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Gewinnbringendes Lachen? - OPUS 4 · 2.3 Komik 24 3. Lachen, Humor und Komik als Thema geisteswissenschaftlicher Betrachtung 27 3.1 Historischer Abriss der Humorforschung 27 3.2 Humor

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Gewinnbringendes Lachen?Humor als Humanfaktor zur

Erreichung von Unternehmenszielen

Inaugural-Dissertationin der Philosophischen Fakultät

und Fachbereich TheologieFriedrich-Alexander-Universität

Erlangen-Nürnberg

vorgelegt vonOliver Tissot

ausNürnberg

D 29

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Tag der mündlichen Prüfung: 3.2.2009

Dekan: �������� Universitätsprofessor Dr. Jens KulenkampffErstgutachter: ����Universitätsprofessor Dr. Gert SchmidtZweitgutachter: Universitätsprofessor Dr. Johann Handl

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Oliver Tissot

Gewinn-bringendes

Lachen?

Humor als Humanfaktorzur Erreichung von

Unternehmenszielen

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„Ein Tag, an dem du nicht lachst, ist ein verlorener Tag.“Charlie Chaplin

Für Tassilo, Titus und Tamino

Dank an meine Eltern, Paksiki, Sophie, Anja, Sibylle,Josua, Christina, Nadine.

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliographie.Detaillierte Angaben unter www.mv-wissenschaft.com© 2009 Oliver Tissot. Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-86582-853-8

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Inhaltsverzeichnis Seite

1. Einleitung 91.1 Einstimmung ins Thema 91.2 Aufgabenstellung 101.3 Persönlicher Bezug zum Thema 12

2. Begriffsbestimmung 172.1 Humor 172.2 Ethymologie und Historie des Begriffs Humor 222.3 Komik 24

3. Lachen, Humor und Komik als Thema geisteswissenschaftlicher Betrachtung 273.1 Historischer Abriss der Humorforschung 273.2 Humor als anthropologische Konstante 383.3 Soziologie des Lachens 403.3.1 Humor und Komik als geschlossener Sinnbereich 423.3.2 Humor als Grenzfall der Kommunikation 463.3.3 Das Prinzip der Ambivalenz beim Humor 493.3.4 Die soziale Dimension des Humors 513.3.5 Humor als Kommunikationsmedium 523.3.6 Humor als konsumierbarer Erlebniswert 56

4. Wirkung des Lachens 614.1 Intrapersonelle Effekte des Lachens 614.2 Interpersonelle Effekte des Lachens 684.2.1 Geschlechtsspezifische Unterschiede 724.2.2 Kulturspezifische Unterschiede 764.3 Strukturfunktionale Aspekte des Lachens 79

5. Die Grenzen des Humors 855.1 Ideologische Kritik gegenüber einer humorvollen Welt 855.1.1 Die lange Tradition der Humorlosigkeit 855.1.2 Gefährdung gesellschaftlicher Werte 875.2 Negative Auswirkungen von Humor und Komik 905.2.1 Humor als Waffe 90

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5.2.2 Missverständliches Lachen bei interkultureller Zusammenarbeit 935.2.3 Galgenhumor 97

6. Humor und Arbeitswelt 1016.1 Inhaltsanalysen 1026.1.1 Auswahl der Dokumente 1056.1.2 Stellenanzeigen 1056.1.3 Qualitätshandbücher 1106.1.4 Arbeitszeugnisse 1136.1.5 Werbeunterlagen 1166.1.6 Exkurs: Humor und Werbung 1226.2 Fallstudien 1256.2.1 Thuringia: Humor bei der internen Kommunikation während eines Fusionsprozesses 1266.2.2 Quelle Versand: Humor bei einem Führungs- und Strategiewechsel 1346.2.3 Getrag: Fortführung der humorvollen Unternehmenskultur des Firmengründers 1386.3 Interpretation der Untersuchungsergebnisse und Ausblick 140

7. Entwicklung einer Humorkultur in Organisationen 1477.1 Die Konstruktion einer idealtypischen Humorkultur 1487.2 Methoden der Organisationsentwicklung 1507.3 Personelle Methoden der Humorkultur- Entwicklung 1527.3.1 Vorgelebtes Führungsverhalten 1537.3.2 Spaßvermittlung durch externe Trainer und Berater 1597.3.3 Unternehmenstheater 1647.3.4 Institutionalisierung des Humors 1677.3.4.1 Historischer Exkurs: Der Hofnarr 1707.3.4.2 Der moderne Narr im Unternehmen 1757.4 Struktural-technologische Ansätze 1807.4.1 Artefakte 181

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7.4.2 Humorvolle Individualisierung des Arbeitsplatzes 1837.4.3 Ritualisierte Formen der Humorkultur 1877.4.4 Innovations- und Kreativitätstechniken, die Humor nutzen 191

8. Resümee 195

9. Literaturverzeichnis 201

Zusammenfassung 207

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„Der Mensch hat gegenüber den Widrigkeiten des Le-bens drei Dinge zum Schutz: die Hoffnung, den Schlafund das Lachen.”1

„Spaß ist ein anderes Wort für Freude, Lust, Motivati-on und Sinnhaftigkeit. Wer keinen Spaß an der Arbeithat, wird auf Dauer auch nicht leistungsfähig sein.Ohne den Spaßfaktor gibt es auch kein berufliches Er-folgserlebnis.”2

„Und ein ernstes Wort an die (...), die da glauben, überKomik schreiben zu müssen: Was nützt es euch, wennihr alle komischen Filme der Welt gesehen und jedwe-de Literatur darüber gelesen habt und all das lediglichzum Anlass nehmt, euch einschüchternd aufzuplus-tern? (...) Erzählt uns nicht dauernd, warum wir etwaskomisch finden sollen oder nicht mehr komisch findendürfen, verratet uns erst einmal furchtlos, worüber ihreigentlich noch lachen könnt oder müsst. Eine Theoriedafür wird sich dann immer noch finden. Und wennihr schon unbedingt ein humorloses Buch schreibenwollt: Muss es ausgerechnet eins über Komik sein?”3

1. Einleitung

1.1 Einstimmung ins Thema

Die Deutschen sind ein komisches Volk, - vor lauter Ver-bissenheit und Ehrgeiz zeigen sie, wenn's um Arbeit geht,ständig die Zähne, so dass man es fast für ein Lachen haltenkönnte. Es geht eben nicht um Belanglosigkeiten, sondern umein zentrales Lebensthema, wenn die Arbeit im Spiel ist. ImMittelpunkt der Überlegungen steht der Mensch. Und wo stehtder Mensch, wenn er im Mittelpunkt steht? Mitten im Wegnatürlich! Von da muss man ihn vertreiben! Deswegen gibt esin vielen Firmen einen Vertrieb. Wenn es richtig kompliziertzu werden droht, wird auch gern ein Ausschuss gebildet. Wassoll man aber davon halten, wenn mit dem Wort, das einenKreis kompetenter Fachleute bezeichnet, gleichzeitig Produkti- 1 Immanuel Kant, zit. aus: Dietzsch (1993), S. 132 Prof. Dr. Horst Opaschowski, in: Rieger (1999), S. 1373 Gernhardt (2000), S. 209

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onsabfall gemeint ist, der beim besten Willen zu nichts mehrzu gebrauchen ist? Um Ausschüssen mehr Gewicht zu verlei-hen, schließt man sich gerne in Verbänden zusammen. Auchhier stellt sich die Frage, warum eine Organisationsform nachmedizinischem Material benannt ist, das man bei Patientenbraucht, die große Wunden haben. Bei so viel Krankmachereiist es nicht verwunderlich, wenn sich die Hoffnung auf dieFührungskräfte richtet. Das Credo des Topmanagements lautetdemgemäß: Entweder die Mitarbeiter glauben an unsere Stra-tegie, oder sie müssen dran glauben!Über solche und ähnliche Kalauer wird im Wirtschaftslebengerne gelacht. Aber Spaß beiseite: Während sich Arbeits- undBetriebspsychologen, Wirtschaftssoziologen und Arbeitsmedi-ziner über Ökonomisches und Ergonomisches, Existenziellesund Essentielles den Kopf zerbrechen, ist ihnen die mensch-lichste aller Eigenschaften aus dem Blickfeld geraten: Das La-chen. Was der Volksmund weiß und Mediziner mittlerweilebestätigen, nämlich dass Lachen gesund ist, müsste auch imWirtschaftsleben dazu führen, dass das Lachen gefördert wird.Lachforscher, sogenannte Gelotologen, haben beispielsweisenachgewiesen, dass 10 Minuten Lachen so entspannend ist wieeine dreiviertel Stunde autogenes Training. So scheint schonallein aus Gründen der Effizienz, wie man Konzentration undLeistungsfähigkeit (zurück)gewinnt, das Lachen gewinnbrin-gend zu sein.

1.2 Aufgabenstellung

In Zeiten von Leanmanagement und Rationalisierungsmaß-nahmen erlebt man am Arbeitsplatz stetig wachsende Anfor-derungen und größere physische wie psychische Mehrbelas-tungen. Die Konsequenz sind größerer Stress und höhereFehlzeiten. Oft führt die Furcht vor Arbeitsplatzverlust aberauch zu Unflexibilität und ängstlicher Genauigkeit, die kon-struktive Kritik, Kreativität und Risikobereitschaft im Keimersticken lässt und somit zu Umsatzeinbußen führt.Lachen kann ein hilfreiches und willkommenes Ventil sein, umdiesem Druck und den Belastungen standzuhalten. Zum Bei-

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spiel nutzen international tätige Unternehmungsberatungs-firmen wie Playfair Inc. aus Amerika die positiven Auswirkun-gen von Spaß und Freude am Arbeitsplatz, um die Produkti-vität zu erhöhen und das Betriebsergebnis zu verbessern.4Immerhin verbringt ein Berufstätiger grob geschätzt 80.000Stunden seines Lebens im Büro. Dies entspricht etwa 5.000Konferenzen, 10.000 Mittagspausen und 20.000 Tassen Kaf-fee.5Ist Humor auch in deutschen Firmen ein ernstzunehmenderFaktor zur Steigerung des Unternehmenserfolgs? Wie wird dieentspannende, kreativitätsfördernde und menschliche Näheerzeugende Kraft des Lachens in Betrieben tatsächlich genutzt,um die 'human ressources' zu erhalten, Corporate Culture zupflegen oder Kommunikation zu fördern? Darum geht es indieser Arbeit: Die Bedeutung und Wirkung des Lachens für deneinzelnen Menschen wie für das Miteinander soll im erstenTeil erläutert werden. Im zweiten Teil folgen empirische Un-tersuchungen, um zu eruieren, wie wichtig das Lachen indeutschen Unternehmen genommen wird. Schließlich werdenim dritten Teil Möglichkeiten und Wege aufgezeigt, das Lachenund die Humorkultur im Wirtschaftsleben zu fördern. DerHinwendung zum Thema Humor im Wirtschaftsleben liegt dieThese zugrunde, dass Lachen einen wesentlichen Beitrag dazuleisten kann, den Humanfaktor zur Förderung von Qualität,Innovationsfähigkeit und Flexibilität zu nutzen. Die Wahl ge-eigneter Strategien zur Lenkung der internen Betriebsfaktorenspielen für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen eineentscheidende Rolle. Erfahrungen aus dem betrieblichen Alltagzeigen hierbei, dass ohne das notwendige Engagement derMitarbeiter die vom Unternehmen angestrebten Ziele nicht mitder erwarteten Effizienz erreicht werden können.Wesentliches Ziel dieser Arbeit ist es demgemäß, den Einflussdes Faktors Mensch als 'lachender Mensch' auf die wirtschaft-

4 vgl. Weinstein (1999). Matt Weinstein ist Gründer und Inhaber von Playfair Inc. Seine in ganz Amerika ausgestrahlte Fernsehsendung 'Fun Works!' machte ihn zum führenden Experten für Spaß am Arbeitsplatz. Die in seinem Buch 'Management by fun' genannten Grundsätze und Vorschläge zum Spaß am Arbeitsplatz werden auch hier vorgestellt.5 Die Zahlen sind einer 'Hausmitteilung' der Zeitschrift "Die Woche" vom 25.1.2002 entnommen, die in dieser Ausgabe einen Extrateil "Leben, lachen und leiden im Büro" veröffentlichte.

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lichen Erfolgsparameter zu erfassen und zu analysieren. Dabeiorientiert sich die Perspektive neben der Auflistung der intra-und interpersonellen Effekte des Lachens auf die Beantwortungfolgender Fragen:• Welche Rolle spielt Humor tatsächlich als Managementin-strument zur Erreichung von Unternehmenszielen?• Gibt es aussagefähige Beispiele gelebter Unternehmenskultur,die Auswirkungen von Humor in der Praxis zeigen?• Gibt es eindeutige Zusammenhänge zwischen Merkmaleneiner Humorkultur und handfesten Qualitätsmerkmalen wiez.B. Fehlerhäufigkeiten oder Durchlaufzeiten?• Wie muss eine Humorkultur initiiert werden, um in der Pra-xis gelebt werden zu können und Akzeptanz zu finden? Hu-mor lässt sich schließlich nicht verordnen.• Welche Mittel können zum zielorientierten Einsatz des Hu-manfaktors Lachen eingesetzt werden?

Zur wissenschaftlichen Untersuchung der praktizierten Hu-morkultur in Unternehmen habe ich Einzelfallanalysen ge-wählt, die exemplarisch Möglichkeiten zeigen, mit Humorein-satz wirtschaftliche Ziele zu verfolgen. Da so nur punktuelleEinblicke möglich sind, verdichte ich diese gewonnenen Er-kenntnisse zu einem idealtypischen Modell des Humoreinsat-zes. Dies soll ermöglichen, die Wirkung von Humor unabhän-gig von individuellen und unvergleichbaren Rahmen-bedingungen einzelner Unternehmen und deren Unterneh-menskulturen transparent zu machen. Zum anderen nutze ichdiesen Idealtypus als "Baukasten" an Empfehlungen, um dieEtablierung einer Humorkultur konkret und konstruktiv anre-gen zu können.

1.3 Persönlicher Bezug zur Arbeit

Das Thema dieser Arbeit kommt nicht von ungefähr. Ich binseit Jahren als Kabarettist und Comedian tätig, hauptsächlichfür Firmen und Organisationen. Unter dem Stichwort "Busi-ness-Comedy" bin ich bei Agenturen gelistet, werde von Kun-den weiterempfohlen und habe so in den letzten fünf Jahren

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über 700 Auftritte absolviert, bei Großkonzernen, Behörden,Mittelständlern, Kleinbetrieben, der katholischen Kirche undeinem Selbsthilfeverein von Prostituierten genauso wie imParlament und auf Symposien und Wissenschaftskongressen.Interessant sind vor allem die Auftritte im und für das Wirt-schaftsleben.Bei betriebsinternen Veranstaltungen ist immer wieder zu be-merken, wie mit einem treffenden Scherz eine gespannte At-mosphäre gelöst werden kann, wie Lachen befreit und verbin-det. Auslöser für die Beschäftigung mit Humor alsHumanfaktor war sicher die Erfahrung, dass Humor nicht nureingesetzt wird, wenn es etwas zu feiern gibt. Gerade Krisen,Kommunikationspannen oder jeglicher 'Sand im Getriebe' sindGelegenheiten, bei denen gemeinsames Lachen Mut macht,Hoffnung sät und Vertrauen schafft. Es scheinen die humor-vollen Abweichungen vom üblichen Ablauf zu sein, die iden-tifikationsstiftend sind und ein 'Wir-Gefühl' aufkommen las-sen. Das beginnt damit, dass eine abstrakte, 'fleischlose'Institution mit Leben gefüllt werden muss, um sich als Mit-glied voll für sie einsetzen zu können; und das geschieht meistlachend. Die Skurrilitäten und Absonderlichkeiten im Charak-ter und Verhalten der Vorgesetzten beispielsweise prägen undkennzeichnen eine Firma im Bewusstsein der Mitarbeiter oftstärker als so manch werblich in Szene gesetzte Corporate Iden-tity. Das Menschliche, das sich in Witzen, Anekdoten und Fir-menschwänken äußert, transportiert einen Gutteil der Firmen-philosophie oder Leitbilder, - mehr oft als die vonWerbeagenturen verfassten Texte. Die mir in Vorbesprechun-gen für meine Auftritte ausgehändigten Imagebroschüren undLeitbilder sind bezüglich der Aussagen über Kunden-, Quali-täts- und Innovationsorientierung oft austauschbar. Formu-lierungen gleichen sich, Phrasen im gestelzten Werbedeutschwerden zu oberflächlichen Aussagen aneinandergereiht.Geschichten und persönliche Impressionen hingegen sind ori-ginell und originär, werden erinnert und, im Gegensatz zu denInhalten der gedruckten Werbemittel, von den Mitarbeiternim Unternehmen kommuniziert. Als Beispiel, wie Werte unddas Selbstverständnis einer Firma im Handeln seiner Mitar-beiter transparent werden können, sei folgende Begebenheit

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aus einer Firmengeschichte erzählt. Anlässlich der Vorberei-tungen zum Jubiläumsfest einer Firma, die seit 50 JahrenSchutzschalter herstellt, wurde mir eine Anekdote präsentiert,die über 20 Jahre zurückliegt, aber von Mitarbeitern nochheute gerne erzählt wird. Die Firma hatte damals auf einerLuftverkehrsmesse einen Stand, der von einem russischen Ge-neral besucht worden war. Einen neuen Schalterprototyp fürden Einsatz in Düsenjägern hat der hochrangige Militär in dieTasche gesteckt und den Stand verlassen. Ein Firmenmitarbei-ter folgte dem General und bat ihn um Herausgabe des Bau-teils. Erst als er das Teil wieder in Händen hatte, überkam ihndie Sorge, sich sehr undiplomatisch verhalten und durch dieBloßstellung eines ranghohen Vertreters aus dem „feindlichen,kommunistischen Lager” einen womöglich weit reichendenFehler begangen zu haben. Als der General mit Verstärkung, inBegleitung seiner Attachés, zurückkehrte, fürchtete der Mitar-beiter um Ruf und Aufträge; - völlig unbegründet. Denn mit-tels Dolmetscher zollte der Militär seinen Respekt vor derCourage des Mitarbeiters. Diese Begebenheit zeugt vom Einsatzdes Mitarbeiters für sein Unternehmen, von Entscheidungs-freude, Spontaneität und Tugendhaftigkeit und schließlich vonVölkerverständigung über gemeinsame Werte - und aufgrunddes unerwarteten Endes löst sie Heiterkeit aus.Das ist ein Wesensmerkmal des Humors, wie Immanuel Kant esschon beschrieben hat: „Das Lachen ist ein Affekt aus derplötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung insNichts.”6 Diese Geschichte hat mehr Substanz als nüchternformulierte Unternehmensgrundsätze, denn sie dokumentiertgelebtes Verhalten, statt abstrakte Forderungen ohne Hand-lungsrelevanz paragraphenartig zu proklamieren. Dennochwerden solche Begebenheiten nicht systematisch gesammelt,auch nicht in Firmenchroniken veröffentlicht. Solche Ge-schichten erfahre ich mündlich, lese sie aber nie in gedrucktenUnternehmensunterlagen. Offensichtlich fürchtet man, sichlächerlich zu machen. Verspricht man sich folglich vom Nut-zen einer 'Humorkultur' in der Firma wenig? In den nachfol-

6 Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, hrsg. v. Karl Vorländer (1959): Philosophische Bibliothek 39a, S. 190

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genden Kapiteln werde ich aus meiner Tätigkeit als Kabarettistund Rechercheur von humortauglichen Begebenheiten Bei-spiele einfließen lassen, ob und wie Leistungsbereitschaft,Motivation und sogar physische und psychische Belastbarkeitmittels Humor gesteigert sowie Kreativität und Selbstentfal-tung gefördert werden können. Aufgrund meiner 'Hofnarren-Rolle' und der damit verbundenen Erkenntnisse gehe ich auchder Frage nach, ob Humor nicht eine Möglichkeit darstellt,Fehlerrecherche im Unternehmen zu betreiben und ob die Artund Weise, wie Humor gepflegt wird, als Stimmungsbarometerinterpretiert werden kann.

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2. Begriffsbestimmung

2.1 Humor

Bevor wir uns mit dem Lachen, also mit der Wirkung von Hu-mor beschäftigen, soll erläutert werden, was Humor überhauptist: Der Begriff Humor wird hierbei in einem möglichst um-fassenden Bedeutungsrahmen genutzt, um eine Vielzahl anPhänomenen und gesellschaftlichen Interaktionen abzudecken.Der Duden bezeichnet Humor als „Gabe eines Menschen, derUnzulänglichkeit der Welt und der Menschen, den Schwierig-keiten und Missgeschicken des Alltags mit heiterer Gelassen-heit zu begegnen.”Humor stellt ein komplexes Phänomen dar, welches kognitive,affektive und physiologische Aspekte einbezieht. Auslöser der'Humorreaktion' (Erheiterung) sind unter anderem witzige Be-merkungen, paradoxe Wortspiele, absurde Übertreibungen,widersinnige Handlungen, komische Parodien, ironische Spie-gelungen, frecher Schabernack und seltsame Ausdrucksformender Mimik und Gestik.In Form einer umfassenden Theorie lässt sich der Begriff Hu-mor allerdings nicht fassen. „Bis heute ist keine umfassendeTheorie des Humors entwickelt worden. Dabei spielt vermutlichdie große Vielfalt des Lachens, seiner Zielrichtungen, seinerVerfahren und Anlässe eine Rolle. (...) Auch die Feldforschungder Ethnologie hat bisher keine Integration ihrer vielen Be-obachtung erarbeiten können: Worüber man lacht, wer dasLachen wie auslöst, welche Wirkung ein Lachen im sozialenKontext hat – die Antworten auf diese Fragen sind immernoch sehr heterogen.”7

Das Verbindende ist, dass es keine Norm gibt. Dies ist auch einwesentliches Element der Humorentstehung, wie sie von Ar-thur Koestler8 beschrieben worden ist. Humor zeichnet sichdemnach aus durch eine normativ ungebundene bzw. ungere-gelte Originalität des Denkens, die verblüffend und unge- 7 wikipedia.org/wiki/Humor, Artikeleintrag „Humor”8 vgl. "Der göttliche Funke", Bern - München, 1966 und "Der Mensch - Irrläufer der Evolution", Frankfurt, 1990

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wohnt, vielleicht auch unlogisch oder gar befremdlich ist. Da-bei sind Affekte einbezogen, die normalerweise einer kulturel-len Zensur bzw. Abwehr unterliegen. Humor bietet die Mög-lichkeit des zumindest verbalen Normbruchs, nicht nur imBereich der Schadenfreude. Der Normbruch ist im Prinzip pro-gressiv, kann sich aber auch als einfache Enthemmung reakti-onärer oder diskriminierender Tendenzen zeigen, die durchgrößere Ängste oder Tabus oberflächlich zurückgehalten wer-den. Hierzu gehören aggressive, sexuelle und skatologischeImpulse. Von besonderer Bedeutung ist ein zusätzliches spiel-haftes Element, das der Sprache und der ausdrücklichen Fest-stellung nicht bedarf. Denn dieses Element findet seinen ganz-heitlichen Ausdruck in körperlicher Bewegung und in Aus-drucksformen der Mimik und Gestik.

Der 'normale' Erwachsene findet sich in der alternativen Weltdes Humors oft nicht zurecht, insbesondere dann, wenn er andie gesellschaftlichen Spielregeln besonders stark angepasstist. Doch auch der humorloseste Mensch kann seinen Sinn fürHumor (wieder)entdecken - indem er den Weg zurück in dieKindheit einschlägt. Der Clown, der als Figur mittlerweile inKliniken für eine Erleichterung im Umgang mit Schwerkrankenauftritt oder in der Erwachsenenbildung als Seminarleiter fun-giert, um spielerisch Neuland im Denken betreten zu können,übernimmt dabei die Rolle des Führers und Verführers. Mitihm zusammen kann jener Perspektivenwandel vollzogen wer-den, der es ermöglicht, das Leben aus einem anderen Blick-winkel zu betrachten - und dadurch Widersprüche, Absurditä-ten und Ungereimtheiten zu entdecken, die grundsätzlichkomisch sein können. Ein Humorerlebnis äußert sich immer ineinem spezifischen Lächeln oder Lachen, woraus sich grund-sätzlich kommunikative Auswirkungen für die zwischen-menschliche Beziehung ergeben. Humorerlebnisse findenzwischen Menschen statt, die durch Abgrenzung Gemeinsam-keiten erzeugen möchten. Innerhalb von sozialen Gruppensollen sie Rangordnung und Rollen entstehen lassen oder fes-tigen. Der österreichische Humorforscher Willibald Ruch be-zeichnet den bei Humorerlebnissen ablaufenden emotionalenProzess als Erheiterung. Diese nimmt - im Sinne des Freud-

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schen Lustprinzips - Bezug auf affektive Auslöser, die einenMenschen zu Fröhlichkeit, Freude oder Vergnügen anregen,also belustigend sind. Der gedankenschwere 'Ernst des Lebens',der die Lebensrealität eher pessimistisch beurteilt, wird dabeirelativiert und affektiv erleichtert. Humor als Auslöser vonHeiterkeit ist somit der Versuch des Menschen, von einer allzuvernünftigen Haltung, die im normativen Realitätsprinzipverfangen ist, Abstand zu gewinnen.Wenn man nicht im Humorerlebnis involviert ist, sind solcheErfahrungen von außen schwer nachvollziehbar. Lachen ist fürden französischen Philosophen Henri Bergson9 nicht 'begreif-bar', es entzieht sich geradezu jeder begrifflichen Erkenntnis.Es sei wie die Schaumkrone auf einer Meereswoge, und derTheoretiker des Lachens sei wie ein Kind, das den Schaum mitder Hand abschöpfe und sich wundere, dass gleich darauf nurnoch ein paar Wassertropfen durch seine Finger rinnen, vielsalziger, viel bitterer als das Wasser der Welle, die den Schauman den Sand trug. „Das Lachen ist eine Reaktion des Körpers,in der dieser sich gegen Vergeistigung, Rationalisierung undAbstraktion behauptet. Der Lachende überlässt seinen Körpersich selbst; er verzichtet auf Kontrolle [...]”10. So ist das Lachenunverkennbar Ausdruck einer naiven Lebensfreude, die keinervernünftigen Begründung bedarf und keine normative Regle-mentierung erträgt. Im Lachen offenbart sich die affektive Le-bendigkeit des Menschen in seiner ursprünglichsten Weise. Derlachende Mensch genügt sich selbst, weil er das „Urvertrauenzum Dasein”11 unmittelbar erlebt. Gelotologen haben denphysischen Akt des Lachens mit einer Befreiung in Zusam-menhang gebracht, die Spannungen auflöst, Selbstheilungs-kräfte mobilisiert und den Energiefluss im Körper erleich-tert.12 Psychologisch lässt sich das als eine Freisetzung vonaggressiver Energie verstehen. Eibl-Eibesfeldt13 interpretiert

9 vgl. Bergson (1948)10 Kamper, D.; Wulf, C. (Hg.) (1986), S. 711 Frankl, V.E. (1959), S. 16412 Berlyne, D.E. (1969), S. 806ff13 vgl. Grundriß der Vergleichenden Verhaltensforschung, München, 1967, S. 140

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das Zähnezeigen und die typischen Lautäußerungen beim La-chen als eine ritualisierte archaische Drohgebärde. Diese wirktgerade auf Gruppenfremde aggressiv, während sie innerhalbder Bezugsgruppe ein starkes Band schafft und ein gemeinsa-mes Triumphgefühl hervorruft. Lachen scheint in seiner ur-sprünglichen Funktion gegen Dritte zu verbinden.

Da der bewusste und gezielte Einsatz von Humor im therapeu-tischen Bereich sehr weit fortgeschritten ist und im Vergleichzur Soziologie auch vielfältig wissenschaftlich untersucht unddokumentiert ist, soll der Humorbegriff auch aus diesemBlickwinkel hier vorgestellt werden. Im therapeutischen Um-feld erfährt Humor nämlich eine weiter gehende Interpretation.Im ersten "Deutschsprachigen Wörterbuch für Psychothera-pie"14 beschreibt Peter Hain Humor als therapeutischen Fach-begriff, der bereits in den 20er Jahren von Freud als hochste-hender Abwehrmechanismus diskutiert und von Adler als eine,die Therapie fördernde Grundhaltung gewürdigt worden ist.Frankl, der eigentliche Pionier des therapeutischen Humors,betonte, dass nichts den Patienten so sehr von sich selbst dis-tanzieren lasse wie der Humor und sich der durch die paradoxeIntention eingeleitete Einstellungswandel gerade in der Hu-morreaktion anbahne. In den 60er Jahren rückten die AutorenFarrelly und Brandsma15 den Humor seinerseits ins Zentrumder 'Provocative Therapy' und zeigten, dass Klienten viel antherapeutischer Herausforderung zugemutet werden kann,wenn es humorvoll geschieht.Aktualisiert durch die Ergebnisse der noch relativ neuen For-schungsrichtung Gelotologie haben sich während der letztenzehn Jahre Veröffentlichungen zu Lachen und Humor in derpsychotherapeutischen Fachliteratur vervielfacht. Währendsich das physiologische Potenzial unter anderem darin zeigt,dass Humor das Immunsystem beeinflusst, dass LachenSchmerz reduzieren, Stressabbau, Durchblutung und Verdau-ung fördern oder helfen kann, den Blutdruck zu senken, be-

14 herausgegeben vom Springer Verlag (2000)15 vgl. Farrelly, Brandsma (1985)

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wirkt der kognitive und kommunikative Effekt des Hu-mors16, dass die eigene Position relativiert werden kann17.Therapeutischer Humor kann auch einen leichten Trancezu-stand auslösen, der in der so genannten Konfusionstechnikgenutzt wird. Innerhalb des Bezugsrahmens des Klienten er-öffnen gemeinsam mit dem Therapeuten entwickelte humor-volle Fantasiereisen oft schnellen Zugang zu neuen Ressourcenund Perspektiven18.Dieser für eine soziologische Arbeit ausführliche Blick überden Tellerrand hinaus hin zur Definition und Bedeutung vonHumor in der therapeutischen Anwendung soll zeigen, dassder gezielte Einsatz von Humor in anderen Bereichen bereitsetabliert ist, um mentale Prozesse in Gang zu bringen und ge-wünschte Wirkungen zu erzeugen.Dass dies nicht nur im therapeutischen Bereich möglich ist,liegt meines Erachtens auf der Hand. Dennoch begegnen mirgerade im Wirtschaftsleben oft Vorbehalte, wenn es um denEinsatz von Humor geht. In Zeiten von 'political correctness'und der zu unterbindenden Verunglimpfung von Minderheitenscheint man bei dem Gedanken, Humor als Humanfaktor zuforcieren, mehr Risiken als Chancen zu erkennen.Betrachtet man die Klassifikationsmöglichkeiten von Humor,wie sie in der Linguistik vorgenommen werden, wird dieSkepsis verständlich. Die untenstehende systematische Analysezum Humor stammt von Klaus Moser, der sechs Varianten vonHumor auflistet:„(1) Spöttischer Humor: Lachen über Schwächen (besondersüber die Dummheit) anderer Personen, wobei moralischeSchwächen ausgenommen werden.(2) Unmoralischer Humor: Lachen über widerwärtige Situatio-nen oder Ausschweifungen.(3) Gewagter Humor: Lachen über Späße mit sexuellen An-spielungen.(4) Einsichtiger Humor: Lachen über plötzliche Einsicht, diesich in verwickelten Situationen einstellt.

16 vgl. Titze (1994)17 vgl. Hain (1996)18 vgl. Inframing, Hain (1993)

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(5) Witziger Humor: Lachen über ein Spiel mit Gedanken oderWorten.(6) Humor bezüglich der Ungereimtheit von Situationen oderGedanken: Lachen über lächerliche Situationen.”19

Eine gröbere Einteilung entsteht, wenn man diese Varianten innur zwei Gruppen unterteilt, nämlich in affektiven Humor(1,2,3) und kognitiven Humor (4,5,6).Auch wenn affektiver Humor im Berufsleben auftritt, sind diessicher Humorvarianten, die keine Duldung oder gar Förderungund Unterstützung von Führungskräften erfahren dürften.Umso wichtiger erscheint mir der Verweis auf therapeutischeAnwendungsmöglichkeiten des Humors, die zeigen, dass nichtdas Verlachen, sondern das gemeinsame Lachen erfolgverspre-chend ist.

2.2 Ethymologie und Historie des Begriffs Humor

Um einschätzen zu können, welchen Stellenwert Humor alsmenschliche Eigenschaft oder Fähigkeit heute in der Gesell-schaft und im Besonderen im Wirtschaftsleben hat, soll dieEntwicklung und Verwendung des Wortes im historischenVerlauf kurz nachgezeichnet werden. So lässt sich ein ersterEindruck gewinnen, welche Bedeutung und welcher Kontext'mitschwingt', wenn von Humor die Rede ist.Ethymologisch gesehen ist der Begriff 'Humor' im Deutschensehr jung, in seiner heutigen Bedeutung erstmals in Englandim Jahre 1682 bezeugt. Zuvor bezeichnete man mit 'humour'Veranlagung und Temperament, das geistige Vermögen. DasWort Humor kommt aus dem Lateinischen. 'Umor' galt bei denRömern als ein medizinischer Begriff zur Bezeichnung einesvon den Körperflüssigkeiten ausgelösten Temperaments, dasfür Heiterkeit und Lustigsein verantwortlich ist. Das lateinischeWort bedeutet Feuchtigkeit, Saft. Wo also Humor ist, da er-scheint die Welt nicht als spröde und trocken.20 Sie wird viel-

19 Moser (1990), S. 184f20 vgl. auch den Newsletter von Michael Titze über Humor in www.humor.ch

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mehr von einer Flüssigkeit durchdrungen, die die Objekte miteleganter Leichtigkeit verbindet. Als 'humores' bezeichnete dieantike Medizin die Körpersäfte (Blut, Galle, Schleim undschwarze Galle) eines Menschen.21 Ein 'guter Humor' hängtnach der Vorstellung der mittelalterlichen Temperamenten-lehre von einem ausgeglichenen Verhältnis dieser Säfte ab,woraus sich der entsprechende Gemütszustand herleitet. Aus'umor' wurde das englische 'humour' - als Bezeichnung füreinen Menschen, der sich mit seinem Verhalten über gesell-schaftliche Normen hinwegsetzt. So meinte 'humour' im 16.Jahrhundert im Englischen 'Stimmung', 'Laune', aber auch einvon den Normen und Konventionen abweichendes, exzentri-sches Verhalten.22 Lord Shaftesburys Schrift "Sensus commu-nis: An essay on the freedom of wit and humour" von 1709verwendet 'humour' in dem heute geläufigen Sinne. Ob sichdie zeitgenössische englische Bedeutung vom Französischenherleitet, wie Voltaire behauptete, darf angezweifelt werden,denn die Franzosen charakterisierten den Begriff von 1725 anumgekehrt als Entlehnung aus dem Englischen. Auch das fran-zösische 'humeur' wird aber ethymologisch zurückgeführt aufeinen der vier charakteristischen Körpersäfte Blut, Schleim,Galle und schwarze Galle. Victor Hugo sprach noch im Jahr1862 über „jene englische Sache, die man Humor nennt”.23

Seit dem 18. Jahrhundert bezeichnet das Wort Humor „dieheiter-gelassene Gemütsverfassung inmitten aller Widerwär-tigkeiten und Unzulänglichkeiten des Daseins”.24 Auch inDeutschland wird das Wort aus dem Englischen übernommen,wie Lessing ausdrücklich festhält.

Dass der Begriff aus einer anderen Sprache entlehnt und nichtoriginär im Deutschen entstanden ist, passt zum Selbstver-ständnis der Deutschen und zur Sichtweise anderer Nationenüber das 'deutsche Wesen', das eher als ernst, streng, grüble-risch und verschlossen gilt. Auch in der Humorproduktion,

21 Titze/Gröner (1989), S. 21f22 Preisendanz (1980), S. 123223 vgl. ebd. S.924 dtv Brockhaus Lexikon, Band 8, München 1984, S. 207

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beispielsweise fürs Fernsehen, das ja mittlerweile an ganzenAbenden von Sendungen, die zum Lachen anregen sollen, do-miniert wird, traut man hier im Lande nicht dem eigenendeutschen Humor. Privatsender greifen lieber zu Comedyfor-maten aus anderen Ländern, die lediglich für Deutschland a-daptiert werden. Sitcoms und Sketche werden zumeist ausEngland und Amerika importiert. Der 'tierische Ernst', mit demhierzulande alles betrieben wird, generiert wohl zu wenig Un-terhaltsames.Dass Humor deshalb am wenigsten zu erwarten ist oder gar alsverzichtbar gilt, wenn es um Arbeit geht, liegt auf der Hand.Hier zählen andere Werte: Fleiß, Disziplin und Erfindergeist. Es„musste das Prinzip Witz in Deutschland jenem des Geniesweichen. Seine Rolle beschränkte sich mehr und mehr darauf,die 'Textsorte' Witz zu bezeichnen. Wer denkt heute, wenn ervon Witz spricht, noch daran, dass das Wort 'Verstandeskraft','Gabe des geistreichen Einfalls' bedeutete und erst sehr spätzum Lachen in Beziehung gesetzt wurde?”25

2.3 Komik

Um alle denkbaren Lachauslöser benennen zu können, ist Hu-mor nicht umfassend genug. Lachen hat viele Ursachen. Mitdem Begriff Humor grenzten wir zunächst alle zufälligen odernicht reproduzierbaren Lachauslöser aus und konzentriertenuns zunächst auf Kommunikationsarten, die bewusst daraufabzielen, Lachen zu erzeugen. So kamen wir zur Definitionvon Humor. Wir werden in dieser Arbeit aber auch aufPhänomene stoßen, die mit dem Lachen zu tun haben, die mitHumor nur unzureichend beschrieben sind.Es soll deshalb noch der Begriff Komik eingeführt werden, umPhänomene präziser beschreiben zu können. Eine exakteTrennschärfe lässt sich nicht herstellen. Zur Unterscheidungder Terminologie soll hier dennoch eine Abgrenzung von Hu-mor und Komik versucht werden. Ein von Historikern abge-

25 Best (1993), S. 14

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haltenes Symposium26 zum Thema Humor wählte eine Defini-tion, in der Humor gesehen wird „als jede durch eine Hand-lung, durch Sprechen, durch Schreiben, durch Bilder oderdurch Musik übertragene Botschaft, die darauf abzielt, ein Lä-cheln oder ein Lachen hervorzurufen.”27 Humor zielt alsoimmer auf eine Reaktion bei einem Anderen ab; Humor ist er-gebnisorientierte Kommunikation und wird von vornherein alsInteraktion zwischen Sender und Empfänger mit dem Ziel ei-nes Lachens produziert. Dem Komischen fehlt oft diese Bereit-schaft, d.h. es wird etwas erst durch eine unvorhersehbareEntwicklung komisch oder wirkt komisch, ohne dass dies be-absichtigt war oder gerade weil es nicht geplant war. Das Ko-mische ist somit das Unkalkulierbare des Alltags, dem einelustige Seite abgewonnen wird. Aus phänomenologischer Sichtist das Strukturelle des Humors in Unterscheidung zum Komi-schen hervorzuheben. Das Komische wird zunächst als Phä-nomen, als Erlebnis gewertet. „Demgegenüber meint Humorzunächst unmittelbar immer eine Struktur, d.h. eine Anlage,Fähigkeit oder Bereitschaft.“28

Komik kann überall entstehen. Raum für Komik ist überall, woPannen, Pech und Pleiten zu erwarten sind, und somit ist Ko-misches gerade im Berufsalltag zu finden. Kulturelle Unter-schiede bei Lachauslösern lassen sich meines Erachtens aucheher im Komischen verorten. Witze werden weltweit sehrähnlich konstruiert, aber Komik lässt deutliche Unterschiede inTabus, Ängsten und Bewältigungsstrategien erkennen. HeinerUber, Veranstalter von Lachseminaren und Unternehmensco-ach, stellt im Hinblick auf unterschiedliche Lachkulturen fol-gende Frage: „Wie kommt es, dass - ganz anders als wir Euro-päer - sich Afrikaner über eine verlorene Ernte und Mexikanerüber den Tod ausschütten können vor Lachen?”29 Die Antwortgibt er mit dem Hinweis, dass Lachen den Vorkommnissen denSchrecken nimmt. Weder ein Ernteausfall noch das Sterben 26 Konferenz an der Kgl. Niederländischen Akademie der Künste und Wissenschaften in Amster- dam im Jahre 1994 zum Thema Humor in der Geschichte von der Antike bis heute, vgl. Bremmer, Roodenburg (1999)27 Bremmer, Roodenburg (1999), S. 928 ebd.29 Uber, Steiner (2006), S. 62

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eines nahestehenden Menschen sind Ereignisse, die herbeige-sehnt oder absichtlich herbeigeführt werden. Ganz im Gegen-teil, sie sind bedrohlich. Aber die Bedrohung durch Hungeroder Tod wird ausgelacht und damit gebannt.Insofern ist Komik zur Untersuchung, was Menschen berührtund bewegt, interessanter als andere Lachauslöser. „HistorischeSysteme der Ästhetik beschäftigen sich insgesamt - mehr oderminder - wo nicht ausdrücklich mit dem Witz, so mit demKomischen.”30 Der Begriff Komik taucht in der Literatur jedochim Vergleich zu Humor sehr selten auf.Ich möchte dennoch neben dem Humor, der beispielsweiseAussprüche, Streiche und Wortspiele, Farcen, Albernheiten,Graffitis und Cartoons benennt, wie sie im Wirtschaftslebenvorkommen, die Komik nicht unerwähnt lassen, die all dieVersprecher, Stilblüten und Fehlleistungen einschließt, die zumLachen Anlass geben.

30 Wellek (1970), S. 13

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3. Lachen, Humor und Komik als Thema geisteswissenschaftlicher Betrachtung

3.1 Historischer Abriss der Humorforschung

Wir wollen den Begriff Humor nicht nur aus der ethymologi-schen Entwicklung heraus erklären, sondern auch die wissen-schaftliche Beschäftigung mit dem Humor historisch beleuch-ten. Die Soziologie als eigenständige Wissenschaft gibt esallerdings erst seit Ende des 19. Jahrhunderts.31 AugusteComte prägte 1838 die Bezeichnung 'Soziologie', wenngleiches Forschung auf soziologischem Gebiet durchaus schon vor-her gab, nur existierte bis Comte kein verbindlicher Begriffdafür. Eine geisteswissenschaftliche Auseinandersetzung mitdem Phänomen Humor unter 'soziologischer Perspektive' hatinsofern sehr viel früher eingesetzt. Deshalb soll hier zunächstkurz dargestellt werden, wie das Lachen in den vergangenenJahrhunderten bewertet und interpretiert worden ist. Denndieser historische Hintergrund ist das Fundament, auf demheutige Erkenntnisse aufbauen und es hilft auch einzuschät-zen, welchen Stellenwert das Thema heute wissenschaftlichhat. Letztendlich kann die (mangelnde) Bedeutung, die demLachen im Wirtschaftsleben heute entgegengebracht wird,durch die historische Analyse beleuchtet und erklärt werden.

Grundsätzlich lassen sich innerhalb der theoretischen Literaturzum Thema Humor drei grundlegende Strömungen unterschei-den. Auch wenn diese als Theorien in Reinform kaum auftre-ten, erleichtert diese Kategorienbildung, wie sie von Morreallvorgenommen worden ist, den Überblick.32 Die drei Haupt-linien werden als 'superiority-theories', als 'relief-' oder 'tensi-

31 In Deutschland erschien 1887 die erste Studie zur Begründungdes heutigen Fachs Soziologie, "Gemeinschaft und Gesellschaft" von Ferdinand Tönnies. Er giltzusammen mit Georg Simmel und Max Weber als Begründer der deutschsprachigen Soziologie.32 vgl. Morreall (1987)

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on-management-theories' und die als vorherrschend geltenden'incongruity-theories' bezeichnet.Die 'superiority-theory' geht davon aus, dass Lachen eineGeste der Überlegenheit sei. Spott und Hohn gegenüber allem,was als lächerlich angesehen werden kann, dient der Selbst-überhöhung. Insofern hat dieses Lachen einen negativen Bei-geschmack, da es andere herabsetzt und Lustgewinn auseinem Neidgefühl herleitet. Diese Ansicht herrschte in derAntike vor. Platon verurteilte deshalb das Lachen. „Für Platonist Lachen eine moralisch höchst anstößige Angelegenheit.”33

Thomas Hobbes führte die Theorie weiter, indem er nicht wiePlaton davon ausging, dass nur die Schwachen und Neidischenüber die Herrschenden lachen. „Lachen ist als ein Ausdruckdes Triumphs zu verstehen, in Fällen, in denen andere eineSchwäche zeigen - eine Schwäche, die, folgt man dem gesell-schaftlichen Entwurf Hobbes, dem Lachenden im fortwähren-den Streben und Kampf um Macht eines jeden gegen jedeneinen Vorteil bietet.”34

Bei der 'relief-theory' wird eine Art psychischer Energiebilanzunterstellt. Aus dem Bedürfnis heraus, einen ausgeglichenenEnergiehaushalt im Organismus aufrechtzuerhalten, dient Hu-mor als Sicherheits- oder Überdruckventil. Lachen ersetzt so-mit starke Gefühle wie Wut, Schmerz, Empörung, die eine ho-he Energieausschüttung mit sich bringen würden. „In demersparten Gefühlsaufwand gründet sich die humoristischeLust.”35 Hier dominiert also ein ökonomischer Gesichtspunktbei der Betrachtung humoristischer oder lachauslösender Situ-ationen.Das Widersinnige und Widersprüchliche ist das kennzeichnen-de Humorkriterium, das 'incongruity-theories' in den Mittel-punkt des Interesses rücken. „Schopenhauer spezifiziert die'Widersinnigkeit', die Lachen hervorruft, als einen Widerspruchim Sinne einer Nichtübereinstimmung von abstrakten Ideenoder Wissen von einer Sache und der Wahrnehmung oder dem

33 Räwel (2005), S. 1134 ebd., S. 1235 Räwel (2005), S. 13

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sinnlichen Wissen über dieselbe Sache.”36 UnterschiedlicheWahrnehmungsbezüge sorgen somit für einen Bruch oder eineUnvereinbarkeit, denen mit Lachen begegnet wird. Je stärkerErwartungen durchbrochen oder Sinnbezüge erschüttert wer-den, umso stärker ist der Humoreffekt.Moderne Variationen der 'incongruity'-Theorien verknüpfendiese mit den 'relief'-Theorien, da nicht jede Inkongruenzunbedingt lustig sein muss und ein Lachen erzeugt.Wenn wir uns nun im Folgenden chronologisch den wichtigs-ten Texten über Humor zuwenden, fällt zunächst auf, dassman sich jahrhundertelang fast ausschließlich der Frage ge-widmet hat, was das Komische sei und dabei nicht die Wir-kung des Komischen auf den Menschen in den Mittelpunkt desInteresses rückte. So lassen sich neben den oben erwähntendrei Theorien zwei Perspektiven erkennen. 'Objektseitig' orien-tierte Ansätze versuchen zu bestimmen, worüber gelacht wird,z.B. Widersprüche und Gegensätzlichkeiten. Demgegenüberversuchen Theorien, die sich mit dem Subjekt beschäftigen,Spannungszustände, Disharmonien und Unterlegenheitsgefühleals Grund dafür anzugeben, warum der Mensch Humor ein-setzt. „'Subjektseitig' orientierte Ansätze machen etwa geltend,dass Humor die Funktion eines Sicherheitsventils zukommt:Überschüssige 'Energie' kann abgeführt werden. Auch wird inAnsatz gebracht, dass der Humor es Subjekten erlaubt, sichanderen überlegen zu fühlen.”37

Vereinfacht können, wie diese Erläuterungen zeigen, demsubjektseitigen Ansatz die 'superiority-theories' und die 'relief-' oder 'tension-management-theories' zugeordnet werden unddie 'incongruity-theories' dem objektseitigem Ansatz.

Lassen wir unseren Rückblick mit dem Beginn der Neuzeiteinsetzen, da die Zeit davor geprägt war von einer ideologischbegründeten Skepsis gegenüber dem Komischen als etwas Un-moralischem, wie sie die Antike formuliert hat.

36 ebd., S. 1537 ebd., S. 8

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„Am Anfang der modernen Epoche steht ein komisches Meis-terwerk, das 'Lob der Torheit' des Erasmus.”38 Erasmus vonRotterdam entwickelte die Idee zu diesem Buch 1509 auf einerReise von Italien nach England. Zu Besuch bei seinem FreundThomas Morus in London schrieb er es dann nieder. DiesesBuch ist verfasst als eine Predigt, die von der personifiziertenTorheit gehalten wird. Es beinhaltet beißenden Spott, den E-rasmus von Rotterdam vor allem über die eigene Zunft derAkademiker ausschüttet. Die Nutzlosigkeit gerade derer, dievorgeben, nützliches Wissen für die Allgemeinheit zu ersinnen,prangert er an. Durch diese Weltsicht wird der Wirklichkeit einSpiegel vorgehalten, der alles grotesk verzerrt und in dem dieWelt Kopf steht. Doch gerade dieser Blickwinkel deckt Unge-reimtheiten, Mängel und Schwächen auf. Dieser alternativeZugang zur Wirklichkeit wird konsequent verfolgt. Der Humorist hier nicht würzende Zutat in einer philosophischen Ab-handlung, sondern es ist sozusagen der Bauplan für den Text.Erasmus hat ein komisches Weltbild ganzheitlich entwickeltund somit ein satirisches Werk geschaffen. Dies zeigt, dassHumor und das Komische eine komplette und profunde Welt-sicht erzeugen kann, indem es formal wie inhaltlich die Wirk-lichkeit widerspiegelt. Mit diesem Werk wird auch die sozialeFunktion des Humors deutlich. Häme und Spott gegen wichti-ge Funktionsträger in der Gesellschaft relativieren derenvermeintliche Wichtigkeit und wirken als "Überduckventil",das Unmut und Unzufriedenheit kontrolliert entweichen lässt.Einen neuen Aspekt über das Lachen bringt mehr als ein Jahr-hundert später Descartes in seinen 'Leidenschaften der Seele'in die Diskussion ein. Neben physiologischen Erklärungen, diewissenschaftlich nicht mehr haltbar sind, formuliert er hier1649 eine These darüber, was Lachen auszulösen vermag, -nämlich der Schock, völlig überrascht zu werden oder Gefähr-lichem zu begegnen, ohne sich vorbereitet haben zu können.Diese Verblüffung durch großes Erstaunen manifestiert sichkörperlich, nämlich im Lachen. Somit weist er auf zwei Facet-ten hin, die heute noch Gültigkeit haben und für die weitereBetrachtung von Bedeutung sind: Interaktion zwischen Physis

38 Berger (1998), S. 25

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und Psyche und den auslösenden Reiz, der schockartig emp-funden wird.Mit den Komödien Molières in der zweiten Hälfte des 17. Jahr-hunderts steigt das Interesse am Komischen und gleichzeitigkommt in Frankreich eine kontroverse Diskussion über Moralin Gang. Katholische Kreise verhindern nach der Premiere von'Tartuffe', einem Lustspiel, eine weitere Aufführung. In einerNeuausgabe von 1669, nach fünf Jahren Aufführungsverbot,rechtfertigt Molière seine Komödie damit, dass sie die Lasterder Menschen aufdecke und somit zu berichtigen helfe. Gegenseine Kritiker, die moralisch argumentieren, bringt er somit dieMoral des Komischen ins Spiel. Die Debatte über moralischeGefahren der Komödie führte zwangsläufig zu Reflexionenüber das Wesen des Komischen; wobei im Laufe der Zeit dieepistemologische Frage, was das Komische an sich ausmache,gegenüber der moralischen Frage, wozu es gut sein könne,immer mehr in den Vordergrund rückte.Immanuel Kant hebt das Komische in die Kategorie des Schö-nen. In seiner Kritik der Urteilskraft definiert er die Schönheitals Gegenstand einer Vorstellung ohne Begriff. Das Lachen,erregt durch einen Widersinn, hat somit neben einer physiolo-gischen und psychologischen auch eine ästhetische Dimension.Die Definition von Descartes, der überraschende Moment desKomischen würde als Schock empfunden, wird von Kant prä-ziser gefasst: Das Lachen sei ein Affekt aus der plötzlichenVerwandlung einer gespannten Erwartung ins Nichts. Dasheißt, die Konfrontation mit dem Unsinn oder der Absurditäteiner komischen Situation kann nicht rational entschlüsseltwerden, sondern wird schließlich spontan entlarvt als analyti-sche Sackgasse. Der Scheidepunkt, an dem man Erkenntnisnicht durch Verstehen, sondern durch Loslassen erlangt, ist derMoment des Lachens.Jean Paul erwiderte in seiner Kritik 'Vorschule der Ästhetik',dass das Komische ein erlebter Widerspruch sei und somitauch das genaue Gegenteil als komisch angesehen werdenkönne, nämlich wenn aus dem Nichts etwas plötzlich entstehe.Mit dieser Ausweitung übt er letztendlich auch Kritik an derepistemologischen Fragestellung in Hinblick auf die Allge-meingültigkeit des Komischen und betont das stets Subjektive.

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Worüber der eine lacht, ist der andere betrübt. Man solle des-halb laut Paul den Humor als Selbstzweck genießen, da er kei-nen anderen Zweck habe. Hegel vertieft im Rahmen seinerÄsthetik den Gedanken des Widersprüchlichen. Er definiertden Begriff des Komischen, indem er Kategorien der Wider-sprüchlichkeiten nennt: den Kontrast zwischen Aufwand undErgebnis, zwischen Fähigkeit und Anstrengung oder zwischenAbsicht und Zufall. Dabei ist jedoch die Welt des Komischenwesenlos und leicht im Vergleich zum Substanziellen derWirklichkeit. Das Komische am Clown im Zirkus und der Co-micfigur im Cartoon lebt von den oben erwähnten Kontrasten.Mit grotesk großen Gesten und unnötig aufwendigen Vorbe-reitungen werden Handlungen eingeleitet, die misslingen oderganz andere Ergebnisse zeitigen als beabsichtigt waren. Dieslöst Lachen aus, wenn „an sich kleine und nichtige Zweckezwar mit dem Anschein von großem Ernst und umfassendenAnstalten zustande gebracht werden sollen, dem Subjekt aber,wenn es sein Vorhaben verfehlt, eben weil es etwas in sichGeringfügiges wollte, in der Tat nichts zugrunde geht, so dasses sich in freier Heiterkeit aus diesem Untergange erhebenkann.”39 Der Untergang ist dabei jedoch nicht schmerzvoll;eine Erkenntnis, die auch von Kierkegaard bestätigt wird. Inseiner 'Unwissenschaftlichen Nachschrift' schreibt er, dass dasTragische der leidende Widerspruch sei und das Komische derschmerzlose Widerspruch. Das wahrnehmbare Missverhältnisin Proportionen und Dimensionen zwischen Nichts und demUnendlichen liege dem Komischen zugrunde.Einer der wichtigsten Texte des 20. Jahrhunderts über das La-chen stammt von Henri Bergson. Er erwähnt in 'Le rire' denbedeutenden Aspekt, dass Lachen nicht nur ein rein menschli-ches, sondern ein Gruppenphänomen sei und damit sozialeFunktionen habe. Außerdem verweist er auf die komplexe e-motionale Situation, die beim Lachen eine Einschränkung er-fahren muss. Gefühle wie Mitleid, Sorge, Hass oder Liebemüssen ausgeblendet werden, um lachen zu können. Situatio-nen müssen folglich abstrahiert werden. Nur Teilbereiche un-serer Erfahrungswelt seien zudem komisch. Die Kunst, darüber

39 Hegel (1970), S. 529

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zu lachen, besteht in der Fähigkeit, über alle nicht komischenAspekte hinwegsehen zu können. Das ähnelt der 'theoretischenHaltung', wie sie Schütz formuliert hat, mit der bei einer in-tellektuellen Analyse ein notwendiger Abstraktionsgrad ge-genüber einer 'dominanten Realität' mit all ihren Verflechtun-gen und persönlichen Empfindungen erreicht wird. „DasKomische verlangt, um ganz zur Wirkung zu kommen, so et-was wie eine momentane Anästhesie des Herzens. Es wirkteinzig und allein auf die Intelligenz.”40 Komisch ist also nichtder Schmerz, den jemand beim Hinfallen empfindet, sonderndas Hinfallen an sich. Die Reduktion aller gefühlsmäßigenEindrücke schöpft komisches Potenzial laut Bergson vor allemaus der Widersprüchlichkeit von Geist und Körper. Als Parade-beispiel zieht er Don Quijote heran, der in unerschütterlicherNegation oder Verkennung des wirklichen Lebens seine eige-nen Sinnbezüge all seinen Taten zugrunde legt. Seine ver-rückten Handlungen und die groteske Weltsicht, die ans Ab-surde grenzt, zeigt wie durch ein Brennglas, wie gefangen undbeschränkt wir in 'unserer' Welt sind. Diese punktuelle Poin-tierung ist für Bergson bezeichnend für das Komische. „DasKind (...) nimmt eine Handvoll Schaum und ist erstaunt, imnächsten Moment nichts als ein paar Wassertropfen in derHand zu haben - Wasser allerdings, das viel salziger und bit-terer ist als die Wellen, die es herangetragen haben. So ent-steht auch das Lachen. Es deutet an der Oberfläche des gesell-schaftlichen Lebens leichte Unruhen an (...) Es ist auch Schaummit salzigem Konzentrat. Wie der Schaum glitzert es. Es istfröhlich."41

1940 erscheint ein Essay, der das Thema der Widersprüchlich-keit, das das Lachen verursache, relativiert, wenn nicht ganz inFrage stellt. Der Autor Joachim Ritter verweist in dem Aufsatz'Über das Lachen' auf die große Bandbreite dessen, was alsLachen bezeichnet wird, vom Lächeln bis zum Brüllen, vomSchmunzeln bis zum Lachkrampf. Wichtiger als die Differen-zierung der Formen ist seine kritische Betrachtung des la-

40 Henri Bergson, Le rire. Essai sur la signification du comique. Paris 1940, zitiert nach: Berger (1989), S. 3941 ebd., S. 36

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chauslösenden Inhalts, also dessen, was widersprüchlich seinsoll. Denn hier zeigt sich, dass Widerspruch an sich nicht ko-misch ist. Nur wenn Kontexte bekannt sowie Hintergründe undLebenswelten nachvollziehbar sind, kann etwas komisch wir-ken. Witze sind oft nur in dem Kulturkreis lustig, aus dem siekommen. Und selbst da verliert mit der Zeit jeder Witz seineWirkung. Die Witzbeispiele, die Sigmund Freud in seine Ab-handlung über den Witz einstreut, sind für den heutigen Lesernicht mehr lustig, noch weniger die komischen Episoden,von denen beispielsweise Cicero in seinen Schriften erzähltund die heute nur noch durch lange Fußnoten als eigentlichkomisch vermittelt werden können. Doch es wirkt beim Witznicht nur die historische, sondern auch eine soziologische Re-lativität. „Was einer Gruppe von Bauarbeitern höchst komischerscheint, amüsiert Mitglieder der anglistischen Fakultät inHarvard kaum, und vice versa.”42 Ritters Ansicht nach ist derHumor sowohl eine Art Spiel als auch Philosophie; Spiel inso-fern, als Humor Möglichkeiten und Ambivalenzen ohne Kon-sequenzen für die Wirklichkeit zulässt und Philosophie inso-fern, als er die Grenzen und Irritierbarkeit unserer Vernunft imVergleich zu den unerschöpflichen Möglichkeiten der Realitätbewusst macht.Francis Jeanson knüpft an die These von Hobbes an, welchepostuliert, dass man aus einem Gefühl der Überlegenheit her-aus lache. Diese Überlegenheit sei jedoch keine Schadenfreudeoder Überheblichkeit ob der Unzulänglichkeit derer, über dieman lacht, sondern sie entstehe aus dem Bewusstsein der Sou-veränität und Freiheit heraus. Lachen ist somit ein zielgerich-teter intentionaler Akt, kein unbewusster und mechanischerProzess. Dazu bedarf es einer 'spontanen Reflexion', das heißtdie eigenständige Sinnwelt muss nicht nur kreiert, sondernauch verstanden und eingeordnet werden.1961 schreibt Marie Collins Swabey einen Text über das ko-mische Lachen, in dem ebenfalls die Widersprüchlichkeit unterdie Lupe genommen wird. Wenn, so ihre These, der Wider-spruch über Jahrhunderte als das Wesensmerkmal des Komi-schen gesehen worden ist, muss die Unterscheidung zur nor-

42 Berger (1998), S. 39

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malen, nicht komischen Wirklichkeit ja genau darin liegen,dass Normalität im Gegensatz zum Komischen eine Wirklich-keitskonstruktion sei, die Widersprüche vermeide. Das Ko-mische hingegen provoziere den Widerspruch und fällt somitaus der Ordnung der Dinge heraus. Das Komische wird immerdann wahrnehmbar, wenn der gewohnte Blick auf die Dingeaus den Fugen gerät.

Dieser kurze Überblick über Erörterungen des Komischen inder Philosophie soll keineswegs erschöpfend alle Ideen undAspekte beleuchten, sondern die gedanklichen Leitlinien auf-zeigen, die die Diskussion über Jahrhunderte bestimmt haben.Bemerkenswert scheint dennoch bei der knappen Auswahl derHauptströmungen an Gedanken, dass das Thema nicht sehrvielschichtig behandelt worden ist und dass bei der Analysedes Komischen selbst heute noch nicht allen Wesensmerkma-len beigekommen worden ist.Peter L. Berger sieht den Grund für die Unlust und das Unver-mögen der Philosophen und Soziologen, das Lachen zumThema ihrer Gedanken zu machen, darin, dass ihr Bestrebendarin liege, der Ordnung der Welt eine ebenbürtige Ordnungder Gedanken entgegenzusetzen. Und genau dieser Ordnungentziehe sich das Komische. Die Regellosigkeit oder zumindestdie Respektlosigkeit vor Regeln macht das Komische und je-den, der sich damit beschäftigt, suspekt. Dies sei hier deshalberwähnt, weil dies ein wichtiger Grund dafür zu sein scheint,warum dem Thema so wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird.Mit dem Phänomen des Lachens haben sich jedoch nicht nurPhilosophen beschäftigt. Deshalb soll hier noch kurz erwähntsein, wie sich die wissenschaftliche Lachforschung und andereForen, die neue Erkenntnisse über das Lachen beigetragen ha-ben, in den letzten Jahren entwickelt haben. Psychologen,Anthropologen, Mediziner und Verhaltensforscher haben sichschon immer mit unterschiedlicher Intensität in Teilbereichendem Thema gewidmet. Die Lachforschung im eigentlichen Sin-ne wurde Ende der siebziger Jahre angeregt durch ein Buchdes Journalisten Norman Cousins. Cousins litt an einer dege-nerativen Knochenerkrankung mit geringer Überlebenschance.Er wusste aus Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Zeit-

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schriften vom krankheitsverschlechternden Einfluss negativerGedanken. Cousins schreibt in seinem Buch von seinen Über-legungen, ob Lachen, Liebe und positive Gedanken nicht zurHeilung verhelfen können, wenn es doch vice versa Stress undnegative Gedanken sind, die uns krank machen. AnhaltendesLachen half ihm schließlich bei der Genesung von der dasNervensystem schwächenden Krankheit. Die Lachforschung alseigener Wissenschaftszweig etablierte sich schließlich dankCousins, der an sich selbst eine Therapie des Lachens ange-wendet hat.Erste naturwissenschaftliche Studien kamen von Medizinern,die sich der heilenden Wirkung des Lachens widmeten. Dasneue Fachgebiet der Wissenschaft bekam auch einen Namen:Gelotologie.Weltweit beschäftigen sich inzwischen ca. 200 Ärzte, Soziolo-gen und Psychologen mit den Auswirkungen des Lachens aufKörper und Psyche.Als der renommierte Lachforscher Professor Dr. William Fry inStanford mit seiner Forschung begann, herrschte in der Medi-zin noch Konsens darüber, dass Humor und Krankenhausnichts miteinander zu tun haben. Bis sich der Arzt Patch A-dams in der Behandlung von Tumorpatienten der Empfehlungdes griechischen Arztes Hippokrates besann, als Medizinersolle man dem Patienten fröhlich, heiter und gelassen gegenü-bertreten. Nach Adams Pioniertaten Mitte der 80er Jahre be-gannen mehr und mehr Kinderkliniken in den USA, mitClowns zu arbeiten. Mittlerweile werden in Amerika auch fürerwachsene Patienten in Krankenhäusern Humor-Räume ein-gerichtet, um den Genesungsprozess von Patienten durch La-chen effektiv zu verbessern. Seit 1997 gibt es auch in Mün-chen die Klinik Clowns e.V., deren Mitglieder inKrankenhäusern unterwegs sind. Patienten wird somit derHeilungsprozess erleichtert, indem für Abwechslung gesorgtwird.Der indische Arzt Dr. Madan Kataria entwickelte schließlicheine neue Form des Yoga und gründete 1997 die ersten Lach-clubs in Indien. 1998 organisierte Dr. Kataria den 1. Welt-lachtag mit über 10.000 Teilnehmern in Bombay.

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Die 'Lachbewegung Deutschland' ist Teil dieser weltweiten,von Kataria in Mumbai (Indien) ins Leben gerufenen Bewe-gung.„The idea of starting a laughter club came to me as aflash”43 , so beschreibt Dr. Kataria die blitzartige Eingebung,die zu einer weltweiten Lachbewegung geführt hat. Auf derGrundlage des über 3000 Jahre alten Yoga-Wissens und inÜbereinstimmung mit den Ergebnissen der Gelotologie hat ereine Methode entwickelt, die es jedem Menschen erlaubt, vonganzem Herzen zu lachen und die Heilkraft des Lachens frei-zusetzen. 1998 wurde in Wiesbaden der erste Lachclub in Eu-ropa gegründet. Von hier ausgehend initiierte Gudula Steiner-Junker die Lachbewegung Deutschland mit Gründung vonmittlerweile 31 Lachclubs in Deutschland, eines Lachclubs inSchweden und eines Lachclubs in den Niederlanden.

Zusammenfassend lässt sich über die Historie der Humorfor-schung feststellen, dass eine Verlagerung des Blickwinkelsstattgefunden hat. Bedenkt man, dass Immanuel Kant dasThema Humor innerhalb seiner Schriften zur Ästhetik behan-delt hat, so wird hier der Perspektivenwechsel deutlich. Mirscheint nämlich, dass analog der Verlagerung des Blickwinkelszur Frage, was das Schöne sei, innerhalb der Geschichte derÄsthetik auch die Humorforschung ihren Schwerpunkt verla-gert hat. Glaubten die Philosophen zunächst, das Schöne seiim wahrnehmbaren Ding zu suchen, haben sie sich schließlichmit der Wahrnehmung und Rezeption des 'Schönen' beschäf-tigt. Auch Humor kann erst richtig verstanden werden, wennWahrnehmungszusammenhänge der Humorrezipienten unter-sucht werden. Insofern ist ein interdisziplinärer Ansatz, derphilosophische, psychologische und soziologische Erkennt-nisse berücksichtigt, anzustreben. Zumindest die Überwindungder klassischen Subjekt-Objekt-Unterscheidung kann innerhalbder Soziologie angestrebt werden, wenn man zum Beispielneuere Entwicklungen der Systemtheorie heranzieht. WirdHumor nämlich als eine spezifische Form der Kommunikationim systemtheoretischen Sinn verstanden, nämlich als Kommu-nikationsmedium, so kann man Humor mit bereits anderen

43 zitiert nach: www.lachbewegung.de/index.html

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Kommunikationsmedien, wie sie die Systemtheorie spezifizierthat, in Verbindung setzen. Charakteristische Strukturen undverschiedene Sozialformen des Humors können so bestimmtwerden. Dieser Ansatz wird in einem späteren Kapitel genauervorgestellt.

3.2 Humor als anthropologische Konstante

Wenn man sich vergegenwärtigt, dass Lachen zu allen Zeitenin allen Kulturen von allen Menschen praktiziert worden istund praktiziert wird, überrascht es, dass Humor und Lachen alsThema der Geisteswissenschaft nicht zu einer viel größerenZahl an Veröffentlichungen geführt hat. „Die moderne Anth-ropologie zählt (...) Lachen zu den ältesten und wichtigstenFormen der Kommunikation - eine Art nonverbales Esperanto,ein universell verständliches Zeichen, über das alle Menschenverfügen, das weltweit alle Menschen verstehen.”44

Das Lachen ist ein physiologischer Prozess, der reflexartig ab-läuft und vom Stammhirn kontrolliert wird. Dass dieser Pro-zess auch physiologisch ausgelöst werden kann, beispielsweisedurch Kitzeln, interessiert hier weniger als die Tatsache, dassder Schlüssel zum Lachen eine kognitive Fähigkeit ist. Diesesauch als 'komisches Lachen'45 bezeichnete Phänomen wirddem Menschen in seiner Sonderstellung gegenüber dem Tierbesonders gerecht: Zwar grinsen auch Affen zur Begrüßungund zur Besänftigung, um Gefahr seitens eines potenziellenAggressors abzuwenden, doch machen Tiere keine Witze. Hel-muth Plessner hat diese anthropologische Erkenntnis beschrie-ben. In Anlehnung an Max Scheler macht er eine Unterschei-dung zwischen Mensch und Tier gerade daran fest, dass derMensch sowohl ein Körper sei als auch einen Körper habe. Dasheißt, der Mensch kann sich über seinen Körper bewusst wer-den und sich somit distanzieren sowie körperliche Reaktionenindirekt, also zeitversetzt, durch Handlungen indizieren. Genauso funktioniert Humor. Dass nur Menschen diese Fähigkeit be-

44 Uber, Steiner (2006), S. 2445 vgl. Swabey (1961)

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sitzen, wird von dem kanadischen Verhaltensforscher Jona-than Balcombe übrigens in Frage gestellt. Das Nachrichtenma-gazin 'Der Spiegel' berichtet im Mai 2006 über dessen jüngsterschienenes Buch 'Pleasureable Kingdom - Animals and thenature of feeling good'. Darin wird behauptet, dass in der Na-tur nicht nur ein Kampf ums Überleben stattfinde, sondernTiere Schabernack treiben und Sinn für Humor haben. „Bal-combe hat in Wäldern und Savannen geradezu eine tierischeSpaßgesellschaft ausgemacht; Spiel und Genuss triumphierendarin über den angeblich so unerbittlichen Kampf um dienackte Existenz. >Tiere sind vergnügungssüchtig<, sagt Bal-combe, >so wie wir.<”46 Als Begründung formuliert der Ver-haltensforscher den evolutionären Vorteil, Dinge, die das Ü-berleben sichern, so zu tun, dass sie Vergnügen bereiten. Spielund Spaß erfüllen viele Funktionen, die einem Tier helfenkönnen, erfolgreich zu sein im Leben. „Balcombe hat in derTat eindrucksvolle Anekdoten zusammengetragen, die dafür zusprechen scheinen, dass Tiere Spaß verstehen, herumblödelnund Schabernack treiben - und zwar gern auf Kosten ande-rer.”47 Wenn also die Fähigkeit zu Humor auf Tiere erweitertwerden muss, scheint ein Überlebensvorteil des Lachens nichtvon der Hand zu weisen zu sein.Für den Menschen zumindest ist die Erfahrung des Komischenund der Einsatz von Humor, also die Fähigkeit, etwas als er-heiternd wahrzunehmen, universell. Es ist sogar Bestandteildes menschlichen Wesens, Ereignissen eine komische Kompo-nente abzugewinnen. Das zeigt allein die Häufigkeit des Auf-tretens: Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren lachen amTag vierhundert mal. Dies ist bei aller Individualität des La-chens, was Lachmelodie und Atemrhythmus anbelangt, eineKonstante über alle Kulturen hinweg. Diese Häufigkeit sinktmit dem Alter. Vierzigjährige lachen zehnmal seltener alsVierjährige. Durchschnittlich sechs Minuten lacht der Deut-sche, Frauen dabei deutlich mehr als Männer.48 Es scheint so,als würde uns mit dem Eintritt ins Erwachsenenleben das La-

46 Bredow, R. (2006): Tierische Spaßgesellschaft. In: Der Spiegel 20/2006, S. 15747 ebd., S. 15848 vgl. Uber,, Mondhe (2000), S.75

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chen ausgetrieben werden. Kein Wunder, dass uns Lachen alsErwachsener in vielen Situationen dann als kindisch erscheint.

3.3 Soziologie des Lachens

Die Soziologie beschäftigt sich auffällig wenig mit dem ThemaHumor. Das mag an der Indifferenz des Komischen liegen undder damit verbundenen Tatsache, dass man sich nicht zustän-dig fühlt oder Fachkompetenzen tangiert, in denen man nichtwirklich professionell arbeitet. Es gibt mehr literaturwissen-schaftliche Versuche, die Formen des Humors zu erfassen alsdas Thema soziologisch zu erschließen. Peter L. Berger schreibtvon „ganz wenigen Soziologen, die wirklich wichtige Arbeitenüber Humor geschrieben haben.”49

Es sei eine weit verbreitete Auffassung, dass sich Ernst undKomik ausschließen. Berger nennt als Beispiel, dass es als fri-vol und somit unangemessen gelte, z.B. während einer religi-ösen Zeremonie, eines Heiratsantrags oder einer BeerdigungWitze zu machen. Bei allen wirklich ernsten Anlässen habe dasKomische also nichts verloren. „Diese gesellschaftliche Tatsa-che hat zu der verbreiteten Meinung geführt, dass das Komi-sche ein oberflächlicher oder marginaler Aspekt des menschli-chen Lebens ist, und in diesem Falle wäre es ja auch völligunverständlich, dass sich ernsthafte Denker damit befasst ha-ben.”50

Wenn man nicht nur über Formen des Humors, sondern überdas Wesen und die Funktion des Humors als gesellschaftliches'Schmiermittel' oder die Bedeutung des Komischen als Verhal-ten zum Angstabbau und zur Distanzüberwindung etwas er-fahren will, wird man kaum fündig.Das mag vielleicht auch daran liegen, dass zu verschiedenenZeiten und in verschiedenen Gesellschaften sehr unterschiedli-che Ansichten darüber vorherrschten, was komisch ist. Den-noch, - auch bei starken Abweichungen in der Form -, es gibtkeine menschliche Kultur ohne Humor oder Komik. Allerdings

49 Berger (1998), S. XIII50 ebd., S. XVII

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ist das Komische aufgrund seiner Unkalkulierbarkeit schwer zugreifen. Es verflüchtigt sich sehr schnell und ist nicht unbe-dingt reproduzierbar. Auch für den Humor gibt es keine Ge-setzmäßigkeiten, die ein Gelingen garantieren. Die Regel ist dieRegellosigkeit, die Inkongruenz und das Unerwartete. Das Ko-mische schafft eine neue Realität, die sich im nächsten Mo-ment jedoch gleich wieder auflöst. Pointen sind der Kumulati-onspunkt, der Erwartung und Spannung ins Nichts verpuffenlässt. Pointen entstehen aus einer Freiheit des Geistes, Ver-knüpfungen und Assoziationen herzustellen, die im Alltagsonst keinen Platz finden. Damit sind die Beschränkungen undEinschränkungen der menschlichen Existenz aufgehoben.Daraus lässt sich aber kein Bauplan des Humors erstellen odereine 'Lachformel' ableiten. Was in einem Moment noch ko-misch ist, wirkt das andere mal nicht mehr. Das Komische istsubtil und spätestens beim Versuch, ihm analytisch auf dieSpur zu kommen, verfällt das, was die Wirkung ausgelöst hat,ins Nichts. Es mag eine Situation brüllend komisch sein, dieBegründung dazu, zumal wissenschaftlich, fällt meist unbe-friedigend aus.Doch einer profunden semantischen Analyse bedarf es garnicht; eine phänomenologische Betrachtungsweise reicht inunserem Zusammenhang völlig aus. Es geht nicht darum, dieThemenfelder und Inhalte von Humor zu durchleuchten, son-dern das Stattfinden von Humor und seine Wirkung zu be-schreiben. Dabei will ich unterscheiden zwischen den physio-logischen Abläufen, den soziopsychologischen Funktionen undden soziologischen Schlüssen. Schließlich ist die Wirkung desLachens hinlänglich erwiesen; im Berufsleben geht es danndarum, aus den Erfahrungen, was Humor und Komik im Alltagbewirken kann, Konsequenzen zu ziehen und dem LachenRaum und Möglichkeiten dort zu geben, wo es von Nutzen füreine Organisation oder seine Mitglieder ist. Wenn im Kapitel 4über die Wirkung des Lachens mehr medizinische als soziolo-gische Erkenntnisse über das Lachen zitiert werden, so ist dieseAuflistung sinnvoll und notwendig als Basis für alle anschlie-ßenden Empfehlungen zur Entwicklung einer Humorkultur.Es soll also keine Ästhetik des Komischen verfasst werden.Dies scheint auch kaum denkbar zu sein. Der Witz als die am

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stärksten verdichtetste verbale Form des Humors ist beispiels-weise weder schön noch hässlich, dient nicht guten oder bösenZwecken, beherzigt keine konventionelle Moral, ignoriert sieaber auch nicht - und funktioniert trotz oder gerade wegenseiner Regellosigkeit doch. Zum Beispiel ist das Unmoralischeper se nicht komisch, erst in der Situation, in der es erzähltwird, kann es Motor für den Humor sein.Auf Grund dieser Tatsache gibt es wenig Texte über das Wesendes Komischen oder Humorvollen an sich, viel jedoch überverschiedene Ausformungen des Humors, also über landes-,regionen- und kulturspezifische Formen der Komik. Dies bein-haltet Formspezifisches von der Komödie über Cartoons bis hinzu ritualisierten humorvollen Festen wie Fastnacht und Karne-val oder soziale Rollen, die Komik repräsentieren, z.B. denHofnarren oder Clown.All diese Klassifizierungen werden der Allgegenwärtigkeit desKomischen jedoch nicht gerecht. Komik widerfährt jedemMenschen und Humor wird im Alltag von jedem produziertund konsumiert; man erzählt Witze, äfft nach, schneidet Gri-massen, verhält sich tollpatschig, spielt den Clown, kreiertWortspiele, Wortverdrehungen, Verballhornungen, spricht inKindersprache und stellt sich dumm. Man lässt sich Witze er-zählen und liest sie in der Zeitung, betrachtet Karikaturen,besucht Kabarett-Vorstellungen und sieht im Fernsehen Come-dy auf allen Kanälen. Wie lässt sich also das Komische veror-ten? Wo fängt Humor an, wo hört er auf?

3.3.1 Humor und Komik als geschlossener Sinnbereich

Ein schlüssiges Modell zur Erklärung der Erfahrungsweltenliefert Alfred Schütz in seinem Aufsatz 'Über die mannigfalti-gen Wirklichkeiten'.51 Innerhalb der Alltagswelt, die die Men-schen als Realität erleben, die am stärksten und dauerhaftestenunsere erlebte Wirklichkeit ausmachen und die er als 'domi-nante Wirklichkeit' bezeichnet, gibt es Zonen oder Erlebnisin- 51 Schütz (1962)

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seln als Nebenwelten. Diese Bereiche, die man erlebt, wennman aus der Alltagswelt ausschert, nennt Schütz 'geschlosseneSinnbereiche'. Traum, Theater, Kunst sind solche Bereiche.Auch die Rezeption von Musik, Gedichten oder das Spiel desKindes vermitteln Erlebnisse, die zu diesen geschlossenenSinnbereichen gehören. Jede Nebenwelt hat einen eigenen'kognitiven Stil' mit eigener Logik und einem eigenständigenBezugssystem, das unterscheidbar ist von der dominantenWirklichkeit. Der Übergang von dieser dominanten Wirklich-keit in einen anderen Bereich erfolgt nicht fließend, sondernabrupt.Wir befinden uns meist in der dominanten Wirklichkeit, wennwir Erwartungen stellen. Im Witz tritt nicht das Erwartete,sondern etwas ganz anderes ein. Das ist ja gerade die Pointe,das Umkippen in einen anderen Sinnbereich, der so überra-schend kommt, dass man nicht darauf vorbereitet ist. Schützsagt von diesem Sinnbereich des Humors, „dass sich unsereRatlosigkeit in Gelächter auflöst, wenn wir einen Witz hörenund eine kurze Zeit lang bereit sind, die fiktive Welt des Wit-zes als Realität zu sehen, mit der verglichen unser Alltag tö-richt erscheint.”52

Humor schafft Situationen, in denen Mächtige zu Düpiertenund Untergebene zu Helden werden oder ganz generell Rollenoder rollenkonformes Verhalten vertauscht wird. Dieser Effektder Nebenwelt, in der durch Herabsetzung und Demütigung,Sich-lustig-machen und Schadenfreude die hierarchischeStruktur der Gesellschaft aufgehoben oder umgekehrt wird, istdas zentrale Element der komischen Erfahrung. Zum Lachenverleitet immer das Lächerliche, das sich in Fehlern, Pannen,dem Häßlichen zeigt und das stark verzerrt oder deutlich ü-bertrieben Material für Humor bietet. Diese Erfahrung hieltschon Cicero in seinem Traktat über Rhetorik fest: „Der Sitzund sozusagen der Bereich des Lächerlichen (...) findet sich imUnschicklichen und Missgestalteten, denn man lacht nur oderdoch hauptsächlich über das, was etwas Unschickliches auf

52 Schütz (1962), Seite 231

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schickliche Weise bezeichnet.”53 Komisch ist die Nachahmung,die wie ein Zerrspiegel eine Alternative zum Erlebten bietet.Durch das Komische entflieht man der Alltagswelt oder fordertsie zumindest heraus. Die komische Wirklichkeit ist subversiv,da sie die Logik des Alltags bedroht, umgekehrt ist der ge-schlossene Sinnbereich sehr kurzlebig und kann sich nur übereine Auszeit behaupten, bevor er von der Alltagsrealität wiederverdrängt oder überlagert wird. Die Erkenntnis, die in dieserabgeschlossenen Sinnwelt erlangt wird, macht dennoch großenSinn: Sie ist weniger schmerzvoll im Vergleich zur tragischenRealität, die einen mit den Konsequenzen des Falschen, Hässli-chen und Schlechten direkt konfrontiert. Stellt man Tragödieund Komödie gegenüber, ist die Katharsis in der Tragödie nurmit Furcht und Mitleid zu bewältigen, die Komödie verbanntzumindest die Furcht und schafft, was das Leben erträglichmacht: Unvernunft, Spontaneität und Zuversicht. Viele abge-schlossene Sinnsysteme werden aufgrund ihrer eigenen Ge-setzmäßigkeiten und logischen Systeme sowie immanentenAxiome als besonders 'sinn'-voll betrachtet und als Kunst titu-liert. Musik, Theater, Malerei oder die Kunst alles Komischengenießen diesen Stellenwert. Dass es gerade der Kunst obliegt,die Welt auf den Kopf zu stellen, wie es beispielsweise in derGegenwartskunst durch Georg Baselitz ja tatsächlich prakti-ziert wird, scheint im übrigen ein treffender Hinweis auf dieProduktionstechnik gerade des Komischen zu sein. Die Weltauf dem Kopf als anderes Bezugssystem oder als neuer Blick-winkel schafft automatisch neuen Sinn. In der Kunst sind zu-dem Stilbrüche an der Tagesordnung. Der Skandal wird vomKünstler oft provoziert, da er mit dem inszenierten Tabubruch,der Normen und Werte der Alltagswelt verletzt, erhöhte Auf-merksamkeit erntet. Das Neue, Ungewohnte erfährt in derKunst höchste Anerkennung.Kunst jedoch schafft in der Regel Beständiges, während dasKomische eine flüchtige Erscheinung ist - und sein muss. Mankann denselben Leuten nicht dieselben Witze mehrmals er-zählen und jedes Mal die gleiche Wirkung erzielen. Es kann

53 Cicero: De orartore, LVIII, S. 236, zitiert nach: Berger (1998), S. 24

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sehr unterhaltsam sein, Witze von immer der gleichen Personzu hören, aber der Inhalt bzw. das Programm muss stets er-neuert werden. Wiederholung flacht ab. Das Komische lebt vonimmer neuen Überraschungen, wenngleich der Rahmen, indem Komisches und Humor stattfindet, oft vorgegeben undritualisiert ist. Es ist immer derselbe Stammtisch, zu dem mankommt, um Witze zu hören, es ist immer die gleiche Kabarett-bühne, von der Künstler einen zum Lachen bringen. In derFirma ist es vielleicht immer die Teeküche, in der man sichversammelt, um lustvoll Anekdoten aus dem Berufsalltag aus-zutauschen. Insofern hat auch Humor einen Raum - zeitlichwie örtlich -, in dem er erwartet wird. Ähnlich einem Zeremo-niell wird das Komische oft inszeniert. Peter L. Berger be-hauptet, dass man die Bedeutung und den Stellenwert, den dieKomik in der Gesellschaft hat, erst dann erschließen könne,wenn man "die tiefe Affinität des Komischen zu Religion undMagie" begreife. Berger verweist auf den Soziologen AntonZijderveld, der sich mit dem Phänomen des Komischen syste-matisch beschäftigt hat. Zijderveld nutzt den Begriff 'fasci-nans', den auch Rudolf Otto in seiner klassischen Studie 'DasHeilige' verwendete. Gemeint ist damit ein religiöses Erlebnis,das Attraktion und Schrecknis einbezieht. Denn ähnlich demKomischen sei das Heilige ein Eindringling in die dominanteWirklichkeit des Alltagslebens, wie es Alfred Schütz formulierthat. „Jede soziologische Analyse des Komischen muss diesezunächst seltsam erscheinende Affinität in Betracht ziehen.”54

Das Heilige stellt wie das Komische einen in sich geschlosse-nen Sinnbereich dar und findet, wie oben erwähnt, Zeichenund Rituale zur Manifestation.Hierbei möchte ich meine Perspektive als Produzent von Hu-mor einfließen lassen. Wer tagtäglich auf der Suche nachPointen, Gags und komischen Begebenheiten ist, entwickelteinen Spürsinn für Fundstellen und Anknüpfungspunkte imAlltagsleben. Dabei ist das kabarettistische Verarbeiten vonAlltagssituationen sicher das Suchen und Finden von Wider-sprüchen. Dies ist jedoch nicht die einzige und ausschließlicheQuelle des Komischen. Lachen, so meine Erfahrung, entwickelt

54 Berger (1998), S. 77

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sich nicht aus dem Unvereinbaren gleichzeitig auftretendergeschlossener Sinnbereiche, sondern vielmehr aus dem Dop-peldeutigen und Ambivalenten. Es ist dann etwas komisch,wenn nicht ein "abgeschlossener Sinnbereich" einen anderenablöst, sondern wenn er dazu kommt. Die kognitive, analyti-sche Leistung, die der Rezipient des Komischen erfolgreich er-bringt, indem er eine zusätzliche, eine neue, eine lustige Inter-pretation der Ereignisse zur Verfügung hat, lässt ihn lachen.Insofern beflügelt das Komische die Kreativität. Über denClown im Zirkus lacht man auch deshalb, weil er Alltagsge-genstände für Aufgaben nutzt, die die Zuschauer niemals dafürnutzen würden. Das Komische erweitert unseren Blickwinkelfür ungewöhnliche, aberwitzige Lösungen. Diese sind zwar fürden Alltag meist nicht effizient genug, da, wie oben erwähnt,Aufwand und Ergebnis in keinem vernünftigen Verhältnis ste-hen, aber sie geben verblüffendes Beispiel über die spielerischeLeichtigkeit, kreativ und innovativ zu sein. Dies ist ein wichti-ger ergänzender Aspekt, der Humor und Komik auszeichnet.

3.3.2 Humor als Grenzfall der Kommunikation

Sigmund Freud stellt in seiner Analyse des Witzes und seinerBeziehung zum Unterbewusstsein die These auf, dass die Lustdes Witzes aus erspartem Hemmungsaufwand entstehe. Dieseelische Energie, die die Unterdrückung verbotener Triebeverbraucht, bleibt somit erspart. „Die Lust entsteht dadurch,dass eine Tendenz (Aggression) befriedigt wird, deren Befriedi-gung sonst unterblieben wäre, weil ihrer direkten Verwirkli-chung ein äußeres Hindernis (Machtmittel der von der offenenBeschimpfung betroffenen Person) oder ein inneres Hindernis(Kultur, Bildung, Erziehung) entgegensteht. Der Lustgewinnentspricht dann dem ersparten psychischen Aufwand ('Hem-mungs-, Unterdrückungsaufwand')”55

Diese Ersparnis will nicht nur erkannt, sondern mitgeteilt wer-den. Nur so ist der Lustgewinn überhaupt möglich. Bemer-kenswert ist nämlich Freuds Feststellung, „dass niemand sich

55 Lixfeld (1986), S. 56

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begnügen kann, einen Witz für sich allein gemacht zu haben.Mit der Witzarbeit ist der Drang zur Mitteilung des Witzes un-abtrennbar verbunden; ja dieser Drang ist so stark, dass er sichoft genug mit Hinwegsetzung über wichtige Bedenken ver-wirklicht.”56 In Unterscheidung zum Komischen, über dasman auch allein herzlich lachen kann, verleitet der Witz nichtzum Lachen, wenn er einem eingefallen ist. „Der psychischeVorgang der Witzbildung scheint mit dem Einfallen des Witzesnicht abgeschlossen, es bleibt etwas übrig, das durch die Mit-teilung des Einfalls den unbekannten Vorgang der Witzbil-dung zum Abschlusse bringen will.”57 Freud führt aus, dassbeim Witz oder Scherz einer anderen Person die Entscheidungübertragen wird, ob die Witzarbeit ihre Aufgabe erfüllt hat,„als ob das Ich sich seines Urteils darüber nicht sicher wüss-te.”58 Der selbe Witz funktioniert also nicht immer. Die Wir-kung, also das Lachen, tritt nur ein, wenn Konsens herstellbarist zwischen dem 'Ich', der Objektperson (eine in unseremVorstellungsleben konstruierte Art von Personifizierung) undeiner dritten Person (ein Zuhörer) mit dem Gesagten. „EinGrad von Geneigtheit oder eine gewisse Indifferenz, die Ab-wesenheit aller Momente, welche starke, der Tendenz gegneri-sche Gefühle hervorrufen können, ist unerlässliche Bedingung,wenn die dritte Person zur Vollendung des Witzvorgangesmitwirken soll.”59 Witze können gemäß Freud also nur zwi-schen Menschen ausgetauscht werden, die miteinander lachenwollen und sich gegenseitig Respekt bezeugen möchten unddie von vornherein in der Bewertung gewisser Sachverhalteoder gesellschaftlicher Vorgänge übereinstimmen und in ihrenWeltanschauungen sympathisieren. Der Zuhörer darf durchden Witz zudem nicht selbst verletzt werden, ansonsten würdeEntrüstung und nicht Lust enstehen durch den erzählten Witz.Humor oder zumindest das Witzeerzählen stellen insofern ei-nen Grenzfall dar, da das Gelingen dieser Art von Kommuni-kation nicht bei allen Personenkonstellationen denkbar ist.

56 Freud (1992), S. 15657 ebd.58 ebd., S. 15759 Freud (1992), S. 158

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Genau gegenteilig argumentiert Niklas Luhmann. Auch für ihnstellt der Witz zwar eine Ausnahmesituation innerhalb dermenschlichen Kommunikation dar. Aber während Freud be-hauptet, man suche Bestätigung durch das Witzeerzählen oderüberprüfe das eigene Empfinden und Bewerten durch das La-chen des Anderen, sieht Luhmann im Witz eine Möglichkeitzur Überwindung der Sprachlosigkeit zwischen Menschen.Wenn man sich nichts zu sagen hat, weil gemeinsame Themenfehlen, schafft der Witz eine Brücke, auch wenn sonst keinerleiGemeinsamkeiten vorhanden sind außer einer Verständnisebe-ne. Widerspruch und Absurditäten, wie sie im Witz vorkom-men, provozieren Bewusstheit. Niklas Luhmann weist daraufhin, dass es „spezifische soziale Regulative (gibt), die Kommu-nikation verhindern; und es gibt umgekehrt eine riesige thera-peutische Industrie, die sich bemüht, Bewusstsein herzustellen,auch und gerade dort, wo es an eigenen Latenzen scheitert."60

Unter Latenz versteht er das Fehlen bestimmter Themen zurErmöglichung und Steuerung von Kommunikation. Diese La-tenz lässt sich unterteilen in rein faktische Latenz im Sinnevon Unkenntnis der Themen zur Kommunikation und zum an-deren in strukturfunktionale Latenz, d.h. in die zu erwartendeAussicht, dass Kommunikation oder Bewusstheit Strukturenzerstören bzw. erhebliche Umstrukturierungen auslösen würde.Diese Aussicht blockiert Kommunikation. Das Bewusstwerdenkann somit „die sozialen Latenzen unterminieren, indem es zuKommunikation drängt.”61 Explizit, wenn auch nur in einerFußnote, verweist Luhmann auf die Bedeutung von Witz undIronie in diesem Zusammenhang. Im Witz stellt sich Bewusst-sein als fehlerhaft dar, aber als bewusst fehlerhaft. „Es begehtsozusagen einen Kategorienfehler, eine Ebenenverwechslung,eine unmögliche Attribution, um in soziale Latenzen einzubre-chen und sie zugleich zu respektieren. (...) Witz kann solidari-sierend wirken, und zwar dadurch, dass er heimliche Ver-ständnisvoraussetzungen, also Bewusstsein in Anspruchnimmt, ohne daraus soziale Strukturen zu bilden.”62

60 Luhmann (1988), Seite 45861 ebd., S. 45962 ebd.

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Als Humorproduzent stimme ich Freud zu. Jeder neu ausge-dachte Gag, jede frisch produzierte Pointe muss an jemandemüberprüft und somit auf Güte und Verwertbarkeit in einemhumorvollen Programm getestet werden. Dieser Testzuhörer istniemals eine x-beliebige Person, sondern stets ein Sympathi-sant, dessen Sinn für Humor mir bekannt sein muss.Als Humorverwerter pflichte ich Luhmann bei. Wo gemeinsa-me Interessens- und Erlebensebenen fehlen, schafft ein ge-meinsames Lachen einen Einstieg in Kommunikation, weil esGemeinsamkeiten suggeriert, wo eigentlich keine vorhandensein müssen oder noch nicht sind.

3.3.3 Das Prinzip der Ambivalenz beim Humor

Jürgen Habermas sieht in der Konstruktion von Witzen einenRückfall hinter die archaische Grenze zwischen vorsprachlicherund sprachlicher Kommunikation, denn es gehe stets um dieVerwechslung von Identität und Ähnlichkeit.63 Jedes Wort-spiel und so manch Kalauer basieren auf dieser Technik derÄhnlichkeit. Beispiel: „Wo hast du denn deine Armbanduhrgelassen?“ „Ach, die geht immer vor, die ist sicher schon zuHause.“Andere Autoren benennen diese Ähnlichkeit, bei der zwei Ge-danken, die sich völlig fremd sind und unvermittelt aufeinan-der stoßen, mit unterschiedlichen Begriffen. Bergson sprichtvon Interferenz, da sich hier zwei Ideensysteme überschneiden.In seinen Essays über das Lachen, die 1899 veröffentlicht wur-den, reduziert er diese Ideensysteme auf zwei Prinzipien, dasLebendige und das Mechanische. Überall, wo das Komischeauftritt, sieht er den Gegensatz dieser beiden Prinzipien auf-einanderprallen. Das Mechanische zeichne sich durch Wieder-holungen aus, während das Lebendige steter Wandel sei. Ar-thur Koestler spricht von 'Bisoziation', worunter derZusammenprall zweier miteinander unvereinbarer Spielregelnund Assoziationen zu verstehen sei.64 Friedrich Theodor Vi-

63 vgl. Berger (1998), Kapitel 264 vgl. Hirsch (2001), S. 28

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scher, ein Schüler Jean Pauls, schrieb 1837 vom Widerspruchdes Komischen oder der 'Contradictio'. Damit ist die Gleichzei-tigkeit von Sinn und Unsinn, Klugem und Törichtem, Weisemund Wahnsinnigen gemeint.65

Emil Kraepelin beschreibt die Pointe als plötzliche paradoxeLösung eines psychischen Spannungszustandes.66 Auf diesenDoppelsinn verwies schon Immanuel Kant in seiner Vorlesungüber Anthropologie im Jahre 1798, in der er ausführt, dass derWitz heterogene Vorstellungen assimiliere, die oft nach demGesetz der Assoziation weit auseinander liegen. Diese Assimi-lation erfolge so blitzschnell, dass Verblüffung erzeugt wird.Es wirkt so überraschend, dass der Einfall, der 'Witz' im Sinnevon Esprit zündet.Gregory Bateson, der kalifornische Anthropologe, schreibt ineinem Aufsatz über den Humor, dass das Paradox das prototy-pische Paradigma des Humors sei. Bei all dem gilt ein wichti-ger Zusatz, der erstmals von Johannes Volkelt, einem Zeitge-nossen von Sigmund Freud, in die Diskussion gebracht wurde.Widersprüchliches muss nicht von vornherein lustig sein undzum Lachen anregen.67 Joachim Ritter verwies vierzig Jahrespäter noch einmal darauf, indem er das Unernste näher cha-rakterisierte als das Nichtanständige, Unwesentliche, Ver-drängte, eben als all das, was wir aus unserer Ordnung aus-grenzen und dem nur im Lachen Platz eingeräumt wird. DasKomische ist die Gegenwelt, in der auch Platz für Ängste undTabus, Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten ist. Durch diegroteske Unmöglichkeit oder die Paradoxie ist auch dasFürchterliche nicht mehr ernst und gefährlich.Letztlich lässt sich über alles lachen, bemerkte der SoziologeErving Goffman, wenn man falsche Kontexte erzeuge. JedeMitteilung wirke komisch, wenn der Rahmen nicht passe. Inseiner 'Rahmen-Analyse' zeigt er an unterschiedlichen Bei-spielen, wie ernsthafte Dinge durch die falsche 'Rahmung' insLächerliche abrutschen. All diese Definitionen und Erläuterun-gen können zusammengefasst werden, wenn eine Gemeinsam-

65 Vischer (1837), S. 17966 Kraepelin (1885), S. 36067 Volkelt, J., S. 351

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keit hervorgehoben wird. Viele Begriffe können als Synonymeaufgefasst werden für die Beschreibung von Dingen, Begeben-heiten und Begriffen, die einen Widerspruch erzeugen odereine dualistische Sichtweise zulassen. Zweideutigkeit und Am-bivalenz sind somit ein Wesensmerkmal von Humor und allemKomischen.

3.3.4 Die soziale Dimension des Humors

Bei vielen soziologischen und philosophischen Betrachtungenüber den Humor bleibt die soziale Komponente meist unbe-rücksichtigt. Dabei ist es doch gerade die für alle Beteiligtenpositive Interaktion bei Witz und Komik, die diese Form derKommunikation so beliebt und wichtig macht. Wenn manlacht, dann sowohl aus Wertschätzung gegenüber demjenigen,dem es gelingt, uns zu erheitern als auch aus Freude über dieeigene Klugheit, den neuen Sinnbezug herstellen zu könnenoder ein Rätsel oder Gedankenspiel gelöst zu haben. Das besteBeispiel ist hierfür die Reaktion auf eine Pointe bei einemWitz. Eine Pointe ist wie ein Rätsel, ein verblüffender Wider-spruch. Nur wer blitzschnell dieses Rätsel löst, findet den Re-spekt des Witzeerzählers und kann sich über die eigene Ge-dankenschärfe freuen. Der Hörer denkt nicht nur mit, er mussselbst der Konstruktion auf die Schliche kommen. Insoferngleicht das Witzeverstehen einer Entdeckung. Arthur Koestlerspricht von der „Befriedigung, dass man schlau genug ist, umdie Pointe zu erfassen.“68 Deshalb setzt er einen humoristi-schen Einfall sogar gleich mit einem 'göttlichen Funken', dahier etwas Ähnliches aufleuchte wie z.B. bei wissenschaftli-chen Entdeckungen. Der Unterschied zur Wissenschaft liegtdarin, dass es immer ein gemeinsamer Akt ist.Humor (neben der Situationskomik, die Ereignisse zufällig mitsich bringt) entsteht doch meist aus dem Bedürfnis heraus, sichnahe zu sein und eine Verbindung zwischen Menschen herzu-stellen. Zugehörigkeit wird vermittelt durch das gemeinsameLachen, das sich aus einer Übereinstimmung der Lebenswelten

68 zitiert nach: Hirsch (2001), S. 34

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ergibt. Beim Witz ist es der übereinstimmende soziale, kultu-relle und intellektuelle Hintergrund, der sichergestellt seinmuss, um über eine Pointe lachen zu können. Lachen als sozi-ales Phänomen entsteht also nicht aus einem Widerspruch,sondern aus Übereinstimmung dieser im Witz überprüftenWirklichkeitsebenen.

3.3.5 Humor als Kommunikationsmedium

Innerhalb der Systemtheorie, wie sie der Soziologe NiklasLuhmann ausgearbeitet hat, kann Humor aus einer weiterenPerspektive betrachtet werden, nämlich als Kommunikations-medium. Der Begriff Kommunikationsmedium ist ein theoreti-sches Konstrukt, das im Zusammenhang mit grundsätzlichenProblemen der Kommunikation entwickelt worden ist. Dabeigeht es um kommunikative Zumutungen wie beispielsweise dieAufforderung, Eigentum abzutreten oder Befehlsgehorsam zuleisten. Wahrscheinlich wäre ja, solche Zumutungen abzuleh-nen oder sie völlig zu negieren. Auf Grund der Wahrschein-lichkeit, dass jede kommunikative Zumutung dieser Art abge-lehnt wird, stellt sich die Frage, wie diese unwahrscheinlicheKommunikation doch stattfinden kann. Symbolisch generali-sierte Kommunikationsmedien wie etwa Geld, Macht, Wahrheitoder Liebe, wie sie in Luhmanns Systemtheorie ausgearbeitetworden sind, geben hier eine plausible Antwort. Innerhalb desFunktionssystems Wirtschaft ermöglicht so Geld beispielsweisedurch die Operation Zahlung den Austausch von Eigentumund gewährleistet eine gerechte Verteilung von Waren. Sounwahrscheinliche Einsätze wie lebensgefährliche Kampf-handlungen, wie sie von militärischen Organisationen abver-langt werden, werden erklärbar durch Macht, die dem Funkti-onssytem Politik zugeordnet wird. Das Kommunikations-medium Wahrheit innerhalb des Funktionssytems Wissen-schaft erklärt, warum unbequeme und unliebsame Erkennt-nisse akzeptiert werden, selbst wenn sie jeglicher Intuition wi-dersprechen oder unanschaulich sind wie etwa dieQuantenphysik.

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Allen Kommunikationsmedien gemein ist, dass sie mit gesell-schaftlichen Problemen korrespondieren, derer sie sich anneh-men. Über ähnliche bzw. äquivalente Strukturen sind Kommu-nikationsmedien zudem vergleichbar. Mit den Präferenzcodeswahr/unwahr in Bezug auf Wissenschaft lassen sich beispiels-weise Informationsflüsse ordnen. Eine andere Struktur könnensymbiotische Symbole sein, die das Verhältnis der Medien alsFormen von Kommunikation zur Körperlichkeit organisieren;etwa Wahrnehmung in Bezug auf Wissenschaft, Gewalt in Be-zug auf Macht oder Sexualität in Bezug auf Liebe. Ein weiteresStrukturmerkmal ist der Grad der Anwendung der Kommuni-kationsmedien als inflationär bzw. deflationär.Dieses systemtheoretische Konzept der Kommunikationsme-dien lässt sich laut Jörg Räwel69 auch auf den Humor übertra-gen. Dabei stellt er die Frage, welches gesellschaftliche Prob-lem dem Humor zuordenbar ist bzw. welche gesellschaftlicheFunktion Humor erfüllen soll. Räwel definiert Humor als eineForm der Kommunikation, die Erwartungen durchbricht undKonventionen bzw. vorgegebene kommunikative Strukturenüberschreitet. Was man beispielsweise in einem Dialog kom-munikativ vom Gegenüber erwartet und als Konvention an-wendet und typisiert auch immer wieder ablaufen lässt, wirddurch Humor nochmals in seinen Konventionen unterschieden.Oft reicht eine einfache Negation, um diese Erwartung zudurchbrechen und Lachen auszulösen.Insofern ist Humor, verstanden als Kommunikationsmedium,auch Reflektionsmedium, das Beobachtungen von Beobachte-tem im Sinne einer Erwartung ermöglicht. Für humoristischeKommunikation braucht es laut Räwel nicht vorgegebenesLachhaftes oder lächerlicher Objekte, die subjektiv wahrge-nommen werden, sondern Humor wird erst als Kommunikati-onsmedium konstruiert und konstituiert. Konkret heißt das, dieunwahrscheinliche Form von Kommunikation, gegen konven-tionelle Erwartungen zu verstoßen, wird durch Humor wahr-scheinlich. Selbst Beleidigungen, Sachbeschädigungen und alleAuslöser von Schadenfreude, wie sie beispielsweise mit ver-steckter Kamera gefilmt und im Fernsehen gezeigt werden,

69 vgl. Räwel (2005)

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was ja schon rein technisch die Beobachtung einer Beobach-tung darstellt, werden von den 'Opfern' geduldet und verursa-chen keine negativen Konsequenzen. Der Erfolg humoristischerKommunikation ist somit, dass die Erwartungsenttäuschungenim Sinne von Übertretungen der Konventionen nicht sanktio-niert werden.

Humor schafft alternative Betrachtungsweisen und generiertVariationen und Neues im Vergleich zu bereits vorhandenen(kommunikativen) Strukturen. Pointen bieten Alternativen,neue Ansichten und ebnen den Weg für unkonventionelle Ge-danken. Einer moderne Gesellschaft, die funktional differen-ziert ist und sich stets anpassen und wandeln muss, bietetHumor die Möglichkeit zu gesellschaftlicher Evolution. Dass inder Gegenwart Humor einen hohen Stellenwert hat, hat imÜbrigen damit zu tun, dass Innovation und Querdenkertumhohes Ansehen genießen, was in früheren Zeiten keineswegsso war. Es gibt nach wie vor Recht und Moral, die dazu die-nen, Erwartungsenttäuschungen zu sanktionieren, allerdingsmit den Einschränkungen in der modernen funktional diffe-renzierten Gesellschaft auf das Recht als Funktionssystem bzw.Moral als Kommunikationsmedium.Neben dieser Beschränkung genießt jedoch die Freiheit derKunst und somit die des Kabaretts und der Satire einen hohenStellenwert und somit lassen sich auch moralische Prinzipienverletzen. Diese Entwicklung lässt sich erklären aus dem Um-bruch der Gesellschaft von einer stratifizierten zur funktionaldifferenzierten Ordnung. Mit der Verbreitung des Buchdrucksim 15. und 16. Jahrhundert begünstigten gedruckte Schrifteneine anonyme Autorenschaft und ermöglichten, Abweichun-gen von der Norm und widersprüchliche Thesen in Verbreitungzu bringen. Satiren waren der Anfang, Nonsens und Slapstickals moderne Formen des Humors stehen am Ende dieser Ent-wicklung. Dem entgegen waren stratifikatorisch differenzierteOrdnungen bestimmt von negativer Reaktion auf Neues. Ver-halten entgegen der Norm und Erwartungsenttäuschungenwurden sanktioniert oder lächerlich gemacht. Der Humor desmittelalterlichen Hofnarrs diente demgemäß dazu, Neuheiten

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und Variationen als lachhaft darzustellen und hierarchischeEbenen zu stabilisieren.Der Humor heutzutage soll statt dessen kritisches Bewusstseinfördern und Hierarchien in Frage stellen, insofern kann derPräferenzcode des Kommunikationsmediums Humor als "re-flektiert/unreflektiert" wiedergegeben werden. Dazu gibt eseine Zweitcodierung lustig/ernst, die zusätzlichen Komplexi-tätsgewinn ermöglicht. So können selbst ernste Themen oderGalgenhumor dem Codewert lustig zugeordnet werden.Der präferierte Codewert einer Kommunikation wird dabei überProgramme der Kommunikationsmedien zugeordnet. Witzsei-ten, Comedy-Sendungen, Narrenfeste, Sitcoms mit eingespiel-ten Lachjingles sind Beispiele für diese programmartigeStruktur. Als symbiotisches Symbol, das den Bezug zwischenKommunikationsmedium und Körperlichkeit regelt, steht dasLachen an erster Stelle, so wie Gewalt mit Macht und Sexua-lität mit Liebe korreliert. Das Verhältnis von Kommunikati-onsmedium zu symbiotischem Symbol folgt dabei aber keinemeinfachen Kausalschema. Lachen ist nicht einfach nur Indika-tor von Humor, genauso wenig wie Sexualität Indikator vonLiebe ist. Insofern lässt sich Humor nicht alleine dadurch cha-rakterisieren, dass es die Erzeugung von Lachen herbeiführensoll.Auf das eingangs erwähnte Strukturmerkmal der inflationärenbzw. deflationären Anwendung möchte ich im Zusammenhangdieser Arbeit betont hinweisen, denn das Vertrauen in einKommunikationsmedium kann durch deflationäre TendenzenSchaden leiden. So kann das Kommunikationsmedium Gelddurch verlorenes Vertrauen an Wert verlieren. Die Übersätti-gung mit Humor durch die Massenmedien zeigt, dass auchHumor von inflationären Tendenzen bedroht ist. Da Humor alsKommunikationsmedium das Unkonventionelle ermöglichenwill und die Inflation Erwartungskonformität provoziert, ver-liert Humor an Wirkung. Humoristische Kommunikation mussaber eine Ausnahme bleiben, um seine innovationsförderndeFunktion erfüllen zu können.

3.3.6 Humor als konsumierbarer Erlebniswert

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Humor soll abschließend nicht nur in seiner kommunikativenStruktur und Funktionsweise, sondern auch aus kultursoziolo-gischer Perspektive in seiner Bedeutung als Teil der Ästheti-sierung des Alltagslebens dargestellt werden. Gerhard Schulzehat in seinem Buch 'Die Erlebnisgesellschaft' erläutert, dassdas Alltagsleben heutzutage weniger durch die Sicherung derExistenz, als vielmehr durch Erlebniskonsum gekennzeichnetist, der wiederum vor allem ästhetischen, nicht funktionalenKriterien Genüge leisten muss. Das Leben selbst sei ungeachtetaller sozialen Unterschiede zum Erlebnisprojekt geworden. Mi-lieustruktur und persönliche Stile stehen dabei unter dem Ein-fluss des Erlebnismarktes, der sich expansiv entwickelt hat.Erlebnisorientiertes Handeln ist dabei zunehmend ein Feld derProfessionalisierung, wie im Bereich des Humors allein dieSchar an Entertainern, Animateuren, Comedians und Gute-Laune-Radiomoderatoren zeigt. Dabei erhöht sich nicht nur dieAnzahl der Humorproduzenten, sondern es vermehren sich dieMöglichkeiten des Konsums. „Wichtigste Kategorie, um dieErweiterung des Möglichkeitsraumes zu beschreiben, ist dasAngebot. Inzwischen sind auch entlegene Bereiche des All-tagslebens als Marktnische ausgespäht und von Offerten um-stellt. Man hat die Wahl, worum es auch immer gehen mag.(...) In besonderem Maße gilt diese Angebotsexplosion für die-jenigen Angebote, deren Gebrauchswert ausschließlich in ih-rem Erlebniswert besteht, etwa Kino, Illustrierte, Musikkonser-ven.”70

Humor lässt sich dabei in allen alltagsästhetischen Schematafinden und ist Bestandteil vieler Angebote im Erlebnismarkt.Dabei kann man verschiedene Humorstile unterscheiden.In den vorhergehenden Kapiteln wurde Humor noch nicht inHinblick auf unterschiedliche Milieus oder Rezipientencharak-teristika differenziert. Denn das Lachen ist als Reaktion allenmöglichen Formen des Humors gemein. „Humor ist die einzigeForm der Kommunikation, bei der ein Reiz auf einer hohenStufe der Komplexität eine stereotype, vorhersehbare Reaktionauf der (Stufe der) physiologischen Reflexe auslöst. Das erlaubt

70 Schulze (1992), S. 56

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es uns, diese Reaktion als Indikator für jene schwer faßbareEigenschaft zu benutzen, die wir Humor nennen - wie wir dasTicken des Geigerzählers benutzen, um Radioaktivität zu er-kennen.”71 Da aber offensichtlich unterschiedliche Arten vonHumor für verschiedene Zielgruppen produziert werden undHumor auch je nach Zielgruppe unterschiedlichen Anklangfindet, wollen wir hier eine Stil-Differenzierung versuchen.Schulze hat dies in Bezug auf den Erlebnismarkt analysiert:„In einer Umwelt der ungezählten kleinen Möglichkeiten, deraufgehäuften Erlebnisangebote und der immer neu auftau-chenden geschmacklichen Weggabelungen hat Identität einezentrale ästhetische Komponente. Ich erkenne mich in demwieder, was mir gefällt.”72 Die Ausprägung der Identität zeigtsich im Stil. „Als Stil sei nun die Gesamtheit der Wiederho-lungstendenzen in den alltagsästhetischen Episoden einesMenschen definiert.”73 Welche Art von Humor konsumiertwird, spielt bei der Frage, was Identität erkennbar macht undstabilisiert, ebenfalls eine Rolle. Je nachdem, ob ich HaraldSchmidt, den intellektuellen Zyniker mit bildungsbürgerlichemHintergrund, oder Mario Barth, den Comedian, der mit Witzenüber die Geschlechterrollen große Arenen füllt, lustig finde, obich Kabarettabende in Kleinkunstbühnen besuche oder Come-dysendungen im Fernsehen anschaue, präferiere ich unter-schiedliche alltagsästhetische Schemata. Bemerkenswert hier-bei ist, dass Harald Schmidt und Mario Barth durchaus diegleichen Witze erzählen können, die Pointen je nach Milieuder Zuhörer aber unterschiedlich ankommen; der Barth-Fanwird sich über Schmidtwitze weniger amüsieren, als wenndiese von seinem Comedy-Idol vorgetragen werden.Für meine Untersuchung ist diese Beobachtung dann von Be-lang, wenn sich der gruppen- oder milieuspezifische Humor-Konsum mit anderen Erlebnisorientierungen in Verbindungsetzen lässt bzw. wenn sich alltagsästhetische Schemata er-kennen lassen. Denn dann lässt sich Humor auch zielgrup-penspezifisch und somit wirkungsvoll einsetzen.

71 Birkenbihl (2001), S. 5472 Schulze (1992), S. 10273 ebd., S. 103

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„Die Existenz alltagsästhetischer Schemata ließe sich durch eineinfaches Experiment nachweisen, bei welchem den Versuchs-personen die Aufgabe gestellt wird, weit verbreitete Angeboteunseres Erlebnismarktes zu zusammengehörigen Gruppen zusortieren. (...) Der Killer im Action-Film hat größere Ver-wandtschaft mit Donald Duck als beispielsweise mit den Hel-den der griechischen Mythologie, so killerhaft sie in den altenTexten auch dargestellt werden mögen."74 Volksmusik hathöhere Affinität zum Arztroman, Mozart harmoniert mehr mitThomas Mann. Genausowenig wie jeder nur denkbare RomanLesevergnügen bereitet, wird jede Humorproduktion mit La-chen erwidert. Insofern geht es nicht nur um Lachen, sondernum milieuspezifische Stimmigkeit.Schulzes vorgeschlagenes Experiment, unterschiedliche Ange-bote des Erlebnismarktes nach Zusammengehörigkeit zu sor-tieren, wird übrigens bei dem Internetversandhaus Amazon zurAlltagspraxis, indem Statistiken über das Kaufverhalten ge-führt und diese Auswertungen auch jedem Käufer zur Verfü-gung gestellt werden. Anhand der eigenen Käufe oder Kauf-wünsche, die man in den Warenkorb legt, listet AmazonEmpfehlungen auf, indem Bestellungen anderer Käufer, dieebenfalls das soeben gewählte Produkt erworben und weitereKäufe getätigt haben, dargestellt werden. Verblüffend ist, dassselbst über Produktgattungen hinweg diese Empfehlungen deneigenen Geschmack treffen. Wenn ich ein Buch bei Amazonbestelle, werden mir oft Bücher aus völlig anderen Themenge-bieten sowie CDs und DVDs empfohlen, die ich tatsächlichschon habe oder für die ich Interesse hege. Mein Nachfrage-verhalten im Erlebnismarkt zeugt also nicht von singulärenIndividualinteressen, sondern lässt sich in ein Schema fassen,das letztendlich eine Segmentierung der Gesellschaft zulässt,wie sie Schulze vorgenommen hat. Genauso kann die Humor-rezeption und der Konsum von Erlebnissen, die zum LachenAnlass geben, klassifiziert werden. Umso interessanter ist dieseErkenntnis, als es sich bei Lachen und Humor ja nicht nur umkognitive Aspekte handelt, sondern wahrnehmbare Körperre-aktionen damit verbunden sind.

74 ebd., S. 127

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„Erlebnisse haben psychophysischen Charakter. Reduziert mansie, wie es für die Soziologie kultureller Formen typisch ist, aufihre kognitive Komponente, so bleibt die Analyse unvollstän-dig. Der Verweisungszusammenhang von Subjekt und Gesell-schaft hat sowohl eine kognitive wie eine somatischeSchicht."75 Schulze beschreibt die Unterschiede dieser physi-schen Dimension der Teilnahme am Erlebnismarkt zum Bei-spiel bei der Rezeption von Musik. Im Hochkulturschema, beieinem Klassik-Konzert etwa, beschränkt sich die körperlicheTeilnahme auf ein kontemplatives Zuhören und Stillsitzen,während der Besuch eines Rockkonzertes innerhalb des Span-nungsschemas einen möglichst intensiven Körpereinsatz aus-löst, der sich nicht nur in wildem Tanzen und Hüpfen, sondernauch im Kreischen und Mitklatschen zeigt. Beim Humorkon-sum ist es ähnlich. Auch hier lassen sich die Reaktionen imTrivial-, Spannungs- und Hochkulturschema auf Humor deut-lich unterscheiden. Zwischen schenkelklopfendem Gejohle aufder einen Seite und auf Pointen konzentriertes, kurzes Lachen,das von Applaus begleitet wird, auf der anderen Seite lassensich hier Unterschiede deutlich herausarbeiten. Diese Unter-schiede zeigen sich schon in Inszenierungsdetails der Humor-produktion. Im Trivialschema werden Pointen durch einenTusch bei Büttenreden oder eingespielten Lachern vom Bandbei Sitcoms hervorgehoben, während im Hochkulturschemakeine Unterstreichung oder Hervorhebung der Pointen stattfin-det und keine Hinweise ans Publikum gegeben werden müssen,wann gelacht werden soll.Auch die werbetreibende Industrie hat erkannt, dass Humorpositive Werbewirkung hat und somit Humorvolles auch eingutes redaktionelles Umfeld für Werbung darstellt. Klaus Mo-ser schreibt in seiner 'Werbepsychologie', dass „der positiveEffekt von Humor auf die Aufmerksamkeit des Zuhörers undGlaubwürdigkeit des Senders”76 trotz widersprüchlicher Stu-dien zu diesem Thema von keinem Autor bestritten wird. Hu-mor spielt allein aufgrund dieser Aufmerksamkeitsförderungfür die Werbung innerhalb des Erlebnismarktes eine zuneh-

75 Schulze (1992), S. 8976 Moser (1990), S. 185

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mend große Rolle. Auf die Frage, wie der Konsument diesesAngebot nutzt, äußert Schultze die These, dass es unter derBedingung eines voll entwickelten Erlebnismarktes eine erleb-nisrationale Strategie sei, zwar nahezu blind und ziellos, dafüraber in kurzer Folge und kontinuierlich auf Erlebnisangebotezuzugreifen. Die Erheiterung stellt sich dann mit der kalkulier-baren Verlässlichkeit von Zufallstreffern ein.

4. Wirkung des Lachens

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Nach den Ausführungen in den vorhergehenden Kapiteln, wieman Humor und Komik beschreiben kann, interessiert uns imFolgenden nicht die Frage, warum Menschen lachen und wieman die Verursachung dessen erklären kann (die bei vielenAbhandlungen zu dem Thema im Vordergrund steht), sondernvielmehr die Wirkung dieses Lachens. Das Lachen im Zusam-menhang mit betriebswirtschaftlich relevanten Abläufen zuuntersuchen, macht ja nur Sinn, wenn die Effekte des Lachensnachweisbare Auswirkungen auf Leistungsbereitschaft, Kreati-vität, Produktivität und subjektives Wohlbefinden der Mitar-beiter eines Betriebes haben. Bei den interpersonellen Effektendes Lachens steht zudem die Frage im Mittelpunkt, ob Humornicht dabei helfen kann, Bestandteile einer angestrebten Un-ternehmenskultur zu entwickeln oder zu fördern.

4.1 Intrapersonelle Effekte des Lachens

Dass Lachen die beste Medizin sei, ist nicht aus der Luft ge-griffen. Was biophysikalisch beim Lachen passiert, ist schnellerklärt: Zwerchfell und Brustkorb zucken krampfartig zusam-men, die Lungenflügel werden zusammengedrückt, so dassLuft mit hoher Geschwindigkeit ausgestoßen wird. So entstehtein abgehackt klingender Laut, das vokalartige 'Ha, ha, ha'oder 'Ho, ho, ho' - eine Art kontrollierte Hyperventilation.77

Die Lungenelastizität wird durch häufiges Lachen verbessert.William Fry, der an der Stanford University, Kalifornien, einInstitut für Lachforschung gegründet hat, konnte mittels e-lektrischer Impulse, die von der Vorder- zur Rückseite desBrustkorbs gesendet worden sind, nachweisen, dass sich beimLachen die Atemfrequenz erhöht. Durch den signifikant höhe-ren Gasaustausch in den Lungenbläschen erhöht sich dank desLachens auch die Cholesterinausscheidung. Die Oberflächen-temperatur der Haut steigt, die Durchblutung wird verbessert,der venöse Blutstrom im Gehirn kühlt sich ab, die Muskulaturwird schlapp. Das spürt man in den Beinen, und, wer intensivlacht, auch in der Blase. Redensarten wie "Lachen bis zum

77 vgl. Uber, Seite 62

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Umfallen" rühren von der Erfahrung der erschlafften Musku-latur her. Nach etwa fünf bis zehn Sekunden Lachen tritt einErschöpfungszustand ein, - ein Effekt, der beim Entspan-nungstraining erst nach vielen Minuten erreicht wird.Biochemische Abläufe während des Lachens stoppen im Körperdie Ausschüttung des Stresshormons Adrenalin. Stattdessenwerden körpereigene Morphine, die sogenannten Glückshor-mone, produziert. Lachen stimuliert und stärkt das Immunsys-tem. Fry hat als Pionier in dieser Disziplin bei Selbstversuchennachgewiesen, dass sich die Zusammensetzung des Blutes beiBetrachtung von lustigen Slapstickszenen in Stummfilmenverändert. Er ließ sich in regelmäßigen Abständen Blut ab-nehmen. „Die einzelnen Proben wurden anschließend analy-siert. Mit einem sensationellen Ergebnis. Wir konnten zeigen,dass die Aktivität der Killerzellen während der Lachphasedeutlich zunimmt. Daraufhin haben wir weitergeforscht undherausgefunden, dass die durch Lachen hervorgerufene Sti-mulation des Immunsystems vier bis fünf Stunden anhält.”78

Diese Versuche wurden vielfach wiederholt und bestätigt.Testpersonen in England wurden die witzigsten Szenen ausSlapstick-Filmen gezeigt. Eine signifikante Steigerung vonLymphozyten sowie ein Anstieg von Wachstumshormonenwurde nachgewiesen. Der Lachforscher Paul McGhee hat ex-perimentell nachgewiesen, dass das Schmerzempfinden nach-lässt, wenn man lacht. Die Hände von Versuchspersonen wur-den in eiskaltes Wasser mit einer Temperatur knapp über demGefrierpunkt getaucht. Die Schmerzgrenze verschob sich, wennden Testpersonen ständig Witze erzählt worden sind.Herzliches Lachen hat Auswirkung auf die Zellentwicklung.„Dr. Lee Berk vom Loma Linda University Medical Center inKalifornien hat nachgewiesen, dass Lachen und Spiel einespontane Vermehrung der Lymphozyten bewirken. Dies be-deutet, dass die für das Immunsystem so wichtigen T-Zellen inPerioden anhaltenden Lachens in viel größerer Zahl als sonstproduziert werden.”79 Lachen beeinflusst auch den Stoff-wechsel positiv, Verdauungssäfte fließen reichlicher. Nach dem

78 Fry, zit. nach Uber, Seite 6479 Weinstein (1999), S. 15

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Lachen entspannt sich der ganze Körper. Die zuvor gestiegeneHerzfrequenz und der Blutdruck sinken. Dr. med WinfriedHäuser verweist in einem Internetforum zur Wirkung des La-chens auf die Stärkung des Herzens. „Keine Diät und keineMedizin halten das Herz so gut in Schuss wie Humor undhäufiges Lachen.”80

Diese Erkenntnis fanden auch US-Forscher in einer Studie mit300 Männern und Frauen bestätigt: Menschen, die gern undoft lachen, waren nur etwa halb so gefährdet, einen Herzin-farkt zu erleiden, wie Persönlichkeiten, die stets mit ernsterMiene ihr Leben bestreiten. Häuser zitiert Michael Miller, denDirektor des Zentrums für Präventive Kardiologie an der Uni-versität von Maryland, der auf dem weltgrößten Herzkongressin New Orleans in einem Vortrag folgende Schlussfolgerungenzog: „Wir wissen noch nicht, ob es dem Herz nützt, wenn mansich trotz innerer Verärgerung zum Lachen zwingt. Aber esgibt Mittel und Wege, Unzufriedenheit und Feindseligkeit ab-zubauen und an der Bereitschaft zum Lachen zu arbeiten”.Zum 'Trainieren' empfiehlt der US-Forscher unter anderemlockeren Lesestoff oder auch ein lustiges Video. Als zweiterSchritt sollte der Versuch folgen, sich selbst weniger ernst zunehmen. Stress wirkt sich negativ auf das Endothelium aus,die als Schutzschicht ausgelegte Wandung der Blutgefäße. Daskann eine Serie von Entzündungsprozessen auslösen, die dieAblagerung von Fett und Cholesterin in den Herzkranzgefäßenfördern und letztendlich zum Herzinfarkt führen. Von den 300Teilnehmern der oben genannten Studie hatte die Hälfte ent-weder schon einen Herzinfarkt erlitten oder aber eine Bypass-Operation gehabt. Die andere Hälfte entsprach den Herzkran-ken in Alter und Lebensbedingungen, war aber völlig gesund.Alle 300 Kandidaten füllten einen Fragebogen aus, auf dem sienach ihrer Reaktion in verzwickten Alltagssituationen befragtwurden, zum Beispiel: »Wie verhalten Sie sich, wenn Sie eineParty besuchen, auf der jemand das gleiche Kleid trägt wieSie?« oder »Was tun Sie, wenn der Kellner Soße auf Ihren An-zug kleckert?«. Der Umgang mit solchen Begebenheiten wurdeherangezogen, um zu messen, ob und wie stark Humor als Be-

80 www.rippenspreizer.com - "Der wissenschaftliche Beweis: Lachen ist gesund!"

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wältigungsstrategie bei negativen Reizen eingesetzt wird. DasErgebnis dieser Studie zeigt, dass Humor eine wirkungsvollePrävention gegen Herzinfarkte darstellt.Auch Allergien können mittels Lachen in Schach gehaltenwerden. "So fanden japanische Wissenschaftler heraus, dassLachen allergische Beschwerden lindern kann. Die Wissen-schaftler testeten sechsundzwanzig Personen, die an atopischerDermatitis litten, mit verschiedenen Allergenen. Anschließendwurden sie durch Comics und lustige Filme zum Lachen ge-bracht. Resultat: Die lachenden Testpersonen zeigten deutlichweniger allergische Reaktionen als die ernsten.”81

Lachen verbessert auch die Gedächtnisleistung. Psychologender Universität Marquette im US-Bundesstaat Wisconsin habenuntersucht, ob mit positiven Stimuli das Gedächtnis gestärktwerden kann.82 Grundlage der Studie war die Erkenntnis, dassverstörende Reize wie beispielsweise Mitschnitte von chirurgi-schen Eingriffen positive Wirkung auf die Gedächtnisleistunghaben. Mark Powless und Kristy Nielson gingen nun der Fragenach, ob Lachen nicht ähnliche Effekte auf kognitive Leistun-gen hat. Dazu wurden zwei Testgruppen jeweils 30 Wörtervorgelesen. Einer Gruppe wurde im Anschluss ein Sketch ausder US-Comedy-Show 'Saturday Night Live' gezeigt. Nach ei-ner Woche erinnerten sich diese Testpersonen noch an 15 bis20 Wörter, während die andere Gruppe im Schnitt nur 5 bis 10Wörter noch im Gedächtnis hatte. Als effektivsten Zeitabstandzwischen Lernen und Lachen ermittelten die Wissenschaftlereine Pause von 30 Minuten, der zu besseren Ergebnissen führteals 15- oder 45-minütige Abstände. Lachen verbessert nichtnur die Lernleistung, sondern unterbricht darüber hinaus ge-ordnete Gedankengänge und steigert somit die Kreativität.83

„Vermutlich sind während des Lachens eintretende Aktivie-rungsvorgänge im mesolimbischen Dopaminsystem verant-

81 Emmelmann (2007), S. 48f82 vgl. Der Spiegel 32/2004, S. 51: "Psychologie: Lachen lehrt"83 ebd., unter Berufung auf Ergebnisse eines Mediziner-Kongresses in Basel im Jahr 1999.

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wortlich, die zu einer derartigen Euphorisierung mit folgendemKreativitätsschub führen.” 84

Neben physischen und kognitiven Effekten des Lachens sollnoch eine psychologische Dimension angesprochen werden.Humor ist ein wirkungsvolles Mittel, die Komplexität des All-tags zu entwirren - durch grobe Vereinfachung. Bei dem Über-angebot an Wissen, Möglichkeiten und Lebensalternativenkönnen sich viele nicht mehr für eine Variante entscheiden.„Der amerikanische Psychologe Barry Schwartz hat sogarnachgewiesen, dass die stetig zunehmende Wahlfreiheit dieMenschen depressiv statt zufrieden macht.”85 Beispielsweisewird der anhaltende Erfolg von Discountern wie Aldi auch mitdem beschränkten und damit übersichtlicheren Angebot anWaren begründet. Für eine Studie wurde ein Warenhausregalerst mit 60, anschließend mit sechs Marmeladesorten bestückt.Vor den 60 Marmeladen blieben Kunden fünfmal so lange ste-hen, doch bei nur sechs Marken griffen sie zehnmal häufigerzu und kauften.86 Vielfach erleichtert ein Überangebot anWaren und Dienstleistungen nicht das Leben, sondern er-schwert die Entscheidungsfindung. Humor und Komik lebt vonder radikalen Vereinfachung und der Reduktion von Proble-men auf überschaubare Einzelheiten. Figuren in Comedysen-dungen und Sit-Ups zeichnen sich aus durch grob gezeichnete,durchschaubare Charaktere, die den Tücken des Alltags mitverblüffender Konsequenz und Schlagfertigkeit begegnen. Be-freiend ist das Lachen, das uns unsere Verkopftheit vor Augenführt.Diese "lösende", heilsame Wirkung des Lachens ist deshalb einwichtiges Thema in der Psychotherapie. Humor wird seit vielenJahren als Therapie eingesetzt. Der Bonner Psychologe Prof.Ralf Hirsch verordnet eine Lachtherapie an seiner Klinik. Soversucht man mit Hilfe bestimmter provokativer Gesprächs-techniken auf Seiten des Patienten eine "Humorreaktion" her-vorzurufen - das heißt Erkenntnisse anzuregen, die die kom-plexe Situation plötzlich vereinfachen, mit Erheiterung

84 Uber, Seiner (2006), S. 12885 Kohlenberg, Kerstin: "Am Ende der Kauflust", in: Die Zeit Nr. 42 vom 7.10.04, S. 1686 ebd.

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einhergehen und sich im Lachen äußern.87 Zusätzlich wirdversucht, die physiologische Heilkraft des Lachens durch be-stimmte averbale Übungen in Gang zu setzen. Am bekanntes-ten in diesem Zusammenhang ist das 'Yoga-Lachen', das inindischen Lachclubs entwickelt wurde.88 Dabei geht es nichtum den Austausch humorvoller Begebenheiten, sondern umTechniken mechanischen Lachens, die ähnliche Wirkung zei-gen wie Witzeerzählen. Lachen löst im Körper positive Pro-zesse aus; - egal wie es zustande kommt.Paul Ekman beschreibt die verschiedenen Formen dieses La-chens. Nur jenes, das den musculus zygomaticus maior (Wan-genheber) und den orbis ocularis oculi (Augenringmuskel) ak-tiviert, kann als "echtes Lächeln" verstanden werden. Dieseszeigt nicht allein einen Zustand heiteren Glücksgefühls an, eswirkt sich gleichzeitig als Auslöser positiver Emotionen aus.Man nimmt in diesem Zusammenhang an, dass es eine direkteund zentrale Verbindung zwischen der Mimik und der Hirnak-tivität gibt.89 So konnte nachgewiesen werden, dass ein in-tensives (echtes) Lächeln die Durchblutung des Gehirns fördertund Stresssymptome mildert.90 Da sich dieses Lachen oder garnur Lächeln auch willkürlich hervorrufen lässt, wurde die'Therapie des bewussten Lächelns' entwickelt, die als eine na-türliche Methode zur Überwindung von Stress eingesetzt wer-den kann.91 Zugrunde liegt die Erkenntnis des Emotionsfor-schers Ekman, dass beim echten Lächeln oder Lachen die zweioben genannten Muskelstränge beteiligt sind, deren Aktivie-rung Blutgefäße so beeinflusst, dass das Gehirn mit mehr Sau-erstoff versorgt wird. Das Empfinden von Glücksgefühlenscheint sich durch die Steuerung dieser beiden Muskeln, demmusculus zygomaticus vom Jochbein zu den Mundwinkeln,und dem musculus orbicularis oculi, der sich ringförmig umdie Augen schließt, steuern zu lassen. Dies wurde zumindestexperimentell bewiesen. Der Sozialpsychologe Fritz Strack hat

87 vgl. Titze/Eschenröder88 M. Kataria (1999); Uber, Steiner (2006), S. 248f.89 Ekman (1988), S. 154-16590 R. A. Zajonc (1985): Emotional and facial efference: A theory reclaimed. In: Science, 22891 L. Hodgkinson (1987), Smile Therapy. London

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Teilnehmern seines Versuches Karikaturen vorgelegt, die nachWitzigkeit beurteilt werden sollten. Die Versuchsteilnehmerwurden in zwei Gruppen eingeteilt. Die eine Gruppe mussteeinen Bleistift so zwischen die Zähne stecken, dass sich eintypisches Lächeln durch die Aktivierung genau jener Muskel-partien ergab, die auch beim natürlichen Lachen beanspruchtwerden. Die andere Gruppe musste den Bleistift nur zwischenden Lippen halten, ohne eine Spannung in den Mundwinkelnzu verursachen. „Es stellte sich heraus, dass die 'Zahnhalter'diese Karikaturen als wesentlich witziger einschätzten als die'Lippenhalter'.”92 Es genügt also, einen Bleistift zwischen dieZähne zu schieben und durch einen leichten Biss zu fixieren,um die Hirnaktivität günstig zu beeinflussen.Dem Gehirn scheint es egal zu sein, was die Lachmuskeln akti-viert. Die Wirkung ist dieselbe: Die eintreffenden Reize werdenwohlwollender oder sogar fröhlicher bewertet. Die Interpretati-on der Wahrnehmungen wird durch Lachen oder die Aktivie-rung der Lachmuskeln gelöster und positiver ausfallen. EineErkenntnis, die die subjektiv empfundene Situation am Ar-beitsplatz für viele Werktätige schlagartig verbessern könnte.Nach einer Studie der Europäischen Agentur für Sicherheit undGesundheitsschutz am Arbeitsplatz leidet fast jeder dritte Be-schäftigte in Europa unter arbeitsbedingtem Stress.93 Zwi-schen 50 und 60 Prozent der Krankmeldungen stehen danachin Zusammenhang mit Stress am Arbeitsplatz. Die Folgekostenwerden auf 265 Milliarden Euro in der EU geschätzt. Ein Teildavon wäre wohl vermeidbar mittels der 'Therapie des be-wussten Lächelns'.Abschließend sei noch erwähnt, dass Lachen nicht nur gesundist, sondern auch das berufliche Fortkommen fördert und den(unternehmerischen) Gewinn steigert. Nicht nur, weil bessereGesundheit zu weniger Arbeitsausfällen und so zu höhererProduktivität führt. Lachen fördert vor allem auch Innovati-onsfähigkeit und Innovationsbereitschaft. So schreibt etwa derHarvard-Psychologe Daniel Goleman in seinem Bestseller 'E-motionale Intelligenz', dass das Lachen, wie auch die Begeis-

92 Titze, Patsch (2004), Seite 12593 vgl. http://osha.eu.int/info

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terung, helfen kann, weitsichtiger und komplexer zu denken,freier zu assoziieren und gedankliche Beziehungsgeflechte zuentdecken, die sonst verborgen bleiben würden.94 Das Lachen,so der Autor, trage im Arbeitsalltag nicht nur entscheidend zurKonfliktlösung bei und fördere auch auf diese Weise die Pro-duktivität; es erhöhe auch die geistige Flexibilität, indem eseine 'neue Denkdimension' schafft. Somit sei das Lachen nichtnur im kreativen Bereich, sondern auch bei der Folgenabschät-zung wichtiger Entscheidungen eine wichtige Hilfe. Linus Tor-valds, Begründer der Linux-Software, sieht in Spaß und La-chen unerlässliche Voraussetzungen für gutes Programmieren."Die Leute müssen Quatsch machen dürfen", so Torvalds.95

4.2 Interpersonelle Effekte des Lachens

Lange, bevor ein Kind sprechen lernt, signalisiert es mittelsLächeln und Lachen die Verbindung und Verbundenheit zuseiner Mutter. Lachen als Interaktion ist folglich eine Fähig-keit, die uns schon kurz nach der Geburt kommunizieren lässt.Die Gesichtsmuskulatur ist bei Geburt bereits voll ausgebildetund funktionsfähig.96 Jeder Säugling kann ein selektives sozi-ales Lächeln einsetzen, um die Interaktion mit der Bezugsper-son zu fördern.97 Dieses Interaktionslächeln signalisiert „einenaktiven Zustand von Freude (...). Es wirkt wie eine Art Kleb-stoff, der Säugling und Eltern verbindet.”98 Das lächelndeGesicht ist ein 'Spielgesicht'.99 Es stellt ein universales Signalfür Freundlichkeit, Kooperationsbereitschaft, Zustimmung und

94 Goleman (1997), S. 99ff95 zitiert nach: Christian Deysson: "Lachen Sie!" in Wirtschaftswoche 10/200396 P. Ekman (1988): Gesichtsausdruck und Gefühl. Paderborn97 17 J. Bolwlby (1975): Bindung. München98 T. Landau (1995), Von Angesicht zu Angesicht. Reinbek, S.17899 I. Eibl-Eibesfeldt (1972): Liebe und Haß. München

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Freude dar. Lachen ist eine Kontaktgebärde, ein 'mimischerStoßdämpfer'.100

Bei den Lachclubs, die es mittlerweile weltweit gibt, ist die je-weilige Zusammenkunft einer relativ großen Menschenmengezu den Lachübungen festzustellen. Dies zeigt, dass Lachen einsoziales Phänomen ist bzw. dass das Lachen anderer anste-ckend wirkt und zur Nachahmung reizt.In einem dpa-Gespräch verwies der Diplom-Psychologe Dr.Michael Titze auf die positiven zwischenmenschlichen Effektedes Lachens im Arbeitsleben.101 Titze ist als klinischer Psy-chologe und Psychotherapeut erster Vorsitzender des VereinsHumorCare Deutschland e.V.. Er vertritt die Ansicht, dass Hu-mor im Arbeitsleben hilft, Konflikte zu lösen und Stresshor-mone abzubauen. „Im Lachen werden positive zwischen-menschliche Signale gesetzt, die Teamgeist, Kreativität undMotivation im Betrieb fördern”, sagte Titze in dem dpa-Gespräch.Dabei wirke sich schon ein Lächeln positiv auf die Hirnaktivi-tät aus. „Lachen ist ein soziales Schmiermittel und weckt dieLebensgeister”, sagt Titze. Voraussetzung sei eine optimistischeHaltung, die sich auch trainieren lässt. Die wachsende Zahlvon Menschen, die Humorseminare und Lachclubs besuchen,zeige, dass dies auch in Deutschland immer ernster genommenwerde.In unserer von Leistungs- und Konkurrenzdruck geprägtenArbeitswelt kann sich nach Ansicht von Titze nur derjenigeauf Dauer behaupten, der über eine Menge kreativer Flexibili-tät verfüge. Dazu gehören Kompetenzen wie kritische Eigen-initiative, autonome Selbstverantwortung, soziale Intelligenzund die Bereitschaft, sich ständig weiterzubilden. Dieser Druck,besser sein zu müssen als der Durchschnitt, werde durch dieangespannte Arbeitsmarktsituation ständig bestätigt.Die Angst vor dem beruflichen Versagen gehe auch einher mitder Angst, mit den Kollegen nicht mithalten zu können, ihnenfachlich unterlegen zu sein. „So entsteht ein Konkurrenz-

100 Rittner, V. (1986): Das Lächeln als mimischer Stoßdämpfer. In : Kamper, D./Wulf, Ch. (Hrsg.): Lachen, Gelächter, Lächeln. Frankfurt a.M., S. 322-337101 Veröffentlichung des dpa-Textes unter www.humorcare.com/PROFILE/drtitze.html

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denken, das eine heitere Stimmung im zwischenmenschlichenBereich immer weniger aufkommen lässt.”102 Es sei so wie indem Witz, in dem zwei Afrikareisende von einem Löwen ver-folgt werden. Beide laufen um ihr Leben. Der eine ruft demanderen zu: »Hoffentlich sind wir schneller als der Löwe!« -»Mir reicht es völlig, wenn ich schneller bin als du!«, keuchtdieser.Wenn Menschen regelmäßig und unbeschwert miteinanderlachen, erleben sie die vielen 'Beziehungsfallen', die sich gera-de am Arbeitsplatz auftun, als eine kommunikative Herausfor-derung, die mit Humor freundschaftlich relativiert werdenkann: „Die eigentliche Funktion des Humors ist nämlich Rela-tivierung - ganz im Sinne des Mottos 'Die Lage ist katastro-phal, aber nicht ernst'”, sagt Titze, der das Lachen auch thera-peutisch einsetzt. Griesgräme wirkten kontraproduktiv. Lachenhingegen sei ein Gesundbrunnen. Die durch das Lachen ver-ursachte Ausschüttung an Glückshormonen seien der Grund,weshalb wir uns nach einem ausgiebigen Lachen rundum wohlfühlen. Dieser Wohlfühleffekt kann genutzt werden, um nichtnur individuelle Spannungen, sondern auch Disharmonien inGruppen sowie Konkurrenzdruck abzubauen und gruppendy-namische Prozesse zielgerichtet zu beschleunigen.

Die Spannungslösung mittels Lachen zur Herstellung einespsychischen Gleichgewichts geht mit nach außen gerichtetenGesten und Signalen einher, die Ähnlichkeiten mit Drohgebär-den haben, nämlich Zähne zeigen und guturales Grunzen, wiees bei der Brunft artikuliert wird, sowie Lachgeräuschen, diewie Gebell anmuten. Solche Signalsysteme sind grundsätzlichfür Artgenossen bestimmt und haben soziale Funktion. DieGrundfunktion des Lachens besteht offensichtlich hauptsäch-lich darin, Kontakt und Vertrauen zwischen Mitgliedern einereng zusammenlebenden Gruppe zu erleichtern. Ursprünglichals Drohgebärden gedachte Verhaltensweisen dienen der Si-cherung der körperlichen Integrität in der Gruppe. Was nachaußen hin als Warnung dient, gilt nach innen als Entwarnung.Gleichwohl bleiben Schutzreflexe erhalten. Interessant dabei

102 ebd.

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ist, dass hierzu ausgerechnet Zeichen verwendet werden, dieInkongruenzen beinhalten und widersprüchliche Bedeutungfür unterschiedliche Adressaten je nach Gruppenzugehörigkeithaben. Dieses Wesensmerkmal der Doppeldeutigkeit beschreibt,wie wir im vorherigen Kapitel gesehen haben, nicht nur dasLachen, sondern charakterisiert auch den Humor.103

Doppeldeutig ist dabei nicht nur das Symbol des Zähnezeigensals Angriff gegenüber Feinden und Entwarnung gegenüberFreunden, sondern auch die Wirkung des Lachens als Zeichender Überlegenheit und gleichzeitig Zugehörigkeit. „Dass mangewöhnlich aus einer überlegenen Situation heraus lacht, wirdjeder aus eigener Erfahrung bestätigen können. Selbst wer ü-ber sich selber lacht, erhebt sich, und zwar über die eigenenSchwächen. Gleichzeitig aber solidarisiert er sich mit den La-chenden. Damit hat das Lachen sowohl eine vertikale als aucheine horizontale Dimension, es erhebt und es solidarisiert.”104

Das Erhebende des Lachens erfüllt in abgeschwächter Form dieSchutzfunktion der einstigen Drohgebärde: Wer die Lacher aufseiner Seite hat, befindet sich in überlegener Position. Der e-volutionäre Fortschritt dieses Verhaltens zeigt sich in der Kol-lektivierung dieser Schutzfunktion. Lachen ist eine soziale,Geselligkeit fördernde Funktion. Lachen scheint darüber hin-aus Vergesellschaftung und Individualisierung in ihrer extre-men Gleichzeitigkeit zu entschärfen.Damit ist Humor in hervorragender Weise geeignet, ange-spannte Situationen zu entspannen und unangenehme Themenangenehmer zu machen. Humor verringert die Distanz zwi-schen Hierarchien und ist zudem Zeichen psychischer Gesund-heit. Solange noch gelacht wird, ist ein Grundkonsens herstell-bar. „Gemeinsames Lachen fördert die Gruppenkohäsion undintensiviert die Herzlichkeit.”105

Jan Thygesen Poulsen, Werbeexperte aus Kopenhagen undInitiator vieler Lachclubs in Dänemark, sagt: „Ein lachendesGesicht fördert die Interaktion und Kommunikation. Es be-deutet: Hier ist Geborgenheit, hier bist du unter deinesglei-

103 vgl. Gelfert (1998), S. 22f104 Gelfert (1998), S. 23105 Kets de Vries (2004), S. 111

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chen. Ein archaisches Muster, das schon dem FrühmenschenGefahrlosigkeit und die Zugehörigkeit zu seiner Horde signali-sierte.”106

Doch wie sieht es mit der interaktionsfördernden Wirkung desLachens im Berufsleben aus? Peter B. Záboji, Chief ExecutiveOfficer bei Tenovis, einem Traditionsunternehmen, das profi-table Nischen und neue Geschäftsideen finden musste, schreibtin seinem Buch 'Change' über „die sehr positiven Folgen einerSpaßkultur auf interne Kommunikation, Flexibilität und Be-triebsklima.”107

Lachende Gesichter kommen also überall an, das hat auch dieVerhaltensforschung bewiesen. Lachen oder die als anthropo-morph interpretierbaren Symbole und Zeichen, die Lachen sig-nalisieren, vermitteln genauso positive Gefühle wie das la-chende Gesicht eines Menschen. Uhren in Schaufenstern undZeitungsanzeigen werden beispielsweise gerne auf zehn Mi-nuten nach zehn oder zehn vor zwei gestellt. Die Uhren ma-chen dann 'ein freundlicheres Gesicht'. „Psychotests zeigten,dass Uhren dann 'besonders sympathisch' auf den Käufer wir-ken, während die gleichen Modelle mit der Zeigerstellungzwanzig nach acht deutlich weniger ansprechen.”108

4.2.1 Geschlechtsspezifische Unterschiede

Nicht unerwähnt bleiben sollen geschlechtsspezifische Unter-schiede beim Lachen. „Verhaltensforscher haben nachgezählt,dass über neunzig Prozent der Frauen ein Lachen erwidern, beiden Männern sind es nur knapp sechzig.”109 Die Gebärde desLachens hat offensichtlich für Männer und Frauen unter-schiedliche Bedeutung. Ein gravierender Unterschied zwischenden Geschlechtern sind die Kommunikationsinhalte, die zumLachen Anlass geben. Wann, warum und worüber erzählenMänner Witze, und wie ist das bei Frauen? „Männer benutzen

106 zit. nach Uber, Steiner (2004), S. 155107 Záboji (2002), S. 176108 Uber, Steiner (2004), S. 75109 ebd., S. 75

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das Lachen, um mit Gefühlen und Schmerzen umzugehen. Jeschwieriger es für einen Mann ist, über bestimmte Gefühle zusprechen, desto herzhafter wird er lachen, wenn jemand einenWitz darüber reißt, so herz- und gefühllos er Frauen auch er-scheinen mag. Männer reden mit anderen Männern selten überihr Sexualleben, daher reißen sie Witze darüber und tauschensich auf diese Weise aus. Frauen dagegen besprechen ihr Se-xualleben mit ihren Freundinnen bis ins kleinste Detail, ohnejemals auf Witze zurückzugreifen.”110 Das liegt daran, dassMänner mit Gefühlen anders umgehen als Frauen. Frauen ver-arbeiten und bewältigen Krisen und Tragödien, indem sie ihreGefühle anderen gegenüber ausdrücken, während Männer ihreEmotionen für sich behalten. „Mit Hilfe von Witzen 'sprechen'Männer auf ihre Art über ein Ereignis, ohne starke Gefühle zuzeigen, denn diese könnten als Schwäche empfunden wer-den.”111

Lachen dient gerade in dieser Funktion dem Abbau emotiona-ler Spannungen. Lachen veranlasst das Gehirn, Endorphineauszuschütten, also Stoffe, die ähnlich wie Morphium wirken:Sie stärken das Immunsystem und beruhigen, um die Span-nung zu verringern. „Insofern stellt sich die Frage, wie sichHumor zu dem anderen Mechanismus von Spannungsabfuhr,der Sexualität, verhält. (...) Wie eng die Sexualität mit dermenschlichen Lachkultur zusammenhängt, zeigt sich schondaran, dass sie zu den häufigsten Lachanlässen zählt. Versemit erotischen Anspielungen bis hin zu derben Obszönitätengehören zum festen Bestand der mündlichen und schriftlichenÜberlieferung aller bekannten Kulturen. Das Besondere andieser Tradition ist, dass sie nahezu ausschließlich von Män-nern weitergegeben wird. Während die Sammler von Märchen,Volksliedern und Volksballaden ihr Material vor allem vonalten Frauen erhielten, war obszöne Folklore fast nur vonMännern zu bekommen.”112

110 Pease (2002), S. 92111 Pease (2002), S. 90112 Gelfert (1998), S. 146f

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Als Begründung für diese männliche Verhaltensweise wird ei-ne Spannung genannt, die problematischer ist als das libidi-nöse Verlangen selbst, nämlich die Angst vor dem sexuellenVersagen. Diese Angst ist eine spezifisch männliche, oder warzumindest über Jahrhunderte männlich dominiert, da Frauenam Sexualakt meist nur passiv beteiligt waren und somit dieAngst, den Ansprüchen des Sexualpartners nicht zu genügen,auf dem Mann als Verführer und Akteur allein lastete. Vonseiner sexuellen Kunstfertigkeit und seinen Qualitäten alsfantasievoller Liebhaber war es in seiner Vorstellung abhängig,ob eine Frau wirklich befriedigt werden kann. Lachend wirddiese latente Angst im Witz abreagiert durch die Thematisie-rung der Leistungsfähigkeit des Penis, des Triumphs der Ver-führung, der Unersättlichkeit von Nymphomaninnen oder ge-rade der Sprödigkeit von Frauen.Meines Erachtens lässt sich die These, dass Männer ihre Angstbezüglich ihrer Potenz lachend bewältigen, auch auf Bereicheaußerhalb der Sexualität übertragen. Lachen gibt MännernSelbstwertgefühl und Bestätigung innerhalb einer Gruppe. Sokönnen innerhalb einer Männergruppe in einem UnternehmenWitze über Vorgesetzte und deren Führungsmethoden und Ar-beitsanweisungen dazu dienen, Versagensängste und Minder-wertigkeitskomplexe mit einem Lachen zu kompensieren.Frauen hingegen signalisieren mit Lachen gegenseitige Sym-pathien, Männer kanalisieren ihre Angst der Unterlegenheitoder des Scheiterns.So lässt sich auch schlüssig die oben erwähnte Doppeldeutig-keit des Lachens als Drohgebärde und Solidarisierungsgesteerklären. Lachen hat sich in der Evolution als Mittel der Be-wältigung von Angstgefühlen etabliert. „In der Frühzeit derMenschheit diente das Lachen als Warnsignal, mit dem ande-ren mitgeteilt wurde, dass Gefahr drohte. Affen setzen es auchheute noch so ein. Wenn zum Beispiel ein Schimpanse knappeinem Löwen entkommt, klettert er rasch einen Baum hinaufund macht 'Huu-Huu-Huu-Ha-Ha-Ha'-Geräusche, die ähnlichwie das menschliche Lachen klingen.”113

113 Pease (2002), S. 88

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Die Rochester University in Amerika hat mittels Vergleichsun-tersuchungen am Computertomographen gezeigt, dass beiMännern und Frauen unterschiedliche Areale im Gehirn beimLachen aktiviert werden. Männer lachen mehr über Dinge, diedie rechte Hirnhälfte stimulieren, bei Frauen ist es umgekehrt.„Männer mögen Humor oder Witze, die einen logischen Ansatzhaben, Schritt für Schritt vorgehen und deren Schlussfolge-rung jedoch trotzdem schwer vorherzusagen ist.”114 Männersind in geselliger Runde in der Regel auch diejenigen, die auseinem unerschöpflichen Repertoire von Witzen schöpfen kön-nen. Das Autorenpaar Pease bemerkt treffend, dass erwachseneMänner Witze erzählen können, die sie in der Volksschulehörten, aber die Namen der besten Freunde ihrer Kinder nichtkennen. Neben dieser einseitigen Gedächtnisleistung haltenes die Autoren für typisch männlich, dass diese Provokationenkomisch finden, die Frauen eher abstoßen. Nonnen aus demvorbeifahrenden Auto heraus den nackten Hintern zu zeigenoder Sekundenkleber auf Klobrillen zu schmieren, Furzwett-bewerbe zu veranstalten oder bei Junggesellenabschieden denBräutigam nackt und betrunken mitten in der Stadt nachts aneinen Laternenpfahl zu fesseln, seien Scherze, die von Män-nern ersonnen werden.„Humor und Witze haben bei Männern drei Zwecke: Mit einemguten Repertoire von Witzen imponieren sie anderen Männern,sie bewältigen mit Witzen tragische Ereignisse oder deren Fol-gen, und Witze helfen ihnen, die Wahrheit bei einem akutenProblem einzugestehen.”115

Mich erreichen per E-Mail mehrmals im Monat Witze, die aufKatastrophen oder tagesaktuelle Nachrichtenmeldungen Bezugnehmen. Die Absender sind in der überwiegenden MehrzahlMänner. Dies entspricht der männlichen Art, Angst, Zweifelund Enttäuschung zu bewältigen.

Die geschlechtsspezifischen Unterschiede beim Lachen sind fürunsere Betrachtung von Humor im Wirtschaftsleben insoferninteressant, als sie einen Hinweis darauf geben, wie psychische

114 Pease (2002), S. 88115 ebd.

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Anspannung gerade bei Männern kommuniziert wird. Sie ver-packen problembezogene Inhalte in Witzen, ironischen Bemer-kungen oder humorvollen Anspielungen, die auf anderem We-ge sonst gar nicht mitgeteilt werden würden.Gerade in Männergruppen ist aber auch die solidarisierendeWirkung des Lachens zu betonen, gerade in Situationen, indenen Kräfte mobilisiert werden müssen. Hier treten Effekteauf, die wir bereits beschrieben haben: „Lachen betäubt denKörper, stärkt das Immunsystem, schützt vor Krankheit undLeiden, unterstützt das Gedächtnis, trägt zum effizienten Ler-nen bei und verlängert das Leben.”116 Deshalb stärkt das La-chen innerhalb der Gruppe gemeinsame Kräfte und Energien.Lachen wird als so aufbauend empfunden, dass positive Emo-tionen übertragen und soziale Bindungen verstärkt werdenkönnen. Lachen schweißt zusammen innerhalb einer Gruppe.

4.2.2 Kulturspezifische Unterschiede

Herkunft prägt den Humor. Auch wenn Lachen durch alle Epo-chen und Kulturen hindurch ein weltweit verstandenes Signalist, lassen sich im internationalen Vergleich unterschiedlicheAuslöser feststellen. „Türken wie Tuareg, Grönländer wie Grie-chen lachen über Fehler, bevorzugt, wenn sie einem anderenpassieren. Und einerlei ob Grieche oder Grönländer, alle Men-schen überall auf der Welt lachen über entsprechende Witze -Witze über die anderen, den anderen Stamm, das andere Volk,über deren Fehler, deren Schwächen, Ostfriesen-, Polen- undÖsterreicherwitze haben darin ihren Ursprung. Daneben lachenMenschen über Tabubrüche. Weil aber unterschiedliche Kul-turen unterschiedliche Tabus kennen, kann das Lachen darüberin unterschiedlichen Kulturen völlig unterschiedliche Auslöserhaben.”117 Die Übertretung gesellschaftlicher Normen kann imBereich Sexualität, Scham, Religion oder öffentlicher Verhal-tensnormen liegen. Das Lachen über den anderen funktioniertdabei nur, wenn kulturelle Unterschiede zwischen sich und

116 Pease (2002), S. 92117 Uber, Steiner (2006), S. 64

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dem Anderen wahrnehmbar sind und diese somit mittels Ü-bertreibung, Persiflage und Satire als Grundlage für Witz undHumor herangezogen werden können. Wer über die Gepflo-genheiten seiner Nachbarn nicht Bescheid weiß, kann sichnicht lustig machen bzw. versteht die Witze nicht.„Deshalb funktioniert ein Witz, dessen Pointe auf einem Tabu-bruch beruht, nicht generell. Tabubrüche, über die Chinesenlachen, sind für Europäer längst nicht lustig und umgekehrt.Das reicht bis ins Regionale.”118

Wenn diese Witze auch unterschiedliche Zielrichtungen haben,so lässt sich doch verhaltenspsychologisch ein gemeinsamesMuster erkennen: Das Verulken findet immer nur zwischenKulturen statt, die miteinander in enger Beziehung stehen. Inden fünfziger Jahren gab es in der BRD Witze über Amerika-ner, nicht aber in der DDR. Türkenwitze wurden erst populär,als Türken als Gastarbeiter unter uns wohnten und ihre Le-bensgewohnheiten sichtbar wurden. Andererseits gibt es inFinnland keine Spanierwitze und in Spanien erzählt man sichkeine Russenwitze.Lachen ist eine Art Annäherungshandlung gegenüber Frem-den. Wir reduzieren damit unsere Distanz und nehmen demFremden seine Gefährlichkeit und Undurchschaubarkeit. Da-durch, dass man dessen Schwächen kommuniziert, nimmt manihm auch den Schrecken. Mit der Überwindung der Gefähr-lichkeit und Andersartigkeit durch das Lachen integriert mandas Fremde.Oft muss man dazu gar nicht an Tabus rühren, sondernbraucht nur vermeintliche oder tatsächliche Unzulänglichkei-ten heranzuziehen.„Erzählt man einem Indianer vom Volk der Lakota einen Po-len- oder Österreicherwitz, wird er ihn nicht einmal zumSchmunzeln finden. Ebenso entdecken wir Europäer nichtsLustiges an Huronen-Witzen, über die man sich im Volk derLakota vor Lachen biegt. Die Lakota gehören zu den Prärie-Indianern, sie sind exzellente Reiter. Huroren dagegen wareneinst Waldgänger. Bei den Lakota gibt es nun eine Fülle vonWitzen, die so oder so ähnlich beginnen: »Reitet ein Hurone

118 ebd., S. 69

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auf einem gestohlenen Pferd ...« Allein dieser Einstieg unddiese Vorstellung reichen schon, damit ein Lakota zumindestschmunzelt.”119

Dass in verschiedenen Kulturen über unterschiedliche Bege-benheiten gelacht wird, lässt sich schon bei Kindern beobach-ten. Das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- undBildungsfernsehen in München hat untersucht, ob und wiesich Kinder aus verschiedenen Kontinenten über dieselbenFernsehsendungen amüsieren. Bei rund 1000 Kindern in 18Ländern wurde der Humor unter der Leitung der Medienwis-senschaftlerin Maya Götz untersucht und ausgewertet. „IhreStudien zeigen, dass Kinder diejenigen Sendungen besondersamüsant finden, die ihnen vertraut vorkommen. »Das Eigeneist lustiger als das Fremde«, sagt Götz. Die Kinder fühlen sichoffenbar den Charakteren stärker verbunden und finden dieGeschichten dann auch komischer: Mädchen lachen über Mäd-chen, Weiße lachen über Weiße.”120 Einen Ausschnitt aus ei-nem Zeichentrickfilm, bei dem ein Pinguin in eine Kiste ge-schubst wurde, fanden beispielsweise deutsche Kinder lustig,während sich südafrikanische Kinder ängstigten. Pinguinewurden früher in Südafrika auch gekocht. Die Kinder, so fan-den die Wissenschaftler heraus, hatten deshalb befürchtet, dassder Pinguin im Kochtopf landet.Wenn Fernsehforscher zu dem Schluss kommen, dass bei Hu-mor die Globalisierung aufhört, sollte dies auch in der Weltder Wirtschaft Beachtung finden. Humor funktioniert in einemUnternehmen spielend und ohne Missverständnisse, wenndessen Mitarbeiter aus dem gleichen kulturellen Einflussbe-reich kommen. Der Innendienst macht sich dann über denVertrieb lustig und umgekehrt oder Abteilungen üben gegen-seitig Spott. Arbeiten Menschen verschiedener Kulturen mit-einander, kann Humor seine Wirkung verfehlen.

119 Uber, Steiner (2006), S. 63f120 Verbeet (2006), S. 61

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4.3 Strukturfunktionale Aspekte des Lachens

Lachen hat nicht nur medizinisch und psychologisch nach-weisbare Wirkungen im und zwischen Menschen, sondern istauch eine Kulturtechnik, die gesellschaftliche Strukturen stabi-lisiert und aufrecht erhält. „Witzige Bemerkungen dienen nichtnur dazu, Spannung zu vermindern und Aggressivität undFeindseligkeit zu kanalisieren (Freud 1905)121, sondern liefernzusätzlich Informationen zur sozialen Struktur der untersuch-ten Gruppe. (...) In einer Arbeitsgruppe oder einer Gruppe vonLeuten, die mit einer ernsthaften Aufgabe befasst sind, kannein Witz oder Scherz einen Moment kollektiver Erholung vonder aufgenommenen Tätigkeit darstellen und so dazu beitra-gen, Gruppenkonsens herzustellen. Als Reaktion auf einenScherz in solchen Situationen zu lächeln oder zu lachen, be-deutet, dass die Anwesenden ihre Akzeptanz der Situations-veränderung unterstreichen. Wenn einige Gruppenmitgliedernicht lachen, grenzen sie sich selbst aus und zeigen, dass sieden Scherzbold und die Mitlachenden, die die zeitweiligeAuflockerung der Situation akzeptieren, ablehnen.”122 Dasheißt, Lachen kann nicht nur die physische Reaktion auf etwasErheiterndes sein, sondern auch eine Geste der Zusammenge-hörigkeit oder der Unterordnung. Die Akzeptanz wird auchdann gezeigt, wenn der Scherz oder Witz gar nicht so lustigist. In vielen Gesprächen wurde mir bestätigt, dass über Witzevon Vorgesetzten gelacht wird, auch wenn die Pointen nichtwirklich komisch sind.Dies bestätigt auch die Untersuchung der Kommunikationzwischen Arzt und Patientinnen von Franca Pizzini. „Derjeni-ge, der in einer bestimmten Situation Humor initiiert, gibt den'Startschuss' dafür, den institutionell vorgegebenen Kontextder ernsthaften Behandlung gewisser Themen zu verlassen.Dieser 'Jemand' nimmt eine bestimmte Position im Bezie-hungsgeflecht ein: allgemein gesprochen sind diejenigen, diein der Autoritätshierarchie eine hohe Position innehaben, in

121 Die Autorin bezieht sich auf Freuds „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten”122 Franca Pizzini: „Hierarchie in der Scherzkommunikation: Kommunikation im gynäkologischen und geburtshilflichen Bereich" , Seite 202, in: Kotthoff (Hg.) (19962)

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einer besseren Ausgangslage dafür, den Übergang von einemernsten in einen humoristischen Rahmen einzuleiten. Unserestatistische Analyse spaßiger Bemerkungen, die deren Vertei-lung in Abhängigkeit von Status in der Krankenhaushierarchiezeigt, führte zu ähnlichen Ergebnissen wie sie Coser123 in ihrerStudie darlegte: Tendenziell machen Statusniedrige wenigerScherze.”124

Zwar trifft man auch auf Unternehmenskulturen, wo unbese-hen der Stellung in der Hierarchie die Nase über schlechteWitze oder arg strapazierte Kalauer gerümpft werden darf, vielhäufiger jedoch wird durch das Lachen die Macht und der hö-here Status des Vorgesetzten bestätigt. Insofern funktioniertdie scherzhafte Interaktion als Kommunikation hierarchischvon oben nach unten, und nicht umgekehrt. Pizzini beobach-tete dies auch im Krankenhaus: „Wenn bestimmte Schwestern,die daran gewöhnt sind, untereinander Scherze zu machen,dies in Anwesenheit der Ärzte nicht tun, heißt das nicht, dasssie auf einmal ihren Sinn für Humor verloren haben, sonderneher, dass in dieser besonderen Beziehung Scherzverhaltennicht Bestandteil ihrer untergeordneten Rolle in dem asym-metrischen Arrangement ist. Als Beweis dafür dient eine un-serer Beobachtungen, wonach die wenigen witzelnden Bemer-kungen, die von Statusniedrigen an Statushöhere adressiertwaren, von den Anwesenden nicht gewürdigt wurden, sondernohne ein Lachen still unter den Tisch fielen.”125

Bei hierarchisch geprägten Interaktionen geht es um Bestäti-gung der Vorgesetzten in Form eines zustimmenden Lachensder Untergebenen. Das Lachen der Statusniedrigen soll einenbestimmten Eindruck der Akzeptanz hinterlassen oder andersausgedrückt, man 'spielt' mit, um gruppenkonform zu agieren.Um dies zu illustrieren, sei auf Erving Goffmans Klassiker 'Wiralle spielen Theater'126 verwiesen, in dem er an vielen Bei-spielen zeigt, wie wir in sozialen Kontakten Selbstdarstellung

123 Coser untersuchte die sozialen Funktionen von Humor unter den Fakultätsmitgliedern einer psychiatrischen Klinik. Diese Studie ist ebenfalls bei Kotthoff (1996) zu finden.124 Pizzini, ebd., Seite 207125 ebd., S. 207f126 vgl. Goffman (2003)

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als Theater des Alltags betreiben. Wie auf einer Bühne agierenwir in verschiedenen Rollen und spielen wie Schauspieler'Vorstellungen'. Durch die Perspektive des Theaters vermitteltGoffman die Erkenntnis, dass nicht nur einzelne Personen,sondern auch Gruppen und Organisationen mit vorgetäuschtenFähigkeiten zu überzeugen versuchen. Diese Selbstdarstellungist ein notwendiges Element des menschlichen Lebens. In deroben beschriebenen Situation des Witzeerzählens eines Vor-gesetzten gibt es gemäß Goffman einen Akteur, also den Wit-zeerzähler, und Zuschauer. „Ist das Publikum zu einer Dar-stellung zugelassen, dann erlischt damit nicht dieNotwendigkeit taktvollen Verhaltens. Wir stellen fest, dass eseine ausgearbeitete Etikette gibt, an der sich Einzelne in ihrerEigenschaft als Mitglieder des Publikums ausrichten. Dazu ge-hört, dass man ein hinreichendes Maß an Aufmerksamkeit undInteresse aufbringt; dass man bereit ist, die eigene Vorstellungso weit unter Kontrolle zu halten, dass nicht zu viele Wider-sprüche, Unterbrechungen und Ablenkungen entstehen; dassman alle Äußerungen und Handlungen unterlässt, aus denensich ein Fauxpas ergeben könnte; und vor allem, dass mansich bemüht, Szenen zu vermeiden."127

Übertragen auf unsere Thematik bedeutet dies, dass der Witzdes Vorgesetzten beklatscht wird, auch wenn er schlecht seinsollte. Bezeichnend für diese Art der Kommunikation ist, dassdie Reaktion auf einen erzählten Witz eines ranghöheren Or-ganisationsmitglieds unabhängig von der Qualität der Pointepositiv ausfällt und somit nicht die Güte des Witzes, sonderndie Stellung des Witzeerzählers dokumentiert wird. Das Lachenwird somit Zeichen der Zustimmung und des Respekts. DieMitarbeiter signalisieren ihrem Chef, dass er Esprit hat, dass siezu ihm halten, dass er im übertragenen Sinne Fähigkeiten hat,auf die sie bauen.Vorgesetzte müssen Macht haben und ausstrahlen. Das Wit-zeerzählen ist eine kleine 'Machtprobe', eine Art Vertrauens-frage, bei der der Rückhalt in der eigenen Mannschaft über-prüft werden kann. Lachen hat somit eine systemischeFunktion: In einem Kreis, in dem Witze erzählt werden oder in

127 Goffman (2003), Seite 209

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dem gelacht wird, ist eine unausgesprochene Übereinkunft ü-ber gemeinsame Interessen oder Ansichten vorhanden. Inso-fern muss nicht derjenige, der schlechte Witze erzählt, Sankti-onen befürchten, sondern derjenige, der nicht darüber lacht.Auch ist es, um mit Goffman'schen Terminus zu sprechen,nicht jedem in einem 'Ensemble' gestattet, Witze zu erzählen,oder zumindest wird die Reaktion der Gruppe unterschiedlichausfallen. „Allgemein kann man also sagen, dass diejenigen,die an einer Ensembledarstellung mitwirken, sich voneinanderdurch verschieden hohe dramatische Dominanz unterscheidenund dass sich die Rollen innerhalb eines Ensembles je nach derDifferenz der Dominanz unterscheiden, die sich die Mitgliederuntereinander zugestehen.”128 Die Rollenverteilung legt alsoauch die Formen der Respektbezeugungen untereinander fest.Der Witz des Kollegen kann immer auch ein Flop sein, derWitz des Chefs wohl nie. Neue Mitarbeiter erkennen durchdiese Art der Gruppenkommunikation sehr schnell, wie Hierar-chien aufgebaut sind. Eine Führungskraft, über deren Witzenicht gelacht wird, wird bald nichts mehr zu lachen haben.Die Beobachtung, dass ranghöhere OrganisationsmitgliederLachen für ihre Bonmots ernten, auch wenn nichts Lustigesdaran zu finden ist, lässt sich auch psychodynamisch interpre-tieren. Denn Unternehmen sind keine seelenlosen Maschinen,die rein rational konstruiert sind, sondern von Menschen ge-prägte Gebilde. Insofern ist auch Irrationales vorhanden.Die psychodynamische Perspektive versucht, Systemhandelnzu interpretieren, indem zum Beispiel Projektions- und Identi-fikationsverhalten unterstellt werden. Führungskräfte sind inbesonderer Weise geeignet, Projektionen auf sich zu ziehen,„weil der Geführte auf den Führer Teile seines Selbst projiziert,um sich dann in ihm wiederzufinden.”129

Sigmund Freud war der Auffassung, dass jeder Mensch imLaufe seiner Entwicklung seinen primären Narzissmus, alsoseine uneingeschränkte Selbstliebe, überwinden muss, indemer sich entweder mit anderen identifiziert, indem er sie in sichaufnimmt (introjiziert) oder indem er sein Ich-Ideal durch an-

128 Goffman (2003), S. 93129 Neuberger, Kompa (1993), S. 200

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dere oder äußere Objekte ersetzt. „Mit Hilfe der Konstruktionenvon Introjektionen und projektiver Identifikation wird die zu-nächst 'unerklärliche' Tatsache verständlich gemacht, dassMenschen sich einem anderen unterordnen, seinen Anordnun-gen gehorchen, ihre Individualität, zum Teil sogar ihr Lebenopfern: Der Mechanismus der Verschränkung von Introjektionund Projektion lässt den Führer zum Teil des Selbst werden, erist kein anderer oder äußerer, sondern das Gute, Mächtige,Richtige, Große, an dem man partizipiert, weil man es 'einver-leibt' hat.”130 Die Führungskraft symbolisiert somit alle guten,heroischen und erstrebenswerten Aspekte des Selbst. Situatio-nen, in denen durch gemeinsames Lachen Solidarisierung undTeamgeist ausgelöst werden, können also gerade dazu genutztwerden, die Führungskraft in ihrer Stärke noch größer wirkenzu lassen. „Die hohe emotionale Investition erfordert, dass al-les Negative (die Schwäche, Kleinlichkeit, Allzumenschlichkeitdes Führers) ferngehalten und ausgeblendet wird."131

Humor ist ein Teil dieser Stärke, die Führungskräften attestiertwird, da mit Humor auch andere Charaktereigenschaften asso-ziiert werden. Vielleicht ist Humor in der Beliebtheitsskala anCharaktereigenschaften gerade deshalb so hoch angesetzt, weilman einem humorvollen Menschen Mut, Intelligenz, Flexibili-tät und Durchsetzungsfähigkeit unterstellt. EinflussreicheMenschen müssen durch Witz glänzen, weil dies ein Garantfür pointierte Schärfe auch in schwierigen und verfahrenenDiskussionen ist und intellektuelle Überlegenheit ausstrahlt,die letztendlich Grundvoraussetzung für innovatives Gedan-kengut ist. Im Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie findetman die Frage, welche Eigenschaften bei Menschen am meis-ten beeindrucken. Unter 18 möglichen Nennungen rangiertHumor an zweiter Stelle hinter Ehrlichkeit.132 Dieser hoheStellenwert des Humors wird auch an anderen Stellen immerwieder dokumentiert. In der Monatszeitschrift 'Cicero' bei-spielsweise, einem Autorenmagazin für politische Kultur, wur-de in der Aprilausgabe des Jahres 2006 eine Liste der fünfhun-

130 ebd., S. 201131 ebd.132 vgl. Noelle-Neumann, Köcher (1993), S.70

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dert einflussreichsten Intellektuellen veröffentlicht. Die Listeführt nach Günter Grass der Satiriker Harald Schmidt an. Dieszeigt, welche Bedeutung Humor für die Meinungsbildung unddie politische Urteilskraft hat. Unter den ersten fünfzig Nen-nungen befinden sich mit Dieter Hildebrandt, Robert Gern-hardt und Gerhardt Polt vier ausgewiesene Humorfachleute,während die Soziologie beispielsweise nur durch Ralf Dahren-dorf (Platz 29) und Ulrich Beck (Platz 50) vertreten ist.

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5. Die Grenzen des Humors

5.1 Ideologische Kritik gegenüber einer humorvollen Welt

5.1.1 Die lange Tradition der Humorlosigkeit

Erst die Arbeit, dann das Spiel! Diese Einstellung zur Unver-einbarkeit von ernsthafter, effektiver Leistung und entspann-ter, spielerischer Lockerheit hat tiefe Wurzeln im abendländi-schen Denken. Schon Plato war der Meinung, dass eine idealeGesellschaft keinen Platz hätte für Komödie und Gelächter.Sein Schüler Aristoteles verurteilte Humor und Spiel zwarnicht, wies ihnen aber lediglich die Rolle der Erfrischung undErholung zu, um schließlich mehr arbeiten zu können. Wir a-müsieren uns, weil wir nicht die ganze Zeit arbeiten können.Mit Arbeit hat Spaß aber grundsätzlich nichts gemein.133 DieseTrennung erfährt im Mittelalter eine weitere Konkretisierung.Es werden Regeln aufgestellt für verschiedene Handwerksbe-rufe und Stände, in denen das Lachen und Spielen aus der Ar-beitswelt verbannt wird. Als Puritaner im 17. Jahrhundert inEngland an die politische Macht kamen, verurteilten sie dasLachen im öffentlichen Leben. In einem Brief an seinen Sohnschreibt der Diplomat und Schriftsteller Lord Chesterfield:"Having mentioned laughing, I must particularly warn youagainst it. Frequent and loud laughter is the characteristic offolly and ill manners. ... I am neither of a melancholy nor acynical disposition, but I am sure that since I had fully use ofmy reason, nobody has heard me laugh."134 Im viktoriani-schen Zeitalter wurden ganze Abhandlungen über die Schäd-lichkeit des Lachens verfasst. George Vasey schreibt in seiner"Philosophy of Laughter and Smiling"135 über die gesund-heitlichen Schäden des Lachens wie Herzrhythmus- und A-temstörungen sowie die physiognomische Entstellung. Für

133 vgl. Morreall (1997), S. 3f134 zitiert nach: Morreall (1997), S. 3135 vgl. Vasey, G. (1875): The Philosophy of Laughter and Smiling. London

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Vasey ist Lachen so unnatürlich und gefährlich wie Masturba-tion, die wohl schlimmste menschliche Verfehlung im viktori-anischen Zeitalter. Lachen käme nur durch die falsche Erzie-hung und Behandlung von Kleinkindern zur Entfaltung.Kitzeln, Necken, Herumalbern würde die nervösen Spasmenfördern, die wir Lachen nennen. Man müsste, so Vasey, nureine Generation lang gewissenhaft diese üble Praxis im Um-gang mit Babies unterlassen, und wir würden zur sittlichenReife und Würde des menschlichen Geschlechts zurückfinden.Selbst im 20. Jahrhundert gab es Autoren, die das Lachen ver-teufelten. Anthony Ludovici beschreibt in 'The Secret ofLaughter'136 Humor als Innovationsbremse. Hart arbeitendeMenschen würden nie lachen. Humor verhindere jeglicheernsthafte Entscheidungsfindung, da er alles relativiere. Kon-templation und Inspiration als Bedingung für Problemlösungund Innovation vertrügen sich nicht mit der destruktiven Artvon Humor.Warum ist das Komische kein Wert an sich? Dieser Frage gehtder Komik-Produzent und Komik-Kritiker Robert Gernhardtnach. Selbst angesehene Künstler, die sich dem Komischenverschrieben haben wie Busch, Morgenstern, Ringelnatz, Va-lentin werden nicht für ihr komisches Talent gerühmt, so alswäre das nur Komische nicht würdigenswert genug. „Also wirdder sittliche Wert der Komik und der ästhetische Rang der Ko-miker betont, das Lustmoment aber abgewertet: WilhelmBusch wird zum Weisen von Wiedensahl hochstilisiert, rüh-mend werden seine Schopenhauer-Lektüre (...) hervorgehoben.(...) Ringelnatz wird zu einem lächelnden, zutiefst menschli-chen Philosophen stilisiert, Valentin zu einem der wichtigstenDramatiker dieses Jahrhunderts.”137 Für das Komische gibt eszahlreiche herabsetzende Begriffe. Gernhardt führt z.B. Wit-zeln, Witzelei, Gewitzel, Witzbold, Witzfigur, Witzblatt, Blö-deln, Blödsinn, Blödel, Blödelei auf. Ernstelei, Geernstel undErnstbolde gibt es hingegen nicht. Das heißt, das, was sich mitdem Lachen begnügt, wird selbst der Lächerlichkeit preisgege-ben.

136 vgl. Ludovici, A.M. (1932): The Secret of Laughter. London137 Gernhardt (2000), S. 454

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Die Bedenken gegenüber den zersetzenden Kräften des Humorsfinden sich vor allem im Erziehungssystem und den pädago-gischen Bemühungen, Kinder in die ernste Welt der Arbeit zuführen. Spaßvögeln wie in Wilhelm Buschs 'Max und Moritz'wird der Garaus gemacht. In Walt Disneys 'Drei kleinenSchweinchen' werden die stets lachenden, singenden Schwein-chen, die dem Müßiggang frönen, vom Wolf gefressen; dasfleißige, strebsame Schweinchen kann sich retten.Lachen in der Schule gilt oft als subversiv. Der Schüler musssich erklären, was an irgendeiner Situation, wegen der er ge-lacht hat, so komisch gewesen sein soll. Der Lehrer, der Angsthat, verlacht zu werden oder lächerlich zu sein, will mit seinerAufforderung den Schüler selbst lächerlich machen. Die Schil-derung entbehrt nämlich oft jeglicher Komik und stellt denlachenden Schüler als kindisch und dumm dar. Die Nichtigkeitdes Lachanlasses soll zeigen, wie einfältig der Lachende dochist. Der gewünschte Effekt ist klar: Das Lachen soll unterbun-den werden. Morreall schreibt treffend, musisch begabteSchüler landen im Musikzimmer, zeichnerisch begabte imKunstraum, und Schüler mit Sinn für Humor beim Direktor.

5.1.2 Gefährdung gesellschaftlicher Werte

In der zweiten Jahreshälfte 2004 ist ein kleines Buch auf denMarkt gekommen, das nur ein halbes Jahr später bereits in der35. Auflage vorlag und monatelang in den Bestsellerlistenvertreten war. Das Buch trägt den Titel "Schluss mit lustig! DasEnde der Spaßgesellschaft". Autor ist der TV-Moderator PeterHahne, der mit seinem Buch zur Rückkehr zu stabilen Wertenin einer labilen Gesellschaft auffordert. Der Klappentext for-muliert zugespitzt das Plädoyer Hahnes: „Nur eine 'Gesell-schaft mit begründeter Hoffnung' hat eine Überlebenschance.Dazu brauchen wir mehr Vorbilder als Vorschriften, und Wertenicht als bloße Worte, sondern als gelebte Begegnung.” Es seian der Zeit, sich zu entscheiden zwischen Ernst und Spaß,zwischen wichtig und lustig, zwischen Wertvollem und Ober-flächlichem. „Die Verweigerung der Wirklichkeit, durch dieSpaßgesellschaft auf die Spitze getrieben, hat ein Ende. Die

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Themen, über die geredet wird, sind plötzlich existenziellerNatur. Die schrille Spaßgesellschaft ist Schock und Trauer ge-wichen.”138 Ausgelöst hat diesen Schockzustand der Terror-anschlag am 11.9.2001 auf die Türme des World-Trade-Centers. Hahne entwirft ein Bild unserer Gesellschaft, derenMitglieder verweichlicht und konturlos zu wenig Disziplin undLeistung, Sauberkeit und Pünktlichkeit verinnerlicht haben,stattdessen sich der seichten Berieselung und des Spaßkon-sums hingeben. Sein Wertebild gleicht einem Kontrastpro-gramm und bietet allem Paroli, was unter dem OberbegriffSpaß subsumierbar ist. Seiner Argumentation zufolge liege dieTragik unserer Spaßgesellschaft darin, dass kulturelle Wurzelnverloren gegangen seien und keine Lebensziele mehr existier-ten. Der Autor zitiert einen Satz aus einem Zeitungsartikel derZEIT: „Jetzt ist die Gelegenheit, den Kern der Kultur wiederfreizulegen, ... weil viele vom Lachen genug haben.”139 DasEnde des 'ironischen Zeitalters' sei angebrochen, ein Comebackder Werte haben selbst Trendforscher ausgemacht, behauptetHahne. „Die Spaßgesellschaft ist jedoch auch das Ergebnis ei-ner ökonomischen Entwicklung, einer explosiv steigendenUnterhaltungsindustrie, die sich nicht ohne weiteres und vorallem nicht freiwillig zurückdrehen lassen wird und will. Spaßmachen ist ein ernstes Geschäft.”140

Hahne sieht im Spaß selbst kein Ziel, keinen Wert, keine Ori-entierung. Spaß sei nur Ablenkung und Abwechslung, es seinicht sinnstiftend, die Vergnügungen der Spaßgesellschaftschmecken seiner Ansicht nach schal. Die entspannende undlösende Wirkung des Lachens, die Ventilfunktion des Humors,um Frust, Druck und Probleme bewältigen zu können, wirdvon Hahne geringgeschätzt. Er postuliert die Notwendigkeit,sich für oder gegen wahre Werte zu entscheiden und somit füroder gegen Spaß. Dabei sieht er im Spaß und in der Tendenz,sich über alles lustig machen zu dürfen, das Grundübel unsererZeit.

138 Hahne (2005), S. 14139 ebd., S. 29140 ebd., S. 83

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Fast scheint es, als wolle Hahne mit drohendem Zeigefingervor der Abstrafung unseres spaß- und lustbetonten Verhaltensbeim Jüngsten Gericht warnen. „An der letzten Grenze des Le-bens, wo letzter Ernst gefragt ist, muss die Spaßgesellschaftkapitulieren.”141 Hier wird suggeriert, dass jeder, der dem Hu-mor frönt, die Quittung am Ende des Lebens erhalten werde.Mit dieser Einstellung ignoriert Hahne die gesundheitlichen,zwischenmenschlichen und gruppendynamischen Vorteile, dieder Spaß mit sich bringt.Aus meiner eigenen Arbeitserfahrung als Kabarettist sowie ausvielen Gesprächen mit Kollegen und anderen Humorprodu-zenten kann ich zudem Hahne widersprechen: Es findet ofteine sehr kritische und intensive Auseinandersetzung mit denwichtigen Dingen des Lebens statt, wenn Pointen produziertwerden. Selbst oberflächlicher Spaß lebt von einer sensiblenWahrnehmung der Wirklichkeit, die kontrastiert, übertriebendargestellt oder ad absurdum geführt wird. Auch dies bestreitetHahne: „Eine der gefährlichsten Wirkungen unserer Spaßge-sellschaft ist der Verlust des Ernstes. Solange alle Welt dabeiist, sich zu unterhalten, sich abzulenken, sich zu zerstreuenund notfalls alles lustig zu finden, bleibt für ernste Dinge keinRaum. Damit hindert die Spaßkultur das Nachdenken über das,was wirklich wichtig ist. Denn ernsthafte Themen vertragenkeine witzige Verpackung. (...) Die Lebenslüge der Spaßgesell-schaft liegt ja darin, Inhalte durch Kommunikation zu erset-zen. (...) Umso stärker ist in unseren unsicheren Zeiten der Rufnach dem Echten, nach Wahrheit, Glaubwürdigkeit, Verläss-lichkeit. Wenn die Spaßgesellschaft geht, kommt dieses Werte-gefüge wieder zurück.”142

Die persönliche Meinung Hahnes wäre nicht weiter erwäh-nenswert, wenn die hohe Auflage seines Buches nicht vermu-ten lassen könnte, wie sehr er vielen Leuten aus der Seelespricht. Seine Leser scheinen eine Lösung unserer Gegenwarts-probleme in seinen Analysen und Schlussfolgerungen zu se-hen. Der Standpunkt Hahnes erinnert mich ein wenig an dieFigur des alten Mönches Jorge de Burgos in dem Roman 'Der

141 ebd., S. 127142 ebda., S. 130

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Name der Rose' von Umberto Eco. Dieser Mönch verurteilt dasLachen, das eines Mönches unwürdig sei, weil es das mensch-liche Gesicht zum Antlitz eines Affen verzerre. Burgos' Ansichtnach tötet Lachen die Furcht, ohne die es aber keinen Glaubengeben könne. Aus diesem Grund hält er in der Klosterbiblio-thek das verschollen geglaubte zweite Buch der Poetik des A-ristoteles über die Komödie versteckt. Er will die Menschheitvor dem Übel des Lachens bewahren. Hahne tritt in dessenFußstapfen.

5.2 Negative Auswirkungen von Humor und Komik

Humor wird oft als Selbstzweck betrachtet. „Ein Clown, einKabarettist, ein Witzeerzähler will Spaß bringen. Vielleicht hater auch eine Botschaft, die er über den Humor an seine Zuhö-rer bringen will. Sein Interesse gilt jedoch nicht dem Humorals Katalysator für Entwicklungsschritte.”143

Unser Interesse gilt jedoch der Frage, ob und wie Humor imWirtschaftsleben Organisationsziele unterstützen bzw. eineEntwicklung fördern und Ergebnisse erzielen kann. Vice versageht es in diesem Kapitel darum, inwieweit Humor schädlichwirkt. Diese Effekte wiegen dann schwerer als Hahnes ideolo-gische Kritik.

5.2.1 Humor als Waffe

Humor kann aggressiv sein. Mit Scherzen will man sich oft alsüberlegen profilieren. Das beginnt schon im Kindesalter, wiedie Freiburger Sprachwissenschaftlerin Prof. Dr. Helga Kott-hoff feststellte: „Schon im Kindergarten würde durch Angriffeund Gegenangriffe mit Worten klar gemacht, wer der King ist.”144Humor wird folglich als Waffe eingesetzt. Wir spielen mitSinninhalten, welche wir so verdrehen und entstellen können,

143 Holtbernd (2003), S. 196144 vgl. http://www.n24.de/boulevard/nus/?a2004012513584584327

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dass Gelächter entsteht. In der Scherzkommunikation erhältUnsinn allein dadurch einen Sinn, dass er soziale Ordnung invielerlei Hinsicht reproduziert. Denn nicht jedem Menschenkommt in jeder Situation das Recht zu, dieselbe durch Witzund Humor zu verändern. Sich das Recht zu nehmen, kanndazu missbraucht werden, andere Menschen bewusst zu verlet-zen. Das Scherzen dient dann lediglich dem Zustandekommenund der Aufrechterhaltung ungleicher Verhältnisse.So wird aus Humor schnell auch Verlachen, Intrige und Psy-choterror, insbesondere am Arbeitsplatz. Verächtlich machen-der Humor forciert Phänomene wie Stigmatisierung oder dasAbstempeln eines Mitmenschen zum Sündenbock.Hier entsteht ein fließender Übergang vom vermeintlichenHumor zu Mobbing. Mobbing ist eine konfliktbelastete Kom-munikation am Arbeitsplatz, unter Kollegen oder zwischenVorgesetzten und Untergebenen. Dabei ist die angegriffenePerson unterlegen und wird systematisch und während länge-rer Zeit direkt oder indirekt angegriffen. Ziel oder Effekt derAngriffe ist die Ausgrenzung der betroffenen Person. DieseDefinition ist sinngemäß in der Gesellschaft gegen psychosozi-alen Stress und Mobbing (GpsM) e.V. zusammen mit HeinzLeymann entwickelt worden. Vieles in dieser Definition trifftauch auf Humor zu, der gezielt verletzen will. Ich möchte des-wegen einige Fakten über Mobbing aufführen und dabei nichtaus den Augen verlieren, dass Humor Tendenzen hat, die imMobbing verwendet werden.In Deutschland schätzt man die momentane Zahl der Mob-bingbetroffenen auf über 1.000.000 Erwerbstätige (2,7%)145 Mobbing am Arbeitsplatz betrifft insofern einen großen Teilder erwerbstätigen Bevölkerung in unserer Gesellschaft. Gera-de sarkastische Bemerkungen und das Lächerlichmachen füh-ren dazu, dass ein Individuum ausgeschlossen wird. Mobbinghat weitreichende negative Folgen für die Gesundheit wie auchfür die berufliche und private Situation des Opfers. Regelmäßi-ge feindselige Angriffe rufen negative Gefühle und starke Ver-unsicherungen bei den Betroffenen hervor, was zumeist nichtohne Folgen auf ihr Arbeits- und Leistungsverhalten bleibt.

145 vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Mobbing#Verbreitung

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„98,7% der deutschen Mobbingopfer geben an, dass sich Mob-bing darauf auswirkt. Am häufigsten nennen Opfer laut Mob-bing-Report Demotivation (71,9%), starkes Misstrauen (67,9%),Nervosität (60,9%), sozialen Rückzug (58,9%), Ohnmachtsge-fühle (57,7%), innere Kündigung (57,3%), Leistungs- undDenkblockaden (57,0%), Selbstzweifel an den eigenen Fähig-keiten (54,3%), Angstzustände (53,2%) und Konzentrations-schwächen (51,5%)”146

Die Folgen von Mobbing am Arbeitsplatz betreffen jedochnicht nur die Opfer, sondern richten auch ökonomischenSchaden auf betrieblicher und gesellschaftlicher Ebene an.Der oben erwähnte Mobbing-Fachmann Heinz Leymann hat inseinen Forschungen insgesamt 45 verschiedene Mobbing-Handlungen gefunden und sie in fünf Bereiche aufgeteilt. Vorallem der Bereich 'Angriffe auf das soziale Ansehen' schließtHandlungen ein, die das Thema Humor tangieren: Man machtjemanden lächerlich. Man macht sich über eine Behinderunglustig. Man imitiert den Gang, die Stimme oder Gesten, umjemanden lächerlich zu machen. Man macht sich über das Pri-vatleben lustig. Man macht sich über die Nationalität lustig.147

Manche dieser Handlungen sind für sich genommen eherharmlos. Eine einmalige Verletzung ist noch kein Mobbing -die erdrückende Gewalt entwickeln solche Handlungen erst,wenn sie systematisch ausgeübt werden und einen Angriff aufdie persönliche Würde oder die berufliche Identität darstellen.Übrigens gibt das Karriere-Journal der Internetstellenbörsemonster.de den Rat, es mal mit einer 'Prise Humor' zu probie-ren, um Intriganten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Mansieht: Humor kann falsch und richtig angewendet werden.

146 ebd.147 vgl. www.dgb.de/themen/mobbing

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5.2.2 Missverständliches Lachen bei interkultureller Zusammenarbeit

Interkulturelle Teams sind darauf angewiesen, dass Aufgabenwie Entwickeln, Planen, Forschen, Berechnen, Diskutieren undUmsetzen sowie das Finden von Lösungen oder Antwortengemeinsam gemeistert werden. Die erzielten Ergebnisse müssengemäß gemeinsamer Normen, der Logik oder anerkannterTatsachen von allen Beteiligten als richtig akzeptiert werden.In internationalen Teams kann es dabei durchaus passieren,dass die Mitglieder unterschiedliche Herangehensweisen wäh-len und der Weg des gemeinsamen Herausfindens einer Lö-sung komplizierter ist als bei nationalen Teams, da Methodender Informationssuche und –verarbeitung relativ unterschied-lich sein können. So kann es vorkommen, dass Mitglieder ei-ner Kultur zum Ziel haben, anwendbare und kommerziell ver-marktbare Ergebnisse zu generieren, während Angehörigeeiner anderen im Team vertretenen Kultur den Schwerpunktauf das Lösen technischer Problemstellungen legen und dieMarktfähigkeit der Ergebnisse in den Hintergrund rückt. Diesekulturelle Unterteilung trifft beispielsweise auf Amerikaner, dieeher vertriebsorientiert sind, und Franzosen zu, die technischinteressiert sind.148 Ein Mittelweg lässt sich schwer finden,wenn kulturelle Gepflogenheiten divergieren und unterschied-liche nationale Präferenzen und Werte in internationalenTeams zu Schwierigkeiten bei der Konsensfindung führen.Des Weiteren ist es in internationalen Teams häufig der Fall,dass eine gemeinsame Teamsprache, die für einige oder alleMitglieder eine Fremdsprache darstellt, gesprochen wird. DieMitglieder, deren Muttersprache nicht die Teamsprache ist, ha-ben einen Nachteil, da sie weniger spontan und redegewandtan der Konversation teilnehmen können, als die 'Native-speakers'. Hier kommt die Rolle von Humor zum Tragen:Während gemeinsames Lachen in verfahrenen Situationen oftdie Möglichkeit schafft, sich über Entspannung und Sympathieauf der Beziehungsebene auch sachlich wieder anzunähern,kann missverstandener Humor in interkulturellen Teams als 148 vgl. Neff (1995), S. 17

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Spott und Verhöhnung aufgefasst werden und somit zur Aus-grenzung und Verschlimmerung der Situation führen.Das Übertreten von Tabus oder das Verletzen von Schamgren-zen erhöht Spannungen und Skepsis, statt sie aufzulösen.Werden beispielsweise Teile der Aufgabenstellung von Team-mitgliedern persiflierend als unnötig oder lästig dargestellt o-der machen sie sich darüber lustig, kann das von Teamkolle-gen aus anderen Kulturen als persönliche Diffamierungempfunden werden. Zum Beispiel hat Umweltschutz vonNation zu Nation oft einen sehr unterschiedlichen Stellenwert.Sind die Meinungen durch die Kultur der Teammitglieder starkgefestigt, kann die 'Belustigung' auf Kosten solcher Themenschwer lösbare Konflikte auslösen.Gerade die unterschiedlich kulturell geprägten Konfliktlö-sungsmethoden können zusätzlich zu Missverständnissen undUnstimmigkeiten führen.149 In manchen Kulturen werdenKonflikte z.B. mit einer dritten neutralen Person gelöst oderdurch die Festlegung, dass der Teamälteste Diskussionen leitenund in verfahrenen Situationen auch autoritär Entscheidungentreffen darf. Mit diesen Praktiken sind Angehörige andererKulturen wiederum nicht vertraut, was zu Problemen im inter-nationalen Team führen kann. Es muss erst ein einheitlicherKonfliktlösungsweg gefunden werden, bevor man an die ei-gentlich zu lösende Problemstellung herangehen kann. Auchhier erweist sich Humor oft als Stolperstein: Missverständnisseund konträre Motive unter den Mitgliedern des Teams werdendadurch eher verschärft. Der humorvolle und gerade von Eu-ropäern oft gewählte Weg, Misserfolge der Projektarbeit durchselbstironische Kommentierung und das lustvolle Sich-lustig-machen über alte Irrwege und Fehlversuche als überwundenund somit gelöst darzustellen, kann auf Asiaten sehr demoti-vierend wirken. Oft wird lieber Klarheit statt Ironie gewünscht.Mangelnde Klarheit der Aussagen kann bei High KontextKulturen entstehen, die wenige Inhalte verbal kommunizieren,da der Kontext relevante Zusätze beinhaltet und Mitteilungenergänzt; zumindest werden Vertreter von Low Kontext Gesell-schaften irritiert sein, da diese ausführliche, informationsreiche

149 vgl. Hubbard (1999), S. 304

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Kommunikation gewohnt sind, wie zum Beispiel Venezuelanerim Gegensatz zu Japanern150.Ein weiteres Augenmerk muss auf den hierarchischen Statusder Teammitglieder gerichtet werden. Nicht in allen Team-konstellationen darf gewitzelt werden. In Gegenwart einesVorgesetzten oder höherstehenden Mitarbeiters gelten andereSpielregeln als bei homogener Zusammensetzung auf gleicherhierarchischer Ebene. Der berufliche Status ist in verschiede-nen Kulturen dabei unterschiedlich wichtig und Angehörigeeiner bestimmten Profession sind nicht von allen Individuenim Team gleich angesehen und dürfen auch nicht gleich be-handelt werden. Über die Bonmots des Chefs darf in allenKulturen gelacht werden, aber nicht überall über den Chef. DerVorgesetzte darf sich in der Regel über jeden lustig machen,über den Vorgesetzten sollte man sich umgekehrt nur lustigmachen, wenn dies in der Vergangenheit schon sanktionslosgeschehen durfte.Solche Traditionen der Humorkultur erfahren in verschiedenenKulturen unterschiedliche Ausprägungen. In Deutschland gibtes Vorbilder und kulturelle Rituale für das Lächerlichmachen,die akzeptiert und tradiert werden. Das alljährliche "Politiker-Derblecken" am Nockherberg in München zur Eröffnung derStarkbiersaison beispielsweise geht mit den politischen Macht-habern hart ins Gericht. Ein als Bruder Barnabas in Mönchs-kutte gekleideter Kabarettist übt beißende Kritik an deutschenSpitzenpolitikern, die oftmals selbst im Publikum sitzen undsich trotz der Häme die Predigt persönlich anhören. So sitztmeist der bayerische Ministerpräsident mitsamt seinem Kabi-nett im Saal. Als weiteres Beispiel seien die Büttenreden er-wähnt, die im deutschsprachigen Kulturraum zur Fastnachts-zeit zum etablierten Sitzungskarneval gehören. Die meistgereimten und von einem speziellen Rednerpult (der „Bütt“)aus im lokalen Dialekt vorgetragenen Reden gehen auf diemittelalterliche Sitte des 'Rügerechts' zurück, in dessen Rah-men der einfache Mann zur Fastnachtszeit die Herrschendenungestraft kritisieren durfte. Irgendwann tauchten Büttenred-

150 vgl. Govindarajan, Gupta (2001), S. 65

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ner auf, die von Festsaal zu Festsaal zogen und dort von denVeranstaltern ein Entgelt bekamen.Kritik, als Humor verpackt, hat also Tradition in unserem Kul-turkreis - und das nicht erst seit gestern. Schon die alten Grie-chen nutzten den Humor zur Krisenbewältigung. „Auf demOlymp im alten Griechenland lachten die Götter. Sie liebten eskurzweilig, trieben Schabernack, auch Ehebruch, selbst nie-derträchtige Gefühle waren ihnen nicht fremd. Der Mensch derAntike hatte sie nach seinem Ebenbild geschaffen."151

Anders bei den Muslimen, wie der Karikaturenstreit im Früh-jahr 2006 erschreckend gezeigt hat. Weil europäische Zeitun-gen Karikaturen über den Propheten Mohammed gedruckthatten, bezichtigten Gläubige den Westen der Gotteslästerung,überrannten Botschaften und verbrannten Fahnen. DieserKulturkampf zeigt, wie sehr sich Abend- und Morgenland inder Wahrnehmung von Satire unterscheiden und wie unter-schiedlich Humor interpretiert wird: Auf der einen Seite als zubekämpfende, blasphemische Respektlosigkeit vor der Religion,auf der anderen Seite als Ausdruck einer Meinungsfreiheit, dieals Grundrecht verstanden und geschützt werden muss. DerSpott über das Göttliche entspringt dem modernen Individua-lismus der europäischen Aufklärung. Durch seinen Witz, durchSarkasmus und Ironie macht sich der Mensch Gott ebenbürtig.Gerade deshalb verdammen fundamentalistische Muslimeschon Ironie als subversiv und sehen Spott als Entweihung desReligiösen. Dass hier keinerlei Annäherung auf intellektuellerEbene möglich ist, liegt auf der Hand. Hier hat Lachen seineversöhnliche und solidarisierende Wirkung verspielt. Wer ineiner gereizten Situation in interkulturellen Auseinanderset-zungen, die womöglich durch Satire ausgelöst oder noch ver-schärft worden ist, Humor als soziales Schmiermittel einsetzenwill, wird die Verhärtung noch verschlimmern. Witz und Ko-mik werden dann nicht mehr als Kommunikationstechnikenwahrgenommen, die entspannen können, sondern als Waffen,die die persönliche Ehre und das jeweils vom anderen starkunterschiedliche Kulturverständnis angreifen sollen.

151 Bednarz, Dieter et al.: Tage des Zorns. in: Der Spiegel 6/2006, Seite 88

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Um nicht versehentlich in so eine Situation zu geraten, gibt esmittlerweile Coachs und Trainer, die 'interkulturelle Kompe-tenz' vermitteln. Sie klären Westeuropäer beispielsweise dar-über auf, dass Asiaten sehr viel schneller als Europäer fürch-ten, durch öffentlich vorgebrachte Kritik ihr Gesicht zuverlieren. Die individuelle Leistung muss also zunächst ent-sprechend gewürdigt und Änderungen an Arbeiten dürfennicht als Fehler oder Versäumnis gewertet werden. AsiatischeKollegen fühlen sich durch Ironisierung oder humorvolle An-spielungen leicht bloßgestellt, während deutsche Teammitglie-der sich durchaus herausgefordert und angestachelt fühlen.Umgekehrt bedeutet, so wurde mir von verschiedenen Ge-sprächspartnern mit reichlich interkultureller Business-Erfahrung berichtet, ein Lächeln eines asiatischen Geschäfts-partners nicht unbedingt Wohlwollen, Sympathie oder garZustimmung, sondern es stelle lediglich eine Geste der Höf-lichkeit dar.

5.2.3 Galgenhumor

In interkulturellen Teams ist Humor, wie oben beschrieben,manchmal kontraproduktiv, weil er missverständlich ist unddamit zu Divergenzen führt, wo eigentlich Harmonie erreichtwerden soll. Gegenüber Außenstehenden ist das aber oft dasbeabsichtigte Ziel von Humor, nämlich auszugrenzen. Das La-chen innerhalb einer Gruppe versöhnt und schweißt zusam-men. Für Gruppenfremde kann es jedoch feindselig klingen.Diese Erkenntnis wird von der anthropologischen These un-termauert, dass das Lachen entstanden sei aus einem Gefühldes befreienden Spannungsabbaus nach einem Kampf auf Le-ben und Tod, bei dem ein Tier erlegt oder Feinde in die Fluchtgeschlagen worden sind.152 Das brüllende, laute Lachen trageder vorhergehenden Anstrengung Rechnung und signalisiereBefreiung und Triumph. „Es mag wohl so sein, dass Lachenimmer noch dazu da ist, den Sieg über einen Feind zu feiern;freilich ist das gewöhnlich kein äußerer Feind mehr, sondern

152 vgl. Hirsch (2001), S. 9

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irgendein innerer Gegner, das Gewissen vielleicht oder eineHemmung, ein moralisches Verbot oder ein unterdrückterHass.“153 Mit dem Lachen löst sich etwas, das uns physischoder psychisch stark beansprucht. Man überwindet innereGrenzen, löst Unbewältigtes, verletzt Tabus und Normen. Un-terdrücktes, Triebhaftes darf artikuliert werden, das sonst kei-nen Raum bekommt. Im betrieblichen Kontext kann dies auchdie Angst vor dem Arbeitsplatzverlust oder einer drohendenUnternehmensinsolvenz sein. Insofern ist beispielsweise einWitz, über den wir herzhaft lachen, ein Schlüssel zu seelischenVorgängen und Problemen. Das Lachen hat etwas Befreiendesan sich, weil es das Besiegen eines Gegners symbolisiert.Das bedeutet aber auch, dass selbst da noch gelacht wird, woder Kampf schon verloren ist oder man ihn verloren glaubtund nur deshalb noch lacht, weil man dies als Überlegenheits-geste nutzt, um das Gesicht nicht zu verlieren. In Krisenzeiten,in denen in Firmen regelrechte Untergangsstimmung herrscht,entwickeln Abteilungen oft einen Galgenhumor, der alle Maß-nahmen des Managements zur Rettung des Unternehmenskonterkariert und aufkeimende Hoffnung verpuffen lässt. Spottund Hohn, Sarkasmus und Parodie machen dann jeden inno-vativen Geist und jegliche Motivation zunichte.

Der Galgenhumor deutet eine ausweglose Situation an: EinWitz über die eigene Zukunft, der von einem zum Tode Ver-urteilten im Anblick des Galgens gerissen wird, ist definitivGalgenhumor, aber auch Witze von gerade gekündigten Men-schen über ihre Situation werden als Galgenhumor angesehen.Darunter sind all die Bemerkungen und Witze zu verstehen,die Ausweglosigkeit und Unveränderbarkeit der jeweiligen Si-tuation zum Ausdruck bringen. Im Gegensatz zum schwarzenHumor wird dieser jedoch von den Betroffenen selbst gemacht.Humor macht normalerweise allein durch die Tatsache Mut,dass sich durch Veränderung des Betrachtungswinkels Chan-cen und Alternativen im wahrsten Sinne des Wortes auftun.Galgenhumor löst keinerlei Veränderungsbereitschaft mehraus, sondern dient der Selbstdarstellung. Man bemitleidet und

153 ebd.

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feiert sich selbst, da man dem Untergang so vorausschauendund tapfer entgegenblickt. Ändern kann oder will man ehnichts mehr.

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6. Humor und Arbeitswelt

Mit dem folgenden Teil sollen zwei Dinge erreicht werden.Zum einen soll Anspruch und Wirklichkeit vom 'Humor amArbeitsplatz" in der deutschen Wirtschaftswelt untersucht undverglichen werden. Zum anderen soll an einzelnen Beispielenexemplarisch der Einsatz von Humor hinsichtlich seinerWirksamkeit dargestellt werden. Beim Thema Humor tretendabei, sofern man empirisch arbeiten will, forschungsprakti-sche Probleme auf: Humor ist eine so positive menschlicheEigenschaft, dass nahezu jeder als humorvoller Mensch gese-hen werden will und sich auch in dem Umfeld, in dem er tätigist, als Förderer von Humor und guter Laune einschätzt. BeiUmfragen nach den Lebensmaximen, bei denen sich Befragteselbst einschätzen müssen hinsichtlich ihren Einstellungen be-züglich Durchsetzungskraft, Risikofreude, Anpassungsfähigkeitetc., erhält die Aussage, dass man 'gesellig und fröhlich' sei,den größten Zuspruch.154

Wer Humor im Wirtschaftsleben analysieren will und in Orga-nisationen Mitglieder nach deren eigener Humorbereitschaftund -fähigkeit fragt, wird also eher das sozial erwünschte Pro-fil mitgeteilt bekommen als eine objektive Einschätzung.Selbst- und Fremdwahrnehmung weichen voneinander ab. Umdie kulturellen und sozialen Denksysteme einer Organisationobjektiv beurteilen und analysieren zu können, konzentriereich mich zunächst auf Inhaltsanalysen aus Stellenanzeigenund Firmendokumenten sowie Werbeanzeigen.Die Inhaltsanalyse ist im besonderen Maße geeignet, bei einerrepräsentativen Auswahl von Texten „die Häufigkeit des Vor-kommens und die Bedeutung gewisser gewichtiger Themenfestzustellen.”155 Ob Humor in Organisationen kontinuierlicheine Rolle spielt, lässt sich folglich daran ablesen, wie häufigund in welchem Zusammenhang dieser Begriff oder seine Syn-onyme in aussagekräftigen Texten über die Organisation ver-wendet werden.

154 vgl. Noelle-Neumann, Köcher (1993), S. 39f155 König (1974), S. 258

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Ich vergleiche Stellenanzeigen und Arbeitsplatzbeschreibungenaus Qualitätshandbüchern, also Stellenausschreibungen undStellenbeschreibungen, indem ich nach den gleichen Schlüs-selbegriffen suche, die Anhaltspunkte dafür sein können, dassHumor oder Lachen wirklich gefragt ist. Stellenanzeigen wur-den über einen festgelegten Erhebungszeitraum aus dem Inter-net ausgewählt, weil dies einen überregionalen, branchen-übergreifenden Einblick ermöglichte. Für die Stellenbeschrei-bungen habe ich Qualitätshandbücher ausgewertet, wie sie imZuge von Zertifizierungsverfahren für jeden Arbeitsplatz zurBeschreibung einzelner Arbeitsabläufe erstellt werden. Hierbeihabe ich die Deutsche Gesellschaft für Qualität e.V. und dieLGA Training & Consulting GmbH gebeten, ebenfalls eineStichwortsuche bei allen verfügbaren Audit-Dokumenten ausdem selben Untersuchungszeitraum wie bei den Stellenanzei-gen vorzunehmen. Darüber hinaus wird ein weiteres Augen-merk auf Arbeitszeugnisse und Werbeunterlagen gelegt, umder Frage nach der Bedeutung von Humor nachgehen zu kön-nen.Da es bei dem Thema Humor im Wirtschaftsleben nicht nurum einzelne Arbeitsplätze geht, wie sie durch Stellenanzeigenund Qualitätshandbücher dokumentiert werden, sondern umUnternehmensabläufe und -prozesse, die ganze Gruppen, Ab-teilungen und Unternehmenseinheiten betreffen, schließen sichdiesen Analysen Einzelfallstudien an. Hier geht es um die Be-schreibung von Maßnahmen in Unternehmen, die gezielt La-chen auslösen sollen. Hier steht die Frage im Vordergrund, obund in welchem Maße es gelingt, Humor dazu zu nutzen, vor-her definierte unternehmerische Ziele zu erreichen. Die Ein-zelfalldarstellungen dienen letztendlich als Vorlage für dieKonstruktion eines idealtypischen Einsatzes von Humor, wie erim letzten Kapitel vorgenommen wird.

6.1 Inhaltsanalysen

Unter dem Begriff 'content analysis' wurden in den 20er und30er Jahren des 20. Jahrhunderts in den USA durch Paul F.Lazarsfeld und Harold D. Lasswell die kommunikationswis-

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senschaftlichen Grundlagen einer quantitativ orientierten A-nalyse von Medien gelegt. Danach erfolgte eine interdiszipli-näre Erweiterung und Differenzierung, so dass sich der metho-dische Ansatz auch auf Linguistik, Psychologie, Soziologie,Geschichtswissenschaft und Kunstwissenschaften ausweitete.Normalerweise werden Kommunikationsinhalte bei einer kon-ventionellen quantitativen Inhaltsanalyse nach festgelegtenRegeln in Kategorien klassifiziert und anschließend kodifiziert,um statistische Angaben über Häufigkeitsverteilungen machenzu können. Die meisten Verfahren der herkömmlichen quanti-tativen Inhaltsanalyse beruhen darauf, das Auftreten be-stimmter Worte zu erfassen, zu quantifizieren und zu zählen.Dabei werden für jede Dimension Analysekategorien entwi-ckelt, denen das vorliegende Material zugeordnet wird. Aufdieser Basis erfolgt die statistische Auswertung. Die qualitativeInhaltsanalyse bezieht auch Kommunikationsinhalte, die nichtexplizit ausgesprochen werden, in die Analyse ein. Durch einesystematische Interpretation wird die inhaltliche Bedeutungvon Aussagen ermittelt, ohne das Material auf quantifizierbareAussagen zu reduzieren. Dabei wird zunächst nach Sichtungdes Materials ein System von Kategorien festgelegt, anhanddessen durch die interpretativen Techniken der Zusammen-fassung, Explikation oder Strukturierung Aussagen aus demText herausgefiltert werden.Diese kurze Definition der Gegensätze zwischen 'qualitativen'und 'quantitativen' Verfahren soll zeigen, dass beim ThemaLachen, Humor und Komik ein quantitatives Verfahren nurteilweise Sinn macht. Humor lässt sich nicht daran erkennenund messen, wie oft bestimmte Worte vorkommen. Lediglichbei der Analyse von Stellenanzeigen und Arbeitsplatzbeschrei-bungen wurde rein quantitativ nach Suchworten vorgegangen,um die sehr große Datenmenge bewältigen zu können. Bei al-len anderen Texten bin ich von der Voraussetzung ausge-gangen, dass Aussagen humorvoll, witzig, doppeldeutig, sati-risch, frech, augenzwinkernd gemeint oder spöttisch seinkönnen, ohne dass dies an einzelnen Begriffen, Wendungenoder Satzkonstruktionen festgemacht werden kann. Dies giltim Besonderen für die untersuchte Werbung.

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Humor ist oft etwas Subtiles, Zartes. Gerade im Wirtschaftsle-ben wird nicht das brüllend Komische und die schen-kelklopfende Ausgelassenheit angestrebt sein, sondern geist-voller Esprit und intelligenter Witz. Insofern muss man dieStellen, die Humor transportieren, erklären und interpretieren.Oft wird erst durch die Bezugnahme auf andere Texte das Hu-moristische transparent. Wenn beispielsweise in einem fir-meninternen Schreiben der Slogan eines Mitbewerbers persif-liert wird oder als Tagungsmotto bekannte Film- oderBuchtitel herangezogen oder leicht modifiziert werden, so istdas Originelle und Witzige daran nicht feststellbar, wenn derursprüngliche Bezug nicht bekannt ist und erkannt wird.Hier sind mir meine Recherchen bei den Briefings als Kabaret-tist für meine Firmenauftritte eine sach- und lachdienlicheQuelle, um diese Querverweise und Hintergründe zu erschlie-ßen. Bei den Einzefallanalysen versuche ich folglich, eine eherhermeneutische Analyse des Einsatzes von Humor vorzuneh-men, ohne Plattitüden abzuliefern. Es geht nicht darum, bei-spielsweise in Unternehmensleitbildern Sätze aufzuspüren wie’Uns macht die Arbeit Spaß’, sondern Formulierungen undFormen zu finden, die davon Zeugnis ablegen, wieviel Spaßdie Arbeit tatsächlich macht. Also nicht 'Spaß' als Vokabel,sondern als Ausdrucksmittel hat Aussagekraft.Von den Möglichkeiten einer qualitativen Inhaltsanalyse, wiesie Mayring156 unterschieden hat, ist für die Zwecke dieserUntersuchung die explizierende Inhaltsanalyse geeignet, demThema Humor gerecht zu werden und nachzuspüren. DieseMethode untersucht Inhalte unter Hinzuziehung sonstigerMaterialien und ergänzender Informationen, um Bedeutungs-ebenen herauszuarbeiten und transparent zu machen.

156 vgl. Mayring (1997). Mayring unterscheidet vier Formen der qualitativen Inhaltsanalyse. 1. Die zusammenfassende Inhaltsanalyse, die das Textmaterial zu einem Kurztext unter Beibe- haltung der wesentlichen Inhalte reduziert. 2. Die induktive Kategorienbildung, die Entwicklung von Kategorien (oder Codes) anhand des Textmaterials, unter die ie Inhalte oder sonstigen Textmerkmale subsumiert werden können. 3. Die explizierende Inhaltsanalyse, die versucht, die untersuchten Inhalte so gut wie möglich - auch unter Hinzuziehung sonstigen Materials, Hintergrundwissens usw. – verständlich zu machen. 4. Die strukturierende Inhaltsanalyse, die das Textmaterial unter bestimmten Kriterien analy siert, um spezifische Aspekte besonders herauszuheben.

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6.1.1 Auswahl der Dokumente

Diese Untersuchung erhebt nicht den Anspruch, repräsentativalle Branchen, Organisationsformen von Unternehmen undBetriebsgrößen abzubilden. Es wird aber der Versuch unter-nommen, möglichst viele Facetten des Berufslebens aus Orga-nisationen in Deutschland widerzuspiegeln. Insofern sind klei-ne mittelständische Unternehmen genauso berücksichtigt wieWeltkonzerne, Dienstleister werden analysiert wie das produ-zierende Gewerbe. Die Unternehmenskulturen von Freiberuf-lern und Selbständigen stehen neben denen von Firmen mitKammerzugehörigkeiten. Personengesellschaften sind vertretenund Aktiengesellschaften.Das untersuchte Material entstammt dem Zeitraum Ende 1999bis Anfang 2006, umfasst also die erste Hälfte der ersten De-kade im 21. Jahrhundert. Es soll folglich keine historischeEntwicklung oder Veränderung untersucht werden, sonderneine Momentaufnahme der jetzigen Situation im Wirtschafts-leben erfolgen. Bei der Schnelllebigkeit von Managementme-thoden und -modellen ist damit nur eine Analyse der gegen-wärtigen Situation möglich.

6.1.2 Stellenanzeigen

Immer mehr Unternehmen erkennen die Zusammenhängezwischen guter Laune und unternehmerischen Erfolgen. DasLachen wird dann gezielt nutzen. Die US-FluggesellschaftSouthwest Airlines etwa, eines der erfolgreichsten Unterneh-men in der amerikanischen Luftfahrtgeschichte, erkannte diesubtilen Querverbindungen zwischen Humor, Kreativität undProduktivität früher als viele andere und setzt sie besonderssystematisch für sich ein.„Wer sich um einen Job bei Southwest Airlines bewirbt, wirdschon im Bewerbungsgespräch nach seinem Sinn für Humorbefragt und muss darlegen, wie er ihn in der Arbeitsumgebungeinzusetzen gedenkt. Wem dazu nichts einfällt, der brauchtsich keine Hoffnungen auf einen Arbeitsvertrag zu ma-

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chen.”157 Die Airline räumt dem Humor ihrer Mitarbeiter mehrBedeutung ein als luxuriösen Ausstattungsdetails an Bord. DerErfolg ist nachweisbar: Seit 30 Jahren fliegt die Gesellschaftununterbrochen Gewinne ein und hatte noch nie eine betriebs-bedingte Kündigung.Wenn Sinn für Humor nachweislich gewinnbringend für einUnternehmen ist, so stellt sich die Frage, wie oft diese Fähig-keit schon bei Stellenangeboten explizit angefragt wird. Umdies zu untersuchen, habe ich in den größten deutschen Inter-netjobbörsen gezielt nach den Suchbegriffen 'Humor', 'Spaß','Lustig' und 'Laune' gefahndet. Auf das naheliegende Wort"Lachen" musste leider verzichtet werden. Zwar wies es eineTrefferquote von 129 Fundstellen auf, aber die Stichprobenzeigten, dass hier stets nur von „flachen Hierarchien” gespro-chen worden ist, in denen sich 'lachen' als Wortbestandteilversteckt hielt.Der Untersuchungszeitraum umfasst den Januar 2005. Analy-siert wurden 19 Jobbörsen, die insgesamt 126.445 Stellenan-gebote veröffentlicht hatten. Die Stellen verteilten sich auf dieverschiedenen Branchen wie folgt (jeweilige Zahl der Stellen-angebote in Klammern):

Architektur / Bauwesen (807),Handel / Verkauf / Vertrieb (12.386),Aus- und Weiterbildung (1.826),Ingenieurwesen / Technik (15.984),Banken / Finanzdienstleister (7.140) ,IT / Telekommunikation (12.635),Beratung / Consulting (8.327),Leitung / Management (4.002),Berufseinstieg / Trainee (1.057),Marketing / PR / Werbung (6.017),Biologie / Chemie / Pharma (2.445),Medizin / Sozialwesen (1.549),Büro / Sekretariat (5.534),Öffentlicher Dienst / Verwaltung (4.625),Design / Grafik / Medien (2.898),Personalwesen (3.726),Einkauf / Logistik / Materialwirtschaft (4.942), 157 Christian Deysson: "Lachen Sie!" in Wirtschaftswoche Nr. 10/2003

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Recht / Steuern (3.213),Entwicklung / Forschung (5.708),Transport / Verkehr (2.048),Ernährung (185)Versicherungen (5.127),Finanz- und Rechnungswesen (7.900)sonstige Berufsfelder (3.721),Gastronomie / Hotel / Tourismus (2.643)

Der folgenden Liste ist die Verteilung der Suchbegriffe, aufge-listet nach Jobbörsen zu entnehmen.

Jobbörse Treffer der Suchbegriffe Humor Spaß Lustig Laune

Jobware 1 0 0 0stellenanzeigen.de 2 118 0 3StepStone 12 252 3 5JobScout24 19 730 2 4jobpilot 76 124 0 15Monster 112 1000 0 18hotel-career.de 21 240 2 8sueddeutsche.de 11 75 0 0jobsintown.de 0 25 0 0DIE ZEIT 0 2 0 0Michael Page 0 3 0 0ingenieurkarriere.de 0 21 0 6Junge Karriere 0 0 0 0Handelsblatt 0 1 0 0Top Arbeitgeber 0 3 0 0medienhandbuch.de 0 22 0 1Unister.de 0 3 0 0Tagesspiegel 0 4 0 0UNICUM.de 0 0 0 0

"TREFFER" Summe derStellenangebote: 254 2623 7 60

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Bei Stellenanzeigen, in denen Humor als Stichwort auftauchte,wurde dies meist als Soft Skill neben Qualifikationskriteriengenannt, die Ausbildung, Erfahrung und Themenportfoliobeinhalten.Typische Aussagen lauten meist wie folgt: „Am besten passenSie in unser Team, wenn Sie durch sicheres Auftreten, Eigen-initiative und Flexibilität überzeugen und auch eine PortionHumor haben.” Dieses Zitat entstammt einer Anzeige der Per-sonalberatung Staufenbiel mit der Überschrift „Berufschance:Innovative Managementberatung”158, mit der Staufenbiel imAuftrag eines Kunden einen Consultant sucht.Fast wortgleich sucht die Vedior PersonaldienstleistungenGmbH einen Vertriebsassistenten mit folgender Passage: „Einegute Portion Humor rundet Ihr Profil ab.”159

Aber auch Ingenieure in der Luft- und Raumfahrttechnik soll-ten zu Späßen aufgelegt sein: „Wenn Einsatzbereitschaft e-benso zu Ihren Stärken gehört wie Teamgeist und Humor,dann freuen wir uns auf Ihre Bewerbung.” Dies zumindestverlangt die Aeroconseil Germany GmbH.160 Wo nicht Humorproduziert werden soll, wird zumindest „und nicht zuletzt:Sinn für Humor” verlangt, zumindest von der Xerox GmbH füreinen zukünftigen Sales Assistenten.161

Gute Laune wird vor allem dann verlangt, wenn sie normaler-weise aufgrund von Stress abhanden kommt. Exemplarisch fürviele andere sucht beispielsweise die Manpower GmbH & Co.KG Personaldienst le is tungen eine/n Bankkauf-mann/Bankkauffrau in München mit dieser Fähigkeit: „Sieverfügen über eine gute Kommunikationsfähigkeit, arbeitenselbständig, sorgfältig und bewahren auch in stressigen Situa-tionen den Überblick und Ihre gute Laune.”162

Schluss mit lustig ist übrigens bei dem Stichwort 'lustig'. Dennwer hier hofft auf Spaßkultur zu stoßen, muss leider feststel-

158 vgl. Jobangebot "Jobware - JW-05874"159 vgl. Jobangebot "www.stepstone.de"160 vgl. Jobangebot "http://jobsuche.monster.de"161 vgl. Jobangebot "http://jobsuche.monster.de"162 vgl. Jobangebot "http://www.stepstone.de - Referenznummer MP058021537"

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len, weit entfernt vom Ziel zu sein: Gesucht werden lediglichBewerber, die 'reiselustig' sind.163

Reduziert man also die Auswahl um all die Jobangebote, die'Lustiges' suchen oder bieten und schränkt man weiterhin ein,dass die gesuchte 'gute Laune' als Charaktereigenschaft vonStellenbewerbern nicht unbedingt heißen muss, dass man mithäufigem Lachen konfrontiert werden möchte, sondern dassvielmehr sichergestellt sein soll, dass hohe Arbeitsbelastungkein mürrisches Gesicht hinterlässt, so ist die Ausbeute sehrmager.Nur 2,3 Prozent der 126.445 Stellenangebote erwähnen expli-zit, dass Arbeit etwas mit Humor und Spaß zu tun haben soll-te. Gesucht werden also in erster Linie Qualifikationen auffachlicher Ebene. Als Auswahlkriterium geeigneter Bewerberfür eine offene Stelle spielt Humor so gut wie keine Rolle.Dennoch bestätigten mir Personalchefs, -berater und Consul-tants, dass bei gleicher Qualifikation meist derjenige den Jobbekommt, der über mehr Humor verfüge.Am Rande von Briefinggesprächen für Auftritte von mir habenmir Führungskräfte von Kienbaum Consultants erklärt, dassHumor mit steigender Position in einem Unternehmen einezunehmend wichtige Rolle spiele. Kienbaum ist eine der füh-renden deutschen Personalberatungsfirmen, die mit Headhun-tern für Auftraggeber nach geeigneten Kandidaten für Positio-nen im Topmanagement sucht. In einem mehrstufigenAuswahlverfahren werden nach fachlicher Eignung auch Per-sönlichkeitseigenschaften abgefragt. Es gebe zwar keine ob-jektiven Kriterien, die Qualität von Humor zu bemessen, aberPersonalberater würden anhand ihres persönlichen Eindrucksnach einem Gespräch und einem nicht näher analysierbarenBauchgefühl humorvollen Menschen immer den Vorzug geben.Weiter erklärte man mir, dass Stellenanzeigen nicht nur für diejeweiligen Bewerber einer offenen Stelle getextet werden, son-dern darüber hinaus für jeden Leser ein gewisses Image derwerbenden Firma vermitteln sollen. Insofern legen die meistenUnternehmen großen Wert auf Seriosität und den Eindruck,dass nur hochqualifizierte Mitarbeiter in motivierten Teams

163 vgl. Jobangebot "JobScout24 - 08.2004.WE10"

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dort beschäftigt seien und gesucht werden. Immerhin will manKunden erstklassige Produkte oder Dienstleistungen verkaufen.Wenn das Lachen eine große Rolle spiele, ließe sich dasschwerer vermitteln.

6.1.3 Qualitätshandbücher

Wenden wir unseren Blick nun Unterlagen zu, die nicht für dieexterne Kommunikation gedacht sind. Hier interessieren Ein-blicke in die konkrete Arbeitssituation und die Beschreibungvon Arbeitsabläufen, um bemessen zu können, ob Humor hierüberhaupt Raum bekommt und gefördert wird oder gefordertist.Unternehmen, die ihre gleichbleibend hohe Produktions- oderArbeitsqualität sicherstellen und dem Kunden garantierenwollen, lassen sich zertifizieren. Innerhalb solcher Zertifizie-rungsverfahren nach DIN ISO 9000f werden alle Arbeitsabläufeanalysiert und detailliert beschrieben.„Das Herzstück eines nach ISO 9000 aufgebauten QS-Systemsbildet das QS-Handbuch. Von der Qualitätsphilosophie überVerteilerlisten und Dokumentationen bis hin zu den Einzel-heiten und Ablaufdiagrammen spezieller Prozeduren ist hieralles enthalten.”164

Das Handbuch bildet sozusagen alle Prozessabläufe eines Un-ternehmens ab und beschreibt sämtliche Aufgaben und Zu-ständigkeiten jedes einzelnen Arbeitsplatzes. Wenn Humorstruktureller Bestandteil spezifischer Prozeduren von Organi-sationsteilen sein soll, so müsste das im Qualitätshandbuchfestgehalten sein oder dort dokumentiert werden.Diese Überlegung veranlasste mich zunächst, mit Auditoren zusprechen, die das Qualitätsmanagement bei BMW-Niederlassungen umsetzen und zertifizieren mussten. Der Au-tomobilhersteller BMW ist für unsere Untersuchung insoferninteressant, als der Slogan "Freude am Fahren" den Spaßaspektsportlicher Mobilität in den Vordergrund rückt und nicht etwatechnologische oder sicherheitsrelevante Aspekte. Da Spaß

164 Glaap (1993), S. 83

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bzw. Freude konkret verbalisierte Begriffe sind, die Kunden mitBMW assoziieren sollen, könnten Mitarbeiter oder Repräsen-tanten dieser Marke im besonderen Maße angehalten sein, inihrem Verhalten und ihrer Kommunikation dies auch mit Le-ben zu füllen. Das QM-Verfahren bei BMW ist laut der unter-nehmensinternen Auditoren strenger und schärfer als Zertifi-zierungsmaßnahmen nach ISO 9000 ff. Bei Briefinggesprächenmit Mitarbeitern aus den Niederlassungen Stuttgart, Hamburgund Hannover wurde mir bestätigt, dass sowohl Strenge derVorgaben, Kontrolle der Umsetzung als auch der Umgangstonkeinerlei Zweifel daran ließen, dass „das Ganze kein Spaß sei”.Die Auditoren, die für etwa jeweils zwei Monate in den Nie-derlassungen vor Ort als Projektleiter eingesetzt waren, galtenals „scharfe Hunde”, „Inquisitoren” und „Spielverderber”. Sowurde es mir beschrieben, als ich an Briefings anlässlich inter-ner Feiern zu abgeschlossenen QM-Maßnahmen teilnehmenkonnte.Doch unabhängig vom Zustandekommen der Ergebnisse zähltder Inhalt. Die zu erfüllenden Leistungsvorgaben in Hinblickauf Qualität, Sicherheit, Kundenorientierung und Umwelt-schutz beinhalteten jedoch keinerlei Hinweis darauf, ob undwie "Freude am Fahren" durch vorgelebte Freude im Autohausvermittelt werden soll. Zwar durfte ich in die BMW-Handbücher keinen Einblick nehmen, da es vertrauliche Un-terlagen sind, die auch einen Wettbewerbsvorteil gegenüberMitbewerbern darstellen, doch wurde mir berichtet, dass beimBMW-Qualitätsmanagement nur Prozesse berücksichtigt wer-den, die quantifizierbare Leistungsmerkmale hinsichtlich desEinsatzes von Manpower, Material und Servicetätigkeiten be-nennen. Es gehe nicht darum, Arbeitsabläufe so zu gestalten,dass sie Freude bereiten und Humor entstehen oder verwirkli-chen lassen, sondern sie so zu standardisieren, dass einegleichbleibend hohe Qualität erzielt werden kann.Ich wandte mich an die Deutsche Gesellschaft für Qualität e.V.und die LGA Training & Consulting GmbH mit der Bitte, eineStichwortsuche, wie ich sie zur Analyse von Stellenanzeigenvorgenommen habe, bei verfügbaren Audit-Dokumenten ausdem selben Untersuchungszeitraum vorzunehmen. Die Such-wortrecherche in den zur Verfügung stehenden Unterlagen

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eines Auditors, der über 120 Unternehmen in den letzten fünfJahren im Zuge der Einführung von Qualitätsmanagementsys-temen betreute, war ernüchternd. Der Begriff Humor sowie diefür die Analyse der Stellenanzeigen gewählten Synonyme'Spass', 'Lustig' und 'Laune' kommen schlichtweg nicht vor beider Beschreibung von Arbeitsabläufen in Unternehmen.

Zwar gebe es in vielen der betreuten Unternehmen zum Bei-spiel Teeküchen und Etagenkopierer, die Inseln der humorvol-len Kommunikation seien, auch würde bei Meetings gescherztund gelacht, und die Unterredungen in Abteilungen wären be-gleitet von Schabernack und komischen Momenten, wie mirder Auditor aus eigener Erfahrung berichtete, doch findendiese Formen der zwischenmenschlichen Kommunikation kei-nen Widerhall in den Dokumenten. Humor wird nicht als not-wendiger Bestandteil zur Erfüllung spezifischer Aufgaben ge-sehen, deswegen muss er nicht dokumentiert werden. Dies seiaber auch nicht bei anderen Motivationsmaßnahmen der Fall,sofern sie nicht Bausteine des Fortbildungswesens oder derQualifizierungsmaßnahmen für die Mitarbeiter sind. In densehr kurz gehaltenen Beschreibungen der Qualitätshandbücherreduziert man Arbeit auf die Schritte, die zwingend notwendigsind, um vorgegebenen Ziele zu erreichen. Das 'Was' wird de-tailliert beschrieben, um es quantifizieren und kontrollieren zukönnen, nicht aber das 'Wie'.

Dies ist umso überraschender, als eine Revision der ISO 9000Reihe im Jahre 2000 dazu beitragen sollte, Unternehmen „aufdie relevanten, markt- und kundenorientierten Abläufe auszu-richten und damit Sicherheit, Flexibilität und Effektivität (zu)gewährleisten.”165 Dazu wurden acht Managementprinzipiendefiniert, die das Erreichen von Zielen ermöglichen sollen.'Kundenorientierung' ist eine dieser acht Prinzipien und wirdfolgendermaßen beschrieben: „Die jetzigen und die künftigenErfordernisse der Kunden verstehen, die Kundenforderungen

165 vgl. "Die Revision", Infobroschüre des Verbandes akkreditierter Zertifizierungsgesellschaften e.V.

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erfüllen und das Bestreben, die Erwartungen der Kunden zuübertreffen. ”166

Kundenzufriedenheit war vor dem Jahr 2000 kein Kriteriumder ISO 9000 Normenfamilie. Außerdem wurde in den Jahrenzuvor weder ein prozessorientierter Ansatz verfolgt, nochkonnten andere Managementsysteme integriert werden. Nunaber steht Nutzenorientierung statt blinder Normerfüllung imMittelpunkt. Qualitätsmanagement berücksichtigt insofernauch merkmalbezogene Begriffe wie 'Höflichkeit', 'Ehrlichkeit','Wahrheitsliebe'. Gerade die LGA Training & Consulting GmbHist bemüht, die Servicequalität zu fördern: „Kundenbegeiste-rung ist heutzutage oft das Entscheidungskriterium zwischenErfolg oder Misserfolg. Dafür nehmen wir alles unter die Lupe,was Ihrer Dienstleistung zu Exzellenz verhilft. Vom LächelnIhrer Mitarbeiter bis zur Unternehmensführung.”167

Das Lächeln der Mitarbeiter ruft aber nicht das Thema Humorauf den Plan: Lediglich fachliche und persönliche Kompeten-zen werden abgefragt und eine Kunden- sowie Mitarbeiterbe-fragung durchgeführt. Daraus erstellt man eine Bestandsauf-nahme mit einem Empfehlungsbericht. Schließlich wird dieUmsetzung der Handlungsempfehlungen in einem Audit über-prüft.Für dieses Prüf- und Zertifizierungsverfahren spielt Humor amArbeitsplatz als dokumentierwürdiges Verhalten immer nochkeine Rolle.

6.1.4 Arbeitszeugnisse

Sollte Humor eine Eigenschaft sein, von der sich Vorgesetzteeine positive Wirkung auf betriebliche Abläufe versprechen, soist auch eine Analyse von Arbeitszeugnissen aufschlussreich.Hier besteht immerhin die Möglichkeit, einem Mitarbeiter dieFörderung eines humorvollen Arbeitsklimas zu attestieren oderdas Thema Humor mit persönlichen Qualifikationen in Verbin-dung zu bringen. Bei der Interpretation von Arbeitszeugnissen

166 ebd.167 vgl. http://www.lga.de/de/tc/premium_service.shtml

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muss vorausgeschickt werden, dass jeder Arbeitnehmer inDeutschland ein Recht auf eine faire und objektive Beurteilungseiner Leistungen hat. So legt es das Bürgerliche Gesetzbuchzumindest fest. Negative Formulierungen sind dabei unzuläs-sig, — so haben mehrere Gerichte entschieden.Personalchefs haben deshalb eine Art verklausulierten Codeentwickelt, mit dem sie ungünstige Beurteilungen möglichstpositiv klingen lassen können.Unter www.arbeitszeugnis-info.de bietet die Private Wirt-schafts Akademie Feldafing (W.A.F.) Informationen im Be-reich Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung. Auf einerSeite wird der „Geheimcode” der Arbeitgeber bei Zeugniser-teilungen entschlüsselt.Als Übersetzung gängiger Formulie-rungen werden folgende Vorschläge geboten:Steht im Zeugnistext beispielsweise "Wir lernten ihn als um-gänglichen Kollegen kennen", so bedeutet dies laut Überset-zung der W.A.F.: „Viele Mitarbeiter sahen ihn lieber von hin-ten als von vorn.” Wenn direkt gute Laune angesprochen wird,so kann man in Zeugnissen beispielsweise lesen: „Durch seineGeselligkeit trug er zur Verbesserung des Betriebsklimas bei.”Im Klartext heißt dies gemäß W.A.F.: „Er neigt zu übertriebe-nem Alkoholgenuss.”Mit dieser Interpretation erscheint Humorfähigkeit schlagartigin einem völlig anderen Licht.Weitere Beispiele für Formulierungen und deren wahre Be-deutung findet man unter www.arbeitzeugnis.de. Zum Herun-terladen wird hier die „Geheimcode-Liste von arbeitszeug-nis.de” angeboten. Hier finden sich folgende Einträge, die aufunser Thema passen:„Im Umgang mit Kollegen und Vorgesetzten zeigt er durchwegeine erfrischende Offenheit (= Er war sehr vorlaut)”„Bei Kunden war er schnell beliebt (= Er machte viele Zuge-ständnisse, besitzt keine Verhandlungsstärke)”„Er praktizierte einen kooperativen Führungsstil und war des-halb von seinen Mitarbeitern sehr geschätzt (= Er kann sichnicht durchsetzen)”In den Check- und Vorschlagslisten, die indem Handbuch 'Arbeitszeugnisse richtig schreiben und be-

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werten'168 für das Verfassen eines Arbeitszeugnisses gegebenwerden, sind Formulierungen in Abstufung der Leistungen undQualitäten eines Mitarbeiters als Empfehlungen enthalten.Unter der Rubrik 'Verhalten/Zusammenarbeit' finden sich inden Textbausteinen zur Würdigung der bestmöglichen Beur-teilung Passagen wie „natürliche Freundlichkeit und Offen-heit”, „sehr sicher und bestimmt”, „versteht es sehr gut anzu-leiten” oder „weiß, wann er/sie sich einordnen und wann sie/ersich durchsetzen muss”.Das Verhalten findet dann höchste Anerkennung, wenn derMitarbeiter „stets hilfsbereit und aufgeschlossen” ist, er „kor-rekt und beherrscht” ist oder „hilfsbereit, kameradschaftlichund sich für Andere einsetzt”. Es ist außerdem erwünscht,wenn er „den nötigen Abstand” hält und er gerecht ist. Humorfindet keinerlei Erwähnung und harmoniert eher nicht mit dengenannten Tugenden. Bedenkt man, dass das qualifizierte Ar-beitszeugnis mit der Beurteilung der Leistung und des Verhal-tens bei einer möglichen Neubewerbung eine entscheidendeRolle spielen kann, ist es bei kritischer Würdigung obigerBeispiele eher nachteilig, wenn über den Humor und die Qua-litäten als Spaßvermittler eines Mitarbeiters ein Vermerk imArbeitszeugnis steht. In der Beurteilung eines Mitarbeitersdurch einen Vorgesetzten scheinen Qualitäten wie Arbeitseifer,Leistungsfähigkeit und Effizienz eher abgeschwächt zu werden,wenn jemand oft lachend angetroffen worden ist.

Arbeitszeugnisse sind zumeist der einzige Nachweis für dieLeistungen in vergangenen Arbeitsverhältnissen. Ruft mansich ins Gedächtnis, dass „Sinn für Humor” bei einigen weni-gen Stellenanzeigen noch gewünscht war, kann es nur über-raschen, dass diese Eigenschaft in Arbeitzeugnissen überhauptkeine positive Erwähnung mehr findet.Die Bedeutung von Arbeitszeugnissen steigt mit den Anforde-rungen der Stelle und Qualifikation, so dass kein Bankan-gestellter oder Versicherungskaufmann seinen Arbeitsplatzohne entsprechende Zeugnisse wird wechseln können. Amentscheidendsten wirken sich die Zeugnisse bei Führungskräf-

168 vgl. Sabel (1998)

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ten im mittleren Management aus, so die Meinung der Autorenin den einschlägigen Internetseiten über Arbeitszeugnisse.Gerade Führungspositionen verlangen eine hohe Belastbarkeitund die Fähigkeiten, Teams auch in schwierigen Situationen'bei Laune zu halten'. Humor kann hierbei ungemein nützlichsein. Offensichtlich geben Arbeitszeugnisse darüber jedochkeine Auskunft.

Zusammenfassend lässt sich nach Durchsicht der Quellen sa-gen, dass Humor nicht als Qualifikation eines Mitarbeiters gilt,die als förderlich zur Erreichung der Unternehmensziele ange-sehen wird. Deswegen scheint man auch niemandem einenGefallen zu tun, wenn man dessen Sinn für Humor im Arbeits-zeugnis festhält. Eher im Gegenteil: Solch eine Bemerkungkann Anlass zu Skepsis und Vorsicht sein und schadet wohldem Betroffenen.

6.1.5 Werbeunterlagen

Die im Folgenden zur Untersuchung herangezogenen Doku-mente habe ich im Zuge meiner Vorbereitungen als Kabarettistin den letzten fünf Jahren zusammengetragen und mit meinenNotizen und Aufzeichnungen aus den Briefings archiviert. Eshandelt sich im weitesten Sinne um Image- und Werbedruck-sachen, die die Unternehmenskultur transportieren. Haupt-sächlich sind sie für Kunden, Geschäftspartner, Aktionäre unddie Öffentlichkeit bestimmt. In einigen Fällen, z.B. bei Projek-ten des Change-Managements, bei Fusionen, Leitbildentwick-lungen oder neuen Produkteinführungen sind auch Texte fürMitarbeiter darunter, die nur für die interne Kommunikationgedacht sind.Der Schwerpunkt des Textmaterials liegt hier bei Dokumenten,die Aussagen machen über typische Leistungsmerkmale desjeweiligen Unternehmens oder zu spezifischen Unterschiedenzu Mitbewerbern. Hier geht es also im Gegensatz zu den Qua-litätshandbüchern um Ideelles oder eine angestrebte Unter-nehmenskultur. Nicht die Arbeitsinhalte der einzelnen Mitar-beiter oder Organisationsmitglieder werden dabei thematisiert,

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sondern das Selbstverständnis gegenüber Kunden und Mitar-beitern. Das Dienstleistungs- oder Produktversprechen steht imMittelpunkt. In diesem Themenkomplex werden auch die SoftSkills angesprochen. Deswegen müsste sich das Thema Humorhier am schnellsten verorten lassen, - wenn es denn Bestand-teil einer unternehmensweiten Philosophie sein soll.Innerhalb der Unternehmenskommunikation sind gedruckteUnterlagen für unsere Recherche nach Humor als Bestandteileiner Firmenphilosophie geeignet, da sie die Identität einesUnternehmens nach innen wie nach außen kompakt und präg-nant in Kurzform darstellen. Das strategische Dach wird hieroft schneller vermittelbar als in einzelnen Arbeitsabläufen.Allein durch Gestaltung, Wortwahl bei Überschriften, ausge-wählte Bilder und Illustrationen wird ein Eindruck vermittelt,wie humorvoll sich ein Unternehmen gibt. Unternehmen kön-nen so vergleichbar mit Menschen als ganzheitliche Persön-lichkeiten wahrgenommen werden.Untersucht wurden 428 Dokumente mit insgesamt ca. 9800Seiten, die chronologisch nach Auftrittsdaten in Regalen beimir archiviert sind. Gerade dadurch, dass keinerlei Vorselekti-on durch mich in Hinblick auf Branchen, den Unterhaltungs-wert oder den beinhalteten Humor stattfand, ergibt das Mate-rial einen Einblick in typische Werbeunterlagen der deutschenWirtschaft. Die Unterlagen dienten mir als Recherchematerialüber Firmen und Organisationen. So ist eine Stichprobe anDrucksachen unterschiedlicher Macharten, Intentionen, In-halten und Branchen möglich gewesen.

Anforderungen einer Stichprobenkonstruktion an die Verall-gemeinerung auf eine Grundgesamtheit sind insofern ver-nachlässigbar, als eine Grundgesamtheit aller Werbemittel we-der angebbar noch empirisch definierbar ist.169 Das Aus-wahlverfahren entspricht einer bewussten Auswahl nach demKonzentrationsprinzip. „Hierbei beschränkt man die Erhebungauf die für den Untersuchungsgegenstand besonders 'ins Ge-wicht fallenden' Fälle.”170 Diese Beschränkung ist in der hier

169 vgl. Kromrey (1986), S. 136f170 Kromrey (1986), S. 142

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vorliegenden Untersuchung dadurch erfolgt, dass mir Ge-sprächspartner aus den jeweiligen Firmen das Material alsAuswahl verfügbarer Drucksachen aushändigten, das sie alsbesonders aussagefähig für das Unternehmen eingestuft haben.Querbeet wurden Kataloge von IT-Firmen genauso unter dieLupe genommen wie Patienteninformationen von Pharmafir-men, Seminarunterlagen von Dienstleistern, Imageprospekteund Produktinformationen.Die Dokumente wurden in meiner Werbeagentur von zwei beimir für 2 Monate tätigen Praktikantinnen, einem bei mir an-gestellten Auszubildenden zum Mediendesigner und meinerBuchhaltungskraft in einem Zeitraum von 2 Wochen im No-vember 2005 danach ausgewertet, ob Bildinhalte oder Über-schriften als humorvoll einzustufen sind. Mit der Begutach-tung durch andere Personen wollte ich ausschließen, dassmeine Betriebs- und Themenblindheit einen verzerrten Ein-druck ergibt. Diese empirische Inhaltsanalyse erhebt allerdingskeinen Anspruch auf Objektivität.„’Objektivität' als Definitionsmerkmal der empirischen Inhalts-analyse kann sich nur beziehen auf eine 'Objektivierung' desVerfahrens der systematischen Datengewinnung durch vorabformulierte explizite Regeln des Vorgehens.”171 Selbst mitdieser Einschränkung stößt man bei der Inhaltsanalyse anGrenzen der Auswertung bezüglich der Einstufung, was lustigsei. Zwar kann man Kategorien des 'Humorgehalts' von Text-oder Bildelementen bilden, aber der Anspruch, dass zwei Ver-coder bei der Zuordnung von Text oder Bild zu einer Kategoriezum gleichen Ergebnis kommen, also dass die assoziierten ge-danklichen Vorstellungsinhalte identisch seien, ist nicht erfüll-bar. Hier gilt die Erkenntnis: „Alle Menschen lachen über dasGleiche, aber nicht über dasselbe.”172

Was zum Schmunzeln Anlass gab, wurde von jedem separatnotiert. Die Durchsicht fand jeweils nur von einer Person statt,um gegenseitige Beeinflussung auszuschließen. Ich teilte auchniemandem den Grund für die Recherche nach humorvollemMaterial mit. Damit wollte ich vermeiden, dass eine Selektion

171 Kromrey (1986), S. 172172 Uber, Steiner (2006), S. 63

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nach lediglich 'dissertationswürdiger' Qualität an Humor statt-findet. Die Notizen wurden am Ende der Durchsichten von mirverglichen. Hatten mindestens zwei Personen für dasselbe Do-kument eine Auswahl vorgenommen, so wurde dies als "hu-morvoll" eingestuft. Da die Indikatoren für diese Entscheidungnicht vorher festgelegt waren, geschah die Operationalisierungnachträglich durch eine Befragung. Die Antworten wurdenherangezogen, um eine Differenzierung dessen, was Humorvermittelt oder ein Lachen auslöst, benennen zu können.Dieses Verfahren berücksichtigt dennoch lediglich eine Kate-gorisierung in der Dimension humorvoll/nicht humorvoll. Essoll hier auch lediglich plausibel und nachvollziehbar eineTendenz aufgezeigt werden, ob und wie häufig Humor alsStilmittel eingesetzt wird. Jede detailliertere Untersuchungwürde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und letztendlich diehier gestellten Fragen nicht besser beantworten können. Den-noch sei der Vermerk erlaubt, dass ein Mangel an empirischenUntersuchungen zum Thema Humor im Wirtschaftsleben fest-zustellen ist.Nun aber zu den Ergebnissen: Von den 428 Dokumenten wur-den lediglich acht ausgewählt, die zum Lachen oder LächelnAnlass gaben. Die Dokumente sollen im Folgenden kurz skiz-ziert werden, so dass erkennbar wird, was als humorvoll be-trachtet worden ist.

Eine Werbebroschüre für Zahnimplantate der Marke Tioloxwirbt mit einem herzhaft lachenden Nomaden auf der Titelsei-te. Unter Turban und drahtigem Schnauzbart sieht man einenOberkiefer, dem alle Schneidezähne fehlen. Das breite Lachenund die Headline 'Lächle, und die Welt lächelt mit Dir." greifendas Thema Zahnersatz so liebenswert auf, dass man selbst la-chen muss. (Der Kontrast zwischen Luxus-Implantat undWüstennomade bzw. Hightech-Zahnästhetik und zahnlosemLachen sind die verschiedenen Ebenen, die hier aufeinandertreffen).

In einer kleinen Infobroschüre der Neumarkter Lammsbräu istes ebenfalls ein Bild, das zum Schmunzeln einlädt. Eine Bunt-stiftillustration neben der Überschrift 'Im Sudhaus kocht's'

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zeigt neben dem Sudhaus eine grinsende Kuh mit wedelndemSchwanz, die vor einem Trog mit Treber steht. (Hier ist es dieAssoziation mit einem Hund - wegen des wedelnden Schwan-zes -, die für Verblüffung und Heiterkeit sorgt).

Das Personalberatungsunternehmen Boyden International(global executive search) zeigt auf der Titelseite einer Image-broschüre einen Holzschnitt, der auf den ersten Blick wirkt, alssei er eine Buchillustration aus dem 19. Jahrhundert. Das Mo-tiv erinnert an eine Bibelillustration. Es zeigt vier Männer ineinem Ruderboot, das wellenumtost auf eine steil aufragendeInsel zusteuert. Ein langhaariger, bemantelter Mann, der alseinziger im Boot steht, sieht durch ein Fernglas. Auf denzweiten Blick erkennt man, dass die anderen Männer Busi-nesskleidung tragen, - Anzug und Krawatte -, und somit ir-gendwie fehl am Platze wirken. Die Skurillität und Dramatikdieses Motivs erzeugt eine humoristische Wirkung. Pathos undIronie treffen unvermittelt aufeinander.

In einem Prospekt der Firma ProTec Service werden Instand-haltungs- und Montagedienstleistungen angeboten. Auf derTitelseite steht der Satz „Wer träumt nicht ab und zu von grü-nen Männchen ...”Der Aha-Effekt stellt sich beim Betrachtender Fotos auf den Innenseiten ein: Nicht Marsbewohner oderandere Außerirdische sind mit der Titelzeile gemeint, sondernServicekräfte, die sich so manch leidgeprüfter Kunde herbei-sehnt, dessen Produktionsanlagen stillstehen. Die grünenMännchen sind ProTec-Mitarbeiter mit ihren grünen Helmenund Overalls. Als fleißige Hilfskräfte, die beim Kunden zurStelle sind, erkennt man sie auf den Fotos.

Der Büromöbelhersteller Wilkhahn stellt in einer Broschüre dieAnforderungen an Kommunikationsräume im heutigen Ar-beitsleben dar. Auf der Titelseite sieht man eine Luftaufnahmevon Stonehenge, der sagenumwobenen Megalith-Anlage imSüden Englands, mit der Überschrift "Vom steinzeitlichen Pa-laver zur effizienten Kommunikationsförderung". Unwillkür-lich erinnert die Fotografie der teils umgefallenen Steinquaderneben den noch im Kreis stehenden Steine dieses Kultplatzes

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aufgrund des Bezugs zu Büromöbeln an einen chaotischen,hektisch verlassenen Konferenzraum.

Die Schwanhäußer Industrieholding, Produzent der MarkeSchwan Stabilo, lädt alle Mitarbeiter zu einer Betriebsfeierunter dem Motto 'Let's move' mittels einer Einladungskarte mitbeweglicher Drehscheibe ein. Durch Drehung der Scheibe wer-den in einem ausgestanzten Kreis alle wichtigen Informationenüber Veranstaltungsort, Zeit und Programm sichtbar. Die kur-zen Texte nehmen immer wieder das Thema Bewegung undDrehung witzig auf. Für die Rückantwort kann man auchKreise ankreuzen mit Texten wie „Ja, das bewegt mich (...)”oder „Ja, das hat mich dazu bewogen (...)”. Unterzeichnet istdie Einladung mit „Das Bewegungsplanungskomitee”. Hiermuss man nicht nur schmunzeln, sondern man merkt in derkreativen und witzigen Umsetzung des Mottos bis in kleinesprachliche Details, mit wie viel Liebe und Begeisterung denMitarbeitern etwas Originelles geboten wird.

Schwarzen Humor regt das Titelbild der 'ergo aktuell' an, einerMitarbeiterzeitschrift der Ergo-Pharm. Man sieht eine lachendeFrau mit einer geöffneten Heckenschere über einen Blumen-strauß gebeugt, die gerade im Begriff ist, die Blumen 'einenKopf kürzer zu machen'. Dieses Bild soll das Titelthema 'Gift-stoffe raus bei Allergien' illustrieren. Komisch, vielleicht un-freiwillig komisch, ist die Überschrift, die direkt neben den'heckenscherenbewaffneten' Händen zu einem weiteren Themazu lesen ist: „Hilfe durch heilende Hände”. Hier denkt man e-her an einen finalen 'kurzen Prozess' als an Heilung. Schließ-lich fiel in einem opulent bebilderten Imagebuch der Werbe-agentur 'defacto' die Headline „Ach, das ist ja Net!” zurEinleitung des Kapitels 'Neue Medien' als humorvoll auf.

Die genannten Beispiele zeigen zum einen, wie simpel und ba-nal Humor funktioniert. Weder subtile Anspielungen noch bra-chialer Witz sind in den oben aufgeführten Dokumenten an-zutreffen. Lediglich humorvolle Details zeigen sich alspunktuelle Einsprengsel und ziehen sich in den genanntenBeispielen nicht als wiederkehrendes Kommunikationsmerkmal

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durch das Gestaltungs- oder Textkonzept. In keinem Doku-ment sind es darüberhinaus Situationen aus dem Berufsalltagoder Begebenheiten von Mitarbeitern, die humorvoll verpacktwerden.Welche Aussagekraft haben die gefundenen Stellen nun aberüber die 'Humorkultur' in den Firmen? Da nirgends firmenspe-zifische Abläufe humorvoll dargestellt werden, lassen die Wer-beunterlagen kaum Rückschlüsse auf die Unternehmenskulturund den Stellenwert von Humor im Unternehmensalltag zu, dafür Ideen und Umsetzungen der werblichen Inhalte wahr-scheinlich externe Agenturen zuständig sind. Die gefundenenLachauslöser in Text und Bild spiegeln somit nicht unbedingtden Geist des jeweiligen Unternehmens wider, sondern dieKreativität der betreuenden Agentur. Es ist ja gerade das Ver-dienst von Werbeagenturen, dass selbst bierernste Organisati-onen sympathisch und locker erscheinen. Es soll deshalb imFolgenden ein kurzer Blick in die Welt der Werbung geworfenwerden, um zu ermitteln, welchen Stellenwert dort Humor hat,um Produktvorzüge und Firmenidentitäten zu beschreiben.

6.1.6 Exkurs: Humor und Werbung

Die Werbewirkung, - mit oder ohne Humor -, wird generellhäufig überschätzt. Die Trefferquote von Werbung ist ernüch-ternd: Je nach Studie sind bei 50 bis 75 Prozent aller Werbe-maßnahmen keinerlei Wirkungen nachweisbar.173 Das heißt,von den ca. 45 Mrd. Euro, die jedes Jahr in Deutschland inWerbung investiert werden, verpuffen bis zu 32 Milliarden.Das Interesse an Werbung, egal in welcher Form und mit wie-viel Humor sie dargeboten wird, ist beim Konsumenten aufeinem Tiefpunkt angelangt. Selbst wenn der Verbrauchernichts Besseres zu tun hätte als voll konzentriert Werbebot-schaften wie Vokabeln zu pauken, könnte er gar nicht allesaufnehmen, geschweige denn behalten, was sich an Werbungaufdrängt, denn die Werbemenge ist in den letzten Jahrenexplodiert. Allein im Fernsehen hat sich die Zahl der ausge-

173 vgl. Turner (2000), S. 63ff

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strahlten Spots von 1990 bis heute von 300.000 auf 1,5 Milli-onen verfünffacht. Die Deutschen gucken aber nicht fünfmalso viel Fernsehen. Und wenn sie fernsehen, verlieren sie sofortdas Interesse an Werbung: Vor zehn Jahren haben 3/4 derZuschauer einen Spot bewusst wahrgenommen, wenn sie ihnachtmal gesehen haben. Heute führen acht Kontakte nur nochbei 50 Prozent der Betrachter zu einer erinnerbaren Wahrneh-mung. Bei Print-Werbung ist es nicht viel besser: Nicht einmalzwei Sekunden schenkt der Betrachter durchschnittlich einerganzseitigen, farbigen Anzeige. Bei den ca. 3000 Werbeim-pulsen, die auf jeden Bürger tagtäglich einströmen, ist es keinWunder, dass das meiste gar nicht mehr zur Kenntnis genom-men werden kann.Das alles sei vorausgeschickt, um zu unterstreichen, wie wich-tig die richtige Ansprache des Konsumenten ist, um einennachhaltigen Kommunikationserfolg zu erzielen. Und hierkommt der Humor ins Spiel. Denn Werbung, die versucht,heimlich etwas unterzujubeln oder den Konsumenten 'an-brüllt', ist nicht nur nervig, sondern kontraproduktiv. Hinge-gen spielt gewitzte, geistvolle und originelle Werbung für dieMacher eine große Rolle, da es die einzige Möglichkeit ist,Aufmerksamkeit zu erzeugen und nicht gleichzeitig abzuschre-cken. Carsten Niepmann, Geschäftsführer einer Werbeagenturin Berlin und Lehrbeauftragter für Wirtschaftskommunikation,zitiert in seinem Buch 'Wirkungsmodelle der Werbung' auseinem Artikel der Wochenzeitung 'Die Zeit', der anlässlich desWerbefilmfestivals in Cannes verfasst worden ist: „Gefragt istdie intelligente Art des Verkaufens, die leiste, die spannende,die satirische Werbung.”174 Schmunzeln fördert Wissensver-mittlung. Ein guter Eyecatcher in einer Werbeanzeige oder einguter Werbespot beinhaltet eine Art Mnemotechnik: Geradedas Außergewöhnliche prägt sich dem Gedächtnis ein. DasBesondere am Witzigen: Die Pointe muss erst 'geknackt' wer-den, das heißt, man setzt sich mit dem Inhalt auseinander.Man freut sich beim Witze-Verstehen über die eigene Intelli-genz, das Komische, Verblüffende erkannt und verstanden zuhaben. Man lacht erst nach dem Aha-Effekt. Physisch und

174 Niepmann (1999), S. 97

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psychisch kann einem gar nichts Besseres passieren, als in demMoment, in dem etwas gelernt werden soll, guter Laune zusein. Gehirngerecht lernen heißt nämlich, ganzheitlich kon-zentriert zu sein. Konzentration hat etwas mit Konzentraten zutun; und eine gute Pointe ist ein hochwirksames Konzentrat!Ähnliches gilt für die inhaltliche Aufbereitung von Werbebot-schaften: Produkte und Dienstleistungen, die in der Werbungangepriesen werden, sollten Probleme lösen oder das Lebeneinfacher machen können. Jede Problemlösung ist prinzipielloriginell und eine angenehme Überraschung. Wenn es Wer-bung nicht gelingt, diese Überraschung zu kommunizieren,verfehlt sie ihr Ziel bei der Zielgruppe.Ist Humor aber ein Garant für höhere Verkaufserfolge? Dies istzumindest ein Ergebnis einer groß angelegten Studie mit über12.000 Interviews, die als 'The ARF Copy Research ValidityProject' im Jahr 1990 veröffentlicht worden ist.175 Die Studiehat überprüft, welche Faktoren bei Werbung für einen vor-hersehbaren Verkaufserfolg am aussagekräftigsten sind.„Zweifellos die überraschendste Entdeckung in der Studie war,dass eine starke Abhängigkeit festgestellt wurde zwischen Li-kability und ihrer Auswirkung auf den Verkauf. (...) >Likable<bedeutet >liebenswert, sympathisch, nett<. >Likability< wirdin Werbekreisen fast automatisch mit >Unterhaltungswert<gleichgesetzt. In der Sprache der Forscher klingt das etwas so:Likability fasst alle affektiven Reaktionen auf eine Werbungzusammen.”176

Fachleute, die in der Werbebranche tätig sind, nehmen für sichfolglich gerne in Anspruch, Humor gezielt einzusetzen. Einangesehener Werbeexperte in Deutschland, Sebastian Turner,bestätigt dies. Er ist Vorstandssprecher des Art Director ClubsGermany und Geschäftsführer der Werbeagentur Scholz &Friends, die bei nationalen Kreativrankings immer einen deroberen Plätze belegt. Turner lehrt an der Hochschule derKünste Berlin. Das 'Wall Street Journal' titulierte Turner als„the German Advertising Guru”. In seinem Buch 'Spring! - DasGeheimnis erfolgreicher Werbung' zählt er 20 Erfolgsregeln

175 ebd., S. 98176 ebd., S. 98

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der Werbung auf. Regel 14 lautet: „Probieren Sie Humor!” Imgleichnamigen Kapitel liefert er die Begründung: „Es ist einesder wirkungsvollsten und schwierigsten Werbemittel: Humor.Wer ihn hat, hat die Lacher, aber noch lange keinen Respekt.Aber: Humor macht aus Respekt Sympathie.” 177 Aus diesemGrund ist es kein Wunder, dass Werbung grundsätzlich derBereich der Unternehmenskommunikation ist, der am origi-nellsten und witzigsten in Aufmachung und Inhalten wirkt.Insofern hat mich die magere Ausbeute an Humorvollem inden oben untersuchten Werbeschriften überrascht. Das magdaran liegen, dass von den Auftraggebern der Werbung Humorkritischer gesehen wird als von Machern in Werbeagenturen.Bestätigung erhalten die Skeptiker von Werbepsychologen, dieHumor als Mittel zur Verkaufsförderung nüchtern betrachten:„Die Wirkung von Humor in der Werbung bleibt bis heuteumstritten (...). Der positive Effekt von Humor auf die Auf-merksamkeit des Zuhörers und Glaubwürdigkeit des Senderswurde auch später kaum bestritten (...). Aber es findet sichvielfach das Resümee, dass Humor eher ein Mittel zur Auf-merksamkeitssteuerung ist und Verständnis, Überzeugung oderKaufabsicht kaum zu beeinflussen vermag.”178

Selbst zur Steigerung der Aufmerksamkeit wird Humor nur beieinem geringen Teil der Werbemittel eingesetzt, wie meineStichprobe gezeigt hat.

6.2 Fallstudien

Mit den Inhaltsanalysen von Stellenanzeigen, Qualitätshand-büchern, Arbeitszeugnissen und Werbeunterlagen konnte nichtumfassend analysiert werden, wie Humor im Wirtschaftslebeneingesetzt oder gefördert wird. Lediglich eine Einschätzung derBedeutung von Humor im Berufsleben konnte vorgenommenwerden. Um tiefere Einblicke gewinnen und komplexere Zu-sammenhänge beschreiben und analysieren zu können, möchte

177 Turner (2000), S. 279178 Moser (1990), S. 185

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ich im Folgenden deshalb drei Beispiele präsentieren, die ex-emplarisch zeigen sollen, wie mit Humor gearbeitet wird.Dank meiner Tätigkeit als Kabarettist konnte ich in vielen Fir-men Veranstaltungen begleiten, bei denen Humor als Mitteleingesetzt worden ist, um Prozesse zu optimieren oder zu be-schleunigen. Da diese Prozesse in den ausgewählten Einzelfäl-len von allgemeiner Bedeutung sind und Themen beinhalten,die im Wirtschaftsleben generell eine Rolle spielen und somitauch in anderen Organisationen vorkommen oder bewältigtwerden müssen, lohnt sich der Blick auf Einzelfälle, bei denenmeine eigene Rolle und Herangehensweise mit in die Beschrei-bung und Interpretation eingeht.Das erste Beispiel betrifft dieinternen Kommunikationsmaßnahmen anlässlich der Über-nahme einer traditionsreichen deutschen Versicherung in eineinternationale Holding. Das zweite Beispiel thematisiert dieMotivationsmethoden bei einem verunsicherten Mitarbeiter-stamm nach einem Personalabbau und Managementwechselund der dritte Fall befasst sich mit dem Versuch, die vomGründer eines Unternehmens eingeführte Unternehmenskulturin der nächsten Generation weiter zu pflegen und mit Leben zufüllen.

6.2.1 Thuringia Humor bei der internen Kommunikation während eines Fusionsprozesses

In der Banken- und Versicherungsbranche werden seit JahrenKonzentrations- und Fusionspläne verwirklicht. Der Globali-sierung von Finanzgeschäften wird mit schlagkräftigen, inter-national agierenden Organisationsformen Rechnung getragen.So hat die AMB Generali Holding unter der Führung des ita-lienischen Versicherungskonzerns Generali die Mehrheitsan-teile der Aktiengesellschaften Aachen-Münchener Versiche-rungen, der Volksfürsorge und der Thuringia sowie weitererdeutscher Versicherungen übernommen. Schrittweise wurdedas Management der Einzelgesellschaften 'auf einheitlichenKurs' gebracht.

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Die Eingliederung der Thuringia als traditionsreiche deutscheVersicherung in den Generali-Konzern habe ich durch meineTätigkeit als Kabarettist mitverfolgen können.In Briefing-Gesprächen mit Vorständen, Organisations- undVertriebsdirektoren sowie Mitarbeitern im Innendienst und imVertrieb habe ich Hintergrundinformationen über Ziele undHindernisse, Chancen und Gefahren erfahren und einen Über-blick über die Situation gewinnen können. Die strategischeAusrichtung war dabei von vornherein klar: Der Markenname'Generali' sollte über kurz oder lang überall Verwendung fin-den, Thuringia-Kunden mussten also über diesen Schritt in-formiert werden und das Gefühl vermittelt bekommen, nebenden traditionellen Werten und Qualitätsmerkmalen ihrer altenVersicherung nun noch Vorzüge eines großen internationalenKonzern nutzen zu können. Man war sich dabei seitens desManagements bewusst, dass sich die Thuringia-Mitarbeiteraufgrund ihrer eigenen Herkunft und Tradition zunächst wohlkaum mit einem italienischen Versicherungskonzern identifi-zieren würden, zumal Generali bislang ein Mitbewerber undKonkurrent war, dessen Produkte man beim Kunden als dieschlechteren darstellen musste, sofern ein Vergleich zum Ge-spräch kam. Was schlimmer wog war, dass Softwaremoduleund das verwaltungsspezifische Procedere der Generali über-nommen werden mussten. Nicht nur, dass man sich umstellenmusste, viele Mitarbeiter hielten die bislang praktizierten, ei-genen Arbeitsabläufe und -strukturen für besser. Schließlichinteressierte die Mitarbeiter bei anstehenden oder bereits ge-troffenen Personalentscheidungen, die aufgrund der Umstruk-turierungen und dem Zusammenlegen von Abteilungen not-wendig geworden waren, nicht so sehr die individuellenQualifikationen, sondern die Frage, ob es sich um einen ehe-maligen Thuringia- oder Generali-Kollegen handelte. Hatteman es also in Zukunft mit jemandem zu tun, der aus dem 'ei-genen Stall' war, oder mit einem, der 'anders tickt'?Dass man in so einer Phase erst einmal die Bereitschaft derMitarbeiter gewinnen muss, konstruktiv am Gelingen des Um-bauprozesses mitzuwirken, bevor Synergieeffekte und Einspa-rungen erzielt werden können, war allen beteiligten Managernklar. Hier wurden verschiedene Maßnahmen diskutiert. Da es

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in unserer Arbeit um den strukturellen Einsatz von Humor imWirtschaftsleben geht, möchte ich im Folgenden genau dieAspekte erörtern, die Maßnahmen betreffen, bei denen Humorals Mittel zur Erreichung von Kommunikationszielen zur Spra-che kam und eingesetzt worden ist.Seitens des Generali-Managements habe ich folgende Zielset-zungen mitgeteilt bekommen: Dem Frust und der Enttäu-schung der Thuringia-Mitarbeiter über den Verlust ihres Fir-mennamens und der damit verbundenen Angst, dass die vonihnen erreichten Erfolge in Zukunft nicht mehr entsprechendgewürdigt werden würden, sollte wirkungsvoll entgegengetre-ten werden. Die Zusammenarbeit und Kooperationsbereitschaftvon Thuringia-Mitarbeitern mit Generali-Mitarbeitern solltezudem sichergestellt werden. Perspektiven für Kunden undMitarbeiter mussten so vermittelt werden, dass vor allem dieAußendienstmitarbeiter bereit waren, glaubwürdig und hoff-nungsfroh die Veränderungen als Gewinn zu kommunizieren.Diesbezügliche Bedenken ergaben sich aus der Beobachtung,dass die im Zuge der Übernahme angekündigten Veränderun-gen mit Argwohn und Skepsis aufgenommen worden waren.Schlimmer noch, den Thuringia-Führungskräften wurde offenoder unter vorgehaltener Hand vorgeworfen, dass sie bedin-gungslos die eigene Unternehmenskultur preisgegeben oderzumindest nicht offensiv gekämpft hätten gegen Umstellun-gen, die in Augen der Thuringia-Mitarbeiter keine Verbesse-rung darstellten.Wenn die Mitarbeiter also schon der Meinung waren, dassvieles 'ein Witz bei dieser Umstellung war', warum dann nichtgenau dies thematisieren und den Mitarbeitern aus der Seelesprechen? Diskutiert wurden in Absprache mit den Vorständenvon den für Veranstaltungen zuständigen Fachkräften ausVertrieb und Marketing Events für Innen- und Außendienst,bei denen die Notwendigkeit der beschlossenen Maßnahmenkommuniziert werden sollten. Schnell rückte man dabei vonder Idee ab, Mitarbeitern ein Forum zu schaffen, in dem sieDampf ablassen hätten können. Man wollte die Dramaturgienicht aus der Hand geben und vermeiden, dass durch vorge-brachte Kritik, Enttäuschung oder gar Unmut ein insgesamteher negatives und betrübliches Stimmungsbild erzeugt wird.

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Eher sollte Aufbruchsstimmung vermittelt werden und die Po-tenziale und Chancen für alle im Vordergrund stehen.Man wählte also den Weg, Kritik dadurch zu entschärfen, dassman sie vorwegnimmt - mittels Humor. So kam ich als Kaba-rettist ins Spiel, der für eine Reihe von Veranstaltungen ge-bucht wurde, bei denen ich die Maßnahmen, die Kritik hervor-riefen, ironisch und satirisch kommentieren sollte sowieFührungskräfte 'derbleck'n' durfte, also als Sprachrohr derMitarbeiter dem Management gehörig die Meinung sagenkonnte. Dabei wollte man zweierlei erreichen. Erstens solltevermittelt werden, dass die Kritik und der Unmut der Mitar-beiter bis zur Geschäftsleitung durchgedrungen ist. Man gingdavon aus, dass allen Mitarbeitern wohl klar sein musste, dassich all mein Wissen über die Situation in der Firma ja von ei-nem Informanten 'von ganz oben' haben musste oder dieWeitergabe an Informationen zumindest von der Geschäfts-leitung abgesegnet sein musste. Zweitens wollte man Souverä-nität dadurch beweisen, dass man über sich selbst lachenkann, quasi als Zeichen und Beleg, dass man nicht fehlerfrei,aber auf dem richtigen Weg sei. Wenn von mir Kritik schärfergeäußert wird als sie von Seiten der Mitarbeiter vorgebrachthätte werden können, und dies auch noch im öffentlichenRahmen vor versammelter Mannschaft passiert, ist das Bedürf-nis nach 'Anklage' erst einmal gestillt.Ich sprach den Menschen nicht nur aus der Seele, sondern a-müsierte sie gleichzeitig, indem ich mich pointenreich überSituationen lustig machte, die von der Geschäftsführung ver-langt worden waren. Ich sah mich in der Rolle des klassischenHofnarren, und das war wohl auch die Rolle, für die man michbestimmt und bezahlt hatte: Ich durfte Versäumnisse aufzei-gen, Ungerechtigkeiten aufdecken, Sinnlosigkeiten geißeln undsomit letztendlich Hoffnung säen, dass der gesunde Men-schenverstand noch funktioniert und dazu genutzt werdenkann, aus Veränderungen dann doch schließlich Verbesserun-gen zu machen. Diese Aufgabe hatte zum Teil nicht nur unter-haltsamen Charakter, sondern therapeutischen Effekt. VieleBetroffene, die sich über Arbeitsaufgaben und Maßnahmensowie die damit verbundenen Schwierigkeiten und Problemeärgerten, waren erleichtert, als sie merkten, dass sie nicht al-

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lein davon betroffen sind, sondern dass alle darunter zu leidenhaben. Dieser Nebeneffekt von Humor, solidarisierend dasGefühl entstehen zu lassen, alle 'säßen im gleichen Boot', ba-siert auf der Kommunikationsstrategie, Probleme als gemein-same Probleme und Ängste als kollektive Ängste darzustellen.

In verschiedenen Branchen hat man gute Erfahrungen mitGesprächsgruppen erzielt, die einen Erfahrungsaustausch er-möglichen. Busfahrer beispielsweise leiden unter dem aggres-siven Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer und sind stetsgroßen Belastungen ausgesetzt. Gesprächsangebote mit Kolle-gen wirken nicht nur psychisch entspannend, sondern sen-ken nachweislich die Krankheitsrate.179 Auch Soldaten undSanitäter, die von Einsätzen in einem Krisengebiet zurückkeh-ren, leiden unter seelischen Wunden. Gerade hier hilft die Er-kenntnis, dass andere das Gleiche durchmachen. In einem Ar-tikel der Nürnberger Nachrichten über eine Selbsthilfegruppefür Bundeswehrsoldaten nach Auslandseinsätzen wird ein Sol-dat mit den Worten zitiert: „Ich habe irgendwann mal mit ei-nem Kameraden über mein Problem gesprochen. Der kanntedieses Gefühl auch. Und danach war's weg.”180

Schulterklopfen, Danksagungen und begeistertes Feedback so-wie der gezollte Respekt, den Nagel auf den Kopf getroffen zuhaben mit meinen Darbietungen, zeigten, dass das Konzeptaufging. In Nachbesprechungen und Feedbacktelefonaten teil-ten mir Führungskräfte auf verschiedenen Ebenen, vom Regio-nalleiter bis zum Vertriebsdirektor mit, dass die Kooperations-bereitschaft spürbar gestiegen sei. Die Mitarbeiter verwehrtensich, so wurde mir geschildert, weniger gegen neue Regeln undAnforderungen. Zwar war auch vor den Veranstaltungen be-wusst, dass die Änderungen nicht zurückgenommen werdenkönnen, aber dennoch begegnete man ihnen zunächst mitgrößten Vorbehalten, Skepsis und innerer Distanz. Die Veran-staltungen lösten Spannungen und neutralisierten aufgestauteAggressionen und ebneten den Weg in eine Umsetzung mit

179 vgl. Spies/Beigel (1996)180 Hans Peter Kastenhuber: 'Wenn die Seele streikt". In: Nürnberger Nachrichten 14.4.06, S. 3

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weniger negativen Emotionen. Dies ließ sich auch daran able-sen, dass Kritik und Frotzeleien gegen Neuerungen in den Re-gionalorganisationen wie Gebietsdirektionen deutlich nachlie-ßen.Für den Innendienst wurde das Konzept ähnlich ausgearbeitet.Da die Hauptverwaltung der Generali Versicherungen in Mün-chen beheimatet ist, besann man sich eines berühmten humo-ristischen Vorbildes. Angelehnt an das Erfolgsstück 'EinMünchner im Himmel' von Ludwig Thoma, in dem ein Ge-päckträger des Münchner Hauptbahnhofs, der nach seinem Todim Himmel nur lästert, schimpft und 'grantelt', wurde auf demlegendären Münchner Nockherberg, auf dem alljährlich dieStarkbiersaison mit Bruder Barabas kabarettistisch eröffnetwird, zu einer Auftaktveranstaltung im besonderen Stil gela-den. Es wurde eine Theaterinszenierung geboten, bei der dasneue Leitbild der Generali Versicherungen präsentiert wordenist. Mit einem aus dem Fernsehen bekannten Kabarettistenwurde ein Präsentator gewonnen, der Sympathien auf sichzog und eine ideale Identifikationsfigur abgab, da er mit ge-spieltem Unverständnis und beißender Häme die Machen-schaften kommentierte. In einem abwechslungsreichen Abend-programm, mit Musicalelementen, Kabarett undUnternehmenstheater hatte er die Lacher auf seiner Seite undkonnte gerade so Offenheit und Bereitschaft erzeugen, sich mitden Inhalten und Zielen auseinanderzusetzen. Die begeisterteStimmung übertraf alle Erwartungen. Um das emotional posi-tive Erlebnis dieses Abends konservieren zu können, wurde einVideomitschnitt sowie eine Broschüre mit vielen Bildern undden wichtigsten Kernaussagen des Abends allen Mitarbeiternwenige Wochen nach der Veranstaltung ausgehändigt. In ei-nem Begleitschreiben wendet sich der Vorsitzende des Vor-standes an seine Mitarbeiter: „Liebe Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter, die Veranstaltung vom 23. September in München zurPräsentation des Leitbilds war für unser Haus einzigartig - ein-zigartig in ihrer Größe, in ihrer Ausstattung - einzigartig abervor allem in Ihrem Engagement und in Ihrer Begeisterung. Ichhabe nur noch gestaunt, als Sie alle sich am Ende der Veran-staltung erhoben und das Leitbild mit Standing Ovations be-grüßten.” Sicher wurde nicht das Leitbild so frenetisch begrüßt,

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sondern einem gemeinschaftlich erlebtem Hochgenuss gebüh-rend applaudiert. Aber dennoch beantwortet diese Reaktionauch die Frage, ob es gelingen kann, Statements von Vorstän-den und ernste Themen oder Botschaften im Rahmen einersehr unterhaltsamen Show zu präsentieren.Meines Erachtens fördert diese Kulisse und der inszenierteRahmen sogar die Wirkung. Eine Talkrunde, Interviews undReden, wie sie abends auf dem Nockherberg stattgefunden ha-ben, werden nicht lächerlich gemacht, indem man sie satirischmoderiert. Wichtig und richtig war die Entscheidung, einenprofessionellen Kabarettisten den Widerpart des spöttischenBesserwissers übernehmen zu lassen und nicht jemanden auseigenen Reihen zu wählen. Zum einen ist das Engagement ei-nes medienbekannten Satirikers allein schon aufgrund seineranzunehmenden Gagenforderung Hinweis auf die Wichtigkeitdes Themas, zum anderen kann er mit peinlichen Situationenund 'Fettnäpfchen' wesentlich professioneller umgehen. Denk-bar wäre ja auch, dass sich Vorstände und Vorgesetzte selberaufs Korn nehmen.Aus meiner Erfahrung ist es als problematisch zu bewerten,wenn Führungskräfte ihre eigenen Entscheidungen durch iro-nische Bemerkungen würzen oder Stimmung und Heiterkeitbei ihren Zuhörern erzeugen möchten, indem sie das, was sieernsthaft vertreten, mit gewitzten Bemerkungen relativierenoder konterkarieren. Leicht verspielt man somit jeglicheGlaubwürdigkeit und auch Kompetenz. Dies ist vielleicht dieGratwanderung, die Humor bei solchen Aufgabenstellungenschaffen muss. Maßnahmen und Vorgehensweisen dürfen inFrage gestellt werden, nicht aber das Unternehmensziel undder Zweck eines Changemanagements. Insofern sind die Rep-räsentanten des Unternehmens sicher Zielscheibe allen Ärgers,dürfen sich aber nicht selber einreihen unter diejenigen, dielästern und spotten, da sie die Maßnahmen ja zu verantwortenhaben. Letztendlich soll auch die Intention des Veränderungs-bestrebens von der Mehrheit der Mitglieder einer Organisationbefürwortet werden. Über die Mittel kann man gerne streiten.Die Beschwerlichkeiten auf dem Weg des zu erreichenden Zie-les, die Irrwege und Sackgassen dabei dürfen Anlass zum La-chen sein. Die Sinnhaftigkeit des übergeordneten Unterneh-

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menszweckes darf nicht in Zweifel gezogen werden, auchwenn einzelne Aufgaben und Arbeitsbereiche in Frage gestelltwerden.Für unseren Fall einer Versicherung bedeutet das beispiels-weise, dass das Solidarprinzip, in dem alle Kunden kleine Bei-träge zahlen, um für den Einzelnen den Schadensfall in denfinanziellen Konsequenzen so klein wie möglich halten zukönnen, nicht ins Lächerliche gezogen wird, wohl aber dieAbsurditäten des Verwaltungsalltags, bei dem auch der Kundemanchmal zum Verzweifeln gebracht wird. Genauso kann dieKunst des Versicherungsvertreters humoristisch beleuchtetwerden, dem Kunden Angst vor Schäden zu machen, derenEintreten statistisch wesentlich seltener ist, als das die schau-erlichen Ausführungen des Vertreters glauben lassen.Das hier gewählte Beispiel hat nicht nur Aussagekraft für denBereich Versicherungen. Fusionen sind heute für viele Bran-chen nichts Ungewöhnliches, - und das, obwohl Analysen zei-gen, dass Shareholder davon in den meisten Fällen nicht pro-fitieren, also keine höhere Dividende oder eine Wertsteigerungihres Aktienpaketes erzielen.Folgende Beobachtungen lassen sich aus dem hier geschilder-ten Fall für alle Branchen, in denen Fusionen und Zusammen-legungen geplant sind oder bereits durchgeführt werden, ab-leiten und legen nahe, es dann 'mit Humor zu versuchen'. Mankann davon ausgehen, dass die Zusammenführung unter-schiedlicher Unternehmenskulturen selten ein spannungsfreierund harmonischer Prozess ist, sondern dass es Gewinner undVerlierer gibt. „In Phasen der Umwälzung geht es um Jobs, umpersönliche Profilierung und Positionierung. Viele kochen ihreigenes Süppchen und machen hinter den Kulissen Politik.”181

Humor kann dabei den 'Verlierern' helfen, das Gesicht zuwahren und den Abschied von den eigenen identitätsstiftendenUnternehmensabläufen weniger schmerzvoll zu erleben. Dieskann dann erzielt werden, wenn sich nicht über die 'Verlierer'lustig gemacht wird, sondern über die Fehler und Marotten der'Gewinner'.

181 Záboji (2002), S. 108

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Kritisch angemerkt werden sollte noch, dass Humor im vorlie-genden Fall nur deshalb als bewusst forciertes Mittel zumEinsatz kam, weil die Stimmung schon am Kippen war undman Widerstand bei den Mitarbeitern gespürt hat. Hätte mandie Fusion von vorne herein unter Befragung und Mithilfe al-ler Beteiligten langfristig geplant und Anregungen aufgenom-men, wäre womöglich keine so große Skepsis aufgekommen.Humor diente hier ganz bewusst als 'emotionaler Kitt', wosonst Annäherungen und Bindungen kaum noch möglich ge-wesen wären.

6.2.2 Quelle Versandhaus: Humor bei einem Führungs- und Strategiewechsel

Das Beispiel Thuringia hat gezeigt, wie Humor inszeniert wer-den kann, um Mitarbeiter zu begeistern und ihre Kooperati-onsbereitschaft zu steigern. Bei dem folgenden Fall steht e-benfa l l s d ie Vermi t t lung von spez i f i schen ,unternehmenswichtigen Themen mittels Humor im Mittel-punkt. Es betrifft das Versandhaus Quelle. Aus kleinen mit-telständischen Ursprüngen entwickelte sich die Quelle AG nachdem zweiten Weltkrieg rasant zu Europas führendem Versand-haus. Die Unternehmenskultur nährte sich aus einem sehr fa-miliären und traditionsbewussten Denken, das die Unterneh-mensgründer und ehemaligen Alleininhaber Grete und GustavSchickedanz mit ihren Werten und Moralvorstellungen präg-ten. Im Mittelpunkt stand dabei ein ethisch verantwortungs-bewusstes Handeln, das den Mitarbeiter nicht nur als 'Rad imGetriebe', sondern als Individuum sah, das gefördert und inallen Lebensbereichen unterstützt werden soll.182 Durch dieFusion mit Karstadt zur KarstadtQuelle AG setzte eine spürbareVerunsicherung der Mitarbeiter auf allen Ebenen ein. Derschnelle und unvorhersehbare Wechsel bei Führungspositionen

182 Die Informationen über die Quelle entstammen Briefinggesprächen aus den Jahren 2001 bis 2005, die ich mit Abteilungsleitern und Vorständen führte, sowie einem Experteninterview mit einer bei der Quelle fest angestellten Eventmanagerin, das ich im April 2006 führte.

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bis hin zum Vorstandsvorsitzenden ließ viele hochtrabendeVerlautbarungen gegenüber den Mitarbeitern, welch positivenEffekte diese Fusion doch mit sich bringen würde, unglaub-würdig erscheinen. Was die Mitarbeiter vermissten, war eineehrliche Informationspolitik seitens des Managements undTransparenz hinsichtlich der langfristigen Unternehmensstra-tegie. Die Tatsache, dass der Handelsriese Karstadt mit einigenKaufhäusern erhebliche Verluste schrieb und Quelle-Gewinnezur Sanierung des Gesamtkonzerns verwendet wurden, stießbei den Quelle-Mitarbeitern sauer auf. Zudem war man verär-gert, dass man bestehende Arbeitsabläufe und -methoden zu-liebe der konzerneinheitlichen Kommunikation ändern musste.Auch die Einkaufspolitik und die bestehenden Kontakte zuLieferanten mussten modifiziert und auf Konzernlinie gebrachtwerden. Um nach einer abermaligen Umbesetzung in der Ge-schäftsführung von Quelle die Integrität und Identifikation derMitarbeiter mit dem Unternehmen nicht weiter aufs Spiel zusetzen, hat man sich schließlich für eine Kommunikationsof-fensive entschieden, deren Schwerpunkte wie folgt lauteten:Ein neuer Führungsstil sollte vermittelt werden, nämlich einmenschlicher, sympathischer, offener Stil, der Mitsprache nichtnur zulässt, sondern geradezu fordert. Dazu musste auch eineneue Fehlerkultur etabliert werden. Die Mitarbeiter sollten se-hen, dass Veränderung ein fehlerbehafteter Prozess ist. Fehlersind schließlich der beste Beweis, dass ein Prozess im Gangeist. Nicht die jeweilige Methode zur Umsetzung von Maßnah-men soll im Bewusstsein der Beteiligten Priorität haben, son-dern das gemeinsam verfolgte Ziel. Die Mitarbeiter sollten sichals wichtigster Faktor im Sanierungsprozess sehen. Statt frag-würdiger Motti und Parolen als Motivationsstütze wurde nunvermittelt, dass die Mitarbeiter selbst Motor der Zielerreichungseien.Wie kann man in einer Phase, in der vorherige strategischeMaßnahmen immer mehr auf Skepsis gestoßen sind, ein neuesKonzept vermitteln? Mit Humor! Um Kompetenz und Wichtig-keit des ganzen Teams, also der Mitarbeiter, zu untermauern,hat sich die Geschäftsführung in internen Veranstaltungenbewusst nicht abgesetzt, sondern statt auf Podien mitten unterdie Mitarbeiter begeben. Nicht von oben herab und nicht in

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teuren Maßanzügen, sondern in Businesskleidung aus dem ei-genen Textilangebot der Quelle traten die Führungskräfte nunihren Mitarbeitern entgegen. Auszubildende durften in launi-gen Interviews und eigenständig konzipierten Präsentationenzu verschiedenen Unternehmensthemen ihre Vorgesetztenauch mal aufs Korn nehmen. Damit sollte spürbar der Beweiserbracht werden, dass Hierarchien abgebaut werden und dieNähe zu den Mitarbeitern ernst gemeint ist. „Wir gehören zueuch und hören auf euch” kann die Botschaft überschriebenwerden, die die Geschäftsführung in Ansprachen selbst ver-mittelt hat. Um eine offene Aussprache in Gang zu bringen,hat man eigene Fehler zugegeben und gleichzeitig Zuversichtund Fröhlichkeit ausgestrahlt. Anders als bei der Thuringiawollte und konnte man den Mitarbeitern allerdings nicht einfertiges Spaßprogramm vorsetzen, um nicht wieder alle vorvollendete Tatsachen zu stellen. Man entschied sich dafür,Programme für Betriebsveranstaltungen und -feste von Mitar-beitern entwickeln und umsetzen zu lassen. Für eine internePräsentation neuester Mode wurde so zum Beispiel eine Mo-denschau mit Mitarbeitern geplant. Bei der Modenschau hatman auf professionelle Models verzichtet und Mitarbeiter nichtnur einen Laufsteg entlang laufen, sondern Situationen ausdem Berufsalltag bei der Quelle spielen lassen. Wie eine Art'Unternehmenstheater' wurde so nicht nur die neue Kollektionpräsentiert, sondern die eigene Arbeit und der alltägliche 'Sandim Getriebe' persifliert.Dieser Gute-Laune-Faktor wurde in der Kommunikation wei-tergeführt. Intranet-Einträge und persönliche E-mails vonVorgesetzten an Mitarbeiter hatten nun nicht mehr den Cha-rakter von Anweisungen und Dienstvorschriften, sondern wur-den menschlich, persönlich und sympathisch gehalten unddienten in erster Linie dazu, Managementmaßnahmen trans-parent zu machen. Mit bewusst flapsigen und gewollt um-gangssprachlichen Formulierungen wollte man transportieren,dass man bei der Quelle als Lohnempfänger in erster LinieMensch sein darf. Die Mitarbeiter sollten lieber schmunzelndals zähneknirschend Information aufnehmen und Kommuni-kation als heiteren Austausch erleben.

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Nach Einschätzung einer Quelle-Eventmanagerin hat man mitdieser neuen Führungskultur sicher nicht den 'alten Mief' ausvielen Abteilungen bringen und auch nicht das wertkonserva-tive Selbstverständnis vieler langjähriger Mitarbeiter verän-dern können, aber Ängste wurden gemildert und eine positiveStimmung konnte überall festgestellt werden.Der Erfolg lag ihres Erachtens darin, dass Humor nicht verord-net oder bestehenden Strukturen übergestülpt worden ist, son-dern dass mit vorgelebter Fröhlichkeit und spürbarem Spaß ander Arbeit keine Behauptungen aufgestellt, sondern Verhaltenumgesetzt worden ist. Maßgeblichen Einfluss auf das Gelingendieses Vorhabens hatte angeblich die Lektüre des Wirtschafts-bestsellers 'Fish' des Autorenteams Lundin, Paul undChristensen.183 Dieser als 'ungewöhnliches Motivationsbuch'titulierte Ratgeber beschreibt die Erfolgsgeheimisse einesFischmarktes in Seattle, auf dem die ehemals frustrierten unddemotivierten Angestellten anfingen, spielerisch und mit Spaßihre Arbeit zu verrichten. Als Vorteile des spielerischen Um-gangs mit der Arbeit werden in dem Buch folgende Punkteaufgezählt: „· Glückliche Menschen behandeln auch anderegut. · Spaß macht die Menschen kreativ. · Die Zeit vergeht wieim Flug. · Sich zu amüsieren ist gut für die Gesundheit. · DieArbeit selbst erscheint als Lohn, nicht nur als Mittel zumLohn.”184 Das Buch kursierte im Management, ein dazugehöri-ges Video wurde in verschiedenen Abteilungen gezeigt,Workshops wurden dazu abgehalten und vielfach wurde dasBuch auch an Mitarbeiter verschenkt. In Analogie zu derAussage im Buch, „dass man, wenn sich ein Fischmarkt zu ei-nem großartigen Arbeitsplatz machen lässt, auch aus jederAbteilung der First Guarantee einen großartigen Arbeitsplatzmachen kann”, wurden die Problemlösung und die Klimaver-besserung bei der Quelle mit Zuversicht angegangen.Dieses 'Mehr an Humor' in der Führungskultur kann jedochnur dann erfolgreich fortgeführt werden, wenn die Führungs-kräfte mit Leib und Seele hinter den Maßnahmen stehen undsie weiterhin mit Leben füllen.

183 vgl. Lundin, Paul, Christensen (2001)184 Lundin, Paul, Christensen (2001), S. 99

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6.2.3 GETRAG: Fortführung der humorvollen Unternehmenskultur des Firmengründers

Die Unternehmenskultur von mittelständischen Unternehmenwird oft stark von den Unternehmensgründern geprägt. Eintypisches Beispiel hierfür ist das Unternehmen GETRAG, einHersteller von PKW- und Motorradgetrieben sowie Antriebs-systemen. Hier entwickelte eine Unternehmerpersönlichkeitquasi aus dem Nichts einen internationalen Konzern, dem erdurch seine Persönlichkeit eine starke Prägung gab.„Dieses Erreichte ist uns ja nicht zugeflogen, auch nicht in dieWiege gelegt worden, sondern es wurde hart erarbeitet vonMenschen, von mehreren Generationen. 1935 von HermannHagenmeyer als Getriebe- und Zahnradfabrik gegründet undin Jahrzehnten nachhaltig in Jahresringen ausgebaut, hat sichdas Familienunternehmen in der zweiten Generation zum in-ternationalen Automobilzulieferkonzern entwickelt. (...) Umnahezu 5.500 Menschen ist das Unternehmen in den letztensechs Jahren weltweit auf über 9.000 Beschäftigte gewach-sen.”185 Dies sagte Erwin Teufel, der damalige Ministerpräsi-dent des Landes Baden-Württemberg anläßlich der Einweihungeines GETRAG InnovationsCenters. Wie man sich HermannHagenmeyers Vorbildfunktion als Führungskraft und Firmen-gründer vorstellen muss, erfährt man in einer Broschüre zurGedenkfeier zum 20. Todestages von Hermann Hagenmeyer. Inden veröffentlichten Reden werden die Charakter- und Füh-rungseigenschaften des Unternehmensgründers näher be-leuchtet. Hier verweist einer der amtierenden Geschäftsführerauf den großartigen Humor des Gründers: „Klare Vorstellun-gen über unternehmerische Vorgänge und einen starken Wil-len, seinen Visionen auch Taten folgen zu lassen, haben ihnstets ausgezeichnet. Dazu war er ein fröhlicher, ein lebensbeja-hender Mensch, der seine Umgebung geradezu ansteckte undso manche schwierige geschäftliche Situation oder auch Ver-handlungssituation auf eine neue Basis stellte. Wer zum Bei-spiel einmal die Chance hatte, an der Schlussbesprechung einer 185 entnommen der Festschrift "Raum für neues Denken", die anlässlich der Einweihung des GETRAG InnovationsCenters Untergruppenbach im Mai 2002 herausgegeben wurde.

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steuerlichen Außenprüfung teilzunehmen oder an der Einfä-delung eines neuen Geschäfts diesen Hermann Hagenmeyer zuerleben, der weiß, was ich meine. Es verging keine Betriebs-versammlung, ohne dass Herr Hagenmeyer nicht eine Anek-dote oder einen Witz erzählt hätte. Ich kann mich an Betriebs-versammlungen in Neuenstein oder Rosenberg erinnern, wodie Mitarbeiter unter dem Tagesordnungspunkt "Sonstiges"Herrn Hagenmeyer aufgefordert haben, doch endlich einenneuen Witz zu erzählen. Und meistens blieb es nicht bei ei-nem."186

Der Sohn des Gründers und jetzige Firmeninhaber, Tobias Ha-genmeyer, benennt in seiner Rede als wesentliche Eigen-schaften seines Vaters „Humor, Fröhlichkeit, Menschlichkeit”.„Genau dies was immer das Sinnen und Trachten unseres Va-ters gewesen, das Unternehmen fortzuentwickeln, in eine neueZukunft hineinzubringen. Aber nicht gegen die Menschen,sondern für und mit den Menschen und dies ist auch (...) derKern unserer Unternehmensvision, die wir vor 12 Jahren insLeben gerufen haben. In dieser Unternehmensvision ist auch,und dies war für uns immer wichtig, der Gründer HermannHagenmeyer in seinen Werten verankert.”187 Diese Feststel-lung wirft auf die Unternehmensvision ein ganz besonderesLicht und macht sie für unsere Untersuchung besonders inte-ressant. Denn hier ist explizit formuliert, dass der Humor desUnternehmensgründers als sozialer Kitt für die Harmonie imUnternehmen und Motivation der Mitarbeiter sowie als Strate-gie in Verhandlungen und Auseinandersetzungen seine Fort-führung in der Unternehmensvision erfahren soll. Die Visionwurde schließlich unter dem Slogan „Wir machen's besser” ineiner Broschüre für die Mitarbeiter formuliert. Acht Themenwurden für wichtig erachtet: Mitarbeiter, Lieferanten, Umwelt,Familie, Gesellschafter, Kunden und das Unternehmen. In derEinleitung heißt es: „Als wir 1990 unsere Unternehmensvisionund deren Leitsätze entwickelten, wählten wir ein starkes, e-motionales Sinnbild: Die erste Geige. Denn die Ersten Geigen

186Dieter Schlenkermann in: Gedenkfeier zum 20. Todestag von Hermann Hagenmeyer, Untergruppenbach, 19. April 2002, S. 7187 ebd., S. 19

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in einem Orchester und wir bei GETRAG haben viele gemein-same Eigenschaften: Tradition, Kultur, Qualität, Präzision,Harmonie, Know-how, Spitzenleistung und Formvollendung.”Die Statements zu den acht Themen zeugen von sozialer Ver-antwortung und hoher Unternehmensethik. Heiterkeit, Fröh-lichkeit und Humor finden hier aber kaum noch Erwähnung.Unter der Rubrik 'Mitarbeiter' steht die Anmerkung: „Deshalbleben wir einen positiven Umgang, unterstützen unsere Mitar-beiter in Selbständigkeit und Verantwortung. Wir lösen diegestellten Aufgaben in vertrauensvoller und kreativer Zusam-menarbeit - damit die Arbeit Spaß macht.” Harmonische Zu-sammenarbeit ist sicher ein guter Nährboden für Spaß bei derArbeit, aber kein Garant für den Spaß, den der Unternehmens-gründer vermitteln konnte.In meinen Gesprächen mit Mitarbeitern der Firma wurde deut-lich, dass der Sohn und Nachfolger die Tradition des Witzeer-zählens in ähnlicher Weise und Kunstfertigkeit pflegt wie seinVater, doch findet diese Technik, durch Witze voranzukom-men, laut Auskunft derselben Mitarbeiter nirgends Widerhallin der Art und Weise, wie Mitarbeiter grundsätzlich geschult,qualifiziert, weitergebildet und informiert werden.In diesem Unternehmen, dessen Mitarbeiter durch eine starkeUnternehmerpersönlichkeit Humor als wesentlichen Teil derUnternehmenskultur kennengelernt haben, wird Lachen alsonicht zu einem Bestandteil vieler Unternehmensabläufe, son-dern bleibt eine punktuelle Erscheinung im Berufsalltag.

6.3 Interpretation der Untersuchungsergebnisse und Ausblick

Wenn Lachen gesund und Humor der Schlüssel zur besserenVerständigung ist, müssten Personalverantwortliche viel dafürtun, dass in ihren Unternehmen gelacht wird. Die Wirklichkeitsieht anders aus, wie wir bei den vorhergehenden Analysengesehen haben. Da es mir zumal um 'strukturelle Humor-Maßnahmen' in Organisationen geht und nicht um die Recher-che nach spontanen und zufälligen Lachanlässen, sei eineweitergehende Analyse und Interpretation der vorgefundenen

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Situation erlaubt: Die Besinnung auf Kernkompetenzen führtoft zum Abbau von Bereichen, die Frohsinn vermitteln. Be-reiche, in denen das Zwischenmenschliche und damit das Hu-morvolle gedeihen können, werden outgesourct: Pförtnerlogenund Empfangsräume, Hausdruckereien, Poststellen, Wach-dienste und Hausmeistereien sind Inseln des Small talks unddie dort Beschäftigten oft langjährige Mitarbeiter und somitSeismographen für die Unternehmenskultur. Wenn Menschenin diesen Bereichen von Fremdfirmen kommen, fehlt der Bezugzur Unternehmenskultur und der Blick fürs Soziale. Wer nichtsüber einen Bereich weiß, kann keine Witze darüber machen.Wem der Überblick fehlt, kann keinen Spott verbreiten. Nur sofunktioniert aber Humor: Durch Kennerschaft und Einfüh-lungsvermögen. Witz ist eine soziale Leistung. Laut SigmundFreud ist der Witz „die sozialste aller auf Lustgewinn zielenderseelischer Leistungen.”188 Witz findet deshalb gerade im Ar-beitsleben statt, weil Erwerbstätigkeit unseren Alltag dominiertund hier Menschen notwendigerweise zusammenkommen.„In modernen Organisationen der Wirtschaft und Verwaltungwirken dieselben Prozesse wie in primitiven Stammeskulturender Vor- und Jetztzeit. In Unternehmen werden heute - wieseit jeher - nicht nur absatzfähige Güter und komplexe Leis-tungen produziert, sondern auch Macht, Gewohnheiten, Sinn,Persönlichkeit, Beziehungen, Ängste, Umwelten.”189 Die Arbeitprägt uns genauso wie Lebensgemeinschaften, Wohnumfeldund Bildung. Vielleicht sogar mehr, weil wir am Arbeitsplatzmental mehr gefordert sind als beim Frühstück, am Feierabendund vor dem Fernseher zuhause. Dass Humor als Ventil fürden Druck, dem wir im Berufsleben ausgesetzt sind, also genauhier seine Berechtigung hat, liegt auf der Hand.Das Lachen ist den meisten aber längst vergangen. In Zeitenvon Leanmanagement hat das Komische keine Konjunktur.Zwar gilt weiterhin die Volksweisheit, dass Lachen gesund sei.Doch darum soll sich jeder selbst kümmern. Die Chancen, miteiner Humorkultur im Unternehmen gemeinsam Mitarbeiter-potenziale zu entfalten, werden verkannt. Lieber halten Füh-

188 Freud (1999), S. 135189 Neuberger, Kompa (1993), S. 37

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rungskräfte langatmige und langweilige Reden, als sich durchEsprit und Witz der Gefahr auszusetzen, lächerlich zu wirken.Diese Sorge lässt viele humorvollen Ansätze im Keim ersti-cken. Arbeit muss nach Anstrengung aussehen, damit mansich Respekt verschaffen kann. Leistung heißt Überstunden,Verzicht und Zähne zusammenbeißen. Keiner hat etwas gegenHumor, es tut aber auch keiner etwas dafür. In den untersuch-ten Stellenanzeigen und Unternehmensleitbildern, in Firmen-philosophien und Grundsätzen wird der Spaß an der Arbeitzwar oft beschworen, in Handbüchern zu Qualitätsmanage-mentsystemen, in denen für jeden Arbeitsplatz die detailliertenArbeitsabläufe beschrieben sind, sucht man danach jedochvergeblich. Als konkreter Bestandteil der tagtäglich zu bewäl-tigenden Aufgaben ist Spaß nicht eingeplant. Der muss schonvon selbst kommen.Wer bei der Arbeit lacht, setzt sich dem Verdacht aus, nichtakribisch genug seinem Auftrag nachzugehen. Obwohl jederschon erfahren hat, dass Kreativität und Motivation durchHeiterkeit und Gelöstheit beflügelt werden, sieht man, wenn esum Kompetenzanspruch und ergebnisorientierte Leistungsbe-reitschaft geht, eher ernste Gesichter. Das Lachen in der Ab-teilung verstummt, wenn der Vorgesetzte vorbeikommt. Manwill nicht den Eindruck erwecken, man habe zu wenig zu tunund würde seine Zeit 'verblödeln'.Dass Arbeit Spaß machen kann oder darf, ist folglich keineSelbstverständlichkeit. Das räumt auch Prof. Dr. Horst W. O-paschowski vom BAT-Freizeitforschungs-institut ein: „Spaßund Arbeit galten schließlich viele Jahre als unvereinbareBegriffe. Diese Auffassung hat sich zwar seit einiger Zeit ver-ändert, wie auch Studien des BAT-Freizeitforschungsinstitutesdeutlich machen, doch ein Buch über Spaß an der Arbeit alsWirtschaftsfaktor (...) gab es bisher nicht.”190

Passt das überhaupt zusammen - Witz und Wirtschaftsleben,Humor und Humankapital, Lachen und Leanmanagement? Istman im Erwerbsleben nicht tagtäglich mit versteinerten Mie-nen, kritischen Blicken und skeptischen Fragen konfrontiert?Wird einem nicht selbst als Kunde signalisiert, dass Vergnügt-

190 Opaschowski, In: Rieger (1999), S. 8

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heit fehl am Platze ist? Spaß wird überwiegend im Zusammen-hang mit Freizeit gesehen, „während im Berufsleben davonbisher eher selten die Rede ist. Stattdessen klagen Unternehmerüber vielfältige Schwierigkeiten mit Behörden, über schlechtzahlende Kunden und zunehmende Konkurrenz, während Ar-beitnehmer zur Arbeit gehen, weil sie Geld verdienen müssen,nicht unbedingt jedoch, weil ihnen ihr Job Spaß macht.”191

Vielleicht liegt die Zurückhaltung beim Thema Humor imWirtschaftsleben aber auch einfach nur daran, dass kein Pa-tentrezept vorliegt, das den Zusammenhang von Lachen undkommerziellem Erfolg vermittelt. Denn worüber gelacht wird,ist von Kultur zu Kultur unterschiedlich. Wir unterscheidenbritischen von jüdischem Witz, weil unterschiedliche Tabus inverschiedenen Gesellschaften gelten. Witze sind die Kurzformdieser Tabubrüche. Parodien über Diktatoren machen solangeSpaß, so lange diese an der Macht sind. Dasselbe gilt für Witzeüber Chefs. Witze über Randgruppen und Minderheiten funkti-onieren in Zeiten der "political correctness" besonders gut.Witzig ist, was Regeln bricht, Moral untergräbt und Geboteoder Verbote bewusst missachtet. Der Hofnarr lies im 17. Jahr-hundert im wahrsten Sinne des Wortes die Hosen herunter, alsFurzen in Gesellschaft verpönt war. Genauso sind Witze überden Beruf umso komischer, je mehr sie die tatsächlich erlebtenVerbote und Anweisungen der individuellen Situation am Ar-beitsplatz widerspiegeln.

Trotz der Zurückhaltung beim Thema Humor und der Erkennt-nis, dass Arbeit aufgrund der Leistungskriterien wie Fleiß, Effi-zienz und Konzentration in vielen Fällen nicht mit Humor inVerbindung gebracht wird und gebracht werden soll, ist nichtzu übersehen, dass der Zeitgeist unserer Tage andererseits oftmit Worten wie 'Fungesellschaft' und 'Spaß-Gesellschaft' be-schrieben wird.192 Das Prinzip, 'alles muss oder kann Spaßmachen', ist vor allem in der Werbung omnipräsent. Suzuki 191 ebd., S.11192 vgl. Wertheimer, Zima (Hrsg.), 2001. Der programmatische Buch-Untertitel "Infantilisierung in der Fun-Gesellschaft" geißelt die Tendenz in unserer Gesellschaft, mit und bei Allem immer nur Spaß ohne intellektuelle Reflektion haben zu wollen.

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bezeichnet sich als 'Fun Factory'.193 BMW bietet das 'Z3 FunLeasing' an und der BMW-Slogan 'Freude am Fahren' wurdefür die 5er-Reihe erweitert, indem man hier den 'Spaß zur Tu-gend' erklärt hat. Humorvolle Ansagen an Bord der DeutschenBA sind mittlerweile genauso gewöhnlich wie der unterhalt-same, augenzwinkernde Wetterbericht von Jörg Kachelmann.Hätte es 2002 nicht das Jahrhunderthochwasser in Deutsch-land gegeben, wäre auch der Spaßwahlkampf der F.D.P. nichtins Wasser gefallen. Westerwelles 'Guido-Mobil' sollte für guteLaune beim Wähler sorgen. Lachtherapeuten oder sogenannteKlinikclowns in Krankenhäusern haben sich mittlerweile ge-nauso etabliert wie Lachclubs in Indien oder Kopenhagen, indenen Menschen zusammenkommen, um in einer dem Yoganicht unähnlichen Methode zu lachen. Die Love-Parade inBerlin mit hunderttausenden Teilnehmern versteht sich alspolitische Spaßdemonstration. Und aus dem Fernsehen ist Co-medy nicht mehr wegzudenken, nachdem auch die werbetrei-bende Industrie festgestellt hat, dass in der werberelevantenZielgruppe der 14- bis 49-jährigen ein erheiterndes Pro-grammumfeld besonders gut für die Werbewirkung der ausge-strahlten Spots ist. Harald Schmidt mit seiner eigenen Fern-sehshow ist schon lange Kult und als gefeiertes Enfant terribledes Feuilletons wünschte man ihn in seiner einjährigen Sende-pause sehnsüchtig auf den Bildschirm zurück.Auch die größte deutsche Tageszeitung, die 'Bild-Zeitung',sorgt mit den täglich veröffentlichten Witzen für das Wohlbe-finden und die Gesundheit der Werktätigen. „Lachen ist diebeste Medizin. Das ist sogar wissenschaftlich bewiesen. Werlacht, bewegt 80 Muskeln, allein 17 Gesichtsmuskeln und na-türlich Bauch-, Schulter-, Brust- und Zwerchfell-Muskulatur.Im Schnitt lacht ein erwachsener Deutscher täglich sechs Mi-nuten am Tag. Lachen baut Streß ab, es kräftigt das Herz undstärkt das Immunsystem. Fröhliche Menschen sind auch imJob erfolgreicher.”194 Dies steht quasi zur Begründung für dentäglichen Witz in der Bild-Zeitung als Geleitwort zu einemBuch, in dem die besten Witze aus der Bild-Zeitung veröffent-

193 vgl. Rieger (1999), S. 13194 ohne Autor, Bild-Buch (2000), S. 2

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licht sind. Dennoch kann dieser Boom an vermeintlicher Le-bensfreude nicht darüber hinwegtäuschen, dass man eherSkepsis und Vorurteile erntet, wenn man Arbeit und Spaß ver-quickten möchte. Genau darum aber geht es im nächsten Ka-pitel.

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7. Entwicklung einer Humorkultur in Organisationen

Ich möchte im Folgenden aufzeigen, wie man eine Humorkul-tur in einem Unternehmen etablieren und konkret umsetzenkann. Denn neben den positiven Effekten des Lachens für In-dividuen und Gruppen, wie sie im Kapitel 4 beschrieben wor-den sind, bietet Humor in Organisationen die Möglichkeit,Schwächen zu erkennen, Fehler zu beheben und den Teamgeistzu stärken.Sich über 'Dummheiten' in einer Organisation lustig zu ma-chen, kann helfen, diese Dummheiten zu überwinden. Dumm-heiten dieser Art sind all die Firmenabläufe und Verhaltens-weisen, die verschwenderisch, ineffektiv oder zwecklos sind -und somit eine der hervorragendsten Quellen von Humor undKomik. Denn die Komik dessen, der sich dumm anstellt, liegtdarin, dass er extrem aufwändig oder übertrieben vorsichtighandelt und uns das Missverhältnis zwischen Aufwand undWirkung bewusst werden lässt. In Zeiten, in denen effizientesHandeln und schlanke Strukturen eingefordert werden, kannHumor so die Augen öffnen. „Auch dabei steht das Prinzip derÖkonomie im Mittelpunkt. Denn für Freud kommt es bei derkomischen Wirkung auf die 'ökonomische Differenz' im Ver-gleich zum Anderen an. Man stellt ein Abweichen von derNorm der ökonomischen Angemessenheit fest. Sei es, dass eres sich unnötig schwer macht, sei es, dass er sich >Aufwanderspart hat, den ich für unerläßlich halte<. Wer es sich zuschwer macht, ist dumm. Wer es sich zu leicht macht, ist auchdumm. Die Lust an der komischen Dummheit entsteht aus demNachvollzug der Aufwandsdifferenz zwischen uns und demanderen, unser Lachen wird Ausdruck 'lustvoll empfundenerÜberlegenheit.'”195

Wer sich lustig macht, weist auf diese Aufwandsdifferenz hin.Der Witz des Mitarbeiters kann den Mangel an Selbstkritikausgleichen. Irrtümer sind erst schlimm, wenn man sie nichtbemerkt. Die Blindheit gegenüber eigenen Fehlern wird dank 195 Uwe Wirth: 'Diskursive Dummheit' in: Wertheimer, Zima (2001), S. 52

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des Humors anderer bemerkt. Humor bietet somit die Möglich-keit, die Effektivität und die Erfolgsaussichten von Manage-mententscheidungen aus Sicht der Mitarbeiter zu spiegeln undzu kommentieren.

7.1 Die Konstruktion einer idealtypischen Humorkultur

Hier soll nun der Versuch unternommen werden, Maßnahmenzu benennen, wie Lachen in Unternehmen gefördert werdenkann. Dabei stelle ich modellhaft einen Katalog an Vorschlä-gen verschiedener Autoren zusammen. Diese Ansätze sindnicht willkürlich ausgewählt, sondern beinhalten nur Ideen,deren Wirksamkeit im Einsatz ich in den letzen Jahren erlebthabe oder deren Gelingen mir von Unternehmensangehörigenberichtet worden ist. Die aufgelisteten Maßnahmen sind zudemkeine punktuellen Eingriffe, sondern dienen dazu, Humor imUnternehmen nicht dem Zufall zu überlassen, sondern einestrukturelle Basis zu geben. Die verschiedenen Maßnahmen,die einzeln in unterschiedlichen Unternehmen schon umgesetztworden sind, fasse ich in einer idealtypischen Organisationzusammen.

Das Beispiel eines Wirtschaftsunternehmens stellt im Sinne dersoziologischen Betrachtung ein einmaliges historisches Er-kenntnisobjekt dar. Wir möchten jedoch zu allgemeinerenAussagen kommen und durch eine geisteswissenschaftlich zu-lässige Verallgemeinerung die Realität über die individuelleUnternehmenskultur einer Firma hinaus in zutreffender Weisebeschreiben. Eine durch Zufallsauswahl erzeugte Repräsenta-tivität läßt sich nicht herstellen. Für unsere Zwecke scheint esdaher geeignet, trotz aller erkenntnistheoretischen Unzuläng-lichkeiten über die Konstruktion eins Idealtyps, wie ihn MaxWeber vorgeschlagen hat, typische Muster zu einem in sichgeschlossenen Bild zusammenzufügen. Zu den Qualitäten desIdealtypus äußert sich Weber folgendermaßen:„Dieses Gedankenbild vereinigt bestimmte Beziehungen undVorgänge des historischen Lebens zu einem in sich wider-

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spruchslosen Kosmos gedachter Zusammenhänge. Inhaltlichträgt diese Konstruktion den Charakter einer Utopie an sich,die durch gedankliche Steigerung bestimmter Elemente derWirklichkeit gewonnen ist. Ihr Verhältnis zu den empirischgegebenen Tatsachen des Leben besteht lediglich darin, dassda, wo Zusammenhänge der in jener Konstruktion abstraktdargestellten Art (...) in der Wirklichkeit als in irgendeinemGrade wirksam festgestellt sind oder vermutet werden, wir unsdie Eigenart dieses Zusammenhanges an einem Idealtypuspragmatisch veranschaulichen und verständlich machen kön-nen. (...) Er wird gewonnen durch einseitige Steigerung einesoder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluss einerFülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellen-weise gar nicht, vorhandenen Einzelerscheinungen, die sichjenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zueinem in sich einheitlichen Gedankenbilde."196

Zum Erfolg äußert sich Weber zudem: „Ob es sich um reinesGedankenspiel oder um eine wissenschaftlich fruchtbare Beg-riffsbildung handelt, kann a priori niemals entschieden wer-den: es gibt auch hier nur einen Maßstab: den des Erfolges fürdie Erkenntnis konkreter Kulturerscheinungen in ihrem Zu-sammenhang, ihrer ursächlichen Bedingtheit und ihrer Be-deutung. Nicht als Ziel, sondern als Mittel kommt mithin dieBildung abstrakter Idealtypen in Betracht.”197

Anhand des Idealtypus können schließlich auch die im vorher-gehenden Kapitel beschriebenen Fallbeispiele bewertet undbemessen werden. Zweck ist letztlich, die Wirklichkeit begriff-lich zu ordnen, auch und gerade wenn die historischen Indivi-duen nicht reproduzierbar sind.Die ausgeprägten idealtypischen Denkgebilde besitzen denVorteil, leichter in einer klaren und verständlichen begriffli-chen Form fassbar zu sein, während die reale historische Man-nigfaltigkeit sich nur schwer festen Begriffen beugt. Der Ide-altypus ist ein fiktives Extrem. Unter diesem Gesichtspunktsind die nachfolgenden Beispiele auch ausgewählt. Es sindausschließlich Empfehlungen aus Büchern von Humorberatern,

196 Weber (1991), S. 72f197 ebd., S. 76

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Trainern oder Therapeuten, die mit den beschriebenen Maß-nahmen positive Ergebnisse erzielt haben. Dies ist als Bedin-gung für unseren Idealtypus auch nötig, denn er kann seineFunktion nur erfüllen, wenn er nicht nur in der Phantasiedenkbar ist, sondern gemäß unserer alltags-, wie auch for-schungspraktischen Erfahrungen umgesetzt werden kann.Sicher muss bei originellen Methoden, Humor zu fördern, nichtdie in deutschen Firmen tatsächlich existente Wirklichkeitrepräsentiert werden. Die idealtypische Begriffsbildung hatimmer nur Sinn wegen einer als Interessenskriterium dienen-den Wertbeziehung.Es wäre zum Beispiel fragwürdig, in einem idealtypischenEntwurf die besondere Vorliebe für bestimmte Witze von Un-ternehmensführern aufzunehmen, da sich aus diesen indivi-duellen Eigenarten keine relevanten Rückschlüsse auf die Qua-lität des Führungsstils und die Wirkung auf Interaktionsmusterziehen lassen. Umgekehrt ist die Frage berechtigt, ob von ei-nem Idealtypus ausgehend konkrete Handlungsempfehlungenfür ein Unternehmen gegeben werden können, das einen Wan-del hin zu einer humorpflegenden und humorunterstützendenOrganisation anstrebt. Oder anders formuliert: Wenn man La-chen systematisch zur Ergebnisverbesserung in Unternehmenfördern möchte, wie kann dieses Unterfangen initiiert und ge-steuert werden?Möglichkeiten bietet hier die Strukturierung der Maßnahmengemäß den Programmen der Organisationsentwicklung.

7.2 Methoden der Organisationsentwicklung

Wenn Lachen als Verhalten in Unternehmen gefördert werdensoll, so kann es als ein Ziel der Organisationsentwicklung de-finiert werden. „Die Organisationsentwicklung ist ein geplantesProgramm, das von einer dualen Zielsetzung bestimmt wird. Inder Regel werden als gleichrangige Hauptziele die Humanisie-rung der Arbeitswelt und die Leistungsfähigkeit der Organisa-tion genannt.”198 Humanisierung bedeutet, Voraussetzungen

198 Hentze, Brose (1985), S. 184

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zu schaffen, die der Befriedigung der Bedürfnisse von Organi-sationsmitarbeitern nach mehr Autonomie und SelbständigkeitRechnung tragen. Mitbestimmung, Individualität des Verhal-tens und Spontaneität sowie die Entfaltung der Persönlichkeitund ein hoher Grad an Selbstverwirklichung dienen ebenfallsder Humanisierung.Humorförderung ist somit ein Teil dieser Humanisierung, daHumor Spontaneität und Entspannung, Freiraum und Persön-lichkeitsentfaltung schafft. Damit wird man jedoch keineFührungskraft überzeugen können, Mittel in solch ein Pro-gramm zu investieren. Das Lachen zu fördern wird als Zielwohl genauso wenig Priorität haben wie andere Humanisie-rungsziele. Diese Ziele scheinen lediglich Mittelcharakter zuhaben. Letztendlich werden sie verfolgt, um eine Verbesserungder Leistungsfähigkeit der Organisation zu erreichen.Jede Entwicklung bedarf der Internalisierung der Organisati-onsziele durch die Mitglieder. Lachen kann als Motor für diegenerelle Änderungsbereitschaft dabei sehr dienlich sein. Diedazu angewandten Methoden der Organisationsentwicklungwerden in der Literatur unterschiedlich als Interventionstech-niken typologisiert. Für unsere Zwecke scheint eine Gliederungin personale und struktural-technologische Ansätze vernünftigzu sein, zumal viele in der Praxis entwickelten Modelle dieserGliederung folgen.Unter personalen Ansätzen sind die Maßnahmen zu verstehen,die auf eine Änderung der Einstellungen und Verhaltensbe-reitschaften der einzelnen Person aufgrund von Lernprozessenabzielen.Strukturelle Ansätze gehen von der Annahme aus, dass durchdie Organisationsstruktur das Verhalten der Unternehmensmit-glieder beeinflusst wird.Unter diesen zwei Blickwinkeln, der personalen und derstruktural-technologischen Ansätze, werden wir im FolgendenMaßnahmen zur Einführung einer Humorkultur betrachtenund das variantenreiche Spektrum der Vermittlungsmöglich-keiten von Humor strukturieren.7.3 Personelle Methoden der Entwicklung einer Humorkultur

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„In den englischsprachigen Ländern wird Humor in Geschäfts-situationen systematisch eingesetzt - in jedem Land etwas an-ders, in keinem Land so häufig wie in Großbritannien. Die An-gelsachsen erreichen in Verhandlungen mit einem Witz, einerkleinen Anekdote, einem pointierten Zitat oft mehr als mit ei-nem nüchternen Argument, denn Lachen verbindet und schaffteine entspannte Atmosphäre. Wir Deutschen hingegen geltennicht ganz zu Unrecht auf internationalem Parkett als humor-los: The shortest book of the world: a compendium of Germanhumour. Wir neigen eher dazu, Geschäfte mit dem 'notwendi-gen Ernst' zu betreiben.”199

Das Arbeitsethos in Deutschland verleitet dazu, den Spaß ausernsten Angelegenheiten wie der Arbeit herauszuhalten. DasKomische gilt als das 'Unernste'. „Das Komische erscheint alsAntithese zu den ernsten Angelegenheiten. Das Bewusstseinvon einer solchen Antithese drückt sich häufig in den Versu-chen aus, eine humorvoll vorgebrachte Bemerkung abzumil-dern, die jemanden kränken könnte. (...) Das geschieht dannmit der stehenden Wendung: 'Es war doch nur Spaß'.”200

Wenn ein Scherz zu weit geht, muss zumindest bestätigt wer-den, dass eine Verletzung des Gegenüber nicht beabsichtigtwar. Oft trifft man jedoch mit einer Pointe genau ins Schwarzeund „hält den Finger in die Wunde”. Dieses Beispiel zeigt übri-gens, wie unscharf die Grenze zwischen den beiden Realitäts-ebenen des Arbeitsalltags und des Witzes oder humorvollerBemerkungen liegt. Der 'zu weit gegangene' Witz dringt in dieernste Angelegenheit ein und ist weit mehr als nur ein Witz.Insofern ist die ontologische Interpretation des Komischen alsunernster Teil des Seins, wie sie von Philosophen vorgenom-men worden ist, fragwürdig.201 Die Bereiche sind ineinanderverwoben und leben von gegenseitigen Bezüglichkeiten. DieTrennung beider Bereiche als abgeschlossene Einheiten machtfolglich wenig Sinn.Vielleicht sind auch nur wir Deutschen übersensibel und kri-tisch, was den vermeintlich korrekten Umgang miteinander

199 Kleinschroth (1998), S. 8200 Berger (1998), S. 9201 vgl. Kapitel 3.1.1 Komik als geschlossener Sinnbereich

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anbelangt. Damit vergibt man sich die einmalige Chance -gerade bei Verhandlungen und Geschäftssituationen -, einFeedback des Gesprächspartners einzuholen und somit zu er-fahren, woran man ist. „Es gibt keine eindeutige voraussehbareReaktion, die einem Redner sagt, ob er es geschafft hat, seineZuhörer zu überzeugen, doch wenn er einen Witz erzählt, dientLachen als experimenteller Beweis. Humor ist die einzige Formder Kommunikation, bei der ein Reiz auf einer hohen Stufe derKomplexität eine stereotype, vorhersehbare Reaktion auf derStufe der physiologischen Reflexe auslöst. Das erlaubt es uns,diese Reaktion als Indikator für jene schwer fassbare Eigen-schaft zu benutzen, die wir Humor nennen - wie wir das Ti-cken des Geigerzählers benutzen, um Radioaktivität zu erken-nen. Ein solches Verfahren ist in keiner anderen Kunstformmöglich.”202 Es macht also allein deshalb Sinn, Humor gezielteinzusetzen, weil es eine gemeinsame Kommunikationsbasisherstellt, positive Emotionen erzeugt und Feedback eingeholtwerden kann.

7.3.1 Vorgelebtes Führungsverhalten

Führungskräfte scheinen Lachen dennoch nicht für rollen-konform zu halten. Abbildungen von Vorständen, Aufsichts-räten, führenden Managern sowie Portraits von Führungs-kräften und Vorsitzenden zeigen meist Personen mit ernstemGesicht. Machtmenschen, nicht nur im Wirtschaftsleben, bli-cken, als hätten sie nichts zu lachen. Lachen wird historischnur selten dokumentiert. Wirkt Lachen lächerlich, zeugt es vonVerletzbarkeit?Doch nicht nur die Selbstrepräsentation wird mit Ernsthaftig-keit betrieben und gleichgesetzt. Auch wird von Mächtigen ihrEinflussbereich und Betätigungsfeld als humorfreie Zone kon-struiert, man verwahrt sich gegen humorvolle Tendenzen.Denn Humor macht gerade diejenigen lächerlich, die sich fürklüger, mächtiger, reicher halten. Wer über die Diskrepanz vonAnspruch und Wirklichkeit der Erscheinung der Mächtigenlacht, entzieht sich dem Druck und der Unterlegenheit - zu-

202 Birkenbihl (2001), S. 54f.

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mindest für den Moment. Dies möchten die Mächtigen vermei-den.Vorgesetzten einer Organisation zu empfehlen, mehr Humorund Witzigkeit zu leben und zuzulassen, stößt folglich zu-nächst auf Skepsis. Es gibt dennoch Mittel und Wege, Füh-rungskräfte von der Wirksamkeit des Spaßeinsatzes zu über-zeugen. Die 'Playfair'-Organisation beispielsweise ist inAmerika im Bereich Managementtraining ein Vorreiter in Sa-chen Humor. Bei Vorträgen und Seminaren für über 400 Kun-den im Jahr ist der Spaß ein zentrales Anliegen. Die vonPlayfair entwickelten Techniken basieren auf Lachen, Spielund Spaß. Der Einsatz genau dieser Prinzipien soll die Ar-beitsmoral verbessern, die Produktivität erhöhen und eine mi-tarbeiterkonzentrierte Unternehmenskultur schaffen. Letztend-lich geht es aber um eine höhere Rentabilität. Als Leitspruchhat sich die Firma Playfair folgendes Motto gegeben: „WennSie sich selbst allzu ernst nehmen, dann haben Sie die bestenChancen, ernsthaft krank zu werden!”203 Bei Playfair ist mansich bewusst, dass Fröhlichkeit und Verspieltheit in Vergessen-heit geratene Kommunikationsformen sind, die Erwachsenejedoch leicht wieder erlernen können. Matt Weinstein be-hauptet in seinem Buch 'Management by fun', dass die Be-geisterung, mit der das Publikum seine Vorträge aufgenommenhat, ihn dazu verleitet habe, eine Geld-zurück-Garantie zu ge-währen. Wenn ein Referent von Playfair nach Beendigung sei-nes Programms keine Standing ovations erhält, bekommt derVeranstalter das Referentenhonorar zurück. Damit ist im eige-nen Angebot ein Teil der Botschaft verdeutlicht, die Playfairvermitteln will: Man muss Begeisterung auslösen, - und dasfunktioniert am besten mit Humor. Weinstein zitiert ein Vor-standsmitglied des Control Data Management Clubs, der an-läßlich einer Präsentation die einleitenden Worte sprach: „Wirhaben mit dem Vortragenden dieses Abends vereinbart, dasswir ihm nichts bezahlen müssen, wenn Sie ihm nach Beendi-gung seines Vortrags keine Standing ovations geben. Nun, ichmuss Sie wohl nicht daran erinnern, dass dieser Unterneh-mensbereich letztes Jahr einen Verlust von mehr als 10 Millio-

203 Weinstein (1999), S. 9

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nen Dollar geschrieben hat und wir mit jedem Groschen rech-nen müssen! Sie können heute abend also etwas tun, um demUnternehmen ein bisschen sparen zu helfen (...)”204

Heutzutage gibt es kaum noch ein Produkt oder eine Dienst-leistung, die nicht von anderen Produzenten oder Dienst-leistern in gleicher Qualität, zum gleichen Preis oder in derselben Zeit angeboten werden kann. Aufgrund der marginalenUnterschiede bei objektiven Vergleichskriterien kommt dem'Bauchgefühl' immer mehr Bedeutung zu. Das heißt, Sympa-thie oder das gute Gefühl, mit einem Unternehmen zusammenarbeiten zu können, wird für den Entscheider ausschlagge-bend, wenn alle anderen Aspekte gleichwertig sind.Unternehmen, deren Mitarbeiter Spaß haben, gerne Kunden-probleme lösen und Aufträge in einer Art erledigen, die signa-lisiert, dass sie voller Enthusiasmus ihren Job machen, habendemnach einen Wettbewerbsvorteil. Wie schafft man aber einArbeitsumfeld, das Begeisterung weckt und auch Außenste-hende rasch erkennen lässt, dass in diesem UnternehmenFreude herrscht? Matt Weinstein sieht diese Aufgabe alsFührungsaufgabe. Man muss einem Mitarbeiter einen Anlasszum Lächeln geben, damit er seine Arbeit mit einem Lächelnauf den Lippen erledigt. Wer durch den Einsatz von Spaß undHumor als Managementinstrumente eine entspannte, fröhlicheUnternehmenskultur mitgestalte, beeinflusse positiv Teambil-dung, Stressbewältigung, Kundenservice und ganz allgemeindie Arbeitsmoral. Dadurch ließen sich Burn-out-Syndromevermeiden und die Mitarbeiterfluktuation stark reduzieren.Voraussetzung sei eine Spiel- und Spaßmentalität, die den Ar-beitsalltag begleite.Doch genau hier treten wieder die Missverständnisse auf, dieeingangs genannt worden sind. Arbeit und Spiel werden alsGegensätze empfunden. Leistung hat nichts mit Spaß zu tun.Wer vergnügt am Arbeitsplatz angetroffen wird, macht nichtden Eindruck, als würde er konzentriert und zielgerichtet ar-beiten. Die vergnüglichen Momente im Arbeitsleben werdeneher kurz gehalten, als dass sie offen und ohne schlechtes Ge-wissen gelebt und gepflegt werden. Aus vorauseilendem Ge-

204 ebd., S. 11

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horsam wird eine gelöste, kommunikative Feier- oder Spaß-laune auch unterdrückt, wenn ein Vorgesetzter dazukommt.Bei Briefings zu Kabarettauftritten habe ich oft erlebt, dass dersprudelnde Informationsfluss seitens Mitarbeitern zu denFlops und Pannen einer Firma bzw. den Verschrobenheitenvon Vorgesetzten versiegte, wenn eine Führungskraft zumGespräch erschien.Viele Firmen sind daran interessiert, eine effektive, reibungs-lose Organisationsform zu finden, klammern aber die mensch-liche Seite oft aus und schaffen so Gebilde, die herzlos undkalt sind und eher zur Arbeitsunzufriedenheit beitragen stattdie Mitarbeiter-motivation zu fördern.Einsparungspotenziale bei Verschlankung und Automatisie-rung sind Unternehmensführern bewusst und werden stetsgefordert. Unter diesem Aspekt muss jede entspannte Lach-pause natürlich wie eine unter Gewinnaspekten überflüssigeFaulenzerei wirken. Die Effekte vom Vergnügtsein bei der Ar-beit sind statistisch bislang nicht erfasst und folglich wird derSpaß weder gefördert noch gefordert.Matt Weinstein hält gegen all diese Einwände seine Erfahrungentgegen: „Anstatt die vergnüglichen Momente im Berufsall-tag zu unterdrücken, sollten Sie sie fördern und kultivieren,denn sie können sich äußerst vorteilhaft auf die Arbeitsmoralund Produktivität Ihres Betriebes auswirken.”205 Allerdingsbedarf es bei einer Einführung von neuen Elementen in dieUnternehmenskultur, die Spaß und Freude fördern sollen, einerüberlegten und wohldosierten Vorgehensweise. Gerade Füh-rungskräfte ernten eher Skepsis als Zuspruch, wenn sie sichmit 'Tricks' anbiedern, die die Mitarbeiter in ihrer Intensionnicht verstehen. „Jede abrupte Verhaltensänderung, und sei sienoch so gut gemeint, würde nur Argwohn und Misstrauenunter seinen Mitarbeitern schüren - mit gutem Grund: Plötz-lich wird das Reglement geändert, und niemand weiß, warum.Wenn ein Generaldirektor oder Manager das Reglement ändernwill, muss er sich Zeit lassen, denn jede Änderung einer Un-

205 Weinstein (1999), S. 26

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ternehmenskultur von oben her setzt Vertrauen voraus; unddie Vertrauensbildung erfordert ihrerseits wieder Zeit.”206

Der in Absatz 6.2.2 geschilderte Einsatz von Humor beimVersandhaus Quelle war auch deshalb erfolgversprechend, weilneue Führungskräfte von Beginn an Humoraffinität und einlockeres Verhalten zeigten. Mitarbeiter mussten nicht den ab-rupten Wechsel des Führungsstils einer Person in dessenAmtszeit 'verarbeiten', sondern erlebten diesen Wechsel beimÜbergang des Postens auf eine andere Person.Wenn die 'Änderung des Reglements' innerhalb der Amtszeiteiner Führungskraft durchgeführt werden muss, setzt Wein-stein deshalb nicht auf ein Managementmodell, das Auswir-kungen in allen Handlungsebenen und Führungsentscheidun-gen sichtbar werden lässt, sondern plädiert für Einzelaktionen,die anfangs nur punktuell eingesetzt werden sollen. Die positi-ven Erfahrungen und das Feedback der Mitarbeiter würdenvon selbst eine Dynamik nehmen, die die Spaßkultur forciert.Bei den unzähligen Möglichkeiten, wie eine Unternehmens-kultur Impulse zu mehr Humor, Vergnügtheit und damitMenschlichkeit bekommen kann, nennt Weinstein vierGrundsätze für das Führungsverhalten als Einstiegshilfe, dieaus seiner Erfahrung heraus Fehler oder einen Start in die fal-sche Richtung vermeiden helfen. Letztendlich soll Spaß undSpiel langfristiger Bestandteil der Unternehmenskultur undunentbehrlicher Faktor im Berufsleben werden. Die Grundsätzeselbst enthalten keinerlei Empfehlung zum Thema Humor,sondern betreffen die eigene Einstellung sowie die Empathiegegenüber der Zielgruppe:- Gehen Sie mit gutem Beispiel voran.- Tragen Sie nur Entscheidungen, hinter denen Sie voll und ganz stehen.- Denken Sie an den konkret betroffenen Personenkreis.- Veränderungen brauchen Zeit.Alle Maßnahmen führen nur dann zu einer positiven Verän-derung, wenn das Management das Geforderte oder Er-wünschte auch selbst anwende. Schließlich orientieren sich dieMitarbeiter eines Unternehmens in ihrem Verhalten an den

206 ebd., S. 45

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Führungskräften und bewerten die Reaktion ihrer direktenVorgesetzten auf ihr Verhalten als Richtschnur für erwünsch-tes Verhalten.Dass verordnete Spaßkultur nicht greift und Leitsätze ergeb-nislos verpuffen können, wenn sie nur kommuniziert, abernicht vorgelebt werden, erfuhr ich als Kabarettist in Gesprä-chen mit Mitarbeitern einer Reederei am Rande einer Veran-staltung. Vorstände stellten dort zehn Kernsätze als Unterneh-mensleitbild vor, die von Textern einer Werbeagentur griffigformuliert worden waren. Der Hintergedanke war, dass dieWerte und Qualitätsmerkmale, die die Kunden auf Kreuzfahrt-schiffen dieser Reederei erleben sollten, nämlich Spaß, Freude,Abwechslung und Überraschung, auch im Arbeitsalltag derMitarbeiter im Innendienst wahrnehmbar sein sollten, quasi alsBeweis dafür, dass die Kundenbedürfnisse und Wünsche derGäste an Bord eines Schiffes verinnerlicht seien. Die drei Vor-stände dieser Reederei saßen bei der Veranstaltung frontal ih-ren Mitarbeitern auf einer Bühne gegenüber und lasen dieTexte aus der Broschüre vor, die auch den Mitarbeitern ausge-händigt worden war, - ohne Anteilnahme, persönliche Inter-pretation oder in irgendeiner Art vorgelebt. Die Mitarbeiteräußerten sich mir gegenüber enttäuscht darüber, dass vonoben herab Unternehmensleitsätze zum Thema Miteinanderund Freude am Arbeitsplatz verkündet werden, statt die Mitar-beiter nach Veränderungs- und Verbesserungspotenzialen zufragen. Die Vermutung liegt nahe, dass sich die Mitarbeiter mitden Leitsätzen nicht identifizieren werden, da sie nicht ausihrer Mitte stammen und offensichtlich ja auch von den Vor-ständen nicht in ihrem Führungsverhalten adaptiert wordensind. Hätten die Mitarbeiter sich konstruktiv im Vorfeld bei derFindung von Kernaussagen beteiligen können, wären sie wohleher bereit, "ihre" Philosophie zu leben und Kunden zu de-monstrieren, auch wenn Vorstände es nicht so zeigen können.Vielleicht konnten die Vorstände der Reederei das QuäntchenSpiel und Spaß, das sie selbst jedem Mitarbeiter abverlangenwollten, mit ihrem Selbstverständnis als seriöse und Verant-wortung tragende Manager nicht vereinbaren. Die negativeWirkung bei der Präsentation, die die Diskrepanz zwischenformulierten Leitsätzen und der dabei gezeigten Ausstrahlung

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bei den Mitarbeitern erzeugte, ebnet der erhofften Verhaltens-änderung nicht den Weg.Insofern ist Weinsteins Grundsatz ernstzunehmen, dass manvoll und ganz hinter den gewünschten Veränderungen stehenmüsse. Genauso wichtig scheint meiner Einschätzung nach dasEinfühlungsvermögen und die Empathie gegenüber den Mitar-beitern zu sein.

7.3.2 Spaßvermittlung durch externe Trainer und Berater

In Deutschland gibt es mittlerweile wie in Amerika Humortrai-ner für Führungskräfte, die mit Witz und Ironie Denkblocka-den beseitigen, Mitarbeiter in Stimmung bringen und einebessere Unternehmenskultur fördern sollen. Selbst Kongresse,die ursprünglich nur dem „therapeutischen Lachen“ einePlattform boten, öffnen sich für Unternehmensthemen. Vom 2.bis 5. Mai 2002 beispielsweise fand in Stuttgart eine vom dor-tigen Bildungszentrum der Evangelischen Kirche initiierteVeranstaltung unter dem Thema "Heilsames Lachen - Thera-peutischer Humor in Aktion" statt. Mediziner, Therapeuten,Pfarrer und andere, die sich bislang nicht unbedingt als Lach-experten profiliert haben, fanden sich zu diesem ersten Lach-kongress in Deutschland zusammen. Knapp tausend Besuchererfuhren Wissenswertes übers Lachen. Einblick in die mehroder weniger witzige Welt der Wirtschaft gab dabei der Hu-mortrainer Thomas Holtbernd. Bei Daimler-Chrysler, so be-richtete er, wurden Lach- und Humorseminare mit Führungs-kräften Pkw und Lkw aller Ebenen längst durchgeführt.Holtbernd ist Psychologe und Theologe in Bottrop und stehtseit 15 Jahren im Dienst der guten Laune. Er hält Vorträge ü-ber die Wirkung des Lachens. Holtbernd, der verschiedeneFunktionen in der Alten- und Krankenpflege ausübte und ei-nige Jahre Krankenseelsorger war, weiß, dass Lachen derKrankheit schadet, auch präventiv. Deshalb machte er dieFreude am Spaß zur Profession. Nicht nur bei Daimler-Chrysler, auch bei anderen großen Unternehmen und anVolkshochschulen lehrte er das Lachen. „Man kann alles im

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Leben leichter nehmen, wenn man lachen gelernt hat”207, sagtHoltbernd. Bei den Daimler-Chrysler-Angestellten spürte er amAnfang seiner Seminare „einen riesigen Druck, weil die Kon-kurrenz in der Automobilindustrie mörderisch ist”. Da ist mehrals ein Witz fällig, um für Auflockerung zu sorgen. „In unsererArbeitsgesellschaft geht es rau zu. Da wird Leichtigkeit gerade-zu zwanghaft gesucht. Mit anderen zu lachen befreit.”Die Mittel dazu sind oft banal. Der Humortrainer holt oftPappnasen aus dem Utensilien-Koffer, die sich dann Managerüberstülpen. Die Clownnasen wirken befreiend, weil sie dassichtbare Zeichen sind, 'verrückt' sein zu dürfen: „Hinter derMaske eröffnete sich ihnen ein Raum, in dem sie ganz anderssein konnten als in ihrer Rolle. Das Bedürfnis nach diesemAnderssein ist ungeheuerlich, gerade bei Führungskräften.”In Amerika fiel Holtbernd wiederholt auf, wie locker Managerauftreten, wenn sie für Humor aufgeschlossen und für Ironiezugänglich sind: „Eine ganz andere Arbeitskultur. Das Verbis-sene, Misstrauische, Verletzende, wie wir es hier kennen,kommt gar nicht erst auf.” In Amerika wird im Geschäftslebenschon länger gelacht. Dafür haben 'Lachpapst' Paul McGheeund der Clown und Lachtherapeut Patch Adams gesorgt. Letz-terer arbeitete unter anderem mit Kindern in Kabul, derHauptstadt Afghanistans, als es dort ansonsten wirklich wenigzu Lachen gab.Lachen ist für Holtbernd zunächst sinnfrei. Er selbst leistet mitseinen Seminaren eine Starthilfe zur Entwicklung des eigenenHumors. „Doch die meisten Erwachsenen müssen erst wiederentdecken, was sie zum Lachen bringt”. Kinder wissen dasnoch intuitiv. Zirkusclowns sind beliebt wie eh und je. Klinik-clowns, die bettlägerigen Nachwuchs aufheitern, kommen im-mer häufiger zum Zuge, weil sie die sterile Krankenhaus-Situation entkrampfen. Großeltern, die mit Enkeln Blödsinnanstellen, sind beliebter als Großmütter, die stets mit Süßig-keiten locken, so die Erfahrung von Holtbernd. Auch Großel-tern profitieren von dieser Strategie: Kinder, die lachen, be-wältigen leichter Ängste und Unsicherheiten. Das erweist sich

207 Dieses und nachfolgende wörtliche Zitate stammen aus einem Artikel der Stuttgarter Zeitung vom 26.4.2002: "Beruf und Karriere: Mit Witz und Ironie wider die Denkblockaden"

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als rentabel für ihre Entwicklung. Weil sie lachen, also loslas-sen können, sind sie lustiger, kreativer und produktiver alsGehemmte. Somit erscheinen sie Erwachsenen als Sonnen-schein und bieten auch den Großeltern eine nachahmens-werte Leichtigkeit beim Umgang mit Alltagserlebnissen.Holtbernd und mittlerweile über ein Dutzend Humortrainerhier zu Lande wollen diese Mechanik auf Unternehmen über-tragen. Lachen bricht Denkblockaden auf. Humor sei eine Ei-genschaft, die sich ausbauen und nutzen lässt, sagt Holtbernd.Der Humortrainer erlebt in seinen Kursen und Workshops ganzoft, dass gelacht wird und dann plötzlich eine neue Idee ge-boren ist, da eine angespannte Atmosphäre aufgelockert undDruck abgebaut werden konnte. Heiterkeit legt seiner Erfah-rung nach oft den Grundstein für neue Ansätze. Er ortet darinauch einen 'Trend zur Sinnfindung: „Mit vierzig scheut mansich, immer noch die Sinnfrage zu stellen. Man kann es aberlocker tun, wenn man sich auf der Humorschiene zugleichAbstand verschaffen kann. Man darf sogar Scheitern zugeben,wenn man es in Humor und Ironie verpackt.”208

Wer über eine falsche Entscheidung im Arbeitsprozess odereine misslungene Operation nur Ärger empfindet, bleibe aufseinem Fehler sitzen. „Wer dazu eine Anekdote erfindet oderanderweitig mit Humor umgeht, dem wird eine positive Feh-lerkultur zugeschrieben”, konstatiert Holtbernd.Positive Emotionen, zu denen auch Lachen gehört, führen da-zu, dass Lerninhalte besonders fest im Gedächtnis gespeichertwerden. Humor überrascht immer neu, das ist der Merkvor-gang. Humorvolle Elemente in die eigene Kommunikation ein-zubauen, beflügelt dieselbe und verschafft mehr Aufmerksam-keit. Auch Selbstironie kommt gut an. „So kann man Dingesagen, die sonst verletzen würden”, sagt Holtbernd. „Humor isteine andere Sprache. In vielen Firmen sollte der Hofnarr wie-der eingeführt werden. Der brachte ja schon bei Hofe nicht nurzum Lachen, sondern auch zum Nachdenken.”Holtbernd illustriert dies an einem Beispiel: Man stelle sichvor, ein Krisenmeeting sei angesetzt. Die Teilnehmer sind umden Tisch versammelt, alle haben düstere Mienen. Die Unterre-

208 s.o.

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dung beginnt, wird ernst, Ratlosigkeit breitet sich aus. Dakramt der Chef einen Lachsack aus seinem Aktenkoffer undlässt ihn loslegen. „Das ist das Signal: Genug gejammert,”meint der Humortrainer, „jetzt werden die Ärmel hochgekrem-pelt. Die Spannung fällt ab, alle lachen mit.”Nicht so einfach gehe das bei Mobbingsituationen, denn dakönnten humoristische Mittel missverstanden werden. An-sonsten aber seien dem Humor kaum Grenzen gesetzt. Er taugtselbst noch da, wo das übliche Management-Instrumentariuman Wirkungsgrenzen stößt. Er kenne Firmen, die zeitweiseMeetings von Clowns moderieren ließen, um eine andereSichtweise und Sprache hineinzubringen. „Der Humor ist einmenschlicher Faktor mit betriebs-wirtschaftlichen Auswirkun-gen." Allerdings gebe es keine deutsche Humormentalität. „ImSüden wird mehr gelacht als im Norden, in katholischen Ge-genden mehr als in protestantischen.” Es gibt aber auch Grundzur Hoffnung. Die E-Mail-Kultur zum Beispiel werde immerwitziger. Cartoons und geschriebene Witze heitern das Ar-beitsleben zunehmend auf. Am meisten gelacht werde lautHoltbernd über Unternehmensberater. Die gelten als Stören-friede. Indem man sie zur Witzgruppe stilisiert, hält man siesich vom Leib.Der Darmstädter Psychologe Marc Hassenzahl, wissenschaftli-cher Mitarbeiter an der Technischen Universität (TU) Darm-stadt, hält es ebenfalls für empfehlenswert, Humor professio-nell in Firmen von Trainern zu vermitteln und dem Lacheneine bedeutungsvolle Plattform zu geben. Er empfiehlt Trai-ningskurse nach amerikanischem Vorbild.209 Denn eine opti-mistische Lebenshaltung ist für den Darmstädter Wissen-schaftler erlernbar. Er hält es für sinnvoll, Trainingsanzubieten, wie sie die University of Pennsylvania mit ihremPenn Optimism Program durchführt. Entsprechende Forschun-gen hat der US-Psychologe Martin Seligman vorangetrieben.Aufgrund seiner Forschungsergebnisse fordert er eine 'PositivePsychologie', die sich mit den freudigen Aspekten des Lebensbeschäftigt: Glück, Optimismus, Weisheit. Bisher untersuchtendie Wissenschaftler vor allem Fehler, Krankheit und Verhal-

209 vgl. Wiesbadener Kurier, 27. Dezember 2001

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tensauffälligkeiten. Optimismus sei die Fähigkeit, gute Ereig-nisse als Reaktionen auf eigene Anstrengungen zu beziehenund schlechte als Folge weltlicher Einflüsse zu sehen. Bei Pes-simisten verhalte es sich umgekehrt, so der WissenschaftlerHassenzahl: „Wenn Pessimisten etwas Gutes widerfährt, spre-chen sie meist von Glück, Optimisten schreiben solche Ent-wicklungen ihrem Verdienst zu.” Übungen könnten solcheErklärungs-Stile verändern. Eine optimistische Lebenshaltungversetze den Menschen in die Lage, handlungsfähig zu bleiben.Der Psychologe warnte aber davor, Optimismus als Allheil-mittel zu verstehen. Es gebe durchaus Situationen, in denenOptimismus gefährlich werden kann.Den 'strategischen Optimismus', der von vielen Wirtschafts-unternehmen nicht nur in Deutschland für die Mitarbeiter pro-pagiert wird, beurteilt der Wissenschaftler mit Vorsicht. DiesesKonzept sehe vor, dass sich Mitarbeiter ein Ziel setzen unddieses mit hohem Risiko ansteuerten. Das Leitbild verführe da-zu, Risiken und Konsequenzen nicht ausreichend zu überden-ken. Besser ist es, mit Humor auch Gefahren und Schwächenüberspitzt zu artikulieren. Gerade deshalb sei der Einsatz vonHumortrainern sinnvoll, da die Möglichkeiten von Humor inseiner ganzen Bandbreite vermittelt und bewusst gemachtwerden können. Gezielt eingesetzte Ironie, Satire und in derSteigerung davon auch Zynismus öffnen die Augen und öff-nen den Blickwinkel für Alternativen. Ambivalenz in derEntscheidungsfindung ist oftmals besser als das blauäugigeVertrauen auf rosarote Missions- und Visionsvorgaben in Leit-bildern.

Die Lachtrainerin Anke Möhlmann aus Münster beschreibt aufihrer Homepage www.lach-training.de die Gründe für ihrenEinsatz als Humorcoach ganz pragmatisch: „Freundliche undhumorvolle Mitarbeiter sind nachweislich die besseren Ver-käufer. Bei der Auswahl verschiedener Arten von Motivati-onstrainings muss zum einen die Kostenseite betrachtet wer-den und zum anderen muss das Training auf schnellstem Wegeund vor allem nachweislich erfolgreich sein, sich also im Er-folg des Unternehmens widerspiegeln und messen lassen. Hu-mor & Lachtraining ist ein herausragendes Instrument, dem

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ein vorderer Platz im Bereich des Motivationstrainingsbeizumessen ist. (...) Die positiven Wirkungen des Humor &Lachtrainings zeigen sich nicht nur durch einen freundlicherenund humorvolleren Umgang der Mitarbeiter. Konkret lässt sichder Erfolg u.a. auch daran fest machen, dass sich die Mitar-beiter aufgrund des verbesserten Arbeitsklimas mit dem eige-nen Unternehmen identifizieren, motivierter und leistungsbe-reiter sind und weniger krankheitsbedingt ausfallen.”210

7.3.3 Unternehmenstheater

Mitarbeiter für Neues zu begeistern, funktioniert vor allemdann, wenn eine positive Grundstimmung im Unternehmenherrscht.Bei neuen Zielen und Aufgaben, anspruchsvollen Her-ausforderungen und hochgesteckten Jahreszielvorgaben setzenviele Unternehmen mittlerweile auch auf professionelleSchauspielgruppen, die am Rande von Tagungen und Veran-staltungen Unternehmensthemen in Szene setzen.Diese Aufgabe hat sich beispielsweise das 'Scharlatan-Theater'aus Hamburg zum Ziel gesetzt, das als eines der renommier-testen Anbieter im Businessbereich maßgeschneiderte Pro-gramme für die Wirtschaftswelt ausarbeitet. Es bringt Firmen-probleme auf die Bühne und lässt die Betroffenen über sichselbst lachen. Mit Theater, das zum Lachen komisch ist, sollenso Innovationen näher gebracht werden.Lange Zeit haben viele Firmen ausschließlich auf Schulungenmit Flip-Charts und Powerpoint-Präsentationen gesetzt. Damitlöst man aber meist keine Begeisterung aus. Das hat auch eintypischer Kunde und Auftraggeber des Scharlatan-Theaters soempfunden, der Vertriebsleiter Heinz Konjer der DekaBank, derFinanzgruppe der Sparkassen. Zur Einführung eines neuenVertriebskonzeptes, bei dem die Berater in Zukunft unter demStichwort 'ganzheitliche Beratung' auf die Gesamtsituation derKunden eingehen sollten, wollte Konjer Begeisterung bei sei-nen Mitarbeitern wecken. So kam er auf die Idee, Komik alsStilmittel in die Schulungen einzubeziehen. „So schaffen wir

210 vgl. http://www.lach-training.de/konzept.htm

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es, Interaktion zu fördern und die Mitarbeiter zum Mitdenkenzu bewegen.”211 Das Scharlatan-Theater hat so als Auflocke-rung von Seminaren Sketche ausgearbeitet, die nichts andereswiderspiegeln als Situationen aus dem Firmenalltag, etwas ü-berspitzt und pointiert dargestellt. So werden beispielsweiseBeratungsgespräche mit Kunden parodiert oder Firmensmall-talks, bei denen Mitarbeiter über Kollegen lästern, gespielt.Nach dem ersten Durchlauf werden die Szenen unter Anlei-tung eines Moderators vom Scharlatan Theater noch einmalunter die Lupe genommen. Die Gäste bzw. Firmenangehörigensind aufgefordert, in die Handlung einzugreifen, Rollen umzu-gestalten und Konfliktsituationen zu entschärfen. So wird vorden Augen der Betroffenen aus einem abweisenden einfreundlicher Filialleiter und die negative Kraft von Lästereiund destruktiver Bremserei wird transformiert in konstruktiveKritik und Optimierung von Prozessen. Bei allem Slapstick undSpaß bleibe dennoch die lehrreiche Erkenntnis, so die Erfah-rung des Vertriebsleiters Konjer: „Aus Erfahrung wissen wir,dass Mitarbeiter danach eher bereit sind, ihr Verhalten zu än-dern.”212

Das Scharlatan-Theater unter der Leitung von Ali Wichmannunterstützt Firmen wie die DekaBank dabei, Mitarbeiter hu-morvoll auf Kurs zu bringen. Es wurden im Laufe der Jahrespezielle Programme entwickelt, die sich dem Thema Businessund dabei speziell Firmenproblemen annehmen. Anfangs, soWichmann, sei es schwierig gewesen, Vertrauen in die Wirk-samkeit von Business-Theater zu wecken. Inzwischen lassenzahlreiche Unternehmen Produkteinführungen oder neue Ver-kaufsstrategien inner-betrieblich von Scharlatan oder anderenUnternehmenstheatern begleiten. Selbst komplexe undschwierige Prozesse wie Change-Management und Reenginee-ring werden phasenweise durch Unternehmenstheater aufgelo-ckert, entschärft und vorangetrieben. Je besser dabei recher-chiert wird und je größer die Ähnlichkeiten von gespieltenRollen zu lebenden Personen sind, umso erfolgreicher sind die'Inszenierungen'. Immer wieder zu beobachten ist dabei, dass

211 zitiert nach Pütz (2004), S. 55f212 ebd.

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Lachen die Bereitschaft fördert, Probleme wahrzunehmen unddas eigene Verhalten zu überdenken. Slapstick, Parodie undKomik sind dabei nur die Türöffner, Konflikte zu lösen undVeränderungen zu beschleunigen. Abwehrhaltungen könnenso aufgebrochen werden und selbst Chefs kann deutlich derSpiegel vorgehalten werden. Lachen verbindet dabei. Die Bot-schaft, die Unternehmenstheater im besten Falle vermittelt, istdie, dass alle aus der Firma in einem Boot sitzen.Ein weiteres wirkungsvolles Mittel, die Routine zu stören undErwartungshaltungen zu durchbrechen, hat Scharlatan durchden 'verdeckten' Einsatz von Schauspielern entwickelt - eineArt 'unsichtbares Theater', wie es Augusto Boal in Südamerikaals eine Form des politischen Theaters entwickelt hat.213 'Un-sichtbares Theater' ist eine Spielart, bei der die Zuschauer nichtwissen, dass es sich um Theater und Schauspieler handelt. Er-lebte Szenen werden so nicht als inszenierte Kunstform wahr-genommen, sondern als Alltagserlebnis, in das man als Be-troffener oder als Augenzeuge involviert ist. Was bei Boaldurchaus revolutionäre Züge trug und eine Befreiungsbewe-gung bei Feldarbeitern und Tagelöhnern initiieren sollte, wirdvon 'Scharlatan' ohne ambitionierte politische Hintergedankenpraktiziert. Es geht allein um die Wirkung: Wer Theater be-wusst als Theater erlebt, misst der Handlung und dem Ver-halten der Schauspieler in Hinblick auf die Lösungsstrategienbezüglich eigener Alltagsprobleme weniger Bedeutung bei, alswenn er das Gleiche nicht auf einer Bühne, sondern im richti-gen Leben erlebt. Der Unterschied ist die Handlungsrelevanzdes Erlebten und die Betroffenheit, die das Ereignis auslöst.Sehr erfolgreich haben die 'Scharlatan-Akteure beispielsweiseein Kellnerprogramm im Angebot, bei dem Schauspieler alsServicekräfte anfangs unauffällig ans Werk gehen, um dannimmer mehr aus der Rolle zu fallen. Das Fehlverhalten inner-halb der erwarteten Kellner-Rolle irritiert die Gäste anfangs,belustigt sie dann und schließlich macht es ihnen großen Spaßzu beobachten, wie andere Gäste, die das Spiel noch nichtdurchschaut haben, auf die Aktionen der vermeintlichen Kell-ner hereinfallen.

213 vgl. Boal (1979), S. 34ff

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Die Erfahrung, dass jemand, der wie ein Kellner herumläuft,nicht unbedingt Kellner sein muss, kann eine wertvolle Er-kenntnis für Veränderungsprozesse sein. So halten Schauspie-ler von 'Scharlatan' bei Firmenseminaren oder Fortbildungs-veranstaltungen auch Vorträge als vermeintlicheGastreferenten. Was beispielsweise als Vortrag eines hochnäsi-gen, verquasten und realitätsfremden Beraters beginnt, ent-puppt sich als unterhaltsame, kabarettistische Nabelschau desUnternehmens. Die ablehnende Haltung der Zuhörer gegenübereines Vertreters oder Fürsprechers des ungeliebten Change-Managements weicht so einem herzhaften Lachen. Und den-noch öffnen sich die Mitarbeiter dadurch einem ungeliebtenThema oder nehmen Lösungsansätze für Firmenprobleme po-sitiver wahr.Humor verhilft dazu, hinter die Dinge zu blicken, an der Fas-sade zu kratzen und auch eigene Ansichten auf den Prüfstandzu stellen.

7.3.4 Die Institutionalisierung des Humors

Es ist auch denkbar, mit der Schaffung einer neuen Stelle ineinem Unternehmen dafür zu sorgen, dass die positiven Effektedes Lachens gezielt genutzt werden. Die Aufgabe eines Hu-morbeauftragten oder 'Lachverständigen' wäre es dann, zu-sätzliche Anlässe zum Lachen zu schaffen, indem er als Mittleroder Animateur für Humor eingesetzt wird und eine Art 'Ma-nagement by Laughter' etabliert. Wäre nicht zumindest beivielen Entscheidungen im Wirtschaftsleben der satirische Blickvon Vorteil bei der Abwägung der Meinungen? Hilft diegeistreiche Provokation nicht bei Betriebsblindheit? Der Ka-barettist Dieter Hildebrandt hat in einer satirischen Rede denVorschlag unterbreitet, Satiriker sollten sich ähnlich den Inter-essensverbänden zusammenschließen, „die seit Jahrzehntenihren Einfluss durch Verbindungsmänner und Abgeordnete imBundestag unablässig verstärkt haben. (...) Wer hindert unsdaran, aus Mitteln unseres Verbandes einen Beratervertrag füreinen einflussreichen Politiker auszuschreiben? Nur so können

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wir erreichen, dass satirische Beiträge unserer Mitglieder inden Massenmedien auch einmal vor 24 Uhr erscheinen.”214

Der Vergleich mit einem Hofnarren liegt nahe und so abwegigscheint die Idee der Einführung solcher Jobs gar nicht.Ernstzunehmende Autoren plädieren dafür: Der Psychoanalyti-ker und Unternehmensberater Manfred Kets de Vries hat psy-chologische Motive ermittelt, die das Denken und Handeln vonFührungspersonen bestimmen. Tiefe Einblicke in das Verhaltenvon Führungskräften lieferte ihm seine Leitung von Topmana-gement-Seminaren am European Institute of Business Admi-nistration (INSEAD). Dabei, sowie bei Tätigkeiten als Organi-sationsberater stellte er fest, dass er oft die Rolle des Narrenspielte, nicht weil er Blödsinn erzählte, sondern weil er dieRolle als Verkünder der Wahrheit zugewiesen bekommen hat.„Bei zahlreichen Gelegenheiten wurde ich in Organisationengebeten, den Machthabern gegenüber bestimmte unangenehmeThemen anzusprechen, die zwar seit Jahren drängten, aberimmer wieder zurückgestellt und von Managern, die nicht zumBoten schlechter Nachrichten werden wollten, vergessen wur-den”, so schreibt er in einem Buch mit dem treffenden Titel'Führer, Narren und Hochstapler - Die Psychologie der Füh-rung.'215 Er zeigt, dass der Narr in moderner Interpretation eineffektives Instrumentarium zur Auseinandersetzung mit Arro-ganz, Machtbesitz, Regelübertretung und Gefahrenverdrän-gung von Führungskräften zur Verfügung stellen kann.„Traditionellerweise spielte der Weise/der Narr die Rolle einesMittlers zwischen Führern und Anhängern, indem er hinter-gründige (über das unmittelbar Sichtbare hinausgehende) In-formationen ausgab und die eigentliche Bedeutung zur Debattestehender Vorgänge bewusst oder unbewusst aufdeckte.”216

Die Beobachtung, dass eine Nachricht immer in Zusammen-hang mit dem Sender gesehen und bewertet wird, ist eine Er-kenntnis, die schon Erasmus von Rotterdam in seiner Schrift'Lob der Torheit' festhielt, indem er schrieb, „dass das gleicheWort, das im Munde eines Weisen zu einem todwürdigen

214 Hildebrandt (o.J.), S. 21f215 Kets de Vries (2004), S. 14f216 Kets de Vries (2004), S. 106

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Verbrechen würde, im Munde des Narren unglaubliches Ver-gnügen hervorruft.”217

Führungskräfte neigen gemäß Kets de Vries dazu, sich eigeneRealitäten zu schaffen und blind zu werden für die Konse-quenzen dieses Verhaltens. Sie sind zudem eingenommen vonder eigenen Meinung und nicht bereit, um Rat zu bitten. Aus-gelöst wird so ein Verhalten durch unkontrollierten Narziss-mus, eine Antriebskraft für das Verlangen nach Führerschaftund Macht.Die Rolle des Narren müsste laut Kets de Vries in Unternehmenbesetzt werden, um den in der Beziehung zwischen Führernund Untergebenen entstehenden regressiven Kräften entgegen-zuarbeiten und eine wirkungsvolle Kraft im Unternehmensset-ting zu aktivieren.In der Geschichte war es der Narr, der gegenüber Kaisern oderKönigen diese korrigierende und relativierende Rolle einnahm.Mit verschiedenen Methoden erinnert der Narr an die Ver-gänglichkeit von Macht und zeigt die Gefahren der Verblen-dung. „Er wird zum Hüter der Realität und verhindert in para-doxer Weise närrische Handlungen.”218

Der Rolle des Narren ist seine Bekanntheit aus Volkskunst,Mythen, der Literatur und aus der Anthropologie dienlich. AlsTyp ist er geläufig, auch wenn er in verschiedenen Verklei-dungen auftritt. Mal ist er der Distinguierte, mal der Schnip-pische, mal der Tollpatsch. Er verursacht Chaos, das jedoch zueiner höheren Einsicht führt. Er parodiert menschliche Bedürf-nisse und Schwächen und macht sich lustig über Triebe ge-nauso wie über Normen. Dabei macht ihn seine Gratwande-rung zwischen Dummheit und Gerissenheit so interessant. Ihmhört man gerne zu, weil man sich den Spiegel vorhalten undverblüffen lassen möchte. Gerade ihm als Spaßvogel gelingt es,das Unerklärliche mit dem Vertrauten und das Neue mit demErwarteten zu verbinden.„Die anthropologische Forschung legt nahe, dass wir auf dieGestalt des Narren unsere eigenen Schwächen, Ideale undÄngste projizieren können, so dass er in zahlreichen Gesell-

217 zitiert nach Kets de Vries (2004), S. 102218 Kets de Vries (2004), S. 108

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schaften eine wichtige Rolle spielt. Welsford geht so weit, denNarren als Erzieher zu bezeichnen, da 'er die latente Narrheitseines Publikums zutage fördert' (1935, S.28). Indem er einnegatives Beispiel vorlebt, unterstützt der Narr wahre Werteund gerechtfertigtes Handeln.”219

Der Narr ist uns somit sowohl historisch als auch psycholo-gisch vertraut. Gelegentlich hat jeder auch schon mal denNarren gespielt. Ich möchte deshalb die Rolle des Narren ausseiner langen Tradition und Überlieferung heraus im Folgen-den noch etwas genauer beleuchten.

7.3.4.1 Historischer Exkurs: Der Hofnarr

Beschreibungen über die Figur des Narren finden sich in fastallen Gesellschaften auf der ganzen Welt. Vor allem seine so-ziale Kompetenz, die sympathische Fähigkeit der Einsicht ohnemoralische Keule und der weisen Voraussicht ohne erhobenenZeigefinger machen ihn zur Identifikationsfigur. Als Hofnarroder Clown ist seine Rolle institutionalisiert, und seine Aufga-be besteht darin, das für andere Unsagbare auszusprechen. Dasgelingt ihm, indem er sich harmloser gibt, als er ist und sichhinter der Maske des Wahnsinns oder der Dummheit verbirgt.Die Requisiten des Hofnarren, Schellenkappe und Narrenzep-ter, sind gewiss Verspottung der königlichen Insignien derMacht, nämlich Krone und Zepter, auf der anderen Seite ma-chen sie den Narren selbst zum Gespött. Die Verkleidung wirktwie ein Schutzschild, das gleichzeitig als Waffe eingesetztwird. Dank seiner schon rein äußerlich wahrnehmbaren Au-ßenseiterrolle ist er dann auch der Einzige, der Wahrheiten, diealle betreffen, 'von außen' erkennen und aussprechen kann. Eröffnet uns die Augen, wenn ein verengter BlickwinkelSchlimmes befürchten lässt.Im Altertum, im Mittelalter und bis weit in die Neuzeit hineingab es an fast sämtlichen Höfen den Hofnarren als Fachmannfürs Vergnügliche. Bei Kaisern und Königen, Sultanen undPäpsten, Bischöfen und Duodezfürsten waren sie hoch geehrt

219 Kets de Vries (2004), S. 109

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und wurden in wichtige Ämter befördert. Neben den Volks-narren des platten Landes, die rekrutiert wurden, schlossenRitterbürtige und Akademiker freiwillig Verträge bei Hof, indenen sie sich zu närrischem Dienst verpflichteten.220 Sie sindmächtig, oft intrigant, bewahren ihre Herren vor Schaden oderliefern sie ans Messer, kommen zu Reichtum und verprassenihn wieder. Sie machen Politik, bis sie im 18. Jahrhundertdurch die Mätressen ihrer Ämter enthoben werden. Die erstenHofnarren gab es im Orient. Torheiten und Ticks, Schwachsinnund Wahnsinn galten als Zeichen Gottes, denen die Umweltmit Respekt und Ehrfurcht begegnete. Der Narr als SprachrohrGottes war für seine Taten nicht verantwortlich und stand au-ßerhalb des Gesetzes.221 Da der Herrscher ebenfalls von Gottlegitimiert war und seine Taten im Auftrag des Himmels aus-übte, standen sich Narr und Fürst sehr nahe. Sie gehören zu-sammen, sind zwei Antipoden des göttlichen Willens. Histo-risch bedeutsam ist das Hofnarrentum aufgrund des Privilegsdes freien Wortes zu Zeiten strengster Zensur und absolutisti-scher Unterwürfigkeit. Der Narr inspiriert und motiviert, er-götzt und heitert auf; der Lohn dafür ist die uneingeschränkteMeinungsfreiheit, die somit „parlamentarische und publizisti-sche Funktionen zu Zeiten, in denen das Volk schweigen mussund Medien unbekannt sind”222, erfüllt.Interessant wird dieser Aspekt gerade dadurch, dass Hofnarrenkeineswegs nur Krüppel, Zwerge und Geisteskranke waren. „Esbefinden sich unter ihnen eminent kluge Männer, die sich be-wusst unter der Narrenkappe tarnen und verstecken, weil siesonst ihre Botschaft nicht verkünden, ihren Einfluss nicht aus-üben könnten. Der bewusste Anschein der Torheit bringt sieans Ziel.”223 Dabei lebt der Hofnarr nicht ungefährlich. Mitseiner Keckheit provoziert er und weiß dabei nie, wie weit ergehen darf. Hat er es übertrieben und steht vor der Androhungder Todesstrafe, muss er mit einer Narretei, die alles anderezuvor noch übertrifft, seinen Kopf aus der Schlinge ziehen.

220 vgl. Amelunxen (1991), S.7221 ebd. S. 7222 Amelunxen (1991), S. 8223 ebd.

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Dazu braucht man einen kühlen Kopf und gute Nerven. DerHofnarr des weisen König Salomons sollte aufgrund seinerRüge der Weiberwirtschaft am Hofe aufgehängt werden. Alsletzten Wunsch erbat er, sich den Baum, an dem er baumelnsollte, selbst aussuchen zu dürfen. Als er die Schergen des Kö-nigs wochenlang ergebnislos durchs Lande geführt hatte,zerrten die ihn entnervt abermals vor den König. Der mussteüber den klugen Schachzug so lachen, dass er seinen Hofnar-ren begnadigte.Als ein Seldschuken-Fürst seinem Hofnarren nackt beim Badeentgegentritt und fragt, wieviel er wert sei, antwortet dieserunerschrocken „dreißig Asper”, ein Betrag im Gegenwert we-niger Cents. Als der Fürst empört kontert, allein das Badetuchsei so viel wert, entgegnet der Hofnarr, das sei schon mitge-rechnet. Der Fürst amüsiert sich königlich über diese Unver-schämtheit. Nicht weniger keck war der berühmte HofnarrTaubmann am sächsischen Hof, der die Frage seines Kurfürs-ten, ob denn der Landesherr auch zu den vielen Narren amHofe zähle, auf lateinisch beantwortete: "Ille est eximius" -eine zweideutige Antwort, die heißen kann, der ist ausgenom-men oder der ist es in ausnehmendem Maße.224

Aber nicht alberne Belanglosigkeiten, sondern auf den Punkttreffende, beißende Kritik machen den Reiz des Hofnarren aus.Auch weit reichende Entscheidungen konnten Hofnarren be-einflussen. Als der Mongolenherrscher Tamerlan mit großenHeerscharen gegen das türkische Reich anstürmte, wollte Sul-tan Bajazet I. nach einer aufgedeckten Offiziers-verschwörungdessen Teilnehmer hinrichten lassen. Sein Hofnarr NasuddinHodscha kommentierte sarkastisch, dass er sie ruhig alle köp-fen lassen solle. Dann könne der Sultan die Fahne schwingenund er die Trommel rühren, wenn sie ganz allein gegen dieungläubigen Mongolen ziehen. Bajazet begnadigt die Verur-teilten und erlebt mit Genugtuung, wie sich die Begnadigtennun aus Dankbarkeit und Ergebenheit im Kampf todesmutigtapfer schlagen. Um ihrer Unabhängigkeit Ausdruck zu verlei-hen, legten Hofnarren Wert auf Gleichberechtigung mit ihren

224 vgl. Amelunxen (1991), S. 9

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Fürsten, indem sie sie duzten und meist jegliche Ehrbezeugungwie Ringküssen verweigerten.„Wenn hohe Herren ihren Unmut äußern, weil der Narr an ih-rer rechten Seite geht, so eilt dieser flugs nach links und sagtmit Betonung: 'Aber mir macht es gar nichts aus, einen Narrenrechts gehen zu lassen!' Und wenn der Fürst seinem Narren imSpaß einen Rollentausch anbietet mit der Bemerkung: 'Michwürde es nicht stören, Dich als Fürsten zu sehen!', so mussjener trocken erwidern: 'Aber mich würde es stören, Dich alsNarren zu haben.'”225

Dennoch wird die Symbiose vertraglich besiegelt, um bei allemRollentausch dem Status Ausdruck zu verleihen. Noch vor denchristlichen Fürsten waren es osmanische Sultane, die offiziellHofämter einführten, regelmäßige Besoldung und Pension ge-währten, die Leibeigenschaft der Hofnarren aufhoben und Ge-setze erließen, die die Bedrohung oder Herabsetzung der Hof-narren unter Strafe stellten. In Zentraleuropa etablierten sichdie Hofnarren erst später, zumal es Höfe als ortsgebundeneResidenzen kaum gab. Die Ottonen sind noch von Pfalz zuPfalz gezogen. Hofnarren wurden aus den umherziehendenPossenreißern rekrutiert oder aber aus dem großen Gefolge derHerren selbst. Man musste eher gut zu Fuß oder im Sattel seinals intellektuell zu brillieren, wenn man im Dienste eines Her-ren stand. Die Blütezeit des europäischen Hofnarrentums be-ginnt in der Mitte des 15. Jahrhunderts.Mit der Verehrung der Majestät 'von Gottes Gnaden' als idea-lisierte Herrscherfigur, in dessen Händen das Wohl des Volkesliegt, gilt der Herrschende als höheres Wesen, für den alltägli-che Handlungen und Handgriffe nicht mehr opportun sind.Was gewöhnlichen Sterblichen erlaubt ist, muss sich derHerrscher versagen. Der Hof inszeniert sich, abgeschirmt vonder Außenwelt, im Zeremoniell, die dem Herrscher Funktionenabnimmt, die er nicht selber ausüben darf. Dazu wurden mi-nutiös geplante Abläufe des Hofstaates festgelegt, die in aber-witzig abgestuften Hierarchieebenen jeden Handgriff genauregelten: Unter dem obersten Regierungsbeamten stand derObersthofmeister an der Spitze des Hofstaates, gefolgt von

225 ebd., S. 10

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Hofmeistern, Kommandanten, Hof- und Unterärzten, Ober-kämmerern, Kammerherren, Leibdienern, Oberstallmeistern,dem Oberhofkaplan, dem Quartiermeister und den vielleichtwichtigsten Personen, den Leitern des Küchen- und Tisch-dienstes. Aufgrund der symbolischen Bedeutung der Nah-rungsaufnahme des Herrschers war dieser Dienst in besonde-rem Maße überorganisiert. Immerhin war damit dasWohlergehen des Herrschers direkt verbunden, - und somitauch des Volkes Wohlergehen. Obergeschirrmeister, Ober-fruchtmeister, Oberkellermeister, Obertrunkenmeister (für kalteSpeisen) und Oberküchenmeister, Spezialist für Gesottenes,Gebratenes und Omelettes kümmerten sich als nur für Teilbe-reiche zuständige Spezialisten um das leibliche Wohl desHerrschers.Die streng hierarchischen Strukturen, wie sie hier im Hofstaatgeschildert werden, wirken wie eine groteske Übertreibungheutiger bürokratischer Organisationsformen. An der fürstli-chen Tafel wie überall am Hofe gab es nur einen, der Vor-schriften durchbrechen, Rituale stören und das Zeremonielleinschließlich aller Gäste verspotten durfte - der Hofnarr.Sein besonderer Status ist durch seinen Titel, seinen Hofrang,seine Privilegien und sein Gehalt dokumentiert. Die Narren amkurfürstlichen Hof zu Dresden beispielsweise wurden im 16.Jahrhundert nicht nur mit Kost und Obdach, Hofkleidung undNaturalien versorgt, sondern erhielten obendrein ein üppigesJahresgehalt. Der Wert des jährlichen Verdienstes von 150Goldgulden war ein kleines Vermögen. Im Vergleich: Mit 30Gulden jährlich konnte ein Wittenberger Student gut leben.Der Wert des Narren bestand darin, dass Hofnarren oft diebesten Ratgeber waren.Der Hofnarr beeinflusst positiv Gesetzgebung, Beschlüsse,Verwaltungsakte, Gnadenentscheidungen oder gewisse Ver-günstigungen. Soldaten werden vor dem Strick gerettet, Un-schuldige aus dem Kerker und Verbannte aus dem Exil befreit.Sie rieten von Feldzügen in schwierigem Gelände oder gegenunkalkulierbare Gegner ab.Oft erreichten sie das mit genialer List, indem sie das Gegenteildes Erwünschten rieten oder durch absurde Empfehlungen ihreHerren nachdenklich stimmten. Ihre närrischen Predigten wur-

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den entgegen den Ratschlägen anderer unbefangen aufge-nommen, da Narrenweisheiten unverbindlich scheinen. Narrenagieren absichtlich tollpatschig, um Machthaber nicht zu dü-pieren, sind sich aber der beabsichtigten Wirkung ihres Tunssehr wohl bewusst und agieren mit einem sicheren Gespür fürdas Richtige.

7.3.4.2 Der moderne Narr in Unternehmen

Kets de Vries ist der Auffassung, dass die Macht des Führersauf die Torheit des Narren angewiesen sei. Die gemeinsameInteraktion hält die gesamte Organisation im Gleichgewicht.Die Rollen müssen zudem von zwei Menschen gespielt werden;wer als Führer selbst das Gelächter auf sich zieht, beraubt sichder Glaubwürdigkeit und des Respekts, der für die Organisati-on stabilisierenden Charakter hat und deshalb nicht ange-zweifelt werden darf. Der Narr zieht das Lachen auf sich undhilft so, die Erhabenheit des Vorstands oder Führers einer Or-ganisation zu bewahren.Wenn der Narr eine unentbehrliche Rolle für das Funktionie-ren des sozialen Lebens spielt, sollte jene Rolle auch ins Orga-nisationsleben integriert werden, da auch hier zum Beispiel derSchutz vor Machtmissbrauch ein legitimes Anliegen aller Be-teiligten sei. Zwar gibt es verschiedene strukturelle Sicher-heitsmaßnahmen in Form von Regeln, Aufsichtsgremien undPersonen sowie einem transparenten Organigramm, dennochist eine Organisation im Wirtschaftsleben weit davon entfernt,demokratisch geführt zu werden. Manager und Führungskräftesind oft Geheimniskrämer, die viel Energie darauf verwenden,sich abzuschotten und ihre Autonomie zu verteidigen. Strate-gien werden oft im Dunkeln gelassen und Mitarbeiter erstdann in Kenntnis von Maßnahmen gesetzt, wenn diese auchschon der Presse bekannt gegeben worden sind. Dies kann ichals Kabarettist bestätigen. Von Firmenmitarbeitern einesPharmaunternehmens habe ich während eines Fusionsprozes-ses erzählt bekommen, dass Mitarbeiter noch Monate nach derFusionsbekanntgabe weder über die Verlängerung ihres Ar-beitsvertrages noch über den zukünftigen Firmenstandort Aus-

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kunft erhalten haben. Statt Transparenz wird Informationsblo-ckade betrieben, statt Vertrauen herrscht Macht. Ohne Vertrau-en entsteht jedoch eine Atmosphäre der Vorsicht, Absicherungund Fehlervermeidung.Statt offene Kommunikation zu führen wird darauf gewartet,dass Anweisungen gegeben werden. „Es ist eine Binsenweis-heit, dass Macht - die Fähigkeit, gewaltigen Schaden anzu-richten oder Gutes zu tun - eine Suspension moralischer Wertebewirkt.”226 Nicht nur der Führer ist durch seine Machtfülleanfällig für illegitimes Handeln, auch der Untergebene kann inseiner Enttäuschung über mangelnde Offenheit oder Kommu-nikationsbereitschaft Geheimnisse oder Gerüchte ausplaudern.Oft sieht er sich moralisch legitimiert, unverantwortliches oderkriminelles Handeln seiner Vorgesetzten an die Medien oderdie Öffentlichkeit zu melden, um seinem Ärger Luft zu ma-chen. „Die schmerzliche Ironie besteht darin, dass die persönli-che Integrität und Vertrauenswürdigkeit der Ausplauderer, diesie ursprünglich zu ihren Handlungen veranlassten, in Fragegestellt werden, und häufig endet alles damit, dass sie selbstfür genau die Missstände, die sie ans Licht gebracht haben,verantwortlich gemacht werden - eine klassische Reaktion: DerÜberbringer schlechter Nachrichten wird getötet.”227 Insofernhat es ein normaler Mitarbeiter als Künder der Wahrheitschwer bzw. ist es äußerst riskant, Geheimnisse oder geheimeMachenschaften bzw. das Wirken von Seilschaften und diePläne von mächtigen Individuen einer Organisation an diegroße Glocke zu hängen.Hier bedarf es eines 'Narren', der als äußerst couragiertes Indi-viduum jederzeit Personen und Entscheidungen in Frage stel-len muss und den Führungskräften entgegen der untertänigenJasagerei der Mitarbeiter kritisch und unabhängig die Mei-nung sagt. Dafür wird er übrigens wenig Rückhalt in der Or-ganisation finden, wenn es ihm nicht gelingt, "Schutzklei-dung" wie die der Hofnarren zu tragen, die ihn vor Sanktionenund Abstrafungen bewahrt. Umso mehr wird aber klar, dassdiese Aufgabe kein normaler Mitarbeiter übernehmen kann.

226 ebd., S. 115227 ebd., S 116

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Denn durch das schlechte Licht, das aufgrund der Bekanntgabenegativer Informationen auf die Organisation fällt und derdamit verbundenen Bloßstellung wird der Ausplauderer keinenSchutz finden. Obrigkeitsdenken und mangelnde Kommunika-tion werden auch Solidaritätsbekundungen seitens der Unter-gebenen ausbleiben lassen. Zumindest wird man die Sanktionabwarten, bevor man Partei ergreift. Erst wenn eine Führungs-kraft für die Organisation wirklich nicht mehr tragbar ist, wer-den sich bestätigende Äußerungen zu der vorherigen 'Majes-tätsbeleidigung' vermehrt vernehmen lassen. Meist, sobestätigt auch Kets de Vries, verlaufen Angriffe von normalenMitarbeitern gegen die Führungsspitze übrigens im Sande, egalwie berechtigt sie sind. Auch nach einem kurzzeitigen gewalti-gen Medienecho erlischt das Interesse der Öffentlichkeitschnell und man kann zum Business as usual übergehen.Der Einsatz eines Narren bedarf also Fingerspitzengefühl fürdie Auswahl geeigneter Person hinsichtlich der Belastbarkeitfür diese Aufgabe. Genauso muss die Unternehmensführungihre Toleranz gegenüber schonungsloser Offenheit bei kom-munizierten Missständen abschätzen können. Der Einsatz vonNarren setzt also ein gewisses Maß an Vertrauen voraus. WoKommunikation nicht offen gepflegt wird und Informationennicht kontinuierlich verfügbar sind, kann sich ein Narr nichthalten, denn jeder Führer verkraftet nur ein gewisses Maß anKonflikten. Der Narr soll ja stabilisierend wirken und Kontrollegewährleisten, die eine Eskalation vermeiden hilft.Beide Funktionen, Führungskraft und Narr, in Personalunionausüben zu wollen, muss übrigens scheitern, wie bereits obenerwähnt wurde. Wer als Führungskraft die Rolle der Respekts-person nicht durchhält und durch Satire oder Ironie das eigeneHandeln selbst in Frage stellt oder relativiert, verunsichert sei-ne Mitarbeiter und Kunden mehr, als er dazu beitragen kann,eine Situation zu entkrampfen oder zu entspannen. DiesesPhänomen habe ich selbst in einigen Tagungen und Kunden-veranstaltungen erlebt. Der Geschäftsführer eines Autohausesbeispielsweise hat anläßlich der Vorstellung eines neuen Fahr-zeugmodells die typische Rede, die man zu so einem Anlasserwartet hätte, parodiert. Die Wirkung bei den Gästen bliebaus. Denn selbst wenn Zuschauer aus Erfahrung bestätigen,

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dass Grußworte, Reden und Referate bei Festakten oder Prä-sentationen meist langweilig und inhaltsleer seien, kann einRepräsentant dieses Systems nicht 'die Seiten wechseln' unddafür eintreten, dass auch er dem Ganzen nichts abgewinne.Immerhin trägt er ja Verantwortung für die Art und den Ab-lauf der Veranstaltung.Wer die Macht hat, kann sich nicht über die Art, wie dieMacht ausgeübt wird, lustig machen. Narren können das sehrwohl, - und mit großem Erfolg. Sie dürfen sich Kommentareerlauben, die bei allen anderen scharf sanktioniert werdenwürden und können Führer wie Gefolgschaft satirisch darstel-len. Der Humor des Narren beinhaltet dabei eine Selbstent-wertung, die bedingt ist durch die Verletzung von Normen unddas Übertreten von Tabus. Die schützende Immunität durchvermeintliche Dummheit oder Wahnsinn führt dazu, dass derNarr für seine Handlungen nicht verantwortlich gemacht wird.Die Adressaten seiner Späße empfinden sogar Befriedigung,weil ihre teils unbewussten Wünsche durch den Narren ent-hüllt und erfüllt werden. Er ist Sprachrohr der Mitglieder einerGemeinschaft oder einer Organisation in Richtung der Mächti-gen und Führer, gleichzeitig werden dank seiner Verschroben-heit und Lächerlichkeit Minderwertigkeitsgefühle auf ihn ab-geladen. Im Vergleich zum Narr fühlt man sich etabliert,rechtschaffen und vernünftig. Narren „schaffen ein Ventil fürdie elementarsten antisozialen Gefühle und bringen, indem sieabsurde Situationen herstellen, die Befürchtungen und Ängsteanderer zum Ausdruck.”228 Darüber hinaus entschärfen siespannungsgeladene Situationen. Ihre humorvolle Art bietet dieMöglichkeit, potenzielle Konflikte in der Gesellschaft zu be-wältigen.Die Reaktion auf das, was der Narr sagt oder tut, - nämlich dasLachen -, charakterisiert das Verhältnis zu ihm als freund-schaftlich, auch wenn in seinem Tun feindselige Attacken be-inhaltet sind. Man empfindet die Feindseligkeit als gespieltund als Ausdruck seiner Respektlosigkeit, während das Lacheneine verbindende Gemeinsamkeit herstellt. Dies harmonisiertdie Gemeinschaft.

228 ebd., S. 112

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Erst wenn Machtmissbrauch und Unterdrückung oder Aus-beutung empfunden wird, läuft der Narr Gefahr, als ironischerRepräsentant der Macht zum Sündenbock gestempelt und ab-gestraft zu werden für das, was er eigentlich selbst kritisiert.Doch auch in der Rolle des Sündenbocks wirkt er stabilisierendauf das System oder die Organisation, da er die Möglichkeitbietet, Dampf abzulassen und ob der Art seines Auftretens An-griffsfläche bietet. Sich beim obersten Chef zu beschweren,wagt wohl keiner, - sofern man überhaupt Gelegenheit be-kommt, sich an höchster Stelle Gehör zu verschaffen. Doch derNarr ist greifbar und angreifbar. Hier deckt sich die Rolle Ketsde Vries als Organisationsberater mit der sozialen Funktion,die der Narr seit Jahrhunderten innehat: Puffer und Entschär-fer, Sicherheitsventil und Frühwarnsystem. Er hält statt desKönigs oder der Führungsperson seinen Kopf hin, denn er istder Übermittler der schlechten Nachricht. Aber er verkleidet siehumorvoll so gekonnt, dass alles unter Kontrolle bleibt und diedestruktiven Aspekte der Führung nicht zu Aufruhr oder zurVerweigerung der Gefolgschaft oder gar Revolution führen.Der Narr macht Belastungen und Unzufriedenheit erträglichund kann auch unangenehme Aufforderungen formulieren.Was dem Narr dabei zugute kommt, ist seine Emotionalitätund seine Solidarität mit den Untergebenen. Er kämpft auf derSeite der Schwachen, weil er selbst Schwäche zeigt. Anderer-seits ist er Vorbild und Idol, weil er sich nicht den Mund ver-bieten lässt, sarkastisch und böse auch zu Stärkeren undMächtigen ist und den Finger stets in die Wunde legt.

Der Einsatz eines Hofnarren ist insofern ein Wagnis, da seinWirken nicht planbar und seine Wirkung nicht vorhersehbarist. Letztlich muss man als Führungsperson die Entscheidungtreffen, ob man jemanden an seiner Seite dulden kann, derFehler und Versäumnisse, Schwächen und Unkorrektheitenstets lustvoll aufdeckt und mit Häme kommentiert.

7.4 Struktural-technologische Ansätze

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Nicht nur persönliches Engagement und die eigene humorvolleArt des Miteinanders trägt dazu bei, dass Lachen häufigerstattfindet. Es gibt auch Möglichkeiten, Arbeitsabläufe undArbeitsräume so zu gestalten, dass mehr Spaß bei der Arbeitentsteht. Im Sinne einer Ausweitung der Humorkultur einerOrganisation sollte es dabei darum gehen, dass Humor nichtnur punktuell in Veranstaltungen inszeniert wird oder in Formvon Beiträgen kontrolliert in einem vorgegebenen Rahmenstattfindet, sondern sich kontinuierlich auf allen Ebenen stän-dig entfalten kann.Mit diesem Ansatz wird die gängige Meinung auf den Kopfgestellt, Arbeitsräume sollten lediglich disziplinierte, konzent-rierte Arbeit ermöglichen. Lachen ist da fehl am Platz. DasKomische „gibt jegliche ernsthafte Anmaßung der Lächerlich-keit preis - auch die des Heiligen. Insofern ist die Komik alleröffentlichen Ordnung gefährlich. Sie muss unter Kontrolle ge-bracht und in eine Art Freigehege gesperrt werden.”229 DasKomische und der Humor werden deshalb gerne eingegrenzt.Freiräume des Komischen wie Karneval sind die Ritualisierungin gesellschaftlich akzeptiertem Rahmen. Kabarett als Kunst-form darf sich über Politik und Arbeitswelt lustig machen, a-ber nur außerhalb von Politik und Arbeitswelt. Indem mandem Komischen seinen Platz gibt, verweist man es aus deneigenen Reihen, wo es störend wirkt und unkontrollierbar ist.Humor wird geduldet, aber nur in dem dafür vorgesehenenRahmen. „Das Grundprinzip ist Beherrschung durch Verein-nahmung.”230

Mit der Forderung nach Integration des Lachens in die Ar-beitswelt kann man sich jedoch auf die frühesten Wurzeln derKomödie im klassischen Griechenland berufen. Ehe sich dieKomödie als eigenständige Theaterform etablierte, war sie Be-standteil der Tragödienaufführung - als Nachspiel im diony-sischen Stil sorgte sie für Heiterkeit nach dem schwermütigenDrama. Den Zuschauern sollte dadurch der Schmerz und dieTrauer, die Verzweiflung und das Schicksal erträglicher wer-den, die Heiterkeit sollte die Spannung lösen im Übergang zur

229 Berger (1998), S. 20230 ebd., S. 21

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Alltagsrealität. Schließlich muss mit einer gewissen Gelassen-heit ja der Alltag und die Arbeit gemeistert werden, ohne dassSorgen und Kummer einen zu sehr belasten. Das soeben Er-lebte sollte durch das Heitere relativiert und leichter zu ertra-gen sein. Humor diente somit auch in seiner inszenierten Formals Bindeglied zwischen Muss und Muße. Analog dazu lässtsich überlegen, wo Humor und das Komische Platz haben kannin der Arbeitswelt. Wenn man Humor im Unternehmen Raumgeben will, muss dieser Raum definiert werden. Dann lassensich Veränderungen auch beobachten. Die möglichen struktu-rellen Maßnahmen zur Etablierung einer Humorkultur werdenim Folgenden beschrieben.

7.4.1 Artefakte

Die Ausbreitung von Humor lässt sich tatsächlich nicht nurdurch persönliche Verhaltensweisen, sondern durch Raum-strukturen und innenarchitektonische Maßnahmen beeinflus-sen. Die Häufigkeit von zufälligen Kontakten und Begegnun-gen, die zum Lachen und zur Fröhlichkeit animieren, istnämlich gezielt steuerbar. Smalltalk, 'Geplänkel' und Humoram Etagenkopierer, in der Teeküche, im Archiv oder auf demGang fördert die Kommunikation. Kommunikation ist derSchlüssel zur Innovation. Wer Kommunikationsinseln schafftoder die Bürokommunikation beflügelt, erhöht die Produktionneuer Ideen. Dies ist das Ergebnis einer Studie der LondonerBeratungsfirma Space Syntex.231 Dort untersuchte man denZusammenhang von Kommunikationsverhalten und Arbeits-leistung - in Abhängigkeit der Verkehrsströme in einem Büro-gebäude.Lebhafter Büroverkehr führt zu zufälligen Begegnungen,schnellen Nachfragen und unerwarteten Inspirationen. Rand-lagen sind somit Innovationsbremsen. Wer hier sitzt, wird we-niger inspiriert und ist somit weniger innovativ. Space Syntax„analysiert die Wegenetze der Kundschaft am Computer undweissagt, wo die Zonen liegen, in denen es brummt - und wo

231 vgl. Dworschak (2002), S. 194ff. In: DER SPIEGEL 13/2002

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die Mitarbeiter in Abgeschiedenheit zu verstocken drohen.Manchmal genügen dann ein paar Umbauten, und der Verkehrkommt in Fluss. Der Lohn, wenn alles gut geht: mehr Begeg-nungen, mehr Gespräche, mehr Ideen. Und damit vielleichtmehr Gewinn.”232 Dabei gehen die Forscher davon aus, dassdie Optimierung der Verkehrsströme systematisierbar sei. Esgeht schlicht darum, Menschen dazu zu bringen, sich zwanglosüber den Weg zu laufen. Dies ist deshalb notwendig, da Zäh-lungen ergeben haben, dass schon bei einem Arbeitsabstandvon 25 Metern kaum noch Kommunikation stattfindet. Meistunterhalten sich Mitarbeiter nur mit ihrem Nachbarn. „Dabeiist es gerade der Kontakt zu Kollegen außerhalb der eigenenArbeitsgruppe, der mit Abstand die meisten Anregungen stif-tet.”233 Nicht Fachgespräche und Faktenkenntnis, sondern lo-cker-heitere Gesprächsthemen beflügeln die Fantasie.Anhand von Grundrissen mitsamt aller Flure, Freiflächen, Ti-schen und Raumteilern werden die Routen im Computern si-muliert, die Fußgänger in den Gebäuden wählen. Dabei favo-risiert das Computerprogramm Wege mit möglichst wenigAbbiegungen. Das simple Verfahren geht von der menschli-chen Bequemlichkeit aus, den einfachsten Weg zu wählen. DerMensch liebt freie Strecken und Sichtschneisen; - dreimal Ab-biegen ist hingegen nicht beliebt. Ein Ort, der von allen Win-keln leicht erreichbar ist, wird häufig angesteuert. Es ist sozu-sagen das Bindeglied vieler individueller Routen. DerHauptverkehr fließt folglich in all den Lagen, die die wenigstenRichtungswechsel mit sich bringen. Hier ballt sich der Verkehr.Analysen von Videoaufnahmen in Firmen haben zudem erge-ben, wie ein typisches Gespräch zu Stande kommt: „In viervon fünf Fällen sitzt der eine Kollege gerade an seinem Platz,sieht einen anderen, der zufällig des Weges kommt, und ruftihn herbei. Leute, die sitzen, werden dagegen selten gestört; esist offenkundig, dass sie arbeiten. Sobald sie aber aufstehen,gelten sie als rekrutierbar.”234 Das Vorbeikommen am Arbeits-platz anderer ist somit Nährstoff für Innovation. Der häufigste

232 Dworschak (2002), S. 194233 ebd., S. 194234 Dworschak (2002), S. 196

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und unkomplizierteste Einstieg in einen Smalltalk ist natürlich,einen Witz zu erzählen oder ein kleines Bonmot zum Besten zugeben.Gegenseitige Begegnungen und Zusammenkünfte können for-ciert werden durch die Verteilung der abteilungsspezifischenInfrastruktur. Statt Computer-Peripheriegeräte und Kopiererbeispielsweise direkt am Arbeitsplatz zu installieren, kann mansie so verteilen, dass kurze Wege, vorbei an Kollegen, notwen-dig werden. Kaffeeautomaten, Teeküchen, Poststellen, Lagerfür Vorratsmaterialien sind ideale Treffpunkte, die dann auchals 'Humorinseln' genutzt werden.Wer die humorvolle Kommunikation im Unternehmen undsomit die Inspirationshilfe für Innovation fördern will, mussfolglich nur für Bewegung sorgen und einen regen Austauschvon Mitarbeitern unterschiedlicher Arbeitsbereiche oder Pro-jekte ermöglichen.

7.4.2 Humorvolle Individualisierung des Arbeitsplatzes

Humor von unten, also auf Veranlassung der Mitarbeiter stattals gewünschte Kommunikation von oben, wird in Unterneh-men sehr wohl gepflegt. Wenn Mitarbeitern Raum und Mög-lichkeit gegeben wird, diesen Humor ungehindert zu kommu-nizieren, schadet man folglich nicht dem Unternehmensziel,sondern kann positive Effekte erzeugen. In Unternehmen wirdsich so oder so lustig gemacht, auch und gerade über das Un-ternehmen selbst. Davon dringt allerdings wenig nach außen.„Unternehmen haben eine Sonnen- und eine Schattenseite.Die eine wird – zum Teil mit großem publizistischen Aufwand- zur Schau gestellt, die andere mit oft ebenso großem Auf-wand im Dunklen gehalten. Die herrschende 'Hochkultur' stelltsich selber in Unternehmensgrundsätzen, Führungsleitsätzen,Corporate-Identity-Programmen, Firmenphilosophien, Slogans,Hymnen und Sprachregelungen öffentlich dar. Die protestie-rende Subkultur muss andere Wege suchen: Sie bedient sicheher subversiver Techniken, um die Verhältnisse bloßzustellen

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(Graffiti, Witze, Spitznamen, Poster, Sticker).”235 Dabei werdendie Slogans, Phrasen und Wendungen der Hochkultur-Spracheoft persifliert, um die deutlichen Diskrepanzen zwischen derDarstellung des Unternehmens, wie sie von Geschäftsführung,Marketing und Öffentlichkeitsarbeit betrieben werden, unddem erlebten Berufsalltag einzelner Mitarbeiter zu verdeutli-chen. So sind Spitznamen für Vorgesetzte und Verballhornun-gen von offiziellen Bezeichnungen oft entlarvend und charak-terisieren treffend, was durch Abkürzungen oderHochwertbegriffe kunstvoll verschleiert wird.

So gibt es beispielsweise oft treffende Übersetzungen von Kür-zeln. Aufgrund der Umstellungsprobleme bei der Einführungvon bereichsübergreifender Software und den damit verbun-denen Wartezeiten, bis man zu gewünschten Ergebnissenkommt, wird SAP oft als 'Sanduhrenanschau-Programm' be-zeichnet. „Wallraff nennt zum Beispiel als Arbeiterübersetzun-gen von MTM (Methods Time Measurement, ein System vor-bestimmter Zeiten, das unter anderem zur Ermittlung vonVorgabezeiten für Akkordarbeit eingesetzt wird): Mach tau-send mehr!/Mehr tun müssen! Mit teuflischen Methoden.”236

Solche Sprüche werden nicht nur mündlich, sondern auch alsGraffitis, E-Mails, etc. schriftlich verbreitet. Teils anonym anim Unternehmen öffentlich zugänglichen Stellen, teils aberauch mit 'Bekennercharakter', indem sie von Mitarbeitern di-rekt am Arbeitsplatz ausgestellt werden, am meisten mittler-weile wohl auch durch die Versendung als E-Mails im Intranet.Die Zitate, Aphorismen, Texte oder Hinweise laden zumSchmunzeln oder zur inneren Bestätigung ein. „Sie legen aufgeistreiche Art und Weise allgemeine Mängel bloß. Es geht beiihnen ja nicht um persönliche Denunziationen; sie sprechenvielmehr 'nur' aus, was alle im Grunde schon wissen, aber sichentweder noch nicht klargemacht haben oder sich nicht zusagen getrauen.”237 Was durch offizielle Sprachregelungen imUnternehmen kaschiert worden ist, wird so ungeschminkt

235 Neuberger, Kompa (1993) S. 107236 Neuberger, Kompa (1993), S. 122237 Neuberger, Kompa (1993), S. 124

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enttarnt. Auf humorvolle Art sollen auch Anderen die Augengeöffnet werden. Spitze Bemerkungen, Sottisen, Aperçus undsarkastische Kommentare in Kurzform sind „wie absichtlichproduzierte 'Fehlleistungen' im psychoanalytischen Sinn: Siebedienen sich der Techniken von Verschiebung und Verdich-tung und sprechen tabuisierte Themen - in dieser verkleidetenForm aber dennoch offenkundig - an.”238 Damit werden an-dere Ansichten, eventuell auch Einstellungs- und Verhaltens-alternativen aufgezeigt.Wichtiger noch scheint der Effekt für die eigene Psyche. Ironieund Witz schaffen eine Rollendistanz, die einen nicht als wil-lenloses, ausführendes Organ fragwürdiger Arbeitsanweisun-gen erscheinen lassen. Die Reflexion der Fehler, Schwächenund Fragwürdigkeiten im eigenen Unternehmen zeigt, dassman das System durchschaut, auch wenn oft genug Maso-chismus bei den Äußerungen mitklingt, man sich also durch-aus in der 'Opferrolle' sieht. Doch ist der Erkenntnisvorsprungfür das Maß an Erträglichkeit eines Missstands entscheidend.„Bevor einem die anderen sagen, wie sehr man sich ausnutzenoder erniedrigen lässt, sagt man's sich lieber selbst.”239 MitHumor lässt sich aber auch Frustration und Aggression kana-lisieren. Aggressionen werden durch Wortwitz und kreativeWortspiele salonfähig. Anknüpfend an bekannte Redensartenkommt oft die überraschende Pointe: „Ordnung ist das halbeLeben, - Unterordnung die andere Hälfte.”240 Die treffendePointe gleicht keinem Keulenschlag, sondern einem Nadelstich.Nicht plumpe Wahrheiten oder persönliche Forderungen wer-den artikuliert, sondern subtile Anspielungen ausgesprochen.Dennoch zeigt der Verfasser sein Gesicht und grenzt sich da-mit sowohl von Andersdenkenden ab wie auch ein - in dieGruppe derer, die wissen, 'was läuft'. Schließlich hat Witz undHumor im Betrieb auch eine nicht zu unterschätzende Kon-taktfunktion. Man will auf sich aufmerksam machen durch dieVerzierung des Arbeitsplatzes mit Aufklebern, Sprüchen oderKarikaturen.

238 ebd., S. 124239 ebd., S. 125240 Dieses Zitat ist entnommen aus: Neuberger, Kompa (1993), S. 125

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Diese Individualisierung des Arbeitsplatzes trägt somit zur Ak-zentuierung und Darstellung der eigenen Persönlichkeit bei. Jemehr Flächen zur individuellen Gestaltung zur Verfügung ste-hen, umso persönlicher wird das Umfeld auch verändert -mittels Büro-Accessoires, Aufklebern, Bildern, Fotos, etc.Bei vielen Briefings habe ich zu hören bekommen, wie empörtMitarbeiter sind, wenn ihnen die Gestaltungsmöglichkeitenbeschnitten werden. So wurden bei einer Bank im Zuge derUmsetzung der Corporate Identity den Mitarbeitern vorge-schrieben, aus welchen Tassen Sie Ihren Kaffee trinken undwie die Kannen beschaffen sein müssen, aus denen man Kun-den Heißgetränke ausschenken darf. Die Schreibtischflächemusste frei von privaten Utensilien sein.Der Architekt eines Neubaus für eine der größten deutschenWirtschaftsprüferkanzleien hat abgeschrägte Fensterbrettereinbauen lassen, damit Mitarbeiter nicht Unterlagen, Pflanzenund irgendwelche Utensilien abstellen können und somit derkühle, moderne Eindruck des Gebäudes nicht durch Beliebig-keit beeinträchtigt wird. Solche Maßnahmen werden als Gän-gelei betrachtet, wenn nicht ganz und gar spöttisch verurteilt.Größten Unmut lösten meiner Beurteilung nach Pläne aus, in-dividuelle Arbeitsplätze gänzlich abzuschaffen. Dies ist dasKonzept bei non-territorialen Büros, in denen Büroräume ohneoder nur mit teilweise fester Belegung konzipiert werden undkeine fest zugewiesenen persönlichen Arbeitsplätze mehr be-stehen. Bei dieser Büroform stehen die meisten Arbeitsplätzeallen Beschäftigten zur Verfügung und werden entweder nachfachlichem Bedarf oder nach Anwesenheit zugewiesen. Dieses'Desk Sharing' bedeutet, dass nur noch ein Rollcontainer mitpersönlichen Unterlagen ausgestattet und zum jeweils freienoder für die Aufgabe zugewiesenen Arbeitsplatz gerollt wird.Das führt zu einer entpersönlichten, funktionalen Arbeitsum-gebung, die kaum noch Raum für persönliche Ausgestaltungbietet. Meines Erachtens steht dem reduzierten Flächenbedarf,der Kosten senkt, eine Entfremdung gegenüber, der Arbeits-kraft auf bloße Funktion reduziert. Mit der Austauschbarkeitdes Arbeitsplatzes ist schnell die Austauschbarkeit der Arbeits-kräfte assoziierbar. Die geforderte Flexibilität geht dabei soweit, dass man möglichst keine Spuren hinterlässt.

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Bedenkt man, wie gern man seinen Arbeitsbereich als 'seinRevier' kennzeichnet, von der mit Graffitis übersäten Schul-bank über den fotobeklebten Kleiderspind bis zur Schreib-tischschublade mit persönlichen Erinnerungsstücken, Glücks-bringern, Geschenken und Krimskrams, scheint eskontraproduktiv, dieses Bedürfnis der Individualisierung zuerschweren oder unmöglich zu machen. Vor allem geht so derRaum für Humorvolles verloren.

7.4.3 Ritualisierte Formen der Humorkultur

Im Internet lassen sich mittlerweile viele Homepages finden,die zum einen für Humor am Arbeitsplatz sorgen und zum an-deren Anleitung geben, wie Humor durch eigene Initiative zumregelmäßigen Bestandteil in der Arbeitswelt werden kann. Sosind beispielsweise unter der Überschrift „Arbeit ist viel zuernst, um darüber nicht zu lachen. - Sie wollen mehr Spaß -den sollen Sie haben!”241 auf der Homepagewww.visionintoaction.de Vorschläge gesammelt, die denSpaßfaktor im Beruf erhöhen sollen. Wörtlich heißt es: „Hier18 Ideen, wie Sie mehr Humor in Ihren Arbeitsalltag bekom-men.”Die präsentierten Ideen decken sich zum Teil mit Initiativenund Aktionen, die ich selbst als erfolgreiche Maßnahmen inverschiedenen Firmen erleben konnte oder werden auch vonmehreren anderen Autoren als geeignete und erprobte Maß-nahmen genannt. Im Folgenden möchte ich deshalb die 18Vorschläge vorstellen, um zu zeigen, wie einfach die Anlei-tung zum Spaßhaben sein kann. Sie stellen eine komprimierteListe von Ideen dar, die stark inspiriert sind von dem Buch"301 ways to have fun at work"242 von Dave Hemsath undLeslie Yerkes. Die 18 Ideen sind hier gekürzt zusammengefasst:• Ein Firmenmaskottchen soll immer dann in Erscheinungtreten, wenn jemand einen schlechten Tag hat oder besondersgestresst ist.

241 vgl. www.visionintoaction.de/THINKTANK/THINK-TANK-333.htm242 vgl. Hemsath; Yerkes (1997)

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• Einem Büro-Haustier, z.B. einem Wellensittich, soll mit vielFreude und Tricks das Sprechen beigebracht werden.• Stressmindernde Aktivitäten sollen eingeführt werden, zumBeispiel in der Eingangshalle eine Art Kegelbahn. Die Perso-nalkantine könnte mit einer Rutschbahn mit anderen Stock-werken verbunden werden.• Musik-CDs mit 'Gute-Laune-Titel' können zusammengestelltwerden. Jeder Kollege kann ein Musikstück beitragen, das perse gute Laune verbreitet. z.B. „Don´t worry - be happy”.• Sport und Spaß gehören eng zusammen. Auf dem Parkplatzkann man einen Baskettballkorb installieren, um Pausen fürein gemeinsames Match zu nutzen.• Mitarbeiter sollen sich einen 'Alter-Ego-Spitznamen' zulegenund diesen Spitznamen in Memos oder E-Mails verwenden.• Es sollen Listen angelegt werden mit Stilblüten und humor-vollen Aussagen. Unfreiwillig komische Fragen oder Kom-mentare finden sich häufig in Briefen und Formularen.• Ein Spass-Briefkasten kann installiert werden, in den neueIdeen und Aktivitäten-Vorschläge geworfen werden können.Die beste Idee wird in regelmäßigen Abständen prämiert.• Als Führungskraft soll man sich zumindest für besondereAnlässe wie Betriebsversammlungen einen Hofnarren halten,der widerspiegelt, was er so wahrnimmt.• Firmenziele sollen nicht immer ernst formuliert werden. Un-ternehmensziele können als Sketch oder Parodie dargestelltwerden.• Besprechungen müssen nicht immer im Besprechungszimmermit Flipchart und Beamer durchgeführt werden; es bieten sichfür Meetings gelegentlich auch verrückte Orte an, beispiels-weise der Swimming-Pool eines Hotels, eine Skihütte oder einKünstleratelier. Jeder Tapetenwechsel bringt Farbe in die grau-en Zellen.• Meetings können mit Spaß statt mit Zahlen und Balken-diagrammen eröffnet werden.• Konventionelle Fragestellung können umgedreht werden.Statt „Wie können wir das Problem lösen?” kann die Fragelauten: „Wie können wir das Problem noch schlimmer machen,die Reklamationsquote noch steigern, noch schneller noch

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mehr Kunden verlieren?” Dadurch fokussiert man das Prob-lembewusstsein.• Metaphern und Analogien können die Arbeit inspirieren.Während einer Sitzung kann man beispielsweise drei Strand-bälle in der Luft kursieren lassen, wobei keiner herunterfallendarf. Nach einer gewissen Zeit diskutieren Sie die Parallelenzwischen der erforderlichen Zusammenarbeit, um neue Ar-beitssituationen zu meistern, und der nötigen Teamarbeit, umdie Bälle in der Luft zu halten.• Schwarze Bretter sollten eingerichtet werden, auf denen diewitzigsten und günstigsten Vorschläge für einen Betriebsaus-flug präsentiert werden.• Büroteams können sich als Gruppen jeweils Spitznamen ge-ben.• Mütter und Väter sollen ihre Kinder bei einem Besuchstagfür Kinder mit zur Arbeit nehmen. Die neuen Eindrücke, In-formationen und Sichtweisen können für das Marketing ge-nutzt werden.• Firmenkameras oder Einwegfotoapparate können bereitge-stellt werden, damit jeder während des Arbeitstages Schnapp-schüsse von amüsanten Ereignissen machen kann.

Neben diesen eher progressiven Anregungen, die das Lachenfördern sollen, gibt es auch dem Yoga ähnliche Übungen undregelmäßige Zusammenkünfte vor Arbeitsbeginn oder in Pau-sen, die immer mehr Anklang und Anwendung finden. „DennLaughter without Reason ist die wahre Lachkunst, wie sie inden Clubs praktiziert wird und die Menschen zu wahren Lach-ausbrüchen stimuliert (...) Es sind allein die über zweitausendJahre alten Atemübungen des Yoga, die mit pantomimischenEinlagen ergänzt und durch permanente Wiederholung zuerstzu einem zaghaft künstlichen, dann aber zu echtem, intensi-vem Lachen führen.”243 Diese Übungen wurden vor etwa 10Jahren mit dem Ziel, das Lachen zu fördern, angeregt und an-gewandt von dem indischen Arzt Madan Kataria, der als Pio-nier des Hasya-Yoga gilt. „Mittlerweile hat die Hasya-Yoga-Bewegung auf dem Subkontinent Millionen Menschen erfasst,

243 Uber, Steiner (2006), S. 76f

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und das auch an zunächst unerwarteten Orten. So beginnt ineinigen Fabriken in Bombay das Tagwerk mit halbstündigenLachyoga-Übungen, in etlichen Schulen startet der Unterrichterst, nachdem sich die Kinder fünfzehn Minuten lang richtigausgelacht haben. >Die Schüler kommen frühmorgens pünkt-lich zur Schule, weil sie lustig beginnt, und später während desUnterrichts sind sie weit weniger zappelig und höher konzent-riert<, wissen die Lehrer und Lehrerinnen von den positivenNebeneffekten des Lachyoga zu berichten.”244

Diese Form des Yogas wird mittlerweile auch in Deutschlandpraktiziert und gerade im beruflichen Bereich propagiert. Die'Management by Laughter'-Trainerin Anke Möhlmann lehrt inihrem Seminar 'Erfolgsfaktor - Humor und Lachen' die Technikdes Hasya-Yoga.245 Dabei vermittelt sie zunächst den theore-tischen Zusammenhang zwischen Lachen, Humor, Motivation,Freundlichkeit und Erfolg. Dann löst sie bei den Teilnehmernmit dynamischen Atemübungen Verspannungen und Blocka-den.Spezielle Lachtechniken und Tricks für die tägliche Praxis die-nen dazu, den Zugang zum Lachen durch die Auslösung einesnatürlichen Reflexes zu erleichtern. Auch der 3. Deutsche Hu-morkongress vom 15. bis 17. Oktober 2004 in Essen widmetesich in Vorträgen dem Thema Lachyoga. Sowohl der philoso-phische Hintergrund als auch praktische Übungen wurden vonGundula Steiner-Junker, der Leiterin des Yoga LachzentrumsDeutschland und der Initiatorin der 'Lachbewegung Deutsch-land', vorgestellt.„Unterstützung für diese spirituelle Sicht des Lachens kommtmittlerweile auch von der Naturwissenschaft: >Lachyoga (...)ist ein Training, bestimmte Systeme im Gehirn zu aktivieren,die einen heiter, zufrieden und glücklich machen.<”246

7.4.4 Innovations- und Kreativitätstechniken, die Humor nutzen

244 ebd., S. 81245 vgl. http://www.lach-training.de/seminare.htm246 Uber, Steiner (2006), S. 83

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Wir haben gesehen, dass Humor die Kreativität beflügelt undin schwierigen, festgefahrenen Situationen hilft, neue Strate-gien zu finden, da das problemlösende Denken mit ungewöhn-lichen Assoziationen angeregt werden kann. Unter den 18Vorschlägen, die wir oben aus der Empfehlungsliste der Ho-mepage www.visionintoaction.de zitierten, waren auch einigeAnregungen, Humor dahingehend zu nutzen.„Humor ist das Verlassen eines Musters und das Hinüber-wechseln in ein anderes. Humor ist aber auch die Humanisie-rung des Alltags, wie Thomas Mann meinte. Bei einem Witzzwingt Sie die zweifache Bedeutung eines Wortes oder Satzesdazu, das Denkmuster zu wechseln. (...) Das Prinzip des Um-strukturierens ist das Grundprinzip kreativen Querdenkens.”247

Im Folgenden werden einige erprobte Kreativitätstechnikenvorgestellt, bei denen Humor als 'Katalysator' genutzt wird,um ungewöhnliche Ideen zu generieren.Die Grundidee des Humoreinsatzes bei Kreativitätstechniken isteinfach: Es werden Assoziationen erzwungen, die von skurri-len oder absurden Themen oder Worten ausgehen. Selbstleichte Modifikationen der Ursprungsfrage erzeugen diese Wir-kung. Der amerikanische Werbefachmann und Autor Alex F.Osborn, der als Erfinder des 'Brainstormings' gilt, hat eine sehreinfache Checkliste entwickelt, die diese Modifikationen erzeu-gen helfen.248 Die 1957 erstmals veröffentlichte Liste dientals Anleitung zu angewandtem Einfallsreichtum bei der syste-matischen Generierung von neuen Produkten und Prozessenund besteht aus einer Reihe von Worten wie 'vergrößern, ver-kleinern, ersetzen, neu anordnen, umkehren und kombinieren'.Die vorgegebene Methodik soll Anregungen geben und dieVorstellungskraft beflügeln.Eine ganz ähnliche Vorgehensweise benutzen übrigens Kari-katuristen oder Parodisten. Durch geringfügige Übertreibung,Hervorhebung und Akzentuierung werden Details deutlich undsignifikante Unterscheidungsmerkmale herausgearbeitet. Diese

247 Simon (2001), S. 148248 vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Osborn-Checkliste

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auf wenige Merkmale reduzierte Typisierung genügt für eineWiedererkennung, die zudem hohen Unterhaltungswert hat.An einem Beispiel soll diese Methode illustriert werden. Auf-gabenstellung ist, dass einige Neuerungen beim Catering einerVeranstaltung eingeführt werden sollen, um die langweiligeRoutine zu durchbrechen. Die oben genannte Checkliste führtzu möglichen Alternativen: Das Wort 'vergrößern' führt zu derIdee, Riesengemüse und Obst zu präsentieren, indem aus klei-nen Portionen optisch große Dekoeinheiten geformt werden.Mit dem Wort 'verkleinern' kann assoziiert werden, wenigerkalorienreiche Lebensmittel zu verwenden. Die Worte 'neu an-ordnen' inspirieren dazu, das Buffet nicht konventionell nachSalaten, Vorspeisen, Hauptgerichten und Dessert anzuordnen,sondern alphabetisch, nach Farben oder nach Kalorien.

Checklisten und stichwortgebende Assoziationshilfen könnennatürlich von vornherein humorvoller sein als die, die Osbornempfiehlt. Je themenfremder die Liste ist, umso verblüffendereErgebnisse werden erzielt. Beispielsweise können Inhaltsver-zeichnisse von Zeitschriften verwendet werden, oder zufälligaus irgendwelchen Büchern aufgegriffene Begriffe. Das Bran-chenbuch der Post kann genauso ein Ideengenerator sein wieReisekataloge oder einfach die Buchstaben eines Wortes ausder Problemdefinition.Gerade weil diese Technik nicht sofort zu dem führt, was manals Lösung eigentlich sucht, setzt sie eine ungewöhnliche I-deenproduktion in Gang. Gerade der Versuch, eine Verbindungzwischen zwei ursprünglich unabhängigen Begriffen oderThemen zu erzwingen, lässt neue Produkte oder Ideen entste-hen.Diese Methode entspricht einer unserer Definitionen von Hu-mor, die das Zusammentreffen unabhängiger Sinnbereichepostuliert. Mickey-Maus-Uhren oder elektrische Büchsenöff-ner-Entsafter-Kombinationen sind beispielsweise Ergebnissevon erzwungenen Verbindungen; — oder ein Restaurant ausEisenbahnwagen. Daraus sind die Gaststätten der LondonerVictoria Station hergestellt.Erzwungene Verbindungen entstehen normalerweise zufällig.Sie lassen sich aber auch 'mechanisch' erzeugen: Man kann

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zum Beispiel eine Schachtel mit 'Ideenanregern' anlegen. Hu-morvolle Assoziationen und abwegige Nutzungszwecke oderAnwendungsgebiete für vorhandene Produkte können dabeiverblüffende Eigenschaften eines Gegenstands aufzeigen, diedann tatsächlich vermarktbar sind und neue Zielgruppen an-sprechen. Die Aufmerksamkeit wird dabei gezielt auf jede ein-zelne Produkteigenschaft gerichtet, um so neue Anwen-dungsideen zu kreieren. Der Vorteil dieses Ansatzes liegt darin,dass er hilft, aus gewohnten Denkmustern auszubrechen. DieIdeen, die aus dieser Brainstorm-Methode hervorgehen, sindoft nur der Ausgangspunkt für den anschließenden kreativenProzess. Meistens ist eine große Zahl von Versuchen, Verfei-nerungen und Weiterentwicklungen nötig, bis schließlich einebrauchbare Idee geboren ist.

Schnapsideen und 'verrückte Einfälle' sind Gedanken, und Ge-danken sind flüchtig. Wer sie nicht festhält, wird einen Groß-teil wieder vergessen oder sie keinesfalls zur Einführungernstzunehmender Innovationen weiterverfolgen. Es gibt an-dererseits keine Methode, vorherzusagen, wann einem Ideendurch den Kopf schießen werden. Deshalb ist der einzige Weg,den Verlust zu verhindern, immer vorbereitet zu sein. An Ar-beitsplätzen sollten deshalb immer Notizbücher oder Kartei-karten liegen, die dazu einladen, diese Schnapsideen oder an-dere humorvolle Ideen schriftlich festzuhalten, sobald sieauftauchen. Sobald man anfängt, Humorvolles, Verrücktes,Abwegiges aufzuschreiben, verinnerlicht man auch, dass I-deen, die zum Lachen sind, nicht lachhaft sein müssen bei derEntwicklung neuer Gedankenansätze. Niedergeschriebene I-deen bringen zudem beim erneuten Lesen abermals neue Ideenhervor.Wie bei allen kreativen Phasen gilt, dass die Entstehung neuerIdeen durch den Verzicht auf Bewertungen gefördert wird.Neue Ideen zu entwickeln und sie gleichzeitig nach Güte zuklassifizieren, schränkt den Ideenfluss ein. Humor und Albern-heiten sollen ja gerade dazu führen, den 'inneren Zensor' aus-zuschalten und auch Unausgegorenes zu kommunizieren. Ur-teile über den Wert der Ideen sollten erst gefällt werden, wenndie Kraft zur Ideenproduktion erschöpft ist. Die Anzahl der

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Ideen kann so gesteigert werden, und je mehr Ideen vorgelegtwerden, desto größer ist die Aussicht, dass eine hervorragendedarunter ist. Als innovativ und bahnbrechend kann dabei alldas gelten, das wirklich Neuland für das Denken bedeutet. Hierwird die Nähe zum Humor und zur Komik offensichtlich: „AlleKomik entspringt einem gemeinsamen Bedürfnis, dem nachVeränderung, Verunstaltung, Negierung, Aufhebung der Rea-lität, alle Komik hat ein einziges Ziel, das der vollständigenÜberwältigung des Gegenüber. (...) Dabei scheint anfangs allesganz einfach: Komisch ist das, worüber ich lache. Wie jedeLust aber ist auch die Lachlust doppelgesichtig: Das Ziel istimmer das gleiche, doch der Weg muss nach Maßgabe derMöglichkeiten wechseln.”249

Von der Komik kann man also lernen, wie man steten Wandelmit hohem Überraschungseffekt erzeugt.

249 Gernhardt (1988), S. 464f

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8. Resümee

Wenngleich das Lachen, wie in den ersten Kapiteln gezeigt,universell für den Menschen ist, unterscheiden sich Wirt-schaftsorganisationen in ihren "Lachkulturen". Es wird nichtmit gleicher Selbstverständlichkeit und Häufigkeit gelacht.Noch heute gibt es Gesellschaften, in denen öffentliches La-chen verpönt ist. Und dies scheint auch für viele Unternehmenzu gelten. Wo Hierarchien existieren, unterliegt das Lachenauch der gesellschaftlichen Disziplinierung. Genau darin liegtdas Hemmnis für die Entwicklung einer Humorkultur. Das E-galisierende des Lachens durchbricht Respekt und Untertänig-keit. Das Lachen des Untergebenen wird vom Vorgesetzten alsrespektlos empfunden und umgekehrt fürchtet der Vorgesetzte,durch sein haltloses Lachen an Autorität zu verlieren. „Unge-niertes Lachen können sich nur die leisten, die entweder kei-nen Status zu verlieren haben oder so hoch stehen, dass sienicht zu befürchten brauchen, vor irgendwem das Gesicht zuverlieren.”250 Ansonsten hat der unkontrolliert Lachende mitseinem Statusverlust zu rechnen. Trotz der vielen vorgebrach-ten Gründe, die für ein humorvolleres Miteinander im Ge-schäftsleben sprechen, scheint es deshalb auch unvereinbareGegensätze zwischen Erheiterndem und Erwerb zu geben. DasKomische greift Regeln an, gibt Normen der Lächerlichkeitpreis. Komisch sein heißt schamlos, taktlos, rücksichtslos sein.Oder, wie der amerikanische Komiker Mel Brooks sagt: „Gehtes um Komik, kriegt jeder was ab.”251

„Haben die Komiker nicht etwas von Kötern oder Aasgeiern?Von schamlosen Schmarotzern, die, tausendmal verscheucht,sich immer wieder dort einfinden, wo sie Macht und Kraft,Sinn und Glanz, Ernst und Kult wittern, um entweder begierigdas Kraftlose, Sinnlose, und Lästerliche auszuspähen und esniederer Lächerlichkeit preiszugeben oder aber um - Gott sei'sgeklagt! - mit dem Ernst des Lebens versöhnen und für ihnkräftigen soll, ganz gleich, worüber sie lachen, ob es sich nun

250 Gelfert (1998), S, 24251 zit. nach Gernhardt (2000), S. 446

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um einen Bunten Höhlenabend, ein Mittelalterliches Fast-nachtspiel oder ein Modernes Telequiz handelt.”252

Das Komische wird von denen, die Macht haben und im Sys-tem ganz oben sitzen, gering geschätzt, aus Sorge, dass Werteund Wahrheit in Gefahr seien, - „wo doch feststeht, dass dasKomische zu keiner Zeit und in keiner Kultur der Menschheits-geschichte auch nur mit einem Nebensatz dort zu Wort ge-kommen ist, wo seit alters nun wirklich die Weichen ins Ver-derben gestellt werden, in all den Heiligen Schriften nämlichund all den Gesetzestexten, all den Heldensagen und all denSpeisevorschriften, all den Besteuerungssystemen und all denWeltbildern.”253

Gerade in Deutschland galt und gilt das Sprichwort „Am La-chen erkennt man den Narren”. Nur der durfte frei heraus la-chen, da er als Hofnarr quasi eine 'Lachlizenz' eines Herrschersals Legitimation dazu hatte. Ansonsten mussten und müssendie einen nach oben hin Respekt erweisen und die anderennach unten hin Autorität darstellen.Insofern sehe ich keine etablierten Humorbereiche im Wirt-schaftsleben. Die Organisationsentwicklung sowie Qualifizie-rungs- und Förderungsmaßnahmen von Mitarbeitern erfolgenmeist entweder intuitiv oder nach allgemeinen Weiterbil-dungsmodellen, wie fachliche Fertigkeiten vermittelt werdenkönnen. Die humorvollen zwischenmenschlichen Facettenwerden dabei nur ungenügend abgebildet und Humor als un-erschöpfliche Quelle für Entwicklungs- und Kreativitätspoten-ziale meist außer Acht gelassen.Obwohl der Humanfaktor in neuerer Zeit mehr Beachtung fin-det, fehlt derzeit ein systematischer Ansatz zur Analyse vonEinflussgrößen des Humanfaktors, die zur Steigerung des Un-ternehmenserfolgs führen. Insofern wird meines ErachtensHumor als ein Aspekt des Humanfaktors im Kontext der Zu-kunftsfähigkeit von Unternehmen unterschätzt.Eine Kosten-/Nutzenbetrachtung und darauf aufbauend einegezielte Unternehmensberatung über die Chancen des Humor-einsatzes als Steuerungsinstrument ist mangels fehlender Da-

252 Gernhardt (2000), S. 451253 ebd. S. 452

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ten derzeit nicht möglich. Zwar gibt es, vor allem aus Amerika,Bücher und Beispiele von erfolgreich gelebter, humorintensiverUnternehmenskultur. Aussagefähige Experimente oder Studien,die die Auswirkungen einer Humorkultur oder Korrelationenzwischen Humor und Arbeitsleistung oder Arbeitsqualität un-tersuchen, allerdings nicht.Ob jeder Führungskultur und jedem Unternehmen eine Hu-morkultur empfohlen werden kann, die Akzeptanz findet,bleibt derzeit damit unbeantwortet. So verfehlen derzeit An-sätze verschiedener "Humorkulturen" möglicherweise ihreWirkung. Dennoch wollte ich mit der Auflistung von exem-plarischen Beispielen in Kapitel 7 Entwicklungsmöglichkeiteneiner Humorkultur aufzeigen. Denn anders als im medizini-schen oder therapeutischen Bereich besteht im Wirtschaftsle-ben Nachholbedarf, was die Auseinandersetzung mit denMöglichkeiten von Humor anbelangt.Journalistisch scheint das Thema Humor im Businessbereichmittlerweile 'salonfähig' geworden zu sein. Fand man vorJahrzehnten in der Wirtschaftspresse zwar Cartoons und Wit-ze, aber keine redaktionelle Auseinandersetzung mit dem The-ma Humor, so stößt man heute immer häufiger auf Artikel ü-ber den Wert des Lachens im Berufsalltag. Auch die Zahl derjährlich neu erscheinenden Bücher zum Thema hat in denletzten Jahren deutlich zugenommen.Das Thema Humor wird auch von Managern nicht 'ganz linksliegen gelassen', was die Zahl an Neugründungen von Humor-Dienstleistern wie Humor-Trainern und Unternehmenstheaternzeigt. Doch die Tatsache, dass Unternehmen punktuell Humor-berater, Kabarettisten oder auf Unternehmenstheater speziali-sierte Schauspieler für ihre Zwecke einspannen, darf nicht dar-über hinwegtäuschen, dass Humor in den Köpfen von Machernund Entscheidern keineswegs als strukturell zu verankernderTeil einer Unternehmensphilosophie gesehen wird. Hier gilt invielen Firmen noch die Devise „Erst die Arbeit, dann derSpaß!”Doch anders als für so manche Managementmodelle, die gera-de im Trend liegen, sehe ich für den Humor im Wirtschaftsle-ben eine langfristige Perspektive: Der Witz überlebt auchschlechte Zeiten. Humor ist gerade für schwierige Situationen

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im Wirtschaftsleben ein wirkungsvolles Ventil, um Frust, Be-lastungen und Stress abzubauen. „Langsam beginnt man auchbei uns zu begreifen, wie wichtig Humor als Fähigkeit ist -sowohl im Sinne der sozialen Kompetenz als auch als Anti-Stress-Strategie (also als Prävention von Stress-Schäden) undim Sinne von Heiterkeit als Heilungs-Prozess!”254 Das sagtVera Birkenbihl, eine der einflussreichsten Businesstrainerin-nen und Management-Coachs in Deutschland.Es macht sich auch die Erkenntnis breit, dass das postindus-trielle Zeitalter andere Werte braucht als es zum Aufbau einerIndustrienation bedarf. Nicht Fleiß und Anstrengung, sondernFlexibilität und Anpassung sind nun gefragt. „Simply workingharder and longer doesn't solve our small-scale problems to-day.”255 Enthusiasmus, Empathie und Risikobereitschaft stattder Befolgung simpler Arbeitsanweisungen sind in einerDienstleistungsgesellschaft die wichtigeren Erfolgsrezepte. DasHuman-Kapital eines Unternehmens ist somit einer der ent-scheidenden Faktoren für anhaltenden Erfolg.Wie viele Unternehmen klagen aber darüber, dass ihre Mitar-beiter zu wenig motiviert sind! Das Schlagwort der 'innerenKündigung' nimmt immer breiteren Raum in der Personaldis-kussion ein. So bewarb der Deutsche Manager-Verband e.V.eine Veranstaltung im Jahre 2006 zu dem Thema 'Warum wirFührung völlig neu überdenken müssen' mit folgendem Einla-dungstext: „Forschungen haben bewiesen: Je wohler sich einMitarbeiter im Unternehmen fühlt, je mehr Freude er hat, destoleistungsfähiger ist er. Doch sieht es in deutschen Unterneh-men in den letzten Jahren eher umgekehrt aus. Laut der Gal-lup-Studie haben gerade einmal 12% aller Deutschen Spaß anihrem Job, 70% tun nur das Nötigste und 18% haben innerlichbereits gekündigt.”256 Dies gilt für alle Hierarchiestufen.Mehr denn je suchen Mitarbeiter nach Identifikationspotenzi-alen. Sie möchten stolz auf Ihr Unternehmen sein, - dann i-dentifizieren sie sich auch mit ihrer Arbeit. Es ist ein Unter-schied, ob man beispielsweise einfach nur Autos baut oder ob

254 Birkenbihl (2001), S. 99255 Morreall (1997), S. 9256 vgl. www.dmvev.de/html/rueckblick_mgrevent.shtml

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man „bei Daimler schafft“. Attraktivität heißt nichts anderesals Anziehungskraft. Ob es nun Mitarbeiter sind oder Vertreterder Presse oder Kunden - sie alle werden durch ein positivesImage angezogen. Je positiver, lösungsorientierter und fröhli-cher das Bild ist, das man nach außen bietet, umso stärkerwird diese Anziehungskraft sein. Und hier kommt dem Humoreine tragende Rolle zu. Humor gilt nämlich nicht nur bei Per-sönlichkeitseigenschaften als attraktiv und anziehend, sondernauch als Attribut einer Unternehmenskultur.Und schließlich gilt, was Thomas Holtbernd in seinem Artikel'Lebenskunst und Humor im Management' schreibt: „Selbstwenn der ökonomische Gewinn des Humors im Unternehmenquantitativ nur sehr schwer oder kaum zu erfassen ist, hat esmit Humor mehr Spaß gemacht. Humor macht die Arbeit nichtleichter, aber lebendiger und freudvoller.”257

Was kann die Soziologie zu dem Thema noch beitragen? DieErwartungen könnten gering sein, gerade von anderen Geis-teswissenschaften, die Humor im Blickfeld haben: „Man hatgemeint, dass Soziologie und Humor viel gemeinsam haben,ja, dass sie kongenial seien, da beide auf eine Relativierungder unreflektierten Routinen des Alltagslebens zielen, indemsie jene einer genaueren Untersuchung unterwerfen. Doch fehltder mainstream-Soziologie fast völlig die Ausgelassenheit, derWitz, die Phantasie und der Sinn für kulturelle Kritik. In Alp-träumen von Ethnologen erscheinen Soziologen oft als dump-fe, rüpelhafte, herrische Fieslinge, die das Offensichtliche er-klären.”258

Oft muss man aber das Offensichtliche erklären, da es sonstnicht wahrgenommen wird. Das war für mich die Motivationfür diese Untersuchung. Ausgehend von der Erkenntnis alsKabarettist, dass Humor in Wirtschaftsunternehmen positiveVeränderungen auslösen kann, beschäftigte ich mich intensi-ver mit der Frage, welche Möglichkeiten Humor in Unterneh-men noch bietet. Die gewonnenen Erkenntnisse bestärkenmich, mit der Arbeit fortzufahren. Ich bin dankbar dafür, die

257 www.humorcare.com/informationen/texte/lebenskunstundhumor.html258 Driessen, H.: Humor, Lachen und die Feldforschung: Betrachtungen aus dem Blickwinkel derEthnologie. In: Bremmer; Roodenburg (1999), S. 172

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Möglichkeit geboten bekommen zu haben, das Thema soziolo-gisch anzugehen. Denn Wissenschaft schafft Wissen, - in denKöpfen von Managern glaubwürdiger als es derzeit Humorvermag.

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Zusammenfassung

Lachen hat positive Wirkung nicht nur für den einzelnenMenschen, sondern auch in Wechselwirkung mit Anderen undauf komplette Organisationen. Dies belegen zahlreiche Stu-dien. Ausgehend von dieser Erkenntnis stellt sich die Frage,welchen Stellenwert Humor im Wirtschaftsleben hat. Dabeisteht am Anfang der Untersuchung die historische Entwick-lung des Begriffes Humor und die geisteswissenschaftlichenDefinitionen und Analysen, um vor diesem Hintergrund dieheutige Bedeutung einschätzen zu können. Auch wenn dieGrenzen und Gefahren von Humor berücksichtigt werden, ü-berwiegen aufgrund der psychischen und physischen Effektedes Lachens die Chancen, die Humor im Beruf mit sich bringenkann. Die Auswertung von Dokumenten aus dem Arbeitslebenwie Stellenanzeigen, Qualitätshandbücher, Arbeitszeugnisseund Werbeunterlagen lässt jedoch den Eindruck entstehen,Humor habe nur eine geringe Bedeutung in der deutschenWirtschaft. Drei ausgewählte Fallbeispiele sollen deshalb zei-gen, dass Humor zielgerichtet eingesetzt bei der Erreichungvon Unternehmenszielen hilfreich sein kann. Der Autor ist alsKabarettist seit über 10 Jahren mit seinem Lachverstand fürFirmen tätig und lässt seine Beobachtungen aus Besprechun-gen, Werksbesichtigungen und Auftritten in diese Beispieleeinfließen. Dennoch wird selbst bei diesen Fällen klar, dassHumor nicht strukturell als integrierte Managementmaßnahmeeingesetzt wird. Im letzten Teil der Arbeit werden deshalb wir-kungsvolle Möglichkeiten vom Führungsverhalten bis hin zurindividuellen Gestaltung des Arbeitsplatzes vorgestellt und zueiner idealtypischen Humorkultur zusammengefasst, um ver-mehrtes Lachen in Firmen anzuregen und zu fördern.

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Das ist ja wohl das Allerletzte:“Ich schreibe eine Doktorarbeit!Ich schreibe eine Doktorarbeit!”ruft ein Hase fröhlich durch den Wald hüpfend.Ein Wolf schleicht sich heran. „Was ist denn das Themadeiner Doktorarbeit, Häschen?”, fragt er.„Die geistige Überlegenheit der Hasen über die Wölfe”,antwortet der Hase.„Ich zeige dir gleich meine geistige Überlegenheit”ruft der Wolf wutentbrannt und springt ins Gebüsch –dem Hasen hinterher. Die Geräusche eines heftigen Kampfessind zu vernehmen. Plötzlich wird es ruhig.Nach wenigen Minuten kommt der Wolf hervorgekrochen –mit eingezogenem Schwanz, eingerissenem Ohr,das Fell ganz zerzaust. Hinter ihm erscheint ein riesiger Bär.Zufrieden legt er seine großen Tatzen auf den Bauch und brummt:„Das Thema einer Doktorarbeit ist nebensächlich –auf den Doktorvater kommt es an!”.