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Weltgesundheitsorganisation Vv «k, Regionalbüro für Europa V` j Kopenhagen

Gesunde Ernährung - WHO/Europe Intranet · 2013. 10. 10. · ter Basis gesunde Nahrung zugänglich zu machen. Gesichert werden soll auch, daß Preisgestaltung, Werbung sowie Lebensmittelaufbe

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  • WeltgesundheitsorganisationVv«k,Regionalbüro für Europa V` j

    Kopenhagen

  • Gesunde Ernährung

  • WHO Library Cataloguing in Publication Data

    James, W.P.T.Gesunde Ernährung : zur Verhütung von ernährungs-bedingten Krankheiten in Europa / W.P.T. James ;in Zusammenarbeit mit A. Ferro -Luzzi, B. Isaksson,und W.B. Szostak

    (Regionale Veröffentlichungen der WHO. EuropäischeSchriftenreihe ; Nr. 24)

    1.Nutrition 2.Diet 3.Nutrition disorders - prevention &control. 4.Europe I.Title II.Series

    ISBN 92 890 7115 X (NLM Classification : QU 145)ISSN 0258 -2155

  • WeltgesundheitsorganisationRegionalbüro für Europa V

    Kopenhagen --a

    Gesunde ErnährungZur Verhütung von ernährungsbedingten Krankheiten

    in Europa

    W.P.T. Jamesin Zusammenarbeit mit

    A. Ferro-Luzzi, B. Isakssonund W.B. Szostak

    Regionale Veröffentlichungen der WHO, Europäische Schriftenreihe Nr. 24

  • ICP/NUT I I 4/s02Übersetzt von: Monika WesemannUmschlagphoto: Anna Ferro -Luzzi

    Ein Dorf südlich von Rom

    ISBN 92 890 7115 XISSN 0258 -2155

    © Weltgesundheitsorganisation 1990

    Die Veröffentlichungen des WHO -Regionalbüros für Europa sind gemäß denBestimmungen von Protokoll 2 der Allgemeinen Urheberrechtskonventionurheberrechtlich geschützt. Das Regionalbüro gewährt auf Antrag das Rechtder auszugsweisen oder vollständigen Vervielfältigung oder Übersetzung vonVeröffentlichungen des WHO -Regionalbüros für Europa. Entsprechende An-träge sind zu richten an: WHO -Regionalbüro für Europa, Scherfigsvej 8,DK -2100 Kopenhagen 0, Dänemark. Das Regionalbüro begrüßt solche An-träge.

    Die in dieser Veröffentlichung benutzten Bezeichnungen und die Darstel-lung des Stoffes beinhalten keine Stellungnahme von seiten des Sekretariatsder Weltgesundheitsorganisation bezüglich des rechtlichen Status eines Lan-des, eines Territoriums, einer Stadt oder eines Gebiets bzw. ihrer Regierungs-instanzen oder bezüglich des Verlaufs ihrer Staats- und/oder Gebietsgrenzen.Die Länder- oder Gebietsbezeichnungen entsprechen dem Stand bei der Fer-tigstellung der Publikation in der Originalsprache.

    Die Erwähnung bestimmter Firmen oder der Erzeugnisse bestimmter Her-steller besagt nicht, daß diese von der Weltgesundheitsorganisation gegenüberanderen, nicht erwähnten ähnlicher Art bevorzugt oder empfohlen werden.Abgesehen von eventuellen Irrtümern und Auslassungen, sind Markennamenim Text besonders gekennzeichnet.

    PRINTED IN ENGLAND

  • INHALTSVERZEICHNIS

    Danksagungen vii

    Vorwort ix

    Zusammenfassung xiii

    Einführung 1Zweck und Zielsetzung 4Terminologie: Ausgewogene, vernünftige odereinfach gesunde Ernährung? 6

    1. Ernährungsgewohnheiten in Europa 11Traditionen und kulturelle Mannigfaltigkeit 11Ernährungsüberwachung in Europa 13Europäische Nahrungsmittelversorgung 15

    Es wächst das Bewußtsein dafür, daß Ernährungetwas mit Gesundheit zu tun hat 19

    2. Das Problem für die öffentliche Gesundheit 23Wichtige Krankheits- und Todesursachen 24

    3. Was für schwerwiegende gesundheitlicheProbleme prädisponiert 69Fettsucht 69Bluthochdruck 79

    4. Die Funktion der Ernährung bei der Entstehungwichtiger gesundheitlicher Probleme 85Koronare Herzkrankheit 85Zerebrovaskuläre Erkrankungen 101

    v

  • Diabetes 104

    Fettsucht 105

    Krebs 106

    Leberzirrhose 114

    Knochenerkrankungen bei alten Menschen 115

    Mundkrankheiten 119

    Emährungsbedingte Anämie 123

    Kropf 128

    5. Strategien zur Verhütung schwererer Krankheiten 129Nährstoffziele für eine ganze Bevölkerung undfür den einzelnen 130Nährstoffziele 131

    Bevölkerungs- oder Risikostrategie 133

    Risikostrategie und Bevölkerungsstrategiemiteinander verbinden 138

    Möglichkeiten zur Prävention bestimmter Leiden 144

    6. Entsprechen die Nährstoffmuster den Empfehlungender WHO und nationaler Gremien? 147Fettzufuhr durch die Nahrung 148

    Salzzufuhr durch die Nahrung 158Zuckerzufuhr durch die Nahrung 161

    Alkoholzufuhr durch die Nahrung 161

    7. Zu den Zielen einer Ernährungspolitik:mittel- und langfristige Ziele 165Praktische Aspekte 167

    Eine Strategie zur praktischen Umsetzung eineremährungsbezogenen Lebensmittelpolitik 168

    Organisatorische Strukturen zur Umsetzungeiner Emährungspolitik 174

    Literatur 177

    vi

  • Danksagungen

    Unser Dank geht an zahlreiche Fachleute, die sich die Zeit dafürgenommen haben, an diesem Buch mitzuarbeiten. Ihre Unterlagenwurden ausgiebig benutzt. Besonders erwähnt werden sollte hierjedoch die Hilfe von Dr. Z.J. Brzezinski und den Mitarbeitern desReferats Epidemiologie und Statistik des WHO -Regionalbüros fürEuropa. Besonderer Dank gebührt auch Dr. C. Muir vom Interna-tionalen Krebsforschungszentrum (IARC), den Teilnehmern am Inte-grierten Länderprogramm zur Intervention bei nichtübertragbarenKrankheiten (CINDI) sowie den Mitarbeitern an dem Projekt Euro-päische Risikofaktoren und Inzidenz - eine Ringanalyse (ERICA),die uns die Daten zur Verfügung stellten. Professor L. Hallberg waruns freundlicherweise bei dem Abschnitt über Eisenmangelanämiebehilflich. Ein Großteil der Arbeit an diesem Bericht lastete aufFrau Jean James und dem Referat Ernährung des WHO- Regional-büros für Europa.

    vii

  • Vorwort

    Krankheitsbilder in Europa wandeln sich. Das bezeugen die Statisti-ken. Auch Ernährungsgewohnheiten wandeln sich, so wie andereAspekte der Lebensweise. Oft sind sich die Menschen gar nicht dar-über im klaren, wie stark sich ihre Eßgewohnheiten verändert haben.Wenn sie die Beweise vor Augen haben, sind sie überrascht. Es istganz einfach so, daß die Menschen heute jeden Tag essen können,was unsere Vorfahren nur bei festlichen Anlässen zur Verfügung hat-ten. Aber schon unsere Vorväter haben uns erzählt, daß für die Ge-sundheit nichts so schwer zu ertragen sei wie eine Reihe von gutenTagen.

    Das vorliegende Buch beschreibt detailliert, wie sich die Ernäh-rungsgewohnheiten in Europa entwickelt und die Krankheitsmustergewandelt haben und wie der mögliche Zusammenhang zwischendiesen Entwicklungen aussieht.

    Die neue Nahrungsmittelsituation in Europa stellt uns vor einevöllig neue Problematik. Es gibt für alle genug zu essen; Hungersnö-te sind nur noch eine entfernt theoretische Möglichkeit, und in derLandwirtschaft ist das alles beherrschende Problem die Überproduk-tion.

    Bei der Nahrungsmittelerzeugung in Europa geht es heute inWirklichkeit nicht mehr um Quantität, sondern um Qualität. Wennman die Nahrungsmittelversorgung einer Bevölkerung plant, so darfman sich letztlich dabei nicht nur um wirtschaftliche Aspekte und umLandwirtschaft und Lebensmittelproduktion kümmern, sondern hatauch gesundheitliche Aspekte mit einzubeziehen. Kurz gesagt, es gibtheute triftige Gründe dafür, statt einer bloßen Nahrungsmittelpolitikeine Ernährungspolitik zu machen.

    ix

  • Das ist eine Herausforderung an die Ernährungswissenschaftler:Sie müssen ihr Können so erweitern, daß sie ihr Wissen über die Aus-wirkungen von Nährstoffen auf die menschliche Physiologie an dieProduzenten und Verarbeiter dieser Nährstoffe weitervermittelnkönnen. Dieser Wissenstransfer ist allerdings erst die erste ihrerneuen Aufgaben. Die Ernährungswissenschaftler müssen sich ausihren Labors herauswagen und bereit sein, auf landesweiter Ebene,aber auch persönlich mit einzelnen Menschen über Nahrungsmittelzu sprechen. Es müssen alternative Strategien für die Erzeugung undVerarbeitung von Nahrungsmitteln erarbeitet und diskutiert werden.Der Ernährungswissenschaftler hat das Gesamtbild vor Augen unddeshalb die wichtige Aufgabe, die Erkenntnisse der Lebensmittel -und Ernährungswissenschaften und der Ernährungsepidemiologie inverbraucherrelevante Konzepte umzusetzen. Auch in der Praxis mußetwas dafür getan werden, die Eßgewohnheiten der Menschen in einewünschenswerte Richtung zu lenken.

    Deshalb muß man unbedingt wissen, in welche Richtung dieseEntwicklung denn eigentlich gehen soll. Anders ausgedrückt, bevorman Grundsatzentscheidungen trifft, sollten die Ziele und Vorgabeneiner Ernährungspolitik sehr deutlich klargelegt sein.

    Das Zustandekommen einer Ernährungspolitik kann ein langwie-riger und komplizierter Prozeß sein, letztlich aber wird es möglichsein, in regelmäßigen Abständen, beispielsweise jährlich, zu beurtei-len, wie sich eine solche Politik auf die Strukturen des Lebensmittel-konsums auswirkt. Für einen solchen Evaluationsprozeß brauchtman unbedingt Zielvorgaben.

    Eine Ernährungspolitik führt zur Festlegung von Zielvorgaben,wobei man unbedingt deutlich machen muß, welche Konsequenzeneine solche Politik hat. Diese Zielvorgaben werden in die Planungeiner Politik für die Lebensmittel- und Agrarindustrie einfließen.Die Leiterin des Referats Ernährung am WHO -Regionalbüro fürEuropa bat die Professoren James, Ferro- Luzzi, Isaksson undSzostak, dieses Buch zu schreiben, das die Aufgabe leichter machensoll. Der erste Entwurf wurde im Sommer 1986 verschickt. Besonde-re Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang Elisabet Helsing,die Leiterin des Referats Ernährung, deren Elan und Initiative es zuverdanken ist, daß das Ernährungsprogramm des WHO- Regional-büros für Europa zustande kam. Dank ihrer organisatorischen Fä-higkeiten und ihres Weitblicks konnte dieser Rahmen für eine euro-päische Ernährungspolitik geschaffen werden.

    Der erste Entwurf des Buches wurde von Ernährungswissen -schaftlern in ganz Europa begeistert aufgenommen, was deutlich

    x

  • zeigte, daß die internationale Dokumentation des Zusammenhangszwischen Ernährung und Gesundheit notwendig ist. Da immer mehrLänder dazu übergehen, in ihre Gesundheitspolitik auch Ernäh-rungsaspekte einzubeziehen, steht zu hoffen, daß dieses Buch einennützlichen Beitrag zur Festlegung von Zielvorgaben leisten kann.

    Wenn die Ausschüsse in den einzelnen Ländern ihre Empfehlun-gen zur Nährstoffzufuhr revidieren, wird auch dieses Buch überar-beitet werden müssen, so daß es den neuesten Stand des Ernährungs-wissens widerspiegelt. Die Ernährungswissenschaft ist eine Wissen-schaft in der dynamischen Entwicklungsphase. Diese Dynamik hatsich auch in der ernährungspolitischen Grundsatzarbeit niederzu-schlagen.

    Eine Ernährungspolitik muß auch im breiteren Rahmen als Teilder übergeordneten Gesundheitspolitik eines Landes gesehen wer-den (ähnlich wie die europäische Politik der Gesundheit für alle biszum Jahr 2000" und ihre 38 Ziele sich in eine Gesundheitspolitik ein-fügen). Eine Ernährungspolitik dient der Förderung gesunder Eßge-wohnheiten. Durch eine Ernährungspolitik soll gewährleistet wer-den, daß die Landwirtschaftspolitik und die Konzepte zur Nahrungs-mittelproduktion in den einzelnen Ländern darauf abzielen, auf brei-ter Basis gesunde Nahrung zugänglich zu machen. Gesichert werdensoll auch, daß Preisgestaltung, Werbung sowie Lebensmittelaufbe -reitung und -verkauf gesunde Nahrung für den Verbraucher attraktivmachen. In der Erziehung schließlich muß dafür gesorgt werden, daßdie Menschen dazu motiviert werden, gesunde Nahrungsmittel zukaufen und sich gesunde Eßgewohnheiten zuzulegen. Eine solcheEntwicklung wird sich äußerst positiv auf die Gesundheit der Euro-päer auswirken.

    Dieses Buch ist eine deutliche Herausforderung an alle Regierun-gen, an die europäischen Bauern, an die europäische Lebensmittelin-dustrie, an Restaurants, Cafeterias und Schnellimbißketten, an Ge-sundheitsberufe, Lehrer, Diätetiker und Köche und letztlich an jedenunter den 850 Millionen Europäern, der zu Hause kocht!

    J.E. AsvallWHO -Regionaldirektorfür Europa

    xi

  • Zusammenfassung

    1982 entwarf ein WHO -Expertenausschuß zusammenhängende Er-nährungsziele, die für die Verhütung der koronaren Herzkrankheit in-nerhalb einer Bevölkerung als optimal galten. Diese Ziele legten diebenötigten Nährstoffmengen fest und wurden als durchschnittlicheNährstoffzufuhr für die gesamte Bevölkerung etabliert, wobei manzusätzliche Empfehlungen für die Gruppen abgab, die Gefahr laufen,an einer Herzkrankheit zu erkranken.

    Das vorliegende Buch legt Informationen über die Prävalenzzahlreicher ernährungsbedingter Erkrankungen in Europa vor und be-schäftigt sich mit den verfügbaren Daten über Ernährungsmuster undNährstoffzufuhr. In kurzen Zügen wird auch erklärt, weshalb manvon der Annahme ausgehen kann, daß die Ernährung bei der Ent-stehung dieser Krankheiten eine Rolle spielt. In Europa geht insge-samt etwa die Hälfte der frühzeitigen Todesfälle bei Männern undFrauen unter 65 Jahren auf Krankheiten zurück, zu deren Entstehungdie Ernährung erheblich beigetragen hat. Koronare Herzkrankheit,Schlaganfall, viele Krebsformen, Mundkrankheiten, Anämie,Kropfbildung, Leberzirrhose, Diabetes, Gallensteine, Fettleibigkeit,Bluthochdruck und Knochenerkrankungen bei alten Menschenwirken sich stark auf die medizinische Versorgung aus. Diese Leidensollten prinzipiell als verhütbar gelten, auch wenn bisher noch unge-klärt ist, wie genau Ernährungsmängel oder -exzesse zu einer solchenErkrankung führen können. Eine Analyse der daran beteiligten Er-nährungsfaktoren zeigt, daß man als erstrebenswerte einzelstaatlicheGesundheitsziele für die Europäer gemeinsame zusammenhängendeErnährungsziele entwickeln kann.

    In der folgenden Tabelle sind die meisten dieser Ernährungszielezusammengefaßt. Andere folgen der Tabelle. Sie wurden nach den

  • Tabelle 1: Mittelfristige und langfristige Nährstoffziele für Europa

    Mittelfristige Ziele

    Bevölkerungallgemein

    Herzkreislauf-Risikogruppe

    LangfristigeZiele

    Anteil an der Gesamt -energiezufuhr a :

    komplexe Kohlenhydrate > 40 > 45 45-55

    Protein 12 -13 12 -13 12 -13

    Zucker 10 10 10

    Fett insgesamt 35 30 20-30

    Gesättigte Fettstoffe 15 10 10

    P: S ratio° Z 0,5 5 1,0 5 1,0

    Ballaststoffe (g/Tag) d 30 > 30 > 30

    Salz (g/Tag) 7-8 5 5

    Cholesterin (mg/4,18 MJ) N < 100 < 100

    Wasserfluoride (mg/I) 0,7 -1,2 0,7 -1,2 0,7 -1,2

    a Alle angeführten Werte beziehen sich auf die alkoholfreie Gesamtenerglezufuhr.

    b Dle komplexen Kohlenhydratangaben folgen aus den anderen Empfehlungen.

    Das Ist das Verhaltnls zwischen mehrfach ungesättigten (polyunsaturated) undgesattlgten (satured)Fettsauren.

    d Die Ballaststoffwerte stützen sich auf analytische Methoden, die die durch Lebensmittelverarbeitungund Zubereitungsmethoden entstehende Nichtstarke- Polysaccharose und die enzymresistente Starkemessen.

    Bei den Angaben handelt es sich um die langfristigen Nährstoffziele und um die mittelfristigenZiele für die Bevölkerung allgemein sowie für die Risikogruppe. Die Alkoholzufuhr solltebegrenzt sein. Bei Bedarf sollte Jodprophylaxe betrieben werden, die Nährstoffdichte sollteerhöht werden. Außerdem ist ein Körpermasse index (body mass index = BMI) von 20-25 einmittelfristiges und langfristiges Ziel, wenngleich dieser Wert sich nicht notwendigerweise fürdie Entwicklungsländer eignet, wo der durchschnittliche BMI bei 18 liegen mag.

    Empfehlungen verschiedener nationaler Ausschüsse zusammenge-stellt und stützen sich im Prinzip auf ein fast überall als ideal akzep-tiertes Ernährungsmuster zur Verhütung von nichtübertragbaren

    xiv

  • Krankheiten. Im Vergleich zu den 1982 vom WHO -Expertenausschußzur Verhütung der koronaren Herzkrankheit empfohlenen Ernäh-rungszielen sind die hier vorgelegten Ernährungsziele genauer defi-niert, wodurch die Übereinstimmung mit den mittelfristigen, von na-tionalen und anderen WHO- Ausschüssen empfohlenen Zielvorstel-lungen gewährleistet wird. Die Empfehlungen von nationalen Aus-schüssen sind eindeutig ähnlich gelagert, auch wenn die Ernäh-rungsmuster der betreffenden Lander erheblich von den Zielen ab-weichen. Diese nationalen Empfehlungen ließen sich deshalb alspragmatische Zielvorgaben betrachten, die das Ernährungsmustereines Landes den idealen Nährstoffzielen annähern sollen. Die mittel-fristigen Ziele eignen sich möglicherweise besonders gut für dienordeuropäischen Länder. Dort, wo man in Europa bereits eine Er-nährungspolitik antrifft, bezieht sie sich auf die Ernährung insgesamtund befaßt sich mit verschiedenen Aspekten der Gesundheit sowiemit der Verhütung der koronaren Herzkrankheit. BeunruhigendeZahlen zeigen, daß sich die osteuropäischen Lander auf eine wenigbefriedigende Ernährungsweise zubewegen und sich damit den Nord-europäern angleichen. Die Mittelmeerländer bleiben weiterhin relativbegünstigt, da die herkömmliche Nahrungsmittelzusammensetzunghier eine Nährstoffzufuhr gewährleistet, die den WHO- Zielen sehrnahekommt, doch auch hier zeichnen sich allmählich negativeVeränderungen ab.

    Die Länder sollten dann diese Nährstoffziele in Nahrungszieleund schließlich in für ihre eigenen Ernährungs- und Kulturtraditionenrelevante Ernährungsleitlinien umsetzen, wobei wirtschaftliche undandere, die Nahrungsmittelversorgung beeinflussende Begrenzungenzu berücksichtigen sind. Eine zusammenhängende Lebensmittelpoli -tik, die auch den Präventionsaspekt berücksichtigt, erfordert dieaktive Mitarbeit der unterschiedlichsten Ministerien: Gesundheit,Landwirtschaft, Lebensmittel, Bildung, Industrie und Wirtschaft,wenn man der Gesundheit nutzen möchte, ohne die einheimischeNahrungsmittelproduktion zu schädigen. Staatliches Handeln, Auf-klärung des einzelnen und der Bevölkerung insgesamt müssen sichauf die Fähigkeit der Lebensmittel - und Agrarindustriebranchen rich-ten, sich in der Nahrungsmittelversorgung auf einschneidendeVeränderungen einzustellen. Wenn jedes Land eine zusammenhän-gende und dauerhafte Ernährungspolitik entwirft, dann läßt sich diePraxis der Landwirtschaft und der Lebensmittelherstellung vernünf-tig ändern und doch gleichzeitig rentabel halten.

    Die unterschiedlichste Gesundheitserziehung wird notwendigsein, sich aber auch effektiver gestalten lassen, wenn sie sich auf das

    xv

  • Verständnis der Zusammenhänge zwischen Ernährung und Gesund-heit gründet. Dieses Buch ist deshalb als Vorreiter für andereMethoden gedacht, mit denen Entscheidungsträger, Gesundheits-erzieher und die Öffentlichkeit über die Lebensweisen informiertwerden sollen, die für ein Erwachsenenleben in Gesundheit amzuträglichsten sind.

    xvi

  • Einführung

    1980 beschloß das WHO -Regionalkomitee für Europa, zur Unter-stützung der europäischen Regionalstrategie Gesundheit für alle biszum Jahr 2000" spezifische Regionalziele festzulegen. 1984 dannverabschiedete das Komitee 38 Regionalziele, die bis zum Jahr 2000verwirklicht werden sollten.

    Ziel 16 (1) ist für an Ernährungsfragen Interessierte besonderswichtig. Dort heißt es:

    Bis zum Jahr 1995 sollte in allen Mitgliedstaaten das positive Gesund-heitsverhalten wesentlich gestärkt werden, wie ausgewogene Eßge-wohnheiten, Nichtrauchen, geeignete körperliche Betätigung und po-sitive Streßbewältigung.

    Im einzelnen hat man sich vorgenommen, die Nahrungsmittel - undErnährungssituation einer Bewertung zu unterziehen, politischeKonzepte und Programme zu ermitteln und zu fördern, die durch dieAnleitung zur richtigen Ernährung die Gesundheit fördern.

    Als Reaktion auf den Handlungsbedarf in diesem Bereich wurdeim September 1984 im WHO -Regionalbüro für Europa ein Referatfür Ernährung eingerichtet. Man etablierte ein Programm, das in denMitgliedstaaten schwerpunktmäßig die Lebensmittel - und Ernäh-rungspolitik fördert.

    Der während der letzten 35-40 Jahre zu beobachtende merkbareAnstieg bei einigen chronischen Krankheiten wirkt sich in der einzel-staatlichen wie der internationalen Politik verstärkt so aus, daß dieseKrankheiten durch präventive wie therapeutische Ansätze bekämpftwerden müssen und man sich darum bemüht, ihrer Entstehung in Ge-bieten mit geringer Inzidenz entgegenzuwirken.

    1

  • Das vorliegende Buch beschäftigt sich schwerpunktmäßig mitden sich rasch häufenden Beweisen dafür, daß eine schlechte Ernäh-rung und fehlende körperliche Betätigung (wie auch das Rauchen, dasden Schwerpunkt von anderen WHO- Veröffentlichungen bildet) alswichtige Faktoren zur Entstehung der unterschiedlichsten Störungenbeitragen, die ihrerseits zu einer erheblichen Morbidität und Sterb-lichkeit führen.

    Keine medizinische Expertengruppe oder irgendein anderes of-fizielles Gremium würde behaupten zu wissen, wie genau Ernäh-rungsfaktoren zu chronischen Erkrankungen führen, doch eineüberwältigende Indizienmenge verknüpft mittlerweile Ernährung mitder Pathophysiologie dieser Leiden, so daß in allen europäischen Ex-pertenausschüssen der Ruf nach gesundheitspolitischen Konzeptenlaut wurde, die gewährleisten können, daß den Europäern gesundeNahrung zur Verfügung steht und ihnen auch die Möglichkeit bleibt,sich für eine gesunde Ernährung zu entscheiden.

    Zwei Voraussetzungen müssen erfüllt sein, bevor man für einbestimmtes Land erfolgreiche Nahrungs- und Ernährungsstrategienoder -konzepte erarbeiten kann. Zunächst einmal muß man sich einklares Bild davon verschaffen, wie sich die Ernährungsgewohnheiteneines Landes zusammensetzen und welche volksgesundheitlichenProbleme damit verbunden sind. Zweitens muß innerhalb des Landesausreichend Einigkeit darüber bestehen, was eine gesunde Ernährungausmacht. Das allerdings ist nicht notwendigerweise ein komplizier-tes Problem, da ein solcher Konsens bereits zu bestehen scheint. Daswird in der vorliegenden Veröffentlichung deutlich. Hier wird ge-zeigt, was sich aus den Expertenberichten der gesamten Region anErnährungswissen entnehmen läßt. Die in diesen Berichten zutagetretende weitgehende Übereinstimmung sollte den Entscheidungsträ -gern die Gewißheit geben, daß sie ihre Strategien auf eine tragfähigeBasis gründen können.

    Die Festlegung einer Ernährungsstrategie (eines Handlungsplansfür die Nahrungsmittelversorgung, bei dem gesundheitliche Fragenberücksichtigt werden) ist eine komplizierte Aufgabe. Sie setzt vor-aus, daß man alle für die Nahrungskette wichtigen Faktoren versteht.In allen Mitgliedstaaten der Region gibt es bereits irgendeine Formder Lebensmittelpolitik, die eine unbeabsichtigte Wirkung auf dieGesundheit der Bevölkerung hat. Eine explizite staatliche Ernäh-rungspolitik macht es dagegen notwendig, daß man eine Lebensmit-telpolitik mit eindeutigen gesundheitlichen Zielvorgaben entwickelt.Im Rahmen des Ernährungsprogramms des WHO -Regionalbüros fürEuropa soll die Ernährungspolitik einiger ausgewählter europäischer

    2

  • Lander beleuchtet werden, und zwar in der Hoffnung, daß dadurchandere Lander der Region angeregt werden, ihre eigenen Ernährungs-strategien zu entwickeln, was dann wiederum evtl. zu einer staatli-chen Ernährungspolitik führen kann. Diese Klarlegung von einzel-staatlichen Strategien begann 1986.

    Trotz der mannigfaltigen Ernährungsgewohnheiten in Europabrauchen alle Bevölkerungsgruppen gewisse Nährstoffe, mit denensie versorgt werden müssen. Deshalb müßte man unbedingt, ausge-hend von diesen gemeinsamen Bedürfnissen, auf örtliche Gegeben-heiten zugeschnittene Ernährungsleitlinien erarbeiten. Diese Ernäh-rungsleitlinien müssen sich auf eine gründliche Kenntnis der örtli-chen Nahrungsmittelzusammensetzung gründen und auch gesell-schaftliche wie traditionelle Wertvorstellungen berücksichtigen.Grundlegend wichtig ist deshalb, daß man eine deutliche Vorstellungdavon hat, was unterschiedliche Gruppen der Bevölkerung tatsäch-lich essen.

    Unser gegenwärtiges Wissen über die Ernährung und die Nähr -stoffzufuhr verschiedener Bevölkerungen in Europa stützt sich aufzahlreiche, aus den unterschiedlichsten Gründen durchgeführte Ein-zelstudien. Es gibt keinerlei standardisierte Studien über den Nah-rungsmittelkonsum in ganz Europa, die sich zur Erstellung von ver-gleichbaren Daten über Nahrungsmittel oder Nährstoffzufuhr ausnut-zen ließen. Für internationale Vergleiche der Ernährungsgewohnhei -ten hat man deshalb oft Daten aus den Nahrungsmittelbilanzen derErnährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Natio-nen (FAO) benutzt. Diese Analyse auf Makroebene kann zwar bei derPlanung einer Lebensmittel- und Ernährungspolitik sinnvoll sein,kann aber nur einen groben Hinweis auf tatsächliche Ernährungsge-wohnheiten vermitteln, und außerdem hat dieser Ansatz verschiedenemethodische Schwächen. Eine solche Analyse zeigt allerdings dieStruktur der Nahrungsmittelverfügbarkeit und ihre zeitliche Trendent-wicklung. Ergänzend zu diesen Informationen wurden in der vorlie-genden Publikation, soweit möglich, genauere Ernährungsdaten be-nutzt.

    Das Buch ist eine Auftragsarbeit der WHO an eine kleine Gruppevon Ernährungsmedizinern und wurde im Laufe der Jahre 1985 und1986 geschrieben. Das Manuskript wurde verschiedentlich mit Ange-hörigen der potentiellen Leserschaft diskutiert, so daß Reichweiteund Darstellungsform modifiziert werden konnten. Zur grundsätzli-chen Beleuchtung des anzugehenden Problems stützte sich die Grup-pe auf zahlreiche unterschiedliche Quellen. Der Bericht enthält schließ-lich zusammenhängende Ernährungsziele, die den europäischen

    3

  • Regierungen einen Ausgangspunkt bieten, wenn sie an die Erarbei-tung ihrer eigenen Ernährungsstrategien herangehen. Ernährungs-richtlinien werden sich aber selbstverständlich von Land zu Landunterscheiden.

    Geschrieben wurde das Buch von Prof. W.P.T. James in Zusam-menarbeit mit Prof. A. Ferro- Luzzi, Rom, Italien, Prof. B. Isaksson,Göteborg, Schweden, und Prof. W.B. Szostak, Warschau, Polen.Gleichzeitig aber konnte man Nutzen ziehen aus den Anmerkungenund Ratschlägen zahlreicher anderer Fachleute der Bereiche Gesund-heitswesen, Gesundheitserziehung und Ernährung.

    Die hier vorgelegten Empfehlungen und geäußerten Ansichtengeben, soweit möglich, die Haltung staatlicher oder anderer offi-zieller Berichte wider. Die Autoren haben sich darum bemüht, dieAnsichten verschiedener nationaler Expertenausschüsse zu verarbei-ten, so daß das Endergebnis einen möglichst breiten Konsens dar-stellt. Die Beispiele, die diesen Konsens untermauern sollen,entspringen zwar unweigerlich der Erfahrung der Autoren, doch inden zum Ausdruck gebrachten Ansichten spiegeln sich die Auffas-sungen internationaler und nationaler Gremien.

    Zweck und Zielsetzung

    Das Buch soll denen lesbares Quellenmaterial bieten, die die Zieleeiner Ernährungspolitik in Europa festlegen. Es enthält außerdemeine kurze Zusammenfassung der Gründe, die Expertenausschüsseder WHO und der Mitgliedstaaten zu der Überzeugung führten, daßErnährungsfaktoren bei der Entstehung zahlreicher schwererer undfür die Gesundheit der europäischen Bevölkerung erheblicherKrankheiten eine entscheidende Rolle spielen. Das Material zumThema Ernährung und Krankheit bezieht sich hauptsächlich auf euro-päische Länder. Nichteuropäische Literatur wird immer dann einbe-zogen, wenn sie zur weiteren Klärung des Zusammenhangs zwischenNährstoffzufuhr und Krankheit beitragen kann.

    Dieses Buch sollte nicht als ein Beweis dafür gesehen werden,daß die Nahrung in der Ätiologie dieser Krankheiten den Hauptfaktordarstellt. Die Nährstoffziele wurden von Fachleuten festgelegt. IhrMaterial holten sie aus der klinischen Erfahrung, aus pathologischenAnalysen, Tierforschung, epidemiologischen Erhebungen, Kreislauf-studien und vielen Kontrollversuchen mit Krankenhauspatienten undBevölkerungsgruppen. Wenn durch dieses Material die genaue Funk-tion und die Bedeutung der Ernährung bewiesen wäre, hätte es kaum

    4

  • so vieler unterschiedlicher Bewertungen bedurft. Einige der sich ausdiesen Bewertungen ergebenden Empfehlungen wurden von einzel-nen Wissenschaftlern kontroversiell gedeutet, doch diese Fachleutebilden eine kleine Minderheit in Europa und Nordamerika. Der Be-richt versucht nicht, alle Kritikpunkte im einzelnen zu widerlegen,liefert aber auch nicht das den meisten der Empfehlungen zugrundeliegende Stoffwechselmaterial und die biochemischen Daten.

    Das Buch beschäftigt sich nicht mit anderen Aspekten der Präven-tivmedizin, wie der Notwendigkeit, die Menschen von der Unver-nunft des Rauchens zu überzeugen. Auch die Beibehaltung der kör-perlichen Aktivität im Erwachsenenleben gilt als wichtiger Faktor inder Erhaltung der Gesundheit und des Wohlbefindens des Menschen,wird hier aber nicht eingehend angesprochen. Der Nutzen körperli-cher Betätigung für die Gesundheit wurde an anderer Stelle debattiert(2). Das Buch konzentriert sich auf das epidemiologische Material zuErnährungsgewohnheiten und Krankheiten und auf die kontrolliertenErnährungsversuche, durch die Krankheiten in Teilausschnitten einerBevölkerung verhindert werden sollen. Letztlich müssen alle Vor-schläge zu Änderungen der Emährungsgewohnheiten in Bevölke-rungsausschnitten oder ganzen Bevölkerungen erprobt werden. DasBuch unterstreicht die Prävalenz der ernährungsbedingten Erkran-kungen in den europäischen Ländern und beschreibt, wie durch euro-päische Studien die Funktion der Ernährung mitbeleuchtet wurde.Vergleiche der gegenwärtigen Ernährungsgewohnheiten werden dannzu den langfristigen Ernährungszielen in Beziehung gesetzt, und aufder Grundlage einzelstaatlicher Empfehlungen werden zusammen-hängende mittelfristige Ziele entworfen. Diese mittelfristigen Zielescheinen sich eher für die nordeuropäischen Länder als für das übri-ge Europa zu eignen, da in diesen anderen Ländern die Nährstoff -zufuhr der für die Gesundheit optimalen Nährstoffzusammensetzungnäherkommt. Die pragmatischen Entscheidungen nationaler Aus-schüsse in diesen nordischen Ländern sind bedingt durch die land-wirtschaftlichen und ökonomischen Probleme, die durch schnelleund einschneidende Veränderungen der Ernährungsgewohnheitenentstehen würden.

    Die Veröffentlichung beschäftigt sich nicht mit jedem einzelnenErnährungsproblem, mit dem sich staatliche Entscheidungsträger inder Vergangenheit befaßt haben, und es kann auch nicht als Lehrbuchfür Ernährungsfragen gelten. Auch andere, üblicherweise in den Zu-ständigkeitsbereich von Ernährungswissenschaftlern fallende Fra-gen, wie die Lebensmittelsicherheit, sind hier ausgeschlossen. Nah-rungsmittelzusätze und Farbstoffe werden nicht erwähnt, da sie nur

    5

  • begrenzt ein Problem für die öffentliche Gesundheit darzustellenscheinen, es sei denn, man betrachtet Salz und Nitrite als Zusätze.Andere Zusätze, wie Antioxidantien und sonstige Konservierungs-stoffe, besitzen technischen Wert, sind aber für die Ernährung nichtdirekt relevant. Damit soll keineswegs geleugnet werden, daß es idio-synkratische Reaktionen auf Lebensmittelzusätze und Nahrungs-mittelkomponenten gibt oder sich die Bevölkerung in vielen LändernSorgen über den Einsatz von Lebensmittelzusätzen und Farbstoffenmacht. Auch viele Vitamin - und Mineralmangelerscheinungen sinddurchaus von allgemeinem Interesse, sind aber für die öffentliche Ge-sundheit in Europa weit weniger wichtig als die hier erörterten Krank-heiten.

    Über Ernährungsfragen herrscht in der Öffentlichkeit und unterden Gesundheitsberufen vieler Länder heute große Verwirrung. Oftglaubt man noch immer, spezielle Nahrungsmittel hätten besondereund geheimnisvolle, gesundheitsförderliche Wirkungen. Nur durchdauerhafte Aufklärung wird man hier zu rationaleren Ansichtenerziehen können. Es steht zu hoffen, daß das Buch zu einer ausge-wogeneren Diskussion von Ernährungsfragen beitragen kann.Wichtig ist eine deutliche Darstellung des modernen Wissens überErnährung, wobei man sich vor zu starken Behauptungen hütensollte. Die hier zusammengefaßten Erklärungen können, wenn sieverwirklicht werden, kein Allheilmittel für alle Krankheiten bieten,sie könnten aber maßgeblich dazu beitragen, die Morbidität und dieZiffer der frühzeitigen Todesfälle in vielen europäischen Ländern zusenken. Vorgelegt wird hier in Übereinstimmung mit Ziel 16 derWI-10-Regionalstrategie Gesundheit für alle" ein neues Konzeptder gesunden Ernährung.

    Das Buch läßt sich in vielfältiger Weise nutzen. Abbildung 1zeigt einige Möglichkeiten. Möglicherweise braucht man für unter-schiedliche Zwecke viele Kurzfassungen, insbesondere wenn mandie Konzepte einem breiteren Publikum nahebringen möchte.

    Terminologie: Ausgewogene, vernünftige odereinfach gesunde Ernährung?

    Eine ausgewogene Ernäluung bildet bereits seit vielen Jahren einwichtiges Thema in der Ernährungserziehung. Das Konzept der Aus-gewogenheit entstammt der Erkenntnis, daß eine angemessene Zu-sammensetzung der Nahrungsmittel zumindest den minimalen Be-darf des Körpers an Protein, Vitaminen und Mineralen gewährleisten

    6

  • Gesundheitserzieher I

    Abb. 1: Wie und von wem das Buch genutzt werden kann

    Ministerien für Agrar- undLebensmittelangelegenheiten

    Anweisungen fürpolitische

    Entscheidungsträger

    Gesundheitsberufein Aus- und

    Weiterbildung

    Ernährungswissenschaftlerin der Aus- undWeiterbildung

    r Schulbücher

    v

    Lebensmittelhersteller,Agrarverbände

    GesundeErnährung:

    Verhütung vonernährungsbedingten

    Krankheitenin Europa

    Lebensmittelpolitik undWirtschaftsplanung

    Berufsgruppen:

    KardiologenErnährungswissenschaftlerÄrzte in der primären

    Gesu ndheitsversorgungandere Fachbereiche

    Medien:Rundfunk, Fernsehen,Zeitungen, Illustrierte

  • muß. Eine Bedarfsdeckung ist weniger wahrscheinlich, wenn dieErnährung sich nur aus wenigen Nahrungsmitteln zusammensetzt.Wenn man dafür sorgt, daß unterschiedliche Nahrungsmittel konsu-miert werden, dann, so meint man, wird das Fehlen eines Nährstoffsin einem Nahrungsmittel dadurch ausgeglichen, daß ein anderesNahrungsmittel eben diesen Nährstoff reichlich enthält. Die ausge-wogene Ernährung entwickelte sich als Begriff also aus der Vorstel-lung, daß eine bestimmte Ernährung die Entstehung von Man-gelkrankheiten verhindern sollte. Wenn man variiert ißt, geht manzugleich auch sicher, daß eventuelle toxische Elemente in einem be-stimmten Nahrungsmittel nur reduzierte Auswirkungen haben.

    Es ließe sich durchaus die Meinung vertreten, daß der Rückgangin der Prävalenz von Mangelkrankheiten teilweise auf das in der Er-nährungserziehung ausgenutzte Konzept einer ausgewogenenErnährung zurückzuführen sei. Doch die Unklarheit bleibt, denn inder Öffentlichkeit, aber auch bei den Mitarbeitern in der Ernäh-rungserziehung meint man oftmals, eine ausgewogene Ernährungbedeute ganz einfach, daß man die Nahrungsmittel konsumiert, dieman zur Vermeidung von Vitamin -, Protein- oder Mineralmangeler -scheinungen braucht. Das aber sind nicht mehr die wichtigstenErnährungsprobleme in Europa. Entstanden sind dagegen andereKrankheiten, bei deren Ätiologie die Ernährung ein wichtiges Ele-ment bildet, und das trotz der Tatsache, daß in der Ernäh-rungserziehung das Ausgewogenheitskonzept weitgehend anerkanntist. Jetzt treten der WHO -Ausschuß und nationale Ausschüsse dafürein, die Ernährungsweise in vielen europäischen Ländern zu ändern,weshalb man möglicherweise von einem neuen Ansatz ausgehenmuß, mit dem sich die Implikationen der ausgewogenen Ernährungim üblichen Sinne vermeiden lassen.

    Ein anderer, in vielen Ländern beliebter Ausdruck ist der Begriffder vernünftigen Ernährung. Es scheint sich dabei um einen ganz ein-fachen Gedanken zu handeln, da aber die Menschen aus vielen nichtvernünftigen Gründen essen, könnte es unklug sein, diesen Ausdruckzu benutzen. Gleichgültig aber, welche Terminologie man benutzt,eine stärkere Variation in der Nahrungsmittelzusammensetzung dürf-te kaum etwas an den Krankheitsmustern ändern, wenn die unter-schiedlichen Nahrungsmittel auch weiterhin einen hohen Gehalt anFett, gesättigten Fettsäuren, Zucker oder Salz enthalten. Heute gehtes vor allem darum, den prozentualen Anteil bestimmter Nah-rungsmittel am Verbrauch zu ändern und neue Lebensmittel-erzeugnisse mit hoher Nährstoffdichte einzuführen, während manauch weiterhin dazu auffordert, so variiert wie möglich zu essen.

    8

  • Für diesen neuen Ansatz in der Gesundheitserziehung wurdenbisher verschiedene Begriffe vorgeschlagen. In den Vereinigten Staa-ten hat der Ausdruck prudent diet" (wohlüberlegte Ernährung)Anklang gefunden, doch wie die vernünftige Ernährung, so hat auchdieser Ausdruck Konnotationen von Disziplin und Beschränkung,was möglicherweise nicht sonderlich hilfreich ist. Vielleicht wäre derBegriff gesunde Ernährung nützlich, wenngleich durch den Ausdruckgesunde, variierte Ernährung möglicherweise besser zum Ausdruckkäme, daß man variiert essen muß, während gleichzeitig noch ein an-derer, positiver Gedanke vermittelt würde. Als weitere Möglichkeithat der Food and Nutrition Board der Akademie der Wissenschaftender USA den Begriff healthful diet" (etwa: gesundheitsförderliche,bekömmliche Ernährung) vorgeschlagen.

    9

  • 1

    Ernährungsgewohnheitenin Europa

    Traditionen und kulturelle Mannigfaltigkeit

    Reisenden ist bereits seit Jahrhunderten die außerordentliche Man-nigfaltigkeit der Ernährungsgewohnheiten auf dem europäischenKontinent aufgefallen. Die herkömmliche Küche verschiedenerLänder bildet ein wesentliches Kennzeichen ihrer Kultur und wurdeüber viele Generationen hinweg weiterentwickelt und verfeinert. Daman die heimischen Erzeugnisse so gut wie möglich ausnutzen undfür eine variierte Ernährung sorgen mußte, entwickelte sich daraushäufig ein Können im Hinblick auf unterschiedliche Gerichte. DieSitten und Gebräuche bei der Haltbarmachung und Verarbeitung vonNahrungsmitteln, beispielsweise bei der Fermentation von Milch, beider Herstellung von Käse und bei der Zubereitung und Darbietung derNahrungsmittel sind oftmals so ortsspezifisch, daß eine Reise durchein einziges Land eine Unzahl von Gerichten zutage fördern kann,von denen einige den Einwohnern anderer Landesteile ebenso wenigbekannt sind wie den Ausländern. Die traditionellen Gerichte zeigenauch eine deutliche jahreszeitliche Struktur, da sie davon abhängigsind, ob man Getreide, Obst, Gemüse und tierische Produkte bekom-men kann. Um mit dem Winter fertig zu werden, hat man an denverschiedenen Orten die unterschiedlichsten Strategien zur Erhaltungder Nahrungsmittelqualität gefunden. Sie werden getrocknet,gesalzen oder in anderer Weise konserviert. Die sich langsam imVolk herausbildenden Sitten dominieren oftmals die traditionelleNahrungsmittelkonservierung und -zubereitung, sie betonen spezi-fische Methoden, mit denen man nicht nur die Schmackhaftigkeit derNahrung, sondern auch ihre Sicherheit und ihre gesundheitsförderli -chen Eigenschaften erhalten kann.

    11

  • Die Erkenntnis, daß für die Gesundheit nicht nur die Menge derNahrung, sondern auch ihre Art wichtig ist, durchzieht als wesentli-ches Kennzeichen die meisten Kulturen. Der angenommene Zusam-menhang zwischen Nahrung und Gesundheit bildete die Grundlageeines Großteils der medizinischen Praxis und des medizinischen Den-kens vor der Entstehung der modernen wissenschaftlichen Medizinund der medikamentösen Therapie. Die Entdeckung der Vitamineund der Auswirkungen von Mineralmangelzuständen zu Beginn die-ses Jahrhunderts bestätigte die weitverbreitete Überzeugung, daßeine verniinftig variierte Ernährung gut sei für das Heranwachsen ge-sunder Kinder und das Wohlbefinden von Erwachsenen. Die frühenwissenschaftlichen Erkenntnisse über die biochemische Funktion vonVitaminen und Mineralen fanden schnell Eingang in die medizinischePraxis und in die Gestaltung der staatlichen Lebensmittelpolitik.

    Die Einführung hygienischer Prinzipien im Gesundheitswesenwar so erfolgreich, daß schnell deutlich wurde, daß sich bakteriologi-sche und ernährungsbedingte Probleme in der Bevölkerung lösen lie-ßen, wenn man bakteriologisch verseuchte Nahrungsmittel vermiedund für eine ausreichend energie -, protein-, vitamin- und mineralhal-tige Ernährung sorgte. Die Ernährungsüberwachung, bei der man dasWachstum von Kindern verfolgte und das Gewicht und die Größe von

    Instrument, mitsich der Gesundheitszustand der Bevölkerung und die Auswirkungenvon Veränderungen in der nationalen Nahrungsmittelversorgungbeurteilen ließen. Diese anthropometrischen Messungen erwiesensich als genauerer Indikator der Ernährungsadäquanz als Statistikenüber die Todesursache von Kindern und Erwachsenen. Ende der 30erJahre gehörte zu vielen nationalen Ernährungsprogrammen und zurGesundheitsüberwachung die Sammlung von Statistiken über dieTodesursachen, die Emährungsgewohnheiten verschiedener Grup-pen innerhalb der Gesellschaft sowie über das Wachstum von Kin-dern und das Gewicht und die Größe von Erwachsenen.

    Nach dem Zweiten Weltkrieg durchlief Europa einen Zeitraumvon etwa 5 -10 Jahren, in dem die Nahrungsmittelversorgung knappausreichte, während sich der wichtige wirtschaftliche und industrielleWiederaufbau vollzog. Die Verhältnisse stabilisierten sich, die Aus-wahl und Qualität der Nahrungsmittelversorgung gewährleistete dieMinimalisierung von Emährungsmängeln. Danach lag etwa 25 Jahrelang das Schwergewicht auf der Beibehaltung dieses Fortschritts. Im-mer seltener diagnostizierte man offenkundige Vitamin - und Mine-ralmangelerscheinungen (Eisenmangel bildet hier eine Ausnahme),weshalb sich das Interesse an der Ernährungsüberwachung etwas

    12

  • abschwächte. Diese klassischen Techniken zur Überwachung desErnährungszustands wurden allerdings in den Entwicklungsländernaufgegriffen, wo ihnen bei der Ermittlung der Verteilung und der Artder medizinischen und ernährungsrelevanten Unterstützung nochimmer herausragende Bedeutung zukommt.

    Einige europäische Ärzte haben die traditionelle Praxisbestimmter Diäten für die Behandlung vieler Krankheiten wiedereingeführt, doch jetzt spiegelt sich in der Therapie die Weiterent-wicklung eines wissenschaftlichen Ansatzes. Die Ernährungsbera-tung erstand nur langsam wieder, denn in den letzten 40 Jahrenschienen die Antibiotika und andere Medikamente zur Bewältigungvon Krankheiten auszureichen und dominierten deshalb die medizi-nische Praxis. Die Praxis im öffentlichen Gesundheitswesen konzen-triert sich deshalb immer noch hauptsächlich auf gute Impfpro-gramme für Kinder, auf die Erhaltung von sauberem Wasser und dieeinwandfreie Lebensmittelversorgung, d.h. Nahrungsmittel ohneToxine und bakteriologische Kontamination, sowie auf die Bereit-stellung angemessener Betreuungsmöglichkeiten für die schnellwachsende Altenbevölkerung.

    Ernährungsüberwachung in Europa

    Angesichts der Tatsache, daß bereits innerhalb eines einzigen Landesso unterschiedlich gegessen wird, scheint jeder Versuch, die Fülle derInformationen über europäische Ernährung zu einer Synthese zubringen, ziemlich töricht zu sein. Zweifellos kann man der Komplexi-tät der kulinarischen Praxis keine Gerechtigkeit widerfahren lassen,denn dann müßte man die Länder einzeln analysieren und denjahreszeitlichen Nahrungsmittelkonsum auf regionaler oder geogra-phisch sogar noch enger begrenzter Ebene beobachten. Ebenso un-möglich wäre eine ausreichend lange, individuelle Überwachung desNahrungsmittelkonsums, die einen umfassenden Überblick über dieganzjährliche Zufuhr der Ernährungskomponenten von biologischerBedeutung liefern würde, wenngleich das die perfekte Antwort wäre.Andererseits wäre eine einfache Sammlung von Nahrungsmittelsor-ten unvollständig, da sich Ernährungsanomalien aus den unterschied-lichen Methoden der Nahrungszubereitung ergeben würden.

    Tabelle 2 erläutert die Hauptquellen der in der Ernährungsüber-wachung benutzten Ernährungsinformationen. Die auf der Nah-rungsmittelproduktion eines Landes basierenden Rohdaten werdenso modifiziert, daß sie die Nahrungsmittelimporte und -exporte

    13

  • Tabelle 2: Hauptquellen der Ernährungsinformation

    Teile der unter-suchten Daten

    Art der veröffentlichtenDaten

    Reichweite und Begrenzungender Erhebungsdaten

    Teile der untersuchtenNahrungskette

    Von den Landwirtschafts-ministerien gesammelteund von der FAO zusammen-gestellte Nahrungsmittel-bilanzen

    Marktdistribution Industriedaten

    Hausstandsbudget W irschaftsstatistiken

    Hausstandskonsum Hausstandserhebung überNahrungsmittelkonsum

    Individuelle Ernährung individuelle Nahrungsmittel -und Nährstoffzufuhr

    Berücksichtigt Privatproduktion,Importe und Exporte, sichändernde Nahrungsmittel-vorräte

    Begrenzt auf bestimmteSektoren

    Begrenzt auf die Ausgabenganzer Hausstände fürNahrungsmittel. Die Kostenbeziehen sich nicht auf denNährwert der Einkäufe.

    Ermöglicht oft nicht die Berück-sichtigung von anderswokonsumierten Nahrungsmitteln,Nahrungsmittelabfall geschätzt

    Zahlreiche Methoden unter-schiedlicher Rellabilität stehenzur Verfügung

    berücksichtigen. Sie werden jährlich von den meisten Land-wirtschaftsministerien gesammelt und an die Ernährungs- und Land-wirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) weitergege-ben, die diese Daten dann auf einer gemeinsamen Grundlage zusam-menstellt, standardisiert und in den Nahrungsmittelbilanzen vorlegt.In diese Zahlen fließen regionale und jahreszeitliche Schwankungenein. Sie berücksichtigen den bei der Vermarktung und Distributionder Nahrungsmittel anfallenden Abfall, nicht aber die bei der Zuberei-tung und beim Konsum im einzelnen Haushalt entstehenden Abfälle.Sie überschätzen deshalb die Gesamtnahrungszufuhr erheblich.

    Andere statistische Informationen entstammen Marktuntersu-chungen sowie Hausstandserhebungen und Untersuchungen zumNahrungsmittelkonsum von Haushalten. Sie stellen jede für sicheinen verfeinerten Indikator der Nährstoffzufuhr und der Ernäh-rungsgewohnheiten dar, können aber qualitativ nicht mit den Daten

    14

  • konkurrieren, die über den Nahrungsmittelkonsum von IndividuenAuskunft geben. Trotzdem läßt sich das Gesamtspektrum von natio-nalen Ernährungsgewohnheiten illustrieren, wenn man alle Nah-rungsmittelquellen nach Ländern zusammenstellt und sie auf die je-weilige Bevölkerung bezieht. Diese Daten findet man in den Nah-rungsmittelbilanzen der FAO.

    Europäische NahrungsmittelversorgungNeuere Statistiken der FAO zeigen erstaunliche Unterschiede in derNahrungsmittelversorgung verschiedener Länder (3). Das läßt sichausdrücken, indem man einfach die Daten neu berechnet, so daß sieden Anteil verschiedener Nahrungsquellen an der Gesamtnah -rungsenergie zeigen. Abbildung 2 zeigt den nach Ländern geglie-derten Anteil der Energie aus Gemüse - und Tierprodukten sowie ausAlkohol. Einige Länder der Europäischen Region der WHO habenkeine so darstellbaren Daten, doch die Deckung reicht aus, geogra-phische Unterschiede deutlich zu machen. In den nordeuropäischenLändern und im Vereinigten Königreich liegen die pflanzlichenErzeugnisse am niedrigsten, was möglicherweise die klimatischenBeschränkungen für den Anbau von Getreide, Wurzelfrüchten, Obstund Gemüsen widerspiegelt. Im Gegensatz dazu wird die Ener-giezufuhr in den Mittelmeerländern und im östlichen Teil von Europavorzugsweise aus pflanzlichen Quellen gespeist, die tierischen Pro-dukte machen hier nur einen kleineren Teil aus.

    Ein ausführlicheres Bild dieses Phänomens läßt sich aus Abb. 3entnehmen, die den Umfang des Obst - und Gemüsekonsums in ver-schiedenen Ländern darstellt. Wurzel- und Knollengewächse wurdenaus der Gemüsekategorie willkürlich ausgeschlossen. Es bestehendeutlich sichtbare Unterschiede in der Verfügbarkeit von Obst undGemüse; den Griechen steht dreimal mehr zur Verfügung als denMarokkanern. Diese Unterschiede spiegeln sich sowohl im Obst- wieim Gemüsekonsum wider, wenngleich sich die Gewichtung der ver-schiedenen Quellen in den einzelnen Ländern stark unterscheidet.Wie zu erwarten war, leistet das Obst jedoch einen größeren Beitragzur Energiezufuhr als das Gemüse.

    Schaut man sich frühere Nahrungsmittelbilanzen an, so wirddeutlich, daß sich die Nahrungszufuhr während der letzten 20 Jahre invielen Ländern auffällig verändert hat. Verdeutlicht wird das durchAbb. 4, die zeigt, wie sich der Konsum von ausgewählten Nah-rungsmitteln in Dänemark, Portugal, Schweiz und Ungarn (ein Landaus jeder der willkürlichen Gruppierungen in Abb. 2) gewandelt hat.

    15

  • Abb. 2: Gesamtenergie pro Kopf und Tag aus pflanzlichenund tierischen Erzeugnissen und Alkoholprodukten

    in europäischen Ländern, 1979 -1981

    0

    Energie (kcal pro Kopf und Tag)

    1000 2000 3000 4000i I I I

    IslandFinnland

    Schweden- Dänemark

    Malta

    Vereinigtes Königreich

    - Schweiz- NiederlandeNorwegenDeutschland, Bundesrepublik

    Frankreich

    STschechoslowakeiUngarn

    LuxemburgPolen

    Österreich

    Deutsche Demokratische Rep.Irland

    Marokko

    SpanienUdSSRRumänien

    Portugal

    Türkei

    Pflanzliche Erzeugnisse

    JugoslawienItalienGriechenland

    - BulgarienTierische AlkoholErzeugnisse

    Anmerkung: Diese Daten könnten Fehler und Näherungswerte enthalten.

    Quelle: Food balance sheets, 1979 -81 average (3).

    16

  • Abb. 3: Energie aus Obst und Gemüse in europäischen Ländern,1979 -1981

    Energie (kcal pro Kopf und Tag)

    0 100 200 300

    1

    1

    1

    1 f I

    MarokkoIsland

    TschechoslowakeiFinnlandUdSSR

    I

    DänemarkPolen

    I Vereinigtes KönigreichI Schweden

    I Norwegen1 Deutsche Demokratische Republik

    Niederlande1 Malta

    I IrlandJugoslawien

    I FrankreichI Ungarn

    Belgien und LuxemburgRumänienI PortugalI Deutschland, Bundesrep.

    BulgarienOsterreichI Schweiz

    I SpanienI Italien

    I TürkeiGriechenland

    Gemüse Obst

    Anmerkung: Diese Daten könnten Fehler und Näherungswerte enthalten.

    Quelle: Food balance sheets, 197981 average (3).

    Im allgemeinen hat die Produktion von Getreide, Wurzel- und Knol-lengewächsen für den menschlichen Verzehr abgenommen, währenddie Produktion von tierischen Erzeugnissen wie z.B. Fleisch ständiggestiegen ist. Obst und Gemüse stehen immer mehr zur Verfügung,doch obwohl die Nahrungsmittel immer leichter in alle GegendenEuropas gelangen, bietet sich dem Betrachter noch immer ein breitesSpektrum der Ernährungsgewohnheiten.

    Diese Informationen wurden Daten entnommen, die ihrerseits ausNahrungsmittelbilanzen stammen. Man könnte dagegen einwenden,

    17

  • Abb. 4: Veränderungen in der Zufuhr von ausgewähltenNahrungsmitteln in Dänemark, Portugal, Schweiz und Ungarn

    (pro Kopf und Tag)

    1400-

    1200

    1000

    Y600

    600 -I

    1981-65

    240

    200

    m 160Y

    120

    Getreideprodukte

    600

    500

    400

    ° ° 300

    I I I I I 1 I1967 1969 1971 1973 1975 1977 1950 200

    Jahr

    Wurzel -und Knollengewächse

    Fleisch und Innereien

    1961- 851967 1969 1971 1973 1975 1977

    Jahr

    140

    120

    loo

    E

    E 60

    c2

    60

    -° '--" -----° 4060 - I I I I 1 I I1961-85 1967 1989 1971 1973 1978 1977_ 1980

    Jahr

    Dänemark

    Ungarn

    Tierische Ole und Fette

    I

    1981-86 1967 1969 1911 1973 1975 1977 1990

    Jahr

    Schweiz n- - - - --0

    Portugal

    Quelle: FAO food balance sheets (1961- 1980).

    daß die Daten irreführend seien, da der Anteil an der Nahrungsener-gie aus einigen tatsächlich konsumierten Nahrungsmitteln ganz an-ders aussehen könnte, als sich aus diesen Bilanzen schließen läßt. Dastrifft für viele Lander zu. Beispielsweise ist die Menge der Nahrungs-energie aus Fettstoffen in den polnischen und maltesischen Nah-rungsmittelbilanzen unterbewertet und wird in der schwedischen

    18

  • Nahrungsmittelbilanz überschätzt. Doch wenn Nahrungsmittelbilan -zen auch Fehler hinsichtlich des Energieanteils aus Fett, Protein undKohlenhydraten enthalten (weil sie die Nahrungsmittelabfälle in derMarketingkette und im einzelnen Haushalt nicht berücksichtigen), soliefern sie dennoch ein nützliches Bild von Tendenzen des Nahrungs-mittelkonsums. Die Daten haben zwar ihre Begrenzungen, trotzdemaber zeichnet sich ein Gesamtbild für Europa ab. Die Ernäh-rungsgewohnheiten wandeln sich in allen Ländern, und in den mei-sten, wenn nicht sogar in allen Ländern, zeigt sich eine fallendeTendenz im Konsum von Getreide, Wurzel- und Knollengewächsen,wohingegen die Energiezufuhr aus animalischen Quellen steigt.

    Es wächst das Bewußtsein dafür, daß Ernährungetwas mit Gesundheit zu tun hat

    Diese Unterschiede in der heutigen und früheren Nahrungsmittelver-sorgung sind zwar interessant, doch ihre Bedeutung für die Ernährungläßt sich erst dann interpretieren, wenn man weiß, welche Ernäh-rungsfaktoren hauptsächlich an der Erhaltung der Gesundheit und derVerhütung von Krankheiten beteiligt sind. Mitte der 60er Jahre zeig-ten sich allmählich Beweise für die Annahme, daß normalerweisenicht mit Fehlernährung in Zusammenhang gebrachte Krankheitenihren Ursprung in der Ernährung hatten. Das galt vor allem für diekoronare Herzkrankheit, die man in vielen Ländern in wachsendemMaße als wichtige Todesursache erkannte. Auch Fettsucht wurde sohäufig, daß sie ein wesentliches Problem für die öffentliche Gesund-heit bildete. Deshalb begannen sich Ernährungskonzepte zu wandeln.Ärzte und Biologen, die sich wissenschaftlich mit den physiologi-schen und biochemischen Grundlagen von chronischen degenerati-ven Erkrankungen befaßten, erkannten allmählich, daß die Nährstoff -zufuhr im Zusammenhang stehen könnte mit zahlreichen Risikofak-toren und mit der Entstehung so unterschiedlicher Leiden wie koro-nare Herzkrankheit, Gallensteine und Dickdarmkrebs. Man hielt jetztErnährungsexzesse, aber auch beispielsweise Jod - und Eisenmangel -zustände für untersuchenswert. Außerdem aber erwachte erneut dasInteresse am Konzept des Ballaststoffdefizits. Angeregt wurde diesesInteresse durch Ärzte, die aus Afrika und Asien zurückkehrten, wodie Ernährungsgewohnheiten so unterschiedlich und viele der wich-tigsten europäischen Krankheiten kaum zu finden waren, es sei dennin einer kleinen Gruppe von Wohlhabenden mit verfeinerten europäi-schen Eßgewohnheiten.

    19

  • Während der letzten 20 Jahre war ein Aufschwung in der Ernäh-rungsforschung zu beobachten. Die Erkenntnisse sind zwar noch un-vollständig, für viele staatliche Ausschüsse aber dennoch so überzeu-gend, daß sie nach Änderungen der nationalen Eßgewohnheiten ver-langen. Die Belege für die Bedeutung von Ernährungsfaktoren sindäußerst unterschiedlich und reichen selten aus, eine rigorose klini-sche Untersuchung zu rechtfertigen. Dennoch aber sind die damitverbundenen medizinischen Probleme so wichtig für die öffentlicheGesundheit, daß einzelstaatliche Expertenausschüsse und interessier-te Organe wie die WHO in dem Versuch, diese Probleme zu vermei-den, erhebliche Veränderungen in der Ernährung der europäischenBevölkerung empfohlen haben. Die Verhütung von Krankheit hatmittlerweile große Bedeutung erlangt, da immer mehr Leute von Lei-den betroffen werden wie Bluthochdruck, Herzkrankheit, Fettsucht,Gallensteine, Diabetes, Gebärmutterschleimhaut -, Darm - und Magen-krebs, was eine erhebliche Belastung des Gesundheitswesens darstelltund ungeheure Ressourcen verschlingt. Zudem interessiert man sichstaatlicherseits für diese Problematik auch deshalb, weil es wahr-scheinlich sehr viel billiger ist, die Menschen daran zu hindern, sichdiese Krankheiten zuzuziehen, statt sie zu behandeln.

    Abbildung 5 zeigt in einfacher Zusammenfassung die ganzeBandbreite der Leiden, die man zur Ernährung in Beziehung gesetzthat. Diese medizinischen Probleme werden in späteren Abschnittendieser Veröffentlichung analysiert.

    20

  • Abb. 5: Gesundheitsprobleme in Europa, die möglicherweiseetwas mit der Ernährung zu tun haben

    ERNÄHRUNGSMANGEL ERNÄHRUNGSEXZESS

    ? Calcium -4, BLUTHOCHDRUCK

    Fluoride -i ZAHNKARIES

    Jod -1 / KROPF

    ? EssentielleFette

    ? Vitamin C

    Ballaststoffe -

    ? Ballaststoffe -

    ? Calciumfluorid -i'IVitamin D -÷'Eisen, Folsaure

    BRUST-KREBS

    Salz, ? Fett

    Zucker

    Fett

    GesättigteHERZKRANKHEIT Fette

    LEBER F AlkoholMAGENKREBS ? Salz

    GALLENSTEINE FETT. Energiedichte Ernährung,SUCHT - Zucker, Fett, Alkohol

    DI

    DIABETES

    KOARMKRE ? Fett, Fleisch

    M.i1STDARMKRE ? Bier

    OSTE0P0 ROS

    STE0MALAZI

    ARTHRITIS

    ANÄMIE

    Anmerkung: Die Individuelle Anfälligkeit für die vorherrschende Ernährungist sowohl für Ernährungsmangel wie Ernährungsexzess wichtig. DieErnährungskomponenten wurden nur ansatzweise zu vielen der gezeigtenLeiden in Beziehung gesetzt.

    21

  • 2

    Das Problem fürdie öffentliche Gesundheit

    Man kann zur Verhütung einer Krankheit kein Konzept entwerfen,wenn man nicht zuvor realistisch versucht hat, ihre Prävalenz undihre Auswirkung auf Morbidität und Sterblichkeit zu beurteilen undsich zu überlegen, welche möglichen Konsequenzen fest umrisseneVorbeugemaßnahmen haben könnten. Leider gibt es nur sehr wenigestandardisierte Daten über die Morbidität der europäischen Bevölke-rung, die 1980 schätzungsweise 815 Mio. Menschen umfaßte (4).Deshalb stützen wir uns hier zunächst auf Sterblichkeitsdaten, die voreiniger Zeit von Brzezinski für das WHO -Regionalbüro für Europazusammengestellt wurden.' Zur Erläuterung der grundlegenden anzu-gehenden Probleme wurde eine begrenzte Auswahl dieser Daten vor-genommen.

    Erkrankungen im Säuglings - und Kindesalter sind nicht mehr dieGeißel Europas: Nur 3% aller Todesfälle entfallen auf Kinder unter15 Jahren (die ein Viertel der Gesamtbevölkerung bilden). Etwa 24%der Todesfälle fallen in die Gruppe der Männer und Frauen unter65 Jahren. Diese Todesfälle kann man ohne weiteres als zu früh be-trachten. Wenn ihre Ursachen bekannt sind, kann man Vorsorgemaß-nahmen entwerfen und treffen.

    Üblicherweise meint man, daß Vorsorge bei der älteren Bevöl-kerung (über 65 Jahre) fehl am Platze sein könnte. Einige einzelstaat-liche Ausschüsse (5) empfahlen, dieser Altersgruppe in der Präven-tivmedizin weniger Aufmerksamkeit zu widmen. Doch erst kürzlich

    a Brzezinski, Z.J. Regional targets in support of the regional strategy forhealth for all: epidemiological background. Kopenhagen, WHO -Regionalbüro fürEuropa, 1984 (unveröffentlichtes Dokument EUR/RC34 /Conf.Doc.15 ).

    23

  • gelangte eine WHO- Arbeitsgruppe° zu dem Schluß, daß man sichdarum bemühen sollte, über die Ernährung Herz- Kreislauf-krankheiten bei der Altenbevölkerung wie in den jüngeren Alters-gruppen zu verhindern, wobei man sich das Ziel gesetzt hat, dieGesundheit bis in das hohe Alter hinein zu erhalten, Behinderungenzu reduzieren und dadurch die Gesellschaft zu entlasten.

    Abbildung 6 und 7 zeigen, daß in den mittleren Altersgruppenund bei den älteren Männern und Frauen in den verschiedenen euro-päischen Ländern die Ziffer der frühzeitigen Todesfälle bis um dasDoppelte schwanken kann. Die Datengruppierung soll zudem illustrie-ren, daß in den Ländern mit hoher Sterblichkeitsziffer in den mittle-ren Altersgruppen auch die Sterblichkeitsziffer bei den alten Men-schen hoch liegt. Diese Daten gelten für Menschen bis zu 84 Jahren.Das erklärt zum Teil die deutlichen Unterschiede in der Zahl der sehralten Menschen in den verschiedenen Ländern und die unterschiedli-che Lebenserwartung bei verschiedenen Bevölkerungen. Beispiels-weise beträgt die Lebenserwartung in Griechenland für Männer73 Jahre, für Frauen 78 Jahre; in Ungarn dagegen liegt sie bei 66 Jah-ren für Männer und 73 Jahren für Frauen.

    Wichtige Krankheits- und Todesursachen

    Betrachtet man alle europäischen Lander zusammengenommen, sogeht aus Abb. 8 hervor, daß nach Abzug der Unfälle und Selbstmordedie Erkrankungen des Kreislauf - und Verdauungssystems zusammenmit den Neoplasmen die hauptsächlichen Todesursachen stellen.Brzezinski meinte, daß sich der Einfluß von durch die Lebensweisebedingten Krankheiten abschätzen lasse, wenn man aus der Analysedie Daten für Herz -Kreislaufkrankheiten, Atemwegserkrankungen,Krebs und Unfall herausnehmen und danach die Daten zur Lebenser-wartung neu berechnen könnte. Allein der Abzug der Herz- Kreislauf-krankheiten erhöht die durchschnittliche Lebenserwartung in Europaum sieben Jahre. Der Einfluß der übrigen Leiden ist weniger ausge-prägt.

    Medizinisch und epidemiologisch ist die Funktion der Ernährungbei einigen der vorherrschendsten Krankheiten in Europa, wie denHerz -Kreislaufkrankheiten und einigen Krebsformen, deutlich be-legt. Wissenschaftlich nachgewiesen ist die Bedeutung der Ernährung

    aNutrition in the elderly. Kopenhagen, WHO -Regionalbüro für Europa, 1987(unveröffentlichtes Dokument IRP/HEE 114.2.5).

    24

  • 1

    1

    1

    Abb. 6: Standardisierte Sterblichkeitsziffer pro 100 000 Einwohner,Männer, 1975 -1979, alle Ursachen

    35 -64 Jahre

    Ziffer pro 100000 Einwohner

    0 200 400 800 800 1000 12001 1 l 1 1 I I 1 1 I I

    1

    L

    1

    1

    1

    1

    1

    11 1

    1

    1

    11

    1

    1

    1

    1

    1

    1

    FinnlandUngarnTschechoslowakeiPolen

    SchottlandNordirland

    PortugalOsterreichItalienJugoslawienFrankreichRumänienBelgienIrlandDeutschland, BundesrepublikBulgarienEngland und Wales

    DänemarkSpanien

    NiederlandeNorwegenSchweizSchweden

    Griechenland

    65 -84 Jahre

    Ziffer pro 100000 Einwohner

    0 1000 2000 3000 4000 5000 8000 7000 8000I l 1 I 1 I I I 1 I I 1 I I 1 l 1

    1

    1

    1

    1

    1

    1

    J1

    1

    1

    1

    1

    SchottlandUngarnPortugalTschechoslowakeiNordirland

    FinnlandIrland

    ÖsterreichBelgienEngland und WalesPolenDeutschland, Bundesrepublik

    BulgarienJugoslawienRumänien

    ItalienNiederlande

    DänemarkSpanienFrankreich

    SchwedenSchweiz

    1 Norwegentriechenland

  • 1

    Abb. 7: Standardisierte Sterblichkeitsziffer pro 100 000 Einwohner,Frauen, 1975 -1979, alle Ursachen

    35 -64 Jahre

    Ziffer pro 100000 Einwohner

    100 300 500 7001 I 1 I 1 1 1

    1

    1

    1

    1

    1

    1

    SchottlandUngarn

    NordirlandIrlandRumänien

    TschechoslowakeiJugoslawienEngland und WalesPolenBulgarienDänemarkBelgien

    ÖsterreichDeutschland, BundesrepublikPortugal

    FinnlandItalienFrankreich

    SpanienNiederlandeSchwedenSchweizNorwegenGriechenland

    65-84 Jahre

    Ziffer pro 100000 Einwohner

    0 1000 2000 3000 4000 5000 60001 1 1 1 1 1 I 1 I 1 1 1 1

    1

    1

    i

    1

    1

    1

    1

    1

    1

    1

    1

    BulgarienUngarnRumänien

    JugoslawienPortugalTschechoslowakeiIrland

    NordirlandSchottland

    PolenÖsterreichBelgienDeutschland, BundesrepublikFinnlandEngland und WalesItalien

    SpanienGriechenlandDänemarkNorwegenSchwedenNiederlandeSchweizFrankreich

  • Abb. 8: Ursachen für den Verlust potentieller Lebensjahre bis zumAlter von 65 Jahren (neueste verfügbare Daten um 1980)

    Frauen

    4 Erkrankungen derAtemwege

    Externe Ursachen

    6 Alle übrigen Ursachen

    1 Erkrankungen desKreislaufsystems

    2 Neoplasmen

    Erkrankungen desVerdauungssystems

    27

  • auch für Leiden wie Kropf und Fettsucht. Diese Überlegungenbestimmten die Auswahl der gesundheitlichen Probleme, die in dervorliegenden Veröffentlichung diskutiert werden.

    Koronare HerzkrankheitDie meisten Todesfälle aufgrund von Herz -Kreislaufkrankheitenentfallen auf die koronare Herzkrankheit. Dabei zeigen sich auf demeuropäischen Kontinent erhebliche Unterschiede, was aus Abb. 9hervorgeht. Zu den regionalen Schwankungen hat man in letzter Zeitauch noch erhebliche Veränderungen in der Sterblichkeitsziffer fürdie koronare Herzkrankheit als solcher verzeichnen können. Abbil-dung 10 zeigt, daß in Ländern mit sehr niedriger Sterblichkeitszifferfür die koronare Herzkrankheit die Veränderungen der Sterblichkeits-ziffer prozentual ausgedrückt markant aufscheinen, auch wenn dieabsoluten Unterschiede nur geringfügig sind. Das Absinken derSterblichkeitsziffer in Finnland ist jedoch bemerkenswert, und derüber 50 %ige Anstieg der Sterblichkeitsziffer in verschiedenen ost-europäischen Ländern steht im deutlichen Widerspruch zu anderswozu beobachtenden Tendenzen. Diese Veränderungen sind unabhängigvon den Änderungen in der Internationalen Klassifikation derKrankheiten. Die steigenden Sterblichkeitsziffern in Osteuropa wer-den bereits seit einiger Zeit beobachtet (6,7). In Polen stieg diealtersbereinigte Sterblichkeitsziffer für die koronare Herzkrankheitzwischen 1969 und 1977 um 65% an, doch die polnische Sterblich-keitsziffer von 1979 betrug nur etwa die Hälfte der acht Jahre zuvorin der Tschechoslowakei beobachteten.

    Die deutlichen Unterschiede von Land zu Land bedeuten keineinheitliches Muster für das Auftreten der koronaren Herzkrankheitinnerhalb einer bestimmten Nation. Das geht aus Abb. 11 hervor, diedie Bandbreite der Sterblichkeit aufgrund der koronaren Herz-krankheit in verschiedenen finnischen Bezirken zeigt und deutlich zuBewußtsein bringt, daß ein nationaler Durchschnitt aus völlig unter-schiedlichen Krankheitsmustern innerhalb des einzelnen Landes er-rechnet wird.

    Die koronare Herzkrankheit unterscheidet sich von anderen indiesem Buch behandelten Krankheiten, da erhebliche Informations-mengen über Morbidität und Sterblichkeit jetzt durch die Bevölke-rungsregister zum Myokardinfarkt vorliegen, die Teil des WHO -Projekts für die multinationale Überwachung von Tendenzen undDeterminanten bei den Herz -Kreislaufkrankheiten (MONICA) bil-den (9). Für diese Register gelten standardisierte Verfahren zur Fest-stellung der jährlichen Inzidenzraten des akuten Myokardinfarkts in

    28

  • Abb. 9: Ischämische Herzkrankheit: standardisierteSterblichkeitsziffern pro 100 000 Einwohner, 1980

    Männer, 35 -64 Jahre

    Ziffer pro 100000 Einwohner

    Frauen, 35 -64 Jahre

    Ziffer pro 100000 Einwohner

    0 50 150 250 350 450 0 50100150

    1-SchottlandFinnland

    I Irlandj England und Wales

    I UngarnI Tschechoslowakei

    Norwegen

    IDanemark

    I SchwedenI NiederlandeI Polen

    IDeutschland, Bundesrepublik

    I Belgienj Österreich

    I Bulgarienj Italien

    I RumänienI Jugoslawienj Schweiz

    GriechenlandI Portugal

    SpanienI Frankreich

    SchottlandIrlandUngarnEngland und Wales

    TschechoslowakeiFinnlandDänemarkRumänienBulgarienJugoslawienBelgienÖsterreichSchwedenNiederlandeNorwegenPolenDeutschland, BundesrepublikItalienPortugal

    SchweizGriechenlandSpanienFrankreich

    vielen Gemeinden, von Perth in Schottland bis Tel Aviv, Israel. Es istwichtig, daß nicht nur die Mortalität, sondern auch die Morbiditätüberwacht wird, und zwar weil man festgestellt hat, daß in derBevölkerung mehr als zweimal so viele akute Myokardinfarkte auftre-ten, als dadurch verursachte Todesfälle zu verzeichnen sind. DerMyokardinfarkt ist nicht immer tödlich. Seine Inzidenz liegt deshalbsehr viel höher als die Sterblichkeitsstatistiken angeben. Abbildung12 zeigt, daß sowohl bei Männern wie bei Frauen in Städten vonWarschau bis Helsinki der Zusammenhang zwischen Morbidität undSterblichkeit aufgrund dieser Krankheit erstaunlich einheitlich zusein scheint. Zu den medizinischen und sozialen Problemen derkoronaren Herzkrankheit gehören deshalb nicht nur die der vorzeiti-gen Sterblichkeit, sondern auch die erheblichen Auswirkungen vonKrankheit und bleibender Behinderung.

    Durchgehend zeigt die statistische Analyse der Morbidität undSterblichkeit für ganz Europa, daß die Sterblichkeitsziffer für die

    29

  • Abb. 10: Durchschnittliche prozentuale Veränderung in der Sterb-lichkeit aufgrund von koronarer Herzkrankheit bei Männern

    im Alter von 40 -69 Jahren, 1968 -1977

    - 20 - 10 10 20T T

    Finnland

    Belgien

    Norwegen

    Niederlande

    Italien

    Schottland

    Schweiz

    England und Wales

    Deutschland, Bundesrepublik

    Österreich

    Tschechoslowakei

    Frankreich

    Nordirland

    Dänemark

    Schweden

    Ungarn

    Irland

    Rumänien

    Bulgarien

    Jugoslawien

    Polen

    Prozent

    30 40 50 60 70 80 eo

    1 T 1 1 1 1 I

    Anmerkung: Die prozentualen Angaben stützen sich auf die Richtungs-koeffizienten der linearen Regresslonskurverl, die mit den Sterblichkeits-trends in den sechs, fünf Jahre umfassenden Altersgruppen abgeglichenwurden.

    Quelle: Pisa u. Uemura (7).

    30

  • Abb. 11: Altersstandardisierte Sterblichkeit aufgrund der koronarenHerzkrankheit bei Männern im Alter von 35-64 Jahren

    in verschiedenen Bezirken von Finnland, 1979 -1981

    Vaasa79(79)

    TurkuPori86

    (78)

    0

    Lappi

    111(111)

    Keski-Suomi

    Hame85

    (90)

    114(118)

    usimaa95 (98)

    Oulu120(117)

    Kuopio120

    (128)

    Mikeli124(114)

    12ôymi(107)

    Nord-karelien

    128(142)

    Anmerkung: Die Werte sind im Verhältnis zu dem als 100 angegebenennationalen Durchschnitt aufgeführt. Die Angaben in Klammern entsprechenden 10 Jahre zuvor beobachteten Werten. Die Daten wurden neu berechnetund sind die durchschnittlichen Todesziffern für einen Dreijahreszeitraum.Die nationale Sterblichkeitsziffer aufgrund der koronaren Herzkrankheitbetrug 1969 -1971 504, 1979 -1981 dagegen 409.

    Quelle: Pyorala u.a. (8).

    31

  • Abb. 12: Korrelation zwischen der Anfallquote des akuten Myokard-infarkts, berechnet nach den Registern, und der Sterblichkeitsziffer

    aus Kategorie 410 der ICD (Achte Revision), nach den Angabender nationalen Bevölkerungsstatistiken: 55-64 Jahre

    mCLO

    ci,l,l

    OOOOââ

    NLublin-Co4-

    <

    20

    15

    10

    5*Nijmegen:

    WarschauLublinInnsbruck

    o MännerFrauen

    Nijmegeno Dublin0 0Boden

    Prago

    Warschau0 Budapesto Heidelberg

    0GöteburgoPerth Innsbruck

    B

    LondonpublinBudapest

    PraS1:GöteburgHeidelberg

    Londono

    oHelsinki

    Tampereo

    Pertho

    . . . . . . .

    0 1 2 3 4 5 8 7 8 9 10

    Todesfallziffer pro 1000 Einwohner

    Quelle: Lamm (10).

    koronare Herzkrankheit bei Frauen gefallen ist. Das Muster derHerzkrankheit bei Männern unterscheidet sich erheblich von dem derFrauen, die dadurch verursachte Sterblichkeit liegt in allen europäi-schen Ländern bei den Männern bedeutend höher (s. Abb. 9).

    Zerebrovaskuläre ErkrankungenBrzezinskia stellte fest, daß die zerebrovaskulären Erkrankungen diezweitwichtigste Ursache der kardiovaskulären Sterblichkeit stellen.Die Sterblichkeit aufgrund der koronaren Herzkrankheit und der

    a Brzezinski, Z.J. Regional targets in support of the regional strategy forhealth for all: epidemiological background. Kopenhagen, WHO -Regionalbüro fürEuropa, 1984 (unveröffentlichtes Dokument EUR/RC34 /Conf.Doc. /5).

    32

  • zerebrovaskulären Erkrankungen schwankt erheblich zwischen deneuropäischen Ländern, so wie auch die Krankheitsmuster. VieleLander mit einer hohen Sterblichkeitsziffer bei Schlaganfällen zeigeneine relativ niedrige Sterblichkeitsquote aufgrund der Herzkrankheit.Die unterschiedliche Inzidenz der koronaren Herzkrankheit und derSchlaganfälle bei Männern und Frauen zeigt sich sogar bei jungenLeuten und Erwachsenen der mittleren Altersgruppe, d.h. der Alters-gruppe zwischen 35 und 64 Jahren. Die Schlaganfallinzidenz wandeltsich in Europa, in den osteuropäischen Ländern steigt die Todeszif-fer, in Nordeuropa fällt sie (Abb. 13 und 14).

    In 17 Zentren benutzte man zur Beurteilung der zerebrovaskulä-ren Morbidität ein Gemeinderegister (11). In den sieben europäischenZentren reichte die jährliche Schlaganfallquote bei allen Altersgrup-pen von 1,5 bis 2,5 pro 1000 Einwohner, wobei die Inzidenz mit demAlter zunahm. Einige der deutlich gewordenen Unterschiede sindTabelle 3 zu entnehmen. In Dublin, Irland, betrug die Schlaganfall -quote bei Männern beispielsweise nur etwa zwei Drittel der Ziffervon Nordkarelien, Finnland.

    Wichtiger als die Gesamtzahl der Schlaganfälle sind vielleicht diedaraus folgenden Behinderungen. Eine WHO- Wissenschaftlergruppe(12) wies nach, daß 23% der Schlaganfallpatienten innerhalb einerWoche starben, weitere 25% starben innerhalb eines Jahres. Von denüberlebenden 52% hatten nach einem Jahr zwei Drittel bleibendeneurologische Defekte, 40% konnten sich nicht selbst versorgen. Nur20% kehrten ins Arbeitsleben zurück. Persönlich kommt das den ein-zelnen sehr teuer zu stehen, aber auch die Kosten für die Gemein-schaft sind erheblich, da ein Viertel der nach einem Jahr Überleben-den in den meisten europäischen Zentren im Krankenhaus verbleibt.

    Brzezinski stellte für die Europäische Region insgesamt währendder letzten beiden Jahrzehnte eine ständige Abnahme der Inzidenzvon zerebrovaskulären Erkrankungen fest, wobei die Zahl der Schlag-anfälle bei Frauen stärker fiel als bei Männern. Allerdings habennicht alle Länder an diesem positiven Trend teil, was Abb. 14deutlich macht. In den meisten Ländern bedeutete die Abnahme derSchlaganfallinzidenz bei Frauen eine deutlichere Akzentuierung derwachsenden geschlechtsspezifischen Inzidenz.

    Die sich wandelnde Schlaganfallinzidenz sowie die erheblichenUnterschiede in der Schlaganfallziffer unter den Ländern und in-nerhalb der Länder deuten darauf hin, daß wie bei der Herzer-krankung auch hier Umweltfaktoren für die sich wandelnde Quote derzerebrovaskulären Erkrankungen eine wesentliche Rolle spielen.Über mögliche Umweltfaktoren wird später noch zu sprechen sein.

    33

  • Abb. 13: Zerebrovaskuläre Erkrankungen: standardisierteSterblichkeitsziffer pro 100 000 Einwohner, Männer, 35-64 Jahre,

    1975 -1979

    Sterblichkeitsziffer pro 100000 Einwohner

    0 20 40 60 80 100 120 140

    Bulgarien -Portugal

    Tschechoslowakei

    Ungarn

    Malta

    Rumänien

    Finnland

    Schottland -Jugoslawien -Nordirland -

    Irland -Österreich -

    Italien -Spanien -

    Luxemburg -Polen -

    England und Wales -Frankreich --111

    Belgien -Griechenland

    Deutschland, BundesrepublikIsland --Schweden -Norwegen

    Dänemark --Niederlande --

    Schweiz

    i I

    34

    I I I I I

  • Abb. 14: Zerebrovaskuläre Erkrankungen: jährliche prozentualeVeränderung der standardisierten Sterblichkeitsziffer

    pro 100 000 Einwohner, Männer, 35-64 Jahre,1955 -1959 bis 1975 -1979

    Prozentuale Veränderung

    -4 -3 -2 -1

    I 1 1 1-

    Schweiz

    Frankreich

    Schweden

    Luxemburg

    Deutschland, Bundesrepublik

    England und Wales

    Finnland

    Italien

    Norwegen

    Schottland

    Nordirland

    Spanien

    Dänemark

    Österreich

    Island

    Griechenland

    Niederlande

    Irland

    Malta

    Ungarn

    Polen

    Jugoslawien

    Portugal

    Rumänien

    Belgien

    Bulgarien

    Tschechoslowakei

    0 1 2 3 4

    I 1 I I I

    35

  • Tabelle 3: Jährliche lnzidenz aller Schlaganfällepro 1000 Einwohner

    Land (und Gebiet) GeschlechtAltersgruppen (Jahre) Alle

    Alters -gruppen

  • Tabelle 4: Diagnosewerte für den oralen Glukosetoleranztest

    Glukosekonzentration, mmoVl (mg/dl)

    Blut Plasma

    venös kapillar venös kapillar

    Diabetes mellitusNOchternwert 2 6,7 120) 2 6,7 (2 120) 2 7,8 (2 140) 2 7,8 (Z 140)2- Stunden -Wert a a 10,0 (2 180) 2 11,1 (Z 200) 2 11,1 (z 200) 212,2 (2 200)

    Pathologische GlukosetoleranzNOchtemwert > 6,7 (

  • Tabelle 5: Prâvalenz des Insulinmangeldiabetes bei bestimmten Bevölkerungen, 1970 -1980

    Ort

    UntersuchteAltersgruppe

    (Jahre)

    BestâtgungsmethodePrâvalenz

    (pro 1000 Einwohner)

    China 10 -19 Erhebung 0,09

    Frankreich 0 -19 Zentralregister 0,32

    Japan 7 -15 Schuluntersuchungen 0,07

    Kuba 0 -15 Nationalregister 0,14

    Skandinavien 0 -14 Nationales Register vonKrankenhausaufzeichnungen 0,83 -2,23

    Vereinigtes Kbngreich 0 -26 Nationale Erhebung Obergesundheitlichen Zustandund Entwicklung 3,40

    Vereinigte Staaten 5 -17 Schuluntersuchungen 1,93

    Quelle: WHO Technical Report Series, Nr. 727, S. 103 (13).

  • Tabelle 6: Inzidenz des Insulinmangeldiabetes bei bestimmtenBevölkerungsgruppen, 1970 -1980

    Unter-suchungs-zeitraum

    UntersuchteAltersgruppe

    (Jahre)

    Inzidenz(pro 100 000

    Personen,Risikojahre)

    Finnland 1970 -1979 0-19 27

    Israel: Aschkenasim 1975-1980 0-20 6,3Nicht -Aschkenasim 1975- 1980 0-20 2,6

    Kanada (Toronto) 1976 -1980 0-18 9

    Niederlande 1978- 1980 0-19 11

    Schweden (Norden) 1973 -1977 0-14 38

    Vereinigtes Königreich (Schottland) 1968- 1976 0-18 14

    Vereinigte Staaten (Rhode Island) 1979 -1980 0-29 14

    Quelle: WHO Technical Report Series, Nr. 727, S. 103 (13).

    Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein einiger Gene in einerwichtigen Histokompatibilitätsgruppe und dem Diabetesrisiko besteht.So ist das Vorhandensein von HLA -DR3- und bzw. oder HLA -DR4-Allelen des Haupthistokompatibilitätskomplexes auf dem Chromo-som 6 ein Marker der genetischen Anfälligkeit gegenüber Insulin -mangeldiabetes. Es ist noch immer etwas ungewiß, welche Faktorenden Diabetes bei diesen genetisch anfälligen Personen fördern, all-mählich aber erhärtet sich die Vermutung, daß Virusinfektionen da-bei eine wichtige Rolle spielen.

    Für den nicht insulinabhängigen Diabetes wurde kein spezifi-scher genetischer Marker gefunden, doch aufgrund der hohen Kon-kordanzraten bei eineiigen Zwillingen spielt wohl auch hier eine ge-netische Basis eine Rolle. In Europa steigt jedoch die Prävalenz desnicht insulinabhängigen Diabetes mellitus (80% der Diabetiker in derBevölkerung) allmählich etwa ab dem Alter von 40 Jahren. Abbil-dung 15 zeigt die Gruppierung der Prävalenzraten in Europa. DieKlassifikation wurde erarbeitet, damit die deutlichen Unterschiede derDiabetesprävalenz im weltweiten Rahmen gezeigt werden konnten.Der Diabetes mellitus in der Europäischen Region zeigt eine einiger-maßen konsistente Prävalenzrate von 2 -5 %. Ausnahmen bilden hierMalta und Schweden, wo die Prävalenzrate bei Erwachsenen zwischen

    39

  • Abb. 15: Prävalenz des Diabetes mellitus in der Europäischen Region derWHO

    Quelle: WHO Technical Report Series Nr. 727, S. 105 (13).

    klilla

    izÎyjl!i1

    1 -2%

    2 -5%

    5 -10%

    10 -20%

  • 5 und 10% liegt, sowie Israel mit einer Rate von 10 -20 %. DieseZiffern liegen weit über den in Afrika festgestellten. Im allgemeinenscheinen die höchsten Raten unter Kaukasiern aufzutreten.

    KrebsBei den Krebstodesfällen in Europa sind die häufigsten Ursachen beiden Männern Krebs der Bronchien und der Lunge (33 %). Lippen -,Mundhöhlen -, Rachen -, Kehlkopf - und Speiseröhrenkrebs stelleninsgesamt 12 %, Magenkrebs 11 %. Intestinal-, Kolon- und Rectum -krebs sind für 8% verantwortlich, Krebs des lymphatischen undhämopoietischen Gewebes für 6 %. Andere Krebsformen (desGehirns, der Haut oder der Blase) machen die übrigen 30% der Krebs-todesfälle bei Männern aus. Bei den £trauen ergibt sich ein etwas an-deres Bild, bei ihnen ist nämlich der Brustkrebs die führendeKrebsform (24 %), danach kommen Intestinal -, Kolon - und Rectal-krebs (10 %). Bronchial- und Lungenkrebs sind für 8% verantwort-lich, auf den Magenkrebs entfallen 7 %, auf den Gebärmutterhals -krebs 6% und auf Krebs des lymphatischen und hämopoietischenGewebes 6 %. Für die übrigen 39% sind andere Krebsformen verant-wortlich.

    LungenkrebsRauchen stellt bei weitem den wichtigsten Faktor dar, der die Ent-wicklung von Lungenkrebs fördert. Ausgedehnte Untersuchungen inder ganzen Welt haben den Beweis für diese umweltbedingte Ursachevon Tod, Krankheit und Behinderung erbracht. In zahlreichen natio-nalen und internationalen Dokumenten sind diese Forschungsergeb -nisse zusammengefaßt. An dieser Stelle sollen deshalb keine weite-ren Ausführungen darüber gemacht werden, wenngleich angedeutetwurde, daß Ernährungsfaktoren möglicherweise die Auswirkungendes Rauchens beeinflussen. Eine höhere Karotinzufuhr hat mögli-cherweise einen Schutzeffekt (14).

    BrustkrebsDie bemerkenswerten Unterschiede in der Mortalitätsziffer aufgrundvon Brustkrebs in verschiedenen Teilen Europas gehen aus Abb. 16hervor. Die Brustkrebsziffer in Großbritannien und Irland ist mehr alsdoppelt so hoch als die in Osteuropa. Abbildung 17 zeigt die jährlichenprozentualen Veränderungen in den Standardsterblichkeitsziffernvon 1955 bis 1979. Die Sterblichkeitsrate nimmt im Vereinigten Kö-nigreich auch weiterhin zu, prozentual gesehen aber ist der Anstieg inOsteuropa und in den Mittelmeerländern weitaus höher. Auch hierwieder müssen Umweltfaktoren eindeutig äußerst wichtig sein.

    41

  • Abb. 16: Brustkrebs: standardisierte Sterblichkeitszifferpro 100 000 Einwohner, Frauen, 30-64 Jahre, 1975 -1979

    England und Wales

    Schottland

    NordirlandIrland

    Sterblichkeitsziffer pro 100 000 Einwohner

    0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50

    Dänemark

    Niederlande

    Belgien1

    Schweiz --

    Luxemburg

    Island

    Malta

    Deutschland, Bundesrepublik

    Ungarn l

    Italien I

    Österreich l

    Frankreich jNorwegen I

    Tschechoslowakei j

    Schweden j

    Portugal

    Finnland

    Polen

    Griechenland

    Spanien 1

    Bulgarien

    Jugoslawien1

    Rumänien1

    42

  • Abb. 17: Brustkrebs: jährliche prozentuale Veränderungen derstandardisierten Sterblichkeitsziffer pro 100 000 Einwohner,

    Frauen, 30-64 Jahre, von 1955 -1959 bis 1975 -1979

    Island

    Luxemburg

    England und Wales

    Niederlande

    Schottland

    Dänemark

    Irland

    Schweiz

    Belgien

    Nordirland

    Schweden

    Norwegen

    Malta

    Deutschland, Bundesrepublik

    Österreich

    Frankreich

    Italien

    Finnland

    Tschechoslowakei

    Ungarn

    Bulgarien

    Portugal

    Jugoslawien

    Griechenland

    Spanien

    Polen

    Rumänien

    Prozentuale Veränderung

    -2 -1 0 1 2 3 4 5 6 7 8

    43

  • SpeiseröhrenkrebsDie erheblichen Unterschiede in der Sterblichkeitsziffer für Speise -röhrenkrebs in den europäischen Ländern sprechen mit großerWahrscheinlichkeit für eine umweltbedingte Ursache. Die ausge-dehnten, in West - und Osteuropa durchgeführten Untersuchungenscheinen darauf hinzudeuten, daß diesem Leiden statt einer spezifi-schen Ursache eher verschiedene Ursachen zugrunde liegen. Bei-spielsweise stellte Cook- Mozaffari (15) in Gurjew, einer Stadt inKasachstan, UdSSR, eine dem nahegelegenen Iran vergleichbare In-zidenzziffer fest. Doch andere, nur 800 km weiter weg gelegeneStädte der UdSSR haben extrem niedrige Inzidenzraten. Tabelle 7zeigt ihre Zusammenstellung der Inzidenzangaben für Speiseröh-renkrebs bei Männern in Europa und eine Einschätzung des Inzi-denzverhältnisses bei Männern und Frauen. Wo immer möglich,werden nationale Angaben geliefert, wobei man jedoch die erhebli-chen Unterschiede zwischen den Gebieten einzelner Länder nichtaußer acht lassen sollte. Die um das Kaspische Meer in Kasachstanund im nordöstlichen Iran beobachteten Inzidenzwerte sind weltweitdie höchsten für eine bestimmte Krebsform in allgemeinen Popula-tionen. Sie entsprechen der Inzidenzziffer für Lungenkrebs bei lebens-langen schweren Rauchern in London.

    In Frankreich bestehen bis zu achtfache Unterschiede in derSterblichkeit aufgrund von Speiseröhrenkrebs, wobei vor allem inder Bretagne und in der Normandie besonders hohe Sterblichkeitszif -fern zu verzeichnen sind.

    Wie schon bei anderen Krebsformen gezeigt wurde, so gibt esauch bei der Inzidenz von Speiseröhrenkrebs zeitliche Trends zu be-achten, was sich der jüngsten Datenzusammenstellung über dieKrebsinzidenz in der UdSSR in Tabelle 8 entnehmen läßt.

    MagenkrebsTulinius (17) faßte die Sterblichkeitsziffer für Magenkrebs beiMännern zusammen und nahm eine Einstufung der europäischenLander vor (Tab. 9). Während des Zehnjahreszeitraums 1961 -1971stieg nur in Portugal und Jugoslawien die Sterblichkeitsziffer für Ma-genkrebs an. Die ansonsten fallenden Ziffern spiegeln einen fast uni-versalen Trend wider, sind aber äußerst unterschiedlich. Außerhalbvon Europa durchgeführte Untersuchungen zeigen die Bedeutungvon Umweltfaktoren. Beispielsweise ist die Sterblichkeit aufgrundvon Magenkrebs bei japanischen Immigranten der zweiten Genera-tion in Kalifornien weitaus niedriger als bei Japanern in Japan(Abb. 18). Japan hat die höchste Magenkrebsziffer der Welt, die

    44

  • Tabelle 7: Inzidenz von Speiseröhrenkrebs pro 100 000 Einwohner,Altersgruppe 35-64 Jahre in Europa,

    nach Untersuchungen zwischen 1966 und 1976

    Land oder Gebiet Männer VerhältnisMänner /Frauen

    OsteuropaBulgarien 2,5 a,b 2,0Deutsche Demokratische Republik 3,8 5,4Polen (Warschau) 9,7 4,0Rumänien 2,3 7,7Tschechoslowakei 3,3 a 5,4Ungarn (Vas) 2,7 9,0 C

    NordeuropaDänemark 3,7 4,1Finnland 8,1 1,8Island 3,4 1,8Norwegen (städtisch) 4,6 7,7Schweden 3,5 3,2

    SüdeuropaItalien 6,5 a 5,7Jugoslawien (Slowenien) 9,6 16,0Malta 3,4 8,5 °Portugal 11,5 a 3,7Spanien (Saragossa) 6,5 9,2

    WesteuropaBelgien 6,2 a 4,9Deutschland, Bundesrepublik (Hamburg) 3,7 3,4Frankreich (Bretagne und Normandie) 40,8 a,b 25,0Niederlande (drei Provinzen) 2,5 3,2Osterrelch 4,9 a 6,5Schweiz (Genf) 11,2 11,5Vereinigtes Königreich (Durchschnitt

    von sechs Registern) 5,6 1,4Südliche UdSSR

    Georgien (städtisch) 7,9 5,1Kasachstan (Gurlev) 547,2 1,6

    Westliche UdSSR (städtisch)Estland 15,0 a,b 7,2Litauen 5,2 a,b 2,4RSFSR 24,1 a,b 9,8Ukraine 10,7 a,b 3,5Weißrußland 9,3 a,b 3,6

    Außereuropäische LänderNordiran: Nordost -Gonbad 515,6 1,1

    Nordwest -Gilan 48,7 3,5Nordchina: Nordost -Honan 236,6 1,6

    Nord -Schansi 3,9 2,3

    ° Schatzung nach Sterblichkeitsdaten.b

    Schatzung nach einer anderen Altersgruppe.

    ° Inzkfenz auf der Grundlage von weniger als zehn Fallen.

    Quelle: Cook- Mozaffari (15).

    45

  • Tabelle 8: Inzidenz registrierter Krebsfälle pro 100 000 Einwohner, UdSSR

    1965 1970 1975 1980

    Männer Frauen Manner Frauen Manner Frauen Manner Frauen

    Lippe 13,6 2,0 12,1 1,7 10,8 1,6 9,5 1,4

    Speiseröhre 1,7 5,1 10,8 4,6 9,4 3,9 8,7 3,3

    Magen 62,1 33,4 57,4 28,9 53,9 25,3 47,2 21,0

    Rectum 3,6 3,5 4,7 4,3 6,3 5,3 7,8 6,1

    Bronchius, Luftröhre 37,7 5,6 43,2 6,1 49,3 7,1 5,0 7,1

    Haut 19,1 18,5 19,3 18,2 20,9 18,9 21,2 18,5

    Hàmopoietisches und

    lymphatisches Gewebe 6,3 4,0 8,9 5,8 10,3 6,6 10,4 6,8

    Brust 13,7 15,2 19,2 22,2

    Gebärmutterhals 26,2 21,4 18,7 16,2

    Alle Stellen 199,2 144,6 207,8 143,1 220,3 148,0 225,3 147,8

    Anmerkung: Bei den Angaben handelt es sich um (nach der Standardbevölkerung von Segi, UdSSR im Jahre 1966) altersstandardisierte jährliche Registri-

    erungszlffern pro 100 000 Einwohner far die gesamte UdSSR.

    Quelle: Napalkov u.a., Hrsg. (16).

  • Tabelle 9: Sterblichkeitsziffer für Magenkrebs bei Männernpro 100 000 Einwohner, standardisiert auf die Weltbevölkerung"

    Land 1961 1971 1981 -1984

    Belgien 30,6 22,7 13,4 a

    Dänemark 24,6 16,2 10,4c

    Deutschland, Bundesrepublik 39,6 30,0 19,7c

    Finnland 44,1 29,8 16,8d

    Frankreich 25,0 16,9 12,1 b

    Griechenland 15,6 13,6 10,8b

    Irland 24,2 22,1 15,0b

    Island 63,6 34,2 23,6d

    Israel (jüdische Bevölkerung) 19,7 17,3 10,0d

    Italien 34,1 30,0 21,8b

    Jugoslawien 22,3 22,4 20,7b

    Niederlande 31,1 22,8 16,4c

    Norwegen 29,4 21,1 14,5"

    Polen 41,3 38,2 27