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Research Collection Doctoral Thesis Umschnürte Stahlbetonstützen geschichtliche Entwicklung Author(s): Seelhofer-Schilling, Birgit Publication Date: 2008 Permanent Link: https://doi.org/10.3929/ethz-a-005682151 Rights / License: In Copyright - Non-Commercial Use Permitted This page was generated automatically upon download from the ETH Zurich Research Collection . For more information please consult the Terms of use . ETH Library

geschichtliche Entwicklung Umschnürte …...Geschichtliche Entwicklung ABHANDLUNG zur Erlangung des Titels DOKTORIN DER WISSENSCHAFTEN der ETH ZÜRICH vorgelegt von BIRGIT SEELHOFER-SCHILLING

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Research Collection

Doctoral Thesis

Umschnürte Stahlbetonstützengeschichtliche Entwicklung

Author(s): Seelhofer-Schilling, Birgit

Publication Date: 2008

Permanent Link: https://doi.org/10.3929/ethz-a-005682151

Rights / License: In Copyright - Non-Commercial Use Permitted

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Dissertation ETH Nr. 17772

Umschnürte Stahlbetonstützen: Geschichtliche Entwicklung

Birgit Seelhofer-Schilling

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DISSERTATION ETH Nr. 17772

Umschnürte Stahlbetonstützen: Geschichtliche Entwicklung

ABHANDLUNG zur Erlangung des Titels

DOKTORIN DER WISSENSCHAFTEN

der

ETH ZÜRICH

vorgelegt von

BIRGIT SEELHOFER-SCHILLING

Dipl. Bau-Ing. ETH geboren am 27. November 1977 Staatsbürgerin von Dänemark

Angenommen auf Antrag von

Prof. Dr. Peter Marti, Referent Prof. Dr. David Gugerli, Korreferent

2008

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Vorwort

« Wenn irgend etwas an den technischen Hochschulen mit Unrecht fehlt, so sind es Vorträge über die Geschichte der technischen Wissenschaften. Und doch böten diese ein so wirksames Hülfsmittel, dem jungen Techniker eine ideale Auffassung seines Berufes zu erschließen und ihm Interesse an mehr als dem Brodstudiem beizubringen. Was jetzt nicht unbedingt für letzteres dient, wird wegge-lassen. »1

« Nichts trägt wohl so sehr dazu bei, den Blick des Studirenden über das Handwerksmäßige und lediglich Nützliche hinaus auf den idealen Gehalt der technischen Wissenschaften zu lenken, wie das Studiren ihrer Geschichte. Je mehr die Massenhaftigkeit des Stoffes zur Specialisirung der Studien drängt, desto näher rückt die Gefahr, daß den Studirenden das geistige, die Einzelheiten umfassende Band verloren geht und daß er sich an ein kritikloses Arbeiten nach Recepten gewöhnt! »2

Die Lehre scheint ein gutes Instrument zu sein, um das Geschichtsbewusstsein der Ingenieure und Ingenieurinnen zu fördern. Vor allem zur Geschichte der Technischen Mechanik wurde mit der Herausgabe etlicher Bücher schon manch beachtlicher Beitrag geleistet. Leider wird bis heute im Bauingenieurwesen der Technikgeschichte nicht nur in der Lehre zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Mit der Publikation des Buchs „Ingenieur-Betonbau“, welche ich in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Peter Marti und Orlando Monsch erarbeitete, konnte eine gute Übersicht über die geschicht-liche Entwicklung des Stahlbeton- bzw. Eisenbetonbaus gegeben sowie Leistungen herausragender Ingenieure gewürdigt werden. Die gesellschaftliche und wissenschaftliche Anerkennung der Bauingenieurleistungen können durch das Aufzeigen ihrer geschichtlichen Entwicklung bedeutend gefördert werden. Ausserdem deckt eine geschichtliche Recherche Ideen auf, die durch damals fehlende Berechnungshilfsmittel, theoretischen Grundlagen oder Bauverfahren nicht weiter verfolgt wurden, aber in Anbetracht der heutigen Möglichkeiten viel versprechend erscheinen.

In diesem Sinn handelt die vorliegende Arbeit von der geschichtlichen Entwicklung des Eisenbeton-baus am Beispiel der umschnürten, zentrisch beanspruchten Stahlbetonstütze. Die vertiefte Betrach-tung der Erforschung, Verbreitung und Anwendung dieses bedeutenden Bauteils erlaubte die Darlegung einiger wichtigen Entwicklungsschritte im Stahlbetonbau. Diese Studie wurde grössten-teils während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Baustatik und Konstruktion der ETH Zürich erschaffen.

Meinen grossen Dank möchte ich Herrn Prof. Dr. Peter Marti aussprechen, der mir eine zeitlich und örtlich äusserst flexible Durchführung meiner Dissertation ermöglichte und durch seine hilfreichen Ratschläge zu einem guten Gelingen beitrug. Desgleichen danke ich Prof. Dr. David Gugerli für die nützlichen Anregungen und die Übernahme des Korreferats.

Meinen Kolleginnen und Kollegen am Institut für Baustatik und Konstruktion danke ich für das angenehme Arbeitsklima und die interessanten fachlichen Diskussionen. Insbesondere danke ich Clare Burns für die Unterstützung bei der Übersetzung der Kurzfassung ins Englische. Einen besonders herzlichen Dank möchte ich meinem Mann Hans und meinen Kindern Svenja und Jens aussprechen, die sehr viel Geduld aufbringen mussten und mich in jeder Hinsicht unterstützten. Schliesslich gebührt meinen Eltern Robert und Ingrid Schilling eine ausserordentliche Danksagung. Sie haben mir durch die Betreuung meiner Kinder ermöglich, mein Doktorat erfolgreich abzuschlies-sen.

Niederrohrdorf, Mai 2008 Birgit Seelhofer

1 Prof. J. J. Weyrauch, [140, S. IX]. 2 Z., [140, S. IX].

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Kurzfassung

Im Rahmen dieser Studie werden die verschiedenen Einflussfaktoren und deren Zusammenspiel bei der Entwicklung eines Bauteils im konstruktiven Ingenieurbau am Beispiel der umschnürten, zent-risch beanspruchten Stahlbetonstütze erörtert. Die Arbeit beschränkt sich hauptsächlich auf den Hauptentwicklungsraum, der in geografischer Hinsicht auf Mitteleuropa und zeitlich auf das erste Drittel des 20. Jahrhunderts begrenzt ist. In diesem Zeitraum wird der sich im starken Wandel befindliche konstruktive Ingenieurbau durch die grossen Fortschritte der Bauverfahrenstechnik, die Gründung der Materialprüfungsanstalten und der damit einhergehenden Intensivierung der Werk-stoffforschung, den Ausbau der universitären Forschung, die Einführung von Tragwerksnormen sowie durch die Weiterentwicklung der Festigkeitslehre geprägt. Die Studie klärt insbesondere den Hergang der Entwicklung und Verbreitung umschnürter Stahlbetonstützen sowie den Anstoss und die Methodik von deren Erforschung, die Umsetzung der Forschungsergebnisse in die Praxis, die Rolle der Tragwerksnormen und den Einfluss der Bauverfahren.

Der erste Teil erläutert das Wesen der Stahlbetonstütze aus heutiger Sicht für ein besseres Verständ-nis der geschichtlichen Abschnitte. Auf die Auseinandersetzung mit der konstruktiven Durchbildung folgt die ausführliche Erörterung des Tragverhaltens. Die Querschnittsbetrachtung wird anhand des Momenten-Normalkraft-Interaktionsdiagramms sowie der Momenten-Krümmungsbeziehung disku-tiert, und das Systemverhalten wird anhand eines Beispiels veranschaulicht. Ein weiterer Abschnitt zeigt auf, wie die Umschnürung einer Stütze deren Tragverhalten verändert; ein Spannungsfeld zur Ermittlung der Traglast wird vorgestellt. Zum Abschluss wird auf das Verformungsvermögen umschnürter Stützen eingegangen.

Der zweite Teil widmet sich den fortschreitenden Erkenntnissen in der Festigkeitslehre, welche die Erfindung und Weiterentwicklung der umschnürten Stahlbetonstütze ermöglichten. Neben der Beschreibung der Anfänge der Baustoffkunde im 19. Jahrhundert sowie erster mehrachsiger Druck-versuche wird auf die Entwicklung der Bruchkriterien gedrückter Bauteile eingegangen. Des Weite-ren wird die Suche nach derjenigen Versuchseinrichtung beschrieben, mit welcher man glaubte, die unbeeinflusste, „wahre“ Druckfestigkeit ermitteln zu können.

Der dritte Teil geht auf die Entwicklung der umschnürten Stahlbetonstütze Anfang des 20. Jahrhun-derts als direkte Folge der Entwicklungen in der Festigkeitslehre ein. Den Auftakt zur Entwicklung der umschnürten Stütze bildeten im Vorfeld erste Querbewehrungssysteme zur Verbesserung des Bruchverhaltens druckbeanspruchter Betonbauteile. Auf deren Grundlage entwickelte Considère die spiralbewehrte Betonstütze, patentierte diese und stellte anhand zahlreicher Versuche ein Modell zur Traglastberechnung umschnürter Eisenbetonstützen auf. In diesem Zusammenhang wird aufgezeigt, wie das Versuchswesen die Entwicklung des Stahlbetonbaus beeinflusste. Anschliessend wird die Verbreitung der Umschnürungstheorien in Europa und den USA besprochen, und die Aufnahme der Umschnürungswirkung in die Normen wird diskutiert. Ein weiteres Forschungsziel lag in der Ent-wicklung von Umschnürungssystemen für nicht kreisförmige Stützenquerschnitte inklusive entspre-chender Berechnungsmodelle. Im Anschluss an die Beschreibung erster Anwendungen der Um-schnürung wird auf die allgemeine Entwicklung der Betonherstellung und -verarbeitung eingegan-gen. Des Weiteren wird gezeigt, wie Emperger mit grosser Forschungsleistung auf dem Gebiet der Verbundstützen die plastische Bemessung von Stahlbetonstützen einführte. Den Abschluss dieses Teils bilden die Erfassung des Verformungsvermögens und der Spannungsverteilung in umschnürten Stahlbetonstützen im Bruchzustand sowie deren rechnerische Behandlung, welche bis heute For-schungsgegenstand sind.

Der vierte Teil enthält Schlussbetrachtungen hinsichtlich der Hauptfragestellung dieser Arbeit. Es wird auf die Theoriebildung, den Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis sowie auf die Ausführung eingegangen. Ein Ausblick auf weiterführende Forschungstätigkeiten sowie Hinweise zur Methodik bei Arbeiten zur Geschichte des konstruktiven Ingenieurbaus bilden den Abschluss der Studie.

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Abstract

Within the scope of this thesis the different influencing factors and their interaction during the development of structural engineering construction elements are exemplarily discussed for confined, centrally loaded reinforced concrete columns. The study focuses on the principal development area that is limited geographically to central Europe and in time to the first third of the 20th century. During this period structural engineering was submitted to significant changes caused by the progress in construction methods, the establishment of materials testing institutes that lead to an intensification of materials research, the enhancement of university research, the introduction of design codes as well as the further development of strength of materials theories. In particular the study is concerned with the research initiative and methods, the practical application of the research results, the role of the construction codes and the influence of the construction methods during the development and establishment of confined reinforced concrete columns.

The first part of the thesis illustrates the nature of reinforced concrete columns from today's point of view in order to permit a better understanding of the historical development. The discussion of structural detailing is followed by an extensive analysis of the structural behaviour. A moment-axial force interaction diagram and a moment-curvature relationship are used to discuss the cross-sectional behaviour, while the system behaviour is illustrated with a case study. A further paragraph explains how the confinement changes the structural behaviour of columns and suggests a stress field for determining the ultimate load. Finally the deformation capacity of confined columns is discussed.

The second part of the work is concerned with the materials science findings that lead to the inven-tion and further development of confined reinforced concrete columns. The beginning of materials science in the 19th century, the first multi-axial compression tests and the development of the failure criteria for construction elements under compression are discussed. In addition the search for a test setup for determining the uninfluenced "true" compressive strength is described.

The third part of the study covers the development of confined reinforced concrete columns at the beginning of the 20th century that took place due to the progress in materials science. The develop-ment of confined reinforced columns was initiated by prior transverse reinforcement systems that were used to improve the failure behaviour of reinforced concrete members under compression. On this basis Considère developed and patented the spirally reinforced concrete column; by means of numerous experiments he developed a model for predicting the ultimate load of confined concrete columns. In this context the influence of experimental research on the development of reinforced concrete is illustrated. Then it is discussed how the confinement theories were established in Europe and the USA and how the effects of confinement were included in the codes. The development of confinement systems for non-circular column cross-sections with the corresponding analytical models represented a further research goal. The description of first confinement applications is followed by the discussion of the general development of concrete fabrication and casting. Further it is illustrated how Emperger introduced plastic design concepts for reinforced concrete columns based on an enormous research effort in the area of composite columns. Both topics that form the conclu-sion of this part, namely the determination of the confined concrete column deformation capacity and the stress distribution at failure, are still actual research subjects.

The fourth part of the thesis includes final conclusions regarding the main objectives of this research. The theoretical evolution, the knowledge transfer between research and practice as well as execution aspects are addressed. The outlook at the end of this study states further research work and comments regarding the methods for researching the history of structural engineering.

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

1.1 Hintergrund 1 1.2 Fragestellung 2 1.3 Konzept 4 1.4 Abgrenzung 4

2 Stahlbetonstützen

2.1 Konstruktive Durchbildung 7

2.1.1 Bewehrung 7

2.2 Tragverhalten 8 2.2.1 Querschnittsbetrachtung 8 2.2.2 Systemverhalten 11

2.3 Umschnürungswirkung 13

2.3.1 Allgemeines Tragverhalten 13 2.3.2 Bruchlast einer runden umschnürten Betonstütze 15 2.3.3 Begrenzung des Verformungsvermögens 20

2.4 Zusammenfassung 22

3 Anfänge der Werkstoffprüfung und Festigkeitslehre

3.1 Die Anfänge der Baustoffkunde 25

3.1.1 Erste Druckfestigkeitsversuche 25

3.2 Entwicklung von Bruchkriterien 28

3.2.1 Theorie der grössten Spannung 29 3.2.2 Theorie der grössten Dehnung 29 3.2.3 Theorie der grössten Schubspannung 30 3.2.4 Weiterentwicklungen der drei ersten Theorien 31 3.2.5 Theorie der konstanten Formänderungsarbeit 35 3.2.6 Erweiterung der Mohrschen Bruchtheorie 38

3.3 Druckversuche unter mehrachsigen Spannungszuständen 39

3.3.1 Erste Druckversuche im 19. Jahrhundert 40 3.3.2 Bruchvorgänge 41 3.3.3 Annahmen der Mohrschen Bruchtheorie − Gültigkeit für spröde Stoffe 42

3.4 Die Frage der „wahren“ Druckfestigkeit 50

3.4.1 Probekörperform 50 3.4.2 Krafteinleitung 53

3.5 Zusammenfassung 57

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4 Umschnürte Eisenbetonstützen

4.1 Die Erfindung 61

4.1.1 Erste Ideen 61 4.1.2 Der Auftakt der Umschnürung in Frankreich 63 4.1.3 Zusammenspiel zwischen Versuchswesen und Entwicklung des Eisenbetonbaus 66

4.2 Die Verbreitung 68

4.2.1 Considères Umschnürungsmodell fasst Fuss in Europa 68 4.2.2 Die Aufnahme der Umschnürungswirkung in die Normen und Vorschriften 79 4.2.3 Querbewehrung in quadratischen Stützen 82 4.2.4 Einzug der umschnürten Betonstütze in die Vereinigten Staaten 84

4.3 Anwendungen 89

4.3.1 Einsatz der umschnürten Betonstütze 89 4.3.2 Betonherstellung und -verarbeitung 94

4.4 Die umschnürte Verbundstütze 97

4.4.1 Erste Forschungstätigkeiten 98 4.4.2 Verbundstützen im Hochbau 99 4.4.3 Das Additionsgesetz 101 4.4.4 Der Durchbruch 105

4.5 Das Verformungsvermögen 107

4.5.1 Die Grundlegung 107 4.5.2 Die Spannungsverteilung 109 4.5.3 Die Weiterentwicklung an der ETH 111

4.6 Zusammenfassung 113

5 Schlussbetrachtungen

5.1 Theoriebildung 117

5.2 Wissenstransfer 118

5.3 Ausführung 118

5.4 Schlussbemerkungen 119

5.4.1 Ausblick 119 5.4.2 Arbeitsmethodik 120

Personenverzeichnis 121

Literatur 124

Bezeichnungen 134

Lebenslauf 137

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Hintergrund

1 Einleitung

1.1 Hintergrund

Eisenbeton

Mit dem Erblühen der Zementindustrie zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde das teure Haustein-mauerwerk durch den kostengünstigeren Stampfbeton verdrängt. Anschliessend folgte sogleich die Idee, den druckfesten, aber nur sehr beschränkt zugfesten Beton durch Eiseneinlagen zu verstärken, wodurch der Eisenbetonbau entstand. Erste Anwendungen des Eisenbetons wurden u. a. von den Franzosen Joseph Louis Lambot, François Coignet und Joseph Monier hervorgebracht. Lambot erhielt 1855 ein Patent zur Herstellung feuchtigkeitsgefährdeter Gegenstände wie Boote und Behälter aus so genanntem „Ferciment“. Das im selben Jahr angemeldete Patent Coignets beinhaltete Decken, Balken, Stützen und Röhren aus Beton mit kreuzweise angeordneten Bewehrungsstäben. Der Gärtner Monier nutzte den bewehrten Beton erstmals zur Herstellung von Pflanzenkübeln. Seinem Grundpa-tent von 1867 folgten bis 1875 verschiedene Zusatzpatente für Röhren, Reservoire, Brücken, Treppen und Eisenbahnschwellen. Mit den Jahren verlor sich Monier immer mehr in fantastischen Ideen, die ihm den erträumten Gewinn bringen sollten; so begann er z. B. mit der Fabrikation von Särgen aus bewehrtem Beton.

Moniers Patente wurden 1879 und 1886 nach Österreich, 1880 nach Deutschland, 1883 nach England und 1886 nach Nordamerika verkauft. Das Vorhandensein von Zementwerken sowie grosse Vor-kommnisse an Zuschlagsstoffen bedingten u. a., dass der Eisenbetonbau in diesen Ländern gegen den vorherrschenden Eisenbau konkurrieren konnte.

Die Entwicklung des Eisenbetons war bis 1900 geographisch sehr beschränkt und erstreckte sich in Europa im Wesentlichen auf Süddeutschland, Österreich, Norditalien, Nordfrankreich und die Schweiz. Infolge politischer Begebenheiten und der unterschiedlichen Sprache verfolgten die einzelnen Länder jedoch ihre eigenen Ziele, ohne den notwendigen Austausch und gegenseitige Unterstützung. Die Verbreitung der Eisenbetonbauweise wurde aber immerhin durch das Erscheinen von Büchern, welche Konstruktionsgrundsätze dieser Bauweise beschrieben, begünstigt. Zu erwäh-nen sind die Werke „Les bétons agglomérés appliqués à l’art de construire“ von Coignet und „An account of some experiments with Portland-Cement-Concrete combined with iron as a building material with reference to economy of metal in construction and for security against fire and the making of roofs, floors and walking surfaces“ von Thaddeus Hyatt, welche 1861 bzw. 1877 veröf-fentlicht wurden. Ein tieferes Verständnis der Wirkungsweise von Eisenbeton fehlte allerdings noch. Die Eiseneinlagen dienten nicht eigentlich als Bewehrung sondern lediglich als Gerippe zur Formge-bung.

François Hennebiques grosses Interesse am Eisenbeton wurde geweckt, nachdem sein Plan eines 300 m hohen hölzernen Turms für Brüssel durch die Stadtverwaltung 1887 wegen zu geringer Feuersicherheit abgelehnt wurde. Er entwickelte das einige Jahre zuvor auf Baustellen sowie auf der Antwerpener Ausstellung des Jahres 1885 kennen gelernte System Moniers anhand von Versuchen weiter. Während Monier dünne Drähte zu einem Bewehrungsnetz verband, arbeitete Hennebique mit Rundeisenstangen und Bügeln aus Flacheisen. 1879 plante Hennebique ein feuersicheres Landhaus, indem er die üblicherweise aus Eisen gefertigten Stützen und Träger ebenfalls aus Eisenbeton herstellte. Eine weitere vorzügliche Einsatzmöglichkeit des Eisenbetons zeigte Monier einige Jahre später. Als die Erdbebenkatastrophe in den 1880er Jahren in Italien eine Erdbebenfurcht auslöste, spezialisierte er sich auf erdbebensichere Häuser, bei welchen alle Bestandteile aus bewehrtem Beton erstellt wurden. Die Bauweise Hennebiques fand auch in die Schweiz Eingang; zwischen 1894 und 1897 wurden bereits weit über hundert Bauwerke erstellt.

Wegen des fehlenden wissenschaftlichen Basiswissens kam die Eisenbetonbauweise gegen Ende des 19. Jahrhunderts ins Stocken. Der eigentliche Durchbruch gelang erst Anfang des 20. Jahrhunderts. Weil die Herstellung und das Einbringen des Betons sorgfältig geschehen und die Eisen in der

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Einleitung

rechnungsmässig richtigen Lage liegen müssen, bedarf es eines erfahrenen Bauleiters und geschulter Arbeiter, damit ein qualitativ hochwertiges Bauwerk gewährleistet werden kann. Diese Tatsachen veranlassten viele Ingenieure zu einer ablehnenden Haltung gegenüber dem Eisenbetonbau, wodurch dessen Entwicklung lange Zeit gehemmt wurde. Ein grosser Impuls ging dann von der 1900 in Paris durchgeführten Weltausstellung aus, bei der viele Anwendungsmöglichkeiten der verschiedenen Eisenbeton-Bausysteme gezeigt wurden.

Anfangs fehlten Berechnungsmethoden zur Bestimmung der statisch notwendigen Abmessungen. Mit Hilfe von Erfahrungen wurden die verschiedenen Bausysteme jedoch laufend verbessert, und Versuche gestatteten die Festlegung einiger Bemessungsgrundsätze.

Eine der ersten rein wissenschaftlichen Arbeiten über Eisenbeton war 1894 der in französischer Sprache von den Ingenieuren Edmond Coignet und Napoléon de Tedesco an die Société des Ingénie-urs Civils de France gerichtete Bericht mit dem Titel: „Le calcul des ouvrages en ciment avec ossature métallique“. In Deutschland schufen Gustav Adolf Wayβ und Mathias Koenen erste Grund-lagen für die Bemessung von Eisenbetonbauten. Wayβ, der schon etliche Bauwerke aus Beton hergestellt hatte, kaufte für Deutschland das Monier-Patent. In Zusammenarbeit mit Koenen, der damals als Ingenieur beim Reichtagsbau in Berlin wirkte, führte Wayβ Versuche an Platten durch, bei denen er die Bewehrung auf der Zugseite einlegte. Die den Versuchen zugrunde gelegten Berech-nungen veröffentlichte Koenen 1886 im „Zentralblatt der Bauverwaltung“ sowie im darauf folgenden Jahr in der so genannten „Monierbroschüre“, welche er mit Wayβ veröffentlichte. In Österreich war 1890 Paul Neumann der erste, der Berechnungen zur Monierbauweise veröffentlichte. Ihm folgten u. a. Joseph Anton Spitzer und Maximilian Ritter von Thullie. Weitere Veröffentlichungen wurden von Asger Skovgaard Ostenfeld in Dänemark, von Ludwig Adrian Sanders in den Niederlanden und von Karl Wilhelm Ritter in der Schweiz gemacht.

Bis Anfang des 20. Jahrhunderts fanden die auf der Elastizitätstheorie beruhenden Bemessungsme-thoden bei den Baumeistern keinen Anklang. Sie bevorzugten die durch ihre Erfahrung gefundenen, individuellen Bemessungsformeln. Dies änderte sich dann aber relativ rasch, als der Eisenbeton vermehrt bei grossen, wichtigen Bauwerken zur Anwendung kam.

Stützen

Die Stütze als Auflösung flächiger Wandkonstruktionen weist eine lange Geschichte auf, die bis in die Antike zurückführt. Anfänglich wurden Stützen primär aus Holz und Naturstein gefertigt. Mit dem Einsetzen der Industrialisierung in Europa eroberte ein neuer Werkstoff den Ingenieurbau, das Eisen; wegen seiner hohen Festigkeit konnten sehr schlanke Stützenkonstruktionen realisiert werden, welche wenig Nutzfläche beanspruchten. Mit dem Aufkommen der Eisenbetonbauweise wurden deren Vorzüge für den Bau von Druckgliedern rasch erkannt. Die Umschnürungsbewehrung stellt dabei eine der wichtigsten Innovationen zur höheren Ausnützung des Betons dar und bewirkte eine deutliche Verbesserung des Tragverhaltens.

Durch die tiefen Material- und Herstellungskosten nahm die Eisenbetonstütze vor allem in Europa bald die Vormachtstellung ein und löste die Eisenstütze in den meisten Marktfeldern ab. Die Vorfer-tigung der Eisenbetonstützen und die damit einhergehende schnelle Montage auf der Baustelle ermöglichte einen effizienten Baufortschritt, wodurch die Eisenstütze eines ihrer wichtigsten Vorteile beraubt wurde.

1.2 Fragestellung

Ziel dieser Studie ist die Erörterung der verschiedenen Einflussfaktoren und deren Zusammenspiel bei der Entwicklung eines Bauteils des konstruktiven Ingenieurbaus vorwiegend im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Die Analyse geschieht am Fallbeispiel der umschnürten Stahlbetonstütze, eines der wichtigsten Konstruktionselemente im Stahlbetonbau. Deren Entwicklung prägten viele übergeord-nete, parallel laufende Prozesse. Insbesondere waren dies die Gründung der Materialprüfungsanstal-ten und die damit verbundene Intensivierung der Werkstoffforschung, der Ausbau der universitären

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Fragestellung

Forschung, die Einführung von Tragwerksnormen, die Weiterentwicklung der Festigkeitslehre sowie der grosse Forschritt in der Bauverfahrenstechnik.

Werkstoffe konstruktive Durchbildung Bauverfahren

Tragverhalten des Bauteils

Erforschung des Tragverhaltens

Versuche

Erfahrungen bei Tragwerken

Normvorschriften

Bemessung (Überprüfung)

Anforderungen an dieTragsicherheitGebrauchstauglichkeitDauerhaftigkeit

.

.

.

Wirtschaftlichkeit (Minimierungdes Ressourcenverbrauchs)

Ausführung

Erforschung des Werkstoffverhaltens

und der Werkstoffeigenschaften

Versuche

Tragsystem

Berechnungsmodelle Grundlagen der Mechanik

Lehre / Fachliteratur

Forschung

Bild 1.1 – Einflussfaktoren auf die Konzeption, Bemessung und Ausführung von Bauteilen und deren

Interaktionen.

Bild 1.1 enthält eine Übersicht der wichtigsten Einflussfaktoren und deren Interaktionen bei der Entwicklung eines Bauteils. Spezifisch für umschnürte Stahlbetonstützen stellt sich die übergeordne-te Frage, in welchen Zeiträumen und durch welche Personen und Institutionen die entscheidenden Entwicklungsschritte der Konzeption, Bemessung und Ausführung von umschnürten Stahlbetonstüt-zen stattfanden und welche Faktoren zum wirtschaftlichen Erfolg beitrugen. Die Formulierung der für die Bemessung unerlässlichen Berechnungsmodelle bedingt sowohl die Erforschung des Werk-stoffverhaltens als auch die Untersuchung des Verhaltens der Stütze an sich. Zusätzlich fliessen die Grundlagen der Mechanik in die Modelle mit ein. Bei der Analyse dieses Themenkreises stellt sich als erstes die Frage nach dem Anstoss und der Methodik, mit welcher diese Forschung erfolgte.

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Einleitung

Welchen Anteil trugen die experimentellen und theoretischen Arbeiten zum Verständnis des Trag-verhaltens bei, und wie veränderte sich deren Zusammenspiel im Laufe der Zeit? Wer waren die Hauptakteure, Wissenschaftler, Ingenieure oder Unternehmer? Welche Rolle spielten die im Unter-suchungsraum gegründeten Materialprüfungsanstalten? Welchen Beitrag leisteten Erfahrungen bei Bauwerken? Welchen Einfluss übte der Wissensstand in der Festigkeitslehre auf die Berechnungs-modelle aus, und welche Berechnungsbestandteile waren empirischer Natur? Welchen Einfluss übten die Veränderungen der Werkstoffeigenschaften auf die umschnürten Stahlbetonstützen aus? In welchem Umfang und wie wurden die Forschungsergebnisse in die Praxis umgesetzt?

Tragwerksnormen, welche die Bemessung und Ausführung von Bauteilen einheitlich regeln, wurden im Untersuchungszeitraum erstmals in Kraft gesetzt. Dabei stellt sich die Frage nach dem Anstoss, den Initianten und deren Absicht. Erfüllten die Normen ihren ursprünglichen Zweck, und welche zusätzlichen Einflüsse übten diese auf den konstruktiven Ingenieurbau aus? Wandelte sich deren Zweck im Laufe der Zeit? Welche Bemessungs- und Ausführungsvorschriften wurden für die umschnürten Stahlbetonstützen erlassen, und wie standen diese in Relation mit dem aktuellen Stand in der Forschung? Welche Bemessungskonzepte wurden entwickelt?

Die tatsächliche Realisierung der umschnürten Stahlbetonstütze wird in erster Linie durch deren Wirtschaftlichkeit im Vergleich zu den konkurrierenden Stützensystemen bestimmt. Welche Aspekte beeinflussten ausserdem die Wahl des Tragsystems? Welche Faktoren beeinflussen die Wirtschaft-lichkeit? Hatte die Forschung durch die Erhöhung der Zuverlässigkeit der Berechnungsmodelle und der daraus folgenden Reduktion der erforderlichen Sicherheitsfaktoren einen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit? Wie wirkten sich die wirtschaftlich-politischen Verhältnisse im Untersuchungs-raum auf die Wirtschaftlichkeit und somit die Verbreitung der umschnürten Stahlbetonstütze aus?

Diese allgemein gehaltenen Fragestellungen werden durch die ganze Studie verfolgt und im Kapi-tel 5, Schlussbetrachtungen, nochmals aufgenommen und umfassend beantwortet. Spezifische Fragen werden in den einzelnen Kapiteln erörtert.

1.3 Konzept

Ausgehend von einem Grundlagenstudium über den heutigen Wissensstand vom Tragverhalten von Stahlbetonstützen wird das Geschichtsstudium aus dem Blickwinkel der Ingenieure innerhalb des thematisch, zeitlich und geographisch beschränkten Untersuchungsraums anhand der einschlägigen Literatur durchgeführt. Die relevanten Einflüsse auf die Entwicklung und Erforschung der umschnür-ten Stahlbetonstütze sowie deren Anwendung in der Praxis werden vorwiegend anhand der Literatur aus Fachzeitschriften und Versuchsberichten erfasst, analysiert und aus heutiger Sicht bewertet. Falls die Erörterung der Hauptfragestellungen dies erfordert, wird das Geschichtsstudium auf verwandte Fachgebiete ausgedehnt. Der geschichtliche Teil der Arbeit wird in zwei grosse Themenkreise – Anfänge der Werkstoffprüfung und Festigkeitslehre sowie Umschnürte Eisenbetonstützen – geglie-dert, welche vorwiegend thematisch dargestellt werden. Auf die konsequent chronologische Darstel-lung wird zu Gunsten einer besseren Übersichtlichkeit verzichtet. Somit werden die einzelnen Aspekte nicht aus ihrem Kontext gelöst, und ihre Zusammenhänge können besser aufgezeigt werden.

1.4 Abgrenzung

Die Darlegung der geschichtlichen Entwicklung, welche aus dem Blickwinkel der Wissenschaftler und Ingenieure gezeigt wird, beschränkt sich vorwiegend auf den deutschen Sprachraum. Teilweise werden Einblicke in die wissenschaftlichen Arbeiten und Bautätigkeiten in Nordamerika gegeben. Diese Abgrenzung folgt daraus, dass die Literatur aus diesem Raum umfassend zugänglich ist und sich in Europa die hauptsächliche Entwicklung abspielte. Es werden alle Themen aufgegriffen, welche für die Beantwortung der Fragestellungen relevant sind. Im ersten Drittel des 20. Jahrhun-derts wird die Entwicklungsgeschichte der umschnürten Stahlbetonstütze umfassend dargestellt. Für

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Abgrenzung

die darauf folgende Zeit werden nur die wichtigsten Aspekte im Zusammenhang mit der Forschung in der Schweiz beleuchtet. Das Geschichtsstudium beschränkt sich auf gedrungene Stützen, da man sich in der Stützenforschung im untersuchten Zeitraum hauptsächlich mit der Querschnittsanalyse beschäftigte.

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Einleitung

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Konstruktive Durchbildung

2 Stahlbetonstützen

Bauteile, welche überwiegend durch Druckkräfte in Axialrichtung beansprucht werden, bezeichnet man als Druckglieder. Sind die Querschnittsabmessungen gegenüber der Länge bzw. Höhe bedeu-tend kleiner und der Verlauf der Längsachse mehr oder weniger lotrecht, gerade oder nur leicht gekrümmt, spricht man von Stützen. Stützen leiten Lasten von Brückenoberbauten, Dächern und Decken konzentriert in das Fundament. Im Bauwesen werden Stützen vorwiegend aus Holz, Stahl und Stahlbeton gefertigt.

2.1 Konstruktive Durchbildung

Der Gestalt der Querschnittsform von Stützen sind kaum Grenzen gesetzt; am häufigsten werden sie als kreisförmige, rechteckige oder quadratische Vollquerschnitte ausgebildet. Brückenstützen mit mehreren Metern Aussenabmessung weisen zur Materialersparnis einen Hohlquerschnitt auf. In Bild 2.1 werden gängige Stahlbetonstützen mit Vollquerschnitt dargestellt.

a a

a-a :

b

b-b :

b c c

c-c :

Bild 2.1 – Bewehrungsanordnung von Betonstützen mit verschiedenen

Vollquerschnittsformen.

In grösseren Gebäuden wird für die Stützen oft eine höhere Betonfestigkeit gewählt als in den Decken, damit die benötigten Stützenabmessungen reduziert werden können. Dabei ist auf die Einleitung der Lasten aus der Decke in die Stütze zu achten, damit keine Durchstanzprobleme auftreten.

2.1.1 Bewehrung

Der in Stützen verwendete Längsbewehrungsgehalt weist sowohl eine untere − ρmin = 0,6 % − als auch eine obere Begrenzung − ρmax = 8 % − auf [152]. Die obere Begrenzung soll ein einwandfreies Einbringen und Verdichten des Betons sicherstellen; sofern Übergreifungsstösse mit einer lokalen Verdoppelung des Bewehrungsgehalts verwendet werden, ist diese allenfalls weiter zu reduzieren. Die untere Begrenzung, der Mindestbewehrungsgehalt, soll verhindern, dass die Längsbewehrung unter Gebrauchslasten infolge Kriech- und Schwindumlagerungen die Fliessgrenze erreicht [16, 124, 177]. Üblicherweise werden bei umschnürten Stützen Längsbewehrungsgehalte zwischen etwa 2 und 5 % verwendet und bei Stützen ohne Umschnürung solche von etwa 1 bis 3 % [100].

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Stahlbetonstützen

Nachfolgend wird an einem Zahlenbeispiel die Kriech- und Schwindumlagerung unter extremen Bedingungen quantifiziert. Betrachtet wird eine Stütze mit quadratischem Querschnitt mit einer Seitenlänge von 200 mm und einem Längsbewehrungsgehalt entsprechend dem unteren Grenzwert von ρ = 0,6 %. Der Beton weist eine Zylinderdruckfestigkeit von fcc = 38 N/mm2 und einen Elastizi-tätsmodul von Ec = 30 kN/mm2 auf. Der Betonstahl besitzt eine Fliessgrenze von fy = 500 N/mm2 und einen Elastizitätsmodul von Es = n Ec = 205 kN/mm2. Bei einer sehr geringen relativen Luftfeuchtig-keit von 40 % und einem Alter des Betons beim Aufbringen der Gebrauchslast und gleichzeitigem Schwindbeginn von t0 = 7 d resultiert gemäss [24] ein Endschwindmass von εcs,∞ = − 0,61 ‰ und eine Endkriechzahl von φ∞ = 3,98. Unter der Annahme einer relativ hohen, andauernden nominellen Druckspannung σ0 = − 0,4 fcc ergibt sich unmittelbar nach dem Belasten unter der Voraussetzung eines linear elastischen Verhaltens eine initiale Stahlspannung von σs0 = n σ0 (1 − ρ + n ρ) −1 = − 90 N/mm2 und eine initiale Stützenstauchung von ε0 = σs0 / Es = − 0,44 ‰. Mit dem Verfahren nach Trost und Bažant [172, 13] entsteht für den Zuwachs der Stahlspannung infolge Kriech- und Schwindumlagerung für t → ∞

( )( )( )0 ,1

1 1s c

s

En

s∞ ∞

− ρ ε ϕ + εΔσ =

− ρ + ρ + μϕ , (2.1)

wobei μ den Alterungsbeiwert bezeichnet, der zu 0,8 angenommen wird. (2.1) liefert Δσs = − 418 N/mm2, d. h. es resultiert eine Stahlspannung von σs = − 90 − 418 = − 508 N/mm2, was etwa der Fliessgrenze entspricht.

Die Bügelbewehrung verhindert das lokale Ausknicken der Längsstäbe in Richtung der Stützenober-fläche, wirkt als Querkraftbewehrung, stabilisiert den Bewehrungskorb während der Montage und umschnürt bei sorgfältiger, enger Anordnung den Betonkern.

2.2 Tragverhalten

Die Tragfähigkeit einer Stahlbetonstütze hängt von den Stoffeigenschaften des Betons und des Bewehrungsstahls, von den Querschnittsabmessungen und der Querschnittsform, von der Länge bzw. Höhe der Stütze, von der Ausbildung der Bewehrung, von den Lagerungsbedingungen, von geomet-rischen Imperfektionen wie Schiefstellungen, von der Exzentrizität der Stützenachse sowie von der Art und der Kombination der Beanspruchungen ab.

Beispielhaft wird im Folgenden eine Stütze mit quadratischem, symmetrisch bewehrtem Querschnitt betrachtet. Der Einfluss der Umschnürung wird am Ende des Kapitels erörtert.

2.2.1 Querschnittsbetrachtung

Fast alle Stützen in Betonbauten sind neben den Normalkräften zusätzlich Momenten unterworfen. Momente entstehen durch exzentrischen Lastangriff oder infolge Endmomenten, welche von Decken oder Trägern übertragen werden, durch Querbeanspruchungen wie z. B. Wind, durch Exzentrizitäten der Stützenachse oder durch Zwängungen.

Momenten-Normalkraft-Interaktion

Die Kombination von aufgebrachter axialer Druckkraft –N und Moment M, welche den Bruch des symmetrisch bewehrten Querschnitts herbeiführt, wird im Interaktionsdiagramm in Bild 2.2 (a) dargestellt. Die Druckkraft greift im Schwerpunkt des ungerissenen Bruttoquerschnitts an. Die Momente beziehen sich auf denselben Punkt. Zur Berechnung der Kurve ABCD werden das Verhal-ten des Betons und des Stahls mit den in Bild 2.2 (c) dargestellten Spannungs-Dehnungsbeziehungen beschrieben und Ebenbleiben des Querschnitts vorausgesetzt.

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Tragverhalten

(a) (b)

M ,

-N ,

A

B

ε

εcu

εcu

εcu

εcu

C

D

-

-

-

- a

c

d

e

f

x

-

a :

u u

bx

c : x = (b-u)ε d :

e : b/2f : x = u

(b-u)<

x< b/2<(b-u)x< u<

ε0

χ

χ

ε0

ε0

bk

M

ρ = 3%-N

2%

1%

0,6%

0%

εcu-

εcu-

= ρmin

III III IV V

II-V:

I:

A3

A2

A1

A0,6

A0

K0

K0,6

K1

K2

K3

D0 D0,6 D1 D2 D3

s

(c) (d)

εc

σc

-fc

-2-3 000

000

εs

σs

-f y

fy

Es

1

εs

σs

-f y

f y

εc

σc

-fc

(e)

χ

M

Fliessbeginn der ZugbewehrungFliessbeginn der Druckbewehrung

D

E

O A

G

F

Dekompression

g

h

i

k

l

Bild 2.2 – (a) Momenten-Normalkraft-Interaktionsdiagramm; (b) M-N-Interaktion für verschiedene Längsbe-

wehrungsgehalte; (c) Spannungs-Dehnungsbeziehungen für Beton [152] und Stahl; (d) starr-plastische Spannungs-Dehnungsbeziehungen für Beton und Stahl; (e) Momenten-Krümmungs-Beziehungen für verschiedene konstante Druckkräfte.

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Stahlbetonstützen

Die Zugfestigkeit des Betons wird vernachlässigt. Für den Bewehrungsstahl werden keine Deh-nungsbegrenzungen eingeführt, wodurch der Bruch immer durch das Versagen der Betondruckzone herbeigeführt wird. In den Punkten A, B, C, und D, in welchen die Schnittkräfte im Bruchzustand leicht bestimmt werden können, sind zusätzlich die Dehnungsverteilungen im Querschnitt dargestellt (εcu = 3 ‰). Mit abnehmender Druckkraft vermindert sich die Dicke der Druckzone, und die Krüm-mung wird vergrössert. Punkt C liegt nicht im Momentenmaximum, da das Verhältnis der Beweh-rungsüberdeckung u zur Querschnittsbreite b in diesem Beispiel so gross ist, dass die Längsbeweh-rung bei einer Betondruckzonendicke x = b / 2 die Fliessgrenze nicht erreicht. Bei kleinerer Druckzo-nendicke fliesst die Zugbewehrung und erzeugt trotz der leicht tieferen Betondruckkraft ein grösseres Moment. Die Bruchkurve kann durch lineares Verbinden der Punkte A, B, C, und D gut approximiert werden.

Wird mit denselben Berechnungsannahmen der Bewehrungsgehalt erhöht, steigt der Tragwiderstand des Querschnitts an, siehe Bild 2.2 (b). Der reine Betonquerschnitt, Kurve A0K0ID0, kann ohne einwirkende Druckkraft keine Momente aufnehmen. Alle Momenten-Normalkraft-Kombinationen, welche in den Querschnitten unterschiedlichen Bewehrungsgehalts dieselbe Krümmung hervorrufen, liegen auf Geraden. Deren Schnittpunkte liegen auf einer Kurve, welche im Schnittpunkt mit der Geraden durch K0−3 eine Unstetigkeit aufweist sowie im Schnittpunkt mit der Geraden durch II bis V springt. Die Unstetigkeit resultiert daraus, dass die Bruchfigur zwischen A und K konkav und zwischen K und D konvex verläuft. Der Sprung in der Schnittpunktkurve folgt aus der Unstetigkeit der M-N-Interaktionskurven in II bis V, siehe Bild 2.3.

M

N

II III IV V

K0

K3

A3

A2

A1

A0,6

A0

D0 D0,6 D1 D2 D3

Bild 2.3 – Schnittpunkte der Geraden gleicher Krümmungen.

Für Querschnitte mit Bewehrungsgehalten über ca. 0,35 % sind die zum Maximalmoment gehörigen Dehnungsebenen identisch. Mit kleinerem Bewehrungsgehalt vergrössert sich die Druckzonendicke infolge der nichtlinearen Spannungs-Dehnungs-Beziehung des Betons und erreicht für unbewehrte Querschnitte den Höchstwert.

Bei Verwendung der starr-ideal plastischen Spannungs-Dehnungsbeziehungen in Bild 2.2 (d) kann gemäss der Plastizitätstheorie [102] durch Linearkombination der einzelnen Fliessfiguren von Beton und Stahl die Fliessfigur des Stützenquerschnitts in Bild 2.2 (a) mit den Kurvenabschnitten a, c, d, e und f erzeugt werden. Der Dehnungsinkrementenvektor ε steht senkrecht auf der konvexen Fliessfi-gur und beschreibt das Verzerrungsinkrement über die Querschnittsbreite. Die Druckzonendicke bleibt auf den geraden Strecken c und f konstant. Die Änderung der Schnittgrössen resultiert daraus, dass auf der Strecke c die Spannungen der Druckbewehrung Werte zwischen 0 und −fy und auf der Strecke f die Spannungen der Zugbewehrung Werte zwischen 0 und fy annehmen.

10

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Tragverhalten

Momenten-Krümmungs-Beziehung

In Bild 2.2 (e) werden die Momenten-Krümmungs-Beziehungen mit Materialgesetzen gemäss Bild 2.2 (c) für verschiedene konstante Druckkräfte aufgezeigt. Wirkt bei Vernachlässigung der Beton-zugfestigkeit keine Druckkraft, dekomprimiert der Querschnitt bei Aufbringen des kleinsten Mo-ments, siehe Kurve g. Mit der Steigerung der Momentenbeanspruchung wird diejenige Krümmung erreicht, bei der die Zugbewehrung zu fliessen beginnt, worauf die Krümmung bei geringer Steige-rung des Moments bis zum Bruch, Punkt D, stark zunimmt. Die Kurve zeigt ein ausgeprägtes Fliessplateau. Wird eine geringe Druckkraft aufgebracht, siehe Kurve h, fliesst die Zugbewehrung bei einem grösseren Moment und leicht grösserer Krümmung. Die nach Fliessbeginn der Zugbeweh-rung auftretende Krümmungszunahme bis zum Bruch ist kleiner als in Kurve g, die Zunahme des Moments jedoch grösser. Bei weiterer Erhöhung der konstanten Druckkraft wird im Bruch ein Zustand erreicht, bei dem weder die Druck- noch die Zugbewehrung die Fliessgrenze erreicht, siehe Kurve i; der Querschnitt bricht spröd.

Dieser Bruchzustand kann nur in Stützen kleinen Querschnitts auftreten, in denen das Verhältnis der Längsbewehrungsüberdeckung u zur Breite des Betonkerns bk = b − 2u der Beziehung

1 12

cu

k sy

ub

⎛ ⎞ε≥ −⎜ ⎟⎜ ⎟ε⎝ ⎠

(2.2)

genügt. εcu bezeichnet die Betonbruchstauchung und εsy die Fliessdehnung der Längsbewehrung.

Bei grösseren konstanten Druckkräften erreicht die Druckbewehrung die Fliessdehnung vor Eintreten des Querschnittversagens. Das Fliessplateau vergrössert sich mit steigenden Druckkräften nur sehr langsam, und die Krümmungszunahme von der Fliess- bis zur Bruchgrenze bleibt weit unter derjeni-gen der Kurven g und h, siehe Kurven k und l. Bei diesen Verhältnissen der Druckkraft und Momen-tenbeanspruchung ist es nicht sinnvoll, den Querschnittswiderstand anhand der starr-ideal plastischen Spannungsdehnungsbeziehung zu bestimmen. Dies zeigt sich auch in der grossen Abweichung der Fliessfigur von der Kurve ABCD in Bild 2.2 (a) zwischen dem Momentenmaximum und Punkt B.

Wird der Querschnitt mit der maximal aufnehmbaren Druckkraft beansprucht, darf zusätzlich kein Moment wirken. Die Krümmung kann in diesem Zustand einen beliebigen Wert zwischen 0 und (εcu – 0,002) / b bzw. (εcu – εsy) / (b – u) aufweisen. Für den Höchstwert der Krümmung, Punkt A, ist der kleinere Betrag der zwei Ausdrücke massgebend.

Das Dekompressionsmoment steigt mit zunehmender Druckkraft an, bis die Druckbewehrung bei der Dekompression gerade die Fliessgrenze erreicht. Bei weiterer Erhöhung der Druckkraft sinkt das Dekompressionsmoment, bis der Querschnittsbruch mit der Dekompression zusammenfällt, siehe Punkt G. Für grössere Druckkräfte dekomprimiert der Querschnitt bis zum Bruch nicht.

2.2.2 Systemverhalten

Zusätzlich zur Druckkraft wirkende Momente reduzieren die Bruchlast von Stützen. Nachfolgend wird eine an beiden Enden gelenkig gelagerte Stütze betrachtet, siehe Bild 2.4 (a). Die Stütze besitzt denselben Querschnitt wie im vorherigen Kapitel. Die Druckkräfte greifen an beiden Enden mit einer Exzentrizität e0 zur Stützenachse an und erzeugen am unverformten System ein über die ganze Stützenlänge konstantes Moment N·e0. Infolge dieses Moments biegt sich die Stütze in Querrichtung aus, wodurch die Momente in den Querschnitten vergrössert werden und wiederum die Querauslen-kung ansteigen lassen, bis ein stabiles Gleichgewicht entsteht. Daraus resultiert eine nicht lineare Last-Momenten-Kurve. Das grösste Moment M = N (e0 + Δe) = N·em, welches in Stützenmitte entsteht, ist in Bild 2.4 (a) mit der zugehörigen Normalkraft für verschiedene Stützenlängen darge-stellt.

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Stahlbetonstützen

Lastpfade

Bei Stützen geringer Schlankheit können die oben erwähnten Effekte vernachlässigt werden; man spricht dabei von gedrungenen Stützen. Die am unverformten System bestimmen Momente ergeben für die Dimensionierung ausreichend genaue Resultate. Die Momente N·e0 wachsen mit zunehmen-der Druckkraft linear bis zum Schnittpunkt mit der Momenten-Normalkraft-Interaktionskurve an. Man erhält somit Punkt F, wo in Stützenmitte der Querschnittswiderstand erreicht wird; die Bruch-last der Stütze wird durch Materialversagen begrenzt.

(a) (b)

M = N e

N

m

A

H

O

1

e0

F

c

b

a

ΔM

ΔN

e0

e0

Δe

N

N

D

em

x

u

u

E

L

u

H

F

A A

N

d

h

g

g

fd

fh

e0

x

Nu

(c)

εcu-

εcu-0,61

εcu-0,47

εcu-0,17

εcu-

εcu-0,47

εcu-0,31

εcu-0,13

εcu

εcu-0,20

εcu-0,16

εcu-0,07

-0,34

e0

e0

e0

e0

e0 e0

a

b

c

χ e(x)(x)

χ e(x)(x)

χ e(x)(x)

Bild 2.4 – (a) Lastpfade; (b) Bruchlasten in Abhängigkeit der Stützenhöhe für verschiedene Anfangsexzentri-

zitäten; (c) Krümmungen und Dehnungen der Stütze sowie Auslenkungen der Stabachse für 50, 80, 90 und 100 % der Bruchlast.

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Umschnürungswirkung

Der Verlauf der geraden Strecke OF entspricht dem Tragverhalten einer unendlich kurzen Stütze. Wird die Bruchlast durch das zusätzliche Moment merklich reduziert, spricht man von schlanken Stützen. Für die Dimensionierung werden die Schnittkräfte am verformten System bestimmt. Die Verformungen in Richtung der Stützenachse werden vernachlässigt.

Kurve a zeigt den geringen Einfluss der durch die Querverformung entstandenen Zusatzmomente ΔMu einer gedrungenen Stütze. Die Kurve weicht nur leicht von der geraden Strecke OF ab, die Reduktion der Bruchlast ΔNu ist klein. Je länger die Stütze ist, desto grösser wird die Abweichung zur geraden Strecke OF infolge der aus Querbiegung resultierenden Momente. Alle Bruchpunkte der Stützen, deren Bruchlast durch Materialversagen begrenzt wird, liegen auf der Momenten-Normalkraft-Interaktionskurve zwischen den Punkten F und H. Mit zunehmender Exzentrizität des Lastangriffspunkts e0 verringert sich der aus der Querverformung entstandene Momentanteil am Gesamtmoment, die Strecke FH verkürzt sich.

Bei sehr schlanken Stützen erreicht die Querbiegung einen Wert, bei dem die Last-Momenten-Kurve ein Maximum erreicht, bevor sie die Momenten-Normalkraft-Interaktionskurve schneidet; die Stütze erleidet ein Stabilitätsversagen. Alle Bruchpunkte der Stützen, deren Bruchlast infolge Stabilitätsver-sagen begrenzt wird, liegen auf der gestrichelten Kurve OH.

Verformung

In Bild 2.4 (c) werden eine gedrungene Stütze, Kurve a, eine Stütze mit moderater Länge, Kurve b und eine sehr schlanke Stütze, Kurve c, miteinander verglichen. Aufgezeigt werden die Dehnungen des Querschnitts in Stützenmitte sowie Krümmungen und Querauslenkung über die gesamte Stützen-länge für 50, 80, 90 und 100 % der Bruchlast. Bis 90 % der Bruchlast bleiben die Krümmungen bei allen drei Stützen über die Stützenlänge nahezu konstant verteilt und 50 bis 60 % der Querauslen-kung im Bruchzustand wird erreicht. Erst bei weiterer Steigerung der Druckkraft konzentriert sich die starke Krümmungszunahme auf den Bereich in Stützenmitte. Die Bruchlast der Stützen a und b wird durch Erreichen des Querschnittwiderstands in Stützenmitte begrenzt. Am Druckrand des Quer-schnitts erreicht der Beton die Bruchstauchung −εcu, die Druckbewehrung fliesst. Stütze c knickt, bevor der Querschnittswiderstand erreicht wird. Die Stauchung am Druckrand beträgt nur ein Drittel der Bruchstauchung, und keine der beiden Bewehrungslagen erreicht die Fliessgrenze. Die grössten Bruchverformungen weist eine Stütze auf, die sich gerade im Übergang vom Material- zum Stabili-tätsversagen befindet, d. h. deren Bruchpunkt in Bild 2.4 (a) im Punkt H liegt.

Bruchlasten

In Bild 2.4 (b) ist die Bruchlast in Abhängigkeit der Stützenlänge für verschiedene Lastexzentrizitä-ten e0 aufgetragen. Je weiter der Lastangriffspunkt von der Stabachse entfernt ist, desto tiefer fällt die Bruchlast aus. Die gestrichelte Kurve d entspricht einer Stütze mit Anfangsexzentrizität e0 = 0. Zwischen A und A´ wird die Bruchlast durch Materialversagen begrenzt, für grössere Stützenlängen knickt die Stütze aus. In den Wendepunkten der Bruchlastkurven liegen die Punkte, bei welchen sich die Stützen im Übergang vom Material- zum Stabilitätsversagen befinden. Die Kurven f, g und h stellen Stützen mit grossen Anfangsexzentrizitäten e0 dar, bei welchen der Übergang der Versagens-art zwischen D und E auf der Momenten-Normalkraft-Interaktionskurve in Bild 2.4 (a) liegt.

2.3 Umschnürungswirkung

2.3.1 Allgemeines Tragverhalten

Im unbelasteten Beton bestehen infolge unterschiedlicher Schwindeigenschaften und Unterschieden im thermischen Verhalten der Zuschlagsstoffe zwischen den Zuschlagskörnern und der Zementmat-rix Mikrorisse, siehe Bild 2.5 (a). In druckbeanspruchten Betonen verlaufen die mit Hilfe von Querzugkräften umgelenkten Wirkungslinien der Druckkräfte durch die Zuschlagkörner, welche eine

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Stahlbetonstützen

höhere Steifigkeit und Festigkeit als die Zementmatrix aufweisen. Bei einachsiger Druckbeanspru-chung − σ1 eines Betons mit kleiner oder mittlerer Festigkeit dringen die Mikrorisse infolge der Querzugspannungen in die Matrix ein. Bei Leichtbetonen und hochfesten Betonen breiten sich die Risse teilweise auch in den Zuschlagkörnern aus, welche teilweise von geringerer Festigkeit sind als die Zementmatrix. Bei weiterer Laststeigerung wird der Beton sukzessive parallel zur Beanspru-chungsrichtung aufgespaltet und innerhalb der Bruchzone, deren Länge gleich dem zweifachen Durchmesser des Stützenkernquerschnitts dk angenommen werden kann [110], in einzelne Lamellen unterteilt, die nach Überschreiten der Druckfestigkeit abscheren und den Beton entfestigen. Rei-bungs- und Verzahnungskräfte verhindern ein schlagartiges Versagen.

Wirken auf den Beton durch Anbringen einer Umschnürungsbewehrung Druckkräfte quer zur Beanspruchungsrichtung, werden die Querdehnungen im Kernbeton innerhalb der Bewehrung behindert, wodurch die Lamellenbildung verhindert wird. Innerhalb der Bruchzone bildet sich über die gesamte Höhe eine schiefe Bruchfläche aus, an welcher der Beton nach Erreichen der Druckfes-tigkeit abgleitet. Bis zum Erreichen des eigentlichen Bruchs, welcher durch das Zerreissen der Umschnürungsbewehrung oder das Ausknicken der Längsstäbe herbeigeführt wird, können die Verformungen bei einer Entfestigung des Betons weiter gesteigert werden.

(a)

σ1

-σ1

σ1

σ1

(b) (c)

σ2

σ1

Triaxialversuch

umschnürter Beton

= σ3

11

Y( ) = 0

O

AB

σ

σc

εc

ρ = %

1,3%

0,5%

%

fc

fc

O εc εc1 3

3

A

B

C

Db 2,5

0

Bild 2.5 – (a) Rissausbreitung innerhalb der Bruchzone eines normalfesten Betons; (b) Spannungspfade des

Triaxialversuchs sowie des umschnürten Betons; (c) Spannungs-Dehnungsdiagramme des Kernbe-tons mit verschiedenen Umschnürungsbewehrungsgehalten.

Die dreiachsige Betondruckfestigkeit wird anhand von Triaxialversuchen an Zylindern ermittelt. Zu Beginn wird ein hydrostatischer Druck in der Höhe des gewünschten Manteldrucks auf den Probe-körper aufgebracht. Anschliessend wird der Druck in Achsrichtung bis zum Bruch erhöht. Der Spannungspfad OAB ist in Bild 2.5 (b) dargestellt. Der Spannungspfad OB des mit Bewehrung umschnürten Betons ist infolge der veränderlichen Querdruckspannungen ein anderer. Im linear elastischen Bereich des Betons wird die Umschnürungsbewehrung wegen der geringen Querdehnung kaum aktiviert. Die marginale Zugspannung in der Umschnürungsbewehrung erzeugt nur eine kleine

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Umschnürungswirkung

Querpressung. Bei weiterer Steigerung der Spannung – σ1 beginnen die Querdehnungen bei ca. 30 % der einachsigen Druckfestigkeit überproportional anzusteigen, wobei die Spannungen in der Um-schnürungsbewehrung nur langsam ansteigen. Erst bei Überschreiten der einachsigen Betondruckfes-tigkeit nehmen die Querdehnungen rasch zu, wobei der einachsig gedrückte Überdeckungsbeton bereits abgesprengt wird. Die Umschnürungsbewehrung erzeugt einen merklichen Querdruck, der stetig anwächst, bis in der Bewehrung die Fliessgrenze erreicht wird. Zu diesem Zeitpunkt ist der Tragwiderstand des Kernbetons erschöpft, da der Umschnürungsdruck bei Steigerung der Längsstau-chung bzw. Querdehnungen nahezu konstant bleibt. Die Risse entlang der Bruchfläche können sich öffnen, und der Kernbeton wird entfestigt.

Verformungsvermögen des umschnürten Betonkerns

Bild 2.5 (c) zeigt Spannungs-Dehnungskurven des mit verschiedenen Bewehrungsgehalten

2Øbb

ks dπ

ρ = (2.3)

umschnürten Betonkerns. Mit ρb wird das Umschnürungsbewehrungsvolumen auf das umschnürte Betonvolumen bezogen. Øb bezeichnet den Durchmesser der Umschnürungsbewehrung und s deren Achsabstand. Mit steigendem Bewehrungsgehalt der Umschnürung vergrössert sich die dreiachsige Druckfestigkeit fc3 sowie die dazugehörige Stauchung − εc3, siehe Punkte B bis D. Der einachsig gedrückte Beton entfestigt nach Erreichen der Druckfestigkeit fc in Punkt A sehr rasch. Mit steigen-dem Umschnürungsbewehrungsgehalt entfestigt der Beton weniger ausgeprägt. In Triaxialversuchen weisen die Betonkörper ab einem Manteldruck von etwa 50 N/mm2 keine Entfestigung mehr auf, und ein sichtbarer Bruch ist nicht mehr erkennbar. Manteldrücke in dieser Grössenordnung würden einen Bewehrungsgehalt von etwa 20 % erfordern, der aus konstruktiven Gründen nicht realisiert werden kann.

2.3.2 Bruchlast einer runden umschnürten Betonstütze

Zur Extremalbetrachtung wird eine, in Bild 2.6 (d) dargestellte, runde Stütze herangezogen, bei welcher die Stäbe der kreisförmigen Umschnürungsbewehrung sich berühren. Die Gleichgewichts-bedingung in Querrichtung am halbierten Querschnittselement liefert die aus der Umschnürung erzeugte Querspannung σcq im Kernbeton

2b b

cqρ σ

−σ = , (2.4)

wobei σb die im Umschnürungsstab herrschende Spannung bezeichnet. Die Querdruckspannung σcq ist gleichmässig über den Kernquerschnitt verteilt. Ist die Umschnürungsbewehrung in einem lichten Abstand angeordnet, müssen die lokal wirkenden Umlenkkräfte σcb·Øb in den Beton eingeleitet werden, wodurch die Querschnittsfläche, in der σcq wirkt, abgemindert wird. Mit – σcb = Øb

π fy / (2 dk)

wird die in Querrichtung entstehende Kontaktspannung zwischen Umschnürungsbewehrungsstab und Beton bezeichnet.

Die Wirkung der Umschnürungsbewehrung auf den Kernbeton in einer Stütze mit rundem Vollquer-schnitt wird anhand des in Bild 2.6 (a) dargestellten räumlichen, axialsymmetrischen Spannungsfelds veranschaulicht. Der senkrecht zur Stützenachse wirkende Anteil der Kontaktspannung σcb, der in radialer Richtung gleichmässig über die Höhe des Bewehrungsstabs der Umschnürungsbewehrung verteilt ist, breitet sich in einem radial nach innen verlaufenden Fächer auf die Höhe des lichten Abstands s aus. Aus Gleichgewichtsgründen wirken im Knotenbereich ABC neben σcb quer zur Stützenachse zusätzlich in Stützenachsrichtung gleichmässig verteilte Druckspannungen, welche zu – fc angenommen werden.

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Stahlbetonstützen

(a) (b) (d)

σcq

fc

σb

m m

fc

z0z 0

x0

x

12

d( k

σcq

x

z

z

z )b c

σcq-Fs Fs

d

dk

ob

(c)

fc fc

fcfc

a2

b2

fc

σcq

fc

σcq

c2

σcq

σcq

s2 2

2

2

2

3

3

3

o

o

b

b

σcb

σcb

12

d( )bk

AB

C D

E

F

s

s

c

O

σ1

σ2

σ3

( ) = 0σY 1, σ2, σ3

Bild 2.6 – (a) Spannungsfeld der umschnürten, runden Stütze; (b) Schnittkörperdiagramm zur Berechnung der

Fächerumrandung; (c) modifizierte Fliessbedingung von Coulomb mit fct = 0 im Hauptspannungs-raum; (d) Schnittkörperdiagramm einer runden Stütze mit sich berührenden Stäben der Umschnü-rungsbewehrung.

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Umschnürungswirkung

Tangentialdruckspannungen werden im Knotenbereich nur benötigt, falls die Kontaktspannung σcb den Wert von – fc unterschreitet und somit zur Aufnahme der Kräfte ein dreiachsiger Spannungszu-stand herrschen muss. Aus Bild 2.7 (a) ist ersichtlich, dass die Kontaktpressung bei Betonen norma-ler Festigkeit den Betrag von fc schon bei Verhältnissen von Øb

/ dk zwischen 0,04 und 0,06 über-schreitet, was z. B. für Stützen mit 300 mm Kerndurchmesser Bewehrungsstäben zwischen 12 und 18 mm entspräche.

Im Bereich des Fächers verlaufen die Spannungen lediglich in radialer Richtung sowie längs zur Stützenachse; Tangentialspannungen treten keine auf. In der an der Fächerumrandung DE angren-zenden, parallel zur Stützenachse laufenden Druckstrebe der Breite b / 2 wirken zu – fc angenommene Längsdruckspannungen sowie Tangential- und Radialdruckspannungen der Grösse σcq. Innerhalb des Fächerbereichs wirken in Tangential- und Radialrichtung eine über den Querschnitt gleichmässig verteilte Querdruckspannung σcq und in Achsrichtung eine der dreiachsigen Druckfestigkeit fc3 = fc + 4 σcq entsprechende Spannung. Der Bereich BEF ausserhalb des Fächers bleibt spannungs-frei.

(a) (b)

0,10,05

σcb-

1,0

0,5

1,5

2,0

2,5 fc

fy= 0,06

0,07

0,08

0,09

0,10

fc

00

ob

dk

0

010,5

ds k/

σcF

fc

1

0,5

1,5B

0,85

0,65

1,00ob

dk=

0,50

fy

fc

0,65

0,85

0,50ob

dk=

1,00

fy

fc

:

:E

Bild 2.7 – (a) Kontaktspannung σcb zwischen Umschnürungsstab und Beton in Abhängigkeit des Verhältnis-

ses des Stabdurchmessers Øb zum Kerndurchmesser dk.; (b) Hauptspannungen im Fächer in den Punkten B und E, siehe Bild 2.6 (a).

Die Gleichgewichtsbedingungen am halbierten Stützenabschnitt der Höhe s / 2 liefern die globalen Abmessungen a und b des Fächers sowie die Querdruckspannung σcq. Für die folgenden Ausdrücke werden im Knotenbereich ABC die Tangentialdruckspannungen zu – σcb angenommen. Gleichge-wichtsbedingungen in und senkrecht zur Stützenachsrichtung ergeben

( ) ( )2 2 2k ka d a b d c b− = − − (2.5)

und

Ø /2

0/ 2

0 0 00

Ø 2 ( )d2

( ) 2 ( )2

b

b kcb

cq s

k

d z x x

s d b c z x x

⎡ ⎤⎢ ⎥σ −⎢ ⎥⎣ ⎦σ =

− − +

∫ d . (2.6)

17

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Stahlbetonstützen

Unter der Annahme, dass die Fächer- und Knotenform einer quadratischen Parabel mit Scheitel in D resp. C entsprechen, ergibt (2.6)

( )( )

( )( )

Ø 3 32 213 2 3 2 3 2 3

cb b k kcq b c

k k

d a d af

s d b c d b cσ ⋅ − −

σ = = ω− − − −

, (2.7)

wobei ωb = ρb fy / fc dem mechanischen Bewehrungsgehalt der Umschnürungsbewehrung entspricht.

Mit der angenäherten Querspannung σcq folgt aus dem Momentengleichgewicht

( ) ( )

( )( )

2 2 2 2

2Ø Ø Ø

3 3 3 6 3 3 33

3 1 02 3 2 48

ck k k k k

cqk b b cb b

f a d d a a b d d c c d b bc b

bs d b c s s a

⎡ ⎤− + − − + − + +⎣ ⎦

σ ⎡ ⎤⎛ ⎞− − − − + − + σ ⋅ =⎜ ⎟⎢ ⎥⎝ ⎠⎣ ⎦

2

. (2.8)

c wird so festgelegt, dass die Bruchlast

( ) ( 23 32 2

4u c k c k )F f b d c b f d b cπ ⎡ ⎤= ⋅ − − + − −⎣ ⎦ (2.9)

der umschnürten Stütze maximiert wird. Wird der Achsabstand der Umschnürungsbewehrung bis auf deren Durchmesser abgemindert, so dass sich die Stäbe gerade berühren, nähert sich der Wert der Querspannung σcq in (2.7) dem Grenzwert (2.4) an. Die Abmessungen a, b und c verschwinden, das gesamte Betonvolumen innerhalb der Umschnürungsbewehrung ist dreiachsig gedrückt, und die Bruchlast weist den Maximalwert Fu3 = fc3 dk

2 π / 4 auf.

Gleichgewichtsbedingungen am Schnittkörperdiagramm in Bild 2.6 (b) liefern die Beziehungen für die Fächerumrandung DE und die Knotenumrandung ABC.

( ) ( )( )20 0

1 2 2 24k kz d b c z z a b c d z b c a+ − − − + − − + − − − = 0 , (2.10)

( )( )0

0

2 3 22 3 3 3

cb k

cq k

z d b c ax x

z d b cσ + − − −

= ⋅σ + − −

, (2.11)

(

)

2 2

2 2 200 0 0

20 0 0 0

(2 ) 3 ( 2 ) 2 (2 2 2 ) 23 4

(3 ( 2 2 2 ) 2 (2 3 3 ) 3 6 3 )2

2 3 1( )( ) ( ) (2 ) 02 3 2 12

ck k

k k

cqk cb

f z a b c d d z b c a z z b c a b bc c ba

zca a d d z b c z z c b c bc b

x d b c x x z x x x z b c a

+ − −⎡ + − − − + − − − + + + +⎢⎣⎤+ + − + − − + − − + + + ⎥⎦

σ ⎡ ⎤− − − − + − + σ ⋅ − − + =⎢ ⎥⎣ ⎦

. (2.12)

Für (2.12) werden die Fächer- und Knotenumrandung wie in (2.8) als quadratische Parabel ange-nommen.

In Bild 2.8 (a) zeigen die durchgezogenen Kurven die auf die Vergleichslast Fu = fc·dk2 π / 4 normierte

Bruchlast der umschnürten Stütze aus (2.9) in Abhängigkeit des Umschnürungsbewehrungsabstands. Der Vergleich mit den als gestrichelte Geraden dargestellten Bruchlasten ohne Berücksichtigung der Umschnürungswirkung und mit einbezogenem Überdeckungsbeton für verschiedene Verhältnisse des Stützendurchmessers d zum Kerndurchmesser dk zeigt, dass die Umschnürungsbewehrung nur mit

18

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Umschnürungswirkung

sehr engem Stababstand die Bruchlast erhöht. Der für grössere Verhältnisse (Øb·fy) / (dk·fc) immer steilere Abfall der Taglast hängt neben der rasch abfallenden Querdruckspannung σcq auch mit dem spannungsfreien Bereich BEF zusammen, der in diesem Bereich das grösste Volumen aufweist. Aus Bild 2.8 (c) ist aber ersichtlich, dass die Abmessung c des spannungsfreien Bereichs kaum 10 % des Kerndurchmessers dk ausmacht.

Die in Bild 2.8 (b) dargestellten Querdruckspannungen σcq übersteigen bei grossen Verhältnissen (Øb·fy) / (dk·fc) und sehr engen Stababständen die einachsige Betondruckfestigkeit fc.

Mit den Querdruckspannungen überschreiten auch die Fächerhauptdruckspannungen −σcF an der Fächerumrandung ED den Betrag fc, wodurch die in Bild 2.6 (c) dargestellte modifizierte Fliessbe-dingung von Coulomb verletzt wird.

(a) (b)

00

10,5

1

Fu3

Fu

=d/dk

1,15

1,25

2

3

4

5

6

7

1,35

0,85

0,65

1,00ob

dk=

0,50

fy

fc

ds k/

0

010,5

σcq

fc

1

0,5

1,5

ob

dk=

fy

fc0,85

0,65

1,00

0,50

ds k/

(c) (d)

00

10,5

cdk

0,1

0,05

1,00

0,85

0,65

0,50

ob

dk=

fy

fc

ds k/

0

010,5

ds kc /

dk3

dk

0

1

0,5

ob

dk=

fy

fc0,85

0,65

1,00

0,50

Bild 2.8 – Einfluss des Umschnürungsbewehrungsabstands s auf (a) die Bruchlast von Stützen im Vergleich

zur Bruchlast ohne Berücksichtigung der Umschnürungswirkung, (b) die Querdruckspannung –σcq, (c) die Abmessung c des spannungsfreien Stützenbereichs und (d) den dreiachsig gedrückten Be-reich vom Durchmesser dk3.

Der Verlauf der in Bild 2.7 (b) dargestellten Fächerhauptdruckspannungen −σcF in Punkt E zeigt, dass die einachsige Druckfestigkeit fc nur für sehr enge Stababstände überschritten wird. Die Fächer-abmessungen beschränken sich bei diesen kleinen Umschnürungsbewehrungsabständen auf einen sehr kleinen Stützenbereich, wie aus Bild 2.8 (d) mit der Darstellung des dreiachsig gedrückten

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Stahlbetonstützen

Bereichs mit Durchmesser dk3 = dk – b – c ersichtlich ist. Die Fächerhauptdruckspannungen −σcF nehmen bis zur Knotenumrandung BC zu, wo sie, wie die Bilder 2.7 (a) und (b) zeigen, gleichzeitig mit σcb den Betrag von fc überschreiten. Somit wird die Fliessbedingung von Coulomb für lokale Druckspannungen, wie sie von einem Umschnürungsbewehrungsstab hervorgerufen werden, verletzt.

Bei Betonprüfungen zeigen Stempeldruckversuche, dass der Beton in der Lage ist, lokal viel höhere einachsige Druckspannungen aufzunehmen als die in Zylinderdruckversuchen gefundene einachsige Druckfestigkeit fc [95]. Dies lässt sich unter Berücksichtigung der einachsigen Betonzugfestigkeit auch theoretisch aufzeigen [23].

2.3.3 Begrenzung des Verformungsvermögens

In verformungsgesteuerten Versuchen mit umschnürten Stützen können die Stauchungen nach Erreichen der Höchstlast noch gesteigert werden. Das Verformungsvermögen von Stützen, welches in statisch unbestimmten Systemen eine wichtige Rolle spielt, wird durch das Ausknicken der Längsbewehrungsstäbe oder das Zerreissen der Querbewehrung begrenzt. Vor Eintreten der Versagensmechanismen wird die Fliessgrenze fy in der Längs- und Querbewehrung bereits erreicht.

(a) (c)

x

w

w10

1

w2

1

x2

Pcr

Pcr

w20

s2

E I s1

E Iα2

s2

s

sWP

WendepunktWP:

(b)

εs

σs

fy

fy

Es

1

s1

Eα2

AB

1

Es

1sEα2

εsh

εsh

00

εcr

s

0,02

0,01

=

/ i

Es 205 GPa=Es GPa2= MPa500fy

= %20εsh

100

α2

Bild 2.9 – (a) Modellierung des Knickstabs mit sprunghaft ändernder Biegesteifigkeit; (b) Stoffgesetz der Längsbewehrung; (c) Knickstauchung in Abhängigkeit der Schlankheit s / i.

Zur Abschätzung der kritischen Stauchung −εcr, bei welcher ein Längsstab ausknickt, wird dieser nach [102] auf der Höhe der Querbewehrung mit einer festen Einspannung modelliert, siehe Bild 2.9 (a). Für naturharte und vergütete Stähle, deren Stoffgesetz in Bild 2.9 (b) gezeigt wird, erreicht der gedrückte Stab bei Erreichen der Fliesslast Pcr = As fy auf der gesamten Länge die Stauchung −εsy = fy / Es, siehe Punkt A. Bei weiterer Verformungssteigerung entsteht ein inhomogener Verzerrungszustand. Eine Fliesszone breitet sich beidseitig des „schwächsten“ Punktes aus, indem

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Umschnürungswirkung

die Stauchungen innerhalb der Zone bis zum Übergang zum Verfestigungsbereich auf −εsh anwach-sen, Punkt B, während sie ausserhalb unverändert bleiben. Bei der Modellierung des Knickstabs breitet sich die Fliesszone der Länge 2·s2 mit der Biegesteifigkeit α2 Es I symmetrisch von der Mitte her aus. Die Biegesteifigkeit ausserhalb der Fliesszone beträgt Es I.

Wird die Ausbiegung w(x) des Längsstabs auf die Wirkungslinie der Fliesslast Pcr bezogen, lautet die Differentialgleichung der Knickbiegelinie

׀׀ 2 0 , crPw k w kEI

+ = = (2.13)

mit der allgemeinen Lösung w = A·sin(kx + ϕ), wobei ׀׀ 2( ) d / d 2x= . In Anlehnung an [41] wird die Funktion

׀

( ) cot( )wr x k kxw

= = + ϕ (2.14)

mit nur einer unbekannten Integrationskonstanten ϕ definiert, welche an den Rand- und Übergangs-punkten vorgegebene Werte für und w erfüllen muss, wobei ׀w )׀ ) d / dx= . Für die in Bild 2.9 (a) dargestellte Knickfigur liefert (2.14)

׀1

1 1 1 11

( ) cot ( ) undwr x k k xw

= = α α + ϕ (2.15)

׀2

2 2 2 22

( ) cot ( )wr x k kxw

= = + ϕ , (2.16)

wobei k2 = Pcr / (α2EsI ). Bei x1 = 0 ist w1 = −w10, ׀ 0w = und somit r1(0) = 0. Daraus ergibt sich

cotϕ1 = 0, woraus ϕ1 = π / 2 folgt. Analog ergibt ϕ2 = π / 2. Im Übergang von s1 zu s2 gilt w1 = w2, und somit r׀

1w w= ׀2 1(s1) = r2(−s2). Daraus resultiert die Beziehung

1 2tan( ) tan( )ks ks−α α = , (2.17)

aus welcher mit s1 = s / 2 − s2 iterativ die Länge des Fliessbereichs s2 in Abhängigkeit des Querbeweh-rungsabstands s bestimmt werden kann. Aus der Grenzbetrachtung mit s1 = 0 bzw. s2 = 0 folgt, dass sich s für 0 < α < 1 zwischen den Grenzen

2Ø Ø2 2

s s

y y

E Esf f

απ π≤ ≤ (2.18)

befindet. Bei kleineren oder grösseren Werten von s liegen die Knickspannungen unter bzw. über der Fliessgrenze −fy. Bild 2.9 (c) zeigt die Knickstauchungen

( )1 22

cr sy shs ss

ε = ⋅ ε + ⋅ ε (2.19)

für verschiedene Verhältnisse des Umschnürungsbewehrungsabstands s zum Trägheitsradius i = Ø/4. Für kleine Schlankheiten s / i ist das Knicken der Längsbewehrung nicht massgebend, wodurch das

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Stahlbetonstützen

Verformungsvermögen der umschnürten Betonstütze durch das Zerreissen der Umschnürungsbeweh-rung begrenzt wird.

2.4 Zusammenfassung

In Stützen ist stets ein minimaler Längsbewehrungsgehalt vorzusehen, und ein maximaler Beweh-rungsgehalt soll nicht überschritten werden. Die Bügelbewehrung verhindert das lokale Ausknicken der Längsstäbe, wirkt als Querkraftbewehrung, stabilisiert während der Montage den Bewehrungs-korb und umschnürt bei sorgfältiger Anordnung den Betonkern.

Die Kombination von aufgebrachter Druckkraft und dem Moment, welche den Bruch eines Quer-schnitts herbeiführt, kann in einem Interaktionsdiagramm dargestellt werden. Mit abnehmender Druckkraft vergrössert sich das aufnehmbare Moment, bis für sehr geringe Druckkräfte das Moment wieder abnimmt. Mit der Erhöhung des Bewehrungsgehalts steigt der Tragwiderstand des Stützen-querschnitts an. Der reine Betonquerschnitt kann ohne einwirkende Druckkraft keine Momente aufnehmen. Alle Momenten-Normalkraft-Kombinationen, welche in symmetrisch bewehrten Querschnitten unterschiedlichen Bewehrungsgehalts dieselbe Krümmung hervorrufen, liegen auf Geraden.

Die Momenten-Krümmungs-Beziehung eines Stützenquerschnitts verändert sich für unterschiedliche konstante Druckkräfte. Mit zunehmender Druckkraft nehmen die Krümmungen im Bruchzustand ab, die Dekompression des Querschnitts wird bei grösseren Krümmungen erreicht, und die nach Fliess-beginn der Zugbewehrung auftretende Krümmungszunahme, welche bei geringer Steigerung der Momente erfolgt, verringert sich. Bei mässigen konstanten Druckkräften in Stützen mit kleinen Querschnittsabmessungen erreichen im Bruchzustand weder die Druck- noch die Zugbewehrung die Fliessgrenze; der Querschnitt bricht spröd. Wirken grosse Druckkräfte auf Stützenquerschnitte, erreicht die Druckbewehrung die Fliessgrenze vor Erreichen des Bruchmoments; die Krümmungszu-nahmen vom Fliessbeginn bis zum Bruch sind gering. Der Querschnitt dekomprimiert bis zum Bruch nicht. Wird die maximal aufnehmbare Druckkraft auf den Querschnitt aufgebracht, darf zusätzlich kein Moment wirken, kleine Krümmungen können jedoch auftreten.

Greifen die Druckkräfte exzentrisch zur Stützenachse an, erzeugen diese Momente, welche bewirken, dass sich die Stütze in Querrichtung ausbiegt. Dadurch werden die Momente in den Querschnitten vergrössert, wodurch die Querauslenkungen bis zu einem stabilen Gleichgewicht ansteigen. Daraus resultiert eine nicht lineare Last-Momenten-Kurve, welche bei der Berechnung von schlanken Stützen berücksichtigt werden muss. Bei gedrungenen Stützen ergeben die am unverformten System bestimmten Momente ausreichend genaue Resultate. Die durch die Querverformung entstandenen Zusatzmomente steigen mit Zunahme der Stützenlänge. Bis zu einer gewissen Stützenlänge wird die Bruchlast durch Materialversagen begrenzt. Bei sehr schlanken Stützen erreichen die Querbiegungen Werte, bei denen die Last-Momenten-Kurve ihr Maximum erreicht, bevor sie die Momenten-Normalkraft-Interaktionskurve schneidet; die Stütze erleidet ein Stabilitätsversagen. Erst kurz vor Erreichen der Bruchlast konzentriert sich die Krümmungszunahme auf einen beschränkten Bereich der Stütze. Die grössten Bruchverformungen weist eine Stütze auf, die sich gerade im Übergang vom Material- zum Stabilitätsversagen befindet. Die Bruchlast verringert sich mit zunehmender Entfer-nung des Lastangriffspunkts von der Stabachse.

Das Anbringen einer Umschnürungsbewehrung verändert das Tragverhalten einer Stütze. Im linear elastischen Bereich des Betons wird die Umschnürungsbewehrung wegen der geringen Querdehnun-gen kaum aktiviert. Erst bei weiterer Steigerung der Axialspannugen nehmen die Spannungen in der Umschnürungsbewehrung zu und erzeugen einen merklichen Querdruck. Die Querdehnungen des Kernbetons innerhalb der Umschnürungsbewehrung werden behindert, wodurch die Betondruckfes-tigkeit sowie die Bruchverformungen gesteigert werden. Bei Erreichen der einachsigen Betondruck-festigkeit wird der Überdeckungsbeton abgesprengt. Der Bruch wird durch das Zerreissen der Umschnürungsbewehrung oder das Ausknicken der Längsstäbe herbeigeführt. Das Verformungs-vermögen von Stützen spielt in statisch unbestimmten Systemen eine wichtige Rolle. Zur Beschrei-

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Zusammenfassung

bung der Spannungsverteilung im Bruchzustand einer umschnürten Stütze kann ein räumliches Spannungsfeld verwendet werden. Die lokal auf den Beton wirkenden Umlenkkräfte werden durch einen Fächer in den Kernbeton eingeleitet. Die dreiachsige Betondruckfestigkeit wird nur innerhalb der Einleitungszone erreicht, wodurch die Bruchlast gegenüber derjenigen der nicht umschnürten Stütze mit Berücksichtigung des Überdeckungsbetons nur bei engen Stababständen der Umschnü-rungsbewehrung erhöht wird. Bei sehr engen Abständen der Umschnürungsbewehrung übersteigen die Spannungen in den nicht dreiachsig gedrückten Bereichen im Bruchzustand die einachsige Betondruckfestigkeit. Sowohl Stempeldruckversuche als auch theoretische Erwägungen bestätigen, dass der Beton in der Lage ist, lokal höhere Spannungen aufzunehmen. Wird der Achsabstand der Umschnürungsbewehrung bis auf deren Durchmesser minimiert, verschwindet die Einleitungszone, und das gesamte Betonvolumen innerhalb der Umschnürungsbewehrung ist dreiachsig gedrückt. Damit wird bei gegebenem Bewehrungsgehalt die theoretisch höchste Bruchlast erreicht. Praktisch lässt sich dieser Wert jedoch nicht erzielen, da das einwandfreie Einbringen und Verdichten des Betons mindestens einen lichten Stababstand identisch dem Grösstkorn erfordert.

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Stahlbetonstützen

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Die Anfänge der Baustoffkunde

3 Anfänge der Werkstoffprüfung und Festigkeitslehre

3.1 Die Anfänge der Baustoffkunde

In wissenschaftlicher Hinsicht wurde die Baustoffkunde erstmals von den Architekturtheoretikern im 15. Jahrhundert behandelt. Leon Battista Alberti1 beispielsweise beschreibt im zweiten Buch seines Werks „De re aedificatoria“ nach dem Vorbild Vitruvs2 verschiedene Holzarten nach ihrer Eignung für unterschiedliche Bauzwecke, zählt die natürlichen Bausteine Italiens nach geografischen Ge-sichtspunkten auf und geht auf die Herstellung von Backsteinen und Bindemitteln ein [4]. Die ersten systematischen Untersuchungen der Baustoffe wurden von Physikern im 17. und frühen 18. Jahrhun-dert durchgeführt, vorzugsweise an Glas. Glas eignete sich vorzüglich zur Erforschung seines elastischen Verhaltens sowie seiner Festigkeitseigenschaften, fand aber in jener Zeit als Baustoff keine Verwendung. Im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts entfaltete sich ein grosses Interesse an der experimentellen Erforschung der Biegefestigkeit von Holz, Metall und Glas, welche allgemein schon früher von Galileo Galilei3 theoretisch behandelt worden war und von Edmé Mariotte4 und Gottfried Wilhelm Leibniz5 weiterverfolgt wurde. Erst im 18. Jahrhundert wurden die Elastizität und die Festigkeit von Baustoffen in ausgedehnten Versuchsreihen systematisch bestimmt. Darunter fallen auch Druckversuche an Natursteinen [162].

3.1.1 Erste Druckfestigkeitsversuche

Die ersten Experimente zur Ermittlung der Festigkeit von Natursteinen, welche im Säulenbau neben Holz und Eisen zur Anwendung kamen, wurden in Frankreich durchgeführt. Charles Augustin Coulomb6 bestimmte erstmals die Zugfestigkeit von Natursteinen, deren Resultate er 1773 in den „Mémoires des savants étrangers“ und 1784 in den „Mémoires de l’académie des sciences“ veröf-fentlichte. 1774 beschrieb Émiland Marie Gauthey7 Versuche über die Bestimmung der Druckfestig-keit von Natursteinen und Hölzern. Im Zusammenhang mit dem Bau der Kirche Sainte-Geneviève in Paris 1757 bis 1790, dem heutigen Panthéon, führten Jacques-Gérmain Soufflot8 und sein Mitarbeiter Jean-Baptiste Rondelet9 Druckversuche an Steinen und Mörtel durch, welche später in Rondelets „Traité théorétique et pratique de l’art de bâtir“ veröffentlicht wurden. Weitere Untersuchungen zur

1 Leon Battista Alberti (1404–1472); italienischer Mathematiker und Architekt. 2 Vitruv; römischer Architekt, Ingenieur und Schriftsteller. 3 Galileo Galilei (1564–1642); italienischer Physiker, Mathematiker und Astronom. Galilei wirkte ab 1589 als Lektor für

Mathematik an der Universität Pisa. Nach seiner Berufung 1592 auf den Lehrstuhl der Mathematik in Padua wurde er 1610 vom Großherzog der Toskana, Cosimo II. de Medici zum Hof-Mathematiker und -Philosophen in Florenz ernannt.

4 Edmé Mariotte (1620–1684); französischer Physiker. 1666 wurde Mariotte als Mitglied der Pariser Akademie der Wissenschaften aufgenommen.

5 Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716); deutscher Philosoph, Wissenschaftler, Mathematiker und Physiker. Leibniz war Mitglied der Royal Society und gründete 1700 die Akademie der Wissenschaften in Berlin.

6 Charles Augustin Coulomb (1736–1806); französischer Ingenieur und Physiker. Er war anfangs Ingenieuroffizier und später in verschiedenen staatlichen Ämtern tätig. 1781 wurde er Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Paris.

7 Émiland Marie Gauthey (1732–1806); französischer Bauingenieur und Onkel Naviers. Gauthey war Erbauer verschied-ner Kanäle Frankreichs. 1758 erfolgte die Wahl zum Mitglied der Akademie von Dijon und 1782 die Ernennung zum Generaldirektor der Kanäle von Bourgogne. 1791 wurde Gauthey zum Generalinspektor des Strassen- und Brückenbaus in Paris ernannt.

8 Jacques-Gérmain Soufflot (1713–1780); französischer Architekt. Soufflot studierte in Rom und erbaute neben dem Panthéon auch die Sakristei und Schatzkammer der Notre Dame in Paris.

9 Jean-Baptiste Rondelet (1743–1829); französischer Architekt und Architekturtheoretiker.

25

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Anfänge der Werkstoffprüfung und Festigkeitslehre

Ermittlung der Druckfestigkeit von Natursteinen wurden vereinzelt im ersten Drittel des 19. Jahrhun-derts vor allem von Thomas Tredgold10 und White in London sowie von Doyat in Paris durchgeführt. Louis Joseph Vicat11 hatte an Mörtelproben u. a. die Abhängigkeit der Druckfestigkeit prismatischer Körper von ihrer Länge untersucht [162].

Stuttgart 1829Karlsruhe 1825

Zürich 1855

Aachen 1870Breslau 1910

Paris 1794

Prag 1806

London 1826

Berlin 1821

Wien1815

Graz1811

Lemberg (Lviv)1844

St. Petersburg1899

Darmstadt 1826

Danzig (Gdansk)1904

Delft1842

Madrid 1802

Turin 1859

München1840

Mailand1863

Hannover1831

Braunschweig1835

Cambridge 1875

Oxford 1880

Stockholm1827

Kopenhagen 1829

Dresden1828

Warschau 1898

Bild 3.1 − Entstehung von Polytechnischen Universitäten und Schulen in

Europa bis 1914; die Territorien der damaligen Grossmächte sind grau hinterlegt.

Mit der Entstehung der Ingenieurwissenschaften in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und den darauf folgenden Gründungen polytechnischer Schulen in Europa12 (Bild 3.1) entstand als Gegen-

10 Thomas Tredgold (1788–1829); englischer Ingenieur und Schriftsteller in den Gebieten der Mathematik und Mechanik.

1823 begann Tredgold in London seine Arbeit als selbständig erwerbender Ingenieur und widmete nebenher der Nieder-schrift seiner gerühmten Ingenieurbücher viel Zeit.

11 Louis Joseph Vicat (1786–1861); französischer Ingenieur und Erfinder der künstlich hergestellten hydraulischen Kalke. 12 Die meisten Technischen Hochschulen Europas gingen aus Fachschulen ausserhalb des Universitätssystems hervor.

Überall in Europa beschäftigten sich Naturphilosophen immer stärker mit praktischen Fragen. Mitglieder von Akademien und wissenschaftlichen Gesellschaften sowie Professoren höherer Schulen waren als Experten und Ratgeber in der Industrie tätig. Die naturwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen der traditionellen Universitäten boten jedoch bis ins späte 18. Jahrhundert kaum hilfreichen Stoff zur Problemlösung praktischer Ingenieuraufgaben. Zur Ausbildung der in der Armee und öffentlichen Ämtern eingesetzten Fachbeamten zur technischen Aufsicht, z. B. im Berg- oder Strassen-bau, wurden neue Schulen wie Bergbauakademien oder Militärschulen mit besonderer Ausrichtung auf angewandte Wissenschaften gegründet. Oft wurden Ingenieure, die für die Armee ausgebildet worden waren, für die Planung und Ausführung öffentlicher Bauten eingesetzt. 1748 schaffte das Handelsministerium in Paris mit dem Angebot besonderer Kurse für die Beamten des Corps des Ponts et Chaussées erstmals eine eigene Schule zur Ausbildung von Anwärtern für das öffentliche Bauwesen. Später wurden in der 1794 gegründeten École Polytechnique, welche in ganz Europa als Vorbild galt, die allgemeinen wissenschaftlichen Grundlagen der Technik gelehrt [139]. Nach dem Ende des Napoleoni-schen Kriegs 1815 war man in den Königreichen des deutschen Bundes bestrebt, angesichts des industriellen Vorsprungs Englands die materiellen und kommerziellen Verluste mit rationeller Technik wett zu machen. Dazu wurden technische Schulen benötigt. Durch die Leistungen des böhmischen Mathematikers und Physikers Franz Josef Gerstner (1756–1832) entstand als Vorläufer aller polytechnischen Schulen innerhalb des deutschen Bundes 1806 das „böhmisch-technische Institut“ in Prag [140].

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Die Anfänge der Baustoffkunde

stück zur experimentellen Forschung Anfang des 19. Jahrhunderts eine allgemeine Theorie über die Elastizität und Festigkeit. Diese wurde u. a. von den Franzosen August Louis Cauchy13, Siméon Denis Poisson14 und Gabriel Lamé15 begründet und von Adhémar Jean Claude Barré de Saint-Venant16 und Rudolph Friedrich Alfred Clebsch17 weiterentwickelt. Durch die Übersetzung der französischen Werke ins Deutsche konnten sich die Kenntnisse der rein wissenschaftlichen Mechanik im deutschsprachigen Raum ausbreiten. Die Elastizitätstheorie kam vor allem im Maschinen-ingenieurwesen zur Anwendung und wurde zur Grundlage für die Bemessung von Maschinen- und Baukonstruktionen. Für die Berechnung grosser Baukonstruktionen wurden von den Bauingenieuren die veröffentlichten Versuchsergebnisse und Festigkeitswerte der wichtigsten Baustoffe verwendet. Die Wissenschaftler an den technischen Hochschulen standen der Praxis viel zu fern, als dass sie für Ingenieure angemessene Lehrbücher herausgeben konnten [140]. Die in den verschiedenen Werken angegebenen Mittelwerte der Elastizitäts- und Festigkeitskoeffizienten wichen stark voneinander ab, was für die Berechnungen der Ingenieure hinderlich war.

Als Assistent am Dresdner Polytechnikum stellte Emil Winkler18 alle ihm bekannten Festigkeits-versuche zusammen und bildete selbst Mittelwerte, welche er 1863 veröffentlichte [175]. Auszugs-weise sind in Bild 3.2 die in Tabelle IV und VI aufgeführten Werte der Zugfestigkeit von Drähten unterschiedlichen Materials resp. der Druckfestigkeit verschiedener Natur- und Kunststeine darge-stellt. Die Zugfestigkeit der Drähte, welche mit zunehmendem Durchmesser abnimmt, beschrieb Winkler anhand der nur begrenzt gültigen Formel von Karl Karmarsch19, welche unterhalb der Tabelle IV aufgeführt ist. δ stellt die Dicke in cm dar, wobei gemäss der Formel die Zugfestigkeit der Drähte mit dem Durchmesser δ = 0 gegen Unendlich geht. Für gewöhnliche nicht geglühte Eisen-drähte mit 6 mm Durchmesser ergibt die Formel eine Festigkeit von 445 N/mm2, was ca. 20 % unter derjenigen von heute verwendeten Betonstählen liegt. Zur Ermittlung der in Tabelle IV aufgeführten Erfahrungszahlen A und C hatte Karmarsch in Wien ausführliche Versuche unternommen. Die Druckspannung der Steine, bei welcher die bleibende Formänderung beginnt, von Winkler Grenzko-effizient genannt, setzte er ungeachtet der jeweiligen Streubreiten zu 3/4 der angegebenen Mittelwer-te in Tabelle VI; analog bestimmte er die Zugfestigkeit zu 1/8 der Druckfestigkeit.

13 Augustin Louis Cauchy (1789–1857); französischer Mathematiker. Ab 1815 lehrte er als Professor an der École

Polytechnique bis er anlässlich der Julirevolution 1830 ins Exil in die Schweiz flüchtete. 1831 wurde er auf dem Lehr-stuhl für Theoretische Physik in Turin eingesetzt, folgte dann 1833 König Karl X nach Prag, siedelte 1836 mit seiner Familie nach Görz um und kehrte 1839 nach dem Tod seiner Mutter wieder nach Paris zurück.

14 Siméon Denis Poisson (1781–1840); französischer Physiker und Mathematiker, Professor der Analyse, Mechanik und rationellen Mechanik an der École Polytechnique. 1812 wurde er Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Paris. Später folgten die Mitgliedschaften in den gelehrten Gesellschaften zu London, Edinburgh und der Berliner Akademie.

15 Gabriel Lamé (1795–1870); französischer Bauingenieur und Physiker. 1820 wurde er Direktor der Schule für Straße und Transport in St. Petersburg und 1832 Professor für Physik an der École Polytechnique in Paris.

16 Adhémar Jean Claude Barré de Saint-Venant (1797–1886); französischer Ingenieur. Saint-Venant arbeitete bis 1848 für den Service des Ponts et Chaussées, worauf er als Nachfolger Gustave Coriolis an der École des Ponts et Chaussées Mathematik lehrte. 1868 wurde er Nachfolger Poncelets in der Sektion für Mechanik der wissenschaftlichen Akademie in Paris.

17 Rudolph Friedrich Alfred Clebsch (1833–1872); deutscher Mathematiker. Er war Mitglied der Bayrischen Akademie der Wissenschaften und übernahm 1858 eine Professur der mathematischen Physik an der Universität in Berlin. Im Herbst desselben Jahres wurde er an die Polytechnische Schule in Karlsruhe berufen, und 1868 wurde er ordentlicher Professor in Göttingen.

18 Emil Winkler (1835–1888); deutscher Ingenieur. 1865 wurde er ordentlicher Professor der Ingenieurbaukunde an der Polytechnischen Schule in Prag, worauf er 1868 als Professor für Eisenbahnkunde und Brückenbau nach Wien wechselte und 1877 die Professur für Statik und Baukonstruktionen an der Berliner Bauakademie übernahm.

19 Karl Karmarsch (1803–1879); deutscher Technologe. 1830 wurde er zum Direktor an der Höheren Gewerbeschule in Hannover ernannt, wo er Mechanische Technologie und Theoretische Chemie lehrte. 1851 und 1862 sowie 1855 war er Jurymitglied der Weltausstellungen in London bzw. Paris.

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Anfänge der Werkstoffprüfung und Festigkeitslehre

Bild 3.2 – Winkler: Zusammenstellung der Zugfestigkeit von Drähten unterschiedlichen

Materials sowie der Druckfestigkeit verschiedener Steine (A und D in kg/cm2, C in kg/cm) [175].

3.2 Entwicklung von Bruchkriterien

Zur Dimensionierung der Konstruktionsteile mussten Grenzen für die zulässige Beanspruchung sowie geeignete massgebende Baustoffkennwerte zur Bestimmung des Bruchwiderstands definiert werden. Bis ins 20. Jahrhundert versuchte man, Versuchsergebnisse, die man mit einem bestimmten Werkstoff erhalten hatte, zur Grundlage einer allgemeinen Theorie des Materialversagens zu machen. Dadurch entstanden viele zum Teil sich widersprechende Bruchhypothesen, die mit den aus den Versuchen gewonnenen Erkenntnissen nicht in Einklang gebracht werden konnten. Nach zahlreichen Untersuchungen verschiedenartiger Werkstoffe erkannten die Wissenschaftler die Unmöglichkeit einer umfassenden Bruchtheorie und die Notwendigkeit, auf den Aufbau der Werkstoffe und die Bruchmechanismen im Einzelnen einzugehen. So entstanden sowohl anhand des Studiums des inneren Aufbaus der Stoffe als auch durch die experimentelle Feststellung der Bruchzustände für die verschiedenen Werkstoffe eigene Bruchkriterien. Für Metalle, von denen die meisten unbehandelt ein ausgeprägtes Fliessplateau aufwiesen, scheiterte anfänglich der Versuch, das plastische Verhalten zu beschreiben und daraus ein Bruchkriterium zu formulieren, was zur Festlegung verschiedener Fliessbedingungen führte [134].

Die Ansichten über die für den Bruchwiderstand massgebenden Baustoffkennwerte gingen anfäng-lich weit auseinander und stützten sich auf die drei nachfolgend beschriebenen, im 18. resp. 19. Jahrhundert aufgestellten Hypothesen.

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Entwicklung von Bruchkriterien

3.2.1 Theorie der grössten Spannung

Die Spannungsbegriffe, „pression ou tension“, stammen von Cauchy, der 1822 erstmals einen Auszug seiner Untersuchungen in „Recherches sur l’équilibre et le mouvement intérieur des corps solides ou fluides, élastiques ou non élastiques“ veröffentlichte; nähere Ausführungen, worunter auch die Einführung des Spannungstensors fielen, folgten 1827 und 1828 [111]. 1857 übernahm William John Macquorn Rankine20 den Spannungsbegriff für eine neue Theorie zur Berechnung des Erd-drucks, welche er in der Abhandlung „On the stability of loose earth“ aufstellte. Die Spannungen bezeichnete er im Englischen als „stress“ [140]. Er benützte das Wort im Sinne eines Widerstands, den der Körper einer Formänderung entgegensetzt, während Cauchy unter „tension“ den Druckzu-stand verstand, der von aussen auf den Körper ausgeübt wird [109].

Zur Ermittlung der Bauteilabmessungen benötigten die Ingenieure eine Begrenzung der in den Querschnitten ermittelten Spannungen, wodurch im englischen und amerikanischen Sprachraum eine erste Bruchhypothese aufgestellt wurde. Diese setzte voraus, dass die Grenze der Tragfähigkeit nur von der grössten der drei Hauptspannungen abhängt, ohne die anderen beiden zu berücksichtigen. Für die Grenzwerte der Hauptspannungen wurden hauptsächlich Tabellenwerke Rankines verwendet. Dieser hatte aus Festigkeitsversuchen die Zug- und Druckfestigkeiten unterschiedlicher Materialien ermittelt und zusammengestellt.

3.2.2 Theorie der grössten Dehnung

Louis Auguste Marie Henri Navier21 beschäftigte sich in dem 1819 der Pariser Akademie der Wissenschaften überreichten Werk „Mémoire sur la flexion des verges élastiques courbes“ mit der Bruchfestigkeit eines auf Biegung und Normalkraft beanspruchten Querschnitts und legte als Bruchgrenze die grösste Stauchung fest. Er formulierte die linear elastische Beziehung für die zulässige Bruchdehnung σu / E

2

2d ,d

u N yzE EA xσ

= + (3.1)

wobei z den Abstand zur gedrückten Randfaser und −d2y/dx2 eine Annäherung der Stabkrümmung darstellt. Das oben erwähnte Werk Naviers wurde infolge persönlicher Intrigen gewisser Mitglieder der Pariser Akademie der Wissenschaften erst 1825 auszugsweise veröffentlicht und war ausserhalb Frankreichs nur beschränkten Kreisen bekannt. St. Venant erhob gegen die Ansichten Naviers zahlreiche Einwendungen und fügte in der von ihm herausgegebenen dritten Auflage von Naviers Werk eigene Notizen an [140].

Die zweite gebräuchliche Auslegung eines Bruchkriteriums stützte sich somit auf die Ansichten St. Venants, welche er 1837 in die Festigkeitslehre einführte und die 1839 von Jean-Victor Poncelet22

20 William John Macquorn Rankine (1820–1872); englischer Ingenieur und Mathematiker. Als Nachfolger Lewis Gordons

übernahm Rankine 1852 die Professur für Civil Engineering and Mechanics an der Universität in Glasgow. 1849 wurde er Fellow of the Royal Society of Edingburgh, 1853 Fellow of the Royal Society of London. 1862 wirkte er als Jurymit-glied an der Weltausstellung in London.

21 Louis Auguste Marie Henri Navier (1785−1836); französischer Ingenieur, Neffe von Émilan-Marie Gauthey. Als Ingenieur für Strassen- und Brückenbau gab er zahlreiche Werke über ingenieur-mechanische Erörterungen heraus. 1819 wurde Navier Professor der Mechanik an der École des Ponts et Chaussées und 1824 Mitglied der Akademie der Wissen-schaften in Paris.

22 Jean-Victor Poncelet (1788–1867); französischer Mathematiker. 1834 wurde er in die Akademie der Wissenschaften in Paris aufgenommen, 1838 folgte er der Berufung zum Professor an der wissenschaftlichen Fakultät in Paris. 1848 wurde Poncelet zum Kommandanten der École Polytechnique in Paris ernannt, 1851 und 1862 sowie 1855 war er Jurymitglied der Weltausstellungen in London bzw. Paris.

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Anfänge der Werkstoffprüfung und Festigkeitslehre

ebenfalls angewandt wurde. Die grösste Dehnung unabhängig der in Querrichtung auftretenden Dehnungen für den Bruch als massgebend zu erachten, wurde von St. Venant beanstandet. Er war der Ansicht, dass stets die grösste, positive spezifische Längenänderung den Bruchwiderstand bestimmt und somit bei einachsiger Beanspruchung die Querdehnung für die Druckfestigkeit massgebend sei. In Deutschland wurde diese Auslegung vor allem unter dem Einfluss von Franz Grashof23 verfolgt. Dieser legte später infolge der nahezu gleichen Zug- und Druckelastizität von Schmiedeeisen und Stahl zusätzlich einen zulässigen Wert der Stauchung fest. Daraus entwickelte sich das Berechnungs-verfahren der so genannten „reduzierten Spannung“

mred32

1σ+σ

−σ=σ , (3.2)

wobei m das Verhältnis der Längsdehnung zur Querkontraktion also den Kehrwert der Querdehnzahl und σ1–3 die Hauptspannungen darstellen. Als Grenzwert der zulässigen Beanspruchung durfte der durch Vertauschen der Hauptspannungen gewonnene grösste Betrag von σred einen bestimmten Bruchteil der grössten positiven bzw. negativen Hauptdehnungen, multipliziert mit dem Elastizitäts-modul, nicht überschreiten [82, 83].

Die Anwendung der ersten beiden Bruchkriterien bei der Bemessung von Bau- und Maschinenteilen erfolgte uneinheitlich. Für die Grenze der zulässigen Spannungen wurden als Bezugspunkt gewöhn-lich die Festigkeitswerte eines Materials gewählt. Friedrich Karl Hermann Wiebe24, der seit 1846 am Gewerbeinstitut sowie an der Bauakademie zu Berlin Maschinenbaukunde lehrte, bezog die Koeffi-zienten hingegen für alle Arten der üblichen Festigkeitsberechnungen auf die Elastizitätsgrenze. « Als Grundsatz für alle Maschinen- und Bauconstructionen sollte man feststellen: dass [...] die Grenze des Gleichgewichtes nicht nur die Elasticitätsgrenze nicht erreicht, sondern noch in angemessener Entfernung von derselben sich befinde » [174, S. 414]. Anders als viele andere teilte Franz Reu-leaux25, welcher in Zürich von 1856–64 Professor für Maschinenbaukunde war, die Ansichten Wiebes. Die Dimensionierung der Konstruktionsteile nach diesem Gesichtspunkt bezeichnete Wiebe als „Berechnung auf Festigkeit“. Des Weiteren nannte er die Vermeidung bleibender Deformationen als Grundsatz zur Aufstellung von Grenzen für die zulässige Beanspruchung verformungsempfindli-cher Konstruktionen und beschrieb diese als „Berechnung auf Formveränderung“ [174].

3.2.3 Theorie der grössten Schubspannung

Die letzte der drei Auffassungen wurde von Coulomb aufgestellt. Er erachtete die Schubspannung in der Bruchfläche als massgebendes Bruchkriterium. 1773 berichtete Coulomb in einem Vortrag vor der französischen Akademie der Wissenschaften über die mathematische Ermittlung der Festigkeit eines auf Druck beanspruchten, quadratischen Mauerwerkspfeilers aus rein kohäsivem Material mit Kantenlänge a. Durch Variation des Neigungswinkels α zwischen der Grundfläche DM und der angenommenen Bruchebene CM, siehe Bild 3.3, bestimmte er die minimale Druckkraft, welche zur Überschreitung der Schubfestigkeit in der massgebenden Bruchebene führt. « Ainsi le plus grand

23 Franz Grashof (1826–1893); deutscher Ingenieur. 1856 wurde er als Mitbegründer zum ersten Direktor des Vereins

Deutscher Ingenieure und wirkte als Schriftleiter der Verbandszeitschrift. Grashof nahm 1863 als Nachfolger von Ferdi-nand Redtenbacher die Professur für theoretische Maschinenlehre an der technischen Hochschule in Karlsruhe an.

24 Friedrich Karl Hermann Wiebe (1818–1881); deutscher Maschineningenieur. Ab 1846 war Wiebe in der Lehre der Maschinenbaukunde am Gewerbeinstitut sowie an der Bauakademie in Berlin tätig. 1879 wurde er zum ersten Direktor der Technischen Hochschule Charlottenburg gewählt.

25 Franz Reuleaux (1829–1905); deutscher Ingenieur. Von 1854 bis 1856 war Reuleaux als selbständiger Ingenieur in der Kölner Maschinenbaufabrik Baehrens tätig, worauf er zum ordentlichen Professor für Maschinenlehre an der ETH Zürich berufen wurde. 1864 wechselte er an das Gewerbeinstitut Berlin, und 1879 übernahm er die Leitung der Abteilung für Maschinenwesen an der Technischen Hochschule Charlottenburg.

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Entwicklung von Bruchkriterien

poids que la colonne puisse supporter sans se rompre, égale 2δaa, le double de la résistance qu’elle opposeroit à une force de traction, & l’angle de moindre résistance, ou de rupture, fera 45 degrés » [34, S. 11]. Mit der Kohäsion δ bezeichnete Coulomb den Widerstand gegenüber einem reinen Trennbruch.

Bild 3.3 – Coulomb: Druckfestigkeit von Mauerwerk [34].

In einem weiteren Beispiel berücksichtigte Coulomb zusätzlich einen inneren Reibungswinkel von tan ϕ = ¾ und erhielt eine Neigung der Bruchebene von tan α = 2 sowie ein Verhältnis der Druckfes-tigkeit zur Kohäsion von vier [34]. Unabhängig der Überlegungen Coulombs führte Friedrich Kick26 1877 dieselben Berechnungen durch [87], und 1885 wandte Duguet die Theorie Coulombs auf Zug an.

3.2.4 Weiterentwicklungen der drei ersten Theorien

Aufbauend auf den drei ersten Auslegungen zur Bestimmung des Bruchwiderstands eines Werkstoffs entwickelten sich zahlreiche modifizierte Bruchtheorien, deren Grundgedanken aber dieselben blieben.

1882 verwarf Otto Christian Mohr27 die Theorie St. Venants über die Abhängigkeit des Bruchwider-stands von der grössten Dehnung. Er bestimmte die Bruchgrenze eines Materials anhand der Span-nungen in der Bruchfläche und verallgemeinerte das Bruchkriterium Coulombs für mehrachsige Spannungszustände. Nach Mohr hängt die Bruchlast gleichzeitig von der grössten und kleinsten Hauptspannung bzw. Hauptdehnung ab, während der Wert der mittleren gleichgültig bleibt; er berücksichtigte dadurch in der Bruchfläche zusätzlich die Schubspannungen bzw. Schiebungen. Die Spannungszustände an der Bruchgrenze bzw. Dehnungszustände an der Elastizitätsgrenze stellte er mit Hilfe von Kreisen dar, indem er auf der Ordinate die Schubspannungen τ bzw. (halben) Schie-bungen δ und auf der Abszisse die Normalspannungen σ bzw. Dehnungen λ auftrug, siehe Bild 3.4.

Mohr empfahl die Bruch- und Fliessgrenze aus den Spannungszuständen abzuleiten « ... weil die Deformationen an jener Grenze der Beobachtung sich entziehen, während die Spannungszustände wenigstens annähernd sich feststellen lassen » [106, S. 136]. Die Verbindung aller Spannungsbild-punkte in den Bruchebenen bzw. Deformationszuständen an der Elastizitätsgrenze ergibt die nach Mohr benannte Hüllkurve, welche alle massgebenden Spannungskreise tangiert. Im Gegensatz zu Coulombs Bruchkriterium, dessen Fliessbedingung eine Gerade darstellt, bestimmte Mohr die

26 Friedrich Kick (1840–1915); Technologe. Kick übernahm 1892 den Lehrstuhl für Mechanische Technologie an der

Technischen Hochschule Wien und führte 1900 die Vorlesung „Mechanische Technologie für Bauingenieure und Archi-tekten“ ein.

27 Otto Christian Mohr (1835–1918); deutscher Ingenieur. Ab 1867 war Mohr Professor für Technische Mechanik, Trassieren und Erdbau am Polytechnikum in Stuttgart. 1873 wurde er zum Professor für Wasser-, Eisenbahnbau und Graphostatik am Polytechnikum in Dresden berufen, wo er von 1894 bis1900 den Lehrstuhl für Technische Mechanik und Festigkeitslehre besetzte.

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Anfänge der Werkstoffprüfung und Festigkeitslehre

Hüllkurven anhand von Festigkeitsversuchen, die Johann Bauschinger 28 seit der Gründung des

mechanisch-technischen Laboratoriums der Technischen Hochschule in München im Herbst 1871 in grosser Zahl durchgeführt hatte. Die Mohrsche Theorie stellt somit eine Verallgemeinerung der Coulombschen Bruchhypothese dar [106].

(a) (b)

(c) (d)

Bild 3.4 – Mohr: (a) Darstellung des räumlichen Spannungszustands; (b) allgemeine Darstellung von Defor-

mationszuständen an der Elastizitätsgrenze und Hüllkurve EE; (c) Elastizitätsgrenze von Besse-merstahl nach Versuchen Bauschingers, Einheit 0,1 ‰; (d) Hüllkurve BB und Spannungskreise aus Versuchen Bauschingers an sieben verschiedenen Sorten Portlandzement, Einheit kg/cm2 [106].

Ein wichtiger Sonderfall der Coulombschen Theorie – entsprechend ϕ = 0 – rührt von Versuchen an Metallen her, die 1864 unter der Leitung von Henri Tresca29 an der Académie des Sciences in Paris durchgeführt wurden. Aufeinander gesetzte Bleiplatten wurden in zylinderförmige Behälter gesetzt und mit Stempeln durch verschieden geformte Öffnungen gedrückt oder abgeschert. Folgende Ziele wurden verfolgt:

« 1° De montrer, par les résultats de nombreuses expériences, que les corps solides peuvent, sans changer d’état, s’écouler à la manière des liquides lorsqu’on exerce à leur surface des pressions suffisamment grandes;

2° De donner la théorie de cet écoulement et d’indiquer les déductions les plus importantes que l’on peut en tirer pour l’étude des mouvements moléculaires, pour celle du travail mécanique qu’ils exigent, et pour diverses autres applications » [170, S. 733].

28 Johann Bauschinger (1834–1893); 1868 wurde Bauschinger Professor an der Technischen Hochschule in München und

zwei Jahre später Leiter des mechanisch-technischen Laboratoriums. 29 Henri Edouard Tresca (1814–1884); französischer Ingenieur. Tresca war zweiter Direktor des Pariser Konservatoriums

für Künste und Handwerke und Mitglied der Pariser Akademie der Wissenschaften.

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Entwicklung von Bruchkriterien

In den ersten Berechnungen 1864 betrachtete Tresca die Bewegung der Masseteilchen unabhängig der Kräfte, die auf den Körper einwirkten; erst 1868 berücksichtigte er die im Innern und auf der Oberfläche des Körpers wirkenden Druckspannungen und verband diese mit den Bewegungsglei-chungen von Flüssigkeiten. Die präsentierte Theorie über die geometrisch bestimmte Verschiebung der Masseteilchen in bildsamen Körpern unter Vorraussetzung der Volumenkonstanz schliesst Tresca mit der Bezeichnung des Fliessens fester Körper ab. « Toutes ces indications se résument pour nous dans ce mot: écoulement des corps solides, qui n’avait pas encore été prononcé, … » [170, S. 797]. Bei weiteren Durchstanzversuchen beobachtet Tresca, dass der Druck während der Durchdringung des Kolbens bis an eine bestimmte Grenze anwächst. « Cet effort maximum reste constant, dans les blocs dont la hauteur est suffisamment grande, tant que la distance entre l’extrémité du poinçon et la face inférieure du bloc est plus grande que la longueur de la débouchure » [171, S. 1199]. Den Fliesswiderstand pro Flächeneinheit bezeichnete er mit K und bestimmte die Grösse für verschiedene Materialien aus seinen Versuchen. Für Blei gab er z. B. 20 N/mm2 an [171, S. 797].

Anlehnend an die Erkenntnisse Trescas beschrieb St. Venant 1871 die Verschiebungen im Innern eines duktilen Körpers an der Fliessgrenze anhand der Beziehungen für reibungslose Flüssigkeiten und formulierte mittels Gleichgewicht am Dreieckselement für die maximale Schubspannung

22 2

2z x

zx Kσ −σ⎛ ⎞τ + =⎜ ⎟⎝ ⎠

. (3.3)

Maurice Levy30 hatte diese Beziehung bereits 1870 im Zusammenhang mit Erddruckproblemen aufgestellt [160].

In einer Arbeit über die Spannungen im Innern der Erde, welche sich auf einen Beitrag in ‚Treatise on Natural Philosophy‘ von William Thomson31 (Lord Kelvin) und Peter Guthrie Tait32 von 1863 abstützt, schrieb George Howard Darwin33 1881: « At any rate the hypothesis is here adopted that the tendency to break is to be estimated by the difference between the greatest and least principal stresses » [35, S. 199]. Die Betrachtung der „stress-difference“, wie er die Differenz der grössten und kleinsten Hauptspannung nannte, liess direkte Vergleiche mit den Resultaten aus Festigkeitsversu-chen zu, von welchen er einige Zug- und Druckversuche von Rankine und Thomson zur Verifikation seiner Theorie heranzog. Weiter erwähnte Darwin die direkte Beziehung zur grössten Schubspan-nung, die dem halben Wert der Hauptspannungsdifferenz entspricht, und machte geltend, dass die massgebende Hauptspannungsdifferenz für alle Spannungszustände gleich bleibt und ein Körper unter rein hydrostatischen Spannungen nicht zerstört werden kann [35].

Richard Martin von Mises34 präsentierte 1913 einen vollständigen Ansatz von Bewegungs-gleichungen für plastisch deformierbare Körper wobei er sich auf die Mechanik zäher Flüssigkeiten bezog. Er legte seiner Theorie eine eindeutige Zuordnung zwischen Spannung und Deformationsge-schwindigkeit zu Grunde und setzte voraus, dass ein Körper sich an der Fliessgrenze wie eine

30 Maurice Levy (1838–1910); französischer Mathematiker, Physiker und Ingenieur. 1875 wurde Levy zum Professor an der

École Centrale und 1883 zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Paris ernannt. 31 William Thomson (1824–1907); britischer Physiker. 1846 wurde Thomson auf den Lehrstuhl für Naturphilosophie an der

Universität von Glasgow berufen. Von 1856 bis 1899 war er Professor für theoretische Physik. 1866 wurde er zum Ritter geschlagen und 1892 als erster Baron Kelvin of Largs in den erblichen Adelsstand erhoben.

32 Peter Guthrie Tait (1831–1901); schottischer Physiker und Mathematiker. 1854 wurde Tait zum Professor für Mathema-tik an die Universität in Glasgow gewählt. 1860 folgte er der Berufung als Professor für Naturphilosophie nach Edin-burgh.

33 George Howard Darwin (1845–1912); britischer Astronom und Mathematiker, Sohn von Charles Darwin. 1883 wurde Darwin Professor für Astronomie und experimentelle Philosophie an der Universität in Chambridge.

34 Richard Martin von Mises (1883–1953); österreichischer Mathematiker. 1909 wurde von Mises Professor für angewandte Mathematik in Strassburg, 1918 Professor in Berlin. 1933 wurde er aus Deutschland vertrieben und flüchtete nach Istanbul. 1939 wurde er Professor an der Harvard Universität.

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Anfänge der Werkstoffprüfung und Festigkeitslehre

inkompressible Flüssigkeit verhält und bei der plastischen Deformation die Spannungen an der Fliessgrenze bleiben. Von Mises beschrieb einen beliebigen Spannungszustand

0321 =τ+τ+τ (3.4)

mit den Hauptschubspannungen τi = (σj – σk)/2, i ≠ j ≠ k, als Koordinatensystem. Alle möglichen Spannungszustände bilden demgemäss eine den Nullpunkt einschliessende Ebene, welche durch die Elastizitätsgrenze begrenzt wird. Weiter zeigte er, dass bei der Annahme der Fliessgrenze nach Tresca

Ki ≤τ , 1 3i∈ … (3.5)

die Ebene in ein regelmässiges Sechseck geschnitten wird, siehe Bild 3.5.

Bild 3.5 – Von Mises: Fliessfigur nach Tresca mit Haupt-

spannungen als Koordinatensystem [104].

« Die geradlinige Verbindung entspringt der Annahme, dass es auf die mittlere Hauptspannung, bezw. auf die kleineren Haupt-Tangentialspannungen gar nicht ankommt. Diese Annahme scheint nicht so sehr plausibel, dass man nicht versuchen dürfte, das Sechseck durch ein einfacheres Gebilde, nämlich durch den umgeschr iebenen Kre is , zu ersetzen » [104, S. 590]. Die Fliessbedingung nach von Mises

2 2 21 2 3 2Kτ + τ + τ = 2

(3.6)

erhält im Hauptschubspannungsraum somit die Form einer Kugel, welche wegen ihrer Einfachheit und Symmetrie besonders für analytische Rechnungen geeignet ist. Für linear elastische isotrope Materialien wurde der Ansatz von von Mises auch als Hypothese von der Konstanz der Gestaltände-rungsenergie gedeutet und mit den Arbeiten von Eugenio Beltrami35 und Maksymilian Tytus Huber36 verglichen, welche in Kapitel 3.2.5 erwähnt werden.

35 Eugenio Beltrami (1835–1900); italienischer Mathematiker und Eisenbahningenieur. Beltrami war Mitglied der

Bayrischen Akademie der Wissenschaften und Professor der Mathematischen Physik in Rom. 1898 wurde er zum Präsi-denten der Accademia dei Lincei gewählt.

36 Maksymilian Tytus Huber (1872–1950); polnischer Maschineningenieur und Wissenschafter. Er war Professor für Mechanik in Lemberg, Warschau und ab 1945 in Danzig.

34

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Entwicklung von Bruchkriterien

3.2.5 Theorie der konstanten Formänderungsarbeit

Für duktile Werkstoffe wie Stahl eigneten sich die im 18. und 19. Jahrhundert aufgestellten Bruchkri-terien, bei denen Grenzspannungen oder -dehnungen festgelegt wurden, nicht zur Beschreibung einer Bruchgrenze.

Zahlreiche Wissenschaftler, wie die Physiker David Brewster37 und Thomas Johann Seebeck38, der deutsche Astronom Friedrich Wilhelm Herschel39 und der französische Physiker und Ingenieur Augustin Jean Fresnel40, erforschten Anfang des 19. Jahrhunderts die Polarisation des Lichts in Glaskörpern, welche erhitzt oder unter Druck gesetzt wurden. In Bezug auf deren Versuche berichte-te James Clerk Maxwell41 1856 in einem Brief an Thomson, dass er die optischen Effekte als Ursache der Dehnungen und nicht als Ursache der Spannungen sah. In diesem Zusammenhang beschrieb Maxwell die Formänderungsarbeit U eines homogenen, amorphen Körpers anhand der Hauptspan-nungen

2 2 21 2 3 2 3 3 1 1 2( ) (U A B= σ + σ + σ + σ σ + σ σ + σ σ )

2

(3.7)

und liess die Koeffizienten A und B als Unbekannte stehen. Die Formänderungsarbeit unterteilte er in Volumen- und Gestaltänderungsarbeit, wobei er die letztere als massgebendes Bruchkriterium ansah. Folglich definierte er R2 als „resilience of rigidity“ und beschrieb die Fliessbedingung als

2 2 21 2 3 2 3 3 1 1 2 Rσ + σ + σ −σ σ −σ σ −σ σ < . (3.8)

Maxwell schrieb am Ende seiner Notiz: « This is the first time that I have put pen to paper on this subject. I have never seen any investigation of the question, „Given the mechanical strain in 3 directions on an element, when will it give way?” I think this notion will bear working out into a mathemat. theory of plasticity when I have time; to be compared with experiment when I know the right experiments to make » [93, S. 747]. Er griff das Thema später aber nie mehr auf, und bis zur Veröffentlichung seiner Briefe im Jahr 1936 blieben seine Überlegungen unentdeckt.

1904 modifizierte Huber die vom italienischen Mathematiker Beltrami 1885 aufgestellte Hypothese der konstanten Formänderungsarbeit, nach welcher die gespeicherte spezifische Formänderungsarbeit an der Elastizitätsgrenze einen konstanten Grenzwert haben sollte [14]. Alle Spannungszustände, für welche die Fliessgrenze nicht erreicht wird, liegen im Hauptspannungsraum innerhalb des Rotations-ellipsoids

2 2 21 2 3 2 3 3 1 1 22 2 ( ) konst .EU = σ + σ + σ − ν σ σ + σ σ + σ σ = (3.9)

Nach Huber setzt sich die gesamte Formänderungsarbeit aus der Volumen- und Gestaltänderungsar-beit zusammen, wobei die gespeicherte spezifische Gestaltänderungsenergie unter der Bedingung σx + σy + σz ≤ 0 einen konstanten Wert annimmt und als Bruchkriterium gilt [60].

37 David Brewster (1781–1868); schottischer Physiker. Brewster beschäftigte sich v. a. mit der Polarisation des Lichts und

lehrte an der Universität St. Andrews in Edinburgh, wo er 1859 zum Vorsteher ernannt wurde. 38 Thomas Johann Seebeck (1770–1831); deutsch-baltischer Arzt und Physiker. Seebeck beschäftigte sich mit der Farben-

lehre, Optik und dem Magnetismus. Ab 1818 wirkte er an der Berliner Akademie der Wissenschaften. 39 Friedrich Wilhelm Herschel (1738–1822); deutscher Astronom und Musiker. 1781 wurde Herschel Mitglied der ‚Royal

Society of London‘. 40 Augustin Jean Fresnel (1788–1827); französischer Physiker und Ingenieur. 1823 wurde Fresnel Mitglied der Wissen-

schaftlichen Akademie in Paris und 1825 Mitglied der ‚Royal Society of London‘. 41 James Clerk Maxwell (1831–1879); schottischer Mathematiker und Physiker. Maxwell war Professor der Experimental-

physik an der Universität in Cambridge.

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Anfänge der Werkstoffprüfung und Festigkeitslehre

Die Darstellung der Fliessbedingungen in der Hauptspannungsebene wurde 1920 für zweiachsige Spannungszustände erstmals von B. P. Haigh gezeigt. Er fasste die bekannten Fliessbedingungen in einem Diagramm zusammen und verglich diese mit Versuchen an Stahl, Messing und Kupfer, welche hauptsächlich James J. Guest durchgeführt hatte [66]. Bild 3.6 (a) zeigt die Fliessbedingung nach Rankine ABCD, St. Venant TUVW, Tresca AEFCGH sowie die Hypothese der konstanten elastischen Formänderungsarbeit für verschiedene Querdehnzahlen, welche er ohne Kenntnis der Arbeit Beltramis erarbeitet hatte [71].

(a) (b)

Bild 3.6 – (a) Haigh: Darstellung von Fliessbedingungen in der Hauptspannungsebene [71]; (b) Hencky: Fliessbedingungen von v. Mises und Tresca in der σ1-σ2 Ebene [76].

Alfred Haar42 und Theodor von Kármán43 veröffentlichten 1909 eine Arbeit über das Verhalten plastischer Medien in der Nähe elastischer Gebiete. Sie leiteten durch die Anwendung eines einzigen Variationsprinzips ein vollständiges Gleichungssystem für die Gleichgewichtszustände in plastisch deformierbaren und sandartigen Stoffen her, bei welchem in „rein elastischen“, „halb plastischen“ und „vollplastischen“ Gebieten unterschiedliche Beziehungen massgebend sind [68]. Anknüpfend an diese Arbeit verglich Heinrich Hencky44 1924 die Hypothese der konstanten Formänderungsarbeit mit der Fliessbedingung von von Mises. Für inkompressibles, isotropes, linear elastisches Material sind beide Fliessbedingungen identisch, und ergeben im dreiaxialen Hauptspannungsraum einen Kreiszylinder mit Radius 2 2 3K senkrecht zur hydrostatischen Achse σ1 = σ2 = σ3, wobei K = fy /2 ist. Zum Vergleich wird in Bild 3.6 (b) der Schnitt der Fliessbedingung nach Tresca und von Mises mit der σ1-σ2-Ebene dargestellt. Hencky formulierte die Differentialgleichungen der plastisch-

42 Alfréd Haar (1885–1933); ungarischer Mathematiker. Haar studierte und promovierte an der Universität in Göttingen, wo

er 1909 Privatdozent wurde. 1912 folgte er der Berufung an die Universität Cluj in Rumänien. 43 Theodor von Kármán (1881–1963); Ungarischer Maschineningenieur. Kármán promovierte an der Universität in

Göttingen und nahm 1913 den Lehrstuhl für Mechanik und flugtechnische Aerodynamik an der Technischen Hochschule in Aachen an.

44 Heinrich Hencky (1885–1951); deutscher Bauingenieur. 1922 begann Hencky als Lektor an der Technischen Universität Delft, war von 1930 bis 1932 als Professor für Mechanik am Massachusetts Institute of Technology (MIT) tätig und gelangte 1936 an die Universität in Moskau. 1938 folgte die Ausweisung nach Deutschland, wo er bei der Firma MAN AG arbeitete.

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Entwicklung von Bruchkriterien

elastischen Deformation und stellte fest, « ... dass die Plastizität sich in einer scheinbaren Aenderung der Elastizitätsmoduln äussert » [76, S. 330]. Mit der Wahl einer geeigneten Plastizitätsbedingung sah er die Möglichkeit, eine Theorie des plastischen Beulens von Platten und Schalen zu entwickeln.

Nachdem W. Lode 1925 Zugversuche an unter Innendruck stehenden Flusseisenrohren veröffentlicht hatte, welche eine Abhängigkeit der Fliessgrenze von der mittleren Hauptspannung zeigten [98], erweiterte Ferdinand Schleicher45 1926 die Hypothese der konstanten Formänderungsarbeit, indem er den massgebenden Grenzwert der Formänderungsarbeit von der mittleren Normalspannung

0 1 21 ( )3

σ = σ + σ + σ3 (3.10)

abhängig machte und die Anwendung der Theorie auch auf spröde Stoffe ausdehnte. Zur Dimensio-nierung von Konstruktionsteilen führte Schleicher die Vergleichsspannung 2e EUσ = ein, welche in den kritischen Punkten mit den Grenzspannungen aus Zug- und Druckversuchen verglichen wird. Nach Auswertung der dreiachsigen Druckversuche von Robert Albert Böker

46 und von Kármán näherte Schleicher für spröde Stoffe von kleiner Zugfestigkeit die Funktion der Vergleichsspannung in Abhängigkeit der mittleren Normalspannung durch eine Gerade an, siehe Bild 3.7 [147].

(a) (b)

Bild 3.7 – Schleicher: (a) Vergleichsspannung für Marmor an der Proportionalitätsgrenze in Abhängigkeit der mittleren Normalspannung p; (b) Konstruktion der Geraden aus dem einachsigen I, zweiachsigen II und dreiachsigen Spannungszustand III [147].

Alle bis anhin angestellten Anstrengungen konnten die Frage, ob in jedem Punkt der vermutete Zusammenhang zwischen Deformationsgeschwindigkeit und Spannung bestehe, nicht beantworten. Auch weitere Beiträge, z. B. von Ludwik Prandtl

47 und Árpád L. Nádai 48, betrachteten lediglich die

45 Ferdinand Schleicher (1900–1957); deutscher Bauingenieur. Nach der Assistenzzeit am Lehrstuhl für angewandte Mathematik und Mechanik an der Technischen Universität in Karlsruhe arbeitete Schleicher von 1927 bis 1934 im Brückenbaubüro M.A.N. in Mainz-Gustavsburg. 1934 wurde er Professor für Statik und Stahlbau an der Technischen Hochschule Hannover, war 1937 bis 1945 Professor an der Technischen Hochschule Berlin und wurde 1956 an die Technische Hochschule in Aachen berufen.

46 Robert Albert Böker (1885–1980); Ingenieur, Physiker und Astronomiehistoriker. 47 Ludwik Prandtl (1875–1953); deutscher Ingenieur und Physiker, Schwiegersohn Föppls. Prandtl war von 1900 bis 1904

Professor für Ingenieurmechanik an der Technischen Hochschule Hannover und anschliessend Professor für Angewandte

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Anfänge der Werkstoffprüfung und Festigkeitslehre

Spannungszustände an der Fliessgrenze. 1928 vervollständigte von Mises seine Untersuchungen durch die Berücksichtigung der Formänderungsvorgänge, welche er bereits 1913 angedeutet hatte, indem er erstmals den Zusammenhang zwischen Fliessbedingung und Deformationsvorgang herstell-te und damit das so genannte Fliessgesetz aufstellte. « Bei einem plastisch deformablen Körper muss man die sechs Komponenten der Deformationsgeschwindigkeit in jedem Punkt als bis auf einen gemeinsamen Faktor durch die Spannung in diesem Punkt gegeben ansehen. Ich behaupte nun, dass die sechs Ableitungen der Spannungsfunktion F nach den Spannungskomponenten eben die Grösse liefern, denen die Komponenten der Deformationsgeschwindigkeit proportional sind » [105, S. 162]. Durch den ähnlichen Zusammenhang zwischen den Deformationsgrössen und dem elastischen Potential in der Elastizitätslehre nannte von Mises die Spannungsfunktion F „plastisches Potential“ oder „Fliesspotential“ [105].

3.2.6 Erweiterung der Mohrschen Bruchtheorie

Nachdem sich die Forscher in den vergangenen Jahren hauptsächlich mit der Definition von Bruch-kriterien für duktile Werkstoffe wie Stahl auseinandergesetzt hatten, diskutierte Alfons Leon

49 1933 die Anwendbarkeit der bisher aufgestellten Bruchtheorien für spröde Stoffe wie Beton. Er stützte seine Erörterung auf Versuche von Mörsch, welche alle Bruchtheorien ausser derjenigen von Mohr zu widerlegen schienen. Bisher ausgeführte mathematische Behandlungen der Hüllkurve nach der Mohrschen Theorie geschahen ausschliesslich anhand einer Geraden, was der Bruchhypothese nach Coulomb entspricht. Dadurch konnten die verschiedenen Brucherscheinungen von spröden Stoffen wie der Trenn- und Schubbruch nicht erklärt werden. (a) zeigt bei gerader Hüllkurve für alle Bruchkreise denselben Bruchwinkel ρ/2.

Bild 3.8

Leon schrieb: «Bei gerader Hülllinie […] müsste nicht nur der Druck-, sondern auch der Zugversuch bei linearen Spannungen zu einem Schubbruch führen…» [94, S. 423]. Da dies bekanntermassen nicht auftrat, verwendete er eine parabolische Hüllkurve, für welche er die folgenden Randbedingun-gen festlegte. Die σ-Achse ist Symmetrieachse und der Scheitel der Parabel berührt den Spannungs-kreis des einachsigen Zugversuchs in ft. Ausserdem tangiert die Parabel den Spannungskreis des einachsigen Druckversuchs. Daraus resultiert die Parabelgleichung für die Normalspannungen in Abhängigkeit der Schubspannung

( )( )

21 .2

tt c t t c

ff f f f f

σ τ = − τ ++ − +

(3.11)

Die Zug- und Druckfestigkeit ft bzw. fc stellen Konstanten dar. Damit der Scheitel der Parabel den Spannungskreis für den einachsigen Zugversuch in einem Punkt berührt und nicht schneidet, wird im Scheitelpunkt ein minimaler Krümmungsradius der Parabel von ft

/ 2 erfordert. Somit ergibt sich die Bedingung, dass die einachsige Druckfestigkeit mindestens dreimal der einachsigen Zugfestigkeit entsprechen muss, was für Beton immer erfüllt ist. Für grössere Verhältnisse von α = fc / ft kann der Druck σq senkrecht zur wirkenden Zugspannung bis auf

Mechanik an der Universität Göttingen. 1925 bis 1946 leitete er als Direktor das Kaiser-Wilhelm-Institut für Strömungs-forschung (Max-Planck-Institut).

48 Árpad L. Nádai (1883−1963); ungarisch-deutsch-amerikanischer Physiker, 1923 wurde Nádai als Privatdozent am Institut für Angewandte Mechanik an der Universität in Göttingen zugelassen und 1926 zum ausserordentlichen Professor ernannt. Ende des Wintersemesters 1928/29 beendete Nádai seine Lehrtätigkeit in Göttingen und siedelte in die USA über.

49 1946 übernahm Leon den Lehrstuhl für Mechanische Technologie und Baustofflehre der Technischen Hochschule in Wien und wurde im selben Jahr zum Vorstand der Technischen Versuchsanstalt ernannt, welche er bis 1951 leitete.

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Druckversuche unter mehrachsigen Spannungszuständen

(1 2 1 )q tfσ = + α − + α (3.12)

gesteigert werden, ohne die Zugfestigkeit abzumindern, siehe Bild 3.8 (b). Mörsch hatte diese Grenze in seinen Versuchen nie erreicht.

(a) (b)

Bild 3.8 – Leon: (a) Bruchbedingung mit gerader Hüllkurve; (b) Bruchbedingung mit parabolischer Hüllkurve

für α = 14 sowie Spannungskreise aus Versuchen Mörschs [94].

3.3 Druckversuche unter mehrachsigen Spannungszuständen

Schon seit Mitte des 17. Jahrhunderts beschäftigten sich Geologen zur Erforschung der Erdgeschich-te mit den Gesteinsschichten der Erdkruste. Im 19. Jahrhundert wurden erste, sehr umstrittene Theorien zu den tektonischen Bewegungen aufgestellt. Diese besagten, dass die Verformungen der Erdkruste in Verbindung mit plastischem Fliessen der Gesteine stattfänden. Eine der wichtigsten Arbeiten mit dem Titel „Untersuchungen über den Mechanismus der Gebirgsbildung im Anschluss an die geologische Monographie der Tödi-Windgällen-Gruppe“ wurde 1878 von Albert Heim50 geschrieben, der sich vor allem mit der alpinen Gebirgsbildung beschäftigte. Heim beschrieb das plastische Fliessen der Gesteine in den tieferen Lagen der Erdkruste unter allseitigem Druck anhand der Entstehung von unzähligen Bruchlinien zwischen den einzelnen Gesteinskörnern, welche ihre Kohäsion dabei nicht verlieren. « Wird die umformende Kraft endlich so gross dass sie anstatt an ein

50 Albert Heim (1849–1937); Schweizer Geologe. Von 1873 bis 1911 war Heim Professor für Geologie an der ETH Zürich.

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Anfänge der Werkstoffprüfung und Festigkeitslehre

paar tausend Stellen die Festigkeit durch Bruch aufheben zu können, dieselbe in jedem einzelnen Punkte überwindet, so wird das Spaltennetz unendlich fein und das Gesteinskorn zur Kleinheit eines Moleküles reducirt, d. h. die mechanische Bewegungseinheit ist nicht mehr ein Gesteinsbrocken sondern unendlich klein so dass die Bewegung eine continuierliche Umformung ohne Bruch wird » [3, S. 364]. Weiter schrieb Heim: « Plastische Umformung geschieht also nur, wenn allseitig ein Druck wirkt, der jedenfalls grösser als die Festigkeit, aber auf verschiedenen Seiten nicht gleich gross ist, so dass Ausweichen seitlich zum Maximaldruck stattfinden kann. Ist das vorhandene Druckmi-nimum kleiner als die Festigkeit, so tritt Zerbrechen und damit Ausquetschen, „Umformung mit Bruch“, ein » [3, S. 369–370].

3.3.1 Erste Druckversuche im 19. Jahrhundert

Zur Verifikation der aufgestellten Theorien, aber vor allem durch Heims Werk inspiriert, führten zahlreiche Geologen Versuche durch, indem sie verschiedene Gesteinskörper hohen Drücken aussetzten.

1880 prüfte Carl Wilhelm von Gümbel51 in München mit Hilfe einer Versuchsapparatur Bauschin-gers kleine Zylinder aus verschiedenen Gesteinsarten von 1 cm2 Querschnittsfläche. Diese wurden in Stahl eingeschlossen und unter Drücke zwischen 2230 und 2530 N/mm2 gesetzt. Bei keiner der Proben gelang es Gümbel plastische Verformungen zu erzeugen [67]. Zur selben Zeit führte Fried-rich Pfaff52 ähnliche Versuche mit in Stahlblöcke eingeschlossenen Kalksteinen durch. In allen Versuchen behielt der Kalkstein seine ursprüngliche Form, was Pfaff zur Annahme bewegte, dass Kalkstein durch Druck alleine nicht plastisch verformt werden könne [3]. Die Schwierigkeit, den allseitigen Druck mittels der genannten Versuchseinrichtungen auf die Probekörper aufzubringen, lässt das Fehlschlagen der bisher durchgeführten Versuche erklären. Kick konnte diesem Problem begegnen, indem er die Probekörper in Flüssigkeiten bettete.

Bild 3.9 – Kick: (a) In einer Eisenhülse zusammen-

gedrückter Marmorzylinder [85].

1884 führte Kick in Prag Druckversuche an Marmorzylindern durch, die in ein aufgebohrtes Gussei-senstück gestellt wurden, siehe Bild 3.9. Den Freiraum goss er mit Öl aus und brachte mittels eines Kolbens Drücke von bis zu 1320 N/mm2 auf. Ausserdem prüfte er Marmorkugeln in massiven Kupferbehältern, wobei er den Zwischenraum mit flüssigem Alaun oder Schwefel ausfüllte. In einem weiteren Versuch setzte er Marmor in ein Eisenrohr, welches er mit Wasser auffüllte. « Die Deforma-

51 Carl Wilhelm von Gümbel (1823–1898); deutscher Geologe. Ab 1851 war Gümbel an der systematischen geologischen

Kartierung Bayerns tätig und wirkte 1874 bis 1888 bei der Einführung der Wasserversorgung Münchens mit. Ausserdem war Gümbel Begründer des Vorläufers des heutigen Bayerischen Geologischen Landesamts.

52 Friedrich Pfaff (1825–1886); deutscher Geologe. Pfaff war Professor für Mineralogie in Erlangen bei Nürnberg. In seinem 1880 erschienenen Buch „Der Mechanismus der Gebirgsbildung“ erklärte er sich gegen die aufgestellte Annahme Heims einer Plastizität der Gebirgsmassen.

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Druckversuche unter mehrachsigen Spannungszuständen

tion des Marmors fand hierbei so statt, als wäre derselbe eine plastische Masse gewesen, und nach dem Zerschneiden war ersichtlich, dass derselbe seine ursprünglichen Eigenschaften nicht geändert hatte » [85, S. 76]. Drei dieser Körper präsentierte Kick später an der Universität in Zürich.

Die bisher durchgeführten Versuche unter allseitig gleichem Druck ergaben keine aufschlussreichen Ergebnisse, worauf Frank Dawson Adams53 und John Thomas Nicolson ein neues Versuchskonzept entwickelten. 1897 bis 1900 führten sie in Montreal Druckversuche mit variierenden Belastungsge-schwindigkeiten durch. Das Aufbringen der Druckkraft erfolgte innerhalb einiger Minuten bis mehrerer Wochen in Richtung der Zylinderachse. Die 40 mm langen Zylinder aus Carrara-Marmor von 20 bis 25 mm Durchmesser wurden durch massive, vorgängig erhitzte, gusseiserne Rohre satt umschlossen.

(a) (b)

Bild 3.10 – Adams und Nicolson: (a) Mit Schmiedeeisen ummantelte Marmorzylinder vor und nach

Versuchsdurchführung; (b) halbierte Marmorkörper nach Versuchsdurchführung [3].

Wegen der seitlichen Ausdehnung des Marmors, welche durch das Schmiedeeisen behindert wurde, entstand ein Manteldruck, der von geringerer Grösse war als die in Zylinderachsrichtung aufgebrach-te Druckkraft. Bei dem in Bild 3.10 (a) dargestellten Zylinder wurde die Druckkraft langsam, während 64 Tagen, aufgebracht, bis in der schmiedeeisernen Mantelfläche Risse sichtbar wurden, woraufhin Adams und Nicolson den Versuch abbrachen. Nach Beendigung der Versuche wurden die Zylinder halbiert, siehe Bild 3.10 (b). Der Marmor hatte sein kompaktes Gefüge behalten, einzig die zuvor glänzende Oberfläche erschien milchig weiss. Bei der anschliessenden Bestimmung der einachsigen Druckfestigkeit der deformierten Marmorzylinder wurde eine viel höhere Bruchstau-chung als diejenige des Originalgesteins gemessen. Die Restfestigkeit langsam belasteter Marmorzy-linder fiel grösser aus als bei denjenigen, bei denen die Lastaufbringung rasch erfolgt war [3].

3.3.2 Bruchvorgänge

Im Ingenieurwesen begnügte man sich nicht mit dem Nachweis der plastischen Verformbarkeit von Gesteinen, sondern untersuchte die Bruchvorgänge verschiedener Werkstoffe unter mehrachsigen Spannungszuständen und beschrieb diese mit analytischen Modellen.

53 Frank Dawson Adams (1859–1942); kanadischer Geologe. 1881 bis 1882 machte Adams sein Doktorat an der Universität

Heidelberg. Nach der Rückkehr nach Kanada wurde er 1893 Professor für Geologie an der McGill University in Montre-al, wo er bis 1924 tätig war.

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Anfänge der Werkstoffprüfung und Festigkeitslehre

Nach dem überraschenden Tod Bauschingers 1893 übernahm August Föppl54 als sein Nachfolger die Fortsetzung der neuen Folge der „Mittheilungen aus dem Mechanisch-Technischen Laboratorium der Technischen Hochschule in München“. Seines schweren Stands bewusst schrieb Föppl 1896 im Vorwort der ersten Ausgabe der neuen Folge: « ... wer Erhebliches leisten will, darf sich nach keinem Meister und daher auch nicht nach seinem Vorgänger richten. Wissen und Können, Fähigkeiten und Neigungen sind nach so verschiedenen Richtungen hin vertheilt, dass immer nur Jeder für sich selbst den Weg finden kann, auf dem er seine beste Kraft zu entfalten vermag » [57, Vorwort]. Somit steckte sich Föppl entgegen Bauschinger, welcher Werkstoffeigenschaften an sich untersuchte, das Ziel, das Verhalten einzelner oder zusammengesetzter Konstruktionsteile zu erforschen und anhand der Versuche theoretische Untersuchungen zu überprüfen oder nötige Grundlagen für neue Theorien zu gewinnen.

1899 ging Föppl der Frage nach, unter welchen Einwirkungen bei verschiedenen Baustoffen entwe-der der Bruch oder eine grössere bleibende Formänderung eintritt. Er beabsichtigte, Elementargeset-ze zur Beschreibung der Bruchvorgänge zu entwickeln. Für die Beurteilung der Festigkeit eines ganzen Körpers formulierte Föppl drei Fragen: « ... an welcher Stelle erstens die Gefahr eines Bruches oder einer bleibenden Formänderung am nächsten liegt, ferner, welcher Spannungszustand an dieser gefährlichsten Stelle eintritt und drittens, wie die Bruch- oder Formänderungsgefahr von einem gegebenen Spannungszustande abhängt » [58, S. 1]. Er vermutete, dass ein erschöpfender Aufschluss über das Bruchverhalten eher auf Grund der erreichten Formänderung als auf Grund des bestehenden Spannungszustands erwartet werden könne. Die unmittelbare Beobachtung der Formän-derung war aber mit hinreichender Genauigkeit nur schwer oder oft gar nicht ausführbar. Angeregt durch die Versuche mit einaxial belasteten Zugproben sowie Zugproben in einem mit Kohlensäure unter hohem Druck gefüllten Gefäss, welche der Physiker Woldemar Voigt55 an der Universität Göttingen von 1894 und 1899 durchgeführt hatte, führte Föppl 1899 eine grosse Zahl eigener Versuche durch, an denen er die Auswirkungen eines allseitig gleichen Drucks untersuchte. Geprüft wurden Holz-, Sandstein- und Zementwürfel sowie kleine Kristalle u. a. aus Steinsalz und Quarz. Die Proben wurden in einen Stahl-Mörser eingebaut und anfänglich mit Wasser oder Quecksilber, in späteren Versuchen mit Rizinusöl bis 355 N/mm2 unter Druck gesetzt, wobei die Flüssigkeiten in die Poren der Probekörper eindrangen. Auch durch Aufbringen einer Lackschicht konnte Föppl die Flüssigkeitseindringung nicht vollständig verhindern. Mehrere Versuchskörper konnten nicht zu Bruch geführt werden, darunter mehrere Jahre alte Zementwürfel, welche aus dem Innern grösserer Stücke gewonnen worden waren. Die restlichen Zementwürfel wurden fast ausnahmslos bis zu einem Druck von 304 N/mm2 durch Absprengen der Ecken zerstört [58].

3.3.3 Annahmen der Mohrschen Bruchtheorie − Gültigkeit für spröde Stoffe

Durch zahlreiche Versuche wurde der Einfluss der mittleren Hauptspannung auf die Druckfestigkeit nachgewiesen, was das Anzeichen erweckte, dass die Bruchkriterien nach Mohr und Coulomb den Bruchvorgang von isotropen Stoffen nicht richtig beschreiben. Daraufhin wurde auf der Suche nach einer geeigneten Bruchtheorie von inhomogenen Stoffen ausgegangen, wodurch die verschiedenen Bruchvorgänge eines Stoffs besser beschrieben werden konnten.

1911 führte von Kármán Druckversuche an Zylindern aus Carrara-Marmor und Sandstein mit 40 mm Durchmesser und 100 bis 110 mm Länge durch. Der Manteldruck wurde durch den hydraulischen Druck von Glyzerin erzeugt und betrug maximal 320 N/mm2. Eine auf die Probekörper gestülpte, ausgeglühte Messingfolie von 0,1 mm Dicke verhinderte, dass Glyzerin in die Zylinder eindringen

54 August Föppl (1854–1924); Mitglied der Bayrischen Akademie der Wissenschaften. 1894 bis 1922 war Föppl Professor

für technische Mechanik und grafische Statik an der Technischen Hochschule München. 55 Woldemar Voigt (1850–1919); deutscher Physiker. 1875 wurde Voigt außerordentlicher Professor in Königsberg

(Kaliningrad). 1883 berief man ihn zum Professor für theoretische Physik an die Universität Göttingen. Ausserdem wurde er als Direktor des mathematisch physikalischen Instituts eingesetzt.

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Druckversuche unter mehrachsigen Spannungszuständen

konnte. Von Kármán beabsichtigte die Klärung der Frage, « ... durch welche Umstände die Elastizi-täts- und Bruchgrenze beim allgemeinen Spannungszustand bestimmt wird [...] und insbesondere die Grundlagen der Mohrschen Theorie planmässig zu prüfen » [83, S. 87].

(a) (c)

(b)

Bild 3.11 – Von Kármán: Druckversuche mit Carrara-Marmor-Zylindern; (a) Kurven gleicher

bleibender Dehnung in der Mohrschen Darstellung (b) Spannungs-Dehungs-diagramm (1 at = 9,86605·10−2 N/mm2); (c) Ausbauchungen der Marmorzylinder bei Versuchsende für Manteldrücke von 500 bzw. 1650 at [83].

1908 hatte Prandtl in einem Vortrag vorgeschlagen, zwischen dem Trennungs- und dem Gleitungs- (Verschiebungs-) Bruch zu unterscheiden. Schon Coulomb hatte die beiden Bruchvorgänge ausein-ander gehalten, indem er die Bedingung σmax < konst. für positive Spannungen hinzufügte. Von Kármán vermutete, dass sich die Mohrsche Theorie auf Gleitungsbrüche beschränkt, während für den Trennungsbruch die grösste Zugspannung allein massgebend sei. Er plante durch die Versuche zu untersuchen, unter welchen Bedingungen die verschiedenen Brucharten auftreten. Weiter beabsich-tigte er zu klären, ob die Unabhängigkeit der Elastizitätsgrenze von der mittleren Hauptspannung auch für spröde Körper zutrifft, was für bildsame Materialien durch unzählige Versuche bereits

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Anfänge der Werkstoffprüfung und Festigkeitslehre

bestätigt worden war. Die Ergebnisse der Druckversuche mit Marmorzylindern wurden anhand Mohrscher Spannungskreise sowie des Spannungs-Dehnungsdiagramms gemäss Bild 3.11 (a) und (b) dargestellt. Nach Erreichen der Fliessgrenze ging die Formänderung bei niedrigem Manteldruck unter abnehmender, bei hohem Manteldruck unter zunehmender Belastung vor sich. Zwischen 70 bis 80 N/mm2 Manteldruck wurde der Zustand der „vollkommenen Bildsamkeit“ erreicht, wo die Verformung unter annähernd konstanter Belastung bis zum Bruch fortschritt.

Von Kármán definierte die Fliessgrenze als den Wert einer Lastgrösse, bei welcher eine erhebliche Zunahme der Formänderung unter gleich bleibender oder schwach steigender Last beobachtet wird. Weil unter hohem Manteldruck keine ausgeprägte Fliessgrenze erkennbar war, verglich er Belas-tungszustände bei derselben bleibenden Formänderung. Die Oberfläche und Gestalt der nach der Versuchsdurchführung ausgebauten Probekörper unterschieden sich wesentlich. Die unter hohem Manteldruck gepressten Zylinder zeigten auf der ganzen Höhe eine gleichmässig verteilte Verdi-ckung; dagegen beschränkte sich die Formänderung bei den unter niedrigem Manteldruck bean-spruchten Probekörpern auf den mittleren Teil des Zylinders, wie in Bild 3.11 (c) dargestellt. Von Kármán sah den Einfluss der durch die Reibung an den Druckflächen auftretenden, ungleichförmigen Spannungsverteilung für die lokale Formänderung verantwortlich. Bei geringem Manteldruck konnten in Querrichtung Verformungen eintreten. Somit verminderte sich an der Stelle, wo die Elastizitätsgrenze längs einer Gleitfläche überschritten wurde, die Widerstandskraft mit fortschrei-tender Verformung. An den übrigen Stellen konnte die Fliessgrenze infolge der abnehmenden Last nicht erreicht werden. Probekörper, bei welchen die Last unter hohem Manteldruck nach Erreichen der Fliessgrenze noch gesteigert werden konnte, wiesen eine glatte Oberfläche ohne ‚Fliessfiguren‘ auf. Mit Fliessfiguren bezeichnete von Kármán das nach Versuchsdurchführung an der Oberfläche der Probekörper sichtbar gewordene Bild der Gleitlinien. Beim Betrachten der Dünnschliffe stellte von Kármán fest, dass sich die Kristallite56 unter niedrigem Druck gegenseitig verschoben und unter hohem Druck ihr Gefüge geändert hatten. Die Richtigkeit der Annahme Mohrs, dass die mittlere Hauptspannung auf die Festigkeit keinen Einfluss hat, konnte er mit den durchgeführten Druckversu-chen nicht nachweisen [83].

Im Anschluss an von Kármáns Veröffentlichung sowie durch Anregung Prandtls führte Böker 1915 an der Universität in Göttingen Druckversuche an Marmorzylindern durch, deren Abmessungen von den Versuchen von Kármáns übernommen wurden. Die Probekörper wurden wiederum mit einer 0,1 mm dicken Messingfolie gegen das Eindringen der Druckflüssigkeit geschützt. Böker setzte alle Probeköper zu Versuchsbeginn unter allseitig gleichen Druck. In von ihm benannten Umschlin-gungsversuchen verringerte er anschliessend den Axialdruck oder erhöhte den Manteldruck. Dadurch entstanden durch den überhöhten Manteldruck Dehnungen in axialer Richtung. Zum Vergleich führte Böker Druckversuche durch, welche mittels Steigerung des Axialdrucks erfolgten. In allen Versu-chen lokalisierten sich die Verformungen beim Bruch in einer durchlaufenden Gleitfläche.

Die in Bild 3.12 dargestellten Hüllkurven a und b der Druck- bzw. Umschlingungsversuche zeigen einen ähnlichen Verlauf, fallen jedoch nicht zusammen, was den Einfluss der mittleren Hauptspan-nung an der Bruchgrenze verbildlicht. Böker vermutete, dass der Einfluss der mittleren Hauptspan-nung von der Vielzahl unterschiedlicher Gleitflächen mit vorgegebener Gleitflächenrichtung in kristallin aufgebauten Körpern herrührt. Demzufolge beschrieb er die Bruchvorgänge und bleibenden Verformungen, indem er bei der Betrachtung der einzelnen Kristallite vier verschiedene Belastungs-grenzen in Abhängigkeit der Bruchart definierte:

I „Gleitfestigkeit“: Gleitflächen innerhalb des Kristallits II „Schubfestigkeit“: Gleitflächen entlang der Verbindungsfläche zweier Kristallite III „Reissfestigkeit“: Trennbruch innerhalb des Kristallits IV „Bruchfestigkeit“: Trennbruch entlang der Verbindungsfläche zweier Kristallite.

56 Ein Kristallit ist ein einzelnes Kristallkorn eines Kristallaggregats (Vielkristall). Kristallite bilden sich bei gegenseitiger

Wachstumsbehinderung anstelle grösserer Kristalle und sind daher meist nicht von ebenen Flächen begrenzt [22].

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Druckversuche unter mehrachsigen Spannungszuständen

Diese Festigkeitsgrössen besassen nach Böker für jeden kristallin aufgebauten Werkstoff feste Werte und bedingten den Verlauf der Formänderung. In spröden Körpern seien die Gleit- und Schubfestig-keit gegenüber der Reiss- und Bruchfestigkeit sehr gross; in bildsamen Körpern seien die Verhältnis-se gerade umgekehrt, wobei Böker zwischen zähen und dehnbaren Werkstoffen unterschied. Im Gegensatz zu dehnbaren Werkstoffen bildeten sich in zähen Werkstoffen die Gleitflächen nur in wenigen Richtungen aus.

Bild 3.12 – Böker: Hüllkurven a und b der Druck- bzw. Umschlingungs-

Versuche mit Marmor in der Mohrschen Darstellung [19].

Böker stellte zwischen den aufgebrachten Spannungen und dem daraus resultierenden plastischen Gleiten eine analytische Beziehung auf. Er setzte für seine theoretischen Überlegungen einen inhomogenen Werkstoff voraus, dessen Kristallite jeweils eine Gleitfläche in unterschiedlicher Richtung aufweisen. Ausserdem sollen alle Gleitflächenrichtungen mit derselben Wahrscheinlichkeit auftreten. Bei Belastung eines Werkstoffs mit einer homogenen Spannungsverteilung erlangen die Schubspannungen in den kritischen Gleitflächen gemäss Bökers Modell als erste den Wert der Grenzschubspannung und bleiben bei fortschreitender Kraftsteigerung konstant, wobei weitere Kristallite mit immer grösserer Abweichung zur kritischen Gleitflächenrichtung die Grenzschub-spannung erreichen. Böker fasste seine Untersuchungen wie folgt zusammen: « Eine mittlere Haupt-spannung ist jedenfalls von dem Augenblicke ab, in dem die ersten Verschiebungen eintreten, von Einfluss auf den weiteren Verlauf der Belastungsmöglichkeit des Stoffes... » [19, S. 42].

1927 wiederholte Mirko Roš57 an der eidgenössischen Materialprüfungsanstalt der ETH Zürich die Festigkeitsversuche von Kármáns und Bökers mit Carrara-Marmor-Zylindern. Die Probekörper mit 20 mm Durchmesser und 60 bzw. 45 mm Länge wurden in so genannte Presstöpfe eingebaut und der Hohlraum anschliessend mit Rizinusöl aufgefüllt. Vor der Laststeigerung bzw. Lastreduktion in Richtung der Zylinderachse wurde über das Rizinusöl ein hydrostatischer Druck auf die Marmorzy-linder aufgebracht, wobei die Proben mittels einer weichen Gummihülle vor dem Eindringen des Öls

57 Mirko Gottfried Roš (1879–1962); Bauingenieur. Von 1910 bis 1924 war Roš Chefingenieur und technischer sowie

kaufmännischer Direktor der Conrad Zschokke AG. 1924 wählte man ihn zum Direktor der Eidgenössischen Material-prüfungsanstalt (EMPA) und Professor für Baustoffkunde und Materialprüfung an der ETH Zürich, wo er bis 1949 tätig war.

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Anfänge der Werkstoffprüfung und Festigkeitslehre

geschützt wurden. Bei geringem hydrostatischem Druck erfolgten die Verformungen nach Über-schreiten der Fliessgrenze unter Abnahme der äusseren Last und blieben lokal auf die Stelle mit der ungünstigsten Beanspruchung beschränkt. An den übrigen Stellen wurde die Fliessgrenze nicht überschritten. Bei hydrostatischen Drücken über 100 N/mm2 konnte die äussere Belastung bei fortschreitender, vorwiegend plastischer Verformung, die sich gleichmässig über die ganze Höhe des Probekörpers ausbreitete, weiter gesteigert werden, siehe Bild 3.13 (a).

(a) (b)

σ2 = 75 atm

σ2 = 500 atm

σ2 = 2000 atm

Bild 3.13 – Roš: (a) Spannungs-Dehnungsdiagramm von Druck- und Zugversuchen mit Marmorzylindern unter hydrostatischem Druck; (b) Bruchbilder unter hydrostatischen Drücken von 75, 500 und 2000 atm, (1 atm = 0,101325 N/mm2) [134].

Damit Roš den Einfluss der mittleren Hauptspannung berücksichtigen konnte, löste er sich wie bereits Böker von der Annahme eines isotropen, inhomogenen Werkstoffs. Er unterschied zwischen Trennbruch, Gleitbruch und der Kombination der beiden, welche er Verschiebungsbruch nannte. Die Bildung der Bruchflächen erfolge gemäss Roš sowohl an den Korngrenzen als auch in den Kristalli-ten selbst, je nachdem, wo die geringere Festigkeit vorhanden ist. Entgegen Böker, welcher den Verschiebungsbruch als Folge einer reinen Verschiebung der Kristallite an den Korngrenzen erklärte,

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Druckversuche unter mehrachsigen Spannungszuständen

meinte Roš, dass die Verschiebung an den unebenen, oft verzahnten Korngrenzen nicht ohne vorhe-rige Trennung derselben stattfinden könne. Die Darstellung der Versuche von von Kármán, Böker und Roš anhand Mohrscher Kreise zeigte, dass der Einfluss der mittleren Hauptspannung nur bei Trenn- und Verschiebebrüchen auftrat. Roš erklärte diese Erscheinung anhand der „vagabundieren-den Spannungen“. Bei einaxialen Druckversuchen an Vielkristallproben, bei denen ausschliesslich Verschiebungsbrüche eintraten, befänden sich die einzelnen Kristallite infolge ihres anisotropen Verhaltens in sehr verschiedenen dreiachsigen Spannungszuständen. Die Zug- und Druckspannungen heben sich in horizontaler Richtung über den Querschnitt integriert auf, da in dieser Richtung global keine Kräfte auftreten. Diese „vagabundierenden“ Spannungen können stellenweise den Risswider-stand überschreiten, wodurch im Körper in Richtung der Druckkraft Makrorisse auftreten. Roš setzte den Beginn der Trennung mit der Proportionalitätsgrenze gleich. Bei mehraxialen Druckversuchen dagegen seien sämtliche Kristallflächen auf Druck vorgespannt. Die erste Störung des Gleichge-wichts infolge Gleitens trete in den kristallographisch bestimmten Flächen innerhalb der Kristalle ein; das Aufreissen durch die „vagabundierenden Spannungen“ werde durch die aufgebrachten Druckspannugen verhindert. Können nicht alle Kristalle den Verformungen folgen, entstehen trotzdem Risse, deren Auftreten nur bei hohen allseitigen Druckspannungen verhindert werde. Die letztere Brucherscheinung entspricht einem Gleitbruch; die ‚vagabundierenden Spannungen‘ bleiben ohne Einfluss [134]. Von 1925 bis 1926 schrieb der norwegische Student Anton Brandtzæg58 seine Masterarbeit an der Universität von Illinois. Während seines Aufenthalts führte er am Departement für Theoretische und Angewandte Mechanik Versuche mit Betonzylindern von 10 cm Durchmesser sowie 56 resp. 20 cm Höhe unter mehrachsigem Druck durch. Brandtzæg beabsichtigte den Bruchvorgang gedrückter Betonkörper zu untersuchen und führte anschliessend eine weitere Versuchsserie mit umschnürten Stahlbetonstützen59 durch. Während seiner Arbeit wurde Brandtzæg durch die Professoren Talbot, Harald Malcolm Westergaard60 und Frank Erwin Richart unterstützt. Anfänglich befasste sich Brandtzæg mit dem Bruchvorgang eines anisotropen, in Achsrichtung belasteten Betonkörpers, welchen er sinngemäss wie folgt beschrieb. Bei Erreichen einer bestimmten Belastungsgrösse fängt der Betonkörper an, sich an vereinzelten lokalen Stellen plastisch zu verfor-men. Die plastische Verformung erfolgt durch Überschreiten der maximalen Schubspannung entlang einer lokalen Gleitfläche. Mit weiterer Steigerung der Belastung treten in Querrichtung Axialspan-nungen auf, welche durch Zwängungen der umliegenden elastischen Elemente verursacht werden. Der so entstandene Querdruck in den sich plastisch verformenden Elementen wird durch einen Querzug in den umliegenden elastischen Elementen ausgeglichen. Durch ein „Verkeilen“ werden in den elastischen Elementen „Querbänder“ gebildet, welche zunächst verhindern, dass im Werkstoff ein Trennbruch auftritt. Wenn mit steigender Last in immer mehr Elementen des Körpers die plasti-sche Grenze erreicht wird, steigen die Zugspannungen in den noch elastischen Elementen, was dazu führt, dass die kritische Zugspannung oder Dehnung in denselben überschritten wird, worauf feine Haarrisse auftreten. Bei zunehmender Belastung verbinden sich diese feinen Haarrisse zu zusam-menhängenden Rissen, welche parallel zur Hauptdruckspannungsrichtung verlaufen und das plasti-sche Gleichgewicht stören. Beide Bruchformen, Gleiten und Trennbruch, treten gleichzeitig auf und werden durch die äussere Belastung beeinflusst. Bei einachsiger Druckbelastung bilden sich nur in vereinzelten Stellen des Betonkörpers lokale Gleitflächen. Der Bruch erfolgt durch Aufspalten parallel zur Belastungsrichtung. Bei zweiachsiger Druckbelastung erfolgt die gleiche Bruchform. Die Bruchlast ist jedoch etwas höher, weil der Gleitwiderstand in einer grösseren Anzahl Flächen überschritten wird als bei einachsiger Druckbelastung. Unter dreiachsiger Druckbelastung werden die

58 Anton Brandtzæg (1898–1978); norwegischer Bauingenieur. 59 Auf die Versuche mit den umschnürten Stahlbetonstützen wird in Kapitel 4.2.4 eingegangen. 60 Harald Malcolm Westergaard (1888–1950); dänischer Bauingenieur. Während seines Studiums in Kopenhagen wurde

Westergaard von Professor Ostenfeld nach Göttingen, München und anschliessend zu Professor Talbot an die Universität von Illinois geschickt, wo er 1916 seine Doktorarbeit abschloss. Danach verbrachte er 20 Jahre als Professor am Institut für Mechanical Sience and Engineering der Universität in Illinois.

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Anfänge der Werkstoffprüfung und Festigkeitslehre

Zugspannungen in Querrichtung überdrückt, und die plastische Verformung breitet sich über grössere Teile des Betonköpers aus. Die elastischen Elemente verschieben sich relativ zueinander, und es bildet sich eine globale durchgehende Gleitlinie, welche den Bruch herbeiführt.

Zur Versuchsvorbereitung entwickelte Brandtzæg in Anlehnung an Bökers Arbeit ein analytisches Modell zur Beschreibung der oben dargestellten Bruchvorgänge. Er beschrieb den Vorgang der Bildung der Gleitflächen und der dabei vorherrschenden Spannungen und Dehnungen in den einzel-nen Elementen; auf die Rissentwicklung ging er nicht ein. Für jedes Element verwendete er das Bruchkriterium nach Coulomb.

(a) (b)

Bild 3.14 – Brandtzæg: (a) Element mit Einheitslänge und vorgegebener Gleitflächen-

richtung ABC; (b) Verteilung der Gleitfächenrichtungen [20].

Brandtzæg modellierte die Spannungen und Dehnungen in Achs- und Querrichtung, indem er ein kubisches Einheitsvolumen in N = 1/d 3 kubische Elemente mit Kantenlänge d teilte. Alle Elemente unterscheiden sich lediglich in ihrer unterschiedlichen „direction of weakness“, einer für alle Ele-mente vorgegebene Gleitflächenrichtung ABC, siehe Bild 3.14 (a). Alle möglichen Gleitflächenrich-tungen treten wie bei Böker mit derselben Wahrscheinlichkeit auf und liegen daher auf der Oberflä-che einer Halbkugel, siehe Bild 3.14 (b), wobei pro Fläche dA = cosϕ dϕ dψ

31d cos d

2N

d= ϕ ϕ

πdψ (3.13)

Elemente auftreten. Brandtzæg nahm an, dass vor Eintreten der ersten plastischen Verschiebungen der Körper homogen und vollkommen elastisch sei und mit konstantem E-Modul und konstanter Querdehnzahl beschrieben werden könne. Er erhielt nach Einführen der Spannung σv = (σ1 + 2 σ2) / 3 und der Annahme, dass Druckspannungen positiv sind, für die Spannungen in der Gleitfläche

( )1 21 1 cos(2 )2 3v

⎡ ⎤σ = σ + σ −σ − ϕ⎢ ⎥⎣ ⎦ , ( )1 2

1 sin(2 )2

τ = σ −σ ϕ . (3.14)

Brandtzæg definierte, dass bei Erreichen der plastischen Grenze eines Elements die plastische Deformation als reine Schubverformung ohne Volumenänderung erfolge. Die Volumenänderung in den restlichen Elementen

[ ]1 212 3(1 2 )v vE

ε = ε + ε = − ν σ (3.15)

erfolge rein elastisch. Das Gleichgewicht an der plastischen Grenze formulierte Brandtzæg, indem er die Spannungen in (3.14) in der Coulombschen Bruchbedingung τ = c + cot (2 ϕ0) σ, welche er als Reibungsgesetz formulierte, einsetzte. Er erhielt somit

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Druckversuche unter mehrachsigen Spannungszuständen

( )1 2

012 cos(2 2 )3

vA B

B

σ − σ + σ=

ϕ − ϕ − ,

(3.16)

wobei A = c·sin (2 ϕ0) und B = cos (2 ϕ0). Mit (3.16) wird die maximale Hauptspannungsdifferenz in einem Element ermittelt, welche nie überschritten werden kann. Bei Erreichen dieser Grösse beginnt sich das Element plastisch zu verformen. Dasjenige Element, bei dem der rechte Ausdruck einen Extremalwert annimmt, erreicht als erstes die plastische Grenze und behält diesen Wert, solange es sich plastisch verformt. Im ersten Fall, σ1

> σ2, erreicht das Element mit dem Gleitflächenwinkel ϕ = ϕ0 als erstes die plastische Grenze, im zweiten Fall, σ1

< σ2, mit ϕ = π / 2 + ϕ0. Bei weiterer Laststeigerung erreichen weitere Elemente mit Gleitflächenwinkeln ϕ = ϕ0

± β bzw. ϕ = π / 2+ϕ0 ± β

die plastische Grenze, siehe Bild 3.15.

Bild 3.15 – Brandtzæg: Gleitflächenwinkel der Elemente im plasti-

schen bzw. elastischen Bereich für den ersten Fall [20].

Die mittleren Hauptspannungen eines Volumenelements in Achsrichtung und in Querrichtung ermittelte Brandtzæg durch Aufsummieren der Spannungen der einzelnen Elemente innerhalb der jeweiligen Winkelbereiche. Die Spannungen im elastischen Bereich, ermittelte Brandtzæg unter der Annahme, dass sich alle Elemente gleich verformen. Daraus ergibt sich, dass die Spannungen in den elastischen Bereichen denjenigen in den Elementen an der Grenze zum plastischen Bereich entspre-chen und ebenfalls mit dem entsprechenden Winkel aus (3.16) ermittelt werden können. Aus obiger Annahme ergibt sich ausserdem, dass die Gesamtdehnung eines Volumenelements gleich der Dehnung eines elastischen Elements ist. Somit können die Dehnungen mit

( ) ( ) ( ) ( )1 1 2

0

21 11 2 2 1 2 213 3 cos(2 2 )3

vv v

A BE E E E B

+ σ+ ν + ν− ν − νε = σ + σ −σ = σ +

ϕ− ϕ −

(3.17)

und

( ) ( ) ( ) ( )2 1 2

0

21 11 2 1 1 2 113 3 cos(2 2 )3

vv v

A BE E E E B

+ σ+ ν + ν− ν − νε = σ − σ −σ = σ −

ϕ− ϕ −

(3.18)

ermittelt werden. Die triaxialen Druckversuche zeigten, dass die Bruchfestigkeit der Betonkörper den Wert der einachsigen Druckfestigkeit plus 4,1mal denjenigen der Querdruckspannungen erreichte. Dieser Wert wurde auch mit den spiralbewehrten Betonzylindern erreicht. Die hohen Betonbruchspannungen

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Anfänge der Werkstoffprüfung und Festigkeitslehre

waren durch grosse Verformungen begleitet. Bei den einachsigen Druckversuchen wurde ab einer Belastung von 75 bis 85 % der Maximallast eine Zerstörung der Betonstruktur festgestellt, welche durch eine Volumenzunahme begleitet war. Die Festigkeit der zweiachsigen Druckversuche war in den meisten Versuchen grösser als diejenige der einachsigen Druckversuche. Die Forschergruppe folgerte aus den Versuchsresultaten, dass die Mohrsche Bruchtheorie und alle anderen Theorien, welche auf der Annahme eines homogenen Werkstoffs mit durchlaufender Gleitfläche basieren, den Bruchvorgang des auf Druck belasteten Betons nicht korrekt darstellen, da diese die Volumenzunahme des Betonkörpers kurz vor Erreichen der Höchstlast nicht beschreiben. Die Berechnungsresultate nach dem von Brandtzæg vorgeschlagenem Modell dagegen standen mit einem Grossteil der Versuchsresultate im Einklang und erbrachten ein schlüssiges Bild von den Bruchvorgängen des Betons [20, 125].

3.4 Die Frage der „wahren“ Druckfestigkeit

Die gemessene Druckfestigkeit wird durch viele Faktoren beeinflusst. Einerseits hängt diese von der Versuchseinrichtung ab. Die Art der Krafteinleitung bestimmt die Spannungsverteilung an der Oberfläche und im Innern der Probekörper während der Versuchdurchführung und beeinflusst den Bruchmechanismus und somit die Druckfestigkeit. Andererseits hängen die Bruchmechanismen auch von der Probekörperform ab. Diese bestimmt, welche Mechanismen sich einstellen können. Die Suche nach derjenigen Versuchseinrichtung, mit welcher die unbeeinflusste, „wahre“ Druckfestigkeit ermittelt werden kann, beschäftigte die Wissenschaftler lange Zeit.

3.4.1 Probekörperform

Zur Bestimmung des Einflusses der Probekörperform auf die Druckfestigkeit führten Anfang des 19. Jahrhunderts insbesondere Vicat, Eaton Hodgkinson61 und Rondelet zahlreiche Versuche mit unter-schiedlichen Baustoffen durch.

1833 formulierte Vicat aus Versuchen an Steinwürfeln und Prismen geringerer Höhe zur Bestim-mung der Druckfestigkeit eine Hyperbelfunktion

Bf Ch

= + (3.1)

in Abhängigkeit der Prismenhöhe h, wobei B und C nicht weiter definierte Materialkonstanten darstellen. Für Prismen, deren Höhen die des Würfels übersteigen, verliert nach Vicat obige Formel ihre Anwendbarkeit. Mit zunehmender Prismenhöhe werde eine nicht weiter quantifizierte Grenze erreicht, bei der die Druckfestigkeit von der Höhe unabhängig sei [11].

1877 berichtete Kick von einachsigen Druckversuchen an bildsamen Körpern, wie z. B. an den in Bild 3.16 (a) dargestellten Zylindern aus Porzellan. Er ging auf die Bruchformen ein und stellte erstmals theoretische Betrachtungen über die Spannungsverteilung in Probekörpern an. « Betrachtet man die Einwirkung der drückenden Kräfte in unserm Falle näher, so läßt sich wohl ziemlich leicht entnehmen, daß die gegen außen und die Mitte der Höhe liegenden Molecüle einen Druck gegen außen erlangen » [87, S. 466]. Durch die Darstellung der Druckübertragung der einzelnen Moleküle,

61 Eaton Hodgkinson (1789–1861); englischer Ingenieur und Mathematiker. Ab 1847 war Hodgkinson als Professor für

Mechanical Principles of Engineering an der Universität in London tätig. Er war Mitglied der British Association for the Advancement of Science und ab 1841 Fellow of the Royal Society of London.

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Die Frage der „wahren“ Druckfestigkeit

siehe Bild 3.16 (b), ergeben sich nach Kick nur in einer Kegelfläche unterhalb der Druckeinleitung rein vertikal gedrückte Masseteilchen. Ausserhalb wirken zusätzlich horizontale Kräfte, welche die Teilchen auseinander treiben: « ... so müssen die Kegeloberflächen bei der Zusammendrückung zu Rutschflächen werden, an welchen sich die angrenzenden Materialtheilchen hinschieben » [87, S. 467].

1907 führten Prandtl und der Geologe Friedrich Wilhelm Berthold Rinne62 im Bauingenieur-Laboratorium der Technischen Hochschule in Hannover und am Institut für angewandte Mechanik in Göttingen Druckversuche an Zylindern mit 50 mm Durchmesser und rechteckigen Prismen mit quadratischer Grundfläche mit 45 mm Kantenlänge durch. Die Höhe der Versuchskörper variierte zwischen 18 und 225 mm. Geologische und mineralogische Untersuchungen erforderten die Kenntnis der Druckfestigkeiten von Gesteinen bei homogener Druckverteilung, welche bei der gewöhnlich durchgeführten Bestimmung an Würfeln mit 5 bis 7 cm Kantenlänge nicht vorhanden war. Die Ingenieure hatten sich wegen der einfachen Versuchsdurchführung geeinigt, die Würfeldruckfestig-keit als Mass der Druckfestigkeit anzugeben. Rinne schrieb: « Die Würfelfestigkeit ist also die Festigkeit bei einer in bestimmter Weise ungleichmässigen Druckbeanspruchung. Das was man aber, auch bei geologischen Betrachtungen, wünscht, ist die Festigkeitszahl bei völlig homogener Druck-verteilung » [131, S. 48].

(a) (b)

Bild 3.16 – Kick: (a) Einaxial gedrückte Zylinder aus Porzellanmasse; (b) Modellierung der Druckverteilung in Probezylindern [87].

In einer ersten Versuchsreihe ermittelten Prandtl und Rinne an Carrara-Marmor-Körpern den Einfluss der Probekörperhöhe auf die Druckfestigkeit. Sie stellten fest, dass die Druckfestigkeit ab einer Höhe der Versuchskörper, die dem 2,5-fachen Durchmesser bzw. der 3-fachen Kantenlänge entsprach, konstant blieb. Die erreichte Mindestdruckfestigkeit, welche Rinne ideale Festigkeit nannte, entsprach 85 % der Würfelfestigkeit. Durch Papiereinlagen zwischen Probekörper und Druckstempel wurde die Mindestdruckfestigkeit schon bei geringeren Probekörperhöhen erreicht, wie das Bild 3.17 (a) für die Marmorprismen zeigt. Bei der Prüfung von Gesteinen höherer Festig-keit, wie z. B. Melaphyr, wurde die Papiereinlage vor Erreichen der Druckfestigkeit zerstört, wo-durch Prandtl und Rinne diese Art der Festigkeitsprüfung nicht weiter verfolgten und lediglich starre Stahlplatten als Druckstempel verwendeten. Bild 3.17 (b) zeigt, dass der Einfluss der Druckflächen bei den Zylindern aus Melaphyr im Gegensatz zum Carrara-Marmor schon bei geringeren Probekör-perhöhen verschwand [131, 132].

62 Friedrich Wilhelm Berthold Rinne (1863–1933); Mineraloge, Kristallograph und Petrograph. Rinne arbeitete anfänglich

an der Universität in Kiel. Von 1885 bis 1888 war er als Privatdozent an der Universität Göttingen tätig, worauf er an die Universität nach Berlin wechselte.

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Anfänge der Werkstoffprüfung und Festigkeitslehre

(a) (b)

Bild 3.17 – Druckversuche von Prandtl und Rinne: (a) Druckfestigkeit von Marmorprismen ohne und mit Papiereinlage zwischen Druckstempel und Probekörperfür verschiedene Probekörperhöhen; (b) Druckfestigkeit von Zylindern aus Marmor bzw. Melaphyr [132].

Gemäss einem im Dezember 1910 in Deutschland erschienenen Runderlass [8] betrug die zulässige Druckspannung der auf Druck beanspruchten Stampfbetonbauteile ein Fünftel der Würfeldruckfes-tigkeit nach 28-tägiger Erhärtung des Betons. Für Stützen mussten die zulässigen Druckspannungen mit zunehmender Schlankheit sogar bis auf ein Zwanzigstel der Druckfestigkeit reduziert werden. Da selbst für Mauerwerk solch starke Abminderungen nicht vorgeschrieben waren, wurden diese in Kreisen der Betonindustrie stark kritisiert.

Bild 3.18 – Bach: Vergleich der aus den Versuchen ermittelten Prismenfestigkeit

(ausgezogene Linie) mit dem Erlass vom 8. Dezemer 1910 [8].

Infolgedessen untersuchte Carl Julius von Bach63 1914 an der Materialprüfungsanstalt in Stuttgart an Betonprismen mit quadratischer Grundfläche von 32 cm Kantenlänge, in welchem Mass die Druck-festigkeit mit zunehmender Höhe abnahm. Der minimale Grenzwert der von Bach benannten Prismenfestigkeit näherte sich ähnlich wie bei den Versuchen Prandtls und Rinnes der 0,8-fachen Würfeldruckfestigkeit. Den Verlauf stellte er gemäss Bild 3.18 dar und verglich diesen mit der

63 Carl Julius von Bach (1847–1931); deutscher Maschineningenieur. Ab 1876 leitete Bach als Direktor die Maschinen-

fabrik J. F. Petzold, bis er 1878 zum ordentlichen Professor für Maschineningenieurwesen an die Technische Hochschule Stuttgart berufen wurde. 1884 initiierte er die Gründung der Staatlichen Materialprüfungsanstalt in Stuttgart.

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Die Frage der „wahren“ Druckfestigkeit

Vorschrift aus dem Runderlass. Bach folgerte daraus: « Die Druckfestigkeit des Betons in Säulen, d. h. die „Säulenfestigkeit“ kann für die Praxis zu 0,8 = 4/5 der Würfelfestigkeit genommen werden » [8, S. 34].

Da die Versuchsanstalten in dieser Zeit in der Lage waren, Betondruckprüfungen zuverlässig und effizient durchzuführen, wurde an Stelle des Mischungsverhältnisses zwischen Zement, Wasser und Zuschlägen die Betondruckfestigkeit als Gütemassstab im Betonbau eingeführt. Die Verwendung der experimentell ermittelten Druckfestigkeit zur Festlegung der zulässigen Spannungen erforderte eine Normierung der Versuchsdurchführung. Die Diskussion, mit welcher Prüfkörperform die gemessene Druckfestigkeit die im Bauteil effektiv herrschenden Druckspannungen am besten beschreibt, blieb noch mehrere Jahre bestehen. Der Rechenwert der Betondruckfestigkeit in den schweizerischen Normen für Betonbauten bezieht sich erstmals in der heute aktuellen Fassung [152] auf die Zylinder-druckfestigkeit, wobei die Klassifizierung auf der Grundlage der charakteristischen Werte der Zylinder- und Würfeldruckfestigkeit erfolgt [49].

3.4.2 Krafteinleitung

1882 berechnete Mohr basierend auf seiner Bruchtheorie den Einfluss der Reibung zwischen Probe-körper und Druckplatte auf den Bruchvorgang. Er erkannte, « ... dass die Art der Uebertragung der äusseren Kräfte [...] einen grossen Einfluss auf das Versuchsresultat gewinnt, und dass infolge dessen scheinbar eine Abhängigkeit der Druckfestigkeit von der Form, insbesondere von der Höhe des Probestücks sich ergiebt, während in Wirklichkeit nicht die Festigkeit, sondern der den Bruch herbeiführende Zustand von jener Form und hauptsächlich von der Einspannung des Probestückes in den Versuchsapparat beeinflusst wird » [106, S. 138]. Mohr folgerte aus seinen Berechnungen, dass, je geringer die Reibung zwischen Probestück und Druckplatte ist, desto spitzer wird der in Bild 3.19 dargestellte Winkel 2ν des Bruchkegels [106].

Bild 3.19 – Mohr: Wirkung der Reibungskräfte zwischen

Druckplatte und Probekörper [106].

Die Schlussfolgerungen Mohrs standen im Widerspruch zu den von Vicat, Hodgkinson und Rondelet durchgeführten Versuchen. Daraufhin stellte Bauschinger 1889 die Resultate der von ihm zwischen 1874 bis 1888 an der Versuchsanstalt der Technischen Hochschule in München durchgeführten Würfeldruckfestigkeitsversuche an verschiedenen Natursteinen zusammen. Er hatte anhand unter-schiedlich weicher Einlagen zwischen Druckstempel und Probestück den Einfluss der Beschaffenheit der Druckflächen auf die Druckfestigkeit ermittelt. Bauschinger verglich die Bruchvorgänge der Probekörper und zeigte den Einfluss der Prismenhöhe bei gleich bleibender Grundfläche auf. Die Bruchflächen lagen jeweils auf Seiten- bzw. Mantelflächen zweier Pyramiden oder Kegel, über deren Grundfläche die Druckkräfte eingeleitet wurden. Die Neigung der Bruchflächen zur Grundfläche betrug nach Bauschinger mindestens 45°, « [...] weil dabei die Schubspannungen in ihren Flächen-elementen am grössten sind, gleich der Hälfte der Druckspannungen an den Stirnflächen » [12, S. 5]. Bei Würfeln stellt sich diese Neigung wegen der geometrischen Gezwungenheit gerade ein, bei

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Anfänge der Werkstoffprüfung und Festigkeitslehre

höheren Prismen gleicher Grundfläche hingegen wird das Auftreten grösserer Winkel ermöglicht. Nach Bauschinger stellen sich infolgedessen in Zylindern grössere Pyramidenhöhen ein, « [...] da die Keilwirkung solcher schlanken Pyramiden kräftiger ist [...] und daher kommt dann die Verringerung der Druckfestigkeit mit wachsender Höhe der Probestücke » [12, S. 5]. Bei Probestücken mit geringe-rer Höhe als Breite reichen die Grundflächen der Pyramiden oder Kegel nicht bis an den Rand der Druckeinleitflächen. Die Dicke des abzusprengenden Materialrings, welcher die Bruchflächen umgibt und beim Bruch abgeschoben werden muss, wird vergrössert, was gemäss Bauschingers Überlegungen mit abnehmender Höhe zu einer Zunahme des Druckwiderstands führt [12].

1899 setzte Föppl an der Technischen Hochschule in München zylindrische Probekörper mit 51,1 mm Durchmesser einem ebenen Spannungszustand aus, bei welchem die zwei Hauptspannun-gen Druckspannungen gleicher Grösse waren. Die Festigkeit bei dieser Art der Beanspruchung nannte Föppl Umschlingungsfestigkeit. Die Bezeichnung Druckfestigkeit beschränkte er auf den Fall der einachsigen Druckbeanspruchung. Durch Einflüsse, welche aus dem Aufbau der Versuchsein-richtung resultierten, wurden die Zementzylinder durch Biegung zu Bruch geführt, worauf Föppl die Resultate für die Auswertung ausschied.

(a) (b)

Bild 3.20 – Versuche Föppls 1899 an der Technischen Hochschule in München: (a) Schemazeichnung des

Druckkreuzes; (b) Würfelproben aus Zementmörtel nach Versuchsdurchführung [58].

Daraufhin führte Föppl weitere Umschlingungsversuche an 20 Würfeln aus Zementmörtel von 7,1 cm Kantenlänge im ‚Druckkreuz‘ durch, welches er eigens für diese Versuche entwickelt hatte. Die Würfel wurden, wie in Bild 3.20 (a) dargestellt, zwischen vier gleich belasteten Platten, welche durch ein Gestänge verbunden waren, zu Bruch geführt. Der Bruchvorgang begann, indem sich an einer der beiden freien Würfelseiten eine dünne Platte ablöste. Die Druckplatten stellten sich schief, und die Zerstörung setzte sich ohne weitere Laststeigerung nach Innen fort. Die resultierende Umschlin-gungsfestigkeit stieg bis auf den zweifachen Wert der Druckfestigkeit an. Diese Erhöhung führte Föppl auf den Einfluss der Reibung zwischen den Kraftangriffsplatten und dem Probekörper zurück und verwies auf die früheren Versuche Bauschingers. Dieser hatte eine Abminderung der Würfel-druckfestigkeit festgestellt, als er z. B. Einlagen aus Blei zwischen die Druckflächen der Druckplatten und des Probestücks eingeschoben hatte. Bauschinger hatte die Erscheinung durch das Einpressen des Bleis in die Poren und ein dadurch herbeigeführtes Auseinandersprengen des Probekörpers erklärt. Föppl stellte diese Theorie in Frage, woraufhin er bei der Prüfung von 20 Zementwürfeln die Reibung durch das Schmieren der Druckplatten mit einer Mischung aus Stearin und Talg zu vermin-dern versuchte. Der Bruch erfolgte praktisch geräuschlos durch ein plötzliches Zusammenrücken der geschmierten Druckplatten. Die Druckfestigkeit wurde gegenüber derjenigen, welche aus herkömm-lichen Druckversuchen ermittelt wurde, um die Hälfte reduziert. Nach dem Ausbau der Probekörper aus der Versuchseinrichtung zerfielen diese in zwei bis fünf zur Kraftrichtung parallel verlaufende Platten, wie in Bild 3.20 (b) ersichtlich ist. An weiteren 20 Zementwürfeln mit ebenfalls geschmier-ten Druckflächen wurde mit der herkömmlichen Versuchseinrichtung die Druckfestigkeit bestimmt, welche nahezu den gleichen Wert wie die Umschlingungsfestigkeit ergab. Föppl zeigte mit diesen

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Die Frage der „wahren“ Druckfestigkeit

Versuchen, dass die mittlere Hauptspannung auf die Bruchfestigkeit keinen Einfluss ausübte und glaubte somit die Mohrsche Theorie bestätigt [58].

1900 diskutierte Kick die Schlussfolgerungen, welche Föppl aus seinen Versuchen gezogen hatte. Der Meinung Föppls, dass die Reibung an den Druckflächen beim gewöhnlichen Druckversuch die Verformung beeinflusse und die Verminderung der Reibung durch Schmierung zu anderen Bruch-mechanismen führe, versuchte Kick anhand der Resultate seiner früheren Versuche zu entgegnen. 1884 hatte Kick einaxiale Druckversuche an Zylindern aus Porzellanmasse zwischen zwei Glasplat-ten durchgeführt. Der Versuchsaufbau ist andeutungsweise in Bild 3.21 (a) skizziert. Die Endflächen der Probekörper wurden mit Tusche eingefärbt, welche durch die Glasplatte als schwarze Kreisflä-chen erkennbar waren und nach Durchführung des Versuches denselben Durchmesser wie die ursprünglichen Endflächen aufwiesen. « ... dies beweist, dass die Massenteilchen der gedrückten Endflächen an ihrem Orte blieben, daher auch wirkliche (aktive) Reibung an der Druckfläche ihrerseits nicht stattfand » [86, S. 178]. Ob die Glasplatten poliert, matt oder mit einem Hauch von Öl überzogenen waren, es ergab sich immer dasselbe Erscheinungsbild. Würde das Schmiermittel in einer dicken Schicht aufgetragen, verhält sich dieses nach Kicks Ansichten wie ein Körper, welcher die Druckkräfte der Druckplatte in einer anderen Weise abträgt, als bei unmittelbarer Berührung zwischen Druckplatte und Probekörper. Die geschwärzte Endfläche würde mit steigendem Druck ihren Durchmesser vergrössern.

(a) (b)

Bild 3.21 – Kick: (a) Einachsiger Druckversuch an Prozellanmassezylindern [85];

(b) Einachsger Druckversuch an Kupferzylinder mit Bleischeiben [86].

Zum Vergleich hatte Kick 1892 Druckversuche mit Kupferzylindern zwischen zwei 2,1 cm dicken Bleischeiben durchgeführt, deren Probekörperabmessung und -form vor und nach Versuchsdurchfüh-rung in Bild 3.21 (b) ersichtlich sind. Während der Belastung floss das Blei in Wülsten zwischen Druckplatte und Kupferzylinder heraus. Dadurch bildeten sich an den Probekörpern konkave Endflä-chen aus. Zusätzlich verursachte das Gleiten der Bleiteilchen an der Kupferoberfläche Reibung, was zu einer zusätzlichen radialen Beanspruchung des Kupferzylinders führte [86].

1901 führte Föppl weitere einaxiale Druckversuche an Würfeln durch, indem er anstelle der Druck-platten Wasserkissen aus Gummimembranen in die Versuchsmaschine einbaute, siehe Bild 3.22. Im Gegensatz zu den Druckversuchen mit geschmierten Druckflächen sollte bei dieser Versuchsanord-nung eine gleichmässige Druckverteilung auf die Würfel aufgebracht und somit die „wahre“ Druck-festigkeit gemessen werden können. Föppl ermittelte Bruchlasten, welche 72 % derjenigen bei herkömmlichen Würfeldruckversuchen entsprachen. Bei den letzten zehn Würfeln der Versuchsreihe legte er zwischen Wasserkissen und Würfel ein 0,08 mm dickes Messingblech ein, wobei sich die Druckfestigkeit auf 86 % der Würfeldruckfestigkeit erhöhte. Föppl fand für die Festigkeitserhöhung keine schlüssige Erklärung, schloss aber aus den Versuchen, dass bei dieser Versuchseinrichtung die Querdehnung der Würfel nicht unbeeinflusst blieb und die „wahre“ Druckfestigkeit erheblich niedriger ausfallen müsste [59].

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Anfänge der Werkstoffprüfung und Festigkeitslehre

Bild 3.22 – Föppl: Ansicht der Versuchseinrichtung sowie Schnitt durch das

Wasserkissen, Platte C und Ballon D aus 4 mm dickem Kautschuk [59].

Roš befasste sich 1928 mit den von Föppl 1899 durchgeführten Umschnürungsversuchen im ‚Druck-kreuz‘. Er beabsichtigte zu überprüfen, ob die Stearinschmierung tatsächlich nur die Endflächenrei-bung beseitigte, denn er erklärte sich die Wirkung des Stearins als Schmiermittel wie folgt: « ... das Stearin hat eine äusserst geringe Druckfestigkeit und wird erst durch die Haft- und Reibungskräfte an den Druckflächen vor dem Herausfliessen zurückgehalten. An den Druckflächen entsteht dadurch eine solche Druckspannungsverteilung, dass am Rand die Druckspannung gleich der Druckfestigkeit von Stearin (praktisch Null) ist, von da gegen die Mitte zunimmt und höchstwahrscheinlich in der Mitte der Druckflächen ihr Maximum erreicht » [134, S. 14]. Infolge dieser Spannungsverteilung und unter Mitwirkung von Tangentialkräften würde die Querdehnung von den Randpartien behindert und dadurch die Randzone durch den Kern gesprengt. Roš untersuchte verschieden hohe Prismen aus Marmor, Zement und Beton. Er erwartete, dass bei den höheren Prismen, bei denen der Einfluss der Druckeinleitung verschwindet, mit und ohne Stearinschmierung dieselben Bruchlasten auftraten, wenn das Stearin lediglich die Reibung zwischen Probekörper und Druckplatte beseitigte. Als die Versuche seine Erwartungen nicht bestätigten, bezweifelte Roš die Brauchbarkeit der Versuchser-gebnisse, welche Föppl mit dem ‚Druckkreuz‘ erlangt hatte.

Die eigenen, 1927 durchgeführten Versuche an Carrara-Marmor zur Bestimmung der Umschlin-gungsfestigkeit ergaben eine 1,3-fache Druckfestigkeit. Roš trug die aus allen Versuchen gewonne-nen Festigkeitswerte für zweiachsige Beanspruchungen im Hauptspannungsraum auf, siehe Bild 3.23. Der schraffierte Bereich sei von Stoff zu Stoff anders und könne nur experimentell erschlossen werden [134].

Werkstoffingenieure untersuchen weiterhin die Auswirkungen der Krafteinleitung bei Zug- und vor allem Druckversuchen, wobei vor allem die Rissbildung und -fortpflanzung Gegenstand der Untersu-chungen sind; unzählige Krafteinleitungssysteme wurden für Betonwürfeldruckversuche entwickelt. Durch das Einführen von mehr Parametern wurden weitere Bruchkriterien entwickelt, welche die Versuchresultate besser abbilden [103].

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Zusammenfassung

Bild 3.23 − Roš: Festigkeitswerte von Marmor für zweiachsige

Beanspruchungen [134]

Mit dem Aufkommen numerischer Simulationen in den 1970er Jahren verlor die experimentelle Forschung vielerorts an Bedeutung. Viele Forscher glaubten, eine computergestützte Vorhersage von Werkstofffestigkeiten und des Tragverhaltens von Bauteilen, sei zeitgemäss. Die Durchführung gezielter experimenteller Versuche bleibt jedoch auch im modernen Computerzeitalter unerlässlich.

3.5 Zusammenfassung

Die Erforschung des Werkstoffverhaltens stellt eine der Grundlagen zur Entwicklung von Berech-nungsmodellen für die Bemessung umschnürter Stahlbetonstützen dar. Die Festigkeitslehre beein-flusst die Art der Modellbildung. Ausserdem werden Baustoffprüfungen zur Normierung von zulässigen Baustoffgrössen, wie Spannungen und Dehnungen durchgeführt, welche in die Berech-nungsmodelle einfliessen.

Die Baustoffkunde findet ihre Anfänge im 15. Jahrhundert und wurde von Architekturtheoretikern behandelt. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts folgten erste experimentelle Untersuchungen des elastischen Verhaltens und der Festigkeit verschiedener Baustoffe. Dabei wurden Druckfestigkeits-versuche vorwiegend an Natursteinen durchgeführt und die Resultate in Tabellenwerken festgehal-ten. Eine allgemeine Theorie über das elastische Verformungsverhalten und die Festigkeit wurde Anfang des 19. Jahrhunderts vorwiegend von französischen Mathematikern und Bauingenieuren entwickelt. Durch Übersetzungen der französischen Werke gelangten die Kenntnisse auch in den deutschen Sprachraum.

Die Dimensionierung von Konstruktionsteilen bedingte das Festlegen zulässiger Beanspruchungen, was durch die Erarbeitung von Bruchkriterien ermöglicht wurde. Deren Entwicklung fand im engen Zusammenhang mit den Werkstoffprüfungen statt. Bis ins 20. Jahrhundert versuchte man anhand der Versuchsergebnisse eines einzelnen Werkstoffs eine allgemein gültige Theorie des Materialversagens aufzustellen, was sich jedoch als nicht machbar herausstellte. Dadurch entstanden sehr unterschiedli-che Ansichten über die für den Bruchwiderstand massgebenden Baustoffkennwerte. Die Entwicklung der ersten Bruchhypothesen basierte auf einachsigen Zug- und Druckversuchen, wodurch sich die Hypothesen auf die grösste Dehnung bzw. die grösste Normal- oder Schubspannung in einem Werkstoff stützten. Letztere Hypothese wurde von Coulomb 1773 als Reibungsgesetz − τ = c + σ tanϕ

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Anfänge der Werkstoffprüfung und Festigkeitslehre

− formuliert. Coulombs Bruchkriterium wird wegen seiner einfachen Formulierung noch heute verwendet. 1882 verallgemeinerte Mohr das Bruchkriterium von Coulomb für mehrachsige Span-nungszustände, und Tresca schlug 1864 für Metalle die Verwendung des Bruchkriteriums von Coulomb mit dem Reibungswinkel ϕ = 0 vor. In der Folge beschäftigten sich die Forscher, darunter von Mises, hauptsächlich mit duktilen Werkstoffen. 1913 formulierte er basierend auf der Mechanik zäher Flüssigkeiten eine Fliessbedingung, welche wegen ihrer einfachen Formulierung besonders für analytische Berechnungen geeignet ist. Für spröde Werkstoffe wurde versucht, die allgemein gehaltene Bruchtheorie von Mohr konkreter zu beschreiben. 1933 beschrieb Leon die Hüllkurven, welche Mohr anhand von Festigkeitsversuchen bestimmte, mathematisch aber nicht darstellte, durch eine quadratische Parabel.

Zur Beschreibung von Bruchkriterien für duktile Werkstoffe wurde ausserdem die Formänderungsar-beit eingesetzt, welche in Volumen- und Gestaltänderungsarbeit unterteilt wurde. Maxwell liess sich von Forschungsarbeiten in der Strahlungsphysik inspirieren. Er stellte 1856 in einem Brief an Thomson die heute meist nach von Mises benannte Fliessbedingung auf, nach welcher der Fliessbe-ginn bei einem bestimmten Wert der Gestaltänderungsarbeit eintritt. Bis zur Veröffentlichung seiner Briefe 1936 blieben Maxwells Überlegungen jedoch unentdeckt. 1904 tat es Huber Maxwell gleich, wobei er sich auf die Arbeit von Beltrami bezog, welcher 1885 die Fliessbedingung mit der gesamten Formänderungsarbeit formulierte. 1926 erweiterte Schleicher die Hypothese der konstanten Formän-derungsarbeit, indem er den massgebenden Grenzwert der Formänderungsarbeit von der mittleren Normalspannung abhängig machte und die Anwendung seiner Theorie auf spröde Stoffe ausdehnte. 1928 stellte von Mises erstmals den Zusammenhang zwischen der Fliessbedingung und dem zugehö-rigen Deformationsvorgang her, das so genannte Fliessgesetz.

Druckversuche unter mehrachsigen Spannungszuständen wurden nicht durch die Suche nach Bruch-kriterien initiiert, sondern haben ihren Ursprung in geologischen Untersuchungen. Im Zusammen-hang mit dem Studium der Tektonik vermuteten die Geologen, dass die Verformung der Erdkruste in Verbindung mit plastischem Fliessen der Gesteine vonstatten geht. Unter den vielen, meist umstritte-nen Theorien ging vor allem die von Heim 1878 veröffentlichte Arbeit, welche auch von zahlreichen Ingenieuren gelesen wurde, in die Geschichte ein. Viele Geologen versuchten die plastische Ver-formbarkeit der Gesteine anhand von Druckversuchen nachzuweisen. Die Erzeugung der gewünsch-ten dreiachsigen Beanspruchung der Probekörper erwies sich als schwierig und erforderte eine ausgeklügelte Versuchseinrichtung. Meist wurden keine aufschlussreichen Ergebnisse erzielt.

Im Ingenieurwesen wurden neben dem Nachweis der plastischen Verformbarkeit zusätzlich Bruch-vorgänge untersucht. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Forschungstätigkeit Mohrs zu nennen, aus der 1882 sein Bruchgesetz entstand. Bei der Auswertung der Druckversuche mit spröden Werkstoffen wurde der Einfluss der mittleren Hauptspannung festgestellt, worauf die Brauchbarkeit der Bruchkriterien nach Mohr und Coulomb zur Beschreibung der Bruchvorgänge angezweifelt wurden. Folglich wurden auf der Grundlage zahlreicher Druckversuche und unter der Annahme anisotroper Stoffe neue Bruchtheorien gesucht, in welchen die Kornverteilung der Stoffe in den Modellen mit einbezogen wurde. 1911 untersuchte von Kármán an Marmorzylindern, welche Beanspruchungen Trenn- bzw. Gleitbrüche erzeugen. 1915 wiederholte Böker von Kármáns Versu-che, wobei er vier verschiedene Brucharten identifizierte, welche stets unter konstanten Festigkeits-werten auftraten. Die Bruchvorgänge beschrieb Böker schliesslich anhand eines analytischen Mo-dells. Zwölf Jahre später führte Roš an der Empa dasselbe Versuchsprogramm noch einmal durch. Er unterschied drei verschiedene Bruchvorgänge und erklärte diese anhand von so genannten vagabun-dierenden Spannungen, welche durch die Wechselwirkung der Kristallite im Probekörper hervorge-rufen werden. Zur selben Zeit führte Brandtzæg Druckversuche an Betonzylindern durch. Er entwi-ckelte auf der Grundlage der Arbeit Bökers ein Modell zur Beschreibung der Bruchvorgänge und ging ebenfalls von einem Vielkristallkörper aus. Verfeinerte Modelle zur Beschreibung der Bruch-vorgänge des Betons, wie sie von Böker, Roš und Brandtzæg aufgestellt wurden, entwickelten Werkstoffingenieure weiter und finden heute bei Computersimulationen Anwendung. Für die Dimensionierung von Bauteilen werden hingegen nach wie vor einfachere Modelle verwendet.

Zur Festlegung zulässiger Spannungen mussten klare Bezugsgrössen geschaffen werden, welche die effektiven Spannungen im Bauteil am besten beschreiben. Dies galt auch für die Druckfestigkeit des

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Zusammenfassung

Betons. Je nach Versuchseinrichtung sowie gewählter Form und Grösse der Prüfkörper fiel die gemessene Druckfestigkeit sehr unterschiedlich aus. Auf Grund dieser Tatsachen entstand die Suche nach der „wahren“ Druckfestigkeit. Zur Bestimmung des Einflusses der Probekörperform auf die Druckfestigkeit führten insbesondere Vicat 1833, Kick 1877 und Prandtl mit Rinne 1907 zahlreiche Versuche mit unterschiedlichen Stoffen durch. Sie beschrieben vor allem die Abnahme der Druckfes-tigkeit mit zunehmender Probekörperhöhe. Vor dem Hintergrund der geringen zulässigen Beton-druckspannung in den damals geltenden Vorschriften, welche die Entwicklung der Betonindustrie hinderte, bestimmte Bach 1914 für Beton eine minimale Prismendruckfestigkeit gleich 80 % der Würfeldruckfestigkeit. Aufgrund dieser Versuchsresultate konnten die Sicherheitsfaktoren stark reduziert werden. Ein weiterer Einfluss auf die Druckfestigkeit ging von der Art der Krafteinleitung aus, welche verschiedene Bruchmechanismen und somit eine grosse Variation der gemessenen Druckfestigkeit erzeugte. 1882 berechnete Mohr anhand seiner Bruchtheorie die Form des durch die Reibung zwischen Probekörper und Druckplatte erzeugten Kegels. 1889 stellte Bauschinger fest, dass die Ausbildung des Bruchkegels bei einer zu geringen Höhe des Probekörpers behindert wird und dadurch eine Festigkeitserhöhung resultiert. Zehn Jahre später zeigte Föppl, dass die einachsig gedrückten Betonwürfel eine tiefere Festigkeit aufwiesen als die zweiachsig gedrückten. Diesen Unterschied führte er auf die Reibung zwischen den Druckplatten und dem Probekörper zurück, da er überzeugt war, dass die mittlere Hauptspannung keinen Einfluss auf die Druckfestigkeit ausübt. Als Föppl bei der nächsten Versuchsserie die Platten mit Stearin schmierte, fiel die Druckfestigkeit jeweils gleich aus. Föppls Meinung, dass die Schmierung der Druckplatten den Bruchmechanismus und somit die Druckfestigkeit beeinflusst, wurde von Kick kritisiert. Dieser behauptete, dass lediglich das Ausquetschen des dick aufgetragenen Schmiermittels den Bruchvorgang beeinflusse. Daraufhin versuchte Föppl mit dem Einsatz von Wasserkissen als Einleitkörper seine Theorie zu festigen. Fast dreissig Jahre später überprüfte Roš die Behauptung Föppls. Er glaubte durch Versuche mit hohen Steinprismen zu beweisen, dass die Stearinschmierung nicht nur die Reibung abmindere, sondern den Probekörper durch eine ungleichmässige Spannungsverteilung auseinandersprenge. Die Druckfestig-keiten mit und ohne Schmierung der Druckeinleitungsplatten fielen unterschiedlich aus, woraus er folgerte, dass der Einfluss der unterschiedlichen Druckeinleitungen nicht beseitigt wurde.

Wegen der unvermeidbaren Beeinflussung der gemessenen Festigkeitswerte durch die Versuchs- und Messeinrichtung, kann die „wahre“, unbeeinflusste Druckfestigkeit nicht ermittelt werden. Heutzuta-ge behilft man sich mit streng genormten Werkstoffprüfungen, die einfach durchführbar sind und wenig streuende Versuchswerte liefern. Für die Ermittlung der Betondruckfestigkeit sind Probekör-perform, -grösse und -alter sowie Versuchseinrichtung und Belastungsgeschwindigkeit genau festgelegt.

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Anfänge der Werkstoffprüfung und Festigkeitslehre

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Die Erfindung

4 Umschnürte Eisenbetonstützen

4.1 Die Erfindung

Die ersten Anstrengungen, die Brucheigenschaften druckbeanspruchter Betonbauteile zu verbessern, erfolgten durch Einlegen eines Bewehrungsnetzes senkrecht zur Druckrichtung. Später wurde nach anderen, effizienteren Bewehrungsanordnungen gesucht, von welchen sich die Spirale als die beste erwies. Durch eingehende Versuche in Frankreich entdeckten die Forscher die guten Eigenschaften des umschnürten Betons und stellten eine erste Beziehung zur Ermittlung seiner Tragfähigkeit auf.

4.1.1 Erste Ideen

Die erste Idee der Konstrukteure zur Erhöhung des Druckwiderstands von Beton war in Analogie zum Zugbereich in Biegeträgern die Verwendung von Längsbewehrung. Damit diese beim Betonie-ren an Ort blieb, wurden die Stäbe durch Bügel miteinander verbunden. Manche Ingenieure erkann-ten, dass die Bügel auch eine andere wichtige Rolle spielen. Sie verhindern, dass die Längsstäbe zu früh ausknicken und verzögern sowohl das Ausbauchen als auch den Bruch des Betonkörpers. Sehr früh wurde bemerkt, dass die vollständige Umschnürung des Betons eine beträchtliche Erhöhung des Widerstands hervorbringt [29].

Bild 4.1 – Böhme: Prüfung der Druckfestigkeit von Würfeln mit Drahtnetzeinlagen gemäss dem Patent von Rabitz [18].

Im Zusammenhang mit einer Feuerwiderstandsprüfung eines kleinen, nach einem Patent vom königlichen Hofmaurermeister Karl Rabitz1 erstellten Gebäudes, wurden 1888 an der königlichen Technischen Hochschule in Charlottenburg, Berlin, Druckversuche an Würfeln mit 10 cm Kanten-länge durchgeführt. Die Hälfte der Mörtelproben wies zwei Drahtnetzeinlagen gemäss Bild 4.1 auf; eine Festigkeitssteigerung gegenüber den unbewehrten Würfelproben konnte damit jedoch nicht erzielt werden. Das Rabitzgewebe wurde hauptsächlich bei Wänden angewandt und konnte anfäng-lich sogar mit dem Bewehrungssystem von Joseph Monier 2 konkurrieren. Im 20. Jahrhundert

1 Karl Rabitz (1825–1891), Berliner Maurermeister. 2 Joseph Monier (1823−1906), französischer Gärtner. Monier erhielt 1867 ein Patent zur Herstellung von Pflanzenkübeln.

Als Mörtelträger verwendete er ein Gitter aus Eisendrähten. Bis 1875 folgten verschiedene Zusatzpatente für Röhren, Reservoire, Brücken, Treppen und Eisenbahnschwellen. Obwohl in Frankreich und England schon zwanzig Jahre früher Verbundkörper aus Eisen und Beton patentiert und im Bauwesen angewandt wurden, galt Monier in weiten Kreisen als geistiger Urheber des Eisenbetons.

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Umschnürte Eisenbetonstützen

erlangte die Erfindung von Rabitz als Putzträger grosse Verbreitung; heute wird das Rabitzgewebe nur noch bei der Restaurierung von denkmalgeschützten Bauten verwendet [18].

Eine weitere Idee der Querbewehrung wurde 1892 von Mathias Koenen 3 hervorgebracht und zusammen mit Gustav Adolf Wayß 4 in verschiedenen Staaten patentiert. Beispielsweise im Schwei-zerischen Patent Nr. 4881 – Zugfeste Massiv-Baukörper – wird näher erörtert, wie in Betonstützen die Querdehnungen des Betons durch entsprechend eingelegte Querstäbe oder Ringe vermindert wird und auf diese Weise im Beton in Querrichtung Druckspannungen erzeugt werden können. Koenen selbst hatte sein System der Querversteifung nur in seltenen Fällen angewandt, da er den Einfluss der Querbewehrung auf die Tragfähigkeit als zu gering eingeschätzt hatte. Da die Risslast im Vergleich zur unbewehrten Stütze unverändert blieb und zu dieser Zeit die Risslast von der Baupolizei als Mass der Tragfähigkeit vorgeschrieben wurde, schenkte Koenen der Umschnürung keine Beachtung [88, 91]. Louis Auguste Harel de la Noé 5 dagegen diskutierte den Gebrauch gerader Querbewehrungsstä-be und regte zu sehr interessanten Anwendungen6 an. Armand Gabriel Considère 7 befasste sich mit den von Koenen und Noé vorgeschlagenen Anordnungen der Querbewehrung. Die Spiralbewehrung nannte er die effizienteste Querbewehrungsart für Druckglieder und verfolgte ausschliesslich diese Bewehrungsanordnung weiter. Bei der Beschreibung der Bewehrungsanordnung machte er zusätzlich auf die gegen Korrosion nötige Einbettungstiefe der Bewehrungsstäbe aufmerksam. « Les considéra-tions développées plus loin m’ont conduit à penser qu’on obtiendrait le maximum d’effet utile en frettant le béton au moyen de fils ou de barres d’acier enroulés en spires hélicoïdales dans les membrures comprimées, à la distance de leur surface qui serait nécessaire pour les protéger contre la rouille » [27, S. 365]. Considère kam zum Schluss, dass die Bewehrung in hinreichend nahe anein-ander liegenden, rechtwinkligen Ebenen in Richtung der Druckkraft jegliche Formen des Bruchs von Beton unter Druck aufhalten kann. Die Tendenz des Betons, entlang einer schrägen Bruchfläche zu gleiten, würde durch die Bewehrungen, welche die Fläche kreuzen, verhindert. [27, 31].

1902 erhielt Considère in Paris ein Patent über ein Verfahren zur Herstellung von Betonkörpern, welche hohe axiale Druckfestigkeiten besitzen sollen und dadurch gekennzeichnet sind, dass um den Kern eine Metallspirale mit nahe aneinander liegenden Windungen eingelegt ist. Durch erste Versu-che zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkannte er, dass der umschnürte Beton im Gegensatz zum unbewehrten, nur längs bewehrten oder querbewehrten Beton unter Druck viel bessere Eigenschaften aufwies. Considère beschrieb den nicht oder nur längs bewehrten, auf Druck beanspruchten Beton als sehr spröd, da dieser ohne Anzeichen grösserer Deformationen versagte. Der umschnürte Beton hingegen nahm ohne Zerstörungsanzeichen bedeutend höhere Lasten auf, wobei diese nach Eintreten erster Risse noch weit gesteigert werden konnten [7].

Da der Bruch einer umschnürten Stütze durch Reissen und anschliessende Ablösung der ausserhalb der Bewehrung liegenden Betonschale sowie eine grosse Zunahme der Verformungen angekündigt wird, konnte das Interesse am umschnürten Beton geweckt werden.

3 Mathias Koenen (1849–1924); deutscher Bauingenieur. Neben seiner Lehrtätigkeit in Berlin war Koenen als technischer

Leiter der Beton- und Monierbau AG, ehemals Firma G. A. Wayβ & Co, tätig und wurde 1891 Direktor. Er war 1898 Gründungsmitglied des Deutschen Beton-Vereins.

4 Gustav Adolf Wayß (1851–1917); deutscher Bauingenieur. Wayß gründete die Baufirma Diss & Wayß in Frankfurt a. M. und später G. A. Wayß & Co. in Wien. 1885 erwarb er die Patente Moniers.

5 Louis Auguste Harel de la Noé (1852–1931); französischer Bauingenieur. Im Zusammenhang mit dem Bau der Bahnstrecke des „Petit Train des Côtes-du-Nord“ realisierte Noé mehrere Brücken aus Stahlbeton. 1901 wurde er Chef-ingenieur des Ponts et Chaussées.

6 Considère erwähnt Noés Arbeit ohne Illustrationen und genauerer Literaturangabe. 7 Armand Gabriel Considère (1841–1914); französischer Ingenieur. Considère war Chefingenieur des Ponts et Chaussées

und Mitglied der Pariser Akademie der Wissenschaften.

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Die Erfindung

4.1.2 Der Auftakt der Umschnürung in Frankreich

1900 wurde vom Ministerium für öffentliche Arbeiten in Paris zum Studium des armierten Betons eine Kommission gegründet, die sich in drei Subkommissionen aufteilte. Considère belegte einen der Vorsitze [168]. In einer knappen Mitteilung an die französische Akademie der Wissenschaften berichtete Considère im August und September 1902 von ersten Versuchen an kleinen, mit feinen Eisenfäden umschnürten Mörtelprismen von 4 cm Durchmesser, welche 1901 in Quimper, einer kleinen Stadt in der Bretagne, durchgeführt worden waren [28]. Darauf folgend prüfte er 1902 mit der Unterstützung Augustin Mesnagers 8 an der Versuchsanstalt der École des Ponts et Chaussées in Paris 38 achteckige Betonprismen mit 15 cm Durchmesser, welche mit Hilfe von François Hennebi-que 9 betoniert wurden. Mesnager hatte durch die Wiederholung der Umschnürungsversuche Föppls von 1899 [58] Erfahrungen mit umschnürten Druckkörpern gesammelt. Die Querschnitte der drei 0,5 m langen Prismen A bis C der ersten Gruppe sowie die Prismen D bis F mit 1,3 m Länge sind in Bild 4.2 (a) dargestellt.

(a) (b) (c)

6@30

150

4@15

6@304@15

4@809

6

A B C

D E F

150

Bild 4.2 – Considère: (a) Querschnitte der sechs Versuchskörper A bis F, Abmessungen in mm; (b) Last-Verformungs-Kurven der sechs Versuche [28]; (c) Last-Verformungs-Kurve des Kernbetons, A mit Umschnürungsbewehrung, B Wiederbelastung ohne Umschnürungsbewehrung, C Differenz der beiden Kurven [28].

Considère bestimmte an allen Prismen die Verkürzung sowie den Bruchwiderstand und stellte diese in Last-Verformungskurven gemäss Bild 4.2 (b) dar. Jede Kurve ist mit dem geometrischen Beweh-rungsgehalt pro Volumen beschriftet. Der erste Summand bezeichnet die Längs-, der zweite die

8 Augustin Mesnager (1862–1933), französischer Ingenieur. Mesnager war Ingenieur des Ponts et Chaussées und an der

Erstellung der ersten normativen Regelung für bewehrten Beton beteiligt. Später wurde er Direktor des Laboratoriums der École des Ponts et Chaussées und Mitglied der Pariser Akademie der Wissenschaften.

9 François Hennebique (1843–1921); französischer Bauingenieur. Hennebique errichtete als Unternehmer verschiedene Bauten in Spanien, Frankreich und Belgien. 1892 erhielt er sein erstes Patent zur Herstellung von Eisenbetonbauten. 1898 gründete er die Zeitschrift „Le béton armé“.

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Umschnürte Eisenbetonstützen

Umschnürungsbewehrung. Man erkennt die starke Stauchungszunahme der stark umschnürten Versuchsköper B bis E gegenüber der geringen Bruchstauchung des reinen oder nur schwach umschnürten Betonköpers A und F. Die gestrichelte Kurve OMN zeigt das Verhalten des umschnür-ten Betonkerns.

Die im August 1902 der Akademie vorgestellten vorausgehenden Überlegungen Considères wurden durch die Druckversuche bestätigt. « Toutes ont confirmé qu’il faut multiplier par K / 2 = 2,4 le poids d’un frettage pour déterminer le poids des armatures longitudinales qui donneraient la même résis-tance à l’écrasement » [28, S. 415]. Die Umschnürungsbewehrung rechnete er auf eine fiktive Längsbewehrung um. Das aus Triaxialversuchen mit Sandprismen erhaltene Verhältnis zwischen der Bruchfestigkeit und dem Manteldruck

2

1 4,8tan ( )

2c

K = =ϕ

(4.1)

wandte er direkt auf den Beton an. Die beschriebene Beziehung (4.1) wurde aus einer damals gebräuchlichen Erddruckformel für kohäsionslose Stoffe abgeleitet, wobei ϕc den Reibungswinkel bezeichnet; mit dem gebräuchlichen Winkel der inneren Reibung gilt ϕ = π / 2−ϕ

c. Auf die genaue Herkunft der Beziehung ging Considère vorerst nicht ein.10

Den Bruchwiderstand eines festen Körpers beschrieb Considère gemäss den Vorstellungen in der Bodenmechanik mit der Kohäsion und der intermolekularen Reibung. Er nahm an, dass die Um-schnürung die Kohäsion in einem bisher ungeklärten Mass beeinflusst. Zur Ermittlung der Umschnü-rungswirkung verglich Considère somit den gemessenen Bruchwiderstand des umschnürten Betonprismas mit dem berechneten Widerstand eines identisch umschnürten, kohäsionslosen Sandprismas mit gleichem Reibungskoeffizienten wie Beton. Den Unterschied zwischen dem errechneten Bruchwiderstand und der Bruchlast aus den Versuchen, den er « résistance propre du béton » [27, S. 366] nannte, erklärte sich Considère durch die im Beton vorhandene Kohäsion. Diese „Eigenfestigkeit“ des Betons setzte er gleich dem Bruchwiderstand des nicht umschnürten Betons [27, 28].

Die praktische Relevanz der Versuche erläuterte Considère anhand einer ausführlichen Beschreibung der Wirkungsweise des umschnürten Betons im November 1902. Er liess die rein theoretischen Betrachtungen der Festigkeitslehre beiseite und beabsichtigte zur Bestimmung der Bruchlast von umschnürten Stützen mit Längsbewehrung für die Praxis Beziehungen aufzustellen, welche aus-schliesslich mechanische Eigenschaften der Werkstoffe beinhalten. Considère erkannte, dass die Längsbewehrung die Druckfestigkeit des Betons nicht beeinflusste und in den weiteren Betrachtun-gen zur Bestimmung der Umschnürungswirkung nicht mit einbezogen werden musste. « [...] la résistance totale à l’écrasement s’écarte peu de la somme de la résistance à l’écrasement du béton et de la résistance fournie par les armatures longitudinales travaillant à la limite d’élasticité du métal » [29, S. 6]. Zur Ermittlung der Umschnürungswirkung der geprüften Prismen subtrahierte Considère die von ihm bezeichnete Eigenfestigkeit des nicht umschnürten Betons von der gesamten Bruchlast und teilte die Differenz durch die Querbeanspruchung, welche durch die Spiralbewehrung hervorge-bracht werden konnte. In den bis anhin durchgeführten Versuchen war keine Veränderung der Umschnürungswirkung zu erkennen, falls der Bewehrungsabstand 1/5 des Stützendurchmessers nicht überschritt. Die Versuchskörper mit sehr kleinen Ganghöhen der Spiralbewehrung verhielten sich bezüglich der Rissbildung des Überdeckungsbetons, der Verformungen und des Knickwiderstands günstiger. Daher legte Considère fest, dass die Ganghöhe der Spiralbewehrung zwischen 1/10 und

10 Sowohl in der Mitteilung im August 1902 als auch im September [27, 28] verwendete Considère den Ausdruck (4.1) Erst

in einer weiteren Mitteilung an die Akademie im April 1904 [31] änderte er den Ausdruck in die nach heutigen plastizi-tätstheoretischen Betrachtungen anhand der Fliessbedingung nach Mohr-Coulomb gebräuchliche Schreibweise. Einzel-heiten folgen weiter hinten im Text.

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Die Erfindung

1/7 des Stützendurchmessers liegen solle. Ebenso zeigten die Versuche eine grosse Verformbarkeit des umschnürten Betons, auf welche jedoch nicht weiter eingegangen wurde [29].

Zur abschliessenden Bestimmung der Umschnürungswirkung wurden weitere Betonprismen bis auf das Niveau typischer Gebrauchslasten beansprucht und anschliessend entlastet. Die Umschnürungs-bewehrung wurde anschliessend vom Betonkern entfernt, und dessen Verformbarkeit und Festigkeit durch Belastung bis zum Bruch ein zweites Mal geprüft. Kurve A des Last-Verformungs-Diagramms in Bild 4.2 (c) zeigt den umschnürten Beton, B den wiederbelasteten Betonkern nach Entfernung der Spiralbewehrung und C die Differenz der beiden. Die Festigkeit des vorgängig umschnürten Beton-körpers konnte gegenüber einem gleichartigen ohne Bewehrung um 50 % gesteigert werden und blieb nach Überschreiten des Maximums nahezu konstant. Dieses Experiment gelang Considère aber nur an einem einzigen Körper, die restlichen brachen wegen versuchstechnischer Probleme ohne grosse Verformungen und konnten nicht ausgewertet werden.

Considère stellte abschliessend eine Regel für die Berechnung des Bruchwiderstands umschnürter Konstruktionsteile auf. « La résistance à l’écrasement d’une pièce frettée dépasse la somme des trois éléments suivants: 1° Résistance à l’écrasement du béton employé sans armatures; 2° Résistance des armatures longitudinales travaillant à la limite d’élasticité; 3° Résistance que produiraient, en travaillant à la limite d’élasticité du métal formant les frettes, des

armatures longitudinales fictives dont le volume serait égal à celui des frettes multiplié par 2,4 » [29, S. 59].

1907 liess die französische Ministerialkommission in Paris weitere Versuche durchführen und korrigierte den von Considère gefundenen Faktor K / 2 von 2,4 auf 2,1.

Nach weiteren ausführlichen Untersuchungen an der Académie des Sciences in Paris fasste Considè-re 1904 die gewonnenen Erkenntnisse über die Wirkungsweise der Umschnürung zusammen. « L’écrasement des solides ne peut pas se produire sans gonflement transversal. On combat donc l’écrasement en combattant le gonflement. L’un des moyens qu’on peut employer pour obtenir ce résultat, consiste à fretter les corps solides » [31, S. 946]. Aus den Versuchen mit umschnürten Prismen aus Mörtel und Beton stellte Considère für die Bruchfestigkeit schliesslich die zu früheren Ausführungen leicht modifizierte Beziehung 1,5 C + 4,8 P auf. « 4,8 P est la résistance à l’écrasement d’un prisme de mêmes dimensions qui serait formé de grains du même mortier n’ayant entre eux aucune cohésion. Cette résistance ne peut donc avoir d’autre cause que le frottement. Le premier terme 1,5 C, d’autant plus important que le solide a une plus grande résistance propre, a pour cause la cohésion que le rapprochement des molécules exalte ou manifeste plus complètement » [31, S. 946]. Den Faktor 1,5 stützte Considère einzig auf den einen geglückten Wiederbelastungsversuch von 1902.

Weiter untersuchte Considère die Druckfestigkeit von 65 zylindrischen Prismen unter allseitigem Druck. Die 8 cm hohen Prismen mit 3 cm Durchmesser wurden mit einer hauchdünnen Zementhaut versiegelt. Die Versuche bestätigten die 1902 gefundene Formel weitgehend; diese wurde zu AC + 4,8 P abgeändert. « Le coefficient A est égal à l’unité quand la pression P est nulle; il augmente avec elle et atteint, sous la pression de 40 kg à 50 kg, la valeur 1,5 qu’il conserve sous les pressions plus élevées » [31, S. 948]. Nach einer mathematischen Analyse der Umschnürungswirkung von Auguste Pourcel [116], welche im Januar 1904 der Akademie der Wissenschaften bekannt gegeben wurde, ersetzte Considère die Beziehung (4.1) durch

2

1

tan4 2

K =π ϕ⎛ ⎞−⎜ ⎟

⎝ ⎠

. (4.2)

Durch die Anwendung der Bruchbedingung nach Mohr-Coulomb, definierte Pourcel den Reibungs-winkel ϕc und die « cohésion » σc entsprechend der in Bild 4.3 (a) dargestellten Bezeichnungen. Mit dem Gleichgewicht am Schnittkörperdiagramm gemäss Bild 4.3 (b) und Minimierung von σ1 durch

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Umschnürte Eisenbetonstützen

die Variation von α erhielt er α = ϕc / 2 und für K somit die Beziehung (4.1), welche Considère

bereits 1902 aufgestellt hatte.

(a) (b) τ

σ

ϕ

σc

Mohr-Coulombc

ϕ

3

α

n

1

αsin

αcos

α

σ1

σ3 σnτtn

Bild 4.3 – (a) Bruchbedingung nach Mohr-Coulomb im τ-σ-Diagramm mit positiven

Druckspannungen; (b) Schnittköperdiagramm.

Den Druckwiderstand eines umschnürten Körpers beschrieb Pourcel schlussendlich mit

( )1 31 cK Kσ = − σ + σ . (4.3)

Der erste Term entspricht der einachsigen Druckfestigkeit fc [116]. Considère verwendete im Ausdruck (4.2) den in Bild 4.3 (a) dargestellten Winkel φ ohne jeglichen Kommentar zu seinen früheren Berechnungen. Auf den ersten Summanden der Beziehung (4.3) ging er nicht ein und hielt an der Multiplikation der einachsigen Druckfestigkeit mit dem Faktor A fest [31].

4.1.3 Zusammenspiel zwischen Versuchswesen und Entwicklung des Eisenbetonbaus

Die Vorgehensweise Considères, die Erforschung der Umschnürungswirkung auf den Beton auf Versuche zu stützen, entsprach dem Paradigma dieser Zeit. Die Entstehung und die Weiterentwick-lung des Eisenbetonbaus fielen mit der raschen Entwicklung der soeben entstandenen Materialprü-fungsanstalten11 zusammen. Die auf der Basis wissenschaftlich durchgeführter Versuche erlangten Erkenntnisse der Materialeigenschaften rückten in den Vordergrund des wissenschaftlichen Interes-ses und schufen dadurch das Fundament für die außerordentlich rasche Entwicklung der modernen Technik und der technischen Wissenschaften.

In der Schweiz wurden an der eidgenössischen Materialprüfungsanstalt unter der Leitung François Schüles 12 erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts die ersten Versuche mit bewehrtem Beton durchge-führt. Zuvor wurden wie in den umliegenden Staaten nur Belastungsproben einzelner Bauteile oder

11 Gründungsjahre einiger Versuchanstalten in Europa und ihre Initianten: London, 1865, D. Kirkaldi; München, 1871, J.

Bauschinger; Zürich, 1879, L. von Tetmajer; Stuttgart, 1884, J. C. von Bach; Wien, 1899, Professorenschaft. 12 François Schüle (1860−1925); schweizerischer Bauingenieur. Schüle war zehn Jahre in der französischen Firma Eiffel

auf dem Gebiet des Eisenbaus tätig und kehrte 1891 in die Schweiz zurück, wo er als Kontrollingenieur für Brückenbau-ten beim Eisenbahndepartement in Bern arbeitete. Nach einer kurzen Amtszeit als Professor an der Ecole d’Ingenieurs in Lausanne wirkte er von 1901 bis 1924 als ordentlicher Professor für Baustatik und für Technologie der Baumaterialien an der ETH Zürich. Er leitete ausserdem als Nachfolger Tetmajers die Eidgenössische Materialprüfungsanstalt.

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Die Erfindung

auf Kosten der Erfinder mit spärlichen Vorrichtungen Untersuchungen unternommen, welche oft von geschäftlichen Interessen motiviert waren. Die ersten Unternehmer, welche Eisenbetonbauten auszuführen gedachten, beauftragten die Versuchsanstalten, die von ihnen entworfenen Stahlbeton-bauteile zu prüfen, bevor sie an die Anwendung der neuen Bauweise gingen. Die starken Schwan-kungen der Versuchsresultate, welche durch die damals unvermeidbare, stark streuende Betonqualität hervorgerufen wurde, verursachten einen grossen Widerwillen gegen eingehende Untersuchungen des Eisenbetons. Die Wissenschaftler zweifelten an der Brauchbarkeit der Resultate, welche sie für die Aufstellung wissenschaftlich konsistenter Modelle zur Dimensionierung von Stahlbetonkonstruk-tionen nutzen wollten. Ebenso waren die Kenntnisse über die Spannungs- und Verformungseigen-schaften der einzelnen Materialien noch nicht genügend weit fortgeschritten, was die Aufnahme der Untersuchungen von Verbundkörpern in den stark ausgelasteten öffentlichen Versuchsanstalten behinderte.

Auch die 1898 durchgeführten Versuche Considères zur Ermittlung des Bewehrungseinflusses [26], welche unter den Fachleuten grosses Aufsehen erregten, wurden anhand kleiner, mit 1,9 bis 7,7 mm dickem Draht armierter Betonprismen von 60 cm Höhe und quadratischem Querschnitt mit 6 cm Seitenlänge unternommen. Solchen zum Teil mangelhaften Versuchen sind die Erkenntnisse zu verdanken, welche zur Aufstellung erster Berechnungsverfahren notwendig waren. Während sich die Franzosen, in erster Linie Hennebique und François Coignet 13, an erste grosse Bauausführungen wagten, entstanden in Deutschland und Österreich durch Koenen und Paul Neumann 14 brauchbare Näherungslösungen für die Berechnung der Eisenbetonbauten.

Mit der Zeit versuchte man vermehrt von den Materialprüfungsanstalten Gebrauch zu machen und die Lücken der Modellierungen durch teils kostspielige Versuche zu schliessen. Somit war es möglich, auf sehr kurzem und konsistentem Weg die Wirkungsweise und grundlegenden Eigenschaf-ten der neuen Verbundbauweise anhand des wissenschaftlichen Versuchswesens zu ergründen. Die Theorie folgte der Praxis und baute sich auf dieser auf; sie wurde immer wieder dem jeweiligen Stand der versuchstechnischen Ergebnisse angepasst. Die theoretischen Arbeiten standen auf dem sicheren Boden der versuchstechnischen Forschungsarbeiten, was erklärt, dass man sich trotz des jugendlichen Alters der Eisenbetonbauweise an kühne und schwierige Konstruktionen heranwagte, die von den Eisenkonstruktionen kaum übertroffen werden konnten. Emil Probst 15 schrieb dazu in der Vorrede einer Mitteilung aus dem königlichen Materialprüfungsamt zu Gross-Lichterfelde West von 1907: « Das Versuchswesen soll für den Ingenieur das sein, was die Anatomie für den Arzt bedeutet » [117, S. III]. Mit der Zeit versuchte man die Versuchsanstalten, welche vorwiegend reine Materialprüfungen durchführten, in « Ingenieurlaboratorien » umzuwandeln. Anhand der aus der Prüfung ganzer Bauteile gewonnenen Erkenntnisse wurde versucht, Berechnungsmethoden zu schaffen, deren Ergebnisse den tatsächlichen Verhältnissen möglichst entsprechen. Viele bis anhin angewendete Berechnungsmethoden lehnten sich an die Statik der Baukonstruktionen anderer Baustoffe, wie Eisen oder Holz an [37, 60].

13 François Coignet (1814−1888); französischer Bauingenieur. Coignet wird als Vater des Eisenbetons (béton agglomeré)

bezeichnet und veröffentlichte 1861 das erste Buch über Eisenbeton. 14 Paul Neumann (1858−1921); österreichischer Bauingenieur. Bis zu seiner Berufung nach Brünn 1894 verwirklichte

Neumann in Wien eine Reihe von Brückenprojekten und Hallenbauten. Von 1886 bis 1889 unterrichtete er nebenher Brückenbau am Institut von Professor Rebhann. Als Mitglied des Gewölbe-Ausschusses des Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereins führte Neumann die Berechnung des Ziegelgewölbes durch. Er verfasste ausserdem grundle-gende Beiträge zur Berechnung von Eisenbetonkonstruktionen.

15 Emil Probst (1877−1950); österreichischer Bauingenieur, Mitbegründer der Zeitschrift „Der Bauingenieur“. Nach einer einjährigen Ingenieurtätigkeit in den USA war Probst von 1905 bis 1906 als Assistent von Professor Schüle am Poly-technikum in Zürich tätig und liess sich anschliessend als Zivilingenieur in Berlin nieder, wo er 1911 an der Technischen Hochschule habilitierte. Während des Ersten Weltkriegs berief man ihn 1916 auf den Lehrstuhl für Eisenbetonbau an der Technischen Hochschule in Karlsruhe. 1933 wurde er durch die Hitlerregierung seines Amtes enthoben, worauf er 1938 nach England emigrierte.

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Umschnürte Eisenbetonstützen

Die Entwicklung des Eisenbaus spielte sich wesentlich anders ab. Das Versuchswesen gewann vor allem im Zusammenhang mit Bauwerkseinstürzen erst im 20. Jahrhundert an Wichtigkeit. Die Theorie war auf mehr oder weniger rein mathematisch-physikalischem Weg aufgebaut worden; sie war zwar exakt in ihrer Entwicklung, konnte jedoch keinen Nachweis für ihre Übereinstimmung mit der Wirklichkeit erbringen. Zur Gründungszeit der Materialprüfungsanstalten waren die Theorien des Eisenbaus längst gefestigt. « Als dann später die Materialprüfungsanstalten aufkamen, war die Theorie bereits zu einem Dogma geworden, an dem zu rütteln niemand einfiel » [37, S. 274].

4.2 Die Verbreitung

Die Idee der Umschnürung des auf Druck beanspruchten Betons breitete sich in der Forscherwelt Europas und den USA rasch aus. In Europa erfolgten erste wissenschaftliche Arbeiten auf theoreti-scher Ebene oder durch Überprüfung der praktischen Anwendbarkeit durch diejenigen Baufirmen, welche das Patent Considères erworben hatten. Kurz darauf folgten an den Versuchsanstalten der Technischen Hochschulen umfangreiche Versuchsreihen. Anhand dieser Versuche wurden Konstruk-tionsgrundsätze festgelegt und die Berechnungsvorschriften in den Normen und Vorschriften überprüft. Später kamen Untersuchungen zur Ermittlung des Einflusses des Überdeckungsbetons und der Anordnung und Festigkeit der Umschnürungsbewehrung auf die Tragfähigkeit der Betonstütze hinzu. Konkurrierende Umschnürungssysteme, wie die Querbewehrung nach dem Vorschlag Koenens, konnten sich nicht durchsetzen und wurden nur vereinzelt untersucht. In den Vereinigten Staaten von Amerika wurden kurz nach der Veröffentlichung von Considères Versuchsresultaten eigene Forschungsprojekte in Angriff genommen. Im Gegensatz zu den Europäischen Versuchen wurden vorwiegend grossmassstäbliche Probekörper untersucht.

4.2.1 Considères Umschnürungsmodell fasst Fuss in Europa

Rudolf Saliger 16 diskutierte im März 1904 die Wirkung der Umschnürung von kreisrunden Stützen im elastischen Bereich und leitete mit Hilfe des Gleichgewichts und der Verträglichkeit im Quer-schnitt Formeln zur Berechnung der Spannungen im Beton und der Umschnürungsbewehrung her, siehe Bild 4.4, wobei er aber die Effekte der Querdehnung nicht konsequent berücksichtigte. Mit den für den elastischen Bereich gewonnenen Formeln rechnete er den von Considère durchgeführten Versuch an der Brücke Ivry17 nach. Abschliessend versuchte Saliger den Bruchzustand zu erfassen, indem er den in den Leitsätzen des Verbandes Deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine und des Deutschen Beton-Vereins zu dieser Zeit vorgegebenen Wert der Verhältniszahl18 n = 15 in seinen Formeln änderte [141].

Darauf folgte im September 1904 die Berechnung der Bruchfestigkeit und des Neigungswinkel der Bruchfläche eines Steinprismas gemäss der Bruchhypothese von Coulomb. Saliger erkannte den

16 Rudolf Saliger (1873–1958); österreichischer Bauingenieur, Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaf-

ten. Nachdem Saliger 1900 an der Weltausstellung in Paris die Betonsysteme von Considère und Hennebique kennenge-lernt hatte, widmete er sich der Erforschung und Theorie des Stahlbetons. Ein Jahr nach Beginn seiner Lehrtätigkeit an der Hochschule in Prag folgte er 1909 dem Ruf an die Technische Hochschule in Wien, wo er den Lehrstuhl für Eisenbe-tonbau und Statik aufbaute und bis 1940 als Professor wirkte.

17 Auf Considères erstmalige praktische Anwendung der Umschnürungsbewehrung wird in Kapitel 4.3 eingegangen. 18 Die aus Versuchen gefundene Verhältniszahl n der Elastizitätsmoduln von Eisen und Beton war geringer als 15, wurde

aber so hoch angesetzt, um den Verhältnissen in der Nähe des Bruchs Rechnung zu tragen [107]. In den vom Schweizeri-schen Ingenieur- und Architekten-Verein 1903 aufgestellten provisorischen Normen wurde n noch höher angesetzt. « Die inneren Kräfte und Spannungen des auf Druck beanspruchten Eisens werden ermittelt unter der Annahme, das Eisen nehme 20 mal grössere Spannungen als der Beton auf und unter Berücksichtigung der Knickgefahr der Eisenstangen » [148, S. 5].

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Die Verbreitung

Einfluss der Prismenlänge auf die Ausbildung der Gleitflächen und sah die damals angewandte Regel bestätigt, welche besagt, dass die zulässigen Beanspruchungen in Steinpfeilern mit wachsender Höhe vermindert werden sollen19.

Bild 4.4 – Saliger: Umschnürungswirkung im elastischen Bereich [141].

Bei der Berechnung von längs bewehrten Betonstützen vermischte Saliger elastische Verträglich-keitsbetrachtungen mit der plastischen Formulierung des Bruchwiderstands, wobei er in der Gleit-ebene den Scherwiderstand der Längseisen mit berücksichtigte. Diese Vorgehensweise übertrug er auf eisenumschnürte Betonzylinder. Durch die Zerlegung der Druckkraft in drei Komponenten gemäss Bild 4.5 (a) − Normalkraft auf die Bruchfläche, Scherwiderstand in der Bruchfläche sowie Horizontaldruck der Umschnürung − benötigte Saliger zur Bestimmung der Druckkraft neben den zwei Gleichgewichtsbedingungen eine dritte Gleichung, die durch die elastischen Verschiebungen und Längenänderungen gegeben wurde. « Die dritte (elastische) Gleichgewichtsbedingung stellt den Zusammenhang zwischen σs und σu her » [142, S. 68]. Mit σs und σu bezeichnete Saliger die Scher-festigkeit (Kohäsion) des Betons bzw. die Spannung in der Eisenummantelung. Er beschrieb die Vergrösserung des Zylinderdurchmessers infolge der Verschiebungen von je zwei benachbarten Gleitflächen gemäss Bild 4.5 (b) und erhielt für verschiedene Umschnürungsbewehrungsgehalte unterschiedliche Gleitflächenneigungen, was bei einer rein plastischen Betrachtung nicht möglich ist.

Abgestützt auf die Berechnungen Pourcels [116] führte Saliger als Abschluss seiner Arbeit eine Näherungsberechnung zur Beurteilung des Einflusses der Schubfestigkeit und der Armierung auf den Bruchwiderstand durch, indem er σs und σu unabhängig voneinander annahm. Dies entspricht, abgesehen von der Bestimmung der Spannungen in den Längseisen, einer rein plastischen Betrach-tung, wobei Saliger das Fliessen der Umschnürungsbewehrung nicht voraussetzte. Er erhielt für die Bruchspannung ku des umschnürten und längs bewehrten Betonzylinders die Beziehung

( ) 22 tan 45 1 tan 45 ;2 2

bu s sk ρϕ ϕ⎛ ⎞ ⎛ ⎞= ° + + βρ ⋅σ + ° + ⋅ σ⎜ ⎟ ⎜ ⎟

⎝ ⎠ ⎝ ⎠ 2 b

(4.4)

19 Vgl. Kapitel 3.4.1.

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Umschnürte Eisenbetonstützen

β bezeichnet das Verhältnis der Schubmoduln von Eisen und Beton und σb die Spannung in der Umschnürungsbewehrung. « Der erste Summand von ku gibt den eigenen Widerstand des armierten Betonzylinders, der zweite die Vermehrung der Bruchfestigkeit infolge der Umwicklung » [142, S. 72]. Wird die Bruchbedingung von Coulomb

23 12 tan 45 tan 45 ,

2 2c ϕ ϕ⎛ ⎞ ⎛ ⎞σ = − ° + + σ ° +⎜ ⎟ ⎜ ⎟

⎝ ⎠ ⎝ ⎠ (4.5)

mit den Hauptspannungen σ1 und σ3 sowie mit der Kohäsion c und dem Reibungswinkel ϕ formuliert und mit (4.4) verglichen, so erkennt man, dass bei Saliger −σ1 = σb

ρb / 2 und c = σs (1 + β ρs) ist. −σ1

entspricht der aus der Umschnürung erzeugten Querdruckspannung − σcq im Kernbeton in (2.4). Wird die Längsbewehrungsspannung ebenfalls mit der Bruchbedingung von Coulomb − ϕ = 0 − berück-sichtigt, entspricht β = fy

/ fc = cot (45° + ϕ / 2) cs

/ c, wobei fy / 2 = cs ist. Durch die Erkenntnis, « ... daß

die Umschnürung theoretisch ungefähr dieselbe Wirkung ausübt, als wenn deren halbes Gewicht als Längsarmierung angeordnet wäre » [142, S. 73], hoffte Saliger das Anwendungsgebiet des Stahlbe-tons für Stützen und Gewölbe zu erweitern. Die vorgängig beschriebenen theoretischen Betrachtun-gen Saligers wurden weder von ihm selbst weiter entwickelt noch von anderen Forschern in irgendeiner Weise beachtet [142].

(a) (b)

Bild 4.5 – Saliger: (a) Bruchwiderstand eisenumschnürter Betonzylinder; (b) Vergrösserung

des Zylinderdurchmessers [142].

Considère hatte durch seine zahlreichen Versuche nachgewiesen, dass spiralarmierter Beton eine sehr hohe Druckfestigkeit aufweist, wenn die Versuchskörper mit grosser Sorgfalt in der Versuchs-anstalt hergestellt werden. Die Firma Wayß & Freytag A.G. hatte das Ausführungsrecht dieses Bewehrungssystems für Deutschland erhalten und hielt es 1905 für angebracht, im Einverständnis mit Considère zur Feststellung der Praxistauglichkeit Versuche an Körpern durchzuführen, deren Herstellung auf der Baustelle ohne besondere Sorgfalt erfolgte.

Zu dieser Zeit wurden an der Materialprüfungsanstalt der Königlichen Technischen Hochschule in Stuttgart unter der Leitung von Bach Belastungsversuche an quadratischen Eisenbetonstützen mit 25 cm Kantenlänge und 1 m Höhe durchgeführt. Die eingelegten Längsstäbe aus Handelsflusseisen

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Die Verbreitung

hatten Durchmesser von 15, 20 oder 30 mm; die Bügel mit 7 mm Durchmesser wurden in Abständen von 62,5, 125 bzw. 250 mm angeordnet. Zum Vergleich mit der einachsigen Druckfestigkeit be-stimmte Bach die Würfelfestigkeit an Prismen mit 30 cm Kantenlänge. Die Versuche zeigten, dass die Widerstandsfähigkeit der Probekörper mit abnehmender Bügelentfernung deutlich zunahm und der Einfluss des Bügelbewehrungsgehalts auf die Erhöhung bedeutend grösser war als derjenige der Längseisen. Die Erhöhung der Traglast bezeichnete Bach jedoch lediglich als Folgeerscheinung der durch die Umschnürung hervorgerufenen kleineren Längsstauchungen und Querdehnungen [7].

[mm]275

7

5 / 7 / 10Ganghöhe 38 / 37 / 42

5 / 7 / 10Ganghöhe 38 / 37 / 42

7 / 10 / 12 / 14Ganghöhe 31 / 40 / 41 / 37

11

7

7 / 10 / 14Ganghöhe 40

5 / 7 / 10

7 / 10 / 14Ganghöhe 80

7 / 10 / 12

10 / 12 / 14

7 / 10 / 14Ganghöhe 120

275

Bild 4.6 – Bach: Querschnitte und Bruchbilder der Versuchskörper der zweiten Versuchsreihe [7].

In einer zweiten Versuchsreihe sollten die von Wayβ angeordneten Untersuchungen an 61 achtecki-gen, 1 m hohen Versuchskörpern gemäss Bild 4.6 zeigen, welche Auswirkungen eine Verminderung des Längsbewehrungsgehalts und eine bedeutende Vergrösserung der Ganghöhe der Spiralen mit sich bringen. Trotz der schlechten Betonqualität, der unregelmässigen Ganghöhen der Spiralbeweh-rung sowie der ungleichmässigen Verteilung der Längseisen wurden ähnliche Festigkeitswerte erreicht, wie sie sich mit der von Considère veröffentlichten Berechnungsformel ergaben. In der Stellungnahme zu den Versuchsergebnissen schrieb Considère zur Bewehrungsanordnung, dass mit steigendem Umschnürungsgehalt die Ganghöhe vermindert und die Zahl der Längsstäbe vergrössert werden soll, damit das seitliche Ausweichen des Betons zwischen die Längsstäben verhindert wird [7].

1906 versuchte Maximilian Ritter von Thullie 20 ebenfalls den Einfluss der Herstellungsgenauigkeit auf die Tragfähigkeit von spiralumschnürten oder mit Bügeln bewehrten Stützen zu ermitteln. Er

20 Maximilian Ritter von Thullie (1852−1940); Hofrat und Professor an der Technischen Hochschule in Lemberg.1879

wurde Thullie and der Lemberger Technischen Hochschule als Privatdozent habilitiert, bis er zehn Jahre später zum ausserordentlichen Professor berufen und 1894 zum ordentlichen Professor ernannt wurde. Er beschäftigte sich mit Baumechanik und Brückenbau.

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Umschnürte Eisenbetonstützen

liess in der Mechanischen Prüfungsanstalt der Technischen Hochschule in Lemberg Stützen mit grösster Sorgfalt herstellen. Eine zweite identische Versuchsreihe wurde in der Werkstatt einer Bauunternehmung durch dieselben Arbeiter betoniert. Die Spiralbewehrung der 1 bzw. 1,5 m hohen Stützen mit quadratischem Querschnitt von 8 cm Seitenlänge war ebenfalls in quadratischer Form gewickelt. Die in der Prüfungsanstalt hergestellten Stützen wiesen fast durchgehend eine höhere Tragfähigkeit auf, was vermutlich hauptsächlich auf die unterschiedlichen Schalungsarten zurückzu-führen ist. Die Schalung an der Prüfanstalt wurde mit einem Blech ausgekleidet, wodurch der trockenen Stampfbetonmischung beim Abbinden nicht so viel Wasser entzogen wurde und dadurch eine bessere Betonqualität erzielt werden konnte [167].

Koenen hatte 1902 die Grundzüge zur statischen Berechnung von Stahlbetontragwerken geliefert, welche 1904 in die Leitsätze des „Verbandes Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine“ sowie des „Deutschen Betonvereins“ aufgenommen worden waren [90]. Für die Berechnung zentrisch gedrückter Eisenbetonstützen wurden die Kräfte gemäss der Elastizitätstheorie auf den Beton und die Längsstäbe verteilt, unter der Voraussetzung, dass die Stäbe durch Quereinlagen gegen Ausknicken gesichert werden. Die Berechnung von umschnürten Stützen wurde nicht behandelt. Nach der ersten 1905 durchgeführten Versuchsreihe Bachs und den daraus gewonnenen Erkenntnissen über die Wirkung der Bügelbewehrung wurden Empfehlungen bezüglich des Längs- und Bügelbewehrungs-gehalts sowie des Bügelabstands gegeben; eine Berücksichtigung der Umschnürungswirkung fehlte.

Erst 1907 diskutierte Koenen auf theoretischem Weg, ohne Kenntnis der Arbeiten Saligers, die Umschnürungswirkung im elastischen Bereich. Er unterschied zwischen „unmittelbar“ und „mittel-bar“ wirkender Querverstärkung, je nachdem ob die Querdehnung durch tangentiale Eisenringe oder quer eingelegte Eisenstäbe behindert wurde.

Als ersten Fall betrachtete Koenen eine zentrisch gedrückte, kreisrunde Stütze mit Spiralumschnü-rung. Im Gegensatz zu Saliger berücksichtigte er die Effekte der Querdehnung konsequent und erhielt mit Hilfe des Gleichgewichts und der Verträglichkeit bei Verwendung linear elastischer Stoffgesetze für die Querdruckspannung im Beton

(1 ) 2b k

qb

n pnν ρ

σ =ρ − ν +

, (4.6)

wobei ν die Querdehnzahl, pk die Spannung in Stützenachsrichtung und ρb den geometrischen Bewehrungsgehalt der Umschnürungsbewehrung darstellen; pk und ρb beziehen sich auf die Kern-querschnittsfläche des Betons. Als Bruchkriterium verwendete Koenen die Dehnungsbegrenzung des Betons und der Umschnürungsbewehrung. Aus der Multiplikation der Stauchung in Richtung der Stützenachse εp mit dem Elastizitätsmodul des Betons erhielt er eine fiktive Betondruckspannung cσ

2 (1 3 )2 ,(1 ) 2

bc p c k q k

b

nE p pn

⎡ ⎤+ ρ − νσ = ε = − νσ = ⎢ ⎥ρ − ν +⎣ ⎦

(4.7)

welche er mit der einachsigen Druckfestigkeit des Betons verglich. Die Zugspannung in der Um-schnürungsbewehrung

(1 ) 2k

bb

npn

−νσ =

ρ − ν + (4.8)

berechnete er analog durch die Multiplikation der tangentialen Dehnung mit dem Elastizitätsmodul des Eisens. Diese Spannung begrenzte Koenen durch die Fliessgrenze des Umschnürungseisens.

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Die Verbreitung

p

σq

-fc

= 4%ρ

linear elastisch (4.6)

b

= 2%ρb

= 2%ρb

= 4%ρb

fc-1,048fc-1,096

fy-0,01

fy-0,02

K1

-fc

fc-1.67fc-2,33

12ν

Dehnungsbegrenzung des Betons

Umschnürungsbewehrung

A

B

Fliessbedingungnach Mohr-Coulomb

Fliessbeginn der

k

Bild 4.7 – Vergleich des plastischen Ansatzes mit der linear elastischen Berechnung nach Koenen.

In Bild 4.7 werden die Bruchkriterien Koenens für den umschnürten Kernbeton mit der Fliessbedin-gung nach Mohr-Coulomb pk = −fc − K σq für die Werte ν = 0,2, n = 6, K = 4, fc = 30 N/mm2 und fy = 500 N/mm2 verglichen, wobei die Querdruckspannung durch den Fliessbeginn der Umschü-rungsbewehrung begrenzt wird. Wird (4.7) als Funktion σq (pk) formuliert, ergibt sich eine Grenzge-rade mit der Steigung 1/(2 ν). Mit der linear elastischen Beziehung (4.6) kann die Druckfestigkeit des Betons durch die Umschnürung auch bei Anwendung der Fliessbedingung nach Mohr-Coulomb kaum gesteigert werden. Bei Verwendung des plastischen Ansatzes, Punkt A und B, wird die Beton-druckfestigkeit bereits mit mässiger Umschnürungsbewehrung gegenüber der linear elastischen Beziehung markant gesteigert. Mit zunehmendem Umschnürungsbewehrungsgehalt ρb vergrössert sich der Unterschied der beiden Lösungen. Die durch den Fliessbeginn der Umschnürungsbewehrung bedingte Begrenzung der Querdruckspannung wird in den Berechnungen Koenens nie massgebend.

Gemäss den Berechnungen Koenens ergibt sich bis zum Bruch eine Volumenabnahme

( ) ( )( )1 2

1 2 01 2

bkvol

c b

npE n

⎡ ⎤ρ + ν +ε = − ν ≥⎢ ⎥

ρ − ν +⎢ ⎥⎣ ⎦ , (4.9)

da die Querdehnzahl des Betons ν aus Thermodynamischen Gründen einen Wert zwischen 0 und 0,5 annimmt. In Druckversuchen mit umschnürten Stützen trat jedoch kurz vor Eintreten des Bruchs eine Volumenzunahme auf, vgl. Bild 4.18. Diese Dilatanz kann mit Hilfe der Plastizitätstheorie beschrie-ben werden.

Als Beispiel einer „mittelbaren“ Querverstärkung berechnete Koenen eine quadratische Stütze gemäss Bild 4.8. Die Formulierung des Gleichgewichts führte er an den schubspannungsfreien Symmetrieachsen durch und erhielt an dieser Stelle folglich dieselbe Querdruckspannung im Beton wie in der umschnürten Stütze. Aus den von Bach 1905 durchgeführten Belastungsversuchen an quadratischen Eisenbetonstützen ermittelte Koenen die Verhältniszahl n zu 37, welche er in gleicher Weise wie Saliger 1904 zur Berechnung der Bruchspannungen in die für den elastischen Bereich gewonnenen Formeln einsetzte [91].

Durch die Erhöhung der Verhältniszahl n vergrössert sich die Steigung der Geraden der linear elastischen Beziehung (4.6) in Bild 4.7. Werden in die Grenzgerade und Fliessbedingungen die Streckgrenze von 240 N/mm2 der damals verwendeten Handelseisen sowie die in den Versuchen ermittelte Betondruckfestigkeit von 13,3 N/mm2 eingesetzt, schneidet die linear elastische Funktion sowohl die Grenzgerade des Betons als auch die Fliessbedingung nach Mohr-Coulomb. Nach den Berechnungen Koenens würde somit die Umschnürungsbewehrung die Streckgrenze beim Bruch der Stütze nicht erreichen, was den Versuchsergebnissen von Bach nicht entspricht. Analog zu Saligers Bemühungen wurde auch dieser Berechnungsansatz nicht weiterverfolgt, da sich die Elastizitätsver-hältnisse n und ν mit der Betonmischung und dem Bewehrungsgehalt zu ändern schienen und sich somit nicht allgemein bestimmen liessen [91].

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Umschnürte Eisenbetonstützen

Bild 4.8 – Koenen: Umschnürungswirkung einer quadratischen

Betonstütze [91].

Seit den ersten vereinzelten Versuchen mit umschnürten Eisenbetonstützen wurde die experimentelle Forschung in den darauf folgenden Jahren rasch vorangetrieben. Die in grosser Zahl durchgeführten Versuche bezweckten die Festlegung von Konstruktionsgrundsätzen sowie die Überprüfung der vorwiegend empirisch gefundenen Berechnungsformeln, welche in den Normenvorschriften von Frankreich 1906, Österreich 1907 und der Schweiz 1909 bereits aufgenommen worden waren. Die Konstruktionsgrundsätze beinhalteten u. a. die Festlegung des minimalen und maximalen Gesamtbe-wehrungsgehalts, des Verhältnisses der Längs- zur Spiralbewehrung, des Verhältnisses der Ganghöhe zum Kerndurchmesser sowie der Empfehlung, dünnere und enger gewickelte Spiralen gegenüber solchen mit grossen Durchmessern und grossen Ganghöhen zu verwenden.

Von den durchgeführten Versuchsreihen sind diejenigen von Max Rudeloff 21 zu erwähnen. 1907 bis 1909 ermittelte Rudeloff am Königlichen Materialprüfungsamt in Berlin auf Antrag des Deutschen Ausschusses für Eisenbeton an 2 m langen, quadratischen und achteckigen Stützen mit 30 cm bzw. 13,65 cm Seitenlänge die zweckmässige Form der Querbewehrung. Er sammelte von drei Firmen verschiedene Bewehrungsvorschläge, worauf sich der Ausschuss auf die dreizehn in Bild 4.9 dargestellten Querbewehrungsformen und -anordnungen festlegte. Die Längseisen und Querbeweh-rungen der insgesamt 57 Stützen bestanden aus Rundeisen mit 16 mm bzw. 7 mm Durchmesser; die Bügelabstände betrugen 20 cm.

Die Herstellung der Stützen erfolgte im Freien durch Angestellte der Aktiengesellschaft für Beton- und Monierbau. Die Querbewehrung wurde nicht an der Längsbewehrung befestigt, wodurch sich diese beim Stampfen des Betons vertikal verschob. Dadurch versagten mehrere Stützen infolge des Ausknickens der Längsstäbe, wodurch niedrigere Bruchlasten als diejenigen der reinen Betonstützen auftraten. Sämtliche Stützen versagten am oberen Ende, welches zuletzt gestampft wurde. Rudeloff bestimmte in verschiedenen Stützenabschnitten nachträglich die Dichte des Betons und stellte eine Abnahme in Richtung Stützenkopf fest. Daraus folgerte er, dass der Bruch durch die geringere Betonfestigkeit, welche aus der kleineren Dichte resultierte, gezwungenermassen am Kopfende eintreten müsse. Auch bei einigen Versuchen von Fritz von Emperger 22 und Thullie war der Bruch am Kopfende eingetreten. Diese sahen den Grund jedoch hauptsächlich in der ungleichmässigen

21 Max Rudeloff (1857–1929); deutscher Maschineningenieur. Ab 1883 war Rudeloff an der Kgl. Mechanisch-Technischen

Versuchanstalt der Technischen Hochschule Berlin als Assistent tätig und wurde 1903 zum Vorsteher der Abteilung für Metallprüfung ernannt, worauf er 1915 zum Direktor der Materialprüfungsanstalt gewählt wurde. 1922 erfolgte die Ernennung zum ordentlichen Honorarprofessor.

22 Fritz von Emperger (1862–1942); österreichischer Bauingenieur. 1890 bis 1897 arbeitete Emperger als Consulting Engineer in New York. 1900 wirkte er als Berichterstatter der Weltausstellung in Paris und gründete 1901 die Zeitschrift „Beton und Eisen“. 1905 wurde er beratendes Mitglied des Deutschen Beton-Vereins und 1908 Mitglied des Österreichi-schen Beton-Vereins.

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Die Verbreitung

Druckeinleitung. Den grössten Einfluss auf die Tragfähigkeit der Stützen übten in Rudeloffs Ver-suchsserie jedoch die Witterungseinflüsse bei der Betonverarbeitung aus. Er stellte bei denjenigen Stützen, die bei Regen betoniert worden waren, eine bedeutend geringere Traglast fest. Infolge dieser Durchführungsschwierigkeiten konnte über die zweckmässige Form der Querbewehrung schlussend-lich keine Aussage gemacht werden.

300

230

136,

5

Bild 4.9 – Rudeloff: Querschnitte der Versuchskörper zur Bestimmung zweckmässiger Querbewehrungen,

Abmessungen in mm [137].

Der deutsche Ausschuss für Eisenbeton veranlasste daher eine zweite Versuchsreihe an 90 cm langen Stützen mit beibehaltener Querschnittsabmessung und fügte zehn achteckige Stützen mit Spiralum-wicklung oder kreisförmigen Bügeln an. Für die Ausarbeitung des Arbeitsplans wurde die Firma Wayß & Freytag herangezogen. Die Bügelabstände wurden auf 15 cm herabgezetzt; die Ganghöhe der Spiralbewehrung sowie der Ringbewehrung betrug 3,5 cm. Für die Spiralbewehrung wurde ein hochfester Stahl mit einer Fliessgrenze von 621 N/mm2 verwendet; normalfeste Stähle wiesen zu dieser Zeit eine Fliessgrenze von 240 N/mm2 auf. Mit den spiralbewehrten Stützen wurden die höchsten Festigkeitswerte erzielt, gefolgt von den ringbewehrten [137, 138].

Weitere Versuche wurden 1908 von Probst in Frankfurt, 1909 von Thullie in Lemberg, 1909 bis 1910 von Karl Haberkalt 23, Professor Bernhard Kirsch 24 und Josef Anton Spitzer 25 in Wien, 1910 von der Firma Wayß & Freytag A. G. in Stuttgart sowie 1911 von Johann Odorico in Dresden durchgeführt. Die Querschnitte der untersuchten Probekörper werden in Bild 4.10 gezeigt.

Probst untersuchte an 2,3 m langen quadratischen Stützen ebenfalls den Einfluss verschiedener Bewehrungssysteme auf die Tragfestigkeit der Stützen. Als Bügelbewehrung verwendete er sowohl Rundeisen als auch Flacheisen, die teilweise zur Vermeidung einer glatten scharfen Fläche verdrillt wurden [118].

Thullie überprüfte anhand seiner Versuche die in der österreichischen Regierungsvorschrift aufge-führte Berechnungsformel P = σc

( Ac+15 As+30 Ab ). Diese stützte sich auf die Beziehung, welche

1904 von Considère aufgestellt wurde und ergab seines Erachtens genügend genaue Resultate [169].

23 Karl Haberkalt (1856−1939); deutscher Bauingenieur, Ehrendoktor an der Technischen Hochschule Braunschweig.

Haberkalt wirkte 14 Jahre als leitender Konstrukteur bei der Brückenbaufirma S. Gridl in Wien, bis er 1896 als Vorstand des Brückenbüros ins Ministerium in Wien berufen wurde. Unter seiner Leitung entstanden 1904 die ersten österreichi-schen amtlichen Vorschriften für Eisenbeton. 1918 wurde er infolge der Beamtenreduktion in den Ruhestand versetzt.

24 Bernhard Kirsch (1853–1931); Professor der technischen Hochschule in Wien und Leiter der Versuchsanstalt. 25 Joseph Anton Spitzer (1856–1922); österreichischer Bauingenieur. Spitzer war Direktor der Bauunternehmung Wester-

mann & Comp. in Wien.

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Umschnürte Eisenbetonstützen

Haberkalt, Kirsch und Spitzer führten im Auftrag des Unterausschusses des österreichischen Ingeni-eur- und Architektenvereins ebenfalls 170 Stützenversuche durch, deren Ergebnisse sie anschliessend mit den Berechnungsformeln in den im Jahr 1911 für Österreich erlassenen Vorschriften verglichen und ebenso hinreichende Sicherheiten ermittelten. Aus den Versuchen mit spiralbewehrten, sechs-eckigen Stützen erkannten sie, dass eine Abminderung der Ganghöhe, ein grösserer Durchmesser sowie eine höhere Fliessgrenze der Umschnürungsbewehrung und eine höhere Festigkeit des Betons die Traglasten der Stützen vergrössern. Die Berechnung der Umschnürungswirkung erfolgte mit Hilfe linear elastischer Spannungs-Dehnungs-Beziehungen [159].

250

250

2x25Flacheisen

15 /20 /30

8

15

Bügelbewehrung ausFlacheisen 2x26

T-Profil

114

2x25Flacheisen

15 /20 /30

8

Flacheisen 65x5

15

35x35x4,5

330

11 / 12

5 / 6 / 7 / 9 / 10Ringabstände 25 / 33 / 45

13 / 14

(a) (b)

(c)

7Bügel Spirale

300

5 / 7Spirale

11 / 14

6 / 8 / 10Spirale

137

1611 / 1416 / 205 / 7 / 10

Bild 4.10 – Querschnitte der Versuchskörper: (a) Probst; (b) Odorico; (c) Wayß &Freytag, Abmessungen in

mm.

Die Firma Wayß & Freytag A. G. untersuchte in Zusammenarbeit mit Emil Mörsch 26 an 90 cm langen quadratischen Stützen die Wirkungsweise viereckig gewickelter Umschnürungsbewehrung. Mörsch stellte fest, dass diese die Druckfestigkeit des Betons kaum erhöhte und kam zur alten Anschauung zurück, wonach die Umschnürungsbewehrung in quadratischen Stützen lediglich die Würfeldruckfestigkeit sicherstellt und die Längseisen gegen Ausknicken sichert. Die Längseisen erreichten in allen Versuchen vor Eintreten des Bruchs die Fliessgrenze, worauf Mörsch diese entgegen der bisher aufgestellten Beziehungen in der Berechnung der Bruchlast von Stützen berück-sichtigte.

k c s s b cP A f A f m A f= + + ⋅ (4.10)

26 Emil Mörsch (1872−1950); deutscher Bauingenieur, Mitglied des Deutschen Ausschusses für Eisenbeton. 1901 wurde

Mörsch Oberingenieur und Leiter des Technischen Büros von Wayβ & Freytag AG. Ab 1904 wirkte er als Professor für Statik, Brückenbau und Eisenhochbau an der ETH Zürich bis er 1908 Direktor und Vorstandsmitglied bei Wayβ & Freytag wurde. 1916 wurde Mörsch zum ordentlichen Professor für Statik der massiven Tragwerke, gewölbten Brücken und Eisenbetonbau an der Technischen Hochschule Stuttgart gewählt.

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Die Verbreitung

Den Koeffizienten m, der mit zunehmender Betonfestigkeit abnimmt, leitete Mörsch für runde Spiralbewehrung aus den Versuchen ab, siehe Bild 4.11. Für viereckig gewickelte Spiralen schlug er für m den Wert 33 vor [108].

Bild 4.11 – Mörsch: Werte des Koeffizienten m in Abhängigkeit der Betondruckfestigkeit

kb (in kg/cm2) für Stützen mit runder Spiralbewehrung [108].

Mörsch erzielte gegenüber Rudeloff und den Kollegen in Wien höhere Stützenfestigkeiten, was, wie Emperger vermutete, stark mit der Sorgfalt in der Probekörperherstellung zusammen hing. Je nach Stampftechnik wurden der Beton unterschiedlich gut verdichtet und die Eisen besser eingebettet. Um quadratische Querschnitte wirksam umschnüren zu können, entwickelte Emperger eine nachspannba-re Umschnürungsbewehrung, welche er 1912 in Österreich patentieren liess. Sie bestand aus einer Kombination von Wickel- und Durchmesserbügeln, welche vorgewickelt und anschliessend auf die Längseisen aufgeschoben wurden. « Mit Hilfe von Einwürgen der Durchmesserbügel lässt sich der ganzen Umschnürung eine Anfangsspannung geben, und es ergibt sich somit ein weiteres Hilfsmittel, die Querdehnung zur Erhöhung der Druckfestigkeit heranzuziehen » [48, S. 71].

Odorico untersuchte 1 m lange, ringbewehrte Stützen mit achteckigem Querschnitt. Das Versuchs-programm war von Adolf Kleinlogel 27 entworfen worden, welcher auch die Herstellung der Ver-suchskörper beaufsichtigt hatte. Odorico verglich die nach der Formel Considères berechneten Bruchlasten mit den Versuchsresultaten, welche ausnahmslos niedriger ausfielen und ermittelte den Verlauf der Querdehnung und der Spannung in der Umschnürungsbewehrung [89].

Alle bisher erfolgten Bemühungen, die durch die Umschnürung des Betons hervorgebrachte Erhö-hung des Stützenwiderstands zu berechnen, erfolgte nach Gleichungen auf der Basis der Elastizitäts-lehre, wie die bereits erwähnten Vorschläge Koenens und Saligers. Auf dieser Grundlage fiel die Traglasterhöhung im Vergleich zu der in den Versuchen festgestellten deutlich geringer aus.

Auch Bach hatte diese Umstände aus seinen früheren Versuchen erkannt und schrieb dazu: « Diese Zunahme hat überdies die Eigentümlichkeit, daß sie mit der Abnahme von h [Bügelabstand bzw. Ganghöhe] anfangs langsam, später aber außerordentlich viel stärker wächst, als zu erwarten steht » [9, S. 898]. Er vermutete eine weitere erhöhende Wirkung der Querbewehrung, indem er deren Druckwiderstand in Richtung der Stützenachse verantwortlich machte. « Berühren sich die einzelnen Ringe nicht, ohne jedoch einen grossen lichten Abstand zu haben, so bildet das Betonmaterial zwischen den einzelnen Ringen infolge der geringen Höhe und infolge des Umstandes, daß es am

27 Adolf Kleinlogel (1877–1958); deutscher Bauingenieur. 1912 wurde Kleinlogel beratender Ingenieur in Darmstadt. Davor

arbeitete er als Oberingenieur in der Firma Johann Odorico in Dresden. Lehrer an der Technischen Hochschule Darm-stadt. 1922 bis 1943 war er Schriftleiter der Zeitschrift „Beton und Eisen“.

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Umschnürte Eisenbetonstützen

Ausweichen nach innen durch den Betonkern gehindert ist (der außerhalb des Zylindermantels vom Durchmesser D gelegenen Beton ist schon lange vor Erreichung der Bruchbelastung abgefallen), eine gegen axialen Druck bedeutend widerstandsfähige Abstützung » [9, S. 898]. Die Wirkung dieser Abstützung nehme mit Zunahme des lichten Stababstands der Querbewehrung rasch ab. Zur Quanti-fizierung seiner Vermutung führte Bach 1914 in Stuttgart Versuche an spiralumschnürten Prismen von achteckigem Querschnitt durch, bei welchen er lediglich die Ganghöhe variierte, siehe Bild 4.12. Zur Berechnung des Tragwiderstands von umschnürten Stützen schlug Bach vor, den Stababstand der Bügel bzw. die Ganghöhe der Spirale mit einzubeziehen, damit der Einfluss der Abstützung in Stützenachsrichtung zum Ausdruck gelange.

Bild 4.12 – Bach: Einfluss der Ganghöhe auf die Traglast der umschnürten Betonstütze, dk = 27 cm,

Øb = 8 mm, 8 Längseisen mit Øs = 10 mm [9].

Bis Ende des Ersten Weltkriegs (1914−1918) wurden in Deutschland und Österreich zahlreiche Versuche mit umschnürten Stützen unternommen, um verschiedene offene Fragen der Umschnü-rungswirkung zu klären. Untersucht wurden der Einfluss des Überdeckungsbetons und der Zugfes-tigkeit der Umschnürungsbewehrung auf den Bruchwiderstand. Eine grosse Diskussion unter den Wissenschaftlern wurde geführt, ob eine quadratische Umschnürungsanordnung die Stützenfestigkeit erhöht oder ob die Würfelfestigkeit in schwach umschnürten Stützen gewährleistet werden kann. Viele Einflüsse wurden erkannt und flossen teils in die Bemessungsregeln der Normen und Vor-schriften ein, meist wurden aus den Versuchsergebnissen jedoch keine klaren Schlussfolgerungen gezogen. In Bild 4.13 sind die bis 1920 durchgeführten Versuche mit umschnürten Betonstützen zusammengestellt.

Während des ersten Weltkriegs herrschte ein derartiger Bedarf an Eisen für militärische Zwecke, dass die Bauingenieure und Unternehmer aufgefordert wurden, den Verbrauch dieses Baustoffs aufs äusserste einzuschränken. Neben einer sparsamen Anordnung der Bauteile wurde der Ersatz des Eisens durch andere Baustoffe vorgeschlagen, und es wurde dazu angehalten, eine möglichst grosse Ausnutzung der Tragfähigkeit des Eisens anzustreben. Am 7. Juni 1917 verkündete das Kriegsminis-terium des deutschen Reichs in einer Bekanntmachung, dass sämtliche vorhandenen und neu erzeug-ten Mengen an Stab-, Form- und Moniereisen beschlagnahmt würden. Für Eisenbahnbrücken und derzeitige Unterhaltungsarbeiten in Bergwerksbetrieben fände die Beschränkung keine Anwendung. Alle übrigen Bestände, die 500 kg der gleichen Art überschritten, mussten gemeldet werden. Anträge für Baueisen mussten an die zuständige Kriegsamtsstelle gestellt werden. Selbst bei genehmigten Bauten waren die Bauherren und Bauunternehmer angehalten, sich mit Holz oder anderen Baustoffen zu behelfen [5, 91].

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Die Verbreitung

LembergA1 Thullie

Dresden

Stuttgart

Berlin

D

D

D

F Paris

1 Rudeloff

1 Odorico, Kleinlogel

1 Bach

2 Franz. Reg. Kom.1 Considère

1900

1

14 - 18Erster Weltkrieg

A Wien1 Spitzer

2 Emperger

2010

1 1

1

2

1

1

1

1

3

1

2 2

FrankfurtD1 Probst

1

1

2 Mörsch 2

1 1

3 Saliger1

Bild 4.13 – Zusammenstellung der wichtigsten in Frankreich und dem deutschsprachigen Raum bis

1920 durchgeführten Versuche mit umschnürten Betonstützen.

Die Schwierigkeiten in der Beschaffung von Eisen veranlassten Emperger, auf eine bereits 1911 eingereichte Patentbeschreibung zurückzugreifen. Das Patent bestand darin, die Erhöhung der Traglast schlanker Druckglieder mittels Kunst- oder Natursteinen zu erreichen. 1919 führte Emper-ger in der Versuchsanstalt des Professors Kirsch an der Technischen Hochschule in Wien Versuche mit umschnürten Betonstützen durch, die mit einem druckfesten Kern versehen waren. Die Um-schnürung sollte lediglich den umhüllenden Beton und den Kern zusammenhalten, eine allfällige Festigkeitssteigerung war nur nebensächlich. Neben der Bewehrungseinsparung sah Emperger gegenüber der herkömmlich umschnürten Betonstützen weitere Vorteile in der grösseren Verläss-lichkeit und der Möglichkeit eines raschen Ausschalens, da der Kern im Stande war, von Anfang an Lasten zu tragen [50].

4.2.2 Die Aufnahme der Umschnürungswirkung in die Normen und Vorschriften

Zwanzig Jahre nach der Einführung des Eisenbetons in Europa entschlossen sich verschiedene Staaten, Bestimmungen für die Ausführung von Eisenbetonbauten zu erlassen, wodurch auch die Eisenbetonforschung an den Versuchsanstalten intensiviert wurde. Vor dieser Zeit wurde der Eisenbetonbau unter grosser Geheimhaltung von wenigen grossen Bauunternehmungen betrieben, deren Tätigkeit anfangs durch Patente geschützt war. Die Macht der Unternehmen lag darin, dass sie ihre Berechnungen und die Bewehrungsanordnung verborgen hielten, und es dadurch zur Monopoli-sierung des Eisenbetonbaus kam. Unter Ausbleiben der Konkurrenz konnten die wenigen Eisenbe-tonunternehmungen rasch aufblühen und allgemeine Anerkennung erlangen. Durch interessante und eindrucksvolle Eisenbetonbauten und dank einer regsamen Propaganda von Seiten der Unternehmer wurde das Interesse der Öffentlichkeit für die neue Bauweise schnell geweckt. Die Vorzüge und die vielseitige Verwendungsmöglichkeit des Eisenbetons verschafften ihm schnell Eingang in alle Zweige des Bauwesens, wodurch das Auftragsvolumen so stark zunahm, dass viele neue Unterneh-men gegründet wurden. Das öffentliche Interesse veranlasste die Baubehörden, ihre ganze Aufmerk-samkeit der neuen Bauweise zuzuwenden. Trotz allem konnten jedoch einige fatale Bauunfälle nicht verhindert werden. Diese Umstände verursachten die Entstehung von Vorschriften und Bestimmun-gen in den einzelnen Staaten [119].

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Umschnürte Eisenbetonstützen

In der Schweiz konnten die zunehmende Bedeutung des Eisenbetonbaus und einige verhängnisvolle Unfälle die technischen Kreise ebenfalls vom Wert bestimmter Vorschriften für die Projektierung und Ausführung solcher Bauten überzeugen. Den Ausschlag zur Erlassung der provisorischen Normen von 1903 gab ein Gebäudeeinsturz in Basel, der sich am 28. August 1901 ereignete. In der darauf folgenden Delegiertenversammlung des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins wurde der Wunsch geäussert, provisorische Normen aufzustellen, die sowohl dem Bauunternehmer als auch der Aufsichtbehörde als ungefähre Richtschnur dienen könnten. Nachfolgend wurden in einigen deutschen Städten Erkundigungen über bereits bestehende baupolizeiliche Vorschriften zur Ausführung von Bauarbeiten in armiertem Beton getätigt und zusammengestellt. Im Oktober 1901 wurden die Experten Stadtbaumeister A. Geiser, Professor Karl Wilhelm Ritter 28 und Professor Schüle ersucht, an Hand dieser Zusammenstellung einige Fragen über die Tätigkeit von Baupolizei-behörden zu beantworten. Die Antworten wurden in einem vom Februar 1902 datierten Gutachten zusammengefasst [64] und dienten als Grundlage zur Erstellung der 1903 erlassenen „Provisorischen Normen für Projektierung, Ausführung und Kontrolle von Bauten in armiertem Beton“. Diese waren das Schlussergebnis der von den Sektionen des schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins eingesandten Vorschläge. Die Norm, welche für die ganze Schweiz Gültigkeit hatte, bestand vorwie-gend aus Kompromisslösungen und wurde sehr allgemein gehalten [149].

Durch die zunehmenden Bautätigkeiten von Eisenbahnanlagen aus Eisenbeton, vor allem Brücken, veranlasste das eidgenössische Eisenbahndepartement die Festsetzung gewisser Regeln für die Bearbeitung und Prüfung solcher Objekte. Die 1903 erlassenen provisorischen Normen bezogen sich lediglich auf den Hochbau und waren vor allem wegen den fehlenden dynamischen Einwirkungen nicht ohne weiteres auf Eisenbahnbauten anwendbar. Daraufhin wurden im Auftrag der schweizeri-schen Kommission des armierten Betons am 15. Oktober 1906 „Provisorische Vorschriften über Bauten in armiertem Beton auf den schweizerischen Eisenbahnen“ erlassen, welche sich auf Unter-suchungen der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt unter der Leitung von Schüle stützen. Um dem Fortschritt im Eisenbetonbau Rechnung zu tragen, setzte das eidgenössische Departement des Innern bereits 1905 einen Ausschuss zum Studium über die Aufstellung definitiver Normen für Eisenbetonbau ein. Diesem Ausschuss gehörten alle in Frage kommenden Ämter, Vereine und Vertreter der Interessengruppe an. Nach der Durchführung zahlreicher Versuche konnte am 30. April 1909 die definitive Fassung, die sogenannten Kommissions-Vorschriften, vom Gesamtausschuss genehmigt werden. Die neuen Vorschriften waren wiederum kurz gefasst, da ihr Zweck darin bestand, dem entwerfenden Ingenieur die Möglichkeit zu verschaffen, die Eisenbetonbauweise rationell anzuwenden. Nachdem 1913 die neue Brückenverordnung erlassen worden war, stellte die Technische Abteilung des Eisenbahn-Departements den ersten Entwurf zu einer neuen Eisenbeton-verordnung auf, welche am 1. Januar 1916 vom Bundesrat in Kraft gesetzt wurde und die provisori-schen Vorschriften von 1906 ersetzte.

In Deutschland arbeiteten der Verband deutscher Architekten- und Ingenieurvereine und der Deut-sche Betonverein gemeinsam an den so genannten vorläufigen Leitsätzen, welche 1904 herausgege-ben und auch in anderen Staaten Europas und in Amerika als Richtschnur verwendet wurden. In Preussen wurden 1904 Bestimmungen erlassen, welche sich eng an die Leitsätze anlehnten aber zunächst nur für Hoch- und Privatbauten massgebend waren. Diese wurden ebenfalls in anderen Staaten angewandt und bereits 1907 einer Änderung unterzogen. 1906 wurden für die preussische Eisenbahnverwaltung Vorschriften herausgegeben. Das Bestreben, für ganz Deutschland eine einheitliche Vorschrift zu erlassen, hatte dahin geführt, dass im Jahre 1906 auf Veranlassung der deutschen Reichsbehörden der Deutsche Ausschuss für Eisenbeton eingesetzt wurde, auf der Basis wissenschaftlicher Untersuchungen Vorschläge auszuarbeiten. In verschiedenen wissenschaftlichen Versuchsanstalten wurden dazu nach dem Programm des Ausschusses Versuche durchgeführt, bis

28 Karl Wilhelm Ritter (1847–1906); Ab 1873 wirkte Ritter als Professor für Ingenieurwissenschaften am Polytechnikum in

Riga bis er 1882 an die ETH Zürich berufen wurde, wo er bis 1905 als Professor für graphische Statik, Brücken- und Eisenbahnbau tätig war.

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Die Verbreitung

schliesslich am 13. Januar 1916 einheitliche Eisenbetonbestimmungen für ganz Deutschland erlassen wurden.

1906 wurden in Frankreich staatliche Vorschriften aufgrund der Arbeiten einer 1903 eingesetzten Kommission eingeführt. In Österreich führte man am 15. November 1907 erste Verordnungen ein.

Die Notwendigkeit der schnellen Revidierungen der deutschen Vorschriften, aber vor allem derjeni-gen von Preussen standen im Zusammenhang mit den strengen Formulierungen. In den preussischen Vorschriften war für die statischen Berechnungen typischer Fälle der genaue Berechnungsgang angegeben, wodurch der wissenschaftlich gebildete Ingenieur weniger Spielraum für eine freie Entwicklung erhielt, während dem wissenschaftlich weniger geschulten Techniker die Möglichkeit geboten wurde, Berechnungen durchzuführen, die er weder begründen noch verantworten konnte. Die schweizerischen, österreichischen und französischen Vorschriften dagegen beschränkten sich auf Berechnungsvorschläge, ohne den Weg der Berechnungen genau festzulegen, wodurch so schnell keine Änderungen erforderlich waren, obgleich die Bearbeitung der Versuchsresultate rasch voran-schritt.

Die Überwachung der Bauausführung stützte sich auf die Ermittlung der Druckfestigkeit und die Angaben der Erhärtungsdauer. Einige Vorschriften verlangten eine gewisse zu gewährleistende minimale Druckfestigkeit bei einer bestimmten Mischung, andere begnügten sich mit der Festlegung einer minimalen zulässigen Druckspannung. In der deutschen, schweizerischen und österreichischen Vorschrift wurden dafür Zahlenwerte festgelegt. Der in den schweizerischen Normen von 1903 angegebene Wert für die zulässige Druckspannung von 3,5 N/mm2 in zentrisch gedrückten Hochbau-stützen wurde auch noch in der Eisenbetonverordnung von 1916 beibehalten. In Frankreich hingegen hingen die zulässigen Druckspannungen von der Beschaffenheit des Betons und des Querbeweh-rungsgehalts ρb ab. Die zulässigen Druckspannungen des unbewehrten Betons wurden mit dem Koeffizienten (1 + m ρb) multipliziert, durften jedoch 60 % der Würfeldruckfestigkeit nach 90 Tagen nicht überschreiten. Der Wirksamkeitsfaktor m befand sich für gewöhnliche Querbewehrungen zwischen 8 und 15, für Spiralbewehrungen zwischen 15 und 32 [32].

In den ersten provisorischen Normen der Schweiz, wie auch in den anderen Staaten, wurde die Umschnürung bei der Berechnung von Stützen nicht berücksichtigt und auch nicht erwähnt. Die Grundlage zur Bemessung lieferte die zu dieser Zeit verbreitete klassische Elastizitätstheorie, was auch Artikel 6 c) im Kapitel zu den Grundlagen der statischen Berechnung der schweizerischen Norm von 1903 zeigt: « die inneren Kräfte und Spannungen des auf Druck beanspruchten Eisens werden ermittelt unter der Annahme, das Eisen nehme 20 mal grössere Spannungen als der Beton auf und unter Berücksichtigung der Knickgefahr der Eisenstangen » [39, S. 78].

In den Kommissions-Vorschriften von 1909 wurde die Verhältniszahl n der Elastizitätsmoduln von Eisen und Beton bei den auf Druck belasteten Bauteilen auf 10 reduziert. « Diese Erniedrigung des Wertes n von 20 auf 10 entspricht der Erfahrung, nach welcher die Hülfe, welche einem auf Druck beanspruchten Bauteil durch die Längsarmierungsstangen beigebracht wird, nicht so wirksam ist, wie dies im Jahre 1903 angenommen wurde » [39, S. 104]. In den Vorschriften der angrenzenden Staaten wurde n zu 15 angesetzt. 1909 wurde erstmals die Festigkeitssteigerung infolge der Querbewehrung für die Stützenbemessung berücksichtigt, sofern die Bewehrung im Abstand von höchstens einem Fünftel des Stützendurchmessers angeordnet war. Der Berechnungsansatz für den Druckwiderstand fusste auf der von Considère vorgeschlagenen Theorie, da eigene Versuche nicht vorhanden waren.

( )10 24 ' mit ' b kc c s b b

a dP f A A A Asπ

= + + = (4.11)

Ac bezeichnet die Bruttoquerschnittsfläche des Betons, As die Gesamtquerschnittsfläche der Längs-bewehrung und A'b eine fiktive Längsbewehrung von gleichem Volumen wie die Querbewehrung mit Querschnittsfläche ab. Den Klammerausdruck kann man als ideellen Querschnitt auffassen. Der Faktor 24 entsteht, indem man die von der Umschnürungsbewehrung produzierte Querdruckspan-nung σq = 2 ab

σb / (dk

s) mit dem von Considère gefundenen Faktor 4,8 und der Kernquerschnittsflä-

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Umschnürte Eisenbetonstützen

che des Betons multipliziert und σb = n fc setzt. In den österreichischen und deutschen Vorschriften betrug der Faktor des letzten Summanden vorerst 30 und wurde später auf 45 erhöht.

In der 1916 in Kraft gesetzten Betonverordnung durfte die Festigkeitssteigerung infolge Umschnü-rung zur Bemessung von Druckgliedern lediglich in Rechnung gestellt werden, falls die Querbeweh-rung aus runden Bügeln oder Spiralen bestand. Zusätzlich wurde das Gewicht der Umschnürung auf das Doppelte desjenigen der Längsbewehrung beschränkt und der ideelle Querschnitt des Druck-glieds durfte das Doppelte des nicht umschnürten Betonquerschnitts nicht überschreiten. Die letzte Bedingung befand sich ebenfalls in den deutschen und österreichischen Verordnungen.

Die in die schweizerischen Normen und Vorschriften eingeflossenen Regeln zur Bemessung von umschnürten Eisenbetonstützen basierten alle auf den in den umliegenden Staaten erhaltenen Versuchsresultaten, da an der Materialprüfungsanstalt in Zürich bislang keine Umschnürungsversu-che unternommen worden waren. Erst unter der Leitung von Roš wurden Stützenversuche durchge-führt29.

4.2.3 Querbewehrung in quadratischen Stützen

Die Effizienz der Umschnürungswirkung von Bügeln oder Spiralen in quadratischen Stützen war seit Beginn der Forschungstätigkeiten eine viel umstrittene Frage. Daher versuchten einige Forscher, die von Koenen 1892 vorgeschlagene Anordnung von Quereisen zu propagieren, in der sie eine bessere Lösung der Umschnürung sahen.

29 1924 bis 1944 wurden an der Empa Knickversuche mit zentrisch sowie exzentrisch auf Druck beanspruchten umschnür-

ten Stahlbetonstützen durchgeführt [135].

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Bild 4.14 – Sanders: Druckversuche an Prismen mit quadratischer Grundfläche von 17 cm Kantenlänge sowie

17 bzw. 30 cm Höhe mit Querbewehrung aus Rundeisen von 4 bzw. 6 mm [144].

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Die Verbreitung

Im Anschluss an Considères Artikel von 1902 beanstandete Ludwig Adrian Sanders 30 1903 die Wirkungsweise der Umschnürung bei rechteckigen Querschnitten, welche in der Praxis am häufigs-ten Anwendung fanden. Er schlug vor, eine Querbewehrung zu verwenden, in der Weise, wie es einst Koenen vorgeschlagen hatte. Sanders liess 46 Probekörper gemäss Bild 4.14 anfertigen und folgerte aus seinen Versuchen, « ... dass bei Stützen eine Querarmierung notwendig angebracht werden muss, und dass zur Hervorbringung gleichwertiger Brucherscheinungen diese Armaturen nicht weiter voneinander abstehen sollen, als wie die kleinste Querabmessung. Dabei kommt dann noch die gewöhnliche Würfelfestigkeit des Betons zum Ausdruck. Bei einer noch kleineren Entfernung erreichen wir dieselben Erscheinungen wie beim „Béton fretté“ » [144, S. 109]. Sanders deutete die Querarmaturen als „Reibungsflächen“ und erkannte, dass das Gefüge des verbleibenden Betons nach erfolgtem Bruch der Probekörper nicht zerstört wurde. Daraus folgerte er, dass der auf diese Weise bewehrte, auf Druck beanspruchte Beton viel stärker plastifizieren kann als herkömmlich bewehrter Beton auf Zug.

M.G. Schinke und Benno Löser 31 fanden es unzureichend, dass Quereinlagen in den deutschen Leitsätzen nicht in Rechnung gestellt wurden, obwohl die Versuche von Sanders 1903 gezeigt hatten, dass die Druckfestigkeit eines Betonwürfels durch Einlagen senkrecht zur Druckrichtung wesentlich erhöht werden konnte. Schinke und Löser sahen die Stützen als aufeinander gestapelte Würfel an und beabsichtigten, den Einfluss der Quereinlagen in Verbindung mit Längseisen auf die Stützenfestig-keit durch Versuche klarzulegen. 1907 führten sie an der Prüfungsanstalt der Königlichen Bauge-werkschule zu Dresden Versuche an Würfeln mit 14 bis 24 cm Kantenlänge und Quereinlagen aus verschiedenen Eisenformen durch, wobei gelochte Bleche die grösste Wirkung erbrachten. Mit der neu gewonnenen Form der Quereinlagen untersuchten Schinke und Löser anschliessend 70 bzw. 90 cm hohe Betonstützen mit quadratischer Querschnittsfläche von 15 cm Seitenlänge, wie in Bild 4.15 dargestellt, und legten zusätzlich vier Längsstäbe ein; bei der achten Stütze wurde nur das Eisengerippe geprüft.

Bild 4.15 – Schinke und Löser: Skizze des Lochblechs sowie geprüfte

Probekörper; Stütze eins ohne Eiseneinlagen als Referenz [146].

Im Vergleich zur rechnerischen Bruchlast nach der Formel in den Leitsätzen ergaben die Versuche durchschnittlich doppelt so hohe Werte. Schinke und Löser ermittelten als untere Grenze des Einflus-ses der Quereinlagen auf die Stützenfestigkeit die Wurzel aus dem Verhältnis des Blechabstands a

30 Ludwig Adrian Sanders (1867–19??); holländischer Bauingenieur. Nach langjährigem Aufenthalt im Ausland wirkte

Sanders in Amsterdam. 31 Benno Löser (1878–1944); deutscher Bauingenieur. Löser war als Honorarprofessor an der Technischen Hochschule in

Dresden tätig.

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Umschnürte Eisenbetonstützen

zur Kantenlänge des Querschnitts s. Daraus schlugen sie zur Berechnung der Bruchlast von quer verstärkten Stahlbetonstützen die Beziehung

u c cw saP A f A fs

= + s

(4.12)

vor. Zum Abschluss ihrer Arbeit ermittelten sie anhand der Beziehung (4.12) mit fs = 15 fcw das Wirkungsverhältnis der Längs- zur Querarmierung für eine Stütze mit 30 cm Kantenlänge zu 1:3 und verglichen das Resultat mit dem von Considère gefundenen Faktor 2,4 [146].

4.2.4 Einzug der umschnürten Betonstütze in die Vereinigten Staaten

Bis 1895 wurden die Hochhäuser in Nordamerika mit Innengerippe aus Gusseisenstützen oder I-Trägern gebaut, welche mit Mauerwerk ausgefacht wurden. Diese Konstruktionen erfuhren bei starker Windeinwirkung in den oberen Geschossen grosse Verformungen. Beim Erdbeben 1906 in San Francisco erwies sich der Eisenbeton wegen seiner Monolithizität und hohen Steifigkeit als vorteilhaft, konnte sich aber gegen die Eisenbauweise, welche einen schnellen Baufortschritt zuliess, nicht durchsetzen. Erst nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs und mit dem damit verbundenen starken Anstieg der Eisenpreise und Löhne erhielt der Eisenbeton grössere Bedeutung [51].

Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Entdeckung der Umschnürungswirkung und die damit verbundenen Theorien Considères bis in die Vereinigten Staaten von Amerika getragen. Die um-schnürte Stahlbetonstütze erlangte im Gegensatz zu anderen Konstruktionselementen aus Stahlbeton viel schneller Popularität. Stahlbetonelemente besassen vor allem in den unteren Geschossen grosse Abmessungen, da die Betondruckfestigkeiten allgemein niedrig waren und die zulässige Druckfes-tigkeit wegen ihrer starken Streuung bei der Dimensionierung sehr niedrig angesetzt werden musste. Die Bauherren wollten nur einen minimalen Teil der kostbaren Nutzfläche an Konstruktionselemente verlieren. Durch die Fähigkeit der umschnürten Stütze, viel höhere Druckspannungen aufnehmen zu können, konnte der Stützenquerschnitt beträchtlich reduziert werden, was bei den damals sehr geringen Stützenabständen zu einer merklichen Raumzunahme führte [165].

Nach der Veröffentlichung der Versuchsresultate Considères wurden in den Vereinigten Staaten eigene Forschungsprojekte mit umschnürten Stützen in Angriff genommen. 1906 prüfte James E. Howard am 1816 gegründeten Watertown Arsenal in Massachusetts, der ersten amerikanischen Versuchsanstalt, 99 2,4 m hohe Stützen mit 25 bis 30 cm Durchmesser, welche aus reinem Beton, nur längs bewehrt, oder zusätzlich mit Bügeln versehen waren. Im Gegensatz zu früheren Versuchen in Europa wurden für die Probekörper Stützentypen verwendet, welche in der Praxis häufig Anwendung fanden und damit in ihrer wahren Grösse geprüft. Auch die Fertigung der Stützen unterschied sich zu jenen in Europa, welche ausschliesslich mittels Einstampfen einer trockenen Betonmasse hergestellt wurden. Howard liess die Stützen in Gussbeton32 stehend betonieren und prüfte sie liegend. Weiter untersuchte Howard Verbundstützen mit vier Winkeleisen in Längsrichtung und Bügeln aus Flachei-sen in verschiedenen Abständen. Die Stützen mit reiner Bügelbewehrung zeigten grössere Verfor-mungen als diejenigen mit zusätzlichen Längsstäben. Infolge der Verbügelung erhielt Howard

32 Gussbeton enthielt gegenüber Stampfbeton einen hohen Wasseranteil. Die daraus resultierende Einbusse an Festigkeit

wurde mit der Verwendung grosser Zementanteile wieder wettgemacht. Die Idee der Verwendung von Gussbeton geht auf den amerikanischen Erfinder Thomas Alva Edison (1847–1931) zurück. Während seiner Tätigkeit in einer Portland-zementfabrik in New Jersey, wo Edison Maschinen zur Zementherstellung entwickelte, arbeitete er zusammen mit einem Mitarbeiter, Ingenieur Henry J. Harms, an der Idee, ganze Häuser in wenigen Tagen maschinell aus Gussbeton herzustel-len. 1905 brachten sie die Versuche zum Abschluss [80]. Nach Streitigkeiten trennte sich Harms von Edison, schloss sich mit George Eldridge Small zusammen und meldete in Frankreich und Holland Patente an. Während Harms and Small in Europa mit mässigem Erfolg Versuchshäuser aus Gussbeton herstellten, baute Edison in den USA bereits ganze Wohn-siedlungen [70, 25].

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Die Verbreitung

gegenüber den reinen Betonstützen entgegen seinen Erwartungen keine Erhöhung der Festigkeit. Er erkannte, dass eine gewisse Druckbeanspruchung des Betons nötig war, um die Bügel zu aktivieren. Bei mageren Mischungen war diese jedoch mit grossen Längsverformungen der Stützen verbunden. Weiter bemerkte Howard eine etwas höhere Steifigkeit bei nicht bewehrten gegenüber längs bewehr-ten und umbügelten Stützen und erklärte diese durch die Entstehung winziger Risse im Beton während des Erhärtens [78].

Nach Vorversuchen an unterschiedlich bewehrten, quadratischen Betonstützen untersuchte Arthur Newell Talbot33 1907 an der Universität von Illinois in einer zweiten ergänzenden Serie 43 runde, 3 m lange Stützen, davon je 12 mit Spiral- und Bügelumschnürung gemäss Bild 4.16, sowie 19 nicht bewehrte Betonstützen als Vergleichsgrundlage. Die Stützen enthielten keine Längsbewehrung; die Umschnürungsbewehrung wurde lediglich mit einer dünnen Halterung in der Höhe fixiert. Sowohl die Spiralen aus gewöhnlichem oder „high-carbon steel“ als auch die Bügel aus verschweissten Flacheisen lagen praktisch an der Stützenoberfläche, damit die Mitwirkung des aussen liegenden Betons entfiel. Der Effekt der Kombination von Längs- und Umschnürungsbewehrung war für Talbot ungewiss; daher liess er diese Frage unbeantwortet. Die Betondruckfestigkeit wurde zusätzlich an Würfeln und Zylindern geprüft.

305 305

[mm]

252525

2525

229

Bild 4.16 – Talbot: Spiral- und bügelumschnürte Versuchsstützen [173].

Bis anhin konnte in Konstruktionen die aus der Umschnürung gewonnene Erhöhung der Druckfes-tigkeit nur sehr unzuverlässig ausgenutzt werden. Die Versuchsreihe Talbots sollte aus unabhängiger Sicht und rein wissenschaftlichem Interesse die Ergebnisse Considères überprüfen. Unter niedrigen Lasten verhielten sich die umschnürten Stützen ähnlich wie die reinen Betonstützen. Bei Erreichen der Bruchlast der reinen Betonstützen begann der ausserhalb der Umschnürungsbewehrung liegende Beton abzuschälen. Nach weiterer Laststeigerung trat unter Fliessen der Umschnürung und seitlicher Aufweitung kurz vor Erreichen der Höchstlast eine deutliche seitliche Ausbiegung auf, worauf die Stützen anschliessend ausknickten. Eine schwache Umschnürung bewirkte keine Lasterhöhung, glich aber Ungleichmässigkeiten und lokale Fehler im Beton aus, was sich gegenüber den üblich bewehr-ten Stützen in der geringeren Streuung der Bruchfestigkeit bemerkbar machte. Die Wirkung der Umschnürung fasste Talbot wie folgt zusammen: « ... the additional strength over that of plain concrete columns is a function of the amount and strength of the reinforcing » [166, S. 387–388]. Mit dieser Aussage war er einer der ersten, der die Laststeigerung mit der Festigkeit der Umschnürungs-bewehrung in Zusammenhang brachte. Talbot folgerte ausserdem aus den Versuchen, dass die

33 Arthur Newell Talbot (1857–1942); US-amerikanischer Bauingenieur. Talbot wirkte ab 1890 als Professor an der

Universität von Illinois.

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Umschnürte Eisenbetonstützen

Querdehnzahl keine Konstante sei, sondern vor dem Bruch rasch ansteige und die Umschnürung erst aktiviert werde, wenn die äquivalente unbewehrte Stütze die Bruchlast erreichen würde und die Stützen grosse bleibende Verformungen erleiden. Im Bruchzustand ermittelte er bei den umschnürten Stützen eine acht- bis zehnfache Verkürzung derjenigen von nicht bewehrten Stützen, bei Verwen-dung von „high carbon wire“ sogar eine dreizehnfache. Ausserdem ermittelte er eine zwei- bis viermal so grosse Lastaufnahme der Umschnürungsbewehrung gegenüber einer äquivalenten Längsbewehrung gleichen Volumens [165, 166].

Angesichts dieser Feststellungen kritisierte W. Noble Twelvetrees 1909 in einer Besprechung der Versuche Talbots die starken Bruchstauchungen und das frühe Abplatzen des Überdeckungsbetons. Er kam zum Schluss, dass die Umschnürung in der Praxis nicht zu empfehlen sei: « The practical engineer, however, does not work with a view of exposing structures to maximum loads, and is concerned exclusively with the effects of safe working stresses. [...] Consequently we are driven to the conclusions that in practical constructions the most effective and economical type of reinforce-ment is that represented by longitudinal bars of adequate proportions, and that transverse reinforce-ment, whether in the form of closely-spaced spiral coils, welded bands, or wire links, should be regarded as auxiliary, and not as main reinforcement » [173, S. 406].

Bild 4.17 – Withey: Bewehrungsanordnung der Versuchsstützen [176].

Diese Darlegung der Umschnürungswirkung brachte seitens Considères heftige Reaktionen, der entgegnete, dass die starken Stauchungen nur auftreten, falls, wie in Talbots Versuchen, keine Längsbewehrung eingelegt wurde. Considères Versuche, welche er 1902 durchgeführt hatte, hatten mit demselben Bewehrungslayout Mängel gezeigt, worauf er sich nur noch auf Stützen mit kombi-nierter Spiral- und Längsbewehrung konzentrierte. Basierend auf weiteren ausführlichen Versuchen 1907 hatte die französische Stahlbetonkommission ausdrücklich betont, dass die umschnürten Stützen mindestens sechs Längseisen enthalten müssen, mit der Begrenzung, dass das Volumen der Längsbewehrung mindestens ein Drittel der Spiralbewehrung und mindestens ein Zweihundertstel des Betonvolumens betragen muss. Considère entgegnete ausserdem, dass das grosse Verformungs-

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Die Verbreitung

vermögen der umschnürten Stützen für die Konstruktionen sehr wichtig sei, der umschnürte Beton weniger empfindlich auf schlechte Ausführungen reagiere und die Vorankündigung des Bruchs durch die grosse Verformungsfähigkeit begünstigt werde [33].

1909 prüfte M. O. Withey mit Unterstützung von Frederick Eugene Turneaure34 an der Universität Wisconsin über fünfzig runde, 3 m hohe Stützen, deren Bewehrung gemäss Bild 4.17 ausgebildet war.

Der Kerndurchmesser betrug 25 cm, die Betonüberdeckung variierte zwischen 2,5 und 5 cm. Aus den Versuchen erkannte Withey, dass die Umschnürungsbewehrung bis Fliessbeginn der Längseisen kaum beansprucht wurde und die Betonüberdeckung erst bei steigender Last zu reissen begann und sich schliesslich ablöste. Schon Umschnürungsbewehrungsgehalte zwischen 0,5 und 1 % bewirkten eine markante Steigerung der Traglast. Aufgrund seiner Beobachtungen empfahl Withey zur Berech-nung der Traglast folgende Beziehung in Abhängigkeit der Betonfestigkeit sowie der Fliessgrenze der Bewehrung

[ ](1 ) psi .s c s s b bk

P f f k fA

= −ρ + ρ + ρ (4.13)

fc, fs und fb bezeichnen die einachsige Betondruckfestigkeit sowie die Fliessgrenzen der Längs- und Umschnürungsbewehrung. In Beispielen verwendete Withey für die Konstante k den Wert 1,2 [176]. Erste sehr umfangreiche Versuche mit umschnürten Stützen wurden in den Jahren 1925 und 1926 an der University of Illinois unter der Leitung von Talbot durchgeführt. Die Verantwortung der Ver-suchsdurchführung oblag dem Masterstudenten Brandtzæg. Er wurde dabei durch den Forschungs-mitarbeiter Brown und Professor Richart unterstützt. Die Mitteilung der Versuchsergebnisse am Betontag im Februar 1933 in Chicago wurde von den europäischen Forschern mit grossem Interesse verfolgt und mit ihrer Forschertätigkeit verglichen. Die Versuche an den 1 m langen Betonzylindern mit 254 mm Durchmesser bezweckten, die Bezie-hung zwischen dem Querdruck und der daraus resultierenden zusätzlichen Betonfestigkeit zu ermitteln. Ausserdem versuchte Brandtzæg herauszufinden, wovon die Stützenfestigkeit zusätzlich abhing, und welche Eigenschaften der Beton beim Übergang vom elastischen in ein teilweise plastisches Verhalten aufweist. Die Ganghöhe der Spiralbewehrung betrug 25 mm, die Bewehrungs-durchmesser lagen zwischen 3 und 10 mm. Längsbewehrung wurde keine eingelegt, die Umschnü-rungsbewehrungsgehalte lagen zwischen 0,5 und 4,4 %. Bei der Versuchsdurchführung wies der umschnürte Beton im elastischen Bereich dasselbe Verhalten wie der nicht umschnürte auf. Die ersten sichtbaren Risse traten bei Querdehnungen von 1 bis 2 ‰ auf. Alle Stützen erreichten die Höchstlast ohne Zerreissen der Spiralbewehrung. Ausserdem wurde festgestellt, dass bei der Aktivierung der Umschnürungsbewehrung die Stützen bereits starke Verformungen aufwiesen und sich in einem semiplastischen Zustand befanden. In allen Versuchen wurden die Spiraleisen in den Beton eingedrückt, bzw. der Beton quoll zwischen der Umschnürungs-bewehrung hervor.

Von der Laststufe an, wo die Umschürungsbewehrung vollständig aktiviert wurde, bis zur Höchstlast stimmten die Versuchswerte ziemlich gut mit der Geradengleichung

1 24,1cfσ = + σ (4.14)

34 Frederick Eugene Turneaure (1866–1951); Mitglied der American Association for the Advancement of Science und der

American Society of Civil Engineers. Turneaure war von 1892 bis 1932 an der Universität Wisconsin als Professor für Brückenbau und Hydraulik tätig und wurde 1904 zum Direktor des College of Mechanics and Engineering ernannt.

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Umschnürte Eisenbetonstützen

überein. σ1 bezeichnet die Axialspannung, σ2 die Querdruckspannung und fc die mittlere Druckfestig-keit des unbewehrten Betonkörpers35. Die Beziehung genügte ebenfalls den Resultaten der im Voraus durchgeführten Triaxialversuche36. Brandtzæg bemerkte hierzu: « Man kann daraus schlie-ßen, daß das Verhältnis zwischen Achsial- und Querspannungen im „Spiralbereich“ von den Form-änderungen unabhängig ist, mit anderen Worten, daß sich das Material in diesem Bereich in plastischem Zustand befindet » [21, S. 237]. Da alle Versuche mit denselben Werkstoffen durchge-führt wurden, vermutete Brandtzæg, dass sich der Faktor 4,1 in der Gleichung (4.14) mit den Eigenschaften der Zuschlagstoffe und dem des Zements etwas ändern könne.

Bild 4.18 – Brandtzæg: Deformationen, Volumenänderung und Eisenspannungen in

einer Stütze mit 2,66 % Umschnürungsbewehrungsgehalt [21].

Weiter wurde die Volumenänderung der Stützen untersucht. Nach der Aktivierung der Umschnü-rungsbewehrung nahm das Stützenvolumen stark ab, während unter ungefähr 80 % der Höchstlast die Formänderungen so stark anwuchsen, dass mit weiterer Steigerung der Druckbelastung das scheinba-re Volumen des Betonkörpers nicht mehr abnahm, sondern sich vergrösserte. Kurz vor Erreichen der Höchstlast war das scheinbare Volumen des Körpers in mehreren Fällen grösser als im unbelasteten Zustand, siehe . Bild 4.18Brandtzæg erklärte diese Erscheinung durch Auftreten von Rissen oder internen Unstetigkeiten, ähnlich der Brucherscheinung von reinem Beton. Die Kurven der Volumenänderung waren vom Umschnürungsbewehrungsgehalt unabhängig [21, 126]. Anschliessend an die im Rahmen der Masterarbeit von Brandtzæg durchgeführten Versuche wurde ein Komitee gegründet, das Committee 105, welches unter der Leitung von Richart beabsichtigte, das Tragverhalten von umschnürten Stahlbetonstützen eingehend zu ergründen. Im Rahmen dieser Untersuchung wurden parallel sowohl an der Lehigh University als auch an der University of Illinois bis 1933 zahlreiche Stützenversuche unternommen, welche bis heute zu den wichtigsten derartigen Versuchen im englischen Sprachraum zählen [16, 99, 124, 127, 128, 129, 130, 154, 156].

35 In Amerika wurde die zulässige einachsige Betondruckfestigkeit auf die Zylinderdruckfestigkeit bezogen, während in

Europa die Würfeldruckfestigkeit als Massstab diente. 36 Siehe Kapitel 3.3.3.

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Anwendungen

4.3 Anwendungen

4.3.1 Einsatz der umschnürten Betonstütze

Die erste Anwendung des umschnürten Betons erfolgte im November 1903 in Paris an der 20 m weit gespannten Fachwerk-Bogenbrücke – Pont d’Ivry – mit parabelförmigem Obergurt und 2,3 m Pfeilhöhe gemäss Bild 4.19, an welcher Considère einen Belastungsversuch durchführte. Der Bruch erfolgte an einem mangelhaft ausgebildeten Knoten, indem fünf Spiralwindungen rissen und der Beton an einer schiefen Fläche abglitt. Die Versuchsresultate ergaben dennoch eine befriedigende Übereinstimmung mit der Beziehung zur Bestimmung des Bruchwiderstands, welche Considère anhand der in der Versuchsanstalt geprüften Prismen aufgestellt hatte [30, 69].

Bild 4.19 – Considère: Belastungsprobe der Ivry Brücke aus umschnürtem Beton [69].

N. M. Abramoff kritisierte das statische System der Versuchsbrücke, welches Considère direkt von der Stahlbauweise abgeleitet hatte. « Die große Bedeutung des Considèreschen Versuchs vollständig anerkennend, ist zu verwundern, daß er einen Brückenträger mit Streben gebaut hat: Meiner Meinung nach haben letztere hier keine Bedeutung » [1, S. 90]. Bei der Berechnung von Fachwerkträgern wurde vorausgesetzt, dass die Glieder in den Knotenpunkten gelenkig miteinander verbunden und daher statisch bestimmt sind. In Europa und Amerika wurden zu dieser Zeit im Stahlbau die Träger-teile untereinander fest vernietet, was die Übertragung von Biegemomenten ermöglichte. Eine genaue Berechnung der Momentenverteilung war damals sehr schwierig, wodurch die Streben trotz den auftretenden Nebenspannungen in der Praxis als Pendelstützen betrachtet wurden. « Wenn auf diese Weise in Metallträgern Streben nicht erwünschenswert erscheinen, so sind dieselben in Eisenbetonkonstruktionen durchaus unnütz und bedeuten nur eine Materialverschwendung, wodurch das Eigengewicht vergrößert und die Kosten erhöht werden » [1, S. 90–91].

Abramoff hatte die Idee, die Streben wegzulassen und für umschnürte Betonbalken einen Vieren-deelträger zu verwenden. Er erachtete dieses System als rationellste Konstruktion für balkenförmige Träger, dessen Berechnung bedeutend einfacher war. Daraufhin liess Abramoff 1908 im Mechani-schen Laboratorium des Instituts der Wegebau-Ingenieure in St. Petersburg einen Vierendeelträger aus rechteckigen Querschnitten gemäss Bild 4.20 prüfen. Bei der konstruktiven Durchbildung der Knoten gelang es ihm nicht, die Ring- oder Spiralbewehrung nach dem System Considère kontinuier-lich um die Ecken zu führen, was ihn dazu bewog, die Konstruktionsweise der Umschnürung grundlegend zu ändern [1].

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Umschnürte Eisenbetonstützen

Bild 4.20 – Abramoff: Versuch mit einem Vierendeelträger aus umschnürtem Beton nach System Abramoff [1].

Zu Beginn des Herstellungsprozesses wurde der Umschnürungsdraht auf der Biegemaschine gemäss Bild 4.21 schrauben- oder spiralartig aufgewickelt und anschliessend zu einzelnen Ebenen mit gewünschter Ganghöhe auseinander gezogen. Die Ebenen wurden bis zur Überlappung der Schlaufen ineinander geschoben und die Längsstabe durchgesteckt. Mit diesem System war es möglich, die Umschnürung an beliebig polygonal geformte Querschnitte anzupassen. Abramoff meldete diese Konstruktionsweise zum Patent an, dessen Lizenzen auch an Bauunternehmen in Deutschland vergeben wurden. Das Umschnürungssystem wurde sowohl für Stützen als auch zur Verstärkung der Druckzonen von stark beanspruchten Balken verwendet [17].

Bild 4.21 – Umschnürungssystem Abramoff [17].

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Anwendungen

Die umschnürten Stützen nach dem System von Considère kamen bei grösseren Ausführungen zur Anwendung, speziell im modernen Industrie- und Fabrikbau, bei denen hauptsächlich eine möglichst grosse Raumausnützung und schlanke Stützen gefordert wurden.

Die Bauunternehmung Ed. Ast & Co. aus Wien, welche in Österreich das alleinige Ausführungsrecht des „béton fretté“ besass, wandte diesen 1905 erstmals beim Bau eines Druckereigebäudes in Brünn an. Die achteckigen Stützen mit 50 cm Innendurchmesser im Kellergeschoss hatten Lasten bis zu 180 t zu tragen. Dies ergibt eine mittlere Stützenspannung von 8,7 N/mm2. Die Umschnürungs-bewehrung wurde in 1 m hohen Stücken einbaufertig auf die Baustelle geliefert. Nach Einbringen der Längseisen und der ersten Spirale gemäss Bild 4.22 wurde der Beton bis auf einen Meter Höhe eingebracht und gestampft. Für die nächste Betonieretappe fädelte man eine weitere Spirale ein und drehte diese auf die bereits vorhandene, bis sich zwei bis drei Windungen überlappten [36].

Bild 4.22 – Druckereigebäude Brünn: Stütze im Kellergeschoss aus „béton fretté“, ausgelegt

auf eine Stützenlast von 130 t [36].

Auch Considère hatte 1906 die Gelegenheit, in Zusammenarbeit mit dem Architekten Stephen Sauvestre 37 bei der Erweiterung der Schokoladenfabrik Menier in Noisiel sein Patent im grossen Stil anzuwenden. Sämtliche tragenden Konstruktionsteile inklusive der Pfahlfundierung wurden gemäss Bild 4.23 in umschnürtem Beton hergestellt, wobei in Stützennähe die Druckzonen der Unterzüge auch durch eine Spiralbewehung verstärkt wurden. Die Stützenlasten betrugen bis zu 765 t, was eine mittlere Stützenspannung von 27 N/mm2 ergibt und dem dreifachen Wert derjenigen in den Stützen des Druckereigebäudes in Brünn entspricht. Dies widerspiegelt die viel geringeren Sicherheits-beiwerte, welche in Frankreich verlangt wurden. Zwei an beiden Ufern der Marne gelegene Gebäude wurden in der Höhe des zweiten Stockwerks durch eine Bogenbrücke mit 44,26 m Spannweite und 8,25 m Pfeilhöhe miteinander verbunden. Diese versteifte Stabbogenbrücke – Pont Hardi – wurde ebenfalls aus umschnürtem Beton gefertigt [178].

37 Stephen Sauvestre (1874–1919).

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Umschnürte Eisenbetonstützen

Bild 4.23 – Ausführung der Schokoladenfabrik Menier in „béton fretté“ – Stütze im

Untergeschoss [178].

Bauausführungen mit umschnürten Ortbetonstützen werden in der Literatur kaum erwähnt. Neben den obigen Beispielen wurden einzelne Anwendungen bei nachträglichen Verstärkungen von Hochbaustützen oder Sanierungen nach Brandereignissen besprochen. Als Beispiel wird die Wieder-herstellung der brandbeschädigten Stützen der Schokoladenfabrik Sarotti in Berlin erwähnt. Der Grossbrand ereignete sich im Januar 1922. Der vom Feuer beschädigte Überdeckungsbeton wurde bis zur bestehenden Umschnürungsbewehrung abgestemmt. Anschliessend erhielten die noch intakten Stützenkerne eine zusätzliche Längs- und Spiralbewehrung, welche mit Spritzbeton38 überdeckt wurde, siehe Bild 4.24. Durch die Wahl des Betonspritzverfahrens konnte ein guter

38 Das Spritzbetonverfahren wurde in den 1920er Jahren erfunden. Es kamen zwei Konkurrenzprodukte auf den Markt.

Zum einen wurde das „Torkret“-Verfahren in den USA entwickelt. Der Name ist eine Abkürzung von Tectorkonkret, wobei der erste Wortteil vom lateinischen „tectorium“, Mörtelschicht oder Schutzdecke, abgeleitet wurde. Dieses Beton-spritzverfahren entspricht dem heutigen Trockenspritzverfahren, bei dem das Trockenmischgut im Schlauch mit Druck-luft bis zur Düse befördert und dort mit Wasser vermischt wird. Das zweite Verfahren von „Moser“, später „Kraftbaugesellschaft“, wurde in Deutschland entwickelt. Dabei wurde der fertige Beton im nassen Zustand bis zur Düse befördert. Dieses Verfahren entspricht dem heutigen Nassspritzverfahren. Bei der Sanierung der Sarotti-Fabrik wurden anfangs beide Verfahren angewandt. Wegen der geringeren Leistung des „Kraftbauverfahrens“ wurde jedoch vollständig auf das „Torkretverfahren“ umgestellt. In der Schweiz fand letzteres Verfahren beim Kraftwerkbau häufig Anwendung.

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Anwendungen

Verbund zwischen dem alten Kernbeton und dem frischen Beton gewährleistet werden. Die Re-proflierung mit dem damals verwendeten Stampfbeton wäre nicht möglich gewesen [62].

(a) (b)

Bild 4.24 – Wiederherstellung der brandbeschädigten Schokoladefabrik Sarotti in Berlin:

(a) Neue Stützenbewehrung; (b) Spritzbetonverfahren der „Kraftbau“-Gesellschaft Berlin [62].

Am häufigsten kam der umschnürte Beton in Bogenbrücken zum Einsatz, wodurch Spannweiten von über 100 m ermöglicht wurden. Im Hochbau gewann die Umschnürung erst mit der Erfindung der Schleuderbetonstütze an Bedeutung. 1912 wurde in Oppeln eine Textilfabrik zur Herstellung von Zementsäcken erbaut. Die Halle wurde von einem Sheddach überdeckt, das auf insgesamt 100 Schleuderbetonstützen39 ruhte. Bei diesem Hochbau gelangte der Schleuderbeton zum ersten Mal in umfangreichem Masse zur Anwendung. Die Herstellung der Stützen erfolgte gemäss Bild 4.25.

In einem ersten Schritt wurde eine Drahtspirale mittels einer Wickelvorrichtung auf einen Holzkern gewunden und darauf die Längsstäbe befestigt. Darüber wurde eine weitere Spirale angebracht, welche anschliessend mit Distanzstreifen aus Beton versehen wurde. Danach wurde der Beweh-rungskorb zusammen mit dem dickflüssigen Frischbeton in eine Holzform gelegt, die Form ver-schlossen und 10 Minuten mit bis zu 1000 Umdrehungen pro Minute gedreht [40].

Heutzutage kommen in der Schweiz im Hochbau vorwiegend Schleuderbetonstützen aus hochfestem Beton zum Einsatz. Der Vorteil der vorgefertigten Stützen gegenüber jenen aus Ortbeton besteht darin, dass diese in kurzer Zeit versetzt werden können und dadurch eine rationelle Bauweise entsteht. Ausserdem lassen sich im Werk Betone mit sehr hoher Festigkeit zuverlässig herstellen.

39 Der Firma Otto & Schlosser zu Meißen in Deutschland wurde am 24. Februar 1907 ein Patent auf ein „Verfahren zur

Herstellung eines Hohlköpers aus plastischer Masse mit Streckmetalleinlage mittels Schleuderform“ erteilt. Patente in weiteren europäischen Ländern sowie in den USA und Japan folgten. Die Rohre wurden horizontal auf einer Rotations-maschine mit einer Geschwindigkeit von 300 bis 1500 Umdrehungen pro Minute gefertigt. Sie bestanden anfänglich aus einer mit Asbestfasern gleichmässig durchsetzten Zementmasse und wurden für Masten aller Art, Rohre zu verschiedens-ten Zwecken und Rammpfähle verwendet. Mit dem Schleuderverfahren konnten beliebige Querschnittsformen hergestellt werden.

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Umschnürte Eisenbetonstützen

Unter Anwendung spezieller Nachbehandlungsverfahren und einer Lagerung der Stützen unter klimatisch günstigen Bedingungen können die mit der hohen Betonfestigkeit einhergehenden grossen Schwindverformungen vermindert werden.

Bild 4.25 – Fabrikbau in Oppeln: Arbeitsschritte zur Herstellung der Schleuderbetonstützen,

Abmessungen in mm [40].

4.3.2 Betonherstellung und -verarbeitung

Seit der Entstehung des Eisenbetonbaus steht dieser in Konkurrenz mit dem Eisen- bzw. Stahlbau. Viele Faktoren wie rationellere Arbeitsmethoden bei der Herstellung und Einbringung des Frischbe-tons sowie die Entwicklung besserer Betonrezepturen verhalfen der Eisenbetonbauweise, vor allem in Europa, dazu, in immer mehr Anwendungsgebieten den Eisenbau zu verdrängen. Ausserdem war man der Auffassung, dass der Eisenbeton im Gegensatz zu den Eisenkonstruktionen keine Unter-haltsarbeiten benötige, da die in den Beton eingebettete Bewehrung vollkommen vor Korrosion geschützt sei.

Den Hauptanteil der Materialkosten des Betons verursacht der Zement. Andererseits bestimmen hauptsächlich das Wasser-Zement-Verhältnis (W/Z-Wert) und die Zementqualität die Betonfestig-keit. Durch hohe Betonfestigkeiten können die Bauteilabmessungen vermindert werden, wodurch wiederum Material eingespart werden kann. Die Herstellung eines preiswerten Betons bedingte daher einen niedrigen Zementgehalt und somit bei einem für die gewünschte Festigkeit erforderlichen W/Z-Wert einen niedrigen Wassergehalt, welcher wiederum die Konsistenz bzw. Verarbeitbarkeit des Betons bestimmt. Im zweiten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts gelangte man zur Erkenntnis, dass mit einer geeigneten Kornverteilung der Zuschlagstoffe der für die Verarbeitbarkeit notwendige Wassergehalt gesenkt werden kann. Erste Forschungsarbeiten initiierten Bauunternehmen, welche darauf bedacht waren, zur Kostenersparnis die Zementmenge im Beton zu reduzieren. Die Zuschlag-stoffe wurden durch Aussieben in vordefinierte Kornfraktionen unterteilt. Durch die Variation der Mischungsverhältnisse versuchte man, eine möglichst grosse Packungsdichte zu erreichen, welche sich positiv auf die Festigkeit und Dauerhaftigkeit auswirkt. Bei optimaler Packungsdichte kann der Frischbeton jedoch nicht mehr mit vernünftigem Aufwand verarbeitet werden. Daher musste eine für alle Aspekte optimierte Siebkurve gefunden werden, welche Ende der zwanziger Jahre erstmals in Leitsätzen zur Betonkontrolle festgehalten wurde [2, 63, 65, 164]. Zu dieser Zeit hatte die Zementin-dustrie bereits einen hohen Wissensstand erreicht und produzierte Zemente mit hervorragenden Festigkeitseigenschaften. Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden erste Zementwerke, welche aus-schliesslich Portlandzemente als Bindemittel für Beton herstellten. Anfang des zwanzigsten Jahrhun-derts begann die Produktion der Spezialzemente. 1915 zum Beispiel fabrizierte die Aargauische Portlandzementfabrik Holderbank-Wildegg den ersten Spezial-Portlandzement mit sehr hoher Festigkeit. Wegen des grossen Einflusses der Zementqualität auf die Betonfestigkeit wurden schon früh Normen für Bindemittel aufgestellt. 1881 erschien in der Schweiz die erste Bindemittelnorm, welche wegen der rasanten Fortschritte der Zementtechnologie bis 1919 viermal überarbeitet wurde [133].

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Anwendungen

Die Betonverarbeitungsmethoden standen in engem Zusammenhang mit dem zu dieser Zeit verfüg-baren Frischbeton. Die ersten Betone waren von sehr trockener Konsistenz und sehr schwer in die Schalung einzubringen. Die Herstellung der Bauteile erfolgte durch das Stampfen 20 bis 25 cm dicker Schichten, deren Verbindung zu einer monolithischen Konstruktion oft nicht gewährleistet werden konnte. Vor allem die Bewehrung erschwerte eine gleichmässige Verdichtung, wodurch die Betonqualität innerhalb der Eisenbetonkonstruktionen oft sehr stark streute. Die schwierige Verarbei-tung des Stampfbetons in Eisenbetonkonstruktionen veranlasste die Forscher, nach neuen Betonsor-ten zu suchen. Im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts wurden flüssige Betongemische eingeführt, welche ohne anschliessende Verdichtung in die Schalung eingebracht wurden. Die Einbettung der Bewehrung in den Beton konnte durch den so genannten Gussbeton besser bewerk-stelligt werden. Obwohl die Holzschalungen einen Teil des überschüssigen Anmachwassers aufsaug-ten, konnten wegen des hohen Wassergehalts nur geringe Betonfestigkeiten erzielt werden. Man versuchte daher, die Betonfestigkeit durch hohe Zementgehalte zu erhöhen, was jedoch den Beton-preis ansteigen liess und dadurch die Betonkonstruktionen gegenüber der Eisenbauweise nicht konkurrenzfähiger machte. Ein grosser Vorteil des Gussbetons bestand jedoch darin, dass die Fähigkeiten des Arbeiters die Betonqualität kaum beeinflussten. Bei unsorgfältigem Stampfen des Betons entstanden dagegen oftmals Schwachstellen, welche die Tragfähigkeit der Bauteile herabsetz-ten [61, 121].

Gegenüber der europäischen Praxis konnte sich der Gussbeton in Amerika rasch durchsetzen. 1910 erhielt die erste Firma, Concrete Appliance in Kalifornien, ein Patent zur Herstellung von Bauten aus Gussbeton. Zum effizienteren Einbringen wurde durch dieselbe Firma ein „Gravity System“ entwi-ckelt, das aus einem auf der Baustelle zentral aufgesellten Verteilungsturm bestand, von dem aus schwenkbare Rinnen oder Rohre abgespannt waren. Der Beton wurde von einer Betonieranlage auf die benötigte Höhe befördert, floss unter Ausnützung der Schwerkraft durch das Rohr- oder Rinnen-system bis zur gewünschten Verarbeitungsstelle und wurde in die Schalung eingegossen. Der Einsatz solcher Betonieranlagen konnte den Baufortschritt beschleunigen und den Eisenbeton somit konkur-renzfähiger machen. Entsprechende Anlagen wurden fast zeitgleich auch in Europa entwickelt und eingesetzt, siehe Bild 4.26. Die Schwierigkeit bestand darin, die Entmischung des Betons während der Beförderung zu verhindern. Daher bestand der grundsätzliche Unterschied zum amerikanischen Verfahren darin, dass sich die Betonmischanlagen auf der Höhe des Einlaufs der Rinne befanden. Die Entwicklung und der Einsatz dieses Betonverarbeitungssystems wurde jedoch vor allem in Deutsch-land durch das grosse Misstrauen der Fachwelt gegenüber der Verwendung von flüssigem Beton erschwert [73, 75, 120, 163].

Die anspruchsvolle und schwerfällige Montage veranlasste die Entwicklung einfacherer Förderme-thoden des Betons. 1929 wurde in Deutschland die erste Betonpumpe, welche von einer Eisenbeton-firma aus Kiel entwickelt wurde, bei einem Hochbau eingesetzt, siehe Bild 4.26. Vor die Betonpumpe wurde eine Mischmaschine angeschlossen. Die hohe Pumpleistung erforderte zusätzlich ein vorgeschaltetes Förderband zur Heranschaffung der Zuschlagstoffe. Die schnelle und einfache Montage, die niedrigen Betriebskosten, der geringe Aufwand an Arbeitskräften und Maschinen sowie die einwandfreie Betonqualität bewirkte die Verdrängung der Verteiltürme durch die Betonpumpen [74].

Mit der Entwicklung effizienter Betonverdichtungsverfahren gelang es, die Betonfestigkeit bei gleich bleibenden Mischungsverhältnissen bedeutend zu steigern, was abermals die Wirtschaftlichkeit der Eisenbetonbauweise steigerte. Zusätzlich konnte neben der Reduktion der Anmachwassermenge, was eine weitere Festigkeitserhöhung bewirkte, der Zementgehalt reduziert werden, welcher den Haupt-kostenanteil des Betons ausmacht. Die Anfänge der Betonverdichtung waren sehr primitiv. Insbeson-dere bei der Herstellung von Wänden und Stützen wurde der gestampfte Beton zusätzlich durch Schläge mit Hämmern an die Schalung verdichtet. Bei Decken und Balken rüttelte man von Hand an der aus dem Beton ragenden Bewehrung. Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte die Betonverdichtung in Frankreich und den Vereinigten Staaten mittels Schalungsrüttlern. Diese bestanden aus Pressluft-Schlagkolben, welche an der Schalung angebracht wurden, wodurch jedoch bei grossen Bauteildi-cken nur die äussere Betonschicht befriedigend verdichtet werden konnte.

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Umschnürte Eisenbetonstützen

Bild 4.26 – Betonverarbeitungsmethoden und Transportmittel: Transportbeton Magens, ol [115]; Schwer-

kraftsystem, ml [163]; Lastwagen mit Rührwerk, ul [161]; Vibriernadeln, or [15]; Betonpumpe, mro [74]; Betonmischfahrzeuge, mru, ur [122, 161].

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Die umschnürte Verbundstütze

Die erste Anwendung einer effizienten Betonverdichtung erfolgte Anfang der 20er Jahre im Stras-senbau, bei dem mit dem Aufkommen der Kraftfahrzeuge harte Beläge gefordert wurden. Nachdem der Beton auf der Strasse ausgebreitet und mit Holzbrettern abgedeckt wurde, erfolgte die Verdich-tung mittels Gasmotoren, die kurz aufeinander folgende Stösse ausführten. Eine der bahnbrechends-ten Erfindungen der Betonverarbeitung − die Vibriernadel − wurde in Frankreich gemacht. Der Ingenieur Deniau aus Paris entwickelte 1926 einen flaschenförmigen Hohlkörper namens „pervibra-teur“, der in den Beton eingetaucht wurde und durch Pressluft heftige Erschütterungen erzeugte, siehe Bild 4.26. Das Rütteln bzw. Vibrieren des Betons erforderte erheblich weniger Zeit als das Stampfen und es wurde eine gleichmässigere Dichte des Betons erzielt. Dadurch wurde die Verwen-dung von Gussbeton durch den so genannten Rüttelbeton vollkommen verdrängt [15, 112].

Ein weiterer Schritt zur Erzielung einer preiswerten und leistungsfähigen Betonverarbeitung wurde durch die Errichtung von zentralen Betonwerken gemacht, von denen aus der fertig gemischte Beton in Lastwagen auf die Baustelle befördert wurde. In Deutschland wurde der Gedanke einer fabrikmäs-sigen Betonerzeugung durch den Regierungsbaumeister Jürgen-Hinrich Magens aus Hamburg ausgesprochen. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts stellte er in einer Fabrik Beton her und liess in besonders geformten Kastenwagen den „Transportbeton“ auf Baustellen bringen, bei denen Platz-mangel das Aufstellen von Mischanlagen und die Lagerung der Zuschlagstoffe verunmöglichte, siehe Bild 4.26 [115]. Die Idee Magens wurde in Europa nicht weiterverfolgt und erst 20 Jahre später in Nordamerika wieder aufgegriffen. Eine der ersten Anlagen wurde 1924 in Birmingham, Alabama, erstellt, von welcher im ersten Produktionshalbjahr bereits über 7500 m3 Beton ausgeliefert wurden. Daraufhin entstanden vor allem in Nordeuropa ebenfalls solche Anlagen. Die Beschaffung des Betons aus solchen Betonwerken war für die Bauunternehmen vor allem für kleinere Baustellen kostengünstiger als die Herstellung vor Ort. Die Anschaffungs-, Installations- und Unterhaltskosten der Betonmischanlagen konnten eingespart werden, und die Lieferfirma übernahm die Verantwor-tung für die Betonqualität. Ein grosser Vorteil bestand auch darin, dass die Betonkomponenten im Winter vorgewärmt werden konnten, was das Betonieren auch bei tiefen Temperaturen ermöglichte. Der grosse Schwachpunkt der Betonwerke lag anfangs im Transport, der mittels gewöhnlicher Lastwagen erfolgte. Der teilweise sehr flüssige Beton entmischte sich bereits nach kurzer Zeit, oder trockenere Mischungen fingen an abzubinden, bevor die Baustelle erreicht wurde. Dadurch war die Belieferungsreichweite stark eingeschränkt. Deshalb wurden unter solchen Umständen die fertig gemischten Zuschläge und das Anmachwasser in getrennten Behältern transportiert und erst kurz vor der Baustelle gemischt. Ende der 1920er Jahre wurden in Nordamerika Rührwerke in die Lastwagen eingebaut, die das Entmischen des Betons verhinderten, siehe Bild 4.26. In Dänemark entwickelte der Ingenieur Hindhede eine auf den Lastwagen aufgesetzte Rührtrommel mit 1,25 m3 Fassungsver-mögen, die den heutigen Betonmischern schon sehr nahe kommt, siehe Bild 4.26. Durch die Beton-mischfahrzeuge wurde es möglich, den Beton in weitem Umkreis in einwandfreiem Zustand auf die Baustelle zu liefern [122, 161].

4.4 Die umschnürte Verbundstütze

Die Entwicklung von Verbundstützen setzte zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein. Durch die zahlrei-chen Brandereignisse, vor allem in Nordamerika, wurde der Glaube an den unzerstörbaren Stahl gebrochen. Daraufhin wurden Stahlstützen aus Brandschutzgründen mit Beton umhüllt. Ein erster Verbundstützentyp war die nach ihrem Erfinder benannte Emperger-Säule, die aus einer mit um-schnürtem Beton ummantelten hohlen Gusseisenstütze bestand.

Emperger vollbrachte grosse Forschungsleistungen auf dem Gebiet der Verbundstützen. Durch die Erkenntnisse, welche er aus den zahlreichen Stützenversuchen gewonnen hatte, löste er sich von der Elastizitätstheorie und schlug eine plastische Bemessung von Stützen vor. Nach jahrelangen Bemü-hungen konnte Emperger anhand stichhaltiger Versuchsresultate seine Forscherkollegen in Europa und den USA von der neuen Betrachtungsweise überzeugen. Diese wurde schliesslich in die Normen aufgenommen.

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Umschnürte Eisenbetonstützen

4.4.1 Erste Forschungstätigkeiten

Im Mai 1907 wurde auf Antrag von Emperger am Mechanisch-Technischen Laboratorium der technischen Hochschule in Wien eine bereits im Februar geprüfte, 3,95 m hohe Eisenstütze mit einem Querschnitt gemäss Bild 4.27 (a) geradegebogen und ausbetoniert. Die beiden I-Profile aus Walzeisen waren im Abstand von 50 cm mit 6 cm breiten und 6 mm dicken Flacheisen verbunden. Das Versagen der Verbundstütze erfolgte unter der dreifachen Bruchlast der reinen Stahlstütze infolge Ausknickens, siehe Bild 4.27 (b). Das Ausbetonieren hatte die Stütze ausgesteift und ermög-lichte somit, dass die zuvor einzeln tragenden I-Profile als Gesamtquerschnitt trugen. Bevor der Bruch eintrat, hatte sich der Beton beinahe vollständig von der Eisenkonstruktion gelöst, was Emperger zur Annahme bewegte, « daß sich beide Festigkeiten [von Beton und Stahl] summiert haben, ohne Rücksichtnahme auf das anfänglich gültige Verhältnis der Elastizitäten, sofern die verschiedenartigen Längenänderungen, wie im vorliegenden Falle, keine vorzeitige Zerstörung des Betons bedingen » [44, S. 173]. Dieser Versuch wurde ergänzend zu einem in Stuttgart laufenden Versuchsprogramm durchgeführt.

(a) (b)

Bild 4.27 – Emperger: (a) Querschnitt der Eisenstütze, Abmessungen in mm [43]; (b) Skizze und Bild der ausgeknickten Verbundstütze [44].

Emperger hatte bereits in einem Bericht zur 1900 stattgefundenen Pariser Weltausstellung die Meinung geäussert, dass die elastische Berechnung der Tragfähigkeit von Stützen mittels zulässigen Belastungen bzw. Spannungen nicht richtig sei [42]. Auf Grund der Analyse fremder Versuche war er ausserdem zum Schluss gelangt, dass die durch die Bewehrung hervorgebrachte Erhöhung der Betondruckfestigkeit sehr gering ausfiel und somit für den Gesamtquerschnitt nur die Würfeldruck-festigkeit des Betons in Betracht gezogen werden könne. Er beabsichtigte, die Abhängigkeit der

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Die umschnürte Verbundstütze

Bruchfestigkeit armierter Betonsäulen aus dem Prozentsatz sowie der Art der Bewehrung zu ermit-teln. Daraufhin entwickelte er ein Versuchsprogramm und liess im Mai 1902 von drei Bauunterneh-men Stützen mit Querverbänden anfertigen. Die konstruktive Durchbildung erfolgte nach denjenigen Verbundstützen, welche im Jahr 1901 von den drei zur Herstellung beauftragten Firmen in der Praxis am häufigsten verwendet wurden. Darunter fielen für die zweite Versuchsgruppe auch Verbundstüt-zen, deren Querschnitte in Bild 4.28 (a) dargestellt sind.

(a) (b)

180212

212

180

L Pr. Nr. 60/60/7

70

54

6x60

6x60

I Pr. Nr. 14

152

66

227

[mm]

180

140U-Eisen

Nr. 14

60

[mm]

Bild 4.28 – Emperger: (a) Querschnittsformen der von Bach in Stuttgart geprüften Verbundstützen; (b) Zusätzliche Profilform in der Versuchsreihe von 1908 in Wien.

Wegen Unstimmigkeiten40 wurde es Emperger jedoch nicht ermöglicht, die Verbundstützen in Wien zu prüfen. Er liess diese 1906 schlussendlich mit der Bahn nach Stuttgart senden, wo die Stützen im September desselben Jahres und im Juni 1907 unter der Leitung von Bach geprüft wurden.

4.4.2 Verbundstützen im Hochbau

Die Verbundstütze entwickelte sich aus Ausführungsfehlern im Eisenbetonbau und dem Bedürfnis nach höherer Feuersicherheit im Eisenbau. Die Benachteiligung der spröden Gusseisenstütze gegenüber denjenigen aus Walzeisen veranlasste Emperger, die Umschnürung auch bei Verbundstüt-zen einzusetzen.

In Europa führten grobe Ausführungsfehler bei mit Rundeisen bewehrten Stahlbetonstützen teilweise zu Einstürzen der in Ausführung stehenden Bauwerke. Diese Umstände bewegten die Konstrukteure dazu, die Bewehrung der Betonstützen aus so starken Querschnitten herzustellen, dass diese die Nutzlasten alleine zu tragen im Stande gewesen wären. Der Beton wurde in den Berechnungen der Tragsicherheit nicht mehr mit einbezogen.

In Chicago und Boston hatten 1871 bzw. 1872 grossflächige und lang andauernde Brände sämtliche Hochhäuser zerstört; deren Stahlkonstruktionen konnten dem Feuer nicht standhalten. Beim Wieder-aufbau versuchten die Ingenieure, feuerfeste Bauwerke herzustellen, indem sie Stützen, Decken und Fassadenelemente mit hohlen Terrakottaziegeln umhüllten und Sprinkleranlagen installierten. Ab 1900 verdrängte der Beton langsam den Ziegel und wurde das am meisten verwendete Feuerschutz-material. Nach weiteren Grossbränden, wie z. B. 1904 in Baltimore, zeigten sich die Vorteile des Betons gegenüber den Terrakottaziegeln, was zur weiteren Verbreitung von einbetonierten Stahlstüt-

40 Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Bearbeitung einer Neuauflage der österreichischen Eisenbeton-Vorschriften

beschlossen und ein zwölfgliedriger Ausschuss im Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Verein gewählt. In diesen wurde ebenfalls Emperger berufen, der neue Berechnungsverfahren für bewehrte Platten vorschlug. Nach der Ablehnung seiner Anträge erhob Emperger gegen diesen Beschluss Einspruch, was als „schwerer Verstoss“ empfunden wurde. Der Vorsitzende erklärte Empergers Vorschlag als einen Verstoss gegen anerkannte Begriffe des Bauwesens. Daraufhin veranlasste dieser die Auflösung und Neuwahl des Ausschusses, in welchem Emperger nicht mehr mitwirken durfte. Ausserdem wurde Emperger der Lehrauftrag für Ingenieurwissenschaften in Wien entzogen [56].

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Umschnürte Eisenbetonstützen

zen im Hochhausbau führte. Der Beton wurde bei der Dimensionierung der Stützen in den USA nie in Rechnung gestellt. Wegen der hohen Herstellungskosten konnten sich Verbundstützen aus einbetonierten Walzeisen in Europa gegen die Stahlbetonstützen nicht durchsetzen. Für Gebäude mit bis zu zehn Stockwerken erwies sich die Stahlbetonbauweise als wirtschaftlicher [179]. Beispiele verschiedener Verbundstützenkonstruktionen sind in Bild 4.29 dargestellt.

(a) (b) (c)

Bild 4.29 – (a) Patentvorschlag von H. Marquess in Charleston, S.C., 1904; (b) umschnürte

Verbundstütze von Emperger [47], 1913; (c) Modell der Bewehrung einer um-schnürten Gusseisenstütze, wie sie für den Fabrikbau „Ericson“ 1913 in Wien verwendet wurde.

Erste Eisenstützen im Hochbau wurden aus Gusseisen hergestellt. Später wurden diese durch Stützen aus Walzeisen verdrängt. Die Gründe lagen in der hohen Sprödigkeit des Gusseisens, in der Erhö-hung der zulässigen Spannung für Walzeisen in den Normen und Verordnungen und der Verminde-rung der Herstellungskosten von Walzeisenstützen durch Einführung neuer Maschinen in den Werkstätten. Emperger hatte die Idee, durch Umhüllung der ausgesprochen druckfesten aber spröden Gusseisenstützen mit umschnürtem Beton nebst der Erhöhung der Feuersicherheit ein duktiles Konstruktionselement herzustellen, welches ein grosses Verformungsvermögen aufweist. Durch diese Kombination fand er eine Methode, die Tragfähigkeit eines selbst tragenden, billig herzustel-lenden, hochfesten eisernen Querschnitts auf eine einfache und flexible Weise durch Einbetonieren zu erhöhen. Dieser erste Typ einer umschnürten Verbundstütze wurde in der Praxis nach ihrem Erfinder als Emperger-Säule bezeichnet und als Hochbaustütze verbreitet angewendet [46].

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Die umschnürte Verbundstütze

4.4.3 Das Additionsgesetz

Nachdem die Versuchsergebnisse Bachs41 Ende Juni 1907 vorlagen, plante Emperger in Wien neue Versuchsreihen mit Verbundstützen, deren Längen zwischen 0,5 und 5,4 m lagen. Für die erste Versuchsreihe verwendete er die in Bild 4.28 (b) dargestellte Querschnittsform. Für die restlichen Stützen übernahm er die Querschnittsformen der Versuchskörper, welche in Stuttgart geprüft worden waren, und änderte die Abmessungen leicht ab. Die 1908 durchgeführten Versuche bestätigten die Erkenntnisse, welche Emperger aus dem Vorversuch im Mai 1907 gewonnen hatte. Daraufhin schlug er vor, die plastische Berechnungsweise der Bruchlast von Verbundstützen auch auf Eisenbetonstüt-zen anzuwenden, unter der Vorraussetzung, dass die Rundeisen ins Fliessen gelangen, bevor der Beton seine Bruchdehnung erreicht. Zur Knicklast des Eisens, welche er anhand der Schwarz-Rankineschen Formel42 berechnete, addierte Emperger die Würfeldruckfestigkeit des Betonkerns und erhielt somit für die Bruchlast der einbetonierten Eisenstütze

41 Siehe Kapitel 4.4.1 42 Im Zusammenhang mit dem Bau der Conway- und Britannia-Brücken Mitte des 19. Jahrhunderts hatte Hodgkinson

zusammen mit William Fairbairn Knickversuche durchgeführt und für gusseiserne, zylindrische Querschnitte zur Berechnung der Bruchlast die empirische Formel P = B·d 3,6/l 1,7 hergeleitet. Diese Beziehung stimmte nur in einem gewissen Bereich mit den Versuchsresultaten überein, worauf Lewis Gordon eine die gesamten Versuchsresultate abdeckende Beziehung

2

21

P flA Ca

=+

fand, wobei a die kleinste Querschnittsabmessung darstellte [79, 123]. 1862 änderte Rankine ohne weitere Herleitung die Beziehung Gordons und gab diese in der Form

2

21

P flA Bi

=+

an. B bezeichnet eine aus Versuchen zu ermittelnde Konstante. Diese Beziehung wurde nach Schwarz-Rankine oder oft auch nach Rankine-Gordon benannt.

Einige Ingenieure und Wissenschaftler versuchten die Schwarz-Rankinesche Formel durch mechanische Modelle zu begründen. Louis Auguste Marie Henri Navier hatte in dem 1819 der Pariser Akademie überreichten „Mémoire sur la flexion des verges élastiques courbes“ unter Annahme des Ebenbleibens der Querschnitte die Gleichung für die zulässige Spannung f eines durch Biegung und Normalkraft beanspruchten elastischen Stabs

2

2

dd

f P yzE EA x= +

veröffentlicht, wobei z den Abstand der betrachteten Faser von der Neutralachse darstellte. 1857 leitete Schwarz, ohne Navier zu erwähnen, obige Gleichung her. Er substituierte in der Beziehung der Eulerschen Knicklast P = π2EI/l2 den Elastizitätsmodul durch σy / εy und löste nach σy auf. σy und εy bezeichneten die Spannung bzw. Dehnung in der massge-benden Faser an der Elastizitätsgrenze. Weiter ersetzte er den zweiten Summanden der mit E multiplizierten Navierschen Gleichung durch den für σy erhaltenen Ausdruck und erhielt durch Auflösen nach P die zulässige Belastung für gedrun-gene sowie schlanke Stäbe

2

2

.1 y

fAPAlI

[150]. Ohne die Kenntnis über die Arbeit von Schwarz führte Hatzel [72] 1872 dieselben Berechnungen durch. Lilly [96, 97] leitete u. a. in ähnlicher Weise die Schwarz-Rankinesche Formel her.

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Umschnürte Eisenbetonstützen

2

2

.1 0,5

ss c k

fP A fli

= ++

A (4.15)

Im Vergleich zu der im Eisenbeton üblichen Berechnungsweise mit zulässigen Spannungen erhielt Emperger bedeutend höhere Bruchlasten, siehe Bild 4.30.

Bild 4.30 – Emperger: Vergleich der Formeln zur Berechnung der

Bruchlasten von Eisenbeton- bzw. Verbundstützen [45].

Nach Einsetzen einer zweifachen Sicherheit für die Würfeldruckfestigkeit des Betons ergab sich ein Spannungsverhältnis von Eisen zu Beton von 16, das demjenigen entsprach, welches bei zulässigen Lasten in den Vorschriften empfohlen wurde. Dazu schrieb Emperger: « Es würde sich also nur darum handeln, die betreffenden Kreise von dem Gedanken loszulösen, daß sie es mit einer Beton-säule zu tun haben, bei welcher die Eisenspannungen durch den Beton begrenzt werden, daß viel-mehr die Eisenbetonsäule eine Eisensäule ist, deren Festigkeit durch den Beton um einen Betrag erhöht wird, entsprechend der Druckfestigkeit des eingeschlossenen Betonkerns » [45, S. 51].

Emperger entwarf ein Versuchsprogramm, welches 1911 vom Österreichischen Eisenbeton-Ausschuss ausgeführt wurde; Berichterstatter war Spitzer. Getestet wurden vier runde, 3 m lange Gusseisenstützen mit einem Aussendurchmesser von 144 mm und 9,5 mm Wandstärke. Die erste Stütze wurde nicht ummantelt; die restlichen waren mit umschnürtem Beton von 73 mm Stärke umhüllt. Zusätzlich prüfte Emperger 21 unterschiedlich bewehrte 0,5 m hohe Probekörper. Durch die Umhüllung der Gusseisenstütze mit umschnürtem Beton konnte die Traglast bis auf das Zweieinhalb-fache gesteigert werden. Anhand der durchgeführten Versuche stellte Emperger die Regel auf, dass die Entfernung der Bügel in der Ummantelung höchstens gleich der Betonstärke innerhalb der Umbügelung sein sollte, damit die Spannungen im Beton mindestens die Würfeldruckfestigkeit erreichen können [46, 159]. In Bild 4.31 ist das Bruchverhalten der Gusseisenstütze mit ausreichen-der bzw. ungenügender Umschnürung der Betonschale sowie der Sprödbruch von reinen Gusseisen-rohren ersichtlich.

Gegen die Empergersche Berechnungsweise gemäss der Beziehung (4.15) wurde der Einwand erhoben, dass die im Beton auftretenden Verkürzungen mit denjenigen in der Bewehrung überein-stimmen müssten und diese mit der Bruchfestigkeit nichts zu tun hätten. Eine logische Entwicklung der plastischen Betrachtung Empergers konnte aus der elastischen Berechnungsweise nicht erbracht werden. Jedoch nicht alle Wissenschaftler verwarfen Empergers Vorschlag ohne weiteres und versuchten eine Begründung der Richtigkeit seiner vorgeschlagenen Berechnungsweise zu finden.

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Die umschnürte Verbundstütze

(a) (b)

Bild 4.31 – Emperger: (a) Ausgeknickte Gusseisenstütze mit umschnürter Betonhülle; (b) Sprödbruch reiner

Gusseisenrohre sowie Probekörper mit ungenügend umschnürter Betonhülle [159].

In Werkstoffversuchen Bachs wiesen die Dehnungskurven von Beton und Gusseisen grosse Ähnlich-keiten auf, worauf Oskar Domke43 1912 vorschlug, diese durch gleiche mathematische Gesetze darzustellen. Dafür benützte er die von Ritter 1899 für die Berechnung von Beton- bzw. Gusseisen-stützen aufgestellte Spannungs-Dehnungsbeziehung

(1 )f eαεσ = − (4.16)

mit der positiven Konstanten α. Die Druckspannung σ nähert sich mit zunehmender Stauchung ε asymptotisch der Druckfestigkeit f des jeweiligen Materials an. Durch Auflösen der Gleichung (4.16) nach der Stauchung ε und Gleichsetzen derselben für Beton und Eisen glaubte Domke zu beweisen, dass beide Verbundmaterialien ihre Bruchgrenze gleichzeitig erreichen. Dies trifft aber nur für unendlich grosse Stauchungen zu, was die Brauchbarkeit dieser Spannungs-Dehnungsbeziehung in Frage stellt. Weiter beschrieb Domke, dass nahe der Bruchgrenze die Dehnungen bei geringer Zunahme der Spannungen beträchtlich ansteigen und folgerte daraus für den gedrückten Querschnitt: « Wenn also der eine Baustoff [Gusseisen] verhältnismäßig noch nicht besonders hoch beansprucht ist, während beim zweiten [Beton] die Bruchgrenze nicht mehr fern liegt, so wird bei weiter steigen-

43 Oskar Domke (1874–1945). Domke besetzte von 1905 bis 1939 den Lehrstuhl für Massivbau an der Technischen

Universität in Aachen.

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Umschnürte Eisenbetonstützen

der Last der erste fast den ganzen Lastzuwachs aufnehmen, bis auch bei diesem die Verkürzungen sehr groß werden und nun beide ungefähr gleichzeitig ihre Traggrenzen erreichen » [38, S. 89]. « Vorraussetzung hierbei ist ferner, daß entweder beide Verbundbaustoffe annähernd gleiche Bruch-dehnungen haben, oder daß bei dem Baustoff, der die Bruchgrenze eher erreicht, ein Fließen eintre-ten kann » [38, S. 125]. Die in Gusseisenstützen nötige plastische Verformung des Betons wird durch die Umschnürung ermöglicht und führt dazu, dass in beiden Verbundstoffen die Druckfestigkeit erreicht wird [38].

Durch eingehende Betrachtung der Versuchsresultate aus Druckversuchen verschiedener Stützenar-ten, welche Emperger, Ludwig von Tetmajer44 und Rudeloff durchgeführt hatten, gelang es Spitzer 1912 die Anteilnahme der einzelnen Verbundstoffe an der Lastaufnahme bis zum Bruch zu verfol-gen. Mit der genauen Kenntnis der Last-Verformungskurve eines Werkstoffs konstruierte er aus den Versuchsresultaten die Last-Verformungskurve des anderen. Spitzer erkannte, dass die Lastverteilung im Bereich der zulässigen Lasten vom Verhältnis der Elastizitätsmoduln n abhängt und sich mit zunehmenden bleibenden Zusammendrückungen dem Verhältnis der Druckfestigkeiten k annähert [158].

Emperger liess darauf im selben Jahr an der Technischen Hochschule Wien in der Versuchsanstalt von Professor Kirsch anhand von Druckversuchen die Materialeigenschaften von umschnürtem Beton, Flusseisen und Gusseisen untersuchen. Durch die Umschnürung erfuhr der Beton neben einer geringen Erhöhung der Druckfestigkeit eine fast zwanzigfache Zunahme seiner Stauchfähigkeit, welche weit über der Bruchstauchung des Gusseisens lag. In der bisherigen Forschung mit umschnür-tem Beton stützte man sich ausschliesslich auf die teilweise unzuverlässige Steigerung der Beton-druckfestigkeit und wusste mit der Fortsetzung der Stauchungskurve nichts anzufangen. Emperger dagegen nutzte die aus der Umschnürung resultierende Duktilität des Betonmantels, der die Gussei-senstütze bis zum Bruch unzerstört umgibt. Dadurch wurde ermöglicht, dass die Bruchfestigkeit des Gusseisens ausgenützt werden konnte. « Dieses Eisennetz bedarf demnach [...] keinesfalls in dem Maße wie bei dem gewöhnlichen umschnürten Beton eines massiven Eisenquerschnitts, dessen Zugfestigkeit zur Aufnahme der großen unregelmäßigen Querdehnungen des Betons im Schlußstadi-um voll ausgenutzt werden soll, sondern es dient bei einer entsprechenden Dichte der Maschenweite in erster Linie dazu, den Betonmantel bis zum Bruch des Gußeisens als Schutz und Verteilungsmittel unzerstört zu erhalten » [47, S. 33]. Unter der Vorraussetzung, dass die Umschnürung den Span-nungsanstieg im Beton wenigstens bis zur Würfeldruckfestigkeit sicherstellt, erfolgte die Berechnung der Bruchlast von Gusseisenstützen gemäss Empergers Vorschlag durch Addition der Druckfestig-keiten bzw. Fliessgrenzen der einzelnen Verbundstoffe:

c c s s g gP A f A f A f= + + (4.17)

Weitere Versuche mit 50 cm hohen Stützenabschnitten an der Versuchsanstalt von Kirsch sollten abklären, wieweit die Steifigkeitserhöhung durch den Betonmantel den Knickwiderstand steigern kann.

Der in Bild 4.32 (a) dargestellte unsymmetrische Querschnitt des Gusseisenkerns entsprach der Form der Druckbewehrung in Trägern, welche Emperger bereits geprüft hatte. Emperger distanzierte sich in dieser Versuchsreihe von hohlen Gusseisenrohren, weil sich deren hohe Steifigkeit in Kombinati-on mit der aussteifenden Betonhülle als überflüssig herausstellte. In den Versuchsreihen A und B untersuchte er die grundlegenden Werkstoffeigenschaften. Zur Ermittlung der Betoneigenschaften wurde der Gusseisenkern durch ein Holzmodell imitiert und zur Verhinderung der Lastaufnahme mit horizontalen Schnitten versehen. Mit der Versuchsreihe C wurde der Verbundkörper an sich unter-

44 Ludwig von Tetmajer (1850–1905); Bauingenieur. Tetmajer gründete 1879 die Eidgenössische Materialprüfungsanstalt

der ETH Zürich. 1881 wurde er zum Professor für Baumechanik ernannt. 1901 wurde er an die Technische Hochschule in Wien berufen, wo er die Leitung der Versuchsanstalt und die Professur für Technische Mechanik und Baumaterialien-kunde übernahm.

104

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Die umschnürte Verbundstütze

sucht. Mit der Versuchsreihe D versuchte Emperger herauszufinden, welche Versteifung der Gussei-senstützen nötig war, um deren Festigkeit voll oder in hohem Masse ausnutzen zu können.

(a)

Reihe A

Reihe C

116

6737

116 99 99

5 5@4 5 5

[mm]

116 116

5 5

99

4@2 4@2 5@4 4@20/45 4@2

25

16

80

55

Reihe B

Reihe D

50

Holz

54 100 100 100

2@4

200

Holz 1,8@45 5

1,8@45

3,8@8

3,8@8

5

(b)

Bild 4.32 – Emperger: (a) Querschnittsformen der Prüfkörper; (b) Bruchformen verschieden bewehrter

Verbundstützen [47].

Die Versuche zeigten, dass die Steifigkeitserhöhung bei konstanter Manteldicke stark von der Ganghöhe der Umschnürung bzw. vom Bügelabstand abhing, da mit deren Verminderung der mitwirkende Betonquerschnitt im Bruch vergrössert wurde. Emperger illustrierte aufgrund dieser Ergebnisse die unterschiedlichen Bruchformen verschieden bewehrter Stützen, siehe Bild 4.32 (b) [47].

4.4.4 Der Durchbruch

Umfangreiche Forschungsarbeiten zu umschnürten Betonstützen und die daraus gewonnen Erkennt-nisse zum Tragverhalten führten zu immer schlankeren Stützenkonstruktionen, wodurch in Europa Stahlstützen weitgehend verdrängt wurden. Die bevorzugte Wahl des Eisenbetons beruhte auf seiner wirtschaftlicheren Herstellung45. Beim Stahlbau waren die Nietarbeiten für die hohen Kosten

45 Siehe Kapitel 4.3.2

105

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Umschnürte Eisenbetonstützen

ausschlaggebend. In Nordamerika war man der Ansicht, dass ein selbst tragendes Eisengerippe im Hochhausbau notwendig war; daher fand der Einsatz von Eisenbeton nur sehr beschränkte Anwen-dung. Emperger hatte nun die Idee, durch die Umschnürung der einbetonierten Stahlprofile die Querverbindungen zu eliminieren und die Wirtschaftlichkeit der Verbundstützen durch die wegfal-lenden Nietarbeiten zu erhöhen [53].

Emperger verwendete seit seinen ersten Versuchen mit Verbundstützen 1906 immer geringere Mengen Querverbindungen, bis er schliesslich 1925 die Längsprofile aus Gusseisen nur noch an den Enden verband. Eine dichte Anordnung der Querverbindungen führte sogar zu kleineren Bruchlasten. Den Anstoss zu den Versuchen gab ein gewisser Dr. Bruno Bauer, welcher die konstruktive Durch-bildung der umschnürten Gusseisenstützen vornahm und den Herstellungsaufwand übernahm. In der Praxis wurden solche Verbundstützen bereits eingesetzt. Diese wurden vor dem Einbau maschinell umschnürt. Emperger führte neben umschnürten Gusseisenstützen auch einen Versuch mit um-schnürtem Stahl durch, um die Anwendung des von ihm aufgestellten Additionsgesetzes auf hoch-wertigen Stahl zu überprüfen. Der Versuch bestätigte die Anwendbarkeit. Bei weiteren Versuchen mit umschnürten Betonstützen aus dem Jahr 1931 ging er dazu über, das Additionsgesetz auch auf Stahlbetonstützen mit und ohne Umschnürung anzuwenden [52, 143].

Nach jahrelanger Forschungsarbeit in vielen Ländern Europas und Nordamerikas vollzog sich langsam ein Umdenken in der Berechnung der Traglast von umschnürten Betonstützen. Die treibende Kraft kam vor allem von Emperger, der aufgrund der intensiven Forschung mit umschnürten Verbundstützen die plastische Berechnungsmethode entwickelte und anhand von Versuchen bestäti-gen konnte. Am Pariser Kongress für Brücken- und Hochbau 1932 wurde das Additionsgesetz als allgemeine Berechnungsgrundlage anerkannt, was den endgültigen Durchbruch in Europa bedeutete. Die amerikanische Fachwelt hielt jedoch an der Auffassung fest, dass die Wirkung der Umschnürung rechnerisch nicht berücksichtigt werden soll. Diese Ablehnung rührte von der Auffassung her, dass die Umschnürung wie jede Querbewehrung unter zulässigen Lasten auf das Tragverhalten der Stützen keine Auswirkungen hat [55].

Der Durchbruch des Additionsgesetzes kommt auch in den schweizerischen „Normen des S.I.A. über die Berechnung, die Ausführung und den Unterhalt der Bauten aus Stahl, Beton und Eisenbeton“ aus dem Jahr 1935 zum Ausdruck. In Artikel 111 ist die zulässige Belastung der umschnürten Stützen oder Druckglieder nach der Formel

2 'q fk s k s s

p d p dP A A A

⎛ ⎞σ σ= σ + + α⎜ ⎟⎜ ⎟β β⎝ ⎠

(4.18)

zu berechen. σs bedeutet die massgebende Schwerpunktspannung46, Ak die Querschnittsfläche des von den Umschnürungsbewehrung begrenzten Betonkerns, As die Querschnittsfläche der Längseisen, A's die Querschnittsfläche fiktiver Längseisen gleichen Gewichts wie die Umschnürungsbewehrung, σq die Quetschgrenze47 des Längsbewehrungsstahls, σf die Streckgrenze des Umschnürungsbeweh-rungsstahls und pβd die Prismendruckfestigkeit des Betons. Der Abminderungsfaktor α ist für Stützenschlankheiten unter 35 zu 1 anzunehmen und nimmt für Schlankheitsgrade bis 70 linear von 1 auf 0 ab. Für Schlankheitsgrade über 70 sind umschnürte Stützen und Druckglieder wie nicht umschnürte Stützen zu behandeln [39].

46 Die genaue Definition der Schwerpunktspannung ist aus der Norm nicht ersichtlich. Vermutlich stellt σs die massgebende

Spannung im Schwerpunkt des Betonquerschnitts dar. 47 Die Quetschgrenze bezeichnet die Fliessgrenze des Stahls auf Druck.

106

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Das Verformungsvermögen

4.5 Das Verformungsvermögen

Mit dem Aufkommen der plastischen Bemessung von Stahlbetonkonstruktionen rückte die Ermitt-lung des verfügbaren Verformungsvermögens der Bauteile als wichtigste Voraussetzung dieser Bemessungsmethode ins Zentrum der Forschungstätigkeiten. Anfänglich stellte sich das Problem bei der Festlegung der zulässigen Umlagerung der elastischen Momentenverteilung in Biegeträgern, worauf in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts der Versuch unternommen wurde, die umschnürte Druckzone in die Ermittlung der Widerstandsmomente mit einzubeziehen. Auch bei der Erdbeben-bemessung spielt die Duktilität der Wände und Stützen eine wichtige Rolle. Daher war das Interesse gross, das beachtliche Verformungsvermögen des umschnürten Betons auch bei dynamischen Beanspruchungen auszunützen. Aufgrund dieser Umstände wurden, basierend auf Versuchen mit umschnürten Betonstützen, unzählige Spannungs-Dehnungs-Diagramme für den umschnürten Beton entwickelt.

4.5.1 Die Grundlegung

Spannungs-Dehnungs-Diagramme für umschnürten Beton wurden aus denjenigen für nicht um-schnürten Beton abgeleitet. Bach war einer der ersten, der die Betonspannung in Abhängigkeit der Dehnung mit einem einfachen Potenzgesetz darstellte.

mc cEσ = εc [kg / cm2] (4.19)

Bach ermittelte mit seinem damaligen Assistenten W. Schüle durch eine grosse Zahl Druckversuche den Exponenten m im Mittel zu 1,14 [6]. In Europa wurde die plastische Bemessung von umschnür-ten Betonstützen vor allem von Emperger vorangetrieben. 1930 untersuchte der ‚Unterausschuss für Säulen‘ unter seiner Leitung neben anderen Fragen die Stauchgrenze von umschnürtem Beton anhand eines umfangreichen Versuchsprogramms [54].

Die Erforschung von Spannungs-Dehnungs-Beziehungen für umschnürten Beton erfolgte hauptsäch-lich im englischsprachigen Raum. Von ihrem Aufbau her können diese in drei Kategorien aufgeteilt werden können. Die erste Kategorie basiert auf einem Modell, welches 1971 von Sargin et al. entwickelt wurde [145]; sie beschrieben die dreiachsige Druckspannung durch

2

0 0

3 2

0 0

( 1)

1 ( 2)

c c

c c

c

c c

c c

A D

A D

⎡ ⎤⎛ ⎞ε ε⎢ ⎥+ − ⎜ ⎟ε ε⎢ ⎥⎝ ⎠⎣ ⎦σ =⎡ ⎤⎛ ⎞ε ε⎢ ⎥+ − + ⎜ ⎟ε ε⎢ ⎥⎝ ⎠⎣ ⎦

, (4.20)

mit A = Ecεc0 / k3

fcc und D = 0,65−7,25 fcc·10−3, wobei der Elastizitätsmodul Ec und die Zylinder-druckfestigkeit fcc in N/mm2 einzusetzen sind. Die Beziehung beschreibt sowohl den aufsteigenden, als auch den abfallenden Ast des Spannungs-Dehnungs-Diagramms. Die Werte der Größen k3 und εc0 bestimmten Sargin et al. in Abhängigkeit des Umschnürungsbewehrungsvolumens, des Bügelab-stands und der Fliessgrenze der Umschnürungsbewehrung mit der mathematischen Beziehung

3

50 1 2 41a

b ba

k cc

fsy y a a ab f

⎡ ⎤⎛ ⎞ ρ⎢ ⎥= + + ⎜ ⎟⎢ ⎥⎝ ⎠⎣ ⎦

(4.21)

107

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Umschnürte Eisenbetonstützen

anhand zahlreicher Versuche. y und y0 stehen für k3 oder εc0 des umschnürten resp. nicht bewehrten Betons. Aus Versuchsresultaten ermittelten Sargin et al. für k3 und εc0 die Faktoren a1 bis a5. Zur Bestimmung von k3 gaben Sargin et al. zusätzlich zwei weitere Beziehungen zur Auswahl [145].

(a) (b) σc

εc

/ fcc3

1

0,5

0,2

εc0 ε u50 ε c50

εc0K

ε h50

Kent und Park

Park et al.

nichtbewehrt

0

K

K0,5

K0,2

0

σc

εc / εc0

/ fcc3

1

0,5

Sargin

Popovics

et al.

0

Park et al.

1 5 100

Bild 4.33 – Spannungs-Dehnungs-Diagramme für umschnürten Beton: (a) Modell nach Kent und Park bzw.

Park et al. [84, 113]; (b) Modell nach Sargin et al. und Popovics [114, 145].

Die zweite Forschergruppe beschäftigte sich mit der Umschnürung quadratischer oder rechteckiger Stützen und beschrieb die Spannungs-Dehnungscharakteristik bis zum Erreichen der Druckfestigkeit anhand einer quadratischen Parabel und den entfestigenden Ast durch eine Gerade. Die Beziehungen basieren auf einem 1971 von Kent und Park [84] aufgestellten Modell

2

30 0

2 c cc cc

c cK f

K K

⎡ ⎤⎛ ⎞ε ε⎢ ⎥σ = − ⎜ ⎟ε ε⎢ ⎥⎝ ⎠⎣ ⎦0c cK für ε ≤ ε (4.22)

( )0

350 0

1 02

c cc cc

c c

KK f K fK

⎡ ⎤ε − εσ = − ≥⎢ ⎥

ε − ε⎢ ⎥⎣ ⎦,2 cc , (4.23)

50 50 503 3 0,29mit4 145 1000

kc h u b

cc

bs f

+ε = ε + ε = ρ +

−ccf , fcc in N/mm2, (4.24)

für umschnürte Körper unter Biegung und Druck, siehe Bild 4.33 (a).

Die Parabelfunktion (4.22) lehnt sich an eine Formulierung an, welche Hognestad [77] für nicht umschnürten Beton aufgestellt hatte. Die lineare Beschreibung des entfestigenden Asts (4.23) fusst auf einer Beziehung nach Roy und Sozen [136]. Die Geradenneigung wird durch die Dehnung ε50c bei 50 % der maximalen Spannung bestimmt. ε50c hängt von der Zylinderdruckfestigkeit fcc, der kleineren Seitenabmessung des umschnürten Bereichs bk sowie vom Gehalt ρb und vom Abstand s der Bügel-bewehrung ab. Die Spannung fällt bis auf einen Fünftel der Maximalspannung ab und bleibt für grössere Stauchungen konstant. Da die meisten Druckversuche mit Quadrat- und Rechteckstützen durch die Umschnürung kaum eine Festigkeitssteigerung zeigten, wurde in diesem Modell nur die Duktilitätserhöhung berücksichtigt und K = 1 gesetzt [84]. 1982 modifizierten Park et al. Gleichung (4.22) bis (4.24) indem sie die durch die Umschnürung hervorgerufene Festigkeitssteigerung mit dem Faktor K = 1 + ρb fy

/ fcc einbezogen [113].

108

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Das Verformungsvermögen

Die dritte Forschergruppe formulierte ihre Spannungs-Dehnungsbeziehungen nach einem von Popovics 1973 aufgestellten Modell [114]

3

0

( 1)

1

cc m

c

c

E m

m

ε −σ =

⎛ ⎞ε− + ⎜ ⎟ε⎝ ⎠

, (4.25)

für einachsig gedrückten Beton mit m = 0,058 fcc + 1, εc0 = 9,37·10−4 ( fcc)1/4 und E = fcc m / (m−1) εc0.

Die Zylinderdruckfestigkeit fcc ist in N/mm2 einzusetzen. Die drei verschiedenen Modelle sind in Bild 4.33 (b) einander gegenübergestellt.

Die Ermittlung der Spannungs-Dehnungs-Diagramme erfolgt bei allen drei Forschergruppen rein empirisch. Die dreiachsige Festigkeit des Betons, die dazugehörige Dehnung und die Neigung der Spannungs-Dehnungslinie im entfestigenden Bereich werden in Abhängigkeit des Umschnürungs-bewehrungsvolumens sowie des Abstands und der Fliessgrenze der Bügel gesetzt, und die Beziehun-gen werden anhand etlicher Parameter an die Versuchsresultate angepasst.

4.5.2 Die Spannungsverteilung

1973 ging Badawi an der Empa auf die Grösse der effektiv dreiachsig gedrückten Betonfläche in quadratischen Stützen ein. Seine Arbeit wurde jedoch nicht weiterverwendet [10]. Erst die 1980 von Sheikh und Uzumeri unternommenen Ansätze wurden weiterverwendet [151]. Während sie die Betonfläche nur qualitativ darstellten, siehe Bild 4.34, versuchten Mander et al. 1988 das vorge-schlagene Modell des dreiachsig gedrückten Bereichs durch geometrisch nicht nachvollziehbare Formeln zu quantifizieren. Sie verwendeten für die Abgrenzung des nicht umschnürten Bereichs sowohl in Achs- als auch in Querrichtung auf der Bügelhöhe eine quadratische Parabel mit einem Anfangstangentenwinkel von 45° [101]. Diese Formeln werden auch im CEB-FIP Model Code 1990 verwendet [24].

Bild 4.34 – Sheikh und Uzumeri: Qualitative Darstellung des

effektiv dreiachsig beanspruchten Betonkerns [151].

An der ETH in Zürich wurde im Zusammenhang mit der Untersuchung der Anwendbarkeit der Plastizitätstheorie das Verformungsvermögen von plastifizierten Bauteilen untersucht, u. a. auch dasjenige von umschnürten Stahlbetonstützen. 1986 erfasste Kanellopoulos das Materialverhalten des dreiachsig gedrückten Betons im nicht elastischen Bereich mit Hilfe einfacher Modelle [81]. Er diskutierte den Kraftfluss in quadratischen Stützen anhand eines Fachwerkmodells, welches er anschliessend durch „Aufblasen“ in ein seines Erachtens „vernünftiges“ Spannungsfeld transformier-te, siehe Bild 4.35 (a) und (b).

109

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Umschnürte Eisenbetonstützen

(a) (b)

(c) (d)

Bild 4.35 – Kanellopoulos: (a) Fachwerkmodell des Kraftflusses einer umschnürten quadratischen Betonstütze; (b) Spannungsfeld der quadratischen Stütze; (c) Spannungsfeld der runden Stütze [81]; Muttoni: (d) Dreiachsige Festigkeit in Abhängigkeit des Umschnürungsbewehrungsgehalts [110].

Die Abmessungen des dreiachsig gedrückten Kerns bleiben bei dieser Modellierung vom Bügelab-stand unabhängig und hängen nur von der horizontalen Kraftausbreitung ab. In einer quadratischen Stütze mit je einem Längseisen in jeder Ecke ergibt die dreiachsig beanspruchte Fläche 0,2 d 2. Im Gegensatz zu den quadratischen Körpern werden die Abmessungen des dreiachsig beanspruchten Bereichs in runden Stützen vom Bügelabstand beeinflusst. Kanellopoulos entwickelte das in Bild 4.35 (c) gezeigte Spannungsfeld. Für die Krafteinleitungszone benutzte er wiederum kreisrunde Fächer und setzte somit in diesem Bereich die Spannung in Achsrichtung gleich der Querdruckspan-nung σcq. In der nachfolgenden Berechnung der mittleren Druckfestigkeit verwendete Kanellopoulos jedoch für die gesamte Kernfläche die von ihm definierte Restfestigkeit 0,5 fc und erhielt mit Benüt-zung der Fliessbedingung nach Mohr-Coulomb

2

31

20,5 4 mit1

4

yc bc c

c c

sff ad

sf s d fd

⎛ ⎞−⎜ ⎟⎝ ⎠= + ω ω =

π−

, (4.26)

was mit dem dargestellten Spannungsfeld nicht übereinstimmt [81].

110

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Das Verformungsvermögen

Muttoni wertete 1990 die von Somes [157] 1970 publizierten Versuchsresultate aus, siehe Bild 4.35 (d) und bestimmte die mittlere Druckfestigkeit der umschnürten quadratischen Stützen zu

3 1 2cc

c

ff

= + ω . (4.27)

Dies bedeutet, dass die effektiv umschnürte Druckzone nur die Hälfte der Kernfläche ausmacht [110].

4.5.3 Die Weiterentwicklung an der ETH

Das in der Schweiz aktuelle Modell zur Beschreibung des Last-Verformungsverhaltens von um-schnürten Druckgliedern wurde 1995 von Sigrist entwickelt, wobei die Beurteilung des Verfor-mungsvermögens von Stahlbetonträgern Gegenstand seiner Arbeit ist und nicht die Modellierung von Stahlbetonstützen [153].

Zur Abschätzung der Umschnürungswirkung vereinfachte Sigrist das von Kanellopolous vorgeschla-gene Spannungsfeld, siehe Bild 4.36. Die Bügelkräfte werden als konstante Linienlasten modelliert. Im Bereich der Krafteinleitungszone wirkt in Achsrichtung die einachsige Druckfestigkeit fc, wodurch sich das Spannungsfeld bei der Verwendung von kreisrunden Krafteinleitungsfächern nur dann im Gleichgewicht befindet, wenn die Querdruckspannung den Wert fc annimmt. Mit der Annahme der Fliessbedingung nach Mohr-Coulomb erhält Sigrist die Bruchlast des umschnürten Betons F = fc3 ·ac ·bc, wobei

3 1 4 1 1 mit odery syc sc c

c c c c c

yx

c c

f A ff s s Af a b a s f b s

⎛ ⎞⎛ ⎞= + ω − − ω =⎜ ⎟⎜ ⎟

⎝ ⎠⎝ ⎠ f . (4.28)

Für den mechanischen Bewehrungsgehalt ωc ist der kleinere Wert massgebend.

Bild 4.36 – Sigrist: Spannungsfeld einer umschnürten quadratischen Stahlbetonstütze [153].

Die mittlere Stauchung bei Erreichen der Höchstlast schätzte er mit der aus Versuchsresultaten von Richart et al. [125] ermittelten Beziehung

3 3

01 5 1c c

c c

ff

⎛ ⎞ε= + −⎜ ⎟ε ⎝ ⎠

(4.29)

111

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Umschnürte Eisenbetonstützen

ab.

Zur Festlegung eines Spannungs-Dehnungs-Diagramms für den umschnürten Betonkern verwendete Sigrist für den aufsteigenden Ast bis zur einachsigen Druckfestigkeit eine quadratische Parabel

23

01 1c c

c cf⎛ ⎞σ ε

= + −⎜ ⎟ε⎝ ⎠ (4.30)

und anschliessend bis zur dreiachsigen Druckfestigkeit eine Gerade. Für die lineare Entfestigung definierte er anlehnend an die Arbeit von Kent und Park [84] den Entfestigungsmodul

33

3 50

0,5 cc D

c c

fE =ε − ε

. (4.31)

Die Stauchung ε50c ermittelte er anhand der Beziehung

( )50 33

12

cF cc c c x y

c c

U skf a

⎛ ⎞ε = ε + + ω +ω −⎜ ⎟

⎝ ⎠ , (4.32)

wobei UcF die spezifische Bruchenergie für den nicht umschnürten, normalfesten Beton bezeichnet. UcF ermittelte Sigrist anhand von Zylinderdruckversuchen zu 100 kN/m2. Der dritte Summand stellt den Zuwachs infolge der Umschnürung dar. Für den Faktor kc = 1/10 erhielt er im Vergleich mit den Versuchsresultaten von Roy und Sozen [136] befriedigende Werte. Das von Sigrist entwickelte Spannungs-Dehnungs-Diagramm wird in Bild 4.37 gezeigt [153].

σc

εc / εc0

/ fc3

1

0,5

01 10

s / ac = 1

s / ac = 0,5

0,50,5

fc

fc3

Ec3D

1

Bild 4.37 – Spannungs-Dehnungs-Diagramm des umschnürten Kernbetons [153].

Die nominelle Druckfestigkeit des Kernbetons wird in der heute gültigen Schweizerischen Norm SIA 262: Betonbau gemäss (4.28) ermittelt. Der schweizerischen Normtradition folgend ist das Verfor-mungsvermögen durch geeignete konstruktive Durchbildung sicherzustellen. Zur rechnerischen Ausnützung des duktileren Verhaltens von umschnürtem Beton wird kein Berechnungsmodell vorgeschrieben. Es ist indessen zu prüfen, ob der Tragwiderstand nach Abplatzen des Überdeckungs-betons genügend gross ist. Ausserdem soll ein vorzeitiges Ausknicken der Längsbewehrung mit einer engen Verbügelung verhindert werden [152].

112

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Zusammenfassung

4.6 Zusammenfassung

Vor der eigentlichen Erfindung der umschnürten Eisenbetonstütze erfolgten bereits Anstrengungen, die Brucheigenschaften druckbeanspruchter Betonbauteile durch Einlegen eines Bewehrungsnetzes senkrecht zur Druckrichtung zu verbessern. Ein Bewehrungssystem aus einem feinmaschigen Drahtnetz wurde von Rabitz erschaffen. Er wandte dieses hauptsächlich in Wänden an und konnte anfänglich mit dem System von Monier konkurrieren. Eine weitere Idee der Querbewehrung wurde 1892 von Koenen hervorgebracht und zusammen mit Wayß in verschiedenen Staaten patentiert.

Aus einer Diskussion Noés über den Gebrauch gerader Querbewehrungsstäbe und den Vorschlägen der Bewehrungsanordnung von Koenen entwickelte Considère die den Beton umschnürende Spiral-bewehrung, welche er für die effizienteste Querbewehrungsart für Druckglieder hielt, was auch zutrifft. Der Auftakt der umschnürten Betonstütze fand somit in Frankreich statt. Bereits 1902 erhielt Considère in Paris ein Patent für ein Verfahren zur Herstellung von Betonkörpern, welche hohe axiale Druckfestigkeiten besitzen. Aus zahlreichen Versuchsreihen entwickelte Considère die einfache Beziehung fc3 = A fc + 4,8 P zur Berechnung der Traglast umschnürter Eisenbetonstützen. Er achtete schon von Anfang an auf die einfache Anwendbarkeit in der Praxis. Druckversuche an Betonprismen, die bis auf das Niveau typischer Gebrauchslasten beansprucht, anschliessend entlastet, deren Spiralbewehrung entfernt und wiederbelastet wurden, veranlassten Considère zur Erhöhung der Prismenfestigkeit um den Faktor A. Mit 4,8 P bezeichnete er den Widerstand eines umschnürten, kohäsionslosen Köpers. Anlehnend an die mathematische Analyse der Umschnürungswirkung von

Pourcel 1904 verallgemeinerte Considère den Faktor 4,8 durch die Beziehung 2tan4 2

K π ϕ⎛ ⎞= +⎜ ⎟⎝ ⎠

,

welche man anhand der Bruchbedingung nach Coulomb erhält.

Die Idee der Umschnürung des auf Druck beanspruchten Betons breitete sich in Europa und den USA rasch aus, beschränkte sich aber vor allem auf Forschungskreise. Das grosse internationale Interesse wurde einerseits durch die Erhöhung der Bruchfestigkeit, andererseits durch die ausgepräg-te Bruchankündigung des umschnürten Betons geweckt. In Europa erfolgten erste wissenschaftliche Arbeiten auf rein theoretischer Ebene 1904 von Saliger und 1905 von Koenen. Die Grundlage für diese Arbeiten lieferte grösstenteils die zu dieser Zeit verbreitete Elastizitätstheorie. Andererseits wurden Überprüfungen der praktischen Anwendbarkeit durch diejenigen Baufirmen unternommen, welche das Patent Considères erworben hatten. Im Brennpunkt stand die Wayß & Freytag A.G., welche für Deutschland das Ausführungsrecht erhalten hatte. Kurz darauf folgten an den Versuchs-anstalten der Technischen Hochschulen und anderen öffentlichen Institutionen umfangreiche Versuchsreihen: 1907 bis 1909 von Rudeloff in Berlin, 1908 von Probst in Frankfurt, 1909 von Thullie in Lemberg, 1909 bis 1910 von Haberkalt, Kirsch und Spitzer in Wien, 1910 von Wayß und Mörsch in Stuttgart und 1911 von Odorico in Dresden. Der Einfluss der Herstellungsgenauigkeit wurde ermittelt, Konstruktionsgrundsätze wurden festgelegt und die empirisch gefundenen Berech-nungsvorschriften in den Normen und Vorschriften wurden überprüft. Ein grosses Augenmerk wurde der erzielten dreiachsigen Betonfestigkeit gewidmet, welche je nach Sorgfalt in der Probekörperher-stellung sehr unterschiedlich ausfiel. Später kamen Untersuchungen zur Ermittlung des Einflusses des Überdeckungsbetons und der Anordnung und Festigkeit der Umschnürungsbewehrung auf die Tragfähigkeit der Betonstütze hinzu. Betonstützen wurden fast ausschliesslich mit dem Umschnü-rungssystem nach Considère geprüft. Konkurrierende Umschnürungssysteme, wie die Querbeweh-rung nach dem Vorschlag Koenens, konnten sich nicht durchsetzen und wurden nur vereinzelt untersucht. Die Effizienz der Umschnürungswirkung von Bügeln oder Spiralen in quadratischen Stützen war seit Beginn der Forschungstätigkeiten eine viel umstrittene Frage. Daher versuchten einige Forscher, die von Koenen 1892 vorgeschlagene Anordnung von Quereisen zu propagieren, in welcher sie eine effizientere Lösung der Umschnürung sahen. Ein Grund, dass sich dieses System nicht durchsetzen konnte, lag wohl darin, dass der Beton zwischen den Querstäben schlecht verdich-tet werden kann. Die Eisenknappheit für nichtmilitärische Bauten während des ersten Weltkriegs veranlasste die Suche nach anderen Möglichkeiten, um bei Stützen eine hohe Festigkeit zu erzielen. Ein Beispiel zeigt der Vorschlag Empergers, den Betonkern der Stützen mit druckfesten Kunst- oder Natursteinen zu ersetzen, wodurch Umschnürungsbewehrung eingespart werden konnte.

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Umschnürte Eisenbetonstützen

In den Vereinigten Staaten von Amerika erhielt der Eisenbeton erst nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs und mit dem damit verbundenen starken Anstieg der Eisenpreise und Löhne grössere Bedeutung. Im Hochbau konnten durch die Umschnürung der Stützen ausserdem die Querschnitts-abmessungen reduziert und die Nutzflächen vergrössert werden. Forschungsprojekte wurden kurz nach der Veröffentlichung von Considères Versuchsresultaten in Angriff genommen. Im Gegensatz zu den Europäischen Versuchen wurden vorwiegend grossmassstäbliche Probekörper untersucht. Die bis heute wichtigsten Versuche im englischen Sprachraum mit umschnürten Stützen wurden in den Jahren 1925 bis 1933 sowohl an der University of Illinois als auch an der Lehigh University unter der Leitung von Richart durchgeführt.

Die erste Anwendung des umschnürten Betons erfolgte 1903 in Paris an einer Fachwerk-Bogenbrücke, an welcher Considère einen Belastungsversuch durchführte. Die Schwierigkeit der Knotenausbildung veranlasste Abramoff, ein neues Umschnürungssystem zu entwickeln. Sein System wurde sowohl für Stützen als auch zur Verstärkung der Druckzonen von stark beanspruchten Balken verwendet. Die umschnürten Stützen nach dem System von Considère kamen vorwiegend bei grösseren Ausführungen zur Anwendung, speziell im modernen Industrie- und Fabrikbau, bei dem hauptsächlich eine möglichst grosse Raumausnützung und schlanke Stützen gefordert wurden. Weitere Anwendungsmöglichkeiten erfolgten bei Pfahlfundierungen und Bogenbrücken. Vereinzelt wurde der umschnürte Beton bei nachträglichen Verstärkungen von Hochbaustützen oder Sanierun-gen nach Brandereignissen verwendet.

Aus Brandschutzgründen und aufgrund von Einstürzen wegen Ausführungsfehlern bei mit Rundeisen bewehrten Stahlbetonstützen setzte die Entwicklung von Verbundstützen zu Beginn des 20. Jahrhun-derts ein. Ein erster Verbundstützentyp wurde von Emperger entwickelt, der auf dem Gebiet der Verbundstützen grosse Forschungsleistungen vollbrachte. Der Durchbruch der umschnürten Ver-bundstützen gelang, indem Emperger die Querverbindungen der einbetonierten Stahlprofile durch die Umschnürungsbewehrung ersetzte. Dadurch wurden die Herstellungskosten der Verbundstützen durch die wegfallenden kostenintensiven Nietarbeiten gesenkt.

Die Erkenntnisse, welche Emperger 1907 aus zahlreichen Stützenversuchen gewonnen hatte, bewegten ihn zur Entwicklung einer plastischen Bemessungsmethode für Verbundstützen, welche er auch bei Eisenbetonstützen anzuwenden gedachte. Den Anteil der Traglast der Längseisen begrenzte er durch deren Knicklast. Der Empergerschen Berechnungsweise wurden grosse Zweifel entgegen-gebracht, da sich diese aus der damals fest verankerten Elastizitätstheorie nicht ableiten liess. Durch die eingehende Betrachtung verschiedener Versuchsresultate aus Druckversuchen unterschiedlicher Stützenarten gelang es Spitzer 1912, den Anteil der einzelnen Verbundstoffe an der Lastaufnahme bis zum Bruch zu verfolgen. Diese Ergebnisse brachten Empergers Forschung frischen Wind. In der darauf folgenden Versuchsreihe setzte er die Umschnürung bei Gusseisenstützen ein, welche trotz der hohen Festigkeit wegen ihres spröden Verhaltens gegenüber den Walzeisen benachteiligt waren. Emperger war einer der Ersten, welche die aus der Umschnürung resultierende Duktilität des Betons nutzten. Weil der Betonmantel die Gusseisenstütze bis zum Bruch unzerstört umgab, konnte die Bruchfestigkeit des Gusseisens voll ausgenützt werden. Emperger entwickelte zur Bemessung von umschnürten Gusseisenstützen das so genannte Additionsgesetz. Er führte neben umschnürten Gusseisenstützen auch Versuche mit umschnürtem Stahl durch, um die Anwendung des von ihm aufgestellten Additionsgesetzes auf hochwertigen Stahl zu bestätigen. Bei weiteren Versuchen mit umschnürten Betonstützen aus dem Jahr 1931 ging er dazu über, das Additionsgesetz auch auf Stahlbetonstützen mit und ohne Umschnürung anzuwenden. Nach jahrelangen Bemühungen konnte Emperger schliesslich anhand stichhaltiger Versuchsresultate seine Forscherkollegen in Europa und den USA von der neuen Betrachtungsweise überzeugen. Am Pariser Kongress für Brücken- und Hochbau 1932 wurde das Additionsgesetz als allgemeine Berechnungsgrundlage anerkannt und anschliessend in die Normen aufgenommen.

Mit dem Aufkommen der plastischen Bemessung von Stahlbetonkonstruktionen rückte die Ermitt-lung des verfügbaren Verformungsvermögens der Bauteile als wichtigste Voraussetzung dieser Bemessungsmethode ins Zentrum der Forschungstätigkeiten. Anfänglich stellte sich das Problem bei der Festlegung der zulässigen Umlagerung der elastischen Momentenverteilung in Biegeträgern, worauf in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts der Versuch unternommen wurde, die umschnürte

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Zusammenfassung

Druckzone in die Ermittlung der Widerstandsmomente mit einzubeziehen. Auch im Erdbebeningeni-eurwesen, welches seit den 1960er Jahren intensiv vorangetrieben wird, spielt die Duktilität der Wände und Stützen eine wichtige Rolle. Daher war das Interesse gross, das beachtliche Verfor-mungsvermögen des umschnürten Betons insbesondere bei dynamischen Beanspruchungen auszu-nützen. Durch diese Umstände wurden auf Versuchen an umschnürten Betonstützen basierend unzählige Spannungs-Dehnungs-Diagramme entwickelt, welche aus denjenigen für nicht umschnür-ten Beton abgeleitet wurden. Bach war einer der ersten, der die Betonspannung in Abhängigkeit der Dehnung mit einem einfachen Potenzgesetz darstellte. Die rein empirische Ermittlung von Span-nungs-Dehnungs-Beziehungen für umschnürten Beton erfolgte hauptsächlich im englischen Sprach-raum basierend auf Modellen von Sargin et al., von Kent und Park sowie von Popovics aus den 1970er Jahren. Zur selben Zeit ging Badawi an der Empa auf die Grösse der effektiv dreiachsig gedrückten Betonfläche in quadratischen Stützen ein; seine Arbeit wurde jedoch nicht weiterverwen-det. Erst die 1980 von Sheikh und Uzumeri unternommenen Ansätze wurden weiterverwendet. Während sie die Betonfläche nur qualitativ darstellten, versuchten Mander et al. 1988 das vorge-schlagene Modell des dreiachsig gedrückten Bereichs zu quantifizieren. An der ETH Zürich erfasste Kanellopoulos 1986 das Materialverhalten des dreiachsig gedrückten Betons im nicht elastischen Bereich mit Hilfe einfacher Modelle. Muttoni wertete 1990 die von Somes 1970 publizierten Ver-suchsresultate aus und bestimmte die mittlere Druckfestigkeit von umschnürten quadratischen Stützen. Das in der Schweiz aktuelle Modell zur Beschreibung des Last-Verformungsverhaltens von umschnürten Druckgliedern wurde 1995 von Sigrist entwickelt. Zur Abschätzung der Umschnü-rungswirkung vereinfachte Sigrist das von Kanellopolous vorgeschlagene Spannungsfeld und stützte sich bei der Entwicklung des Spannungs-Dehnungs-Diagramms auf die Arbeiten von Richart et al. sowie jene von Kent und Park.

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Umschnürte Eisenbetonstützen

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Theoriebildung

5 Schlussbetrachtungen

Im Folgenden wird die geschichtliche Entwicklung der umschnürten Stahlbetonstütze hinsichtlich der Fragestellungen in der Einleitung im Gesamtzusammenhang betrachtet. Das erste Kapitel wird der Theoriebildung und der damit verbundenen Entwicklung von Berechnungsmodellen zur theoreti-schen Beschreibung umschnürter Stahlbetonstützen gewidmet. Nachfolgend wird der Wissenstrans-fer zwischen Forschung und Praxis erörtert, und das dritte Kapitel geht auf die eigentliche Ausfüh-rung ein.

Anknüpfend an die obigen Betrachtungen werden im Zusammenhang mit der vorliegenden Arbeit aufgetauchte nicht oder nur teilweise bearbeitete Fragestellungen zur geschichtlichen Entwicklung des konstruktiven Ingenieurbaus, im Speziellen des Eisenbetonbaus aufgeführt. Die verwendete Arbeitsmethodik sowie Hinweise zum Vorgehen bei künftigen ähnlichen Forschungsarbeiten bilden den Abschluss dieser Schlussbetrachtungen.

5.1 Theoriebildung

Die Vorgehensweise Considères in der Erforschung der Umschnürungswirkung ist ein gutes Abbild der allgemeinen Forschungstätigkeit in den Anfängen der Eisenbetonbauweise. Die Entstehung des Eisenbetonbaus fiel mit der raschen Entwicklung der soeben entstandenen Materialprüfungsanstalten zusammen, wodurch die Theoriebildung fast ausschliesslich auf Versuche abgestützt wurde und vorwiegend empirisch erfolgte. Auf rein mechanische Grundlagen abgestützte Modelle wurden kaum entwickelt. Das Versuchswesen ermöglichte es, die Wirkungsweise und grundlegenden Eigenschaf-ten der damals neuen Verbundbauweise auf sehr kurzem und konsistentem Weg zu ergründen. Erste Versuche mit Bauteilen wurden vorwiegend im Auftrag der Unternehmer unternommen. Wissen-schaftlich durchgeführte Versuche hatten einen schweren Stand. Die durch die stark streuende Betonqualität hervorgerufenen Schwankungen der Versuchsresultate liessen Zweifel aufkommen, ob sich die Ergebnisse zur Aufstellung wissenschaftlich konsistenter Modelle eigneten. Da die auf der Elastizitätstheorie basierenden Berechnungsverfahren keine befriedigenden Lösungen hervorbrach-ten, mussten die Schwächen der Modellierungen im Laufe der Zeit durch teils kostspielige Versuche wettgemacht werden. Die Materialprüfungsanstalten wurden dadurch in Ingenieurlaboratorien umgewandelt, und anstelle von Werkstoffprüfungen ganze Bauteile untersucht.

Die experimentelle Erforschung, also das Experiment sowie dessen Beobachtung verbunden mit der systematischen Variation einzelner Parameter, ist für das Verständnis des Tragverhaltens von Bauteilen bis heute unabdingbar. Das auf deren Grundlage durch Idealisierung und Abstraktion entwickelte Berechnungsmodell bildet die Basis pragmatisch motivierter Voraussagen des Tragver-haltens und somit auch der Bemessung. Obwohl die systematische Erforschung zu einem guten Verständnis des Tragverhaltens umschnürter Betonstützen führte, konnten nur wenige empirische Bestandteile der Berechnungsmodelle sukzessive reduziert und durch mechanisch begründete ersetzt werden.

Die Schwierigkeiten Empergers, vor dem eigentlichen Paradigmenwechsel von der Elastizitäts- zur Plastizitätstheorie die Akzeptanz seiner Modellvorstellung zu erlangen, zeigen den grossen Einfluss, welchen die mechanischen Grundlagen auf die Bildung von Berechnungsmodellen ausüben. Er wendete als einer der Ersten die Plastizitätstheorie explizit auf den Stahlbetonbau an. Emperger war ein ideenreicher Konstrukteur, beharrlicher Forscher und ausgezeichneter Vortragsredner, wodurch es ihm gelang, dass das von ihm entwickelte Additionsgesetz bereits 1932 als allgemeine Berech-nungsgrundlage anerkannt wurde.

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Schlussbetrachtungen

Anfang des 20. Jahrhunderts stand vor allem die Erhöhung der damals geringen, stark streuenden Festigkeit der Stahlbetonstützen im Vordergrund der Forschungstätigkeit. Mit der Verbesserung der Herstellungsmethoden und der damit verbundenen Optimierung der Betonrezeptur sowie mit der Einführung von Bewehrungsstählen höherer Streck- und Bruchgrenzen wurde diese Zielsetzung durch die Verbesserung des Verformungsvermögens abgelöst, welche im Zusammenhang mit den plastischen Berechnungsmethoden und dynamischen Einwirkungen zunehmend an Bedeutung gewann. Die Entwicklung eines einfachen, transparenten mechanischen Modells für die Beschrei-bung der Umschnürungswirkung erwies sich als schwierig; bis heute fehlt eine wirklich befriedigen-de Lösung. Es besteht nach wie vor Forschungsbedarf.

5.2 Wissenstransfer

Die Überführung der Forschungsergebnisse in die Praxis geschieht über Lehrbücher, Fachliteratur und Normvorschriften, wobei letzteres Organ das wirksamste darstellt, da die Ingenieure aufgefordert werden, sich an die darin vorgeschriebenen Grundsätze zu halten. Die fortlaufend überarbeiteten Lehrbücher enthielten zu Beginn der Eisenbetonbauweise die wichtigsten Forschungsergebnisse und hatten vor allem vor der Etablierung der Normen und Verordnungen einen hohen Stellenwert. Fachzeitschriften bilden vor allem zwischen den Forschern eine Plattform zum Austausch und zur Diskussion.

Zwanzig Jahre nach der Einführung des Eisenbetons in Europa entschlossen sich verschiedene Staaten, Bestimmungen für die Ausführungen von Eisenbetonbauten zu erlassen, wodurch auch die Eisenbetonforschung an den Versuchsanstalten intensiviert wurde. Den Anstoss zum Erlass von Normen gaben einerseits Bauunfälle, andererseits gelang der Baubehörde dadurch eine einfachere Kontrolle der Bautätigkeit. Durch die Einführung der Normen wurde der Wissensstand in der Forschung übersichtlich dokumentiert und für die in der Praxis tätigen Ingenieure einfach zugänglich gemacht. Durch das Festlegen von Bemessungs- und Ausführungsvorschriften konnte die Qualität der Eisenbetontragwerke generell erhöht werden; die Anzahl Schadenfälle verringerte sich. Das Offenlegen der Bemessungsmethoden förderte ausserdem die Verbreitung der Eisenbetonbauweise massgeblich, indem auch kleine Betriebe in der Lage waren, Eisenbetonkonstruktionen zu bemessen und auszuführen. Dadurch wurde der Marktvorteil derjenigen Firmen, welche durch eigene For-schungsbemühungen und Erfahrungen eine höhere Ausnützung der Eisenbetonbauteile zulassen konnten, gemindert. Die Tragwerksnormen stellen zusätzlich ein Mittel zur besseren juristischen Klärung von Schadenfällen dar.

Durch den Erlass länderspezifischer Normenwerke wurden die grenzüberschreitenden Bautätigkeiten im Allgemeinen erschwert. Die schweizerischen Tragwerksnormen zeichneten sich dagegen seit Beginn durch allgemein gehaltene Formulierungen aus, welche vor allem ein einheitliches Sicher-heitsniveau, Bemessungsgrundsätze und Konstruktionsregeln festlegten. Der so genannte Ausnahme-artikel lässt begründete Abweichungen von den Normen zu, wodurch der Einbezug von neuen Erkenntnissen und Entwicklungen jederzeit ermöglicht wird. Die in die schweizerischen Normen und Vorschriften eingeflossenen Regeln zur Bemessung von umschnürten Eisenbetonstützen basierten anfangs alle auf den in den umliegenden Staaten veröffentlichten Versuchsresultaten, da in der Schweiz bis 1924 keine Versuche mit umschnürten Eisenbetonstützen unternommen worden waren. In der heute gültigen Norm haben jedoch vorwiegend in der Schweiz erarbeitete Forschungsergebnis-se ihren Niederschlag gefunden.

5.3 Ausführung

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts werden Stützen vorwiegend aus Stahl und Beton gefertigt, wobei die reine Stahl- und Eisenbeton- sowie die Verbundstütze, die Mischung der beiden Bauweisen, zum

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SchlussbemerkungenT

Einsatz kommen. Die Tragsystemwahl wird in erster Linie durch die Wirtschaftlichkeit bestimmt. Rationellere Herstellungs- und Verarbeitungsmethoden des Frischbetons, die Entwicklung besserer Betonrezepturen sowie die Ansicht, dass keine Unterhaltsarbeiten notwendig sind, verhalfen der Eisenbetonbauweise in Europa dazu, den Eisenbau in immer mehr Anwendungsgebieten zu verdrän-gen. Die Betonverarbeitungsmethoden wurden von der verfügbaren Frischbetonkonsistenz beein-flusst. Dem Stampfbeton mit sehr trockener Konsistenz folgten Gussbetone, welche anfangs mit Rinnen- und Rohrsystemen, später mit Betonpumpen ohne anschliessende Verdichtung in die Schalung eingebracht wurden. Dabei standen die geringe Festigkeit und die Problematik der Beton-entmischung im Vordergrund der Entwicklungsbemühungen. Effizientere Betonverdichtungsverfah-ren ermöglichten die Reduktion der Zementmenge im Beton, welche den Hauptanteil der Betonkos-ten ausmacht. Ausserdem konnte durch die Verbesserung der Zementqualität die Betonfestigkeit erhöht werden, was zu geringeren Bauteilabmessungen führte. Ein weiterer Schritt zur Erzielung einer preiswerten und leistungsfähigen Betonverarbeitung wurde durch die Errichtung von zentralen Betonwerken gemacht. Mit der Erfindung von Betonmischfahrzeugen gelang es, den Beton in weitem Umkreis in einwandfreiem Zustand auf die Baustelle zu liefern.

Im Hochbau erlangte die Umschnürung erst mit der Vorfertigung, insbesondere mit der Erfindung der Schleuderbetonstütze den Durchbruch. Die Vorfertigung der Eisenbetonstützen, insbesondere mit dem Schleuderverfahren, und die damit einhergehende schnelle Montage auf der Baustelle ermög-lichte einen effizienten Baufortschritt, wodurch die Eisenstütze eines ihrer wichtigsten Vorteile beraubt wurde. Die geringe Verfügbarkeit des Stahls in Kriegszeiten trug ebenfalls zur Verbreitung der umschnürten Stahlbetonstütze bei.

Die Forschung beeinflusste die Wirtschaftlichkeit insofern, als sie durch die Erhöhung der Berech-nungsmodellzuverlässigkeit eine Reduktion der Sicherheitsfaktoren zuliess und somit eine höhere Ausnutzung der Stützen ermöglichte. Mit der grossen Verbreitung von Eisenbetonflachdecken begünstigten ebenfalls die einfacher zu bewerkstelligenden Stützenanschlüsse die Wahl von Stahlbe-ton. Ein weiterer wesentlicher Vorteil gegenüber der reinen Stahlstütze besteht im höheren Tragwi-derstand im Brandfall.

Angesichts der oben genannten Vorteile von Stahlbetonstützen werden diese auch in Zukunft vielerorts zur Anwendung kommen. Die Notwendigkeit einer Umschnürungsbewehrung wird hauptsächlich durch die Wahl des Tragsystems und die daraus resultierenden Anforderungen an das Verformungsvermögen bestimmt.

5.4 Schlussbemerkungen

5.4.1 Ausblick

Forschungsarbeiten im konstruktiven Ingenieurbau widmen sich seit jeher vorwiegend sehr spezifi-schen Fragestellungen in stark begrenzten Themenbereichen. Arbeiten, die generelle Fragen zum konstruktiven Ingenieurbau im geschichtlichen Kontext behandeln oder Themenbereiche im Gesamt-zusammenhang inklusive geschichtlicher Entwicklung analysieren, sind nur sehr spärlich vorhanden. Solche Arbeiten weisen jedoch einen hohen didaktischen Wert auf und regen zum kritischen Hinter-fragen der heutigen Praxis an.

Eine logische Fortsetzung der vorliegenden Studie wäre die Darstellung der geschichtlichen Entwick-lung der schlanken Stahlbetonstütze. Ihre Erforschung setzte nach den Hauptentwicklungsschritten der umschnürten Stahlbetonstütze ein und erfordert eine Berücksichtigung von Effekten 2. Ordnung sowie Stabilitätsproblemen.

Des Weiteren stellt sich die Frage, inwiefern sich der Entwicklungszeitraum auf die Entwicklungs-vorgänge ähnlicher Bauteile und -verfahren auswirkt. Inwiefern weichen diese vom Entwicklungsab-lauf der umschnürten Stütze ab und welche Umstände haben dazu geführt?

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Schlussbetrachtungen

Die geschichtliche Entwicklung des Zusammenspiels zwischen wissenschaftlicher Forschung und praktischer Umsetzung wurde in der vorliegenden Studie am Beispiel der umschnürten Stehlbeton-stütze im begrenzen Untersuchungsraum erörtert. Eine generelle Betrachtung dieser Fragestellung in Bezug auf den ganzen konstruktiven Ingenieurbau wird als viel versprechend erachtet.

Eine weitere sehr interessante Fragestellung stellt die geschichtliche Entwicklung der Tragwerks-normen im Gesamtkontext des konstruktiven Ingenieurbaus dar. Insbesondere die darin enthaltenen Sicherheitskonzepte gaben und geben immer noch zu regen Diskussionen Anlass.

Beim Literaturstudium wurde festgestellt, dass einzelne Bauweisen, wie beispielsweise die Vorferti-gung im Stahlbetonbau, in einzelnen Ländern trotz ähnlicher technischer Rahmenbedingungen sehr unterschiedliche Verbreitungen aufweisen. Worin liegt die Ursache?

Bei der Erarbeitung der vorliegenden Studie traten immer wieder Fragen zur präzisen Bedeutung einzelner bautechnischer Fachbegriffe und deren Wandel im Laufe der Zeit auf. Arbeiten, die sich diesen Fragen widmen, konnten indes keine gefunden werden.

Diese nicht abschliessende Aufzählung ungeklärter Fragen zeigt, dass das Studium der geschichtli-chen Aspekte des konstruktiven Ingenieurbaus noch viel Raum für interessante Arbeiten lässt.

5.4.2 Arbeitsmethodik

Die vorliegende Studie stellt eine der ersten Arbeiten zur Geschichte des konstruktiven Ingenieurbaus am Institut für Baustatik und Konstruktion an der ETH Zürich dar. Daher bildete die Entwicklung einer eigenen Arbeitsmethodik den Beginn der Arbeiten für die Studie. Es galt insbesondere das Auffinden und den Umgang mit sehr umfangreicher Literatur zu erlernen. Eine gezielte Quellensuche bedingt die minuziöse Formulierung der Fragestellung sowie deren ständige Präzisierung mit fortschreitender Bearbeitung der Studie, wobei die Formulierung der Fragen bereits eine tiefe Auseinandersetzung mit verschiedenen Quellen voraussetzt. Die Sichtung und Bewertung der Quellen beansprucht viel Zeit und erfordert eine starke Begrenzung der analysierten Thematik.

Die Quellensuche erfolgte ausgehend vom Literaturverzeichnis neuerer Arbeiten, in dem einzelne Schlüsselveröffentlichungen aufgegriffen wurden, welche den Zugang zu weiterer Literatur gaben. Die erfolgreiche Bearbeitung der Fragestellung bedingt die Verfügbarkeit von entsprechenden Quellen. Bei der Erarbeitung der vorliegenden Studie zeigte sich, dass die wissenschaftlichen Beiträge sehr gut dokumentiert sind, Quellen zur tatsächlichen Bauausführung jedoch nur spärlich vorhanden sind und somit entsprechende Probleme bei der Behandlung diesbezüglicher Fragen entstehen. In den vergangenen Jahren verbesserte die ständig wachsende Zahl digitalisierter Zeit-schriften den schnellen Zugriff und die gezielte Suche nach Quellen mittels Schlüsselbegriffen. Das Auffinden von Quellen des 19. Jh. und älter erweist sich allerdings nach wie vor als aufwendig.

Die Vor- und Nachteile der Gliederungsart – chronologisch oder thematisch – müssen für jede Studie gesamthaft und einzeln für jeden Abschnitt vor dem Hintergrund der untersuchten Fragestellung eingehend geprüft werden. In der vorliegenden Arbeit wurden die einzelnen zum Teil parallel ablaufenden Entwicklungsstränge zu Gunsten einer besseren Übersicht nicht getrennt. Innerhalb der einzelnen Stränge wurde dann soweit wie möglich eine chronologische Gliederung angestrebt.

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Personen

Adams, Frank Dawson (1859–1942), 41

Alberti, Leon Battista (1404–1472), 25

Bach, Carl Julius von (1847–1931), 52f., 59, 70f., 73, 77f., 99, 107, 115

Bauschinger, Johann (1834–1893), 32, 40ff., 53f., 59, 66

Beltrami, Eugenio (1835–1900), 34ff., 58

Böker, Robert Albert (1885–1980), 37, 44ff., 58f.

Brandtzæg, Anton (1898−1978), 47ff., 59, 87ff.

Brewster, David (1781–1868), 35

Cauchy, Augustin Louis (1789–1857), 27, 29

Clebsch, Rudolph Friedrich Alfred (1833–1872), 27

Coignet, Edmond (1856−1915), 2

Coignet, François (1814−1888), 1f., 67

Considère, Armand Gabriel (1841–1914), 62ff., 68, 70f., 75, 81, 84ff., 89ff.,113f.

Coulomb, Charles Augustin (1736–1806), 25, 30ff., 38, 42f., 48, 58, 64f., 68, 70, 73, 110f., 113

Darwin, George Howard (1845–1912), 33

Domke, Oskar (1874–1945), 103

Emperger, Fritz von (1862–1942), 74, 77, 79, 97ff., 114

Fairbairn, William (1789–1874), 101

Föppl, August (1854–1924), 37, 41f., 54ff., 59, 63

Fresnel, Augustin Jean (1788–1827), 35

Galilei, Galileo (1564–1642), 25

Gauthey, Émiland Marie (1732–1806), 25, 29

Grashof, Franz (1826–1893), 30

Gümbel, Carl Wilhelm von (1823–1898), 40

Haar, Alfréd (1885–1933), 36

Haberkalt, Karl (1856−1939), 75f., 113

Heim, Albert (1849–1937), 39f., 58

Hencky, Heinrich (1885–1951), 36

Hennebique, François (1843–1921), 1, 63, 67

Herschel, Friedrich Wilhelm (1738–1822), 35

Hodgkinson, Eaton (1789–1861), 50, 53, 101

Huber, Maksymilian Tytus (1872–1950), 34f., 58

Hyatt, Thaddeus (1816−1901), 1

Kármán, Theodor von (1881–1963), 36f., 42ff., 58

Karmarsch, Karl (1803–1879), 27

Kick, Friedrich (1840–1915), 31, 40, 50f., 55, 59

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Kirsch, Bernhard (1853–1931), 75f., 79, 104, 113

Kleinlogel, Adolf (1877–1958), 77

Koenen, Mathias (1849–1924), 2, 62, 67f., 72ff., 77, 82f., 113

Lambot, Joseph Louis (1814−1887), 1

Lamé, Gabriel (1795–1870), 27

Leibniz, Gottfried Wilhelm (1646–1716), 25

Levy, Maurice (1838–1910), 33

Löser, Benno (1878–1944), 83

Mariotte, Edmé (1620–1684), 25

Maxwell, James Clerk (1831–1879), 35, 58

Mesnager, Augustin (1862–1933), 63

Mises, Richard Martin von (1883–1953), 33f., 36, 38, 58

Mohr, Otto Christian (1835–1918), 31f., 38, 42f., 45f., 50, 53, 55, 58f.

Monier, Joseph (1823−1906), 1f., 61f., 113

Mörsch, Emil (1872−1950), 38f., 76f., 113

Nádai, Árpad L. (1883−1963), 37f.

Navier, Louis Auguste Marie Henri (1785–1836), 25, 29, 101

Neumann, Paul (1858−1921), 2, 67

Noé, Louis Auguste Harel de la (1852−1931), 62, 113

Ostenfeld, Asger Skovgaard (1866−1931), 2, 47

Pfaff, Friedrich (1825−1886), 40

Poisson, Siméon Denis (1781–1840), 27

Poncelet, Jean-Victor (1788–1867), 27, 29

Prandtl, Ludwik (1875–1953), 37, 43f., 51f., 59

Probst, Emil (1877−1950), 67, 75f., 113

Rabitz, Karl (1825–1891), 61f., 113

Rankine, William John Macquorn (1820–1872), 29, 33, 36, 101

Reuleaux, Franz (1829–1905), 30

Rinne, Friedrich Wilhelm Berthold (1863–1933), 51f., 59

Ritter, Karl Wilhelm (1847–1906), 2, 80, 103

Rondelet, Jean-Baptiste (1743–1829), 25, 50, 53

Roš, Mirko Gottfried (1879–1962), 45ff., 56ff., 82

Rudeloff, Max (1857–1929), 74f., 77, 104, 113

Saint-Venant, Adhémar Jean Claude Barré de (1797–1886), 27

Saliger, Rudolf (1873–1958), 68ff.,72f., 77, 113

Sanders, Ludwig Adrian (1867–?), 2, 82f.

Sauvestre, Stephen (1874–1919), 91

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Schleicher, Ferdinand (1900–1957), 37, 58

Schüle, François (1860−1925), 66f., 80

Seebeck, Thomas Johann (1770–1831), 35

Soufflot, Jacques-Gérmain (1713–1780), 25

Spitzer, Joseph Anton (1856–1922), 2, 75f., 102, 104, 113f.

Tait, Peter Guthrie (1831–1901), 33

Talbot, Arthur Newell (1857–1942), 47, 85ff.

Tedesco, Napoléon de (1848−1922), 2

Tetmajer, Ludwig von (1850–1905), 66, 104

Thomson, William (1824–1907), 33, 35, 58

Thullie, Maximilian Ritter von (1852−1940), 2, 71, 74f., 113

Tredgold, Thomas (1788–1829), 26

Tresca, Henri Edouard (1814–1884), 32ff., 36, 58

Turneaure, Frederick Eugene (1866–1951), 87

Vicat, Louis Joseph (1786–1861), 26, 50, 53, 59

Voigt, Woldemar (1850–1919), 42

Wayß, Gustav Adolf (1851–1917), 62, 71, 113

Westergaard, Malcolm (1888–1950), 47

Wiebe, Friedrich Karl Hermann (1818–1881), 30

Winkler, Emil (1835–1888), 27f.

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[112] Otlinghaus, C., „Ueber den Stand der Betonverdichtung durch Einrütteln und Durchrütteln“, Beton und Eisen, 32. Jahrgang, Heft 7/8, Berlin, 5. April 1933, pp. 123–127.

[113] Park, R., Priestley, M. J. N. und Gill, W. D., „Ductility of Square-Confined Concrete Col-umns“, Journal of the Structural Division, Proceedings of the ASCE, Vol. 108, No. ST4, 1982, pp. 929–950.

[114] Popovics, S., „A numerical Approach to the complete Stress-Strain Curve of Concrete“, Cement and Concrete Research, Vol. 3, No. 5, 1973, pp. 583−599.

[115] Popp, H., „ ,Magens‛ Transportbeton“, Beton und Eisen, 8. Jahrgang, Heft 12, Berlin, 24. September 1909, pp. 40–42, 91–92.

[116] Pourcel, A., „Sur les propriétés du béton fretté“, Comptes Rendus Hebdomadaires des Séances de l’académie des Sciences, tome 138, Paris, 11 Janvier 1904, pp. 72–75.

[117] Probst, E., „Einfluss der Armatur und der Risse im Beton auf die Tragsicherheit“, Mitteilun-gen aus dem königlichen Materialprüfungsamt zu Gross-Lichterfelde West, Ergänzungsheft I, Berlin, 1907, 144 pp.

[118] Probst, E., „Neue Versuche mit Eisenbetonsäulen und -balken“, Armierter Beton, 2. Jahrgang, Heft 1/2/3, Berlin, Januar 1909, pp. 2–9, 39–44, 99–107.

[119] Probst, E., „Eine Kritik der bestehenden Vorschriften für Eisenbeton-Tragwerke“, Armierter Beton, 3. Jahrgang, Heft 2, Berlin, Februar 1910, pp. 90–96.

[120] Probst, E., „Neuere amerikanische Betonierungsmethoden“, Armierter Beton, 6. Jahrgang, Heft 2, Berlin, Februar 1913, pp. 71–75.

[121] Probst, E., „Stampfbeton oder Gussbeton?“, Armierter Beton, 6. Jahrgang, Heft 12, Berlin, Dezember 1913, pp. 440–443.

[122] Probst, E., „Fabrikmässige Betonherstellung“, Der Bauingenieur, 14. Jahrgang, Heft 34/40, Berlin, 1933, pp. 490–492.

[123] Rankine, W. J. M., Handbuch der Bauingenieurkunst, nach der 12. Auflage des englischen Originalwerkes deutsch bearbeitet von Kreuter, F., Ausschnitt aus dem I. und V. Kapitel, Wien, 1880, 922 pp. (pp. 257–264, 573–579).

[124] Richart, F. E., “Reinforced Concrete Column Investigation − Tentative Final Report of Committee 105”, ACI Journal Proceedings, Vol. 29, No. 6, 1933, pp. 275−282.

[125] Richart, F. E., Brandtzæg, A. and Brown, R. L., „A Study of the Failure of Concrete under Combined Compressive Stresses“, Engineering Experiment Station, Bulletin No. 185, University of Illinois, Urbana, November 1928, 104 pp.

[126] Richart, F. E., Brandtzæg, A. and Brown, R. L., „The Failure of Plain and Spirally Reinforced Concrete in Compression“, Engineering Experiment Station, Bulletin No. 190, University of Illinois, Urbana, April 1929, 74 pp.

[127] Richart, F. E., and Staehle, G. C., “Progress Report on The Column Tests at The University of Illinois”, ACI Journal Proceedings, Vol. 27, No. 2, 1931, pp. 731−760.

[128] Richart, F. E., and Staehle, G. C., “Second Progress Report on The Column Tests at The University of Illinois”, ACI Journal Proceedings, Vol. 27, No. 3, 1931, pp. 761−790.

[129] Richart, F. E., and Staehle, G. C., “Third Progress Report on The Column Tests at The University of Illinois”, ACI Journal Proceedings, Vol. 28, No. 11, 1931, pp. 167−175.

[130] Richart, F. E., and Staehle, G. C., “Forth Progress Report on The Column Tests at The University of Illinois”, ACI Journal Proceedings, Vol. 28, No. 1, 1932, pp. 279−315.

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[131] Rinne, F., „Vergleichende Untersuchungen über die Methoden zur Bestimmung der Druck-festigkeit von Gesteinen“, Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geologie und Paläontologie, Band 1, Heft 1, Stuttgart, 23. Februar 1907, pp. 45–61.

[132] Rinne, F., „Vergleichende Untersuchungen über die Methoden zur Bestimmung der Druck-festigkeit von Gesteinen“, Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geologie und Paläontologie, Band 2, Heft 1, Stuttgart, 24. September 1909, pp. 121–128.

[133] Roš, M., „Die zukünftigen schweizerischen Normen für Bindemittel“, Schweizerische Bauzeitung, Band 85, Nr. 25, Zürich, Juni 1925, pp. 315–320.

[134] Roš, M., „Versuche zur Klärung der Frage der Bruchgefahr“, Diskussionsbericht der E.M.P.A., Nr. 28, Zürich, Juni 1928, 57 pp.

[135] Roš, M., „Die Materialtechnischen Grundlagen und Probleme des Eisenbetons im Hinblick auf die zukünftige Gestaltung der Stahlbetonbauweise“, VII. Knickstabilität des Eisenbetons, Beilage zum XXXIX. Jahresbericht des Vereins schweizerischer Zement-, Kalk-, und Gips-Fabrikanten, Bericht Nr. 162, Zürich, 1950, pp. 217–228.

[136] Roy, H. E. H. und Sozen, M. A., „Ductility of Concrete“, Flexural Mechanics of Reinforced Concrete–Proceedings of the International Symposium, Miami, November 1964, pp. 231–235.

[137] Rudeloff, M., „Versuche mit Eisenbeton-Säulen“, Deutscher Ausschuss für Eisenbeton, Heft 5, Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin, 1910, 118 pp.

[138] Rudeloff, M., Thullie, M. von, Emperger, F. von, „Versuche mit Betonsäulen“, Beton und Eisen, 10. Jahrgang, Heft 5/8/9/11/6, Berlin, 9. März 1911, pp. 97–108, 171–173, 204–205, 241–243, 132–133.

[139] Rüegg, W., Hrsg., Geschichte der Universität in Europa – Band III, vom 19. Jahrhundert zum Zweiten Weltkrieg (1800–1945), Verlag C. H. Beck, München, 2004, 706 pp.

[140] Rühlmann, M., Vorträge über Geschichte der Technischen Mechanik, Hrsg. Manegold, K.-H. und Treue, W., Georg Olms Verlag, Hildesheim, 1979, 553 pp.

[141] Saliger, R., „Die Druckfestigkeit des umschnürten Betons“; Österreichische Wochenschrift für den öffentlichen Baudienst, 10. Jahrgang, Heft 25, Wien, 18. Juni 1904, pp. 448–450.

[142] Saliger, R., „Über den Einfluss der Schubfestigkeit und der Armierung auf die Bruchgefahr in gedrückten Steinprismen“, Zeitschrift für Architektur und Ingenieurwesen, Band 09/10, Heft 5/1, Hannover, 1904, pp. 525–530, 65–74.

[143] Saliger, R., „Versuche mit umschnürten Gusseisenbetonsäulen“, Beton und Eisen, 27. Jahrgang, Heft 18, Berlin, 20. September 1928, pp. 329–335.

[144] Sanders, A., „Beton mit Querarmatur, verglichen mit „Béton fretté“ (umschnürter Beton)“, Beton und Eisen, 2. Jahrgang, Heft 2, Wien, 1903, pp. 108−110.

[145] Sargin, M., Ghosh, S. K. and Handa, V. K., „Effects of lateral reinforcement upon the strength and deformation properties of concrete“, Magazine of Concrete Research, Vol. 23, No. 75–76, June-September 1971, pp. 99–110.

[146] Schinke, M. G. und Löser, B., „Eine Eisenbetonstudie“, Beton und Eisen, 6. Jahrgang, Heft 6, Berlin, Juni 1907, pp. 151–153, 179–181.

[147] Schleicher, F., „Der Spannungszustand an der Fliessgrenze – (Plastizitätsbedingung)“, Zeitschrift für angewandte Mathematik und Mechanik, Band 6, Heft 3, Berlin, 1926, pp. 199–216.

[148] Schüle, F., Provisorische Normen für Projektierung, Ausführung und Kontrolle von Bauten in armiertem Beton, Zürich, August 1903, 18 pp.

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[149] Schüle, F., „Ueber Vorschriften für armierten Beton“, Schweizerische Bauzeitung, Band 49, Nr. 1/3/10, Band 50, Nr. 2, Zürich, Januar 1907, pp. 5–7, 29–34, 121–126, 15–17.

[150] Schwarz, „Von der rückwirkenden Festigkeit der Körper“, Zeitschrift für Bauwesen, 4. Jahrgang, Berlin, 1854, pp. 517–530.

[151] Sheikh, S. A. und Uzumeri, S. M., „Strength and Ductility of Tied Concrete Columns“, Journal of the Structural Division, Proceedings of the ASCE, Vol. 106, No. ST5, 1980, pp. 1079–1102.

[152] SIA, Norm SIA 262: 2003 – Betonbau, Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein, Zürich, 2003, 90 pp.

[153] Sigrist, V., Zum Verformungsvermögen von Stahlbetonträgern, Institut für Baustatik und Konstruktion, ETH Zürich, IBK Bericht Nr. 210, Birkhäuser Verlag, Basel, Juli 1995, 159 pp.

[154] Slater, W.A., and Lyse, I., “First Progress Report on Column Tests at Lehigh University”, ACI Journal Proceedings, Vol. 27, No. 2, 1931, 677−730.

[155] Slater, W.A., and Lyse, I., “First Progress Report on Column Tests at Lehigh University”, ACI Journal Proceedings, Vol. 27, No. 3, 1931, 791−835.

[156] Slater, W.A., and Lyse, I., “First Progress Report on Column Tests at Lehigh University”, ACI Journal Proceedings, Vol. 28, No. 11, 1931, 150−166.

[157] Somes, N. F., „Compression Tests on Hoop-Reinforced Concrete“, Journal of the Structural Division, Proceedings of the ASCE, Vol. 96, No. ST7, 1970, pp. 1495–1509.

[158] Spitzer, J. A., „Auswertung der Ergebnisse von Versuchen mit Beton- und Eisenbetonsäulen“, Beton und Eisen, 11. Jahrgang, Heft 19, Berlin, 27. November 1912, pp. 426–430, 449–452.

[159] Spitzer, J. A., „Versuche mit Eisenbetonsäulen“, Mitteilungen über Versuche ausgeführt vom Eisenbeton-Ausschuss des österreichischen I. u. A. V., Heft 3, Wien, 1912, 268 pp.

[160] St. Venant, A. J. C. B. de, et Levy, M., „Mémoire sur l’établissement des équations différen-tielles des mouvements intérieurs opérés dans les corps solides ductiles au delà des limites où l’élasticité pourrait les ramener à leur premier état“, Journal de mathématiques – pures et appliquées, 2. série, tome 16, Paris, 1870, pp. 308–316, 369–382.

[161] Stierlen, W., „Fertig gemischt zur Baustelle gelieferter Beton“, Beton und Eisen, 30. Jahr-gang, Heft 8, Berlin, April 1931, pp. 145–148.

[162] Straub, H., Die Geschichte der Bauingenieurkunst, Birkhäuser, Basel, 1975, 319 pp.

[163] Sturm, A. und Rank, M., „Das Gussbetonverfahren und seine Entwicklung während der letzten zehn Jahre in Deutschland“, Beton und Eisen, 22. Jahrgang, Heft 20, Berlin, 20. Oktober 1923, pp. 245–249.

[164] Suenson, E., „Der Einfluss der Korngrössen des Kiessandes auf die Druckfestigkeit des Betons“, Beton und Eisen, 10. Jahrgang, Heft 8/9/12, Berlin, 5. Mai 1911, pp. 168–171, 193–195, 264–267.

[165] Talbot, A. N., „Concrete T-Beam and Column Tests at the University of Illinois“, Enginee-ring News, Vol. 58, No. 2, New York, July 11, 1907, pp. 30–33, 339, 342–344.

[166] Talbot, A. N., „Tests of Concrete Columns”, American Society for Testing Materials – Proceedings of the Tenth Annual Meeting, Vol. 7, University of Pennsylvania, Philadelphia, June 1907, pp. 382–393.

[167] Thullie, M. R. von, „Neue Versuche mit betoneisernen Säulen in Lemberg“, Beton und Eisen, 5. Jahrgang, Heft 12, Berlin, Dezember 1906, pp. 306–308, 17–20, 43–47.

[168] Thullie, M. R. von, „Neue französische Versuche mit umschnürtem Beton“, Beton und Eisen, 6. Jahrgang, Heft 5, Berlin, Mai 1907, pp. 124–128, 150–151.

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[169] Thullie, M. R. von, „Versuche mit exzentrisch belasteten betoneisernen Säulen“, Forscherar-beiten auf dem Gebiete des Eisenbetons, Heft 10, Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin, 1909, 71 pp.

[170] Tresca, H., „Mémoire sur l’écoulement des corps solides“, Mémoires présentés par divers savants à l’académie des sciences de l’institut impérial de France – Sciences mathématiques et physiques, tome 18, Paris, 1868, pp. 733–799.

[171] Tresca, H., „Mémoire sur le poinçonnage et la théorie mécanique de la déformation des métaux“, Comptes Rendus hebdomadaires des Séances de l’Académie des Sciences, tome 68, Paris, 1869, pp. 1197–1201.

[172] Trost, H., „Auswirkung des Superpositionsprinzips auf Kriech- und Relaxationsprobleme bei Beton und Spannbeton“, Beton- und Stahlbetonbau, Jahrgang 62, Heft 10, Oktober 1967, pp. 230–238.

[173] Twelvetrees, W. Noble, „Reinforced concrete columns”, Engineering, Vol. 88, London, September 10, 1909, pp. 337–338, 405–406.

[174] Wiebe, F. K. H., „Allgemeine Theorie der sogenannten zusammengesetzten Festigkeit, mit Anwendung auf bestimmte Fälle“, Der Civilingenieur, 8. Band, Freiberg, 1862, pp. 411–446, 459–498, 37–66.

[175] Winkler, E., „Die Elasticitäts- und Festigkeitscoefficienten“, Der Civilingenieur, 9. Band, Freiberg, 1863, pp. 405–435.

[176] Withey, M. O., „Tests of plain and reinforced Conrete Columns“, The Engineering Record, Vol. 60, No. 1, New York, July 1909, pp. 41–45.

[177] Ziehl, P. H., Cloyd, J. E., Kreger, M. E., „Investigation of Minimum Longitudinal Rein-forcement Requirements of Concrete Columns Using Present-Day Construction Materials”, ACI Structural Journal, Vol. 101, No. 2, 2004, pp. 165–175.

[178] „Anwendungen von umschnürtem Beton beim Bau der Schokoladenfabrik Menier in Noisiel sur Marne bei Paris“, Beton und Eisen, 5. Jahrgang, Heft 12, Berlin, Dezember 1906, pp. 297–298.

[179] „The Record of the Fire-Proof Building in the Baltimore Conflagration“, Engineering News, Vol. 51, No. 6, New York, February 18, 1904, pp. 145–148.

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Bezeichnungen

Nachfolgend werden mehrfach verwendete, allgemein gültige Bezeichnungen aufgeführt. Heute unübliche Bezeichnungen alter Quellen werden ausschliesslich im Text definiert.

Lateinische Grossbuchstaben

A Querschnittsfläche, Faktor Ab Gesamtquerschnittsfläche der Umschnürungsbewehrung Ac Bruttoquerschnittsfläche des Betons Ak Kernquerschnittsfläche des Betons As Gesamtquerschnittsfläche der Längsbewehrung Ag Gesamtquerschnittsfläche des Gusseisens B Konstante C Konstante D Konstante E Elastizitätsmodul Ec Elastizitätsmodul von Beton Ec3D Entfestigungsmodul Es Elastizitätsmodul von Betonstahl Fu3 Bruchlast der umschnürten Stütze Fu Bruchlast der nicht umschnürten Stütze I Trägheitsmoment K Konstante L Stützenlänge M Moment N Normalkraft P Kraft in Stützenachsrichtung Pcr Fliesslast im Längsbewehrungsstab Pu Bruchlast in Stützenachsrichtung U Formänderungsarbeit UcF spezifische Bruchenergie Y Fliessfunktion

Lateinische Kleinbuchstaben

a Abmessung

ab Querschnittsfläche eines Umschnürungsbewehrungsstabs

ac Querschnittsabmessung

a1…5 Faktoren b Querschnittsabmessung bc Querschnittsabmessung bk Abmessung des Betonkerns c Abmessung, Kohäsion d Durchmesser der Stütze dk Durchmesser des Stützenkerns

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dk3 Durchmesser des dreiachsig gedrückten Bereichs e0 Exzentrizität em maximale Exzentrizität Δe Änderung der Exzentrizität f Festigkeit fb Fliessgrenze der Umschnürungsbewehrung fc einachsige Betondruckfestigkeit fcc Zylinderdruckfestigkeit fcw Würfeldruckfestigkeit fc3 dreiachsige Betondruckfestigkeit fg Druckfestigkeit des Gusseisens fs Fliessgrenze der Längsbewehrung ft Zugfestigkeit fy Fliessgrenze von Betonstahl unter einachsigem Spannungszustand h Höhe von Probekörpern i Trägheitsradius k Verhältniszahl der Festigkeiten, Faktor l Stützenlänge m Kehrwert der Querdehnzahl des Betons, Abmessung n Verhältniszahl der Elastizitätsmoduln n = Es / Ec

p Spannung in Stützenachsrichtung bezogen auf die Bruttoquerschnittsfläche pk Spannung in Stützenachsrichtung bezogen auf die Kernquerschnittsfläche r Hilfsfunktion s Ganghöhe bzw. Achsabstand der Umschnürungsbewehrung t0 Alter des Betons bei Einwirkungsbeginn und Einsetzen des Schwindens u Bewehrungsüberdeckung w Ausbiegung x Abmessung der Betondruckzone, kartesische Koordinate x0 Abmessung y kartesische Koordinate z kartesische Koordinate, Abmessung z0 Abmessung

Griechische Buchstaben

α Neigungswinkel, Faktor ΔMu Änderung des Bruchmoments ΔNu Änderung der Traglast Δσs Änderung der Spannung in der Längsbewehrung ε plastisches Dehnungsinkrement ε0 plastisches Dehnungsinkrement in Querschnittsmitte εc Dehnung von Beton εc0 Stauchung bei Erreichen der einachsigen Betondruckfestigkeit εcr Knickstauchung εcs,∞ Endschwindmass

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εcu Bruchdehnung von Beton εc3 Betondehnung bei Erreichen der dreiachsigen Betondruckfestigkeit εs Dehnung von Betonstahl εsh Dehnung von Betonstahl bei Verfestigungsbeginn εsy Fliessdehnung der Längsbewehrung εp Stauchung in Richtung der Stützenachse εy Dehnung an der Elastizitätsgrenze ε0 initiale Dehnung ε50c Stauchung bei 50 % der dreiachsigen Betondruckfestigkeit bei der Entfestigung ε50u Stauchung bei 50 % der einachsigen Betondruckfestigkeit bei der Entfestigung μ Alterungsbeiwert ρ Geometrischer Bewehrungsgehalt der Längsbewehrung bezogen auf die Bruttoquerschnitts-

fläche des Betons ρs Geometrischer Bewehrungsgehalt der Längsbewehrung bezogen auf die Kernquerschnittsflä-

che des Betons ρb Geometrischer Bewehrungsgehalt der Umschnürungsbewehrung bezogen auf das Volumen

des Betonkerns ρmin Mindestbewehrungsgehalt der Längsbewehrung σ Normalspannung σb Spannung in der Umschnürungsbewehrung σc Betonnormalspannung σcb Kontaktspannung zwischen Umschnürungsbewehrungsstab und Beton σcF Betonhauptspannung im Fächer σcq Querdruckspannung von Beton σc3 dreiachsige Druckspannung von Beton σs Spannung in der Längsbewehrung σs0 initiale Stahlspannung σu Bruchspannung σx Normalspannung in x-Richtung σy Normalspannung an der Elastizitätsgrenze, Normalspannung in y-Richtung σz Normalspannung in z-Richtung σ0 nominelle Druckspannung σ1...3 Hauptnormalspannungen τ Schubspannung τ 1...3 Hauptschubspannungen ν Querdehnzahl des Betons φ Reibungswinkel, Integrationskonstante φ∞ Endkriechzahl χ Krümmung χ plastisches Krümmungsinkrement

ωb mechanischen Bewehrungsgehalt der Umschnürungsbewehrung ωq mechanischen Bewehrungsgehalt der Umschnürungsbewehrung mit quadratischen Bügeln

Sonderbezeichnungen

øb Durchmesser der Umschnürungsbewehrung

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Lebenslauf

Birgit Seelhofer-Schilling

Geboren am 27. November 1977 in Baden AG

Staatsbürgerin von Dänemark

Verheiratet, Mutter von zwei Kindern, Svenja (*2006) und Jens (*2007)

Ausbildung

1984−1989 Primarschule in Niederrohrdorf

1989−1993 Bezirksschule in Baden

1993–1997 Kantonsschule in Baden

1997−2002 Bauingenieurstudium an der ETH Zürich Diplomarbeit bei Prof. Dr. P. Marti, „Zugversuch an Betonelement unter zyklischer

Beanspruchung“

Berufliche Tätigkeit

1999−2001 Teilzeitpraktikum, Wolfseher und Partner AG, Beratende Materialtechnologen und Bauingenieure

2000 Ingenieurpraktikum, COWI, Rådgivende Ingeniører AS, Lyngby, Dänemark

2002−2007 Assistentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin von Prof. Dr. P. Marti am Institut für Baustatik und Konstruktion, ETH Zürich

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