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Masterstudiengang Umweltsysteme und Ressourcenmanagement
Gleichungsbasierte Modelle II
Dynamik und Selbstorganisation nichtlinearer Systeme
Unterlagen zum Gebrauch neben der Vorlesung
Horst Malchow
Institut fur Umweltsystemforschung
Fachbereich Mathematik/Informatik
Universitat Osnabruck
Wintersemester
Gleichungsbasierte Modelle II
Autor: Prof. Dr. Horst Malchow
Institut fur Umweltsystemforschung
Fachbereich Mathematik/Informatik
Universitat Osnabruck
Barbarastr. 12
Gebaude 66, Raum 107
49076 Osnabruck
Tel / Fax 0541-969-2499 / 2599
E-Mail [email protected]
http://www.usf.uos.de/index.php?id=1875
ii
Gleichungsbasierte Modelle II Inhalt
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkungen v
1. Empfohlene Fachbucher 1
2. Grundlagen und Beispiele 5
2.1 Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik und Selbstorganisation . . . . . . . . . 5
2.1.1 Grundzuge der Theorie irreversibler Prozesse in offenen Systemen. . . 5
2.1.2 Spezialfalle der Hauptsatze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
2.1.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
2.2 Physikalische dissipative Strukturen . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . 10
2.2.1 Das Experiment von Benard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
2.2.2 Das Prinzip des Festkorperlasers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2.3 Chemische Oszillationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 12
2.3.1 Die Bray-Liebhafsky-Reaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 13
2.3.2 Die Briggs-Rauscher-Reaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .14
2.3.3 Die Belousov-Zhabotinskii-Reaktion . . . . . . . . . . . . . . .. . . 15
2.3.4 Einfache Modelle der Belousov-Zhabotinskii-Reaktion. . . . . . . . . 17
2.3.5 Aktive Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
2.3.6 Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .19
2.4 Geschichte der Forschunguber nichtlineare Phanomene . . . . . . . . . . . . . 21
2.4.1 Zitate und weitere Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . .. . . . . . 23
3. Modellsysteme 27
3.1 Das deterministische und stochastische Schlogl-Modell . . . . . . . . . . . . . 27
3.2 Der deterministische und stochastische Brusselator . . . . . . . . . . . . . . . 35
3.3 Das chaotische Lorenz-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . 40
3.4 Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 44
4. Dissipative Strukturbildung in raumzeitlich kontinuie rlichen Systemen 47
4.1 Reaktion und Diffusion (RD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 47
4.2 Reaktion und Advektion (RA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .49
4.3 Kombination von Reaktion, Diffusion und Advektion (RDA) .. . . . . . . . . 50
4.4 Lineare RD-Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
4.4.1 Exponentielles Wachstum und Diffusion . . . . . . . . . . . .. . . . . 52
4.4.2 Exponentielles Wachstum, Diffusion, Konkurrenz undSelektion durch
konstante Gesamtsortenkonzentration . . . . . . . . . . . . . . . . .. 54
4.5 Einkomponentige nichtlineare RD-Systeme . . . . . . . . . . . .. . . . . . . 57
4.5.1 Logistisches Wachstum und Diffusion . . . . . . . . . . . . . .. . . . 57
4.5.2 Bistabile Systeme mit Diffusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 59
iii
Inhalt Gleichungsbasierte Modelle II
4.6 Mehrkomponentige nichtlineare RD-Systeme . . . . . . . . . . .. . . . . . . 63
4.6.1 Flußinduzierte Instabilitaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
4.6.2 Entstehung verzweigter und vernetzter Strukturen . .. . . . . . . . . . 74
4.6.3 Parametergradienten und diffusionsinduziertes Chaos . . . . . . . . . . 76
4.7 Biodiffusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
4.7.1 Klassifikation der Biodiffusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . 79
4.7.2 Diffusive Instabilitaten bei repulsiver dichteabhangiger Diffusion . . . 80
4.7.3 Umweltdichte und Umweltpotential . . . . . . . . . . . . . . . .. . . 82
4.7.4 Wachstum und schnelle Diffusion in Umweltpotentialen . . . . . . . . 83
4.8 Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 86
5. Einfachste numerische Methoden 91
5.1 Differentiation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 91
5.2 Diskretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 92
5.3 Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . 92
5.3.1 Gewohnliche Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
5.3.2 Partielle Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . 93
5.4 Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 95
6. Studienprojekte 97
6.1 Strukturbildung im Segel-Jackson-Modell . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . 97
6.2 Verzweigungen und Netze in einem Gierer-Meinhardt-Modell . . . . . . . . . 97
6.3 Raumzeitliches Chaos entlang eines Nahrstoffgradienten . . . . . . . . . . . . 97
6.4 Locher im Algenteppich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
6.5 Ausbreitung von virusinfizierten Algen I . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . 97
6.6 Ausbreitung von virusinfizierten Algen II . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . 97
6.7 Raumzeitliches Chaos hinter Rauber-Beute-Wellen . . . . . . . . . . . . . . . 97
6.8 Invasionswellen in einem Rauber-Beute-Modell mit Allee-Effekt . . . . . . . . 98
6.9 Rauber mit verhaltnisabhangiger funktioneller Reaktion auf die Beute . . . . . 98
6.10 Zwei diffusiv gekoppelte Rauber-Beute-Populationen . . . . . . . . . . . . . . 98
6.11 Chaos hinter jagenden Raubern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
6.12 Diffusive Instabilitaten und Strukturen in heterogenen Landschaften . . . . . . 98
6.13 Rauber mit verhaltnisabhangiger funktioneller Reaktion auf die Beute . . . . . 98
6.14 Konkurrenz und Invasion in variabler Umwelt . . . . . . . . .. . . . . . . . . 98
6.15 Heterogene Ausbreitung von Neobiota und deren Kontrolle . . . . . . . . . . . 99
6.16 Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . 99
7. Zusammenstellung der Literaturhinweise aus allen Kapiteln 101
iv
Gleichungsbasierte Modelle II
Vorbemerkungen
Die Veranstaltung”Gleichungsbasierte Modelle II: Dynamik und Selbstorganisation nichtlinea-
rer Systeme“ ist fur Studierende des Masterstudienganges”Umweltsysteme und Ressourcen-
management“ konzipiert.
Das vorliegende Skript ist von der entsprechenden Veranstaltungsseite unter STUD.IP als PDF-
und komprimiertes Postscriptfile herunterzuladen. Ich bitte um Verstandnis, daß es standiger
Veranderung unterliegt.
Horst Malchow
v
Gleichungsbasierte Modelle II 1. Empfohlene Fachbucher
1. Empfohlene Fachbucher
Grundlagen
Haken, H. (1981).Erfolgsgeheimnisse der Natur.DVA, Stuttgart.
Haken, H. (1990).Synergetik. Eine Einfuhrung.Springer, Berlin.
Haken, H., Wunderlin, A. (1991).Selbststrukturierung der Materie.Vieweg, Braunschweig.
Nicolis, G., Prigogine, I. (1977).Self-organization in nonequilibrium systems.Wiley, New
York.
Nicolis, G. (1995).Introduction to nonlinear science.Cambridge University Press, Cambridge.
Prigogine, I. (1979).Vom Sein zum Werden.Piper, Munchen.
Prigogine, I., Stengers, I. (1981).Dialog mit der Natur.Piper, Munchen.
Acheson, D. (1999).Vom Calculus zum Chaos.Oldenbourg, Munchen.
Ebeling, W., Feistel, R. (1982, 1986).Physik der Selbstorganisation und Evolution.Akademie-
Verlag, Berlin.
Feistel, R., Ebeling, W. (1989).Evolution of complex systems: self-organization, entropyand
development.DVW, Berlin und Kluwer, Dordrecht.
Ebeling, W., Engel, A., Feistel, R. (1990).Physik der Evolutionsprozesse.Akademie-Verlag,
Berlin.
Ebeling, W., Feistel, R. (1994).Chaos und Kosmos: Prinzipien der Evolution.Spektrum, Hei-
delberg.
Jetschke, G. (1989).Mathematik der Selbstorganisation.DVW, Berlin und Verlag Harri Deutsch,
Frankfurt/Main.
Chaos und Fraktale
Alligood, K.T., Sauer, T.D., Yorke, J.A. (1997).Chaos. An introduction to dynamical systems.
Springer, Berlin.
Argyris, J. H., Faust, G., Haase, M. (1995).Die Erforschung des Chaos. Studienbuch fur Na-
turwissenschaftler und Ingenieure.Vieweg-Verlag, Braunschweig.
Jackson, A. A. (1991).Perspectives of nonlinear dynamics.Vol. 1 & 2. Cambridge University
Press, Cambridge MA.
1
1. Empfohlene Fachbucher Gleichungsbasierte Modelle II
Kapitaniak, T. (1998).Chaos for engineers: theory, applications, and control.Springer-Verlag,
Berlin.
Kaplan, D., Glass, L. (1995).Understanding nonlinear dynamics.Springer-Verlag, New York.
Peitgen, H.-O., Jurgens, H., Saupe, D. (1992).Bausteine des Chaos: Fraktale.. Springer-
Verlag, New York.
Strogatz, S. (1994).Nonlinear dynamics and chaos: with applications to physics, biology,
chemistry, and engineering.Addison-Wesley Publ., Reading MA.
Stochastische Systeme
Allen, L.J.S. (2003).An introduction to stochastic processes with applications to biology.Pear-
son Prentice Hall, Upper Saddle River.
Anishenko, V.S., Astakhov, V.V., Neiman, A.B., Vadivasova,T.E., Schimansky-Geier, L. (2003).
Nonlinear dynamics of chaotic and stochastic systems.Springer Series in Synergetics.
Springer, Berlin.
Garcıa-Ojalvo, J., Sancho, J.M. (1999).Noise in spatially extended systems.Springer-Verlag,
New York.
Gardiner, C.W. (1985).Handbook of stochastic methods. Springer Series in Synergetics, vol.
13.Springer-Verlag, Berlin.
Malchow, H., Schimansky-Geier, L. (1985).Noise and diffusion in bistable nonequilibrium
systems.Teubner Verlagsgesellschaft, Leipzig.
Zellul are Automaten
Deutsch, A., Dormann, S. (2005).Cellular automaton modeling of biological pattern formati-
on. Characterization, applications, and analysis.Birkhauser, Basel.
Gerhardt, M., Schuster, H. (1995).Das digitale Universum. Zellulare Automaten als Modelle
der Natur.Vieweg, Braunschweig.
Weimar, J.R. (1997).Simulation with cellular automata.Logos, Berlin.
Nichtlineare Dynamik in Biologie, Okologie und Epidemiologie
Allen, L.J.S. (2007).An introduction to mathematical biology.Pearson Prentice Hall, Upper
Saddle River.
2
Gleichungsbasierte Modelle II 1. Empfohlene Fachbucher
Camazine, S., Deneubourg, J.-L., Franks, N.R., Sneyd, J., Theraulaz, G., Bonabeau, E. (2001).
Self-organization in biological systems.Princeton Studies in Complexity. Princeton Uni-
versity Press, Princeton.
Edelstein-Keshet, L. (2005).Mathematical models in biology.SIAM, Philadelphia..
Jeffries, C. (1989).Mathematical modeling in ecology. A workbook for students.Birkhauser,
Boston.
Kot, M. (2001).Elements of mathematical ecology.Cambridge University Press, Cambridge.
Malchow, H., Petrovskii, S.V., Venturino, E. (2008).Spatiotemporal patterns in ecology and
epidemiology: Theory, models, simulations.CRC Press, Boca Raton.
Meinhardt, H. (1982).Models of biological pattern formation.Academic Press, London.
Meinhardt, H. (1997).Wie Schnecken sich in Schale werfen.Springer, Berlin.
Murray, J.D. (2002).Mathematical biology. I. An introduction.Springer-Verlag, Berlin.
Murray, J.D. (2003).Mathematical biology. II. Spatial models and biomedical applications.
Springer-Verlag, Berlin.
Okubo, A., Levin, S. (2001).Diffusion and ecological problems. Modern perspectives.Springer-
Verlag, Berlin.
Shigesada, N., Kawasaki, K. (1997).Biological invasions: Theory and practice.Oxford Uni-
versity Press, Oxford.
Vries, G. de, Hillen, T., Lewis, M., Muller, J., Schonfisch, B. (2006).A course in mathematical
biology: Quantitative modeling with mathematical and computational methods.SIAM,
Philadelphia.
Yodzis, P. (1989).Introduction to theoretical ecology.Harper & Row, New York.
Nichtlineare Dynamik in der Chemie
Schneider, F. W., Munster, A. F. (1996).Nichtlineare Dynamik in der Chemie.Spektrum, Hei-
delberg.
Nichtlineare Dynamik in Medizin und Psychologie
Keener, J.P., Sneyd, J. (1998).Mathematical physiology.Springer-Verlag, New York.
Kriz, J. (1997).Systemtheorie. Eine Einfuhrung fur Psychotherapeuten, Psychologen und Me-
diziner.Facultas, Wien.
3
1. Empfohlene Fachbucher Gleichungsbasierte Modelle II
Nichtlineare Dynamik in der Okonomie
Lorenz, H.-W. (1997).Nonlinear dynamical economics and chaotic motion.Springer, Berlin.
Numerisches
Kloeden, P.E., Platen, E. (1999).Numerical solution of stochastic differential equations.Sprin-
ger, Berlin.
Kloeden, P.E., Platen, E., Schurz, H. (2002).Numerical solution of SDE through computer
experiments.Universitext. Springer, Berlin.
Press, W.H., Teukolsky, S.A., Vetterling, W.T., Flannery,B.P. (1992).Numerical recipes in
FORTRAN.Cambridge University Press, Cambridge.
Press, W.H., Teukolsky, S.A., Vetterling, W.T., Flannery,B.P. (1992).Numerical recipes. Ex-
ample book [FORTRAN].Cambridge University Press, Cambridge.
Roache, P.J. (1998).Fundamentals of computational fluid dynamics.Hermosa Publishers, Al-
buquerque NM.
Thomas, J.W. (1995).Numerical partial differential equations: Finite difference methods.
Springer, New York.
Geschichtliches
Paslack, R., Knost, P. (1990).Zur Geschichte der Selbstorganisationsforschung. Ideengeschicht-
liche Einfuhrung und Bibliographie (1940-1990).Kleine Verlag GmbH, Bielefeld.
Haken, H., Plath, P., Ebeling, W., Romanovsky, Yu.M. (2016).Beitrage zur Geschichte der
Synergetik: Allgemeine Prinzipien der Selbstorganisation in Natur und Gesellschaft.Sprin-
ger Fachmedien, Wiesbaden.
Enzyklopadisches
Scott, A., ed. (2005).Encyclopedia of nonlinear science.Routledge, New York.
4
Gleichungsbasierte Modelle II 2. Grundlagen und Beispiele
2. Grundlagen und Beispiele
Literatur: Ebeling (1976); Nicolis & Prigogine (1977); Prigogine (1979); Haken (1981); Ebeling
& Feistel (1982); Ebeling (1989)
2.1 Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik und Selbstorganisation
Eine der Kernfragen der Naturwissenschaften:
Entstehung hochgeordneter Strukturen trotz deruberall herrschenden unvermeidlichen
Energiedissipation?
Energiedissipation (Zerstreuung):
grundlegende Eigenschaft realer Prozesse, im 2. HS der Thermodynamik als Naturgesetz
formuliert.
Clausius:
Entropie nimmt in abgeschlossenen Systemen standig zu, bis sie im Zustand des thermo-
dynamischen Gleichgewichts Maximum erreicht.
Boltzmann/Planck:
Relation zwischen Entropie S und thermodynamischer Wahrscheinlichkeit W
S = k lnW (2.1)
Entropiezunahme entsprichtUbergang zu wahrscheinlicheren, d.h., ungeordneteren Zustanden
Ubertragung dieses fur abgeschlossene Systeme gultigen Gesetzes auf das Weltall unbe-
rechtigt!
Schrodinger/Prigogine/Bertalanffy/Turing:
Offenheit der Systeme in der Natur ist entscheidend fur Strukturbildung
Prigogine:
thermodynamische Theorie offener Systeme
2.1.1 Grundzuge der Theorie irreversibler Prozesse in offenen Systemen
Ein offenes thermodynamisches System tauscht mit seiner Umgebung Energie und Stoff aus.
Entropieanderung eines offenen Systems im Zeitelement dt (nach Prigogine)
EntropieanderungdS = Entropieproduktion im InnerndiS + AustauschdeS (2.2)
5
2. Grundlagen und Beispiele Gleichungsbasierte Modelle II
mit
diS≥ 0 , deS≤ oder> 0 (2.3)
Drei wesentliche Eigenschaften der Entropie:
1. Zustandsfunktion, die von SystemenergieU , VolumenV und Molzahlen der Komponen-
tenni (i = 1,2,...,s) abhangt:
S = S(U,V,ni) (2.4)
2. Extensive Zustandsfunktion, d.h. bei Zerlegung eines makroskopischen Systems mit Entro-
pieS in zwei makroskopische Teilsysteme mit EntropienS1 undS2 gilt Additivit atsregel:
S = S1+S2 (2.5)
3. Fur das Differential der Entropie gilt Gibbsche Fundamentalgleichung
TdS = dU − d′A −s
∑i=1
µi dni (2.6)
mit
µi = chemische Potentiale der s Stoffkomponenten
d′A = am System geleistete Arbeit
Schreiben auch 1. HS in analoger Form, Beschrankung auf quasi-statische Systeme, d.h. keine
Umwandlung von kinetischer in innere Energie:
Bilanz der inneren Energie:
dU = diU + deU (2.7)
mit
diU = 0 ⇐ Energieerhaltung im Innern
deU 6= 0 ⇐ Energieflußuber Systemgrenzen
2.1.2 Spezialfalle der Hauptsatze
1. makroskopisch isoliertes SystemdeS = 0 , dS = diS ≥ 0,
• Entropie ist monotone nichtfallende Zeitfunktion, die fur große Zeiten asymptotisch
maximalen Wert erreicht, der zu Gleichgewichtswerten der thermodynamischen Pa-
rameter(U,V, ...) korrespondiert.
6
Gleichungsbasierte Modelle II 2. Grundlagen und Beispiele
• ⇒makroskopisch isolierte Systeme nahern sich fur t→ ∞ dem Zustand maximaler
Unordnung
2. geschlossene Systeme⇒ kein makroskopischer Stoffaustausch mit Umgebung
T deS = d′Q ; T dS = T diS + d′Q ⇒ T dS≥ d′Q (2.8)
(Ungleichung von Clausius-Carnot)
• ⇒ jede Warmezufuhr in geschlossenes System vergroßert Unordnung
• Vergroßerung der Ordnung (Sinken der Entropie) erfordert Warmeentzug
d′Q< 0
↓Strukturbildung durch Warmeentzug
(Ubergang zu tiefen Temperaturen)
↓universelle Eigenschaft der Materie
• physikalische Korper gehen bei tiefen Temperaturen in Aggregatzustand mitrelativ
hohem Ordnungsgraduber. z.B. kristallin
• bei tiefen Temperaturen sind die sonst relativ unwahrscheinlichen Zustande mit klei-
nen bzw. negativen Energien realisierbar, die hohem Ordnungsgrad entsprechen
• folgt aus Boltzmannscher Wahrscheinlichkeitsverteilung,die fur tiefe Temperaturen
Zustande mit kleinen bzw. negativen Energien favorisiert:
pi =Cexp−Ei/kT (2.9)
• andere Moglichkeit, geschlossenem System Entropie zu entziehen, ist, Warme bei
hoheren Temperaturen zu- und bei tieferen Temperaturen wieder abzufuhren→
3. offene Systeme:
• bei offenen Systemen laßt sich AustauschanteildeS im Prinzip beliebig gestalten,
indem man Umgebungsparameter entsprechend variiert
• ⇒ fur dSkeine Ungleichung mehr, sondern
dS = deS + diS = beliebig (2.10)
7
2. Grundlagen und Beispiele Gleichungsbasierte Modelle II
T~6000 K
Sonne
300 K
Kern1000 K
Weltraum
Atmosphäre und Erdoberfläche
T~3 K
Abbildung 2.1: Mechanismus des Entropieexportes der Erde
• speziell kann sich Entropie verringern, wenn System Entropie exportiert (deS< 0)
und wenn Export pro Zeiteinheit die entsprechende Entropieproduktion im Innern
ubersteigt, d.h.
dS< 0 , wenn|deS| > diS ≥ 0 (2.11)
• solche Situation nur weitab vom Gleichgewicht denkbar, da in Gleichgewichtsnahe
diS> 0 dominiert
• ⇒ Entropieexport muß kritischen Wertubersteigen, damit im System Strukturbil-
dung beginnen kann
• ⇒ Selbstorganisation ist”uberkritische“ Erscheinung, nur moglich, wenn System-
parameter kritische Werteuberschreiten
• Entropieexport, der innere Entropieproduktionubersteigt, erfolgt nicht spontan, son-
dern”Entropiepumpe“ erforderlich
• Betrieb dieser Pumpe erfordert verschleißbare Energie, dieausaußeren und inneren
Quellen stammen kann
• letztlich lassen sich solche Energiequellen immer auf irdisch oder stellar ablaufende
Kernreaktionen oder chemische Reaktionen zuruckfuhren
• Entropiepumpe kann sich sowohl außerhalb als auch innerhalb des strukturbilden-
den Systems befinden, vgl. Tabelle unten
• wenn System stark vom Gleichgewicht abweicht genugen Variablen i.a. nicht mehr
linearen Gleichungen sondern unterliegen nichtlinea- renGesetzen
• Nichtlinearitat ist wesentliches und allgemeines Merkmal der Naturprozesse weitab
vom Gleichgewicht
8
Gleichungsbasierte Modelle II 2. Grundlagen und Beispiele
• andererseits erfordertuberkritischer Entropieexport außerordentlich spezielle innere
Systemstrukturen
⇒Selbstorganisation ist keine allgemeine, sondern spezielle Eigenschaft der Mate-
rie, die nur unter spezifischen inneren undaußeren Bedingungen existiert; ist
jedoch nicht an spezielle Stoffklassen gebunden.
außerhalb ← Entropiepumpe → innerhalb
↓ ↓passives System aktives System
↓ ↓Benard-Zellen Lebewesen
Elektrogerate, Laser usw. Ottomotoren usw.
↓ ↓Kopplung an die Umgebung, Entropiepumpe im Innern,
die Entropiepumpe enthalt, daher meist hoher Grad
welche z.B. Elektrizitat, innerer Organisiertheit.
Warme bei hoher Temperatur Weiterhin Zufluß energie-
oder kurzwellige Strahlung reicher Rohstoffe aus der
in das System pumpt Umgebung
→ Systeme ←werden durch
Pumpe vom
Gleichgewicht
weggetrieben
2.1.3 Zusammenfassung
• Zwei Grundtypen irreversibler Prozesse in der Natur
1. Strukturzerstorung in Gleichgewichtsnahe als allgemeine Systemeigenschaft unter
beliebigen Bedingungen
2. Strukturbildung in Gleichgewichtsferne unter speziellen inneren undaußeren Be-
dingungen, wozu Offenheit des Systems, Nichtlinearitat der inneren Dynamik und
uberkritische Werte deraußeren Systemparameter gehoren
• Prigogine (1967): Bezeichnung”dissipative Strukturen“ = stabile raumliche, zeitliche
oder raumzeitliche Strukturen, die sich weitab vom Gleichgewicht jenseits kritischer Pa-
rameterwerte im nichtlinearen Bereich ausbilden konnen
9
2. Grundlagen und Beispiele Gleichungsbasierte Modelle II
• Entscheidende Merkmale = Stabilitat der Struktur gegen kleine Storungen unduberkriti-
scher Abstand vom Gleichgewicht
• wichtigste Teilklasse der dissipativen Strukturen sindstationare DS, die im Laufe der
Zeit bei konstantenaußeren Bedingungen keinenAnderungen unterworfen sind.
dS = diS + deS = 0 , deS = −diS< 0 (2.12)
• letztere Beziehung muß gelten, da fur alle echten NichtgleichgewichtsprozessediS > 0
zutrifft
⇒ deS < 0, d.h., das System muß Entropie an Umgebung abgeben, um Entropieproduk-
tion im Innern aufgrund irreversibler Prozesse kompensieren zu konnen.
• Ostwald / Bertalanffy:”Fließgleichgewicht“ = stationarer (d.h. zeitunabhangiger) Nicht-
gleichgewichtszustand des offenen Systems, der stabil gegenuber kleinen Schwankungen
ist.
2.2 Physikalische dissipative Strukturen
2.2.1 Das Experiment von Benard (1900)
Eine Flussigkeitsschicht im Gravitationsfeld (z.B. Silikonol) wird von unten erhitzt. Die warme-
re Flussigkeit am Boden dehnt sich aus und”mochte nach oben steigen“, wahrend die kaltere
Flussigkeit an der Oberflache”nach unten fallen mochte“. Diese Tendenzen werden aber von der
Viskositat”gebremst“. Bei kleinen Temperaturdifferenzen gewinnt die Viskositat, die Flussig-
keit bleibt in Ruhe und die Warme wird durch homogene Warmeleitung von unten nach oben
transportiert. Dieser Zustand wird bei einem kritschen Wert des Temperaturgradienten∆T insta-
bil, und es entwickelt sich ein neuer stationarer Zustand, bei dem Konvektionszellen auftreten.
Mit weiterem Anwachsen des Gradienten beobachtet man einenUbergang zur chaotischen Be-
wegung oberhalb eines zweiten kritischen Wertes.
Da das System mit der Umgebung nur WaŁrme austauscht, ist der gesamte Entropiestrom durch
die Grenzflachen
deSdt
=QTG− Q
TO= Q
TO−TG
TGTO< 0, (2.13)
d.h., es findet Entropieexport statt. Im stationaren Fall ist der Entropieexport gleich der inneren
Entropieproduktion durch Reibungs- und Leitungsverluste.
Lorenz (1963) hat dazu ein einfach erscheinendes Modell entwickelt, das im Abschnitt 3.3
besprochen wird.
10
Gleichungsbasierte Modelle II 2. Grundlagen und Beispiele
∆Τ
Wärmeleitung Wärmekonvektion Turbulenz
c1T < T∆ T <c1 ∆ c2 c2 ∆TT <T < T
Abbildung 2.2: Zum Benard-Effekt: Temperaturgefalle zwischen Grund- und Oberflache∆T =
TG−TO > 0.
Konvektions−
zellen
ruhende
Temperaturdifferenz
Q
∆Tc1
Flüssigkeit
Abbildung 2.3: Die transportierte WarmemengeQ knickt beimUbergang von Warmeleitung zu
Konvektion in typischer Weise ab.
2.2.2 Das Prinzip des Festkorperlasers
Die Untersuchung von Lasern war der Ausgangspunkt von H. Haken zur Formulierung der
Synergetik (1971), der Lehre vom Zusammenwirken, die eine eher systemtheoretische Heran-
gehensweise an das Phanomen der Selbstorganisation im Nichtgleichgewicht beschreibt.
Am Beispiel eines Festkorperlasers mit zwei Endspiegeln soll gezeigt werden, wie kooperatives
Verhalten von Teilsystemen bei nichtlinearen Prozessen fern vom Gleichgewicht zur Entstehung
von Ordnung aus dem Chaos fuhren kann. Durch eine Pumpstrahlung werden die aktiven Atome
im Laserkristall in angeregte ZustaŁndeuberfuhrt. Die angeregten Atome sind winzige Anten-
nen, die Wellenzuge abstrahlen und dabei auf den energetischen Ausgangszustand zuruckfallen.
Bei geringer Pumpleistung laufen die einzelnen Emissionsakte inkoharent ab. Der Laser arbei-
tet als Lampe und gibt nur kurze Wellenzuge ab. Wellenzuge in axialer Richtung werden durch
die Endspiegel langer im System gehalten.
Ubersteigt die Pumpleistung einen kritischen Wert, so synchronisiert die elektromagnetische
Lichtwelle die elementaren Emissionsakte. Die atomaren Antennen beginnen kooperativ zu ar-
beiten, oszillieren synchron und emittieren in axialer Richtung Riesenwellenzuge, die den La-
11
2. Grundlagen und Beispiele Gleichungsbasierte Modelle II
serstrahl bilden. Die Laserlichtwelle als Ordner versklavt also einerseits die Leuchtelektronen
zu synchroner Schwingung, andererseits bilden die versklavten Leuchtelektronen die Laser-
lichtwelle.
Der Laser ist ein typisches Beispiel fur ein offenes System, dessen Teilsysteme (Elektronen)
nach Zufuhr eineruberkritischen Energiemenge kooperativ werden (synchronisieren) und eine
allein aus der Kenntnis der Bestandteile des Laserkristallsnicht erkennbare (emergente) Eigen-
schaft (Laserstrahl) zeigen. Aus unkoordinierter niederenergetischer Abstrahlung (Lampe) wird
nachuberkritischer Energiezufuhr durch dissipative Selbstorganisation koordinierte hochener-
getische Strahlung (Laser).
Q
Laser
Lampe
AnregungsenergieSchwellwert
Abbildung 2.4: Die emittierte LichtenergieQ knickt beimUbergang vom Lampen- zum La-
serregime analog zum Verhalten des Warmestroms beim Benard-Effekt ab, vgl. Fig. 2.3. Man
spricht hier von Phasenubergangen 2. Art.
2.3 Chemische Oszillationen
Oszillierende chemische Reaktionen sind von besonderem Interesse fur die Wissenschaft. Ihr
Verhalten ist u. a. fur die Chaosforschung von Bedeutung, denn solche Reaktionssysteme sind
immer komplex und weit entfernt vom thermodynamischen Gleichgewicht. EinUbersichtsarti-
kel zum Thema ist von Field & Schneider (1988).
A+B+ . . . −→ X, Y, . . . −→ P+Q+. . .
Reaktanden
verschwinden
−→ Zwischenprodukte konnen entweder eine
stationare Konzentration erreichen oder
oszillieren
−→ Produkte
entstehen
| −→ −→ energieliefernde Gesamtreaktion −→ −→ |
Die treibende Kraft der Oszillationen der Zwischenprodukte und katalytisch aktiven Spezies ist
die im Reaktionsverlauf verbrauchte freie Energie. Neben den einfachen Oszillationen konnen
eine Reihe verwandter Phanomene auftreten. Dazu gehoren Multistabilitat, Hysterese, Erreg-
12
Gleichungsbasierte Modelle II 2. Grundlagen und Beispiele
barkeit, laufende Wellen und aperiodische Oszillationen.
Das Phanomen der Oszillation in chemischen Reaktionssystemen laßt sich auch am Beispiel
einer einfachen einseitig verlaufenden Reaktionsfolge erklaren:
A−→ X −→Y −→ P.
Ohne Autokatalyse stellt sich bei konstanter Konzentration des Ausgangsstoffes ein stationares
Fließgleichgewicht ein. Katalysiert X seine eigene Bildungsreaktion, steigt dessen Konzentra-
tion immer weiter an. Wird aber auch die Bildung von Y autokatalytisch beschleunigt, wird die
Zunahme von X gebremst; denn irgendwann ist die Bildungsgeschwindigkeit von X→ Y hoher
als die von A→ X. Dann nimmt X ab, bis die Konzentration so niedrig ist, daß Yrucklaufig
wird. Dabei verlauft die zeitlicheAnderung der Konzentration des einen Zwischenprodukts
proportional zum Abstand der Konzentration des anderen Zwischenprodukts von ihrem Soll-
wert. Auf diese Weise oszillieren die Konzentrationen um ihre Sollwerte. Die bisher bekann-
ten chemischen Oszillationen verlaufen komplizierter alsdurch dieses Modell beschrieben, die
Oszillation an sich kann aber so erklart werden.
Dieses Wortmodell beschreibtubrigens auch Rauber(Y)-Beute(X)-Oszillationen.
2.3.1 Die Bray-Liebhafsky-Reaktion (1921)
Eine der ersten in homogener Losung oszillierenden Reaktionen wurde 1921 durch W.C. Bray
zufallig entdeckt und wird heute Bray-Liebhafsky-Reaktion genannt. Es handelt sich um die
IO−3 -katalysierte Zersetzung von H2O2 zu H2O und O2. Das in Pulsen gebildete O2 ist ebenso
wie I2 und I− eine leicht meßbare oszillierende Spezies. Eine grundlegende Eigenschaft des
Systems ist, daß H2O2 das notige Redoxpotential besitzt, um in Reaktion (I) sowohl I2 zu IO−3zu oxidieren als auch in Reaktion (II) IO−3 zu I2 zu reduzieren.
(I) 5H2O2 + I2 −→ 2IO−3 + 2H+ + 4H2O ,
(II) 5H2O2 + 2IO−3 + 2H+ −→ I2 + 5O2 + 6H2O ,
(III) 2H2O2IO−3−→
Katalysator2H2O + O2 .
Reaktion (III) zeigt die Nettostochiometrie der Gleichungen (I) und (II) und stellt die treibende
Kraft der Oszillationen dar. Die BL-Oszillationen treten auf, weil die Kontrolle der Gesamtre-
aktion zwischen den Schritten (I) und (II) hin- und herwechselt. Der detaillierte Mechanismus
ist erheblich komplizierter als der der spater beschriebenen Belousov-Zhabotinskii-Reaktion
(BZR).
13
2. Grundlagen und Beispiele Gleichungsbasierte Modelle II
2.3.2 Die Briggs-Rauscher-Reaktion (1973)
Eine Kombination aus der BZ- und der BL-Reaktion ist die auch Jod-Uhr genannte Briggs-
Rauscher-Reaktion. Sie besteht aus
• Wasserstoffperoxid H2O2 (1.2 mol/l),
• Kaliumiodat KIO3 (0.05 mol/l),
• Malonsaure CH2(COOH)2 (0.04mol/l),
• Perchlorsaure HCIO4 oder Schwefelsaure H2SO4 (0.05 mol/l)
• sowie einem Mn(III)/Mn(II)-Katalysator wie Mangansulfatmonohydrat MnSO4 · H2O
(0.006 mol/l)
• und Starke (0.01%) als Farbindikator.
Die Reaktion durchlauft dann folgende Sequenz: goldgelb, blau und farblos. Im geschlossenen
System dauern die Oszillationen 5 bis 10 Minuten im Vergleich zu mehreren Stunden bei der
BZR. Auch hier beruht das Oszillieren auf autokatalytischen Reaktionen, bei denen in rhythmi-
scher Folge Zwischenverbindungen oxidiert und reduziert werden.
0 1
−8
−6
−4
lg C
t/min
Jod
Abbildung 2.5: Schwingungen der Jod-Konzentration bei derBriggs-Rauscher-Reaktion.
14
Gleichungsbasierte Modelle II 2. Grundlagen und Beispiele
2.3.3 Die Belousov-Zhabotinskii-Reaktion (1958–1964)
Die bisher am besten untersuchte oszillierende Reaktion istdie Belousov- Zhabotinskii-Reaktion
(BZR). Es handelt sich dabei eigentlich um eine Klasse von Reaktionen, bei denen in jedem Fall
eine Dicarbonsaure durch Bromat in saurer Losung oxidiert wird, wobei als oszillierender Ka-
talysator ein Redoxsystem anwesend ist, dessen oxidierte und reduzierte Form sich nur um eine
Oxidationsstufe unterscheiden.
Solche Systeme sind z.B. Ce(III)/Ce(IV), Mn(II)/Mn(III) oderFe(phen)3+3 / Fe(phen)2+3 . Be-
nannt wurde diese Reaktionsklasse nach den beiden russischen Wissenschaftlern B. Belousov,
der die erste dieser Reaktionen Anfang der 1950er Jahre entdeckte (Publikation erst 1958), und
A. Zhabotinskii, der ihre Bedeutung erkannte und zeigte. Fur die BZR sind drei Prozesse aus-
schlaggebend:
• Verbrauch von Bromidionen,
• Bildung von Cer(IV)-Ionen,
• Bildung von Bromid unter Verbrauch von Cer(IV)-Ionen
Bei diesen Prozessen finden nach Field, Koros und Noyes (1972) folgende Reaktionen statt. In
Klammern ist die dem FKN-Mechanismus entsprechende Reaktionsnumerierung angegeben:
(R1) Br− + HBrO + H+ −→ Br2 + H2O ,
(R2) Br− + HBrO2 + H+ −→ 2HBrO ,
(R3) Br− + BrO−3 + 2H+ −→ HBrO2 + HBrO ,
(R4) 2HBrO2 −→ HBrO + BrO−3 + H+ ,
(R5-R6) autokatalytisch fur HBrO2:
(R5) HBrO2 + BrO−3 + H+ −→ 2BrO•2 + H2O ,
(R6) (BrO•2 + Ce3+ + H+ −→ Ce4+ + HBrO2)*2 ,
(R7) BrO•2 + Ce4+ + H2O−→ BrO−3 + Ce3+ + 2H+ ,
(R8) Br2 + CH2(COOH)2 −→ BrCH(COOH)2 + Br−+ H+ ,
(R9) 6Ce4+ + CH2(COOH)2 + 2H2O−→ 6Ce3+ + HCOOH + 2CO2 + 6H+ ,
(R10) 4Ce4+ + BrCH(COOH)2 + 2H2O−→ 4Ce3+ + HCOOH + 2CO2 + 5H+ ,
(R11) Br2 + HCOOH−→ 2Br− + CO2 + 2H+ ,
Gesamtreaktion nach Bornmann et al. (1973):
2BrO−3 + 3CH2(COOH)2 + 2H+ −→ 2BrCH(COOH)2 + 3CO2 + 4H2O .
15
2. Grundlagen und Beispiele Gleichungsbasierte Modelle II
Experiment
Anleitungen von F. Kappenberg (1992).
Materialien: PC, ALL-CHEM-MISST, serielles Kabel, Vollpipette (2ml), Becherglas (400ml),
4 Becherglaser (100 ml), 2 Experimentierkabel, Platinelektrode, Kupferelektrode, Stativ, 2 Muf-
fen, 2 Greifklemmen, Magnetruhrer, Ruhrmagnet
Chemikalien:KBrO3, Malonsaure CH2(COOH)2, KBr, Schwefelsaure (konz), Ferroin-Indika-
torlosung, c=1/40 mol/l, dest. Wasser
Durchfuhrung:
Zunachst werden vier Losungen vorbereitet:
• 6,75 g KBrO3 in 80 ml Wasser
• 15,6 g Malonsaure in 100 ml Wasser
• 1,3 g KBr in 70 ml Wasser
• 14 ml H2SO4 (konz) in 70 ml Wasser
Die vier Losungen werden in das Becherglas gegeben und der Magnetruhrer angestellt. Die
beiden Elektroden werden so befestigt, daß sie in die Losung eintauchen. Nachdem die anfang-
liche Braunfarbung verschwunden ist, werden noch 2 ml Ferroin-Losung zugegeben und die
Meßwertaufnahme (am Computer) gestartet. Es wird eine potentiometrische Messung durch-
gefuhrt.
Beobachtung:
Nach Zugabe des Ferroin-Indikators farbt sich die Losung rot. Sobald die gemessene Spannung
ansteigt, tritt eine rasche Blaufarbung auf, die nach kurzer Zeit wieder verschwindet, so daßdie
ursprungliche, rote Farbe zu sehen ist.
Deutung:
Ausschlaggebend fur die Farbe der Losung und die Hohe der Spannung ist das Ferroin. Dies
ist ein intensiv rot gefarbter Komplex aus einem Eisen(II)-Ion und 3 Phenantrolin-Molekulen.
In der oxidierten Form ist der Komplex blau gefarbt. Die Bildung der Eisen(III)-Ionen wird
durch Bromidionen inhibiert, solange deren Konzentration einen bestimmten Wertubersteigt.
Die Bromidionen werden verbraucht (siehe: Reaktionen), folglich uberwiegt die autokatalyti-
sche Bildung der Eisen(III)-Ionen bei Unterschreitung des kritischen Wertes. Die Bildung von
Bromidionen unter Verbrauch von Eisen(III)-Ionen wurde bisher noch nicht vollstandig geklart.
16
Gleichungsbasierte Modelle II 2. Grundlagen und Beispiele
2.3.4 Einfache Modelle der Belousov-Zhabotinskii-Reaktion
Der FKN-Mechanismus besteht aus 11 Reaktionen zwischen 15 verschiedenen chemischen
Spezies. Von diesen 15 sind 7 Zwischenprodukte, deren Konzentrationen sich wahrend jeder
Oszillation stark verandern: Br2O4, BrO•2, Br2, HOBr, HBrO2, Br− und Ce4+. Die Kinetik der
BZR kann also durch ein System von 7 gekoppelten nichtlinearen gewohnlichen Differential-
gleichungen 1. Ordnung beschrieben werden. Auch kompliziertere (detailliertere) Mechanis-
men konnen numerisch untersucht werden, um jedoch Oszillationen, Mehrfachstabilitat und
Wellen theoretisch zu behandeln, muß das Reaktionsmodell reduziert werden. Da die Reakti-
onskonstanten sich zum Teil um Großenordnungen unterscheiden, ist das auch ohne Probleme
moglich. Es gibt verschiedene Ansatze wie dasModell K (”Kyoto“ University, Tomitaet al.
1977), denIUator (”Indiana University“, Schmidt & Ortoleva 1981) oder denPushchinator
(Institute of Experimental and Theoretical Biophysics at”Pushchino“, Rovinsky & Zhabotins-
kii 1984). Das bekannteste kommt aber von den Autoren des FKN-Mechanismus selbst, der
Oregonator (University of”Oregon“ at Eugene, Field & Noyes 1974):
Mit A=BrO−3 , P=HOBr, X=HBrO2, Y=Br− und Z=Ce4+ lauten die Reaktionsgleichungen des
Oregonators
A+Y −→k1 X+P, (2.14)
X+Y −→k2 P, (2.15)
A+X −→k3 2X+2Z , (2.16)
2X −→k4 A+P, (2.17)
Z−→k5 fY . (2.18)
Die 5 Reaktionskonstanten sind bekannt, f ist ein stochiometrischer Faktor (f ≈ 0.5).
Daraus folgen nach den Regeln der Formalkinetik (Massenerhaltung) die kinetischen Gleichun-
gen fur X, Y und Z:
dXdt
= k1AY−k2XY+k3AX−2k4X2 , (2.19)
(Faktor 2 vor letztem Term, weil 2 Teile X direkt ohne Zwischenschritt zerfallen!)
dYdt
=−k1AY−k2XY+ f k5Z , (2.20)
dZdt
= 2k3AX−k5Z . (2.21)
(Faktor 2 vor erstem Term, weil 2 Teile Z direkt ohne Zwischenschritt entstehen!)
17
2. Grundlagen und Beispiele Gleichungsbasierte Modelle II
Es ist immer vorteilhaft, mit dimensionslosen Großen zu arbeiten. Mit den Konzentrationsein-
heiten
X0 =k3A2k4
,Y0 =k3Ak2
undZ0 =(k3A)2
k4k5, der Zeiteinheitt0 = k−1
5
sowie den dimensionslosen Parameternε =k5
k3A,δ =
2k4k5
k2k3A,q=
2k1k4
k2k3und f ≈ 0.5
folgt in dimensionslosen GroßenX1 = X/X0 ,X2 =Y/Y0 ,X3 = Z/Z0 ,τ = t/t0
εdX1
dτ= qX2−X1X2+X1(1−X1) , δ
dX2
dτ=−qX2−X1X2+2 f X3 ,
dX3
dτ= X1−X3 . (2.22)
Eine mathematische Analyse dieses Systems in genau dieser Skalierung kann in Murray (1989)
gefunden werden.
2.3.5 Aktive Medien
Die BZR spielt eine Sonderrolle bei der Untersuchung chemischer dissipativer Strukturen. Sie
wird oft als Modell fur das Studium von Wellenprozessen inaktiven Medien gewahlt. Der
Begriff der aktiven Medien war ursprunglich mit der Erforschung der Signalausbreitung in Ner-
venfasern, im Hirn, im Herzen und in Muskeln entstanden.
Jeder Raumpunkt eines aktiven Mediums ist
1. Quelle freier Energie,
2. Ort nichtlinearer Prozesse, die fern vom Gleichgewicht ablaufen,
3. durch Transportsysteme eng mit den Nachbarpunkten verbunden.
Charakteristische Prozesse sind
1. die ungedampfte Ausbreitung von Impulsen, Fronten und Wellen,
2. die spontane Erregung von Wellen in bestimmten Punkten (Fuhrungszentren),
3. die Erzeugung irregularer Wellen, die zur Turbulenz (Chaos) fuhrt,
4. die Ausbildung raumlich synchroner Schwingungen,
5. die Bildung stationarer inhomogener Strukturen, z.B. stehender Fronten und stehender
Wellen.
Eine Methode der theoretischen Behandlung solcher Prozesseist die mit Reaktions-Diffusions-
Advektionsgleichungen:
∂Xi(~r, t)∂t
= fi(X)−~∇ ·[
~viXi−N
∑j=1
Di j~∇Xj
]
; i = 1,2, ...,N. (2.23)
18
Gleichungsbasierte Modelle II 2. Grundlagen und Beispiele
Dabei ist
• X = Xi : i = 1,2, . . . ,N der Vektor der Konzentrationen der N chemischen Sorten am
Ort~r = x,y,z,
• fi(X) die i.a. nichtlineare Reaktionsfunktion,
• ~vi der Geschwindigkeitsvektor der i-ten Sorte,
• ~∇ der Nabla-Operator und
• Di j die Diffusionsmatrix.
2.3.6 Literaturhinweise
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20
Gleichungsbasierte Modelle II 2. Geschichtliche Entwicklung
2.4 Geschichte der Forschunguber nichtlineare Phanomene und Selbst-
organisation
Literatur: Tyson & Kagan (1988); Paslack & Knost (1990)
Fruhzeit Spekulative Konzepte gab es bereits in der Antike (Heraklit, Aristoteles, Lukrez)
17. Jh. Verbindung philosophischer Ideen mit naturwissenschaftlichen Konzepten (New-
tonsche Physik)
18. Jh. I. Kant Kritik der Urteilskraft : SELBSTORGANISATION = Vermogen der Na-
tur, Ordnung hervorzubringen = unerforschliche Eigenschaft der Materie
1798 Unbeschranktes Wachstum von Populationen von T. Malthus
19. Jh. Darwin⇒ Einfuhrung des Entwicklungsgedankens in die Naturwissenschaften,
Helmholtz⇒ Formulierung des Energiesatzes (1. HS der Thermodynamik),
Clausius⇒ Formulierung des Entropiesatzes (2. HS der Thermodynamik)
1828 Schwankungen des Potentials an einer Eisenelektrode in schwachsaurer Losung
von M. Fechner
1834 Pulsierendes Gluhen von Phosphor nach P. S. Munck af Rosenschold
1838 Beschranktes Wachstum von Populationen von P. Verhulst
1873 Schlagendes Quecksilberherz von G. Lippmann
1896 Periodische Fallungsreaktionen von R. Liesegang
1899 Periodische Losung von Chrom in Saure von W. Ostwald
20. Jh. Mehrere unabhangige Entwicklungsstrange der Selbstorganisationsforschung:
1900 Konvektionszellen in einer Flussigkeitsschicht von H. Benard
1906 Diffusive Reaktionsfronten von R. Luther
1910 Theorie periodischer chemischer Reaktionen von A. Lotka
1913 Kinetik der Invertinwirkung von L. Michaelis und M. Menten
1916 Periodische Reaktion von J. S. Morgan
1921 Periodische Reaktion von W. C. Bray (Bray-Liebhafsky)
1923 Instabilitat einer Flussigkeitsschicht zwischen 2 rotierenden Zylindern von G.L.
Taylor
1925 Physikalische Biologie von A. Lotka
1926 Populationstheorie von V. Volterra
21
2. Geschichtliche Entwicklung Gleichungsbasierte Modelle II
1934 Populationsoszillationen nach G.F. Gause und A.A. Vitt
1937 Diffusionsfronten nach R.A. Fisher sowie Kolmogorovet al.
1938 Winderzeugte Rollzellen von I. Langmuir
1940 Organismus als offenes System im Fließgleichgewicht nach L. v. Bertalanffy
1944 E. Schrodinger: What is life?
1948 Kybernetik von N. Wiener (Regelkreis, feedback systems)
1952 Theorie der chemischen Grundlagen der Biomorphogenesevon A. Turing
1959 Periodische Reaktion von B. Belousov
1960 Systemtheoretisch-kybernetischer Ansatz von H. von Foerster (Prinzip”Order
from noise“)
1962-70 Theorie selbstreproduzierender Automaten von J. von Neumann, E. F. Moore,
A. W. Burks, K. v. Zuse u.a. [”Mosaikstrukturen (-automaten)“,
”Zellulare Auto-
maten“,”Iterative Computer“]
1963 Theorie des deterministischen Chaos seit E. N. Lorenz
1964 Chemische Zielscheibenwellen von A. M. Zhabotinskii
1967 Theorie dissipativer Strukturen von I. Prigogine
1971 Chemische Spiralwellen von A. M. Zhabotinskii und A. N. Zaikin
1971 Synergetik von H. Haken
1971 Theorie autokatalytischer Hyperzyklen von M. Eigen
1972 Theorie biologischer Formbildung von A. Gierer und H. Meinhardt
1972 Diffusionsinstabilitaten in der Populationsdynamik nach L. A. Segel und J. L.
Jackson
1972 Stabilitat nach R. M. May
1973 Periodische Reaktion von Briggs-Rauscher (Kombination von BLR und BZR)
1973 Konzept elastischerOkosysteme von C. S. Holling
1974 Gaia-Prinzip von L. Margulis und J. Lovelock
1977 Fraktale Geometrie der Natur nach B. Mandelbrot
1980 Bifurkationstheorie von M. Feigenbaum
1980 Autopoiesekonzept von H. Maturana und F. Varela ab ca. 1975
22
Gleichungsbasierte Modelle II 2. Geschichtliche Entwicklung
1988 Selbstorganisierte Kritizitat, Leben am Rande des Chaos, Komplexitatstheo-
rie (speziell P. Bak, C. Langton, N. Packard und S. Kauffman, vgl. Lewin
(1993a,1993b)
1990 Experimenteller Nachweis von Turing-Strukturen in chemischen Systemen von
V. Castets, P. de Kepper u.a.
1992 Theoretische Vorhersage und experimenteller Nachweis von durch differentielle
Flusse erzeugten Wellen in chemischen Systemen von A. B. Rovinsky und M.
Menzinger
1995-97 Nachweis dynamischerUbergange und irregularer Oszillationen in Insektenpo-
pulationen durch Costantino et al.
21. Jh.
2005 Nachweis dynamischerUbergange und irregularer Oszillationen in Bakterienpo-
pulationen durch Becks et al.
2.4.1 Zitate und weitere Literaturhinweise
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3. Modellsysteme Gleichungsbasierte Modelle II
3. Modellsysteme
3.1 Das deterministische und stochastische Schlogl-Modell
Die deterministische Dynamik
Aus der Formalkinetik weiß man, daß sich der zeitliche Verlauf chemischer Reaktionen durch
gewohnliche Differentialgleichungen beschreiben laßt:
dCi
dt= fi (C1,C2, . . . ,Cn) , i = 1,2, . . . ,n. (3.1)
Dabei ist fi die algebraische Summe der Geschwindigkeiten der Elementarreaktionen der betei-
ligten Reaktanden mit den KonzentrationenCi. Die fi sind meist Polynome niedriger Ordnung.
Ein klassisches Beispiel ist das Schlogl-Modell 1972:
A+2Xk1−→←−
k−1
3X , (3.2)
Xk2−→←−
k−2
B . (3.3)
Das ZwischenproduktX wird durchAutokatalyse 2. Ordnung gebildet. AusgangsstoffA und
ProduktB werden konstant gehalten, d.h., sie sind Steuerparameter,die die Reaktion aus dem
Gleichgewicht treiben konnen. Die Dynamik des Zwischenproduktes wird beschriebendurch
dCX
dt=−k−1C
3X +k1CAC2
X−k2CX +k−2CB . (3.4)
Sind beide Reaktionen im Gleichgewicht, gilt
−k−1C3X +k1CAC2
X = 0 und
−k2CX +k−2CB = 0.
Aus der ersten Gleichung folgtCX = k1CA/k−1, aus der zweitenCX = k−2CB/k2. Somit lautet
die Gleichgewichtsbedingung
CA
CB=
k−1k−2
k1k2. (3.5)
Alle anderen Werte des Quotienten stellen Nichtgleichgewichtszustande dar, d.h., daß die che-
mischen Reaktionen durch dieaußeren Zwange (A,B) ihre Gleichgewichtszustande nicht reali-
sieren konnen. Je nach Wahl der Konzentrationen der an der Gesamtreaktion beteiligten Stoffe
findet man dann:
1. summarische Zustande, beide Reaktionen (3.2,3.3) produzieren mit der gleichen Effekti-
vitat das Zwischenprodukt,
2. Zustande in denen eine Reaktion dominant ist, und
27
Gleichungsbasierte Modelle II 3. Modellsysteme
3. Zustande, in denen sich in Abhangigkeit von der Anfangsbedingung ein jeweils zu den
Einzelreaktionen (3.2) oder (3.3) gehoriger stationarer Zustand herausbildet.
Diese Eigenschaft wird als Bistabilitat bezeichnet. Bei gleichenaußeren Zwangen besitzt das
System eine bestimmte Variabilitat, die sich darinaußert, das es in Abhangigkeit vom Anfangs-
zustand einen von zwei asymptotisch stabilen Zustanden anlauft und in ihm bei Vernachlassi-
gung von Fluktuationen unendlich lange verweilt.
Als notwendige Voraussetzung fur die Erzeugung von Bistabilitat erweisen sich die Gleichge-
wichtsferne und das Wirken von qualitativ unterschiedlichen Wachstumsgesetzen des chemi-
schen Reaktanden, von denen mindestens eines nichtlinear ist.
Die Einfuhrung dimensionsloser Großen erleichtert die weitere Arbeit mit dem Schlogl-Modell:
Man setztCX =C ·C0 = Betrag× Dimension, und entsprechendt = τ · t0, woraus folgt
dCdτ
=t0C0
[−k−1C
3C30 +k1CAC2C2
0−k2CC0+k−2CB],
dCdτ
=−k−1t0C20C3+k1CAt0C0C
2−k2t0C+k−2t0C0
CB
Schließlich wahlt man die Einheitent0 undC0 so, daß moglichst viele Einsen vor den hochsten
Potenzen inC entstehen:
k−1t0C20 = 1 =⇒ t0 =
1
k−1C20
k1CAt0C0 = 1 =⇒ k1CA1
k−1C20
C0 = 1
C0 =k1CA
k−1=⇒ t0 =
k−1
k21C
2A
Setzeβ = k2t0 =k−1
k21C
2A
k2 und γ =t0C0
k−2CB =k2−1
k31C
3A
k−2CB
=⇒dCdτ
=−C3+C2−βC+ γ (3.6)
So erhalt man eine dimensionslose Gleichung mit nur noch zwei Parametern.
Stationare Zustande einkomponentiger Systeme sind die Nullstellen der Reaktionsfunktionf (CS)
= 0. Eine lineare Analyse der Stabilitat gegen kleine Auslenkungen zeigt, daß sie stabil sind fur
d f(CS)/dC= f ′(CS)< 0 und entsprechend instabil fur f ′(CS)> 0. Die Bedingungf ′(CS) = 0
deutet auf einenUbergangspunkt hin, in dem sich Zahl und Stabilitat stationarer Zustande
28
3. Modellsysteme Gleichungsbasierte Modelle II
-0.01
-0.005
0
0.005
0.01
0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7
F(X
)
X
Reaktionsfunktion des Schloegl-Modells
Beta=0.25 ; Gamma=0.01
Abbildung 3.1: Reaktionsfunktion des Schlogl-Modells
andern konnen.
Die Kombination der Bedingungen von Stationaritat und Kritizitat liefert das Bifurkationsdia-
gramm im Parameterraum, hier
f ′(CS) = 0 ⇒ β = 2C−3C2 = 3C
(23−C
)
,
f (CS) = 0 ⇒ γ =C3−C2+βC= 2C2(
12−C
)
.
Laßt man jetzt C als Parameter zwischen 0 und 0.5 laufen, ergeben sich die beiden Flanken einer
fur C= 1/3 beiβk = 1/3, γk = 1/27 entstehendenSpitze, dem fur bistabile Systeme typischen
Bifurkationsbild.
Im Inneren der Spitze existieren 3 stationare ZustandeCS1 <CS
2 <CS3. FurC<CS
2 ist die nichtka-
talytische Reaktion (3.3) dominant, und es wird der stationare ZustandC=CS1 angelaufen. Fur
C>CS2 dominiert die autokatalytische Reaktion (3.2), und das System wird beiC=CS
3 stationar.
Ein Verlassen der Spitze (des bistabilen Bereiches) fuhrt beiβ < βk undγ < γk zu einer totalen
Dominanz einer der beiden Reaktionstypen. Beiβ > βk und γ > γk stellen sich Zustande ein,
die oben als summarisch bezeichnet worden sind.
DieseUbergange konnen auch als elementare Katastrophen nach R. Thom 1975 erklart werden.
Ein Durchgang durch die Flanken stellt eineEndkatastrophedar (Entstehung bzw. Verschwin-
den eines stabilen und eines instabilen Zustandes). Bei Durchlaufen des kritischen Punktes an
29
Gleichungsbasierte Modelle II 3. Modellsysteme
0
0.005
0.01
0.015
0.02
0.025
0.03
0.035
0.04
0 0.05 0.1 0.15 0.2 0.25 0.3 0.35
Gam
ma
Beta
Bifurkationsdiagramm fuer das bistabile Schloegl-Modell
Abbildung 3.2: Bifurkationsdiagramm des Schlogl-Modells
der Spitze, spricht man entsprechend von einerSpitzenkatastrophe(ein stabiler Zustand wird
selbst instabil und spaltet 2 stabile Losungen ab).
Die stochastische Dynamik
Welcher der beiden stabilen stationaren Zustande angelaufen wird, hangt im deterministischen
Fall, wie mehrfach festgestellt, von der Wahl der Anfangsbedingung ab.
An dieser Stelle soll jetzt ein ganz kurzer Ausflug ins Reich der Zufallsprozesse gemacht wer-
den. Es werden keine KonzentrationenC(t) betrachtet sondern TeilchenzahlenN(t) in einem
vorgegebenen ReaktionsvolumenV mit N(t) =VC(t). Ordnet man jetzt der chemischen Reak-
tion den Charakter eines Zufallsprozesses zu, gibt es nur noch eine bestimmte Wahrscheinlich-
keit, daß die TeilchenzahlN(t) ihren Wertandert. Als Elementarereignis treten reaktive Stoße
(und diffusive Bewegungen) auf. Entgegen der deterministischen Theorie erfolgt in der stocha-
stischen Theorie keine eindeutige Abbildung vonN(t0) auf spatere Zeitpunktet > t0.
Die Hauptgroße der stochastischen Theorie ist die WahrscheinlichkeitPk(N1, t1;N2, t2; . . . ;Nk, tk),
Ni Teilchen zu einem Zeitpunktti anzutreffen. Fur Markovprozesse (ohne Gedachtnis) und ein-
fache chemische Reaktionen mit∆N = ±1, ist es moglich, eine Gleichung zur Bestimmung
der Wahrscheinlichkeitsverteilung zu finden. Fur einkomponentige Systeme (also auch fur das
Schlogl-Modell) besitzt diese eine eindeutige stationare Losung.
Fur eine numerische Simulation werden jetzt lediglich Elementarereignisse∆N = 0,±1, d.h.
Verweilen und Ab- bzw. Zunahme der Teilchenzahl um±1, betrachtet.
30
3. Modellsysteme Gleichungsbasierte Modelle II
Es werdenUbergangswahrscheinlichkeiten pro Zeiteinheit definiert, die nur verschieden von
Null sind, wenn sich die Teilchenzahl um±1 andert:
WN,N+1≡W+N 6= 0 fur N→ N+1, (3.7)
WN,N−1≡W−N 6= 0 · · · N→ N−1, (3.8)
WN,M ≡ 0 · · · M 6= N−1,N+1, (3.9)
WN,M ≡ 0 · · · N,M < 0. (3.10)
Damit laßt sich eine Pauli-Gleichung formulieren, die ein spezieller Typ der Master-Gleichung
(Haken, 1978; Gardiner, 1985; Malchow & Schimansky-Geier,1985) fur eindimensionale dis-
krete Markovprozesse ist:
dP(N, t)dt
=W+N−1P(N−1, t)+W−N+1P(N+1, t)− (W+
N +W−N )P(N, t) . (3.11)
Zu- und Abfluß der Wahrscheinlichkeit, N Teilchen zum Zeitpunkt t vorzufinden, reduzieren
sich auf die Nachbarzustande. Grundelement der Methode ist die Realisierung einer stochasti-
N+1W P(N+1,t)-+
W P(N-1,t)N-1
W P(N,t)-N
W P(N,t)+N
N-1 N+1N
schen Trajektorie in Abhangigkeit von denUbergangswahrscheinlichkeiten pro Zeiteinheit und
der Wartezeitverteilungsfunktion. Um letztere zu bestimmen, lost man die Pauli-Gleichung
mit der Anfangsbedingung P(N′,0) = δN,N′
und den Randbedingungen P(N′, t) = 0 fur N′ 6= N.
Die Pauli-Gleichung lautet dann
dPN(t)dt
=−(W+N +W−N )PN(t) . (3.12)
PN(t) ist die Wahrscheinlichkeit, daß der Prozeß zur Zeitt den ZustandN noch nicht verlassen
hat. Fur einen Markov-Prozeß findet man daraus als Wartezeitverteilungsfunktion einen Expo-
nentialausdruck
PN(t) = exp
(
− tτN
)
(3.13)
mit der mittleren LebenszeitτN des ZustandesN
τN =1
W+N +W−N
. (3.14)
31
Gleichungsbasierte Modelle II 3. Modellsysteme
Man sieht, daßPN(0) = 1 undPN(∞) = 0, also richtigerweisePN(t)∈ [0,1]. Fur die Zeitt findet
man
t =−τN lnPN(t).
Realisiert man jetzt eine gleichverteilte ZufallszahlRNDM im Intervall [0,1], so ist
t =−τN ln(RNDM)
eine zufallige Zeit mit der VerteilungPN(t), die das System im ZustandN verweilt.
Nach der Zeitt wird das System den ZustandN verlassen. Mit der Wahrscheinlichkeit
W+N τN =
W+N
W+N +W−N
springt es in den ZustandN+1, mit der Wahrscheinlichkeit
W−N τN =W−N
W+N +W−N
in den ZustandN−1.
Realisiert man jetzt eine weitere ZufallszahlRANDOMim Intervall [0,W+N +W−N ], moge sich
die Teilchenzahl um 1 erhohen, wenn giltRANDOM<W+N und umgekehrt.
-WN
+WN
N N N-1N+1
Tragt man in einem(N, t)-Diagramm den ZustandN zur Zeit t auf und wiederholt diese Pro-
zedur nach jedem Schritt, wobei die Lebenszeit jeweils an die des vorhergehenden Zustandes
anknupft, erhalt man eine TrajektorieN(t).
Andererseits kann man die zufalligen Zeiten in allen Zustanden summieren. Die so erhaltene
FunktionQ(N, t) mit t als Dauer des Prozesses ist nach einer Normierung eine der moglichen
Zeitentwicklungen der Wahrscheinlichkeitsverteilungsfunktion. Fur hinreichend große Zeiten
stimmt die normierte FunktionQ(N, t) mit der stationaren Losung der Pauli-Gleichunguberein.
Jetzt wird der Formalismus auf das Schlogl-Modell angewendet. Die Festlegung derUbergangs-
wahrscheinlichkeiten beginnt mit der deterministischen Ausgangsgleichung (3.4) fur die Kon-
zentration des ZwischenproduktesX:
dCX
dt=−k−1C
3X +k1CAC2
X−k2CX +k−2CB .
32
3. Modellsysteme Gleichungsbasierte Modelle II
Jetzt wird ins Teilchenzahlenbild gewechselt durchCX(t) = N(t)/V, und man erhalt nach Mul-
tiplikation mit V
dNdt
=−V
(
k−1N3
V3 −k1CAN2
V2 +k2NV−k−2CB
)
. (3.15)
Eine Neuskalierung durch Einfuhrung dimensionsloser Großen fur Volumenv=V/V0 und Zeit
τ = t/t0 fuhrt nach Multiplikation mitt0 auf
dNdτ
=−v
(
k−1t0N3
v3V20
−k1t0CAN2
v2V0+k2t0
Nv−k−2t0V0CB
)
.
Die Wahl von
t0 =V2
0
k−1, a=
k1
k−1V0CA , b=
k2
k−1V2
0 und c=k−2
k−1V3
0 CB
ergibt schließlich
dNdτ
=−v
(N3
v3 −aN2
v2 +bNv−c
)
=−N3
v2 +aN2
v−bN+vc. (3.16)
Die Ubergangswahrscheinlichkeiten pro Zeiteinheit werden gefunden, indem man in den deter-
ministischen Gewinn- und Verlustraten die ProdukteNk durchN(N−1)(N−2) . . . (N+1−k)
ersetzt (McQuarrie, 1967; Gardiner, 1985). Diese Regel berucksichtigt, daß eines vonN Teil-
chen jeweils nur mit(N−1) anderen Teilchen zusammentreffen kann.
Fur das Schlogl-Modell lauten die Gewinn- und Verlustrate
(dNdτ
)
(+)
= v
(
aN2
v2 +c
)
und
(dNdτ
)
(−)= v
(N3
v3 +bNv
)
. (3.17)
Damit folgt fur dieUbergangswahrscheinlichkeiten pro Zeiteinheit
N→ N+1 ↔ W+N = v
[
aN(N−1)
v2 +c
]
,
N→ N−1 ↔ W−N = v
[N(N−1)(N−2)
v3 +bNv
]
.
Mit diesen Regeln kann die stochastische Simulation begonnen werden. Es wird deutlich, daß
ein deterministischer Attraktor jetzt zugunsten des anderen verlassen werden kann (vgl. Mal-
chow & Schimansky-Geier, 1985, S. 90ff.).
33
Gleichungsbasierte Modelle II 3. Modellsysteme
c Programmbeispiel in FORTRAN 77
program realisdimension n(0:1000000),t(0:1000000)common/rand/ny1,ny2,ny3
c Zahl der stochastischen Uebergaengenstep=500000
c Systemparametera=1.55b=0.595c=0.060481v=100.0
c Anfangswertet(0)=0.n(0)=5
c Stabile Zustaende n1=13, n3=99; instabil n2=44c Anfangswerte des Zufallszahlengenerators RNDM
ny1=77651ny2=129ny3=2097152
c Realisierungdo 100 k=0,nstep
c Uebergangswahrscheinlichkeitenwplus=a*v*(n(k)*(n(k)-1)/(v*v)+c/a)wminus=n(k)*((n(k)-1)*(n(k)-2)/(v*v)+b)
c Summe der Uebergangswahrscheinlichkeitensumofw=wplus+wminus
c Mittlere Aufenthaltszeitdtmean=1.0/sumofw
c Naechster Zeitschrittdt=-dtmean*log(rndm(1.0))
c Neue Zeitt(k+1)=t(k)+dt
c Festlegung des stattfindenden Uebergangsevent=rndm(sumofw)if (event.le.wplus) n(k+1)=n(k)+1if (event.gt.wplus) n(k+1)=n(k)-1
100 continuec Ausgabe von Zeit vs. Teilchenzahl zur Darstellung mit Gnuplot
open(10,file=“real“)write(10,200) (t(k),n(k),k=0,nstep)close(10)
200 format(1x,f15.3,2x,i5)end
c Zufallszahlengenerator
function rndm(s)common/rand/ny1,ny2,ny3ny1=mod (ny1*ny2+1,ny3)rndm=s*float(ny1)/float(ny3)returnend
34
3. Modellsysteme Gleichungsbasierte Modelle II
0
20
40
60
80
100
120
140
160
0 500 1000 1500 2000
Tei
lche
n
Zeit
Stochastische Dynamik des bistabilen Schloegl-Modells
"real"
Abbildung 3.3: Stochastische Realisierung des Schlogl-Modells
3.2 Der deterministische und stochastische Brusselator
Die deterministische Dynamik
Der Brusselator von Prigogine und Lefever (1968) enthalt wie das Schlogl-Modell einen au-
tokatalytischen Reaktionsschritt zweiter Ordnung, d.h., auch eine kubische Nichtlinearitat. Im
Unterschied zu Schlogl werden zwei dynamische Zwischenprodukte eingefuhrt:
Ak1−→←−
k−1
X , (3.18)
B+Xk2−→←−
k−2
Y+D , (3.19)
2X+Yk3−→←−
k−3
3X , (3.20)
Xk4−→←−
k−4
E . (3.21)
A, B, D undE sind wie beim Schlogl-Modell Steuerparameter, die die Reaktion aus dem Gleich-
gewicht treiben konnen. Die Gesamtreaktion ist
AkG−→←−
k−G
E .
Unter der vereinfachenden Annahme irreversibler Reaktionen k−i = 0; i = 1,2,3,4; findet man
35
Gleichungsbasierte Modelle II 3. Modellsysteme
fur die Kinetik der ZwischenprodukteX undY:
dCX
dt= k1CA− (k2CB+k4)CX +k3C
2XCY , (3.22)
dCY
dt= k2CBCX−k3C
2XCY . (3.23)
Die Einfuhrung dimensionsloser Großen erleichtert wieder die Arbeit:
X1 =
√
k3
k4CX , X2 =
√
k3
k4CY ,a=
k1
k4
√
k3
k4CA, b=
k2
k4CB , τ = k4t ,
woraus folgt
dX1
dτ= f1(X1,X2) = a− (b+1)X1+X2
1X2 , (3.24)
dX2
dτ= f2(X1,X2) = bX1−X2
1X2 . (3.25)
Es gibt nur eine stationare Losung(XS1 ,X
S2 ) mit f1(X1,X2) = f2(X1,X2) = 0, namlich
XS1 = a, XS
2 =ba. (3.26)
Die linearen Stabilitatsbedingungen fur stationare Losungen zweikomponentiger Systeme lau-
ten
a11+a22 < 0 , a11a22−a12a21 > 0,
mit den Elementen der Jacobi-Matrix
ai j =∂ fi(XS
1 ,XS2 )
∂Xj; i = 1,2; j = 1,2.
Die erste Stabilitatsbedingung ist erfullt f ur
b< 1+a2 , (3.27)
die zweite immer, unabhangig von der Parameterwahl. Dabei ist der stationare Zustand ein
stabiler Knoten fur 0 < b < (a−1)2 ,
stabiler Fokus fur (a−1)2 < b < a2+1 ,
instabiler Fokus fur a2+1 < b < (a+1)2 ,
instabiler Knoten fur (a+1)2 < b < ∞ .
Wie verhalt sich das System aber fur b> 1+a2, wenn(XS1 ,X
S2 ) instabil ist und keine Trajektorie
diese Losung fur τ→ ∞ anlaufen kann?
36
3. Modellsysteme Gleichungsbasierte Modelle II
Wenn es wie hier nur eine einzige stationare Losung gibt, mussen die Trajektorien entweder ge-
gen unendlich oder gegen eine periodische Losung streben. Kann man zeigen, daß die Losung
beschrankt ist, ist man sicher, daß es mindestens eineperiodische Losung gibt (Tyson, 1976).
Um zu beweisen, daß die Losungen des Brusselators beschrankt sind, reicht es, zu zeigen, daß
jede TrajektorieX1(τ),X2(τ) | 0≤ τ < ∞, die in einem gewissen GebietΩ startet, auch inΩverbleibt.
Man betrachte die Menge
Ω = X1,X2 | X1 > 0,X2 > 0,X2 < α−X1,X2 < β+X1 , (3.28)
wobeiα undβ im Moment noch unbestimmt bleiben. Der Rand vonΩ besteht aus Teilen der
vier Geraden
X1 = 0, X2 = 0, X2 = α−X1 , X2 = β+X1 .
Sei~e1 = (1,0) der Einheitsvektor in Richtung derX1-Achse,~e2 = (0,1) der auf derX2-Achse
und
~w= ~e1dX1
dτ+~e2
dX2
dτ=
(dX1
dτ,dX2
dτ
)
(3.29)
das durch den Brusselator definierte Vektorfeld. Es soll gezeigt werden, daß dieses Vektorfeld
~w von jedem Punkt des Randes∂Ω in das GebietΩ hineinzeigt, d.h.
~w ·~n< 0 auf ∂Ω ,
wenn~n der nach außen gerichtete Normalenvektor auf∂Ω ist.
Auf dem linken Teil des Randes mitX1 = 0,~n= (−1,0) gilt
~w ·~n |X1=0 =−dX1
dτ
∣∣∣X1=0
=−a< 0.
Auf dem unteren Teil des Randes mitX2 = 0,~n= (0,−1) gilt
~w ·~n |X2=0 =−dX2
dτ
∣∣∣X2=0
=−bX1 < 0.
Gilt X1 = X2 = 0, kann auch keine Trajektorie das Gebiet verlassen, denn fur (X1(0),X2(0)) =
(0,0) ist X1(τ)> 0 und damit auchX2(τ)> 0 fur ein Zeitintervall 0< τ < ε.
Auf dem rechten oberen Rand istX2 = α−X1,~n= (1,1) und
~w ·~n |X2=α−X1=
(dX1
dτ+
dX2
dτ
)
X2=α−X1
= a−X1 < 0 fur X1 > a.
37
Gleichungsbasierte Modelle II 3. Modellsysteme
Fur jedesα > 0 istX2 = α−X1 eine ausreichende Grenze, solangeX1 > a bleibt.
Ist X1 < a, wird X2 = β+X1 als linker oberer Rand vorgeschlagen. Mit~n= (−1,1) folgt
~w ·~n |X2=β+X1=
(dX1
dτ+
dX2
dτ
)
X2=β+X1
=−a+(2b+1)X1−2X21X2 < 0 ???
Damit dieser Ausdruck kleiner Null wird, muß gelten
X2 >(2b+1)X1−a
2X21
.
Die rechte Seite erreicht ihr Maximum(2b+1)2/8a beiX1 = 2a/(2b+1). Fur den betrachteten
Bereichb> 1+a2 ist dieses Maximum immer kleiner alsa, X1 = 2a/(2b+1)< a, man ist also
in der richtigen Region.
Jetzt mußβ so gewahlt werden, daß die GeradeX2 = β+X1 durch den PunktX1 = 2a/(2b+
1),X2 = (2b+1)2/8a verlauft. Daraus folgt
β =(2b+1)3−16a2
8a(2b+1).
Schließlich wirdα so gewahlt, daß sich die GeradenX2 = α−X1 undX2 = β+X1 bei X1 = a
schneiden, d.h.α = 2a+ β. Damit ist bewiesen, daß der Brusselator fur b > 1+a2 be-
schrankte Losungen, also wenigstens eine stabile periodische Losung hat (Tyson, 1976,
S. 16ff.).
0
1
2
3
4
5
6
7
0 1 2 3 4 5 6 7 8
X(2
)
X(1)
Beschraenkte periodische Loesung des Bruesselators
+
a=1, b=3Instabile Loesung X(1) = a, X(2) = b/a
X(2) = 5.84 + X(1)
X(2) = 7.84 - X(1)
X(1) = a
Abbildung 3.4: Beschrankte periodische Losung des deterministischen Brusselators
38
3. Modellsysteme Gleichungsbasierte Modelle II
Die stochastische Dynamik
Ausgangspunkt sind wie beim Schlogl-Modell die deterministischen Gleichungen (3.22,3.23).
Die stationare Losung in dimensionierten Großen lautet
CSX =
k1CA
k4, CS
Y =k4k2CB
k3k1CA.
Honerkamp (1990) hat einen Parameterη eingefuhrt, namlich
η =2k4
k2CB.
Die stationare Losung ist dann stabil fur
η > ηc = 2
(
1−CSX
CSY
)
= 2
(
1− k3k21C
2A
k24k2CB
)
und instabil fur η < ηc (Grenzzyklus).
Fur die stochastische Behandlung wird zu TeilchenzahlenNX, NY im VolumenV ubergegangen.
Die beim irreversiblen Brusselator moglichenUbergange sind hier skizziert:
t t t
t t t
t t t
NX,NY
NX +1,NYNX−1,NY
NX−1,NY +1
NX +1,NY−1
Fur die vierUbergangswahrscheinlichkeiten gilt:
(1) NX,NY −→ NX +1,NY:
w(NX +1,NY |NX,NY) ≡ w(1)(NX,NY) = Vk1CA,
39
Gleichungsbasierte Modelle II 3. Modellsysteme
(2) NX,NY −→ NX−1,NY +1 :
w(NX−1,NY +1|NX,NY) ≡ w(2)(NX,NY) = k2CBNX,
(3) NX,NY −→ NX +1,NY−1:
w(NX +1,NY−1|NX,NY) ≡ w(3)(NX,NY) = k3NX(NX−1)NY/V2 ,
(4) NX,NY −→ NX−1,NY:
w(NX−1,NY |NX,NY) ≡ w(4)(NX,NY) = k4NX.
Damit lautet die Mastergleichung
∂P(NX,NY, t)∂t
= w(1)(NX,NY |NX−1,NY)P(NX−1,NY)
+ w(2)(NX,NY |NX +1,NY−1)P(NX +1,NY−1)
+ w(3)(NX,NY |NX−1,NY +1)P(NX−1,NY +1)
+ w(4)(NX,NY |NX +1,NY)P(NX +1,NY)
− [w(1)(NX +1,NY |NX,NY) (3.30)
+ w(2)(NX−1,NY +1|NX,NY)
+ w(3)(NX +1,NY−1|NX,NY)
+ w(4)(NX−1,NY |NX,NY) ]P(NX,NY).
Ubungsaufgabe:Numerische Berechnung der stochastischen Trajektorien, graphische Darstel-
lung und Vergleich mit der deterministischen Losung.
Parameterwerte:
1. k1 = 10,k2 = 1,k3 = 10−4,k4 = 1,CA = 10,CB = 1
(⇒ η = 2,ηc = 0),V = 1,NX(0) = 1,NY(0) = 1;
2. k1 = 1.225,k2 = 1,k3 = 5·10−5,k4 = 0.15,CA = 1.225,CB = 1
(⇒ η = 0.3,ηc = 0.5),V = 0.1,NX(0) = 1,NY(0) = 1.
3.3 Das chaotische Lorenz-Modell
Das bekannteste und bereits im Grundlagen-Kapitel 2.2.1 erwahnte Beispiel eines dreikompo-
nentigen autonomen Differentialgleichungssystems mit chaotischen Schwingungen ist sicher
das von Edward Lorenz (1963), der versucht hat, ein Modell fur denUbergang vom konvekti-
ven zum turbulenten (chaotischen) Warmetransport in einem Temperaturgradienten aufzustel-
len, vgl. Schuster (1994, S. 9-11).
40
3. Modellsysteme Gleichungsbasierte Modelle II
Ausgangspunkt war das im Abschnitt 2.2.1 beschriebene Experiment von Benard. Lorenz hat
die komplizierten partiellen Differentialgleichungen fur Warme- und Flussigkeitsbewegung auf
ein einfach erscheinendes System von 3 gewohnlichen Differentialgleichungen reduziert:
dXdt
=−σ(X−Y) ,dYdt
= rX−Y−XZ ,dZdt
= XY−bZ. (3.31)
Dabei sindσ und b dimensionslose Konstanten, die Materialeigenschaften des Systems be-
schreiben, undr ist ein externer Kontrollparameter, der proportional zur Temperaturdifferenz
∆T ist. Die VariableX ist proportional zur Geschwindigkeit, mit der die Flussigkeit zirkuliert,Y
charakterisiert die Temperaturdifferenz zwischen auf- und absteigenden Flussigkeitselementen,
undZ ist proportional zur Abweichung des vertikalen Temperaturprofils von seinem Gleichge-
wichtswert.
Die numerische Analyse dieser so einfach aussehenden Differentialgleichungen ergibt, daß ihre
Zustandsgroßen oberhalb einer Schwelle∆T chaotisches Verhalten zeigen.
Das Lorenz-Modell kann drei stationare Zustande(XS,YS,ZS) besitzen, vgl. Jetschke (1989).
Die triviale Losung(XS1 ,Y
S1 ,Z
S1) = (0,0,0) existiert stets und entspricht der ruhenden Flussig-
keit.
Die beiden Losungen(XS2,3 =YS
2,3,ZS2,3) = (±
√
b(r−1), r−1) existieren erst fur r > 1 und ent-
sprechen dem Vorliegen von Konvektionszellen.
Die Eigenwertgleichung fur die lineare Stabilitatsanalyse einer stationaren Losung
(XS,YS,ZS) lautet∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣
−σ−λ σ 0
r−ZS −1−λ −XS
YS XS −b−λ
∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣
= 0 .
Fur die triviale Losung erhalt man
(λ+b)[λ2+(σ+1)λ−σ(r−1)
]= 0 ,
so daß(XS1 ,Y
S1 ,Z
S1)= (0,0,0) fur 0< r < 1 ein asymptotisch stabiler Knoten ist. Beir = 1 kreuzt
ein reeller Eigenwert die imaginare Achse (d.h.λ1 = 0,λ3 < λ2 < 0), so daß die Nullosung fur
r > 1 ein Sattelpunkt ist.
Fur die beiden anderen Losungen erhalt man die charakteristische Gleichung
λ3+(σ+1+b)λ2+b(σ+ r)λ+2bσ(r−1) = 0 .
41
Gleichungsbasierte Modelle II 3. Modellsysteme
Fur r > 1 soll das Routh-Hurwitz-Kriterium angewendet werden:
Alle Nullstellen des Polynoms
anλn+an−1λn−1+ . . .+a1λ+a0 = 0 .
mit reellen Koeffizientenai ; i = 0,1,2, ...,n; unda0 > 0;an 6= 0 liegen genau dann in der linken
offenen Halbebene, wenn alle Determinanten
a1,
∣∣∣∣∣∣∣
a1 a0
a3 a2
∣∣∣∣∣∣∣
,
∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣
a1 a0 0
a3 a2 a1
a5 a4 a3
∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣
, . . . ,
∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣
a1 a0 0 0 · · · 0
a3 a2 a1 0 · · · 0...
......
.... ..
...
a2n−1 a2n−2 a2n−3 a2n−4 · · · an
∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣
,
(mit am = 0 fur m> n) positiv sind, vgl.Teubner-Taschenbuch der Mathematik(Hrsg. E. Zeid-
ler, 1996, S. 477).
Hier haben wira3 = 1,a2 = σ+ 1+ b,a1 = b(σ + r) und a0 = 2bσ(r − 1). Daher folgt als
Stabilitatsbedingung fur (XS2,3 =YS
2,3,ZS2,3) undσ > b+1
1< r < rc = σσ+b+3σ−b−1
.
Bei r = rc kreuzt ein Paar konjugiert-komplexer Eigenwerte die imaginare Achse, so daß(XS2,3=
YS2,3,Z
S2,3) fur r > rc instabil werden.
Fur r > rc existiert keine stabile Losung mehr. Trotzdem bleiben alle Losungen endlich. Trajek-
torien mit großen Anfangswerten werden in Richtung auf den Koordinatenursprung gedampft.
Bezeichnet man mit~f den Vektor der ReaktionsfunktionenX,Y, Z, ergibt die Berechnung
der Dampfungsrate im Zustandsraum mittels derDivergenz
div~f =∂X∂X
+∂Y∂Y
+∂Z∂Z
=−(σ+b+1)< 0 ,
so daß alle Zustandsraumvolumina gleichmaßig kontrahieren. Die Divergenz eines Vektors in
einem Vektorfeld gibt denUberschuß des ausstromendenuber den einstromenden Vektorfluß
durch die Umrandung eines Volumenelementes im Verhaltnis zu seiner Große an (Quellener-
giebigkeit). Eine spezielle analytische Losung mit dieser Eigenschaft ist
X(t) = 0;Y(t) = 0;Z(0) = exp−bt .
Numerische Integrationen im Parameterbereichr > rc zeigen:
i) Die Integralkurven X(t) und Y(t) oszillieren unregelmaßig um
±√
b(r−1) und klappen zu scheinbar zufalligen Zeiten um.
42
3. Modellsysteme Gleichungsbasierte Modelle II
ii) Die Trajektorien sind aufspiralende Oszillationen um+√
b(r−1), denen ein plotzlicher
Sprung folgt, worauf die Bahn um−√
b(r−1) aufspiralt und wieder nach+√
b(r−1)
springt. Das Ganzeahnelt dem Kreisen einer Fliege um 2 Lampen. Der Attraktor besteht
aus vielen, raumlich sehr eng liegenden Blattern (Blatterteigstruktur).
iii) F ur t→∞ tritt eine rasche Konvergenz gegen einen(seltsamen) Attraktor (engl.strange
attractor) ein, der beim Benard-Problem der Turbulenz entspricht.
iv) Registriert man aufeinanderfolgende MaximaZ1,Z2, . . . von Z(t), so gibt es eine nahezu
funktionale AbhangigkeitZk+1 = φ(Zk) in Form einer spitzdachahnlichen Abbildung, die
auf eine tieferliegende Gesetzmaßigkeit hinweist.
Lorenz-Modell mit r=60.0 und 2 benachbarten Anfangsbedingungen
-30-20
-100
1020
30
x
-40-20
020
4060
y
30
60
90
z
-40
-20
0
20
40
60
-30 -20 -10 0 10 20 30
y
x
Projektion in die (x,y)-Ebene
2 benachbarte Anfangsbedingungen
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
-30 -20 -10 0 10 20 30
z
x
Projektion in die (x,z)-Ebene
2 benachbarte Anfangsbedingungen
20
40
60
80
100
120
-40 -20 0 20 40
z
y
Projektion in die (y,z)-Ebene
2 benachbarte Anfangsbedingungen
Abbildung 3.5: Der Lorenzattraktor und seine Projektionen.
43
Gleichungsbasierte Modelle II 3. Modellsysteme
-40
-30
-20
-10
0
10
20
30
40
50
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Diff
eren
zen
Zeiteinheiten
Divergierende Anfangsbedingungen im Lorenz-Modell
65
70
75
80
85
90
95
100
65 70 75 80 85 90 95
Aufeinanderfolgende Maxima von Z beim Lorenzattraktor
b = 8/3Sigma = 10
r = 60
’map’
Abbildung 3.6: Entfernung unterschiedlicher Anfangsbedingungen und Amplitudenabbildung
beim Lorenzattraktor.
3.4 Literaturhinweise
GARDINER, C. W. (1985). Handbook of stochastic methods, vol. 13 of Springer Series in
Synergetics. Berlin: Springer.
HAKEN , H. (1978). Synergetics. An introduction, vol. 1 of Springer Series in Synergetics.
Berlin: Springer.
HONERKAMP, J. (1990).Stochastische dynamische Systeme: Konzepte, numerische Methoden,
Datenanalysen. Weinheim: VCH.
JETSCHKE, G. (1989). Mathematik der Selbstorganisation. Frankfurt/Main: Verlag Harri
Deutsch.
LORENZ, E. N. (1963). Deterministic nonperiodic flow.Journal of Atmospheric Sciences20,
130–141.
MALCHOW, H. & SCHIMANSKY-GEIER, L. (1985).Noise and diffusion in bistable nonequili-
brium systems, vol. 5 ofTeubner-Texte zur Physik. Leipzig: Teubner-Verlag.
MCQUARRIE, D. A. (1967).Stochastic approach to chemical kinetics, vol. 8 ofSupplementary
Review Series in Applied Probalility. Methuen’s Monographs on Applied Probability and
Statistics. London: Methuen.
PRIGOGINE, I. & L EFEVER, R. (1968). On symmetry-breaking instabilities in dissipative
systems, II.Journal of Chemical Physics48(4), 1695–1700.
SCHLOGL, F. (1972). Chemical reaction models for nonequilibrium phase transitions.Zeit-
schrift fur Physik253, 147–161.
44
3. Modellsysteme Gleichungsbasierte Modelle II
SCHUSTER, H. (1994).Deterministisches Chaos. Eine Einfuhrung. Weinheim: VCH.
THOM, R. (1975).Structural stability and morphogenesis. Reading: Benjamin.
TYSON, J. J. (1976).The Belousov-Zhabotinskii reaction, vol. 10 ofLecture Notes In Bioma-
thematics. Berlin: Springer.
ZEIDLER, E. (ed.) (1996).Teubner-Taschenbuch der Mathematik. Stuttgart und Leipzig: B.G.
Teubner.
45
Gleichungsbasierte Modelle II 4. Raumzeitliche Strukturbildung
4. Dissipative Strukturbildung
in raumzeitlich kontinuierlichen Systemen
Literatur: Segel (1980); Trapp & Matthies (1996); Murray (2002, 2003);
Okubo & Levin (2001).
Bisher wurden nur lokale Prozesse wie chemische Reaktionen oder biologisches Wachstum und
Wechselwirkungen untersucht. Doch sind in der Umwelt naturlich nicht nurortlich fixierte Pro-
zesse von Bedeutung, sondern kommt der raumlichen Verbreitung von Stoffen und Organismen
eine ganz wesentliche Bedeutung zu.
4.1 Reaktion und Diffusion (RD)
Experiment: Man gebe vorsichtig einen Tropfen Tinte in ein Wasserglas.
Zunachst ist der Tropfen deutlich abgegrenzt tiefblau. Nach einer relativ kur-
zen Zeit ist das Wasser aber gleichmaßig eingefarbt. Diese Durchmischung oh-
ne außere Einwirkung erfolgt durch die ungerichtete zufallige Bewegung von
Wasser und Tinte.Random Walk
Die mikroskopische Warmebewegung von Molekulen fuhrt zur Durchmischung und damit ma-
kroskopisch zum Ausgleich von Konzentrationsunterschieden. Teilchen oder Molekule stromen
von Orten hoherer zu Orten niedrigerer Konzentration. Dieser Zusammenhang wurde zuerst von
A. Fick (1855) mathematisch formuliert und wirdmolekulare Diffusion genannt.
Zur Ableitung der phanomenologischen Diffusionsgleichung in einer raumlichen Dimensionx
(o.B.d.A.) stelle man folgendeUberlegungen an:
Die zeitliche Anderung der KonzentrationC(x, t) ei-
nes Stoffes in einem Raumintervall[x0,x0+∆x] ergibt
sich aus derAnderung durch Transformation (Reakti-
on, Wachstum, usw.)f [C(x, t)] in diesem Intervall so-
wie dem ZuflußJC(x0, t) vermindert um den Abfluß
JC(x0+∆x, t):
x
J
C(x,t)
f[C(x,t)]
x
C
0 0+ x∆x
Einheitsflächen
∂∂t
∫ x0+∆x
x0
C(x′, t)dx′ =∫ x0+∆x
x0
f [C(x′, t)]dx′+JC(x0, t)−JC(x0+∆x, t) .
Man beachte, daß der FlußJC eigentlich ein Vektor in x-Richtung ist, d.h. normal zu den oben
gekennzeichneten Durchflußflachen. Das wird an dieser Stelle zur Vereinfachung nicht beruck-
sichtigt.
47
4. Raumzeitliche Strukturbildung Gleichungsbasierte Modelle II
DaC jetzt eine Funktion von Raum und Zeit ist, mussen die entsprechenden Ableitungen partiell
genommen werden. Nach Division durch∆x und Grenzubergang∆x→ 0 findet man
∂C(x, t)∂t
= f [C(x, t)]− ∂∂x
JC(x, t) .
Der Diffusionsfluß ist proportional zum Konzentrationsgradienten
JDi f fC (x, t) ∝− ∂
∂xC(x, t) ,
wobei das Minuszeichen die Flußrichtung von hoheren zu niedrigeren Konzentrationen anzeigt.
Die Proportionalitatskonstante ist derDiffusionskoeffizientoder dieDiffusivit at Dx der betref-
fenden Substanz der KonzentrationC(x, t), womit folgt
JDi f fC (x, t) = −Dx
∂∂x
C(x, t) , (4.1)
∂C(x, t)∂t
= f [C(x, t)]+∂∂x
[
Dx∂∂x
C(x, t)
]
. (4.2)
Gl. (4.1) ist das sogen.erste Ficksche Gesetz, wahrend Gl. (4.2) alszweites die Massenbilanz
beschreibt. Der Diffusionskoeffizient ist abhangig von Temperatur, Druck und Volumen, kann
aber auch zeit-, orts- und dichteabhangig sein.
Verallgemeinert fur 3 Raumdimensionen lauten diese Gleichungen
~JDi f fC (~r, t) = −DC ·~∇C(~r, t) , (4.3)
mit dem Ortsvektor ~r =~exx+~eyy+~ezz ,
dem Nabla-Operator ~∇ =~ex∂∂x
+~ey∂∂y
+~ez∂∂z
,
und der Diffusionsmatrix DC =
Dx 0 0
0 Dy 0
0 0 Dz
,
sowie
∂C(~r, t)∂t
= f [C(~r, t)]+~∇ ·[
DC ·~∇C(~r, t)]
bzw. (4.4)∂C(~r, t)
∂t= f [C(~r, t)]+
[∂∂x
(
Dx∂∂x
)
+∂∂y
(
Dy∂∂y
)
+∂∂z
(
Dz∂∂z
)]
C(~r, t) .
48
Gleichungsbasierte Modelle II 4. Raumzeitliche Strukturbildung
Fur ein isotropes Medium, d.h. fur konstante gleiche DiffusionskoeffizientenDx = Dy = Dz =
DC in alle Richtungen, erhalt man fur 1 Raumdimension
∂C(x, t)∂t
= f [C(x, t)]+DC∂2
∂x2 C(x, t) ,
fur 3 Raumdimensionen folgt
∂C(~r, t)∂t
= f [C(~r, t)]+DC ∆C(~r, t)
mit dem Laplace-Operator .
∆ = ~∇2 =∂2
∂x2 +∂2
∂y2 +∂2
∂y2 . (4.5)
Molekulare Diffusion taucht in allen Umweltmedien (Wasser, Boden, Luft) auf.Diffusion ist
eine Eigenschaft des Molekuls (Warmebewegung).
Andere Mischungsprozesse lassen sich mit analogen Gleichungen beschreiben, obwohl ihre Ur-
sache nicht die molekulare Diffusion ist. DurchTurbulenz des bewegten umgebenden Medi-
ums (zufallige Geschwindigkeitsschwankungen in alle Richtungen) wird ein ahnlicher Durch-
mischungsprozeß erzeugt, derDispersion genannt wird.Dispersion ist eine Eigenschaft des
bewegten umgebenden Mediumsund von den Molekuleigenschaften unabhangig. Dabei ist die
Dispersion oft einige Großenordnungen schneller als die reine Diffusion. Formal wird sie aber
wie die molekulare Diffusion beschrieben.
4.2 Reaktion und Advektion (Konvektion)
Durch die Bewegung des Mediums wird ein darin enthaltener Stoff mittransportiert. Man spricht
vonAdvektion oderKonvektion. Der entsprechende Advektionsfluß ist in 1 Raumdimension
JAdvC (x, t) = vxC(x, t) (4.6)
mit der Geschwindigkeitvx in x-Richtung. Die Kontinuitatsgleichung lautet hier
∂C(x, t)∂t
= f [C(x, t)]− ∂∂x
[vxC(x, t)] . (4.7)
Verallgemeinert fur 3 Raumdimensionen folgt
~JAdvC (~r, t) =~vCC(~r, t) (4.8)
mit dem Geschwindigkeitsvektor~vC =~exvx+~eyvy+~ezvz sowie
∂C(~r, t)∂t
= f [C(~r, t)]−~∇ · [~vCC(~r, t)] . (4.9)
49
4. Raumzeitliche Strukturbildung Gleichungsbasierte Modelle II
Fur konstante Geschwindigkeit ergibt sich
∂C(~r, t)∂t
= f [C(~r, t)]−(
~vC ·~∇)
C(~r, t)
bzw.∂C(~r, t)
∂t= f [C(~r, t)]−
(
vx∂∂x
+vy∂∂y
+vz∂∂z
)
C(~r, t) .
Die Geschwindigkeit kann in biologischen Systemen auch diegerichteteEigenbewegungvon
Organismen beschreiben.
Diffusion und Advektion sind universelle Vorgange. Folglich treten sie auch in allen Umwelt-
medien auf und mussen Bestandteil der entsprechenden Modellierungen sein.Die Menge der
Stoffe oder Organismen wird durch Advektion oder Diffusionnicht verandert. Es handelt sich
um reine Transportprozesse.
4.3 Kombination von Reaktion, Diffusion und Advektion (RDA)
Durch Kombination der Diffusions- und Advektionsprozesseerhalt man
∂C(~r, t)∂t
= f [C(~r, t)]−~∇ ·[
~vCC(~r, t)−DC ·~∇C(~r, t)]
. (4.10)
Fur 1 Raumdimension und konstante Geschwindigkeit bzw. Diffusion folgt
∂C(x, t)∂t
= f [C(x, t)]−vx∂∂x
C(x, t)+Dx∂2
∂x2 C(x, t) . (4.11)
Diese partiellen Differentialgleichungen nennt manReaktions-Diffusions-Advektions-Glei-
chungen, mit denen eine Vielzahl raumzeitlicher Prozesse in kontinuierlichen naturlichen, so-
zialen oder technischen Systemen mathematisch beschrieben werden kann.
Zur Losung partieller Differentialgleichungen muß man nicht nur die Anfangsbedingungen
(zeitlich), sondern auch dieRandbedingungen(raumlich) beachten. Typisch sindDirichlet -
Randbedingungen, bei denen der Wert der Zustandsgroße am Rand fixiert ist, d.h.
C(0, t) =CR1 , C(L, t) =CR2 mit 0≤ x≤ L , (4.12)
undNeumann-Randbedingungen, bei denen der Gradient der Zustandsgroße am Rand festge-
legt ist, z.B. Null-Fluß-Bedingungen
∂∂x
C(0, t) =∂∂x
C(L, t) = 0 . (4.13)
Außerdem konnen gemischte Randbedingungen oder unendlich ausgedehnte Systeme unter-
sucht werden.
50
Gleichungsbasierte Modelle II 4. Raumzeitliche Strukturbildung
Zur analytischen Losung partieller Differentialgleichungen gibt es Techniken wie dieSepara-
tion der Variablen oder dieLaplace-Transformation, auf die an dieser Stelle aber nicht naher
eingegangen werden kann.
Es sei aber eine analytische Beispiellosung fur folgende Reaktionsfunktion, Anfangs- und Rand-
bedingungen in 1D angegeben:
• die Reaktion sei eine einfache Abbaureaktionf (C) =−λC,
• der (Diffusions-)DispersionskoeffizientDx sei zeitlich und raumlich konstant,
• zur Zeitt = 0 sei die betreffende Substanz beix= 0 konzentriert,
d.h.C(x,0) =C0δ(x) mit derDelta-Funktion δ(x) =
∞ fur x= 0 ,
0 sonst,
• die Fließgeschwindigkeitvx sei konstant,
• das System sei raumlich nicht begrenzt undC(±∞, t) = 0.
Dann lautet die analytische Losung
C(x, t) =C0√4πDxt
exp
−(x−vxt)2
4Dxt
exp−λt . (4.14)
Die ersten beiden Faktoren entsprechen der Losung der Diffusions-Advektionsgleichung. Die
Losung entspricht einer Stoffwelle, die sich bei ihrer Bewegung in x-Richtung durch Diffusion
verbreitert und durch Stoffabbau an Masse verliert.
1t
t2t3
C
t = 0
0 x
Diffusion Advektion Abbau
Abbildung 4.1: Abbau, Diffusion und Advektion einer “Schadstoffwolke“.
Ubungsaufgabe:Beweisen Sie, daß der angegebene Ausdruck (4.14) Losung der Reaktions-
Diffusions-Advektionsgleichung unter o.g. Bedingungen ist!
51
4. Raumzeitliche Strukturbildung Gleichungsbasierte Modelle II
4.4 Lineare Reaktions-Diffusionssysteme
4.4.1 Exponentielles Wachstum und Diffusion
Hier soll noch einmal separat auf Reaktions-Diffusionssysteme mit linearer Reaktions- oder
Wachstumsfunktion im 1D-Raum eingegangen werden, d.h. zunachst fur nur eine Zustands-
große
∂C(x, t)∂t
= f (C)+DC ∆C(x, t) (4.15)
mit f (C) = EC,E undDC = const. und∆ = ∂2/∂x2 fur 1 Dimension−∞ < x<+∞,C(0,0) =
C0δ(x). Das raumlich homogene System liefert exponentielles Wachstum (E > 0) bzw. Zerfall
(E< 0). In chemischen Systemen wurde man furE> 0 von reversibler Autokatalyse 1. Ordnung
sprechen, d.h.
A+Ck+−→ 2C , C
k−−→ B ⇒ E = k+CA−k− ,
in biologischen von Geburts- und Sterbeprozessen.
Die analytische Losung ist Teil der oben angegebenen Gesamtlosung (4.14), wenn man den
Advektionsfaktor vernachlassigt:
C(x, t) =C0√4πDxt
exp
− x2
4Dxt
expEt . (4.16)
Dieses einfache Modell hat sich bewahrt bei der Beschreibung von
• Patchiness (instationare Planktonverteilungen, KISS-Modell von Kierstead & Slobodkin,
1953),E > 0;
• Ausbreitung einer Population, z.B. Bisamratten, vgl. Skellam (1951); Elton (1958); Oku-
bo (1980);E > 0;
• Ausbreitung von Proteinen auf Zellmembranen (Koppelet al., 1980),E > 0;
• Transport und Abbau von Schadstoffen (James, 1993; Trapp & Matthies, 1996),E < 0;
usw.
Fur E > 0 breitet sich der Stoff bei exponentiell wachsender Gesamtkonzentration mit einer
Reaktions-Diffusionsfront in x-Richtung aus.
52
Gleichungsbasierte Modelle II 4. Raumzeitliche Strukturbildung
R. Luther hat sich bereits1906 mit der raumlichen Fortpflanzung chemischer Reaktionen
beschaftigt. Er untersuchte obige Reaktion 1. Ordnung und schatzte die sich fur große Zeiten
einstellende Geschwindigkeit der Reaktions-Diffusionsfront ab. Denkt man sich einen Punkt
auf der Front, an dem sich bei der Ausbreitung die Konzentration C(x, t) nicht andert, z.B.
C(x, t) =CF , dann verschwindet an dieser Stelle der Front der Zuwachs (das totale Differential)
von C
dC=∂C∂x
dx+∂C∂t
dt = 0 =⇒ ∂C∂x
dxdt
+∂C∂t
= 0 .
CF
t1
x
C
t
Fv
2
Abbildung 4.2: Diffusionsfront bei exponentiellem Wachstum.
Setzt man die oben angegebene Losung (4.16) der Reaktions-Diffusionsgleichung ein, so findet
man fur die Geschwindigkeit der Front
dxdt
=2EDCt
x+
x2t− DC
x. (4.17)
Fuhrt man die Geschwindigkeit der FrontvF bei Annahme gleichformiger Bewegung ein,
vF =dxdt≈ x
t
folgt aus Gl. (4.17)
vF =2EDC
vF+
vF
2− DC
vFt,
v2F = 4EDC−
2DC
t.
Bildet man jetzt den Grenzwert fur große Zeitent → ∞, erhalt man fur die Ausbreitungsge-
schwindigkeit
vF = 2√
EDC . (4.18)
Das Ergebnis sind stetsr aumlich homogene Verteilungen(0 oder∞), d.h. es entstehenkeine
r aumlichen Konzentrationsmuster.
53
4. Raumzeitliche Strukturbildung Gleichungsbasierte Modelle II
4.4.2 Exponentielles Wachstum, Diffusion, Konkurrenz und Selektion
durch konstante Gesamtsortenkonzentration
M. Eigen (1971) untersuchte Ende der 60er Jahre die Evolution biologischer Makromolekule
und entwickelte spater mit P.Schusterdie Hyperzyklustheorie der naturlichen Selbstorganisa-
tion (Eigen & Schuster, 1977, 1978a,b). An dieser Stelle soll nur die Evolution eines Systems
ausn Spezies in Konkurrenz durch die Nebenbedingung der konstanten GesamtsortendichteC
betrachtet werden:n
∑i=1
Ci =C= const. ,∂∂t
n
∑i=1
Ci = C= 0 . (4.19)
Lokal wird die konstante Gesamtsortenkonzentration bei individuellem exponentiellem Wachs-
tum durch eine Art”Verdunnung“ mit der Ratek0 gesichert:
Ci = EiCi−k0Ci ,n
∑i=1
Ci =n
∑i=1
EiCi−k0
n
∑i=1
Ci = 0. (4.20)
Diese Verdunnungsrate kann als”mittlere lokale Replikationsrate“EL interpretiert werden:
k0 = EL(t) =
n
∑i=1
EiCi
n
∑i=1
Ci
=1C
n
∑i=1
EiCi . (4.21)
Die GroßeCi/C hat die Eigenschaften einer Wahrscheinlichkeit, d.h.,∑i Ci/C = 1. Um
den Mittelwert einer Zufallsgroße zu erhalten, muß man jeden ihrer moglichen Werte mit
der ihm entsprechenden Wahrscheinlichkeit multiplizieren und alle so erhaltenen Produkte
addieren, vgl. z.B. Gnedenko & Khinchin (1973); Gnedenko (1997).
Bei Berucksichtigung des Raumes, d.h. hier von Diffusionsprozessen, fuhrt man durch Integra-
tion uber das VolumenV eine”mittlere raumliche Replikationsrate“E(t) ein:
E(t) =
n
∑i=1
Ei
∫V
CidV′
n
∑i=1
∫V
CidV′=
1CV
n
∑i=1
Eici mit ci(t) =∫
VCidV′ und
1CV
n
∑i=1
ci(t) = 1 . (4.22)
Fur die Reaktions-Diffusionsgleichung folgt
∂Ci
∂t= (Ei− E)Ci +Di∆Ci ; i = 1,2, . . . ,n. (4.23)
Fur die Losung wird angesetzt (Joneset al., 1976)
Ci(V, t) =Yi(V, t) exp
−∫
tE(t ′)dt′
. (4.24)
54
Gleichungsbasierte Modelle II 4. Raumzeitliche Strukturbildung
Bei Einsetzen in Gl.(4.23) erhalt man nach Division durch den Exponentialausdruck
Yi− EYi = (Ei− E)Yi +Di∆Yi
und schließlich das System entkoppelter Reaktions-Diffusionsgleichungen
Yi = EiYi +Di∆Yi ; i = 1,2, . . . ,n; (4.25)
mit der bekannten Losung (4.16).
Fur die mittlere raumliche Replikationsrate (4.22) ergibt sich nach Einsetzen von (4.24)
E =
n
∑i=1
Ei
∫V
Yi exp
−∫
tEdt′
dV′
n
∑i=1
∫V
Yi exp
−∫
tEdt′
dV′.
Nach Kurzen des Exponentialausdrucks folgt
E =
n
∑i=1
∫V
EiYidV′
n
∑i=1
∫V
YidV′=
n
∑i=1
∫V
∂Yi
∂t−Di∆Yi
dV′
n
∑i=1
∫V
YidV′.
Unter Annahme von Null-Fluß-Randbedingungen verschwindetdas Integraluber den Diffu-
sionsterm im Zahler, und man erhalt schließlich
E =∂∂t
lnn
∑i=1
∫V
YidV′ . (4.26)
Integrationuber die Zeit und Anwendung der Exponentialfunktion liefern
exp
−∫
tEdt′
= exp
− lnn
∑i=1
∫V
YidV′
=1
n
∑i=1
∫V
YidV′.
Fur die Große
yi(t) =∫
VYidV′ ,
findet man aus Gl. (4.25) die Losung
yi(t) = yi(0)expEit .
Da gilt yi(0) = ci(0), vgl. Gl. (4.22), ergibt sich die Gesamtlosung also zu
Ci(V, t) =Yi(V, t)
n
∑i=1
∫V
YidV′=
Yi(V, t)n
∑i=1
ci(0)expEit; i = 1,2, . . . ,n. (4.27)
55
4. Raumzeitliche Strukturbildung Gleichungsbasierte Modelle II
Da Gl.(4.23) invariant ist gegen Transformationen der FormE′i = Ei + ε mit beliebigemε kann
man die Menge derEi festsetzen auf
Ei ≤ 0 mit maxiEi= 0 ; i = 1,2, . . . ,n. (4.28)
Dann gilt fur die mittlere raumliche Replikationsrate
E(t) =1
CV
n
∑i=1
Eici(t) ≤ 0 (4.29)
und fur ihre zeitliche EntwicklungdEdt
=1
CV
n
∑i=1
Eidci(t)
dt
=1
CV
n
∑i=1
Ei (Ei− E)ci
=1
CV
[n
∑i=1
E2i ci− E
n
∑i=1
Eici
]
= E2− E2 ,
alsodEdt≥ 0 . (4.30)
Beweis:vgl. Gnedenko & Khinchin (1973)
Formal kann man schreibenE2− E2 = E2−2E2+ E2 .
Außerdem gilt 2E2 = 2EE = 2E1
CV
n
∑i=1
Eici =1
CV
n
∑i=1
2EEici ,
E2 = E2 1CV
n
∑i=1
ci
︸ ︷︷ ︸
1
=1
CV
n
∑i=1
E2ci ,
also E2− E2 =1
CV
n
∑i=1
(E2
i −2EEi + E2)ci
=1
CV
n
∑i=1
(Ei− E)2ci
≥ 0 q.e.d.
Gl. (4.30) stellt ein Extremalprinzip dar. In dem hier behandelten deterministischen Prozeß
”uberlebt“ die Spezies mit der anfangs großten ReplikationsrateEi. Erst die Einfuhrung sto-
chastischer Mutationen, d.h. die zufallige Entstehung neuer Spezies, fuhrt zu einer weiterge-
henden Dynamik der mittleren ReplikationsrateE (Ebeling & Feistel, 1974, 1977). Am Ende
uberlebt nur die”fitteste“ Spezies mitEi = 0. Die Replikationsraten steuern den Selektions-
prozeß, wahrend die Diffusion fur die Ausbreitung der Sorten sorgt. Auch hier ergibt sich eine
homogene Endverteilung, kein raumliches Muster, vgl. Feistel & Malchow (1982).
56
Gleichungsbasierte Modelle II 4. Raumzeitliche Strukturbildung
4.5 Einkomponentige nichtlineare RD–Systeme
4.5.1 Logistisches Wachstum und Diffusion
Als einfachstes Beispiel eines nichtlinearen Quellentermssoll das logistische Wachstum be-
trachtet werden. R.A.Fisher (1937) modellierte die Ausbreitung eines vorteilhaften Gens in-
nerhalb einer Population als Reaktions-Diffusionsprozeß mit
∂C(x, t)∂t
= rC(x, t)[1−C(x, t)]+DC∂2C(x, t)
∂x2 . (4.31)
Gleichzeitig und unabhangig von Fisher untersuchtenKolmogorov, Petrovskii & Piskunov
(KPP) das Losungsverhalten dieser Gleichung.
Die Stabilitat der raumlich homogenen VerteilungenC(x, t) = 0 bzw.C(x, t) = 1 wird durch
die Diffusion nicht verandert, wie sich durch eine lineare Analyse der Stabilitat gegen kleine
wellenformige Storungen der Form
δC= δC0expλt + ikx oder δC= δC0 eλt cos(kx) (4.32)
mit der Wellenzahlk leicht zeigen laßt. Von Interesse war die Suche nach Reaktions-Diffusions-
fronten mit den Randbedingungen
C(−∞, t) = 1 und C(+∞, t) = 0 . (4.33)
Dabei ist die Transformation der Raum-Zeit-Koordinaten(x, t) auf die mitbewegte Wellenkoor-
dinate(x−vt) mit der Frontgeschwindigkeitv von Vorteil. Man setzt
C(x, t) = c(φ) mit φ = x−vt .
Fur die partiellen Ableitungen erhalt man
∂C∂t
=dcdφ
∂φ∂t
=−vdcdφ
,∂C∂x
=dcdφ
∂φ∂x
=dcdφ
,∂2C∂x2 =
d2cdφ2 .
Dadurch wird die Reaktions-Diffusionsgleichung in eine gewohnliche Differentialgleichung 2.
Ordnung transformiert,
c′′+v
DCc′+
rDC
c(1−c) = 0 , (4.34)
wobei die Striche die Ableitungen nachφ bedeuten. Als Randbedingungen sind entsprechend
zu formulieren
c(−∞) = 1 und c(+∞) = 0 .
Die Anfangsbedingung wird spater spezifiziert.
57
4. Raumzeitliche Strukturbildung Gleichungsbasierte Modelle II
Mit dem Ansatzc′ = y uberfuhrt man Gl. (4.34) in ein System aus 2 Dgln. 1. Ordnung
c′ = y , y′ =− vDC
y− rDC
c(1−c) (4.35)
mit den beiden stationaren Losungen
c′1 = y1 = 0 ; c1 = 0 und (4.36)
c′2 = y2 = 0 ; c2 = 1 . (4.37)
Die lineare Analyse ihrer Stabilitat gegen kleine Storungen liefert folgende Losungen fur die
beiden Eigenwerte der Jacobi-Matrix:
1. Losung(4.36)
λ1,2 =1
2DC
[
−v±√
v2−4rDC
]
⇒
stabiler Knoten fur v≥ 2√
rDC ,
stabiler Strudel fur v< 2√
rDC .
2. Losung(4.37)
λ1,2 =1
2DC
[
−v±√
v2+4rDC
]
⇒ immer Sattelpunkt.
Das Losungsverhalten soll durch Darstellung
der Trajektorien fur v≥ 2√
rDC im Phasenraum
(c,c′) veranschaulicht werden.
Der Koordinatenursprung ist ein stabiler
Knoten. Fur v < 2√
rDC ware er ein stabiler
Strudel, doch die entsprechenden gedampften
Oszillationen vonc um den Ursprung wurden
zu negativen Werten vonc fuhren.
Daher gibt es fur alle Geschwindigkeitenv ≥2√
rDC nur eine sinnvolle Trajektorie von (1,0)
nach (0,0), die vollstandig im Quadrantenc≥0,c′ ≤ 0 mit 0≤ c≤ 1 liegt. Sie entspricht einer
stehenden Front im(φ,c)-Raum.
c’
c0
1
1
φ
c
Die Minimalgeschwindigkeit der Front
v= vmin = 2√
rDC (4.38)
ist gleich der von Luther (1906) vorhergesagten Ausbreitungsgeschwindigkeit chemischer Re-
aktionen (4.18).
58
Gleichungsbasierte Modelle II 4. Raumzeitliche Strukturbildung
Kolmogorov, Petrovskii & Piskunov (1937) haben bewiesen, daß jede Anfangsbedingung
C(x,0) =C0(x)≥ 0 , C0(x) =
1 fur x≤ x1
0 fur x≥ x2
mit x1 < x2 undC0(x) stetig inx1 < x < x2 sich zu einer Wellenfrontc(φ) mit φ = x− vmint
entwickelt.
Andere raumliche oder raumzeitliche Strukturen sind in einkomponentigen Systemen mit qua-
dratischer Nichtlinearitat nicht moglich.
4.5.2 Bistabile Systeme mit Diffusion
Daher soll jetzt einbistabiles System mit Diffusion untersucht werden. Als Modellbeispiel
konnte das Schlogl-Modell (1972) fur eine Autokatalyse 2. Ordnung dienen. Ebenso hatten das
bistabile Fischfangmodell, eine Populationsdynamik mit Allee-Effekt oder das Tannentrieb-
wickler-Modell herangezogen werden konnen, die in der Veranstaltung”Gleichungsbasierte
Modelle I“ behandelt worden sind. Die Reaktions-Diffusionsgleichung lautet allgemein
∂C(x, t)∂t
= f (C)+DC∆C, (4.39)
wobei als Anforderungen anf (C) nur f (0)≥ 0 und f (∞)< 0 gestellt werden mussen.
Es soll wieder nachFrontl osungengesucht werden, vgl. Nitzanet al. (1974); Ebelinget al.
(1977); Ebeling & Schimansky-Geier (1980); Malchow & Schimansky-Geier (1985). Voraus-
gesetzt werden soll nur, daß man sich im Parameterbereich der Bistabilitat befindet, d.h. es
existieren 3 stationare ZustandeCS1 <CS
2 <CS3, von denenCS
1 undCS3 stabil sind.
Im Unterschied zu den vorangegangenen Betrachtungen soll zwei- bzw. dreidimensionale ra-
dialsymmetrische Geometrie vorausgesetzt werden, um die Ausbreitung eines kreis- bzw. ku-
gelformigen Keimes der DichteCS3 in einer Umgebung der DichteCS
1 zu studieren, z.B. Wasser-
tropfen in Wasserdampf. Die entsprechende Gleichung lautet dann mitd als Raumdimension
∂C∂t
= f (C)+(d−1)DC
r∂C∂r
+DC∂2C∂r2 . (4.40)
Zu Anfang befinde sich ein Keim der DichteCS3 mit dem RadiusR0 um den Koordinatenur-
sprung herum, wahrend der Rest des Systems im ZustandCS1 ist. Beide Zustande sind raumlich
durch eine scharfe Front mit der Dicke derDiffusionslangelD getrennt. Die Randbedingungen
sind also
C(0, t) =CS3 , C(∞, t) =CS
1 fur t ≥ 0 .
59
4. Raumzeitliche Strukturbildung Gleichungsbasierte Modelle II
Diese Randbedingungen sind nur sinnvoll, wenn der
Radius des Keimes großer als die Diffusionslange ist,
d.h. R > lD, da sonst die Diffusion jede raumliche
Struktur sofort zerstoren wurde.
Der Radius wird implizit durch die Lage des instabilen
ZustandesCS2 auf der Front zur Zeit t definiert:
CS3
C2S
S1C
l
R(t)
D
C
0 r
C[R(t), t] =CS2 . (4.41)
Differenziert man letzteren Ausdruck (4.41) nach der Zeit,so folgt
∂C∂t
+∂C∂R
dRdt
= 0 , (4.42)
und man findet daher fur die Frontgeschwindigkeit
dRdt
=− ∂C(R, t)/∂t∂C(R, t)/∂R
. (4.43)
Multipliziert man die Ausgangsgleichung (4.40) mit∂C/∂r und integriert vonr = 0 bis∞, erhalt
man unter der Annahme, daß∂C/∂r fur r=0 und∞ verschwindet
∫ ∞
0
∂C∂t
∂C∂r
dr =∫ ∞
0f (C)
∂C∂r
dr︸ ︷︷ ︸
∫CS1
CS3
f (C)dC
+∫ ∞
0
(d−1)DC
r
(∂C∂r
)2
dr+DC
∫ ∞
0
∂2C∂r2
∂C∂r
dr︸ ︷︷ ︸
= 12
[
( ∂C∂r )
2]∞
0=0
= −∫ CS
3
CS1
f (C)dC+∫ ∞
0
(d−1)DC
r
(∂C∂r
)2
dr . (4.44)
Zeitunabhangige Losungen findet man fur verschwindende linke Seite, d.h.
∫ ∞
0
(d−1)DC
r
(∂C∂r
)2
dr =∫ CS
3
CS1
f (C)dC .
Da ∂C/∂r nur fur r ≈ R> lD einen entscheidenden Beitrag liefert, kann man an dieser Stelle
naherungsweise den Parameter
Rk =
(d−1)DC
∫ ∞
0
(∂C∂r
)2
dr
∫ CS3
CS1
f (C)dC
(4.45)
60
Gleichungsbasierte Modelle II 4. Raumzeitliche Strukturbildung
einfuhren. Mit dem gleichen Argument erhalt man fur die zeitabhangige Darstellung (4.44) nach
Erweiterung der linken Seite mit∂C/∂r∫ ∞
0
(∂C∂r
)2[∂C/∂t∂C/∂r
− (d−1)DC
r
]
dr =
[∂C(R, t)/∂t∂C(R, t)/∂R
− (d−1)DC
R
] ∫ ∞
0
(∂C∂r
)2
dr
= −∫ CS
3
CS1
f (C)dC .
Dividiert man beide Seiten durch das negative Integraluber die Reaktionsfunktion auf der rech-
ten Seite, so folgt
[
− ∂C(R, t)/∂t∂C(R, t)/∂R
︸ ︷︷ ︸
=dR/dt(4.43)
+(d−1)DC
R
]
∫ ∞
0
(∂C∂r
)2
dr
∫ CS3
CS1
f (C)dC
︸ ︷︷ ︸
=Rk/[(d−1)DC](4.45)
=
[dRdt
+(d−1)DC
R
]Rk
(d−1)DC= 1 ,
und damit
dRdt
= (d−1)DC
(1Rk− 1
R
)
. (4.46)
Diese Gleichung beschreibt die zeitliche Entwicklung des Radius’ der anfanglichen Inhomoge-
nitat. Es stellt sich heraus, das der eingefuhrte ParameterRk derkritische Radius eines Keimes
und ein instabiler stationarer Zustand ist. Alle Keime mit RadienR> Rk werden wachsen, die
anderen wieder zerfallen. Man ist hier erstmals mit dem Phanomen derkritischen Gr oße einer
r aumlichen Struktur konfrontiert. Raumlich eindimensionale Systeme bedurfen einer geson-
derten Betrachtung.
In bistabilen Systemen sind neben den Frontwellen erstmalsauch stehende inhomogene Vertei-
lungen moglich. Die Stabilitatstheorie fur inhomogene Losungen in einer raumlichen Dimensi-
on ist gut entwickelt, die Ergebnisse seien hier nur gelistet (Fife, 1979; Jetschke, 1979, 1989):
• Moglichkeit einer stabilen inhomogenen Losung mit 1 raumlichen Extremum fur Dirichlet-
Randbedingungen,
• keine inhomogenen Losungen fur Null-Fluß-Randbedingungen,
• stabile homogene Verteilungen, die den Randbedingungen entsprechen, bleiben auch mit
Diffusion stabil,
• strukturell instabile stehende Fronten fur unendliche Systeme,
• Frontwellen→ Keimbildungsphanomene (s.o.).
Damit hat man erstmals raumliche Muster, aber noch keine diffusiven Instabilitaten gefunden.
Dafur braucht man mehr als einer Zustandsgroße.
61
Gleichungsbasierte Modelle II 4. Raumzeitliche Strukturbildung
4.6 Nichtlineare Reaktions-Diffusionssysteme
mit 2 und mehr Komponenten
Das folgende Unterkapitel 4.6.1 ist ein Verschnitt der Publikationen des Autors von 1996b und
2000.
Zusammenfassung
Differentielle Flusse konnen lokal stabile stationare Dichteverteilungen in Systemen mit nichtli-
nearen Wechselwirkungen, Diffusion, Transport und Selbstbewegung chemischer oder biologi-
scher Spezies destabilisieren und dadurch die Ausbildung stehender oder laufender Raumstruk-
turen verursachen. Verschiedene Szenarien dieses allgemeingultigen Mechanismus der raum-
zeitlichen Strukturbildung in Reaktions-Diffusions-Advektionssystemen werden anhand eines
einfachen zweikomponentigen Rauber-Beute-Modells analytisch und numerisch demonstriert.
Einleitung
Die raumzeitliche Dynamik wechselwirkender physikalischer, chemischer, biologischer,okono-
mischer oder sozialer Komponenten kann eine Vielzahl lokaler und raumlicher Nichtgleichge-
wichtseffekte hervorrufen. Dazu gehoren das Auftreten mehrerer stabiler stationarer Zustande,
zeitlich und raumlich periodische, quasiperiodische und chaotische Losungen, lokale Anreg-
barkeit, stehende und laufende diffusive Fronten zwischenhomogenen stationaren Verteilungen
oder stehende und laufende Wellen.
Chemie und Biochemie waren immer Vorreiter bei der Erforschung nichtlinearer Phanome-
ne, da sie die erforderlichen nichtlinearen Wechselwirkungen in nahezu unbegrenzter Zahl
im Labor zur Verfugung haben. DieBelousov-Zhabotinskii-, Bray-Liebhafsky- undBriggs-
Rauscher-Reaktion oder katalytische Wirkungen allosterischer Enzyme sind bekannte Beispie-
le fur strukturbildende chemische und biochemische Systeme (Field & Burger, 1985; Atkins,
1990).
A. Turing hat bereits 1952 theoretisch gezeigt, daß die Diffusion im Zusammenspiel mit nicht-
linearen Reaktionen auch strukturerzeugend wirken kann. Unter bestimmten Voraussetzungen
konnen stabile raumlich homogene Verteilungen diffusiv destabilisiert werden und in stabile
raumlich inhomogene Verteilungenubergehen.
63
4. Raumzeitliche Strukturbildung Gleichungsbasierte Modelle II
Laterale langreichweitige Hemmung
Lokale kurzreichweitige Aktivierung
+
- -
Aktivator
Inhibitor
Diffusion
Diffusion
Schnelle
LangsameZerfall
Zerfall
Autokatalyse
Selbstreplikation
Akt
ivie
rung
Hem
mun
g
Zufuhr
Schematische Darstellung des diffusiven
Aktivator-Inhibitor-Mechanismus
Aktivator
Inhibitor
Zerfall
Zerfall
Autokatalyse
Selbstreplikation
Akt
ivie
rung
Hem
mun
g
Zufuhr
Diffusion
Diffusion
v
v
I
A
Schematische Darstellung des advektiven
Aktivator-Inhibitor-Mechanismus
Diese diffusionsinduzierten stehenden raum-
lichen Muster konnen in Systemen von min-
destens zwei wechselwirkenden Komponenten
mit unterschiedlichen Diffusionskoeffizienten
auftreten. Da die effektiven Diffusionskoef-
fizienten in waßriger Losung jedoch nahezu
gleich sind, hat es sich als sehr schwierig
erwiesen, diesen Strukturbildungsmechanis-
mus auch im Labor nachzuvollziehen. Erst
die Moglichkeit der Regelung der Diffusion
in Gelen fuhrte 1990 zum experimentellen
Nachweis der Turing-Strukturen. Segel und
Jackson waren 1972 die ersten, die Turings
Idee auch auf ein Problem in der Populati-
onsdynamik angewandt haben: Das Auftreten
einer dissipativen Instabilitat bei der Rauber-
Beute-Wechselwirkung.
Der zugrundeliegende Mechanismus ist in
nebenstehender Abbildung skizziert.
Rovinsky und Menzinger haben 1992uber die
durch unterschiedliche Diffusion und Advek-
tion verursachte Instabilitat (DIFICI - Diffe-
rential Flow Induced Chemical Instability) ei-
ner homogenen Verteilung in einem Subsy-
stem der Belousov-Zhabotinskii-Reaktion be-
richtet. Die raumlich homogene Losung geht
in diesem Falle in laufende Reaktionswellen
uber. Dieser Mechanismus laßt sich in sinnvol-
ler Weise auch auf die Entstehung von raum-
lich heterogenen Populationsstrukturen und in
derOkodynamik anwenden, da organismische
Bewegung nur in den seltensten Fallen als pas-
sive neutrale Diffusion zu beschreiben ist.
Der zugrundeliegende Mechanismus ist wie-
derum in nebenstehender Abbildung skizziert.
64
Gleichungsbasierte Modelle II 4. Raumzeitliche Strukturbildung
Jetzt sollen die diffusiven und advektiven Szenarien der raumlichen Strukturbildung aus homo-
gener Phase anhand eines zweikomponentigen Systems von beweglichen Rauber- und Beute-
spezies demonstriert werden.
4.6.1 Flußinduzierte Instabilitaten in Reaktions-Diffusions-Advektionssystemen
Reaktionen, Diffusion und Advektion vonN Spezies mit isotroper Bewegung in einem inkom-
pressiblen Medium lassen sich durch folgende partielle Differentialgleichungen beschreiben
(Malchow & Shigesada, 1994; Malchow, 1995, 1996a)
∂Xi
∂t= fi (X,λ)−~vi ·~∇Xi +
N
∑j=1
Di j~∇2Xj , i = 1,2, . . . ,N. (4.47)
Dabei istX = Xi ; i = 1,2, . . . ,N der Vektor derN Populationsdichten zur Zeitt am Ort
~r = x,y,z. f = fi ; i = 1,2, . . . ,N ist der Vektor der Wachstums- und Wechselwirkungs-
funktionen.λ = λk ; k= 1,2, . . . ,M ist die Menge der zugehorigen Reaktionsraten.
~vi = vix,viy,viz ; i = 1,2, . . . ,N; ist der Geschwindigkeitsvektor der i-ten Spezies. Er steht so-
wohl fur den passiven Transport mit dem umgebenden Medium wie Wasser oder Luft als auch
fur die mogliche aktive Selbstbewegung und deren Superposition.~∇ = ∂/∂x,∂/∂y,∂/∂z ist
wieder der Nabla-Operator.D= Di j ; i, j = 1,2, . . . ,N ist die Matrix der Selbst- und Kreuzdif-
fusionskoeffizienten. Die Selbstdiffusionskoeffizientenbeschreiben die intraspezifische Diffusi-
on, gewohnlich den eigenen Gradienten hinab. Die Kreuzdiffusion steht fur die interspezifische
Bewegungswechselwirkung im Gradienten der anderen Spezies. Mit ihnen kann man einfach
Verhaltensstrategien wie Neutralitat, Anziehung und Abstoßung modellieren (Jorne, 1977; Mal-
chow, 1988c; Okubo & Levin, 2001; Skellam, 1973). Kreuzdiffusion kennt man von elektroly-
tischen Losungen und der Theorie der Strukturbildung in Reaktions-Elektrodiffusionssystemen
(Jorne, 1975; Malchow, 1988a).
Um flußinduzierte Instabilitaten einer raumlich homogenen Verteilung der Spezies nachzuwei-
sen, wird zunachst die Existenz einer solchen, gegen raumlich homogene Storungen stabilen
Verteilung vorausgesetzt:
∃ X (~r, t) = Xs , f (Xs,λ) = 0 ,ddt
Xs = 0 , ~∇Xs = 0 . (4.48)
Durch lineare Analyse der Stabilitat gegen Storungen durch ebene Wellen
δX = δX0exp
νt +µ~k ·~r
(4.49)
mit dem Wellenzahlvektor~k= kx,ky,kz und der imaginaren Einheitµ2 =−1, findet man die
charakteristische Determinante fur die Eigenwerteν∣∣∣ ai j −~k2Di j −δi j
(
µ~k ·~vi +ν)∣∣∣= 0 ; i, j = 1,2, . . . ,N ; (4.50)
65
4. Raumzeitliche Strukturbildung Gleichungsbasierte Modelle II
mit den Elementen der JacobimatrixJ = ai j = ∂ fi (Xs)/∂Xj ; i, j = 1,2, . . . ,N; und dem
Kroneckersymbolδi j . Die stationare Losung (4.48) ist stabil, wenn die Realteile allerN Eigen-
werte kleiner sind als Null.
Explizite Ergebnisse kann man fur Systeme mit 2 Spezies erhalten, d.h.N = 2. Die stationare
Losung (4.48) wird als linear stabil angenommen gegen raumlich homogene Fluktuationen, d.h.,
es mussen die bekannten Bedingungen an SpurTr(J) und Determinante∆(J) der Jacobimatrix
gestellt werden:
Tr (J) = a11+a22 < 0 , (4.51)
∆(J) = a11a22−a12a21 > 0 . (4.52)
Nach Aufspaltung der Eigenwerte in Real- und Imaginarteil, ν = b+µc, lautet die charakteri-
stische Gleichung (4.50) bei der Suche nach flußinduziertenInstabilitaten der Verteilung (4.48)
gegen Storungen der Form (4.49) mit endlichen~k 6=~0
∣∣∣ ai j −δi j
[
b+µ(
~k ·~vi +c)]∣
∣∣= 0 ; i, j = 1,2 ; (4.53)
d.h.,
b2− (a11+ a22)b+ a11a22− a12a21−(
~k ·~v1+c)(
~k ·~v2+c)
+
+ µ[
(b− a11)(
~k ·~v2+c)
+(b− a22)(
~k ·~v1+c)]
= 0 , (4.54)
mit ai j = ai j −∣∣∣~k∣∣∣
2Di j ; i, j = 1,2. Die Verteilung (4.48) ist stabil, d.h.Re(ν)1,2 = b1,2 < 0, ge-
gen raumlich homogene Storungen (4.49) mit~k=~0, wenn die Bedingungen (4.51,4.52) erfullt
sind. Die Instabilitat fur wachsende Werte von∣∣∣~k∣∣∣ wird auftreten beib1b2 = 0 oder einfacher
b= 0. Der Realteil von Gl. (4.54) liefert dann
c2+~k · (~v1+~v2)c+(
~k ·~v1
)(
~k ·~v2
)
− (a11a22− a12a21) = 0 , (4.55)
und der Imaginarteil
(a11+ a22)c+~k · (a11~v2+ a22~v1) = 0 . (4.56)
Gemeinsame reelle Losungen fur c existieren wenn die Resultante der Gleichungen (4.55) und
66
Gleichungsbasierte Modelle II 4. Raumzeitliche Strukturbildung
(4.56) verschwindet:
G(k2) =
∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣
1 ~k · (~v1+~v2)(
~k ·~v1
)(
~k ·~v2
)
− (a11a22− a12a21)
a11+ a22 ~k · (a11~v2+ a22~v1) 0
0 a11+ a22 ~k · (a11~v2+ a22~v1)
∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣
(4.57)
= −~k · (a11~v2+ a22~v1)[
~k · (a11~v2+ a22~v1)−~k · (~v1+~v2)(a11+ a22)]
+
+ (a11+ a22)2[
a11a22− a12a21−(
~k ·~v1
)(
~k ·~v2
)]
= a11a22
[
~k · (~v1−~v2)]2
+(a11+ a22)2( a11a22− a12a21) (4.58)
= 0 .
Jetzt werden die Winkelφi ; i = 1,2; zwischen dem Wellenzahlvektor~k der Storung und den
Geschwindigkeiten~vi ; i = 1,2; uber die Skalarprodukte eingefuhrt:
~k ·~vi =∣∣∣~k∣∣∣ |~vi |cosφi ; i = 1,2. (4.59)
Dann lautet Gl. (4.58)
G(k2) = a11a22(|~v1|cosφ1−|~v2|cosφ2)
2∣∣∣~k∣∣∣
2+(a11+ a22)
2(a11a22− a12a21) (4.60)
= (|~v1|cosφ1−|~v2|cosφ2)2[
D11D22
∣∣∣~k∣∣∣
6− (a11D22+a22D11)
∣∣∣~k∣∣∣
4+a11a22
∣∣∣~k∣∣∣
2]
+
+
[
Tr (D)∣∣∣~k∣∣∣
2−Tr (J)
]2
×
×[
∆(J)+∆(D)∣∣∣~k∣∣∣
4− (a11D22+a22D11−a12D21−a21D12)
∣∣∣~k∣∣∣
2]
(4.61)
= 0 ,
mit der SpurTr (D) = D11+D22 und der Determinante∆(D) = D11D22−D12D21 der Diffusi-
onsmatrix. Die Nullstellen dieses Polynoms vierter Ordnung in∣∣∣~k∣∣∣
2sind die kritischen Wellen-
zahlen der Storung. Analytische Resultate bekommt man fur separierte Diffusions- und Advek-
tionseffekte:
Anhand des ersten Terms der Gl. (4.58) kann man leicht erkennen, daß es advektive Effek-
te nur dann gibt, wenn beide Spezies sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegen.
Daher bedeutet die Vernachlassigung der Advektion nicht notwendigerweise verschwindende
Geschwindigkeiten~v1 =~v2 =~0, sondern nur gleiche~v1 =~v2. Dann findet man die kritische Wel-
lenzahl zum Erreichen der diffusiven Turing-Instabilitat aus dem zweiten Term von Gl. (4.58)
67
4. Raumzeitliche Strukturbildung Gleichungsbasierte Modelle II
oder (4.60), d.h., aus der zweiten und dritten Zeile von Gl. (4.61). Sie lautet (Jorne, 1977; Mal-
chow, 1988b, 1996a)[
~k2]diff
crit=
a11D22+a22D11−a12D21−a21D12
2∆(D). (4.62)
Vernachlassigt man auch die Kreuzdiffusion, d.h.D12 = D21 = 0, wird Gl. (4.62) auf die Stan-
dardformulierung reduziert (Segel & Jackson, 1972). In diesem Fall mussen die Spezies neben
den Bedingungen (4.51) und (4.52) die strengen Aktivator-Inhibitor-Relationen erfullen (Gie-
rer & Meinhardt, 1972; Meinhardt, 1982)a11a22 < 0,a12a21 < 0,D11/D22 < 1, d.h. man hat
eine langsam diffundierende selbstreplizierende (autokatalytische) Spezies (Aktivator)X1 mit
a11 > 0, die die homogene Verteilung destabilisiert und eine sichviel schneller bewegende sta-
bilisierende Spezies (Inhibitor)X2 mit a22< 0, die den Aktivator hemmt, vgl. die Schemata auf
S. 64.
Vernachlassigt man alle diffusiven Effekte, d.h.D = 0, kann man die Tilden in Gl. (4.60) weg-
lassen und findet[
~k2]adv
crit=−
(Tr (J)
|~v1|cosφ1−|~v2|cosφ2
)2 ∆(J)a11a22
. (4.63)
Es ist einfach zu sehen, daßa11a22 < 0 sein muß, d.h., das System mit 2 Spezies muß wieder
vom Aktivator-Inhibitor-Typ sein. Instabilitaten der raumlich homogenen Verteilung konnen
auftreten, wenn die Spezies sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit bewegen. Dabei ist es
aufgrund des Vektorcharakters der Geschwindigkeit nicht wichtig, welche von beiden schneller
ist, solange sie sich in unterschiedlicher Richtung bewegen. Damit ist dieser Mechanismus der
raumlichen Strukturbildung von wesentlich allgemeinerer Art als der rein diffusive, und daher
sind breitere Anwendungsfelder speziell auch in derOkosystem- und populationsdynamischen
Modellierung zu erwarten. Die homogene Verteilung wird allerdings in einem speziellen Fal-
le stabil bleiben, wenn sich namlich beide Spezies in die gleiche Richtung bewegen und die
Storungswelle senkrecht zu ihnen, d.h.,~k ·~vi = 0 ; i = 1,2.
Andererseits wird aus Gl. (4.63) deutlich, daß die Vernachlassigung der diffusiven Effekte zu
einer Instabilitat der homogenen Verteilung gegen jegliche Storung fuhrt, d.h., der Wert~k =~0
ist selbst Bifurkationspunkt. Das widerspricht den anfanglichen Annahmen! Deshalb muß die
vollstandige Gl. (4.61) numerisch gelost werden, um die kombinierten Wirkungen von Advekti-
on und Diffusion zu erkennen. Daher soll jetzt das Erreichendes Instabilitatspunktes bei Zusam-
menwirken von Reaktion, Diffusion und Advektion numerisch simuliert werden. Ein einfaches
Rauber-Beute-Modell dient der Illustration.
Strukturbildung in einem R auber-Beute-Modell
Scheffer (1991; 1998) hat ein Minimalmodell fur die Rauber-Beute-Wechselwirkung von Zoo-
plankton und Phytoplankton vorgeschlagen, um die lokale Mehrfachstabilitat und Dichteoszil-
lationen aquatischer Populationen zu beschreiben. Ein genereller Nahrstoff fur Phytoplankton
68
Gleichungsbasierte Modelle II 4. Raumzeitliche Strukturbildung
und ein sich nur von Zooplankton ernahrender Fisch dienen als externe Kontrollparameter, die
das System aus dem Gleichgweicht treiben konnen. Die Nahrungskette von Nahrstoff bis Fisch
ist in Abb. 4.3 skizziert.
Phytoplankton ZooplanktonNährstoffe Fische
Abbildung 4.3: Schema der vereinfachten marinen Nahrungskette
Das entsprechende einfache Beute-Rauber-Modell von Wachstum, Wechselwirkung, Advektion
und Diffusion der dynamischen Spezies PhytoplanktonX1 und ZooplanktonX2 zur Zeit t am
Ort~r = x,y lautet
∂X1
∂t= α
NHN +N
X1−cX21 − γ
X1
H1+X1X2−~v1 ·~∇X1+D1
~∇2X1 , (4.64)
∂X2
∂t= eγ
X1
H1+X1X2−δX2−F
X22
H22 +X2
2
−~v2 ·~∇X2+D2~∇2X2 . (4.65)
X1 undX2 sind die Dichten von Phyto- und Zooplankton. Die nicht spezifizierten, das Wachstum
des Phytoplankton begrenzenden NahrstoffeN als auch die FreßrateF sich nur von Zooplank-
ton ernahrende Fische dienen als externe Steuerparameter, die dasSystem aus dem Gleichge-
wicht treiben konnen.α ist die maximale Wachstumsrate des Phytoplanktons,γ die Freßrate des
Zooplanktons,c der Konkurrenzkoeffizient des Phytoplanktons,edie Effektivitat des Zooplank-
tons bei der Umwandlung von aufgenommenem Phytoplankton ineigenes Wachstum, undδ die
Sterbe- und Respirationsrate des Zooplanktons.H1, H2 undHN sind die halben Sattigungskon-
stanten der funktionellen Reaktionen und der Nahrstofflimitierung.X1, X2, H1 undH2 werden
in [mg.dwl−1] gemessen.N undHN sind in relativen Einheiten gegeben,e ist ein dimensions-
loser Parameter. Die Einheit vona, g undd ist [d−1], wahrendF in [mg.dwd−1l−1] gemessen
wird. c ist gegeben in [mg.dw−1ld−1]. Die Nahrstoffbegrenzung des Phytoplanktonwachstums
als auch die Limitierung der Freßrate des Zooplanktons durch die Biomasse Phytoplankton sind
vom Michaelis-Menten-Typ, der auch unter Monod- oder Holling-Typ II in der theoretischen
Okologie bekannt ist. Die Limitierung der FreßrateF der Fische durch die Biomasse Zooplank-
ton ist vom Holling-Typ III.
Dieses Modell zeigt lokal die bekannten Rauber-Beute-Oszillationen bei niedriger Fischakti-
vitat sowie alternativ oder simultan stabile phyto- bzw. zooplanktondominierte Zustande bei
hoherer Fischaktivitat. In gewissen Bereichen der FreßrateF ist bei außerer Anregung des Sy-
stems durch die temperatur- und lichtinduzierte Jahresperiode des Phytoplanktonwachstumsαauch der Weg zu chaotischen Oszillationenuber Toruszerstorung nachgewiesen worden (Stef-
fen & Malchow, 1996; Steffenet al., 1997).
Jetzt soll dieses Modell als Beispiel fur die Erzeugung von Instabilitaten durch differentielle
69
4. Raumzeitliche Strukturbildung Gleichungsbasierte Modelle II
Flusse bei fixierten Reaktionsparametern dienen. Es wurden gewahlt
N = 2.5, F = 0.4, α = 0.5, γ = 0.4, HN = 1.0, H1 = 0.6, H2 = 5.0, c= 0.05,e= 0.6, δ = 0.175.
Zunachst wird Gl. (4.61) fur eine raumlichen Dimension untersucht. Die kritischen Wellen-
zahlen, d.h. die Nullstellen des Polynoms (4.61), sind auf den linken Seiten der Abbildungen
(4.4,4.5) dargestellt. Die zugehorigen kritischen Werte und Verhaltnisse der Diffusivitaten und
Geschwindigkeiten werden spater auch im raumlich zweidimensionalen System benutzt. Man
erkennt, daß bei Kombination von Diffusion und Advektion imGegensatz zum nichtdiffusiven
Fall (Malchow, 1995) die resultierende Instabilitat nicht zur Entstehung Turing-ahnlicher ste-
hender Strukturen wie auf der rechten Seite von Abb. (4.4) fuhrt, sondern zu laufenden Wellen,
die auf der rechten Seite von Abb. (4.5) zu sehen sind.
-0.004
-0.003
-0.002
-0.001
0
0.001
0 5 10 15 20 25 30
G(k
^2)
Wave Number k/m
"100x(d1=d2=1.0e-5)""d1=1.0e-5_d2=2.0e-3"
0
1
2
3
4
5
10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Pla
nkto
n D
ensi
ties/
mg.
dw/l
Length/cm
"PHY""ZOO"
Abbildung 4.4: Nullstellen des Polynoms (4.61) mitG(k2 = 0
)> 0 fur vx
1−vx2 = 0, D1 = 10−5,
D2 = 2·10−3 (links) und die enstehenden Turing-Muster (rechts). Null-Fluß-Randbedingungen.
-1e-05
0
1e-05
0 5 10 15 20 25 30 35
G(k
^2)
Wave Number k/m
"vrel=0.00""vrel=0.01"
0
1
2
3
4
5
6
7
10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Pla
nkto
n D
ensi
ties/
mg.
dw/l
Length/cm
"PHY1600""PHY1500"
Abbildung 4.5: Nullstellen des Polynoms (4.61) mitG(k2 = 0
)> 0 fur vx
1 − vx2 = 0.01
und D1 = D2 = 10−5 (links) und die entstehenden laufenden Wellen (rechts). Null-Fluß-
Randbedingungen.
70
Gleichungsbasierte Modelle II 4. Raumzeitliche Strukturbildung
In Abb. 4.6 sind drei Beispiele fur die Selektion von Turing-Strukturen in zwei Raumdimensio-
nen fur wachsende Systemlangen und~v1 =~v2 =~0, D1 = 10−5, D2 = 2·10−3 dargestellt.
010
2030
4050 0
10
20
30
40
500
1
2
3
4
5
Length x/cm
Length y/cm
Phytoplankton/mg.dw/l
020
4060
80100 0
20
40
60
80
1000
1
2
3
4
5
Length x/cm
Length y/cm
Phytoplankton/mg.dw/l
025
5075
100125
150 025
5075
100125
1500
1
2
3
4
5
Length x/cm
Length y/cm
Phytoplankton/mg.dw/l
Abbildung 4.6: Selektion von Turing-Strukturen auf Flachen von 0.25, 1.0 und 2.25m2. Null-
Fluß-Randbedingungen.
71
4. Raumzeitliche Strukturbildung Gleichungsbasierte Modelle II
In Abb. 4.7 sind Turing-Strukturen fur verschiedene symmetrische und unsymmetrische An-
fangsstorungen der raumlich homogenen Verteilung zu sehen.
020
4060
80100 0
20
40
60
80
1000
1
2
3
4
5
Length x/cm
Length y/cm
Phytoplankton/mg.dw/l
020
4060
80100 0
20
40
60
80
1000
1
2
3
4
5
Length x/cm
Length y/cm
Phytoplankton/mg.dw/l
020
4060
80100 0
20
40
60
80
1000
1
2
3
4
5
Length x/cm
Length y/cm
Phytoplankton/mg.dw/l
Abbildung 4.7: Selektion von Turing-Strukturen auf Flachen von 0.25, 1.0 und 2.25m2. Null-
Fluß-Randbedingungen.
72
Gleichungsbasierte Modelle II 4. Raumzeitliche Strukturbildung
In Abb. 4.8 sind zwei Zeitschritte einer laufenden Welle in zwei Raumdimensionen gezeigt fur
vx1−vx
2 = vy1−vy
2 = 0.01 undD1 = D2 = 10−5.
0
20
40
60
80
100
020
4060
80100
0
1
2
3
4
5
6
7
Length x/cm
Length y/cm
Phytoplankton/mg.dw/l
Abbildung 4.8: Laufende Plankton-Populationswelle nach einer DIFII der horizontal homoge-
nen Planktonverteilung auf einer Flache von 1m2. Frontdefekte werden durch diagonale Bewe-
gung erzeugt. Null-Fluß-Randbedingungen an oberer und unterer Grenze. Periodische Randbe-
dingungen links und rechts.
In diesem Kapitel wurden die Bedingungen fur das Auftreten differentieller Flußinstabilitaten in
raumlich ein- und zweidimensionalen zweikomponentigen Reaktions-Diffusions-Advektions-
systemen zusammengestellt. Die Resultante aus Real- und Imaginarteil der charakteristischen
Gleichung fur die die Stabilitat bestimmenden Eigenwerte ist als Funktion der kritischenSto-
rungswellenzahlen detailliert numerisch untersucht worden. Dabei wurde festgestellt, daß bei
verschwindender Advektion rein diffusive Instabilitaten einer homogenen Dichteverteilung fur
uberkritische Verhaltnisse der Diffusionskoeffizienten auftreten konnen, wenn die Wechselwir-
kungen vom Aktivator-Inhibitor-Typ sind. Rein advektive Instabilitaten einer stabilen homoge-
nen Losung existieren nicht, da letztere bei Vernachlassigung der Diffusion selbst zum grenzsta-
73
4. Raumzeitliche Strukturbildung Gleichungsbasierte Modelle II
bilen Zustand wird. Dagegen konnen diffusiv-advektive Instabilitaten auch bei gleichen Diffusi-
onskoeffizienten entstehen, solange Aktivator-Inhibitor-Wechselwirkungen vorliegen. Letztge-
nannter Weg zur Ausbildung raumzeitlicher Strukturen aus homogener Phase laßt eine Vielzahl
von Anwendungen speziell in derOkosystemmodellierung erwarten.
4.6.2 Entstehung verzweigter und vernetzter Strukturen
Meinhardt (1976; 1982) hat sich auch mit Reaktions-Diffusionsmechanismen der Bildung ver-
zweigter und vernetzter Strukturen bei der Entwicklung eines Organismus beschaftigt. Er hat
mehrere erweiterte Aktivator-Inhibitor-Modelle vorgeschlagen, von denen hier nur eines vorge-
stellt werden soll:
∂A∂t
=cA2S
H−µA+Da
~∇2A+ρ0Y , (4.66)
∂H∂t
= cA2S−νH +Dh~∇2H +ρ1Y , (4.67)
∂S∂t
= c0− γS− εYS+Ds~∇2S , (4.68)
dYdt
= dA−eY+Y2
1+ fY2 . (4.69)
Der langsam diffundierende AktivatorA fordert in Anwesenheit der SubstanzS das Wachs-
tum des schnell diffundierenden InhibitorsH. Bildet sich ein lokales Maximum des Aktiva-
tors, schaltet an diesem Raumpunkt die SubstanzY von niedriger zu hoher Konzentration, vgl.
Abb. (4.9).
-0.01
0
0.01
0.02
0.03
0 0.2 0.4 0.6 0.8 1
dY/d
t
Y
Nicht differenzierter Zustand Differenzierter Zustand
A=0
A=1
A=5
Abbildung 4.9: Die SubstanzY wirkt als Schalter. Ist eine Zelle mituberkritischer Aktivatorkon-
zentration differenziert, springtY von niedriger zu hoher Konzentration. Diesen Zustand kann
Y nicht mehr verlassen, auch wennA wieder absinkt.Y ubernimmt die Rolle eines”Gedacht-
nisses“.
74
Gleichungsbasierte Modelle II 4. Raumzeitliche Strukturbildung
Y verbleibt auf diesem hohen Konzentrationsniveau, unabhangig von der weiteren Entwicklung
von A. Die SubstanzY ist eine Art”Gedachtnis“ des Modells, sie
”erinnert“ die Positionen
der Maxima des AktivatorsA. Durch den hohenY-Wert wird an dieser Stelle das Konzentrati-
onsniveau vonS rapide abgesenkt sowie in der Folge die Bildung vonA behindert und dessen
Maximum in die Nachbarschaft verschoben. So entsteht eine verzweigte und in diesem Modell
auch vernetzte Struktur. Die Unregelmaßigkeiten entstehen durch ein Verrauschen der raumli-
chen Anfangsverteilung des Parametersc. Ein typisches Beispiel ist in Abb. (4.10) zu sehen.
a) t=0 b) t=3000 c) t=5000 d) t=6000
e) t=7000 f) t=8000 g) t=9000 h) t=10000
Abbildung 4.10: Bildung einer verzweigten und vernetzten (Blatt-)Struktur im Modell mit den
Parameternc = 0.004, µ = 0.12, c0 = 0.02, γ = 0.02, ε = 0.2, d = 0.6, e= 0.1, f = 10.0,
ν = 0.04,Da = 0.02,Ds= 0.06,Dh = 0.18. Null-Fluß-Randbedingungen, Zeitschrittdt = 0.01,
Raumschrittdxy= 0.1.
75
4. Raumzeitliche Strukturbildung Gleichungsbasierte Modelle II
4.6.3 Parametergradienten und diffusionsinduziertes Chaos
Die Wachstumsrate der Beute in einem Rauber-Beute-System mit funktioneller Reaktion des
Raubers vom Typ II wird jetzt als zeitlich konstant aber mit einem linearen raumlichen Gradien-
ten angenommen. Das entspricht der Problemstellung von M. Pascual (1993). Die Gleichungen
der raumzeitlichen Dynamik sind
∂X1(t)∂t
= βN
HN +NX1−cX2
1 − γX1
H1+X1X2+D1∆X1 , (4.70)
∂X2(t)∂t
= eγX1
H1+X1X2−δX2− ε
X22
H22 +X2
2
X3 +D2∆X2 . (4.71)
Mit der Kapazitat
K =βN
c(HN +N), α = Kc ,
uberfuhrt man den Wachstumsterm der BeuteX1 in die logistische Standardform. Jetzt werden
dimensionslose Großen fur Dichte, Zeit und Raum eingefuhrt:
X1 =X1
K, X2 =
X2
eK, X3 =
εX3
eKα, t = αt, x,y,z= 1
Lx1,x2,x3 ,
wo L fur die Systemlange in allen 3 Raumrichtungenx1,x2,x3 steht.α ist das raumliche
Mittel von α im betrachteten VolumenV = L3:
α =1V
∫V
αdV (4.72)
Schließlich findet man nach Weglassen der Tilden die dimensionslosen Gleichungen (Malchow
et al., 2000)
∂X1
∂t= rX1(1−X1)−
aX1
1+bX1X2+d1∆X1 , (4.73)
∂X2
∂t=
aX1
1+bX1X2−mX2−
g2X22
1+g2X22
X3+d2∆X2. (4.74)
mit den Koeffizienten
r =αα, b=
KH1
, a= be γα, m=
δα, g=
eKH2
, d1 =D1
L2α, d2 =
D2
L2α. (4.75)
Zur Illustration der Auswirkung des linearen Gradienten inr kann man sich auf eine raumli-
che Dimensionx∈ [0,1] beschranken. Bei der Parameterwahl ist zu beachten, daß entlang des
Gradienten lokal Grenzzyklen existieren. Hier werden gesetzt:
r(0) = 0.6 , r(1) = 2.0 , a= b= 5.0 , e= 1.0 , g= 0.0 , d1 = d2 = 10−4.
Durch die Diffusion kommt es zur Kopplung dieser nichtlinearen Oszillatoren. In kritischen
Bereichen des Produktivitatsgradienten und der Diffusionskoeffizienten bleibt es imGebiet re-
lativer hoher Produktivitat bei regularen Oszillationen, wahrend sie mit sinkendemr in quasi-
periodische und schließlich chaotische Oszillationenubergehen. Das ist in Abb. (4.11) fur die
Beute raumzeitlich dargestellt.
76
Gleichungsbasierte Modelle II 4. Raumzeitliche Strukturbildung
Gradient of Prey Growth Rate
550
600
650
700
750Scaled Time 0.25
0.5
0.75
1
Scaled Length
0
0.5
1
Scaled Prey Density
Abbildung 4.11: Raumzeitliche Darstellung der Entwicklungder Beutedichte. Regulare Oszil-
lationen fur hohe Werte der Wachstumsrate der Beute undUbergang zu irregularen entlang des
Gradienten der Rate. Null-Fluß-Randbedingungen.
Die lokalen Oszillationen sind in Abb. (4.12) zu sehen. Beix= 0.85 sind die lokalen Schwin-
gungen noch regular, beix= 0.50 bereits quasiperiodisch und beix= 0.15 schließlich chaotisch.
Das laßt sich durch Konstruktion der Amplitudenabbildungen leicht zeigen, vgl. Abb. (4.13).
0
0.2
0.4
0.6
0.8
500 600 700 800
Sca
led
Pre
y D
ensi
ty
Scaled Time
a) x=0.85
0
0.2
0.4
0.6
0.8
500 600 700 800
Sca
led
Pre
y D
ensi
ty
Scaled Time
b) x=0.50
0
0.2
0.4
0.6
0.8
500 600 700 800
Sca
led
Pre
y D
ensi
ty
Scaled Time
c) x=0.15
Abbildung 4.12: Lokale Oszillationen entlang des Gradienten der Produktivitat.
77
4. Raumzeitliche Strukturbildung Gleichungsbasierte Modelle II
0
0.2
0.4
0.6
0.8
1
0 0.2 0.4 0.6 0.8 1
Max
X1(
t+t’)
[Den
sity
]
MaxX1(t) [Density]
a) x=0.85
0
0.2
0.4
0.6
0.8
1
0 0.2 0.4 0.6 0.8 1
Max
X1(
t+t’)
[Den
sity
]
MaxX1(t) [Density]
b) x=0.50
0
0.2
0.4
0.6
0.8
1
0 0.2 0.4 0.6 0.8 1
Max
X1(
t+t’)
[Den
sity
]
MaxX1(t) [Density]
c) x=0.15
Abbildung 4.13: Amplitudenabbildungen entlang des Gradienten der Produktivitat.
Dies ist ein weiteres Beispiel fur die Generierung dynamischer Strukturen in Reaktions-Diffu-
sionssystemen, in diesem Falle hervorgerufen durch den raumlichen Gradienten eines Kontroll-
parameters.
78
Gleichungsbasierte Modelle II 4. Raumzeitliche Strukturbildung
4.7 Biodiffusion
Organismische Bewegung, hier Biodiffusion genannt, wird sicher nur bei sehr niedrigen En-
wicklungsstufen als Ficksche Diffusion zu beschreiben sein. Man nennt diese Diffusion dann
Dispersal, den bekannten Random Walk mit einer Nettofortbewegung ungleich Null. DieUber-
gangswahrscheinlichkeiten sind zustandsunabhangig, daher ist die Bewegung ungerichtet.
Im Unterschied dazu versteht man unterMigration eine Diffusion und die Ruckkehr zum Aus-
gangspunkt, d.h. einer Nettofortbewegung gleich Null.
Biodiffusion ist sicher das Ergebnis verschiedener biologischer Effekte, wie z.B.
• Heterogenitat der Umgebung,
• anziehende oder abstoßende Wechselwirkungen der Individuen,
• lokale Fixierung der Reifung, der Eiablage, des Brutens, usw.
4.7.1 Klassifikation der Biodiffusion
Bei Skellam (1951–1973) werden Biodiffusivitaten wie folgt klassifiziert, vgl. auch Okubo
(1980), Okubo & Levin (2001):
i) Neutrale (Ficksche) Diffusion (0-te Naherung) mit dem Fluß
~j in(~r, t) =−Di(~r,X)~∇Xi(~r, t) ; i = 1,2, . . . ,n; (4.76)
wobei mogliche Orts- und Dichteabhangigkeit der Diffusion (McMurtrie, 1978) schon
berucksichtigt worden ist. Mit dieser neutralen Bewegung beschreibt man am besten pas-
sive Diffusion von Sporen oder Plankton, in jedem Falle einen Fluß den Gradienten hinab.
ii) RepulsiveDiffusion
Hier hangen die Bewegungen von den Bedingungen am Ausgangspunkt ab,z.B. Uber-
bevolkerung, Nahrungsmangel o.a. mit dem Fluß
~j ir (~r, t) = −~∇ [Di(~r,X)Xi(~r, t)] ; (4.77)
= −Xi(~r, t)~∇Di(~r,X)−Di(~r,X)~∇Xi(~r, t) : i = 1,2, . . . ,n; (4.78)
womit verschiedene Arten gerichteter Bewegungen (Taxis) beschrieben werden konnen.
iii) Attraktive Diffusion
Hier hangen die Bewegungen hangen von den Bedingungen im Zielgebiet ab. Der Fluß
79
4. Raumzeitliche Strukturbildung Gleichungsbasierte Modelle II
ist definiert durch
~j ia(~r, t) = −D2i (~r,X)~∇
[Xi(~r, t)Di(~r,X)
]
; (4.79)
= +Xi(~r, t)~∇Di(~r,X)−Di(~r,X)~∇Xi(~r, t) ; i = 1,2, . . . ,n . (4.80)
In der Realitat werden sich diese genannten Bewegungsarten sicheruberlagern. Ein Modell-
beispiel fur die Dichteabhangigkeit der Populationsbewegung wurde 1979 von Shigesadaet al.
eingefuhrt:
Di(X) = αi +n
∑j=1
βi j Xj ; i = 1,2, . . . ,n . (4.81)
Die αi ≥ 0 stehen fur die Zufallsanteile an den Bewegungen. Dieβii beschreiben die intraspe-
zifischen und dieβi j , i 6= j, die interspezifischenBewegungsinterferenzen. Dabei gilt:
βii > 0 intraspezifische Abstoßung βi j > 0 Speziesj stoßt i ab
βii = 0 intraspezifische Neutralitat βi j = 0 interspezifische Neutralitat
βii < 0 intraspezifische Anziehung βi j < 0 Speziesj zieht i an
Dieses Bewegungsverhalten kann dann mit den entsprechend zuwahlenden Wechselwirkungen
kombiniert werden.
Heterogene Medien und Umweltbedingungen konnen auch eine Ortsabhangigkeit der Diffusion
erzeugen. Ein Beispiel dafur ist bei Malchowet al. (1992) zu finden.
4.7.2 Diffusive Instabilitaten bei repulsiver dichteabhangiger Diffusion
Hier soll kurz gepruft werden, ob bei repulsiver dichteabhangiger Diffusion mit dem entspre-
chenden Fluß (4.77) auch Turing-Instabilitaten einer homogen stabilen Populationsverteilung
moglich sind. Man hat
Xi(~r, t) = fi(X,λ)+∆ [Di(X)Xi(~r, t)] ; i = 1,2, . . . ,n . (4.82)
Durch die Einfuhrung der
SelbstdiffusionskoeffizientenDii (X) =
(
1+Xi(~r, t)∂
∂Xi
)
Di(X) ; i = 1,2, . . . ,n;
und
KreuzdiffusionskoeffizientenDi j (X) = Xi(~r, t)∂
∂XjDi(X) ; i = 1,2, . . . ,n; i 6= j;
80
Gleichungsbasierte Modelle II 4. Raumzeitliche Strukturbildung
kann man Gl. (4.82) umschreiben in
Xi(~r, t) = fi(X,λ)+n
∑i=1
~∇ ·[
Di j (X)~∇Xj(~r, t)]
; i = 1,2, . . . ,n . (4.83)
Es ist zu erkennen, es ohne Dichteabhangigkeit der Diffusion keine Kreuzdiffusion geben wurde.
Wie in Kap. 4.6.1 wird jetzt die Existenz einer gegen homogene kleine Storungen stabilen
raumlich homogenen Losung angenommen und ihre Stabilitat gegen Storungen in Form von
ebenen Wellen (4.49)
δX = δX0exp
νt +µ~k ·~r
untersucht. Die Taylorentwicklung um die LosungXs ergibt im Diffusionsterm
~∇ ·
Di j [Xs+δX(~r, t)]~∇[Xs
j +δXj(~r, t)]
= ~∇ ·[
Di j (Xs)+n
∑l=1
∂Dil (Xs)
∂XlδXl
]
~∇δXj
= Di j (Xs)∆δXj +~∇ ·n
∑l=1
∂Dil (Xs)
∂XlδXl
~∇δXj
= Di j (Xs)∆δXj +n
∑l=1
∂Dil (Xs)
∂Xl
~∇ · (δXl~∇δXj)
= Di j (Xs)∆δXj +n
∑l=1
∂Dil (Xs)
∂Xl
(~∇δXl
~∇δXj +δXl ∆δXj
)
= Di j (Xs)∆δXj −2~k2n
∑l=1
∂Dil (Xs)
∂XlδXl δXj︸ ︷︷ ︸
≈0
= Di j (Xs)∆δXj ; i = 1,2, . . . ,n .
Damit ist man zuruck bei der Standarduntersuchung mit Kreuzdiffusion und findet fur zwei-
komponentige Systemen= 2 die kritische Wellenzahl (4.62)
[
~k2]diff
crit=
a11D22+a22D11−a12D21−a21D12
2∆(D),
die erforderlich ist, um die raumlich homogene LosungXs zu destabilisieren.
Nimmt man sich als Beispiel ein zweikomponentiges Lotka-Volterra-Modell
dX1
dt= (a1−b11X1+b12X2)X1 ,
dX2
dt= (a2−b22X2+b21X1)X2 (4.84)
mit der Dichteabhangigkeit (4.81)
D1 = α1+β11X1+β12X2 , D2 = α2+β21X1+β22X2 (4.85)
81
4. Raumzeitliche Strukturbildung Gleichungsbasierte Modelle II
findet man zunachst heraus, daß Lotka-Volterra-Systeme nicht den strengen Aktivator-Inhibitor-
Bedingungen genugen, d.h., selbstdiffusive (Turing-) Instabilitaten sind nicht moglich. Auf der
Suche nach kreuzdiffusiv induzierten Instabilitaten erhalt man die Bedingung
β12b21+β21b12 < 0 , (4.86)
d.h., fur okologisch sinnvolle Bewegungswechselwirkungen sind Kreuzdiffusionsinstabilitaten
nur bei Symbionten(b12 > 0,b21 > 0,β12 < 0,β21 < 0) und Konkurrenten(b12 < 0,b21 <
0,β12 > 0,β21 > 0) moglich. Mit Rauber-Beute-Wechselwirkungen(b12 < 0,b21 > 0,β12 >
0,β21 < 0) kann man die Bedingung (4.86) nicht erfullen, es sei denn, man betrachtet”hinter-
listige“ Rauber und”lebensmude“ Beute wie J. Jorne (1977), wo der Rauber so tut, als wenn er
vor der Beute flieht, worauf die Beute hereinfallt und ihn verfolgt ...
4.7.3 Umweltdichte und Umweltpotential
Eine interessante Erweiterung der Klassifikation nach Skellam ist dasKonzept der Umwelt-
dichte nach Morisita (1971). Es dient der Beschreibung dichteabhangiger Diffusion in be-
vorzugte Lebensraume in heterogener Umwelt. Morisita experimentierte mit Ameisenlowen
Glenuroides japonicus. Eine Schale wurde je zur Halfte mit feinkornigem und grobkornigem
Sand gefullt. Die Tiere wurden genau auf der Grenze eingesetzt, und es konnte beobachtet wer-
den, daß zunachst der bevorzugte grobe Sand besiedelt wurde. Erst als eine gewisse kritische
Besiedlungsdichte erreicht war, wurde auch die weniger “angenehme“ Umgebung akzeptiert.
Shigesada & Teramoto haben 1978 zur mathematischen Modellierung dieses Konzepts das so-
genannteUmweltpotential eingefuhrt. Die Praferenz fur ein Habitat ist proportional zu einer
Potentialkraft
~F(~r, t) =−~∇U(~r, t) .
Der entsprechende Flußterm lautet
~j ip(~r, t) = ~j i(n,r,a)(~r, t)− γiXi(~r, t)~∇U(~r, t) : i = 1,2, . . . ,n . (4.87)
Die γi sind die Koeffizienten der Affinitat der Umwelt. Lokale Minima des Umweltpotentials
sind immer Gebiete mit bevorzugten Lebensbedingungen. Diese mussen nicht statisch sondern
konnen dynamisch sein, z.B. konnten sie sich periodisch mit der Zeit im Raum bewegen, d.h.
U(~r, t) =U(~r, t +T) ,
und dadurch entsprechend periodische Populationsbewegungen erzeugen (Malchow, 1988c).
Es wurde gezeigt, daß auch heterogene Umweltbedingungen und spezifisches Bewegungsver-
halten in entsprechend parametrisierten Modellen statische und dynamische Raumstrukturen
hervorrufen konnen, vgl. auch Malchow (1990a,1990b).
82
Gleichungsbasierte Modelle II 4. Raumzeitliche Strukturbildung
4.7.4 Wachstum und schnelle Diffusion in Umweltpotentialen
Bei Einfuhrung eines ungleichformigen UmweltpotentialsU(~r) kann es keine raumlich homo-
gene Populationsverteilung mehr geben. Es ist eine ArtLandschaft der Lebensbedingungen
mit den optimaleren in den Talern, d.h., in den Minima des Potentials. Alle Informationenuber
die Struktur der Umwelt sind in der”Karte“ vonU(~r) enthalten.
Wachstum und Wechselwirkungen auf der einen und Biodiffusion auf der anderen Seite werden
meist auf unterschiedlichenZeitskalen ablaufen, denn Bewegungen zur Nahrungssuche sind
sicher haufiger als die Vermehrung. Die Annahme schneller Diffusionist alsookologisch plau-
sibel.
Ohne Beschrankung der Allgemeinheit wird eine Population mit konstanter Diffusion in einer
raumlichen Dimensionr ∈ [0,L] betrachtet, d.h.,
X(r, t) = ε f (X)−~∇ ·~j(r,X) , X(r,0) =W(r)≥ 0 , aber W(r) 6≡ 0 ; (4.88)
~j(r,X) =−D~∇X−X~∇U , ~j(0,X) = ~j(L,X) =~0 (Null-Fluß-RB) . (4.89)
Reaktionsfunktionf und Flußterm~j sind auf gleicher ZeitskalaO(1). Jetzt wird angenommen,
daßε klein genug ist, um die Zwei-Zeiten-Storungsmethode anzuwenden (Nayfeh, 1973; Shige-
sada, 1984). Einer schnellenAnderung der raumlichen Verteilung durch Bewegung folgt dann
die langsameAnderung der Populationsgroße durch Wachstum und Wechselwirkungen.
Die Einfuhrung der zwei Zeitskalen
T0 = t , T1 = εt (4.90)
liefert die Zeitableitung
∂∂t
=∂
∂T0+ ε
∂∂T1
. (4.91)
Man geht mit dem Ansatz
X(r, t) = X(r,T0,T1;ε) (4.92)
= X0(r,T0,T1)+ εX1(r,T0,T1)+ . . . (4.93)
in die Ausgangsgleichung (4.88) und findet nach Sortieren nach Ordnung vonε
∂∂T0
X0(r,T0,T1) = −~∇ ·~j(r,X0) , (4.94)
X0(r,0,0) = W(r) ,
~∇ ·~j(r,X0) = ~0 fur r = 0,L ;
83
4. Raumzeitliche Strukturbildung Gleichungsbasierte Modelle II
∂∂T0
X1(r,T0,T1)+~∇ ·~j(r,X1) = f (X0)−∂
∂T1X0(r,T0,T1) , (4.95)
X1(r,0,0) = 0 ,
~∇ ·~j(r,X1) = ~0 fur r = 0,L .
Die allgemeine Losung von (4.94) kann geschrieben werden als
X0(r,T0,T1) = Y0(T1)g(r,T0) . (4.96)
Dabei istg die Losung von
∂∂T0
g(r,T0) = −~∇ ·~j(r,g) , (4.97)
g(r,0) =W(r)∫ L
0W(r)dr
,
~∇ ·~j(r,g) = ~0 fur r = 0,L .
Integriert man (4.97)uberr, erhalt man∫ L
0g(r,T0)dr = 1 , g(r,T0)≥ 0 . (4.98)
Die Funktiong(r,T0) kann man offenbar als Wahrscheinlichkeitsdichte der raumlichen Popula-
tionsverteilung auffassen.
Die Gln. (4.97) sind ein regulares Sturm-Liouville-Problem mit der formalen Losung (Berg &
McGregor, 1969; Shigesada, 1984)
g(r,T0) =∞
∑n=0
cnψn(r)exp−λnT0 . (4.99)
Die Konstantencn sind aus den Anfangsbedingungen zu bestimmen. Dieψn(r) sind die Ei-
genfunktionen von (4.99) zu den nichtnegativen Eigenwerten λn, die man nach ansteigenden
Werten sortieren kann, d.h.,
0= λ1 < λ2 < λ3 < .. . .
Daher istg(r,T0) beschrankt fur aller undT0 und erreicht fur T0→ ∞ den Gleichgewichtswert
gs(r). Dieser ist die Losung von~j(r,gs) =~0 :
limT0→∞
g(r,T0) = gs(r) =exp−U(r)/D∫ L
0exp−U(r)/Ddr
. (4.100)
Die FunktionY0(T1) in Gl. (4.96) ist bisher unbestimmt geblieben. Sie folgt ausder nachsten
Stufe des Storungsschemas. Gl. (4.95) wirduberr integriert, und mit
Y1(T0,T1) =∫ L
0X1(r,T0,T1)dr
84
Gleichungsbasierte Modelle II 4. Raumzeitliche Strukturbildung
findet man
∂∂T0
Y1(T0,T1) =∫ L
0f [r,Y0(T1)g(r,T0)]dr− ∂
∂T1Y0(T1) . (4.101)
Fur T0→ ∞ sollte die rechte Seite gegen Null gehen, daY1(T0,T1) sonst unbeschrankt ware.
Nach Substitution vongs(r) in g(r,T0) und Nullsetzen der rechten Seite kann manY0(T1) fest-
setzen als Losung von
∂∂T1
Y0(T1) =∫ L
0f [r,Y0(T1)g
s(r)]dr , (4.102)
Y0(0) =∫ L
0W(r)dr .
Schließlich findet man die Losung als
X(r, t) =Y0(εt)g(r, t)+O(ε) . (4.103)
Dabei istY0 die Losung der gewohnlichen Differentialgleichung (4.102) undg(r, t) die formale
Losung (4.99) des Sturm-Liouville-Problems (4.97). Diese Losung ist gultig fur Zeiten bis zur
OrdnungO(ε−1).
Wegen∫ L
0 g(r, t)dr = 1 gilt∫ L
0 X(r, t)dr = Y0(εt)+O(ε) . Y0(εt) steht also fur die Große der
Gesamtpopulation.
Das KurzzeitverhaltenO(1) ist durch den schnellen Diffusionsprozeß bestimmt:g(r, t) erreicht
den Gleichgewichtswertgs(r) ohneAnderung der GesamtpopulationsgroßeY0.
Das LangzeitverhaltenO(ε−1) wird dagegen vom Wachstum der Populationsgroße bestimmt,
wahrendg(r, t) beigs(r) verbleibt.
Fur t→ ∞ erreicht das System den stationaren Zustand
Xs(r) =Ys0gs(r) . (4.104)
Bei Shigesada (1984) ist eine Anwendung auf die Große einer logistisch wachsende Population
in einem allgemeinen Potential, bei Malchow (1988c) in einem Double-Well-Potential zu fin-
den. Es ist erstaunlich, fur welch”große“ε die Naherung (4.104) nahe der exakten numerischen
Losung bleibt.
Die Zwei-Zeiten-Methode ist auch auf die Trennung langsamer biologischer Prozesse und schnel-
ler Stromung im Unterlauf eines Modellflusses angewendet worden (Malchow & Shigesada,
1994). Bei Messungen wurde das der Moving-Boat-Technik entsprechen, man treibt dabei mit
dem Boot und der Biologie flußabwarts.
85
4. Raumzeitliche Strukturbildung Gleichungsbasierte Modelle II
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Gleichungsbasierte Modelle II 5. Einfache numerische Methoden
5. Einfachste numerische Methoden
Literatur: Roache (1982, 1998); Smith (1985); Acton (1990); Presset al. (1992); Thomas
(1995)
Hier soll nur eine kurze Zusammenstellung der allereinfachsten numerischen Rezepte zur Losung
der gleichungsbasierten Probleme aus den vorangegangenenKapiteln gegeben werden.
5.1 Differentiation
Eine Differentiationd fdx kann durch eine Taylorreihe, die an entsprechender Stelle abgebrochen
wird, angenahert werden. Es ergeben sich dann aus
f (x+∆x) = f (x)+∆x1!
f ′(x)+ . . . , (5.1)
a) Vorwartsdifferenz f ′(x) = f (x+∆x)− f (x)∆x
b) Ruckwartsdifferenz f ′(x) = f (x)− f (x−∆x)∆x [ersetze∆x durch−∆x]
c) Zentraldifferenz f ′(x) = f (x+∆x)− f (x−∆x)2∆x [Addition von (a) und (b)]
Die zweite Ableitungd2 fdx2 kann ausgehend von der abgebrochenen Taylorreihe
f (x+∆x) = f (x)+∆x1!
f ′(x)+∆x2
2!f ′′(x)+ . . . , (5.2)
dargestellt werden als
f ′′(x) =f (x+∆x)−2 f (x)+ f (x−∆x)
∆x2 ,
wenn fur f ′(x) in der Taylorreihe die Zentraldifferenz eingesetzt wird.
Ist f = f (x,y), kann die zweite Ableitung∂2 f
∂y2 entsprechend dargestellt werden:
∂2 f∂y2 =
f (x,y+∆y)−2 f (x,y)+ f (x,y−∆y)
∆y2 .
91
5. Einfache numerische Methoden Gleichungsbasierte Modelle II
5.2 Diskretisierung
In numerischen Modellen sollen die Funktionswerte und deren Ableitungen an vielen Stellen
innerhalb eines betrachteten Gebietes errechnet werden. Dazu wird dieses Gebiet diskretisiert:
x = i x
y = j y
∆∆
x
y∆
∆x [i]
y [j]
So kann man∂2 f
∂x2 und ∂2 f∂y2 an der Stelle[i, j] darstellen als
∂2
∂x2 f (x,y) → fi+1, j −2 fi, j + fi−1, j
∆x2 , (5.3)
∂2
∂y2 f (x,y) → fi, j+1−2 fi, j + fi, j−1
∆y2 . (5.4)
Durch den Abbruch der Taylorreihe entstehen numerische Fehler, die man durch moglichst
kleine Schritte∆x und∆y minimieren kann.
5.3 Differentialgleichungen
5.3.1 Gewohnliche Differentialgleichungen
Die Veranderung einer GroßeG in der Zeitt wird durch die i.a. nichtlineare Reaktionsfunktion
F [.] beschrieben:
dG(t)dt
= F [G(t),λ] .
Nach Diskretisierung der Zeitt = k∆t,k= 0,1,2, ...; und Wahl der Vorwartsdifferenz mit Schritt-
weite∆t findet man
G(t +∆t)−G(t)∆t
=Gk+1−Gk
∆t= F [Gk,λ]
Gk+1 = Gk+∆t ·F [Gk,λ] . (5.5)
Dies ist das simple Euler-Verfahren. Besser und stabiler laufen Runge-Kutta- oder andere (auch
implizite) Verfahren, siehe Literatur. In Abb. 5.1 ist einmal der Vergleich der Losungen eines
92
Gleichungsbasierte Modelle II 5. Einfache numerische Methoden
Euler- und eines Runge-Kutta-Verfahrens 4. Ordnung am Beispiel eines angeregten Rauber-
Beute-Systems gezeigt:
1.95
2
2.05
2.1
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6
Zoo
plan
kton
/mg.
dw/l
Phytoplankton/mg.dw/l
"PZ_Euler""PZ_RunKu"
Abbildung 5.1: Vergleich eines Euler- und eines Runge-Kutta-Verfahrens 4. Ordnung
Qualitativ wird die quasiperiodische Systemdynamik auch mit dem Euler-Verfahren richtig be-
schrieben, aber nicht quantitativ.
5.3.2 Partielle Differentialgleichungen
Eindimensionale Reaktions-Diffusionsgleichung:
Wachstum, Zerfall und Diffusion einer GroßeG mit dem DiffusionskoeffizientenD am Ortx
zur Zeitt wird modelliert durch
∂G(x, t)∂t
= F [G(x, t),λ]+D∂2G(x, t)
∂x2 .
Mit x= i∆x; i = 1,N; und t = k∆t;k = 1,M; folgt die diskrete Darstellung fur die numerische
Realisierung
Gi,k+1 = Gi,k+∆t ·F [Gi,k,λ]+D∆t∆x2 [Gi+1,k−2Gi,k+Gi−1,k] (5.6)
mit dem Stabilitatskriterium
∆x2≥ 2D∆t . (5.7)
93
5. Einfache numerische Methoden Gleichungsbasierte Modelle II
Eindimensionale Advektionsgleichung:
Die Advektion einer GroßeG mit der Geschwindigkeitv am Ortx zur Zeit t wird modelliert
durch
∂G(x, t)∂t
+v∂G(x, t)
∂x= 0 .
Die Losung dieser Gleichung ist ein relativ kompliziertes und”gefahrliches“ numerisches Pro-
blem (Instabilitaten, numerische Diffusion), siehe Spezialliteratur, z.B.Roache (1982); O’Brien
(1986)!
Hier nur wird nur dasUpstream-Verfahren erlautert, das in der Modellierpraxis meist nicht
eingesetzt wird wegen der großennumerischen Diffusion, siehe unten.
x [i]ii−1 i+1
v > 0
v < 0
Es folgt fur ∆x und∆t wie oben
Gi,k+1 = Gi,k−v∆t∆x·
Gi,k−Gi−1,k fur v> 0 ,
Gi+1,k−Gi,k fur v< 0 .(5.8)
Der Faktor
c=v∆t∆x
(5.9)
wird Courant-Zahl genannt. Die praktische Kombination der beiden Ausdrucke fur v> 0 und
v< 0 in (5.8) ergibt
Gi,k+1 = Gi,k(1−|c|)+12
[(c+ |c|)Gi−1,k+(|c|−c)Gi+1,k
]. (5.10)
Dieses Schema ist stabil fur
|c| ≤ 1 . (5.11)
Jetzt soll noch kurz die Entstehung der numerischen Diffusion demonstriert werden, vgl. O’Brien
(1986). Die Advektionsgleichung fur c≥ 0 lautet in der Upstream-Formulierung
Gi,k+1 = Gi,k−c(Gi,k−Gi−1,k) .
94
Gleichungsbasierte Modelle II 5. Einfache numerische Methoden
Addiert man einen Term gleich Null, so folgt
so folgt Gi,k+1 = Gi,k−c(Gi,k−Gi−1,k)+c2(Gi+1,k−Gi+1,k) ,
und Gi,k+1 = Gi,k−c2(Gi+1,k−Gi−1,k)
︸ ︷︷ ︸
Instabile Diskretisierung
der Advektionsgleichung
(vorwarts in der Zeit, zen-
tral im Raum: FTCS)
+c2(Gi+1,k−2Gi,k+Gi−1,k)
︸ ︷︷ ︸
Stabile Diskretisierung der
Diffusionsgleichung (vor-
warts in der Zeit, zentral im
Raum)
,
d.h. in Wirklichkeit wird die Advektions-Diffusionsgleichung
∂G(x, t)∂t
+v∂G(x, t)
∂x= DN
∂2G(x, t)∂x2
mit der numerischen DiffusionDN = v ∆x2 und der grundsatzlich instabilen FTCS-Approximation
fur den Advektionsterm gelost, wobei die numerische Diffusion (computational viscosity) den
instabilen Teil dampft. Diese numerische Diffusion kann die reale turbulente Diffusion um
Großenordnungenubertreffen! Es gibt verschiedene Methoden, um diesen Effekt zu unter-
drucken, vgl. z.B. van Leer (1974); Smolarkiewicz & Clark (1986), doch das fuhrt an dieser
Stelle zu weit.
(Roache, 1982, S.1)
5.4 Literaturhinweise
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5. Einfache numerische Methoden Gleichungsbasierte Modelle II
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96
Gleichungsbasierte Modelle II 6. Studienprojekte
6. Studienprojekte mit Schwierigkeitsgraden①–②–③
Die Projekte laufenuber das gesamte Semester. Die genannte Literatur ist selbstandig zu erar-
beiten. Die Ergebnisse der Autoren sind zu verifizieren und vorzutragen.
6.1 Strukturbildung im Segel-Jackson-Modell②
Der Klassiker zu Turing-Strukturen in chemischen Systemenund der aquatischen Populations-
dynamik (Segel & Jackson, 1972).Methode: Reaktions-Diffusionsgleichungen.
6.2 Verzweigungen und Netze in einem Gierer-Meinhardt-Modell③
Ob Blatter so wachsen (Meinhardt, 1976, 1982)?
Methode: Reaktions-Diffusionsgleichungen.
6.3 Raumzeitliches Chaos entlang eines Nahrstoffgradienten ②
Wenn das Essen nicht gleichmaßig verteilt wird, gibt’s Chaos, auch beim Plankton (Pascual,
1993).
Methode: Reaktions-Diffusionsgleichungen.
6.4 Locher im Algenteppich②
Turing lochert Plankton (Malchow, 2000).
Methode: Reaktions-Diffusionsgleichungen.
6.5 Ausbreitung von virusinfizierten Algen I②
Krankeln und trotzdem Wirbel machen: Der grunlich-schleimige Patient (Malchowet al., 2004;
Hilker et al., 2006).
Methode: Reaktions-Diffusionsgleichungen.
6.6 Ausbreitung von virusinfizierten Algen II ②
Noch mehr und nun auch noch erregbare grunlich-schleimige Patienten (Malchowet al., 2005).
Methode: Reaktions-Diffusionsgleichungen.
6.7 Raumzeitliches Chaos hinter Rauber-Beute-Wellen②
Die Rauber jagen die Beute, aber was geschieht hinter ihnen (Sherratt et al., 1995, 1997;
Petrovskii & Malchow, 1999)?
Methode: Reaktions-Diffusionsgleichungen und/oder Zellularautomat.
97
6. Studienprojekte Gleichungsbasierte Modelle II
6.8 Invasionswellen in einem Rauber-Beute-Modell mit Allee-Effekt ②
Seltsame Invasoren (Petrovskiiet al., 2002, 2005; Morozovet al., 2006).
Methode: Reaktions-Diffusionsgleichungen.
6.9 Rauber mit verhaltnisabhangiger funktioneller Reaktion auf die Beu-
te ②
Rauber und Beute im Verhaltnis und die Bildung von Labyrinthen (Banerjee & Petrovskii, 2010;
Banerjee, 2011).
Methode: Reaktions-Diffusionsgleichungen.
6.10 Zwei diffusiv gekoppelte Rauber-Beute-Populationen②
Beute hier und da, Rauberuberall (Jansen, 2001).
Methode: Reaktions-Diffusions-Differenzengleichungen.
6.11 Chaos hinter jagenden Raubern ②
Chaos folgt Raubern folgt Beute. (Sherrattet al., 1995).
Methode: Reaktions-Diffusionsgleichungen.
6.12 Diffusive Instabilitaten und Strukturen in heterogenen Landschaf-
ten ③
Landschaft schafft Struktur in Populationen. (Cobboldet al., 2015).
Methode: Reaktions-Diffusions-Differenzengleichungen.
6.13 Rauber mit verhaltnisabhangiger funktioneller Reaktion auf die Beu-
te ②
Rauber und Beute im Verhaltnis und neue Strukturen (Banerjee & Abbas, 2015).
Methode: Reaktions-Diffusionsgleichungen.
6.14 Konkurrenz und Invasion in variabler Umwelt ②
Abwehr von Neobiota in schnell veranderlicher Umwelt (Malchowet al., 2011).
Methode: Stochastische Reaktions-Diffusionsgleichungen.
98
Gleichungsbasierte Modelle II 6. Studienprojekte
6.15 Heterogene Ausbreitung von Neobiota und deren Kontrolle③
Unerwartete Ausbreitungsmuster neuer Arten (Petrovskiiet al., 2005).
Methode: Reaktions-Diffusionsgleichungen.
6.16 Literaturhinweise
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Gleichungsbasierte Modelle II Zitierte weiterfuhrende Literatur
7. Zitierte Literatur aus allen Kapiteln
101