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Goethe und die französische Revolution

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WERNER KRAL!S$

GOETHE UND DIE FRANZOSISCHE REVOLUTION 1

Die Konfrontierung des grfBten deutschen Dichters mit dem gr~SBten Ereignis der neueren Geschichte, der franzSsischen Revolution, ist ein Thema, das Goethe gleich nach ihrem Ausbruch besch~fftigt und his in seine sprite Schaffensperiode begleitet.

Ober Goethes Verh~iltnis zu der vorrevolution~iren Epoche besteht kein Zweifel. Goethe verfolgte die Werke der franzf- sischen Aufkl~irung mit lebhafter Anteilnahme. Er bewunderte eine Epoche, die soviel geistige Regsamkeit aufgebracht, die einen Voltaire und Diderot hervorgebracht hatte. Ein Be- kenntnis zu dieser grol3en Geistesepoche f~illt noch in Goethes sp~iteste Lebensjahre, in eine Zeit, in der sich in Deutschland die romantisch-historische Schule unter Savignys Stabfiihrung schon konstitutiert hatte. Der franz6sischen Aufkl~irung mehr noch als der franz6sischen Revolution geh6rte die besondere Abneigung der historischen Schule. Sic verurteilte diese ver- gangene Bewegung als hochfahrend und selbstbewul3t und zugleich als geschichtsfremd. Bedenkt man, dab dieses Vor- urteil bis in die zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts wieder- kehrt, so kann man ermessen, dab Goethe, am Kontext der deutschen Geistesgeschichte gemessen, alles andere als ein

1 Bandnumerierung und Seitenzahl beziehen sich im folgenden auf die Jubil/ iumsausgabe J. G. Cotta, Stuttgart und Berlin, 40 B/inde und 1 Registerband. -- Eckermanns Gesprhche sind unter den Gespr/ichsdaten registriert.

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Reaktion~ir war. Er war ein aufgeklgrter Vertreter des 'ancien r6gime'. Dutch die Halsbandaff~tre war jedoch auch fiir ihn die Unhaltbarkeit eines so offenkundig korrupten Systems sichtbar geworden. Goethes fast iiberwertigte Reaktion auf dieses Ereignis war schon seinen Zeitgenossen aufgefallen. Sie erkl/irt sich aus dieser Erkenntnis, fiir die er iiberhaupt nicht vorbereitet war. Schon dieses Vorspiel l~igt erahnen, welchen Zwang die ausgebrochene Revolution auf Goethe ausiiben muBte. Goethe hat sofort in vollem Umfang die geschichtliche Dimension dieses Ereignisses, seine weltenwendende Bedeutung begriffen. Er mochte sich dariiber beklagen, dab gerade er in eine solche Zeit hineingeboren worden war, die ihm eine solche Politisierung wider Willen aufzwang. Wenn er befiirchtet, durch diese Obsession um bessere poetische M6glichkeiten betrogen worden zu sein, so k6nnen wir das nicht verneinen. Werke von hoher und h6chster Qualit~it sind jedenfalls unter der Signatur der franz6sischen Revolution nicht entstanden.

1823 versucht Goethe sich fiber dieses Thema endgiiltig Rechenschaft zu geben. Zun~ichst betont er den Charakter der Gelegenheitsdichtung, den seine Dichtung immer besessen h~itte. Er sehreibt: ~An eben diese Betrachtung schliegt sich die vielj/ihrige Richtung meines Geistes gegen die franz6sische Revolution unmittelbar an, und es erkl~irt sich die grenzenlose Bemtihung, dieses schrecklichste aller Ereignisse in seinen Ursachen und Folgen dichterisch zu bewgdtigen. Schau ich in die vielen Jahre zuriick, so seh' ich klar, wie die Anh~mglichkeit an diesen uniibersehlichen Gegenstand so lange Zeit her mein poetisches Verm6gen fast unniitzerweise aufgezehrt; und doch hat jener Eindruck so tief bei mir gewurzelt, dab ich nicht leugnen kann, wie ich noch immer an die Fortsetzung der Natiirlichen Tochter denke, dieses wunderbare Erzeugnis in Gedanken ausbilde, ohne den Mut, reich im einzelnen der Ausfiihrung zu widmen~. 2

20p. cir., XXXIX, S. 50.

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Nicht alle Literaturgeschichten werden der unzweifelhaften Bedeutung dieses Motivs gereeht. Kein Wort dariiber ver- lieren Gelzer, Hettner, Nadler. Das Thema wird nur gestreift yon Wilhelm Scherer. Dagegen war es unumg~inglich, dab in einer so politisierten Literaturgeschichte wie der von Gervinus die Position der Deutschen und Goethes im besonderen gegen- iiber der Revolution in vollem MaB zur Geltung kam. Der Ausbruch der Revolution bald nach Goethes Riickkehr aus Italien ~)riB pl/Stzlich die Bewunderung der Menschen auf einen anderen Gegenstand, dem sich Goethe nicht gewachsen f i ih l te . . . Je gr/SBer die Begebenheiten wuchsen, desto mehr verstoekte er sich darauf, den groBen Streit der Welt fiir einen bloBen Zank urn ~iuBere Verhaltnisse zu erkliiren.. . iiberall geriet er bei der Betrachtung des Weltregiments... in Verwirrung. Ihm war alles vereinzelte Tats/ichliche unhandlich, bis es sich zur kiinstlerischen Bew/iltigung verkniipfte. Da hiezu in den ganz aufs GroBe angelegten Begebenheiten der Revolution keine Aussicht war, so leugnete er den h6heren Zusammenhang lieber ganz . . . Er hatte gar keine Ahnung, was aus dem Umsturz alles Bestehenden Besseres, ja was nur anderes daraus entstehen sollte<c z

Gegeniiber dieser pauschalen Beurteilung von Goethes Ver- h/iltnis zu den Welth~ndeln und zur Revolution im besonderen machte der Hegelianer Rosenkranz in seinem Goethe von 1847 den Versuch, in des Dichters Stellungnahme zur Revolution zwei gegens~itzliche Phasen zu unterscheiden. Die Radikalkur der franz6sischen Revolution wird mit der Selbsttherapie des dutch Italien hastenden Goethe verglichen. Aber der Dichter konnte diese Zusammenh/inge erst allm/ihlich begreifen: ~>Bis zu den Unterhaltungen der Ausgewanderten hin geht die negative Richtung in seinem Verh~iltnis zur franz6sischen Revolution. Allein mit ihnen schliigt dasselbe auch schon in die positive Richtung um.<~ ~

3 Gervinus, Literatur#eschichte. (Leipzig, 18590, V, S. 360 L K. Rosenkranz, Goethe und seine Werke. (K/Snigsberg, 1856~), S. 268.

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Das spekulative Goethebild muBte Liiuterung auch auf diesem Gebiet erwarten. - Dem gegeniiber verzeichnet Biel- schowsky in seiner Goethedarstellung das Verhiiltnis zur Revo- lution als einen einzigen MiBklang. Was geringere Geister vermochten, ware ihm nicht gegeben, den gewaltigen positiven Antrieb dieser Bewegung zu begreifen. Diese Auffassung der bis heute als Standardwerk zu erachtenden Goethebiographie hat sich im grol3en ganzen durchgesetzt: So etwa Paul Reimann, um nut ein Zeugnis aus neuerer Zeit anzufiihren: ~>Aber wenn Goethe auch gelegentlich auf die historische Bedeutung der Revolution hinwies und den herrschenden feudalen Zust~mden kritisch gegeniiberstand, machten seine gesellschaftliche Stel- lung und die ganze Atmosphiire, in de re r zu leben gezwungen war, es ihm unmSglich, mit ihr zu sympathisieren. Erst nach dreiBig Jahren, 1829, vermochte er in einem Gespriieh mit Eckermann bis zu einem gewissen Grad die Einseitigkeit seiner Haltung anzuerkennen . . . Abet auch dieses Gespr~tch, in dem Goethe die ,wohltiitigen Folgen' der franzSsischen Revolution anerkannte, zeigt, wie ihm trotz seiner Einsicht in die wirklichen Lebensverh~iltnisse das Verst~mdnis f'tir die historische Notwendigkeit revolution/irer Umwiilzungen ver- schlossen blieb.<:

Auch Maurice Boucher beschliel3t seine hellhSrige Unter- suchung der einschl/igigen Goethezitate (La r$volution de dix- sept cent quatre-vingt-neuf rue par les ~crivains allemands, ses contemporains, 1954): ~>Es kam ibm nicht i n den Sinn, dab die Laune, die iible Laune, sagen wir es richtiger, das revo- lution~ire Feuer, einer der Antriebe der Geschichte und des Fortsehritts sein kann.<~ 7 Der Plutonismus, der Vulkanismus

Albert Bielschowsky, Goethe. (Miinchen, 191228), S. 68. 6 Paul Reimann, Hauptstriimungen der deutschen Literatur 1750-1848.

(Berlin, 1956), S. 398. 7 I1 ne lui venait pas ~t l'esprit que l'humeur, la mauvaise humeur, ou

disons plus noblement: l'ardeur r6volutionnaire pot 6tre un des moteurs de l'histoire et du progr~s.

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sei f'tir Goethe kein Gesetz, ~)sondern eine Anomatie, ein Au$- nahmefall, eine Katastrophe gewesen(~, s

Schon Jahre zuvor hatte Rudolf Unger Goethes ~rtiefen Widerwillen gegen die aus dem Westen andringende welt- geschichtliche Macht<~ in Parallele gesetzt zu seinem ~)gleich- zeitigen Unverst~ndnis der geistigen Umwalzung in Deutsch- land, die der Kantische Idealismus bewirkte<~. 9 Dieser wichtige Zusammenhang muB hies in der blol3en Andeutung belassen werden. Festzuhalten gilt es die relative Fixit~it yon Goethes Anschauung der franz6sischen Revolution, und zwar im Positi- ven wie im Negativen. GewiB: der Widerwille gegen dieses Ereignis war zeitlebens uniiberwindlich. M a n kann die Erkl~i- rung hierfiir in seiner Herkunft wie aueh in seiner Tatigkeit suchen. Das reichsstadtische, stets kaisertreue und konservative Patriziertum war kein giinstiger N/ihrboden fiir revolution~tre Gesinnungen. Goethe fiat lange mit dem Gedanken einer Riickkehr naeh Frankfurt gespielt. Einem Fiirstendiener verbot sich, mOchte man meinen, die Zuneigung zu diesem die Funda- mente aller Staatlichkeit aufwiihlenden Ereignis. Indessen waren auch Herder und Wieland Fiirstendiener, ohne ihre Bewunderung f'tir den hi Frankreich v0tlzogenen Wandel zu �9 r Die Lockerung:cieS Verhiiltnisses zu Herder und Knebel lag eben in dieser Differenz der politischen Anschauung begriindet. Goethes Konservatismus war der eines politisehen Realisten, der im stillen Fortgang der Gesch~tfte keine Ver- anderung der staatlicfiefl und gesei!schaftlichen Verh/iltnisse wiinschen konnte. Alles fiir das Volk, aber nichts dutch das Volk ! Durch die franz6sische Revolution Wurde Seine bisherige Lebenserfahrung in Frage gestellt, und darauf reagierte er feindselig und mit Unwillen. AuBerungen dieser Reaktion kann man seit dem Ausbruch der Revolution in allen Lebens- phasen zusammenstellen. Zwar gab Goethe in einem oft

8 Mauriee Boucher, La r~volution de 1789 ~ue par les ~crivains alle- mands, ses contemporains. (Paris, 1954), S. 169.

g Rudol f Unger, aGoethe und sein deutsches Volk.~ In : Zur Dich- tun#s- und Geistes#eschichte der Goethezeit (Berlin, 1944), S. 120.

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zi t ier ten Gespr~ch mi t E e k e r m a n n of ten zu, d a b die )>wohl- ffttigen Folgen(< der Revo lu t ion )moch nicht zu ersehen waren<(. 1~ Z u dieser Stelle, die m a n nu t ind i rek t als pos i t iv bewer ten k a n n , k a n n m a n noch das Gespff tch v o m 4. I. 1827 ne hme n :

,Dal] die Franz/Ssen aus der Pedanterie zu einer freieren Art in der Poesie hervorgehen, ist nicht zu verwundern. Diderot und ihm ~hnliche Geister haben schon vor der Revolution diese Bahn zu brechen gesucht. Die Revolution selbst sodann, sowie die Zeit unter Napoleon sind der Saehe giinstiger.((

Diese zwei nur sehr bed ing t als posi t iv zu e rach tenden Bemer- kungen vermSchte die Fii l le de r unverminder t feindsel igen Aus lassungen in Goe thes le tz tem Jahrzehnt nicht aufzuwiegen. Er erkl i i r t a m 2. I. 1824:

))Es ist wahr, ich konnte kein Freund der franz~sischen Revolution sein, denn ihre Greuel standen mir zu nahe und emp~rten mich tiiglich und stfindlich.(( u

I m selben Jahr 1824 behaup te t G o e t h e :

))Es ist in Frankreieh alles dureh Bestechungen zu erreichen; ja die ganze franz~sisehe Revolution ist durch Besteehung geleitet worden., lz

U n d a m 27. IV. 1825:

~Ieh hasse jeden gewaltsamen Umsturz, weil dabei ebensoviel Gutes vernichtet als gewonnen wird. Ich hasse die, welehe ihn ausffihren, wie die, welche dazu Ursach geben., 1828 bekennt sich Goethe ausdri~cklich zu seinem antirevolution~ren Bargergeneral und zu der das St~ick bcherrschenden Rolle des Sehnaps, der nichts als eine possenhaftr und ziemlich geisflose Karikierung der wirklichen Revolutioniire darstellt, t3

1~ I. 1824. l IA. a. O. 12 26. II. 1824. is 16. XII. 1828.

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Und noch 1830:

*Bei keiner Revolution sind die Extreme zu vermeiden. Bei der politischen will man anf~inglich nichts als die Abstellung yon allerlei MiBbr~tuclaen, aber ehe man es sich versieht, steckt man tief in BlutvergieBen und Greueln.~ 14 .

Diese Texte aus sp~iterer Zeit kann man erg~nzen durch die friiheren Ausiassungen, die jenen natfirlich a n feindseliger Sch~trfe nichts nachgeben. Die Stellen sind 6fters zusammen- gestellt - m a n kann sie der Sekund~irliteratur mfihelos ent- nehmen. 1~ Die Meinungen fiber die franz6sische Revolution bilden also ein:durch alle Phasen hindurchgehendes Kon t i , nuum. Das gilt nun abet a u c h f'tir die Entlastungsversuche, die die revolutionare Gefolgschaft versfftndlich erscheinen lieBen. SchlieBlich iiberl~Bt Goethe den Franzosen ihre Revor lution, wenn das Uberspringen des Funkens nach Deutsch- land verhindert wird. Dazu geselit sich einweiterer, ' ebenfalls bestandig wiederholter Gedanke: die Mitschuld der herrschen- den Kreise am Ausbruch der Revolution. Zufolge Diehtun# un.d Wahrheit verwirrt sich die franz6sische Verfassung ~fin lauter gesetzlosen MiBbr~tuchen~, deren Regierung ih re Energie nur am falschen Orte sehen lasse und gestatten mfisse, dab eine g~inzliche Veranderung de r Dinge schon in schwarzen Aus- sichten 6ffentlich prophezeit wurde, x6 Die :Korruption in der Zeit des Halsbandprozesses beleuchtete schon der Groflkoptha, Die frfiheste Stellungnahme nach dem Ausbruch der Um- w~ilzung ist in den Venezianischen Epigrammen niedergelegt, Der Grundton wird angesehlagen in No. 50:

*Alle Freiheitsapostel, sie waren mir immer zuwider...~,

in No. 52:

:~>Jegliehen Sehw.~rmer sehlagt mir ans Kre'uz im dreiBigsten Jahre~,

14 14. III. 1830. lz Zuletzt bei Boucher, a. a. O., S. 129 f. x~ XXIV, S. 42.

6*

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i n No. 53:

~)Grofle gingen zu Grunde: doch wer besch~tzf die Menge gegen die Menge ? Da war Menge der Menge Tyrann.~

Abe t zwei Epigramme lassen uns aufhorchen: No. 57:

~)Jene Menschen sind toll, so sagt ihr yon heftigen Sprechern, Die wir in Frankreich laut h6ren auf StraBen und Markt,

Mir auch scheinen sie toll; doch redet ein Toiler in Freiheit Weise Spriiche, wenn ach!. Weisheit im Sklaven verstummt!~

Die Freiheit ist der Wahrheit giinstiger als die Knechtschaft de r Weisheit, unbesehadet der Tollheit, in die sie auch nach der Meinung des Autors verfalle. U m den Begriff der Tollheit geht es noch i n d e n folgenden zwei Versen. No. 54:

~Tolle Zeiten hab ' ieh erlebt, und hab' nicht ermangelt, Selbst aucla t6richt zu sein, Wie es die Zeit mir gebot.~: 7

Ermiichtigt uns dieser Zweizeiler zu derAnnehme, daft Goethe selbst unmittelbar nach dem Ausbrueh der Revolu t ion fiir kurze Zei t ih ren Verlockungen erlag 9. Wir k6nnen eine sotehe Interpretation nieht a limine abweisen, obwohl der gesamte Kontext ~ yon Goethes Zeugnissen fiber seine Revolutions- erlebnisse eine ganz andere Deutung nahelegt: das Ieh ist nieht das des Autors, sondern ein ,man's. Fast alle Welt war dem Revolutionswahn verfallen. Zuniichst wird der Zwangscharak- ter des Revolutionserlebnisses geschildert, und zwar in der Kampagne in Frankreich yon 1792:

~ . . . indessen das Unheil tier franz~Ssisehen Staatsumw[ilzung, sich immer verbreitend, jeden Geist, er mochte lain denken und sinnen, wohin er wollte, auf die Oberfliiche der europ~tisehen Welt zuriiekforderte und ihm die grausamsten Wirklichkeiten auf- drang~, xs

17 Die Venezianischen Epigramme in I, S. 217 f. is XXVIII, S .1,49 f.

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Auch in den herrschenden Schichten des 'deutsehen Adels fanden solche Stimmungen Platz:

*Was mir abet noeh mehr auffiel, war, dab ein gewisser Freiheits- sinn, ein Streben nach Demokratie sich in die hohen Stiinde ver- breitet hatte; man sehien nicht zu f/ihlen, was alles erst zu ver- lieren sei, um ztI::irgend einer Art zweidetttigeia :Gewinnes zu gelangen. Lafayette und Mirabeaus Biiste, y o n Houdon sehr natiirlich und iihnlich gebildet,, sah ich. bier g~ttlich, verehrt, jenen wegen seiner ritterlichen und bfirgerliehen Tugenden, die- sen wegen Geisteskraft und Rednergewalt.. So seltsam schwankte schon die Gesinnung der Deutschen; einige:ware~a selbst in Paris gewesen, hatten die bedentenden~Miinnerreden h6ren, handeln sehen und waren, leider nach deutseher Art und,Weise, zur Nach- ahmung aufgeregt worden .:

Die Revolutionsspielerei h/itte demnach in Deutschland epide- misch um sich gegriffen:

dndem mieh nun dies alles inGedanken-hr drangte, beiingstigte, hatte ich leider zu bemerken, dab man ira' .V.aterlandr sich spie- lend mit Gesinrmngen unte~;hielt, we!che eben: aueh urns ~hnliche Schicksale vorbereiteten. :Ich :kannte genug exile .Gemi~ter, die sich gewissen Aussiehten und Hoffnungen, ohrte weder-sieh noch die Sache zu begreifen, phantastiseh hingaben;, indessen ganz schlechte Subjekte bittern Unmut ZU erregen, zu :nlihren und zu benutzen strebten."zo

Schon in den friihen, dem Bftrgergenkkal'folgenden Revo- lutionsstiicken geht Goethe auf die revolutioniiren Stimmungen insbesondere unter den Jugendlichen ein. In den Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter (1794) spricht einl enthusiastischer Jiingling f'tir die Saehe der Revolution. Herausgefordert, bleibt er die Antwort nicht schuldig. Das Verh/iltnis zur Revolution wird bier also auf den Gegensatz' der Generationen hinaus- gespielt:

*UnparteiischI rief Karl mit Heftigkeit aus; wenn ich doch dieses Wort nicht wieder sollte aussprechen h6ren! Wie-ikann.man diese Menschen so geradezu verdammen ? Freilich haben sie nicht ihr~

19 XXVIII, S. 159. zO XXVIII, S. 208.

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Jugend und ihr Leben zugebracht, in der hergebrachten Form sich und andern begfinstigten Menschen zu nfitzen; freilieh haben sic nicht die wenigen wohnbaren Zimmer des alten Geb~iudes beses- sen und sich darinne gepflegt; vielmehr haben sic die Unbe- quemliehkeit der vernaehl~issigten Teile cures Staatspalastes mehr empfunden, weil sic selbst ihre Tage kfimmerlich und gedrfickt darin zubringen muBten; sie haben nicht, durch eine mechanisch erleichterte Gesch~tftigkeit bestochen, dasjenige ffir gut angesehen, was sie einmal zu tun gewohnt waren; freilich haben sie nur im stillen der Einseitigkeit, der Unordnung, der L~ssigkeit, der Unge- schicklichkeit zusehen kSnnen, womit cure Staatsleute sich noch Ehrfurcht zu erwerben glauben; freilich haben sic nur heimlich wiinsehen ki~nnen, dab Mfihe und G-chUB gleicher ausgeteilt sein m6ch ten . . . Karl, der sich im Zorn nicht mehr kannte, hielt mit dem Gestandnis nicht zurfick: dab er den franz6sisehen Waffen alles Glfick wiinsche und dab er jeden Deutschen auffordere, der alten Sklaverei ein Ende zu maehen; dai3 er yon der franzSsischen Nation fiberzeugt sei, sic werde die edlen Deutschen, die sieh ffir sie erkl~trt, zu sch~tzen wissen, als die ihrigen ansehen und behan- deln, und nicht etwa aufopfern oder ihrem Sehieksal fiberlassen, sondern sie mit Ehren, Gfiteru und Zutrauen fiberh~ufen. -- Der Geheimrat behauptete dagegen, es sei l~tcherlich zu denken, dab d~e Franzosen nur irgend einen Augenblick, bei einer Kapi- tulation oder sOnst, f(ir sic sorgen wiirden; vielmehr wiirden diese Leute gewiB in die Handr tier Alliierten fallen, und er hoffe, sic alle gehangen zu sehen..-- Diese Drohung hielt Karl nicht aus und rief vielmehr, er hoffe, daft die Guillotine auch in Deutsch- land eine gesegnete Ernte finden und kein schuldiges Haupt ver- fehlen werde.~ ~t

D e r G e h e i m r a t , oder m i t e iner Aufsehwel lung dieses Titels du reh ein une tymologisches ,Gelae imbdera t ' , wa r eine , luche ' , eine finstere F Jgu r ; : von der tats~tchliehe M a c h t im d e n k b a r r eak t i on~ i r s t enS inn aiasging. Der Adel , du rch D e k a d e n z und mange lnde Inte l l igenz a b o r i g i n e unUihig, alle en t sche idenden Pos i t ionen der feuda l -absolu t i s t i schen Staa t l ichke i t e inzuneh . men, versah sich der Mi tw i rkung der technisch bef~ihigten und cha rak t e r l i ch zu j ede r Niedr igke i t bere i ten Ver t re te r des Bi i rger tums.

~1 XVI, S. 174 f.

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DaB gerade die junge Generation Ftir die Revolutions- gedanken besonders empf~inglich war, betont Goethe aus- driicklich in der Kampagne in Frankreich, wo ein revolution~tr gesinnter jiingling zwischen die feindlichen Fronten ger~it. Ober ihn wird gesagt:

, A l s j u n g e r M a n n d e m n e u e n S y s t e m g f l n - s t i g (yon mir gesperrt. W. K.), kehrte er genftigt zu einer Partei zur~ck, die er verabscheut. . .r

Goethe war sehr geneigt, einer begeisterungsf~higen Jugend ihre revolution~tren Illusionen zugute zu halten. Ein solcher Idealist war der erste Br~tutigam der Dorothea, yon dem gesag t w i l d :

Auch, mit stillem Gemfit, hat sie die Schmerzen ertragen Ober des Brautigams Tod, der, ein edler Jfingling, im ersten Feuer des hohen Gedankens, naeh edler Freiheit zu streben, Selbst hinging nach Paris und bald den schrecklichen Tod fand: Denn, wie zu Hause, so dort, bestritt er Willkfir und Rinke. za

Neben diesen jugendlichen Typen stellt das Stiiek Die Auf- geregten zwei voll erwachsene deutsche Revolutionsfreunde dar, die nicht allzu negativ geschildert sind. Breme ist ein begeisterter Anh~nger Friedrichs II. gewesen, ganz so wie Goethe selbst:

Breme: Ihr guten Leute wi6t nieht, dab alles in der Welt vor- w/irts geht, dab heute m6glieh ist, was vor zehn Jahren nieht m0glich war. Ihr wiBt nicht, was jetzt alles unternommen, was alles ausgeffihrt wird. Martin: 0 ja, wir wissen, dab in Frankreich jetzt wunderliehes Zeug geschieht, Peter: Wunderliches und abscheuliches! Albert: Wunderliehes und gutes. Breme: So reeht, Albert, man muB das beste w/ihlen! Da sag ich n u n : W a s man in Giite nicht haben kann, soll man mit Gewalt nehmen. Martin: Sollte das gerade das beste sein?

22 XXVIII, S. 107. 2a VI, S. 204.

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Albert: Ohne Zweife!. Peter: Ich d~chte nicht. Breme: Ich muB euch sagen, Kinder, jetzt oder niemals !~4

Charakteristisch ist hier die Erkenntnis der einmaligen Gunst einer bisher nie dagewesenen geschichtlichen Konste!lation. In demselben Spiel wird ein wiirdiger Magister mit seiner aus Paris heimgekehrten Herrin konfrontiert:

Magister: Wie oftmals hab ich Sie am das Glfick beneidet, gegen- wartig zu sein, als die gr6Bten Handlungen geschahen, die je die Welt gesehen hat, Zeuge zu sein des seligen Taumels, der eine groBe Nation in dem Augenblick ergriff, als sie sich zum ers~en, mal frei und von den Ketten r ffihlte, die sie so lange getragen hatte, dab diese schwere fremde Last gleichsam ein Glied ihres elenden, kranken K6rpers geworden. Griifin: Ich habe wunderbar e Begebenheiten gesehen, aber wenig Effreutiches. Magister( Wenngleich nicht fiir die Sinne, doch fiir den Geist. Wer aus groBen Absichten fehlgreift, handelt immer lobenswiirdi- ger, als wer dasjenige tut, was nur kleinen Absichten gem~iB ist. Man kann auf dem rechten Wege irren und auf dem falschen recht gehen...~5

Abet kehren wir zu Hermann und Dorothea zuriick. Der Titelheld hat sich ohne Schwanken der Gegenrevolution ver- schrieben. Er spricht ~es seibst aus: der Mensch diirfe in schwan- kender Zeit nicht selber schwanken. Endlich hat Goethe einen jungen Menschen gefunden, der gegen das Gift der Revolution immun ist. Aber im selben Epos wird, so ausfiihriich wie nie zuvor und wie niemals wieder, die begeisternde Wirkung der ersten Phase der Revolutionszeit geschildert:

Denn wer leugnet es wohl, dal3 hoch sich das Herz ibm erhoben, Ihm die freiere Brust mit reineren Pulsen geschlagen, Als sich der erste Glanz der neuen Sonne heranhob, Als man hGrte yore Rechte der Menschen, das allen gemein sei, Von der begeisternden Freiheit und vonder 16blichen Gleichheit ! Damals hoffte jeder, sich selbst zu leben; es schien sich Aufzul(Ssen das Band, alas viele L~nder umstrickte, Das der Mi.ii3iggang und der Eigennutz in der Hand hielt.

2~ X V , S. 84. 25 XV, S. 93 f.

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Schauten nicht alle V01ker in jenen dr~ngcnden Tagen Nach der Hauptstadt der Welt, die es schon so lange gewesen Und jetzt mehr als je den hcrrlichcn Namen verdiente? Watch nicht jencr M~nner, der ersten Verk~nder der Botschaft, Namen den hSchsten gleich, die unter die Sterne gcsetzt sind ? Wuchs nicht jeglichem Menschen der Mut und clcr Geist und die

Sprache ? Und wir waren zucrst, als Nachbarn, lebhaft cntzfindct.~ 6

V0n neuem, stellt sich die Frage, 0b denn Goethe, diese prorevolution~ire Stimmung, wenn auch nur ffir einen Augen- Nick, teilte ?Wir kSnnen nur wiederholen: das ist unbewcisbar, ist abe t auch wenig wahrscheinlich; wcnn man auf Goethes Geistesverfassung nach der Rfickkehr yon der crstcn itaIieni- schen Rcise hinsieht. Goethcs Verlangen, die verabscheute ReVolution doch auch aus sich selbst heraus zu erkl~rcrL dieses Streben nach ~iuI3crster Objektivierung, das wit schon in dcnfrfiheren Rcvolutionssch6pfungen beobachten konntcn, verwirklicht sich nun crstmalig in tinct wirklichen Dichtung~ Denn das ist Hermann und Dorothea, so spiel3ig cinch die von Goethe gcpricsene Moral des Ganzen bedfinken mug. Viel; leicht konnte das groBe Epos kein anderes Ende nchmcn als in der Yerhcrrlichung der Spicgcrmoral Objcktivcrc Vcrh~lt~ nissc darzustellen. Wirklichc Dichtung muBte auch in dei Objektivicrung gcgnerischer Bestrebungen ein H6chstmaB von Oberzeugungskraft besitzen. Goethe untcrnahm damit zugleich die Anstrcngung, seine zahlloscn, revolution~ir gesinntcn Zcit- genossen und Landsleute zu begrcifcn.

Untcr den wcnigen positiven Stellungnahmen der Sp~tzcit kann man die Unterhaltung mit Eckermann am 2. I. 1824 anfiihrcn:

>>Und wiederum ist fur eine Nation nur das gut, was aus ihrcm eigcnen Kern und ihrcm eigencn allgcmeinen Bed0ffnis hervor- gcgangcn, ohne Nach~ffung ciner anderen. Denn was dem cinch Volk auf eincr gcwisscn Altersstufc eine wohlt~tigc Nahrung scin kann, erweist sich vielleicht ffir ein anderes als ein Gift. AIlc Vcrsuchc, irgcnd eine auslgndische Neucrung einzuffihrcn, wozu

26XV S. 197L

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das Bediirfnis nicht im tiefsten Kern der eigenen Nation wurzelt, sind daher t~richt, und alle beabsiehtigten Revolutionen solcher Art ohne Erfolg: denn sie sind ohne Gott, der sich yon solchen Pfuschereien zuriickhalt. Ist aber ein wirkliches Bedfirfnis zu einer groBen Reform in einem Volke vorhanden, so ist Gott mit ihm und sie gelingt. Er war sichtbar mit Christus und seinen Anh~n- gem, denn die Erscheinung tier neuen Lehre der Liebe war den V/51kern ein Bediirfnis; er war ebenso sichtbar mit Luthern, denn die Reinigung jener durch Pfaffenwesen verunstalteten Lehre war es nicht weniger. Beide genannten groflen Kr~fte aber waren nicht Freunde des Bestehenden; vielmehr waren beide lebhaft dureh- drungen, dab der alte Sauerteig ausgekehrt werden mfisse, und dal~ es nieht ferner im Unwahren, Ungerechten und Mangelhaf- ten so fortgehen und bleiben k6nne.~ -*r

Merkwiirdig ist die bei Goethe sonst nirgends belegbare Anrufung Gottes zur Verhinderung einer deutsehen Revolution. Die in Deutschland als gottlos verbotene Revolution w~re also in Frankreieh im Recht ? Gott w~ire also fiir die franz6- sische Revolution gewesen ? Einer solchen Konsequenz entzieht sich Goethe, indem er nut die allgemein anerkannten Revo- lutionen anfiihrt: die Konstituierung des Christentums und die Reformation. Freilich hatte Goethe in seinen 1799 erschie- nenen Vier Jahreszeiten das Luthertum neben der franz6sischen Revolution als bildungsfeindliche Macht angeprangert:

Franztum dr~ingt in diesen verworrenen Tagen, wie ehmals Luthertum es getan, ruhige Bildung zuriick. 2a

Das Ergebnis dieser kurzen Untersuchung zusammenfassend, wird man feststellen, dab die Anschauungen tier franz6sischen Revolution in Goethes verschiedenen Lebensphasen im B6sen wie im Guten geblieben sind, was sie immer waren, so dab yon einer Ver~inderung der Qualit~it und ebensowenig von einer graduellen Steigerung keine Rede sein kann. Um aber das Gesetz der kiinstlerischen Objektivierung zu begreifen und zu handhaben, war Goethe nicht erst auf die abgeklS.rte Weis- heit des Alters angewiesen.

2~ 2. I. 1824. 2s I, S. 242.