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Bauten und Projekte Bemessung und Konstruktion Forschung und Entwicklung Bauprodukte und Bauarten Glasbau 2016

Glasbau 2016 - Weller, Bernhard/Tasche, Silke

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Das vorliegende Buch beschreibt in zahlreichen Beiträgen namhafter Autoren den aktuellen Stand der Technik im konstruktiven Glasbau. Die Planung und die Ausführung wegweisender Glasarchitektur werden ausführlich erläutert, die Bemessung und die Konstruktion tragender Glasbauteile praxisgerecht erklärt. Die Optimierung zukunftsfähiger Gebäudehüllen wird in gleicher Tiefe behandelt wie die energetische Sanierung denkmalgeschützter Fassaden. Nicht zuletzt vermitteln die jüngsten Ergebnisse anerkannter Forschungseinrichtungen einen zuverlässigen Einblick in die Leistungsfähigkeit des gesamten Glasbaus.

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Bauten und ProjekteBemessung und KonstruktionForschung und Entwicklung Bauprodukte und Bauarten

Glasbau 2016

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Etwa fünfunddrei ig Fachaufsätze im diesjährigen ahrbuch zeugen vom stetigenFortschritt auf den Gebieten des konstruktiven Glasbaus und der FassadentechnikGanzglasfassaden, ihre Gestaltfindung und Formoptimierung sowie die Umsetzungals effiziente und nachhaltige Gebäudehüllen geh ren zu den wichtigsten Themen

er aktuelle Stand der Normung wird sowohl auf nationaler Ebene zur IN 18008als auch auf europäischer Ebene zum Eurocode von den eitern der entsprechen-den Ausschüsse vertieft Ein prüffähiges Beispiel zur Bemessung und Konstruktionvon Verglasungen nach dem neuen Teil 6 der IN 18008 dient der Glasbau-Praxis

er Teil Bauten und Projekte zeigt in diesem ahr den Glasbau im Spannungsfeldder M glichkeiten üngste Beispiele herausragender Glasarchitektur, die im gestal-terischen Anspruch und in der konstruktiven urchbildung beschrieben werden, do-kumentieren aktuelle Projekte von der visionären Idee bis zur gebauten Realität

er Teil Bemessung und Konstruktion diskutiert neue Bemessungsvorschläge fürpunktgestützte und geklebte kaltverformte Verglasungen üngste Forschung zurGlaskantenfestigkeit sowie zur Glasklemmung ist Gegenstand der iskussion erEinfluss von Bauwerksverformungen auf die Fassadenkonstruktion wird untersucht

er Teil Forschung und Entwicklung berichtet über konstruktives Fügen und Ver-binden von geklebten Strukturen über innovative Hybridbauteile bis hin zum Ein-satz neuer Materialien Besonders hingewiesen sei hierbei auf die schaltbaren Ver-glasungen und aktuellen Entwicklungen bei der gebäudeintegrierten Photovoltaik

er Teil Bauprodukte und Bauarten wird in diesem ahr neu eingeführt und hierzum ersten Mal vorgestellt Einem Wunsch der Planer folgend werden in diesem Teildes Buches innovative Produktentwicklungen aufgezeigt und im Kontext anspruchs-voller Projektausführungen in ihren wesentlichen etails dargestellt und erläutert

en Autoren, die ihr Wissen oft neben dem Tagesgeschäft mit viel Einsatz formulie-ren, ein herzliches ankesch n Vielen ank sagen wir den Mitgliedern des Wissen-schaftlichen Beirates für die Anregungen und Wertungen Gro er ank gilt FrauStürmer und Herrn Velasco bei Ernst Sohn für verständnisvolle Zusammenarbeit

Abschlie ender ank gebührt dem Bundesverband Flachglas e V ebenso wie demFachverband Konstruktiver Glasbau e V , die Forschung und Entwicklung im Glas-bau ma geblich anregen und vorantreiben Beide Verbände haben auch dieses Maldie rucklegung des Glasbau ahrbuches in jeder Hinsicht mit Nachdruck gef rdert

Prof r -Ing Bernhard Wellerr -Ing Silke Tasche

resden, März 2016

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V

Bauten und ProjekteLeistung und Ästhetik – der Weg zu innovativen Gebäudehüllen . . . . . . . . . 1Manfred Grohmann, Daniel Pfanner

Glashochhaus – Die architektonische Vision der gläsernen Hüllebleibt Realität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11Wolfgang Priedemann, Paul-Rouven Denz

Geometrie, Topologie und Formoptimierung transparenter Schalen . . . . . . . 19Hans Schober, Hiroki Tamai

Vom Bieten zum Bauen – Transparenz im Spannungsfeld von Marktund Machbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33Hans Frey

Pavillon mit aussteifender Holz-Glas-Verbundfassade . . . . . . . . . . . . . . . . . 47Felix Nicklisch, Sebastián Hernández, Maximilian Schlehlein, Bernhard Weller

Neue Z3-Fassade in Stuttgart – Lastabtragend geklebtePhotovoltaik-Verbundverglasung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63Christof Erban, Jens Oman, Robert Hecker, Christian Popp

Bemessung sphärisch gebogener Isolierglasscheiben am Beispieldes Kasachstan – Pavillons der Expo 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75Lisa Heinze, Mascha Baitinger, Christian Wolkowicz

Transparenz – Wohin mit den Kräften am Beispiel Columbia UniversityMedical School . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87Felix Schmitt

Nachhaltige Gebäudehüllen – Update 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101Winfried Heusler

Bemessung und KonstruktionAktueller Stand der Glasnormung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113Geralt Siebert

Verglasungen nach E DIN 18008-6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121Michael Engelmann, Felix Nicklisch, Jan Ebert, Bernhard Weller

Ein neues Verfahren zur Bemessung von punktgestützten Verglasungen . . . 133Matthias Seel, Geralt Siebert

Beiträge mit Bezug zu Energieeffizienz und Nachhaltigkeit sind im Inhaltsverzeichnis farbiggekennzeichnet.

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VIII

Untersuchung zur Kantenfestigkeit von Floatglas in Abhängigkeitder Kantenbearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149Jonas Kleuderlein, Frank Ensslen, Jens Schneider

Integration von Plusenergie- und Gebäudetechniksystemenim Glasfassadenbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161Khaled Saleh Pascha, Vitalija Saleh Pascha

Bauwerksintegrierte Photovoltaik – Details im Fassadenbau. . . . . . . . . . . . 173Dieter Moor

Aspekte experimenteller und numerischer Untersuchungen vonKlemmhalterungen im Glasbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183Christian Kelleter, Michael Drass, Walter Haase, Werner Sobek, Jens Schneider

Bemessung elastischer Klebefugen in kaltverformten SSG-Einheiten . . . . . 197Florian Doebbel

Einfluss von Bauwerksverformungen auf Fassadenkonstruktionen aus Glasam Beispiel der ETA-Fabrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207Andreas Maier, Jonas Kleuderlein, Jens Schneider

European Structural Design of Glass Components – Hinweise zureuropäischen Normung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219Markus Feldmann, Ruth Kasper, Pietro Di Biase

Forschung und EntwicklungGanz entspannt – Ein neuer Ansatz bei Isolierglas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231Franz Feldmeier

Entwicklungen zur Anwendung faseroptischer Sensoren für dieSpannungsmessung in Glaslaminaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239Thiemo Fildhuth, Jan Knippers

Entwicklung eines linearen Verbindungsdetails für Faltwerke aus Glas . . . . 253Christian Schranz, Stefan Marinitsch

Fassadenintegration von Dünnschicht-Photovoltaik-Paneelenmit rückseitigem Latentwärmespeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265Bernhard Weller, Sebastian Horn, Dennis Thorwarth, Julia Seeger,Marc-Steffen Fahrion

Komplettcharakterisierung der winkelselektiven Photovoltaik-VerglasungPVShade® . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281Helen Rose Wilson, Wendelin Sprenger, Karoline Fath, Christof Erban,Tilmann E. Kuhn

Potentiale strukturierter, schaltbarer Verglasungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293Walter Haase, Marzena Husser, Werner Sobek

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IX

Experimentelle Untersuchung von verklebten Holz-Glas-Verbund-Trägernunter Kurzzeitbeanspruchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307Alireza Fadai, Matthias Rinnhofer, Wolfgang Winter

Leichte Elementfassade auf Holzbasis zur Modernisierungvon Nichtwohnhäusern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321Jan Tywoniak, Michal Bureš, Martin Volf, Petr Hejtmánek, Jiří Nováček,Antonín Lupíšek

Untersuchung des Tragverhaltens geklebter Glas-Rahmeneckenim Zeitstandversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335Volker Prautzsch, Bernhard Weller

Entwicklung neuartiger Glas-Polycarbonat-Verbundtafeln . . . . . . . . . . . . . . 349Thorsten Weimar, Caroline Böckermann

Adhäsive Verbindungen für punktuelle Befestigungssysteme in Fassadenund Glastragwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361Christiane Kothe, Michael Kothe, Jan Wünsch, Bernhard Weller

Bauprodukte und BauartenFestigkeit emaillierter, thermisch vorgespannter Gläser –Aktuelle Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373Michael Elstner, Iris Maniatis

Systemische Individualität: Schüco Parametric System . . . . . . . . . . . . . . . 387Andreas Fuchs, Stefan Peters, Oliver Hans, Jörg Möhring

Tragverhalten von ESG-Verbundsicherheitsglas mit PVB-Folieund SentryGlas® Ionoplast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399Bernhard Koll, Stefan Hiss, Ingo Stelzer, Malvinder Singh

„Girasole“ – die Sonnenblume – Gebäudehülle der neuen Zentraleder Schweizer SBB in Bern-Wankdorf/CH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409Bianca Panneck, Stefan Hoymann

„Digital Patterns“, Parametrischer Glasdruck für selektive Transparenzin der Gebäudehülle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417Andreas Fuchs, Belen Torres

Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427

Schlagwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429

Keywordverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431

Inserentenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433

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Ganz entspannt – Ein neuer Ansatz bei Isolierglas

Prof. Dr. ranz eldmeier1

1 Hochschule Rosenheim, Hochschulstraße 1, 83024 Rosenheim, Deutschland

Der hermetisch abgedichtete Zwischenraum von Isolierglas bietet entscheidende Vorteile und istdeshalb auch Kennzeichen von Mehrscheibenisolierglas nach DIN EN 1279. Andererseits verhin-dert die Abdichtung einen Druckausgleich mit der Umgebung und die durch Temperatur- und Luft-druckänderung entstehenden Druckdifferenzen können erhebliche Werte erreichen und sogar biszum Glasbruch führen. Bei großen Höhenunterschieden zwischen Herstellung und Einbau wirddeshalb eine Anpassung an den äußeren Luftdruck vor Ort hergestellt. Bei sehr großem Scheiben-abstand, wie er z.B. für die Integration von Sonnenschutz erforderlich ist, sind solche Maßnahmenaber nicht ausreichend. Der Beitrag beschäftigt sich mit den Möglichkeiten eines Druckausgleichsund stellt erste Ergebnisse des ift Forschungsprojekts „Druckentspanntes MIG“ vor.

ompletely rela ed − A new approach to insulating glass. The hermetically sealed cavity ofinsulating glass units offers significant advantages. Therefore, it is the prominent characteristic ofinsulating glass in accordance with DIN EN 1279. The seal prevents a pressure equalization withthe environment. Pressure differences, resulting from temperature and air pressure change, canachieve significant values and even lead to glass breakage. Therefore, for large height differencesbetween production and installation place, an adjustment to the external air pressure is produced onsite. For very big cavities (e.g. for the integration of sunscreens) these measures are not sufficient.The article deals with the possibilities of a pressure equalization and presents the first results of theIFT research project "pressure relaxed MIG".

Schlagwörter: Mehrscheiben-Isolierglas, Druckausgleich

Keywords: insulating glass, pressure compensation

1 Einleitung

Isolierglas, oder genauer Mehrscheiben-Isolierglas (MIG), ist nach Norm „eine mecha-nisch stabile und haltbare Einheit aus mindestens zwei Glasscheiben, die durch einenoder mehrere Abstandhalter voneinander getrennt und im Randbereich hermetisch ver-siegelt ist“. Das so beschriebene Bauprodukt ist heute nicht mehr wegzudenken. Alter-native Konstruktionen wie Verbund- und Kastenfenster wurden schnell verdrängt undwerden nur noch in Sonderfällen eingesetzt. Zuerst stand sicher die einfachere Fenster-konstruktion und Reinigung im Vordergrund, später kam die Möglichkeit hinzu, dieWärmedämmung durch Gasfüllung und korrosionsempfindliche Beschichtungen (softcoatings) wesentlich zu verbessern.

Glasbau 2016. 1.Au age. Herausgegeben von Bernhard Weller, Silke Tasche.2016 Ernst & Sohn GmbH & Co. KG. Published 2016 by Ernst & Sohn GmbH & Co. KG.

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Ganz entspannt – Ein neuer Ansatz bei Isolierglas

Die Nachteile, u.a. eine begrenzte Lebensdauer und die Verformung der Scheiben beiTemperatur- und Luftdruckänderung wurden akzeptiert beziehungsweise ignoriert,offensichtlich überwogen die Vorteile. Die Architektur nutzte die neuen Möglichkeitenund schuf immer größere Glasflächen mit hohen Anforderungen an die Optik der Fassa-den. Und hier traten erste Probleme auf: während US-amerikanische Glasfassaden ausEinfachglas wie Monolithe spiegeln, zeigten Fassaden in Europa deutlich verzerrteSpiegelbilder − Ursache war Isolierglas bzw. der „Isolierglaseffekt“.

Zu Beginn der 1980er Jahre wurde das Problem der klimabedingten Belastung vonIsoliergläsern und deren Folgen in einer Reihe von Veröffentlichungen näher untersucht[1,2,3,4]. Stand zunächst nur die Reflexionsverzerrung als „optischer Mangel“ im Vor-dergrund, nahm das Interesse an den Effekten aufgrund gehäuften Schäden durch Glas-bruch auch bei „kleinen“ Scheiben zu. Obwohl schon in einer ersten Patentanmeldung[5] auf die Problematik hingewiesen wurde und auch in der Folgezeit Lösungen vorge-schlagen wurden und viele Patentanmeldungen erfolgten (stellvertretend für viele ande-re z.B [6]), wurde ein „Druckausgleich“ nur in Ausnahmefällen, z.B. bei großen Hö-henunterschieden, durchgeführt. Entwicklungen wie die Hoch-Isolations-TechnologieHIT [7] in der Schweiz konnten sich nicht durchsetzen und verschwanden bald wiedervom Markt. Schließlich kamen „Spiegel“-Fassaden aus der Mode, das Glasbruchrisikokleiner Scheiben wurde hingenommen und teilweise durch technische Maßnahmenreduziert.

Erst weiter steigende Anforderungen an die Wärmedämmung von Fenstern und Fassa-den haben in letzter Zeit zu einem neuen Nachdenken über „druckentspannte“ Systemegeführt. Fassadensysteme wie CCF [8] oder SCF [9] erfordern aufgrund des großeneingeschlossenen Volumens einen Druckausgleich und auch bei Vierscheiben-Isolierglas mit thermisch optimiertem Scheibenabstand ist ein Druckausgleich sinnvoll.Auch die Einführung der Bemessungsnorm DIN 18008 hat die „Klimalast“ wieder insBewusstsein der Branche gerückt. Bei Dreischeiben-Isolierglas sind übliche Glasforma-te mittlerer Größe statisch nicht nachweisbar, Ausnahmeregelungen wie noch in derTRLV sind nur schwer zu begründen.

Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf das Forschungsvorhaben „Untersuchun-gen zur Umsetzbarkeit von druckentspanntem Isolierglas“, welches am ift Rosenheimdurchgeführt und 2015 abgeschlossen wurde [10].

2 Druckangepasst oder dauerhaft druckentspannt

Je größer der Scheibenzwischenraum, desto größer wird bei nderung von Luftdruckoder Temperatur die Belastung auf Glas und Randverbund. Damit ist die Bautiefe vonkonventionellem lsolierglas konstruktionsbedingt beschränkt. Ein permanenter Druck-ausgleich zwischen Scheibenzwischenraum und der Umgebung würde diese Beschrän-kungen aufheben und folgendes ermöglichen:

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3 Simulation des Drucks und der Feuchteaufnahme

– Leichtere Integration unterschiedlicher Bauteile in den Scheibenzwischenraum wiez.B. Blend-/Sicht-/Sonnenschutzsysteme, aber auch dekorative Elemente.

– Weitere Reduzierung des Wärmedurchgangskoeffizienten durch Multischeiben-Isolierglas.

– Verbesserung der Luftschalldämmung durch größere Scheibenzwischenräume.– Größere Bautiefe und Verringerung geometrischer Wärmebrücken zum Baukörper.– Mögliche Reduzierung der Glasdicken durch verminderte „klimabedingte“ Verfor-

mung.

Bei Druckanpassung wird dagegen nur einmalig der Innendruck auf die Ortshöhe desEinbauortes eingestellt. Dies kann durch ein ffnen des Scheibenzwischenraums amEinbauort mit Hilfe unterschiedlicher Techniken oder bereits bei Herstellung durch eineentsprechend druckgesteuerte Gasfüllung erfolgen. Da der Scheibenzwischenraum her-metisch verschlossen wird, erfüllen diese lsoliergläser die Norm EN 1279 [11]. Im Fo-kus der Untersuchung stand die technische Umsetzbarkeit einer Druckanpassung unterüblichen Fertigungs- und Einbaubedingungen, sowie die Dauerhaftigkeit und Gasdicht-heit der Abdichtung. Auf die Ergebnisse zur Druckanpassung wird im folgenden nichtweiter eingegangen.

3 Simulation des Drucks und der Feuchteaufnahme

Dauerhaft druckentspannte Systeme tauschen bei Temperatur- oder Luftdruckänderungpermanent Luft mit der Umgebung aus und fallen daher nicht in den Anwendungsbe-reich von EN 1279. Die mit dem einströmenden Luftvolumen transportierte Feuchtewird vom Trocknungsmittel gebunden und bestimmt zusammen mit der Gesamttrock-nungskapazität die Lebensdauer. Es ist daher wünschenswert, den Volumenstrom sogering wie möglich einzustellen, jedoch ausreichend groß für einen Druckausgleich.

Hierzu wurde im Rahmen des Forschungsvorhabens ein physikalisches Rechenmodellzur Simulation des Druckverlaufs im Scheibenzwischenraum und der damit verbunde-nen Feuchteaufnahme entwickelt. Eine Optimierung des Volumenstroms ist durch Vari-ation der Kapillarabmessung bzw. der Eigenschaften eines (hypothetischen) Ventilsmöglich. Bild 3-1 zeigt exemplarisch den Temperaturverlauf im Scheibenzwischenraumfür zwei Sommertage und darunter den simulierten Druckverlauf für ein geschlossenesSystem sowie für ein System mit Ventil mit einer ffnungscharakteristik vonplus/minus 3 Pascal bzw. einer gleichwertigen Kapillare. Bei beiden Systemenschwankt der Druck um 0 Pascal, da wegen des Strömungswiderstandes ein instantanerDruckausgleich nicht stattfindet, während ein System mit großer ffnung sich kurzfris-tig ins Gleichgewicht stellt, dabei aber die größere Feuchtemenge aufnimmt. Tabelle 3-1 zeigt die Simulationsergebnisse der kumulierten Feuchteaufnahme der vier Systeme.Da das Ventil erst bei Überschreitung des Schwellendrucks öffnet zeigt es insgesamt diegeringste Feuchteaufnahme.

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Bild 3-1 Simulation der thermisch induzierten Druckdifferenz.

Tabelle 3-1 Ergebnis der Simulation, maximale Druckdifferenz und Feuchteaufnahme.

System geschlossen Kapillare Ventil offen

Maximaler Druck in mbar 10,0 3,0 3,0 0,0

Feuchteaufnahme in g/a 0,0 4,4 1,0 6,9

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4 E perimentelle Ergebnisse

4 E perimentelle Ergebnisse

4.1 Untersuchungen in der Klimakammer

Die Klimawechselbelastung wurde ähnlich EN 1279-2 mit einer Zyklusdauer von 12 hbei Temperaturen zwischen -18 C und 53 C und maximal 50 % relativer Luftfeuchtean Proben im Format 700 mm x 1.000 mm und Aufbau 4-34-4 durchgeführt. In dieProben war jeweils eine 180 mm lange Kapillare aus FEP mit Innendurchmesser0,5 mm fest eingebaut.

Bild 4-1 Thermisch induzierte Verformung bei Klimawechsellagerung nach EN1279-2. (A)geschlossenes System, (B) Kapillare offen 180 mm, (C) Kapillare offen 90mm, (D) offenes System.

Bild 4-1 zeigt das Verformungsverhalten exemplarisch an einer Probe. Gemessen wurdedie Temperatur und die Auslenkung der Proben auf beiden Seiten an den Kanten und inder Scheibenmitte. Zu Beginn der Wechsellagerung war die Kapillare verschlossen(Phase A), anschließend wurde sie geöffnet (Phase B) und auf 90 mm gekürzt (PhaseC). Abschließend wurde die Probe durch eine 10 mm Bohrung vollständig geöffnet. AmEnde der Messung bei offenem System und damit Druckausgleich (Phase D) zeigenbeide Scheibenmitten eine Auslenkung von ca. 2 mm, d.h. die Einzelscheiben waren zu

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Ganz entspannt – Ein neuer Ansatz bei Isolierglas

Beginn der Messung vorverformt. Die Zeiträume (B) und (C) zeigen die Wirkung derjeweiligen Kapillare. Das Verhalten der Proben stimmt gut mit den Ergebnissen desSimulationsmodells überein.

In einem weiteren Versuch wurde die Feuchteaufnahme während einer vierwöchigenKlimawechselbelastung an 12 Proben ermittelt. Tabelle 4-1 zeigt das Ergebnis für kon-ventionell versiegelte Proben, Proben mit FEP-Kapillare (0,5 mm, 150 mm), sowie„offene“ Proben (Bohrung 10 mm). Für die Kapillare ergibt die Simulation eine sehrgute Übereinstimmung, bei einem durch Bohrung geöffneten System wird der Feuchte-eintrag allerdings von der Simulation deutlich unterschätzt.

Tabelle 4-1 Feuchteeintrag während einer Klimawechselprüfung.

System geschlossen Kapillare offen

Anzahl Proben 3 6 3

Feuchteaufnahme in g Messung 1,0 ± 0,1 2,1 ± 0,1 40,0 ± 2,3

Feuchteaufnahme in g Simulation 2,0 ± 0,1 12,0

4.2 Freibewitterung

Zur Freibewitterung wurden 24 Proben der Abmessung 700 mm x 1.000 mm sowie 3Proben 1.000 mm x 2.000 mm auf dem Dach des ift aufgebaut und für ein Jahr der Be-witterung ausgesetzt. Der Probenaufbau wurde mit 4-36-4 beibehalten, jedoch wurdenKapillaren aus FEP und Edelstahl mit unterschiedlichen Abmessungen eingesetzt. Ge-messen wurde die kumulierte Feuchteaufnahme zum Ende der Bewitterung. Diese wur-de mit der auf Basis der während der Freibewitterung gemessenen Klimadaten simulier-ten Feuchteaufnahme verglichen.

Eine realitätsnahe Belastung wurde durch Einbau von 15 Proben (Abmessung669 mm x 1849 mm, Aufbau 4-36-4) in eine Testfassade mit „Labor-Innenklima“ er-reicht. Auch hier wurden unterschiedliche Kapillaren aus FEP und Edelstahl verwendet.Tabelle 4-2 zeigt eine Zusammenfassung der Ergebnisse für die bisher untersuchtenProben. Jeweils eine Probe bleibt für ein weiteres Jahr der Bewitterung ausgesetzt undsoll Ende 2016 untersucht werden.

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5 Zusammenfassung

Tabelle 4-2 Ergebnisse der Freilandversuche.

ProbeDruckausgleich Anzahl Feuchtezunahme

in g MessungFeuchtezunahme in g

Simulation

Fassade 669 x 1849

offen 2 28,6 ± 0,5 14,9

VA 1,5/1300 2 10,8 ± 0,4 9,8

VA 1,0/240 2 10,8 ± 0,1 9,8

FEP 1,0/240 2 10,9 ± 0,2 9,8

FEP 0,75/450 2 8,5 ± 0,3 7,0

Dach 700 x 1000

offen 3 31,6 ± 4,2 7,7

VA 0,5/950 3 4,1 ± 2,3 1,5

VA 0,5/950 3 2,7 ± 1,6 1,5

VA 0,25/60 3 2,6 ± 0,1 1,5

5 Zusammenfassung

Kapillaren erlauben aufgrund ihres Strömungswiderstandes einen „langsamen“ Druck-ausgleich und begrenzen gleichzeitig die Feuchteaufnahme erheblich. Nutzungsdauernvon mehr als 20 Jahren erscheinen damit möglich; insbesondere in Kombination mitneuen Abstandhaltertypen zur Aufnahme größerer Trocknungsmittelmengen.

Die Kombination aus Innendurchmesser und Länge, d.h. die Zeitkonstante einer Kapil-lare bestimmt die Geschwindigkeit des Druckausgleichs. Ein Einfluss des Kapillarmate-rials (Edelstahl oder FEP) auf den Feuchteeintrag wurde nicht festgestellt. Die Vorher-sagen des Rechenmodells zur Feuchteaufnahme über eine Kapillare wurden bestätigt,die systematische Abweichung lässt sich durch eine zusätzliche Permeation durch denRandverbund erklären.

Ein druckentspanntes „offenes“ Verglasungssystem ist nichts Neues. Mit dem Sieges-zug von Mehrscheiben-Isolierglas mit „hermetisch versiegeltem“ Rand wurden dieseKonstruktionen vom Markt verdrängt und Weiterentwicklungen offener Systeme er-schienen angesichts der Vorteile eines abgeschlossenen Scheibenzwischenraums mit derMöglichkeit von Gasfüllung und soft-coatings aussichtslos.

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Ganz entspannt – Ein neuer Ansatz bei Isolierglas

Mit der Entwicklung zu Multischeibenglas sowie innovativen Fassaden wie CCF undSCF hat ein Umdenken eingesetzt. Ziel ist es nun, die Vorteile beider Systeme zu ver-binden. Eine partielle Druckanpassung mit Kapillaren oder Ventilen reduziert einerseitsdie Druckdifferenz und damit die Klimalasten erheblich und ermöglicht andererseits denFeuchteeintrag zu begrenzen und einen „trockenen“ Scheibenzwischenraum über einenakzeptable Zeitraum zu erhalten. Damit lassen sich im Scheibenzwischenraum weiterhinsoft coatings einsetzen und auch die Lastverteilung von Windböen auf die Einzelschei-ben bleibt erhalten. Lediglich auf eine Gasfüllung müsste man zukünftig verzichten.

Die bisherigen Ergebnisse sind ermutigend und die Signale aus der Industrie zeigen,dass partiell offene druckentspannte Verglasungssysteme eine Renaissance erlebenkönnten. Die Entwicklung bietet mit Kapillaren, Membranen und Mikroventilen sehrviele Möglichkeiten und ist sicher noch nicht abgeschlossen.

6 Literatur

[1] Peter Küffner, Reflexionsverzerrung an Isoliergläsern, Glas und Rahmen (1981),Seite 1011-1022.

[2] Georg Kirchner, Beanspruchung von Isolierverglasungen, Bauphysik, Heft 3(1984) Seite 85-88.

[3] Franz Feldmeier, Belastung von Isoliergläsern durch Klimaschwankung, Fensterund Fassade, Heft 2 (1984), Seite 41-52.

[4] Franz Feldmeier, Belastung von Isolierglas durch Wind und Klimaänderung,Fenster und Fassade Heft 4 (1991), Seite 89-97.

[5] Thomas Stetson, Improvement in window-glass, U.S. Pat 49167 (1865).

[6] Bowser G., Stewart J., Multiple-glazed breather windows, U.S. Pat 3771276(1972).

[7] Geilinger AG, Hochisolationstechnologie HIT: Heizen ohne Heizung, SchweizerIngenieur und Architekt 103 (1985) Heft 26, Seite 662.

[8] Closed Cavity Facade CCF, Fa. Gartner, Detail (2011) Heft 4, Seite 404-412.

[9] Self Conditioning Facade SCF, Pressemitteilung Fa. Seele, Bau 2015 (2015).

[10] ift Forschungsbericht, Untersuchungen zur Umsetzbarkeit von druckentspanntemIsolierglas, Juli 2015.

[11] EN 1279: 2004-06, Glas im Bauwesen − Mehrscheiben-Isolierglas.

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