischöfe von Mainz militärisch gesiegt, die Wild- und Rheingrafen und die Grafen von Sponheim-Starkenburg nicht den Erzbischof von Trier entscheidend bezwingen können, es war vielleicht eher die cum grano salis gleichwertige Eigendynamik der beiden geistlichen Kurfürsten, die das Entstehen einer Pufferzone, eines fürstlichen Herrschaftsvakuums wie es fürs erste schien, zuließen und somit den hierarchisch distanzierten raumeigenen Kräften erst einmal Chancen gaben. Erstarrt waren diese Fronten nicht, trugen doch die Erzbischöfe aus den standesgleichen nichtfürstlichen Familien, die nachgebore- nen Grafen- und Herrensöhne als gelegentliche Inhaber des Erzbischofsstuhls selbst oder häufiger noch als Domkapitelsmitglieder dazu bei, daß die hierarchischen Grä- ben nicht unüberwindlich waren. Es ist müßig, darüber Spekulationen anzustellen, ob die als einzige im Verlauf des weiteren Mittelalters zeitweilig größere regionale Fühiungsansprüche anmeldenden Grafen von Sponheim, hätten sie weiter regiert und sich den sicheren Fürstenhut erworben, es ihrerseits verstanden hätten, sozusa- gen noch in letzter Minute ihre insularen Außenpositionen in Rheinhessen, der Pfalz, dem Odenwald, dem Elsaß, in Luxemburg, in der Eifel, am Niederrhein und im Westerwald so mit dem Kernterritorium an der Nahe und auf dem Hunsrück zu verschmelzen, daß daraus eine die kleinräumige territoriale Normalität übersteigen- de reale Vormacht entstanden wäre. Dieser hätten dann ihrerseits dynastische Ab- gänge in der Verwandtschaft und Nachbarschaft, Pfandübernahmen, Käufe und Er- oberungen Zubringerdienste leisten können, wie die Kurpfalz es vorexerzierte. Ohne eine territoriale und damit herrschaftsimmanente Revolution, die 1789 dann in eine ganz andere Richtung erfolgte, wäre das nicht möglich gewesen. Die Nahe-Huns- rück-Region im Spätmittelalter eine Landschaft der verspielten Chancen und „ohne Schuld" entgangener Möglichkeiten?

    Bleibt da noch die seit der großen pfälzischen Teilung von 1410 entstehende und in die Frühe Neuzeit hineinwirkende Hunsrückresidenz Simmern und das dazu- gehörige Herzogtum in der Hand von Pfalzgrafen, die sich nicht am Gängelband der älteren Brüder und Vettern in Heidelberg führen lassen. Mit erfolgreichem Engage- ment in der Verwaltung des Reiches, in der Gunst Maximilians I. und Karls V., mit funktionierender Landesadministration, Landesordnungen und Münzpolitik, hoher Blüte der Kunst und der humanistischen Gelehrsamkeit. Nicht umsonst werden in Simmern bei den Überlegungen über die Gestaltung des weltlichen Ausschreibeam- tes des Oberrheinischen Reichskreises die Traditionen der Sponheimer Grafen be-

  • Vorwort und Einleitung 13

    wußt wieder aufgegriffen und nostalgisch überhöht. Mit Hilfe der sponheimischen Kondominatsverklammerungen vermag das von Haus aus winzige Herzogtum bis zur Nahe, zur Mosel und in den Hochwald hinein zumindest mitzuregieren und ei- nem wesentlichen Teil der Landschaft seinen Stempel aufzudrücken. Indem sich der in Simmem ansässigen pfalzgräflichen Teillinie die faszinierende Chance eines Zugriffs auf die Heidelberger Kur selbst eröffnete, mußte das Herzogtum zurückste- hen, das nun erst eigentlich die Nachteile eines Ausstattungsobjektes zur Apanagie- rung erfuhr. Aber ohne Simmern kann die Geschichte des Nahe-Hunsrück-Raumes nicht geschrieben werden.

    Der Grad der Mitgestaltung der Landschaft seitens der Kirche und ihrer Institu- tionen ist wechselhaft gewesen. Gehen kirchlicher und politischer Einfluß bei der Einführung und Ausbreitung des Christentums in Spätantike und Frühem Mittelal- ter durch die episkopalen Gewalten Hand in Hand, so haben die weit entfernten Reichsklöster und die kleineren monastischen Einrichtungen eigentliche Herrschafts- ansprüche nicht anmelden können, es seien denn solche grundherrschaftlicher Na- tur, wenn auch die großen Klöster infolge ihres bedeutenden Grundbesitzes insbe- sondere im Frühen Mittelalter die Landschaft seelsorgerisch, sozial, wirtschaftlich und kulturell prägend mitbestimmten, auch Einfluß auf den Aufbau von Gerichtsbe- zirken, Blut- und Hochgerichtsbarkeit hatten und die Transportwege für den Absatz der Naturalleistungen organisierten. Durch ihre Vogteipolitik verstärkten sie oft gegen ihren Willen und Vorteil die Zugriffsmöglichkeiten der entstehenden weltlichen Territorien. Letzteres gilt natürlich auch für die kleineren, aber streckenweise äu- ßerst wichtigen Hausklöster und -stifte des Raumes selbst, die ihren Stiftern und Vögten selbstredend verpflichtet waren: Ravengiersburg, Sponheim, Pfaffen-Schwa- benheim, Kumbd und Johannisberg bei Dhaun.

    Die Reformation hat dadurch, daß fast alle weltlichen Territorien des Raumes protestantisch wurden, keine Dualisierung geschaffen, die ernsthaft den Charakter der Region verändert und bestimmt hätte. Die schließlich katholisch bleibenden Erz- stifte Trier und Mainz hatten ihre dominierende Kraft längst eingebüßt. Sie beschränk- ten sich auf die Verteidigung ihrer mittelalterlichen Territorialpositionen unter Ver- lust ihrer geistlichen Sprengelrechte in den evangelisch gewordenen Territorien. Bingen als undiskutabler Mainzer altgläubiger Bastion hätte die völlige Abschnü- rung mit seinem unmittelbaren Umland gedroht, wenn es nicht mit seinem Rheinha- fen eine konkurrenzlose Position des Umschlagens der Getreide- und Weinexporte aus den pfälzischen und sponheimischen Gebieten längs der Nahe geboten hätte, die konfessionelle Bedenken zurückdrängen konnte. Im Rahmen des durch die Politik des Schwedenkönigs wieder gekräftigten Luthertums in Südwestdeutschland und am Mittelrhein konnten für eine kurze Zeit die Wild- und Rheingrafen mit der Vor- stellung kokettieren, ein evangelisches Großterritorium unter schwedischem Pro- tektorat mit Elementen der Kreisverfassung und der Militärverwaltung zu schaffen, das auch Nahe und Hunsrück eingeschlossen hätte. Die allmählig raumbehemchen- de Kurpfalz hatte durch die Reformation noch an konsolidierender landesherrlicher Kraft gewonnen, die allerdings durch die böhmische Katastrophe bis 1648 auf einen absoluten Tiefpunkt reduziert wurde. Die Kurpfalz wurde bis 1685 protestantisch regiert, wobei der mehrmalige Wechsel von Luthertum und Kalvinismus mit seinen Verbindlichkeiten für die Untertanen zu Kollisionen mit den Lutheranern der Nach-

  • 14 Vorwort und Einleitung

    bargebiete führen konnte. Die pfalzgräflichen Nebenlinien folgten nicht den Hei- delberger Religionsänderungen, so daß die Hintere Grafschaft Sponheim lutherisch wurde und blieb, in der Vorderen Grafschaft Sponheim aber schließlich neben der kalvinistischen Mehrheit sich lutherische und katholische Minderheiten halten konn- ten. Der in lokale und mentale Nischen zurückgedrängte Katholizismus erfuhr eine gewisse Schützenhilfe durch die schließlich wieder katholischen Markgrafen von Baden, speziell durch die Teillinie von Baden-Baden, als gelegentlich ausgeschlos- sene Mitregenten der Grafschaften Sponheim, durch die katholische gefürstete Li- nie von Salm in der Wild- und Rheingrafschaft, durch die gegenreformatorische Aktivität der Erzbischöfe von Mainz, sekundiert durch die zuwartende oder för- dernde Haltung der spanischen, kaiserlichen und französischen Besatzungen wäh- rend des Dreißigjährigen Krieges, und schließlich durch die Reunions- und Okku- pationspolitik Ludwigs XIV. von Frankreich, die die verspätete gegenreformatori- sche Aktivität der katholischen Pfalz-Neuburger in den kurpfalzischen Gebieten erst ermöglichte. Die Rekatholisierungserfolge haben die Existenz der evangelischen Territorialstaaten nie in Frage gestellt und auch das religiöse Gewissen der Bevöl- kerung keinem despotischen Zwang ausgesetzt, wenn auch die gewachsene konfes- sionspolitische Empfindlichkeit dergestalt formulierte Klagen an das Corpus Evan- gelicomm, den Reichstag, den Kaiser und an die evangelische Schutzmacht Preu- ßen einreichte.

    Es wird durch das bisher Gesagte unter Berücksichtigung der generellen Struk- turen der Raumvorstellung für Nahe und Hunsrück schon deutlich, es bleibt die grundsätzliche Frage, wie und wo hier die - nur als Krücken zu begreifenden - Grenzen für dieses sich in ständiger Bewegung befindliche Geflecht von politischen, administrativen, kirchlichen, sozialen, religiösen, wirtschaftlichen und kulturbezo- genen Vorgängen zu finden sind. Je nach den einwirkenden Gesamtzusammenhän- gen und den lokalen vektoriellen Veränderungen wird sich auch der eher vorder- gründige geographische Ausschnitt zu ändern haben, unterschiedliche die betref- fende Epoche jeweils prägende Kräfte erfordern ihre Berücksichtigung. Die Grafen von Sponheim und die Wild- und Rheingrafen halten sich nicht an die von Nahe, Rhein und Mosel vorgegebenen bequemen Begrenzungen, sie greifen aus bis Lothrin- gen, Luxemburg, Eifel, Niederrhein, Niederlande, in den Westerwald, nach Rhein- hessen, in die Pfalz, den Odenwald und in das nördliche Elsaß. Dynastengeschichte und die Geschichte eines Raumes folgen durchaus auch Eigengesetzlichkeiten. Ver- bindend ist die jeweilige Persönlichkeit eines bzw. mehrerer aufeinander folgender Landesherren. Die Entwicklung wäre anders verlaufen, wenn etwa andere Herr- schernaturen die Grafschaft Sponheim bestimmt hätten als die Grafen Johann IV. und Johann V. von Sponheim-Starkenburg. Große Persönlichkeiten und ihre Wir- kungen treten außerhalb der Familien der Landesherren hinzu. Wieder ist es der Irrealis bzw. Potentialis: Ein erfolgreicher Franz von Sickingen hätte die Territorial- landschaft vor den Bastionen seiner Ebernburg und darüber hinaus sicher von Grund auf verändert.

    Die vorliegende Arbeit hat, obwohl dies durch die besondere Beschäftigung dieser einführenden Gedanken mit der Territorialstruktur fast verdeckt wird, auch Vor- und Frühgeschichte, Antike, Früh- und Hochmittelalter im Blick. Aber unter Berücksichtigung unseres Hier und Heute fallen im Spätmittelalter wichtige Ent-