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88 GOLD- UND SILBERSCHMIEDEKUNST Hoch geschätzt und streng kontrolliert Gold- und Silberschmiede hatten im Mittelalter eine besondere Stellung: Man schätzte sie nicht nur für die Schönheit ihrer Ringe, Becher oder Pokale. Ihnen kam auch die Aufgabe der Ver mögenssicherung zu. Schließlich diente die edle Ware, die Kommunen, Kir- chen oder Bürgern gehörte, in erste Linie als Kapitalanlage. Schmuck und Geschirr ließen sich jederzeit ein- schmelzen und zu neuen Kunstwerken oder Münz- geld formen. Außerdem konnte man damit sehr gut demonstrieren, wie reich und erfolgreich man war. So soll der Burgunderherzog Philipp der Gute 1456 sein 150 Zentner schweres Silbergeschirr öffentlich ausgestellt haben, um mögliche Gegner auf die gut gefüllte Kriegskasse hinzuweisen. Prompt gab das gegnerische Utrecht klein bei. Doch auch Städte protzten gern mit ihrem Ratssilber. Bei großen Festessen wurde es stolz auf der Tafel präsentiert. Privatleute hingegen stellten die Pracht- stücke ihres Edelmetallschatzes oft anlässlich wich- tiger Familienfeiern aus – als Taufgarnitur, Braut- schmuck oder Sargschild. Und natürlich hatten auch die Kirchen großen Bedarf an Kunstschmiedearbeiten: Vom schlichten Mess- kännchen bis zum Kölner Dreikönigsschrein gaben sie laufend neue Werke in Auftrag. Kein Wunder, dass Städte wie Köln oder Paris im Hochmittelalter weit über hundert Goldschmiede- werkstätten zählten und die Meister oft in höchsten Kreisen verkehrten. Die handwerklichen Verfahren, die ein Gold- und Silberschmied beherrschen musste, haben sich dabei bis heute kaum verändert: Das heiße oder kalte Metall wurde in Form gehämmert oder gegossen, danach graviert, ziseliert oder emailliert. Wegen des wertvollen Rohstoffs war dabei eine intensive Gewerbeaufsicht üblich. So prüften von der Stadt bestellte „Schaumeister“ die Ware der Betriebe regelmäßig auf ihren Gehalt an Reinsilber oder Reingold. Wurden die korrekten Wer- te erreicht (bei Silberware war zum Beispiel ein Reingehalt von 81 bis 87 Prozent üb- lich), markierte man das Werkstück mit ei- nem Metallstempel. Eine Kriegsbeute aus Mailand war es, die der Kölner Erzbischof Rainald von Dassel 1164 mitbrachte: die angeblichen Gebeine der Heiligen Drei Könige. Für die kostbare Reliquie wurde ein goldener Schrein ange- fertigt, der seinesgleichen sucht. Führender Kopf dabei war der Goldschmied Nikolaus von Verdun (ca. 1130 bis 1205). Die Kunstfertigkeit mittelalterlicher Handwerker weckt heute noch Erstaunen. Ob Elfenbeinschnitzer, Goldschmiede oder Seidenweberinnen – jedes Gewerbe folgte eigenen Regeln. Von Kristina Maroldt

GOLD- UND SILBERSCHMIEDEKUNST Hoch geschätzt und …

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GOLD- UND SILBERSCHMIEDEKUNST

Hoch geschätzt und streng kontrolliertGold- und Silberschmiede hatten im Mittelalter einebesondere Stellung: Man schätzte sie nicht nur fürdie Schönheit ihrer Ringe, Becher oder Pokale. Ihnenkam auch die Aufgabe der Ver mögenssicherung zu.Schließlich diente die edle Ware, die Kommunen, Kir-chen oder Bürgern gehörte, in erste Linie als Kapitalanlage.Schmuck und Geschirr ließen sich jederzeit ein-schmelzen und zu neuen Kunstwerken oder Münz-geld formen. Außerdem konnte man damit sehr gutdemonstrieren, wie reich und erfolgreich man war.So soll der Burgunderherzog Philipp der Gute 1456sein 150 Zentner schweres Silbergeschirr öffentlichausgestellt haben, um mögliche Gegner auf die gutgefüllte Kriegskasse hinzuweisen. Prompt gab dasgegnerische Utrecht klein bei. Doch auch Städte protzten gern mit ihrem Ratssilber.Bei großen Festessen wurde es stolz auf der Tafelpräsentiert. Privatleute hingegen stellten die Pracht-stücke ihres Edelmetallschatzes oft anlässlich wich-tiger Familienfeiern aus – als Taufgarnitur, Braut-schmuck oder Sargschild. Und natürlich hatten auch die Kirchen großen Bedarfan Kunstschmiedearbeiten: Vom schlichten Mess-kännchen bis zum Kölner Dreikönigsschrein gabensie laufend neue Werke in Auftrag. Kein Wunder, dass Städte wie Köln oder Paris imHochmittelalter weit über hundert Goldschmiede-werkstätten zählten und die Meister oft in höchstenKreisen verkehrten.Die handwerklichen Verfahren, die ein Gold- undSilberschmied beherrschen musste, haben sichdabei bis heute kaum verändert: Das heißeoder kalte Metall wurde in Form gehämmertoder gegossen, danach graviert, ziseliertoder emailliert. Wegen des wertvollen Rohstoffs wardabei eine intensive Gewerbeaufsichtüblich. So prüften von der Stadt bestellte„Schaumeister“ die Ware der Betrieberegelmäßig auf ihren Gehalt an Reinsilberoder Reingold. Wurden die korrekten Wer-te erreicht (bei Silberware war zum Beispielein Reingehalt von 81 bis 87 Prozent üb-lich), markierte man das Werkstück mit ei-nem Metallstempel.

Eine Kriegsbeute aus Mailand war es, dieder Kölner Erzbischof Rainald von Dassel1164 mitbrachte: die angeblichen Gebeineder Heiligen Drei Könige. Für die kostbareReliquie wurde ein goldener Schrein ange-fertigt, der seinesgleichen sucht. FührenderKopf dabei war der Goldschmied Nikolausvon Verdun (ca. 1130 bis 1205).

Die Kunstfertigkeit mittelalterlicher Handwerker weckt heute noch Erstaunen. Ob Elfenbeinschnitzer, Goldschmiede oder Seidenweberinnen – jedes Gewerbe folgte eigenen Regeln. Von Kristina Maroldt

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ARBEITEN & FEIERN

für den Sündenfall mit den Mühen derFeldarbeit („Im Schweiße deines Ange-sichts sollst du dein Brot essen“, Gen3,19). An anderer Stelle klingt der Aufrufzum Ackerbau jedoch eher wie ein Pri-vileg: „Hiermit übergebe ich euch allePflanzen auf der ganzen Erde. Euch sol-len sie zur Nahrung dienen.“

Auch das Neue Testament rät zum tä-tigen Leben. „Setzt eure Ehre darein, ru-hig zu leben, euch um die eigenen Auf-gaben zu kümmern und mit euren Hän-den zu arbeiten“, predigt Paulus in sei-nem ersten Brief an die Thessalonicher.Als laut Apostelgeschichte mitten im Ar-beitsleben stehender Geschäftsmann(„Zeltmacher“) geht Paulus mit gutemBeispiel voran.

Die ersten Mönche nahmendiese Vorgaben noch sehrernst: Die frommen Ge-meinschaften, die sich inder Antike in den Wüsten

Ägyptens sammelten, erwirtschaftetenihren Lebensunterhalt völlig eigenstän-dig als Bauern. Schließlich, so verkün-dete der spätantike Mönch JohannesCassianus, erreiche man durch körper-liches Tätigsein die „Reinigung des Her-zens und der Gedanken, um die akedia(Unlust) zu besiegen und die Beharrlich-keit in der Zelle zu üben“.

Auch der Gründer des Benediktiner-ordens, Benedikt von Nursia, nahm denAufruf zur Handarbeit in sein berühm-tes Regelwerk zum Klosterleben mit auf:„Mönche sind dann wirklich und eigent-lich Mönche“, heißt es in der im 6. Jahr-hundert formulierten Benediktsregel,„wenn sie von der Arbeit ihrer Hände le-ben, wie unsere Väter und Apostel.“

Doch mit der Zeit gerieten die hehrenZiele in Vergessenheit. In Adelsklösternwie Cluny beschränkten sich die Mön-che der Jahrtausendwende lieber aufsBeten, Singen und Weintrinken. Un -geweihte Laienbrüder aus niederenSchichten schufteten derweil auf denLändereien der Orden. Die Aufgabenver-teilung galt als gottgewollt.

In Adelsklösternbeschränkten sichdie Mönche aufs

Beten, Singen undWeintrinken.

Dieser Einblick indie Werkstatt einesGoldschmiedsstammt zwar ausder frühen Neuzeit,doch haben sichviele der im Mittel-alter üblichenArbeitstechnikenbis heute gehalten.Kolorierter Holz-schnitt von HansBrosamer, um 1550

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BILDSCHNITZEREI

Aufschwung durch TechnikWer an mittelalterliche Bildschnitzerei denkt, hat zunächstdie virtuosen Holzarbeiten von Künstlern wie Tilman Rie-menschneider aus dem Spätmittelalter vor Augen. Dochauch in den Jahrhunderten davor entstanden beeindrucken-de Werke. Das Material war dabei oft Elfenbein; es war be-sonders kostbar und wurde deshalb nur ausgewiesenenKünstlern übergeben. Zum Beispiel den Handwerkern der Hofschule von Karl demGroßen: Im neunten Jahrhundert entstanden in den kaiser-lichen Werkstätten detailreiche Prachteinbände für Bücherwie das „Lorscher Evangeliar“. Später konnte sich Paris alsHochburg der Elfenbeinschnitzkunst etablieren. FiligraneRundplastiken wie die Madonna von Saint-Chapelle wurdendort im 13. Jahrhundert geschaffen. Ab etwa 1470 erlebte dann die Holzschnitzerei ihre Blüte.Künstler wie Veit Stoß, Tilman Riemenschneider oder MichaelPacher produzierten Figuren, Altäre und Kreuze für Kirchenund Klöster in ganz Europa, ihre Werke sollten die Bild-

schnitzerei lange prägen. Der plötzliche Aufschwung hattezum einen mit den verbesserten Absatzmöglichkeiten zutun. Dank gut ausgebauter Handelsverbindungen konntenzum Beispiel flämische Altarwerkstätten wie die der Ant-werpener Lukasgilde ihre Werke bis nach Spanien oderSchweden verschicken. Doch auch technische Innovationen erleichterten und verbesserten die Arbeit: Seit Mitte des 15. Jahrhunderts gehörte die Werkbank zur Ausstattung deutscher Bild -hauerwerkstätten. Der Schnitzer konnte nun seinen Werk-block zwischen zwei Docken waagerecht einspannen undnach allen Seiten beliebig drehen. Die ausladenden Gewän-der der Figuren waren für Hammer und Beitel so viel besserzugänglich. Traditionell verstanden sich die Künstler als Handwerker. Nurselten bildeten Holzschnitzer eigene Zünfte. Häufig warensie mit Malern, Glasern und Seidenstickern vereinigt oderorganisierten sich mit anderen Holzarbeitern wie Kistlernoder Drechslern. Vor allem die Nähe zum Malerhandwerk bot sich an. Schließ-lich arbeiteten beide Branchen eng zusammen. Maler zeich-neten oft die Entwürfe für die Altäre oder Figuren, Fassmaleroder Vergolder sorgten für den leuchtenden Farb- und Gold-schmuck der Werke.

Die geschnitzteElfenbeintafel dien-te als Buchdeckelfür eine prunkvolleEvangelienhand-schrift, die als„Lorscher Evangeli-ar“ bekannt ist, weilsie jahrhunderte-lang im KlosterLorsch aufbewahrtwurde.

Die meisterhafteDarstellung desLetzten Abend-

mahls von TilmanRiemenschneiderstellt Judas, denVerräter, in den

Mittelpunkt undnicht Jesus. Zu

sehen ist sie in derStadtkirche St.

Jakob in Rothen-burg ob der Tauber.

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ARBEITEN & FEIERN

1098 schließlich hatte ein jungerMönch genug vom Sittenverfall. „Wir ar-beiten nicht mehr mit unseren Händen,wie es die Väter taten“, warf der Bene-diktiner Robert von Molesme seinenMitbrüdern vor – und gründete einenneuen Orden: die Zisterzienser. Unterihrem Abt Bernhard von Clairvaux wur-de die Vereinigung zur Keimzelle einerReformbewegung, die das mittelalterli-che Arbeitsethos grundlegend verän-dern sollte.

Denn Bernhard von Clairvaux warein charismatischer Prediger. Und er hat-te eine klare Botschaft: Körperliche Ar-beit reinige den Leib von sündhaften Be-gierden, mache unabhängig von den Ar-beiten anderer und befähige zur tätigenNächstenliebe. Also sei sie die wahremönchische Tugend.

Vor allem bei den Adligenseiner Zeit traf er damit ei-nen Nerv. In Clairvaux no-tierte ein Beobachter imHochmittelalter verwun-

dert, dass „auf dem Feld so viele gelehrte,edle und verwöhnte Männer aus Liebezu Christus Anstrengungen und Mühenauf sich nahmen und sich der Sonnen-glut mit einem freudigen Eifer aussetz-ten, als ob sie in einem lieblichen Gartenduftendes Obst pflückten oder an einemmit feinen Speisen gedeckten Tisch zumGastmahl zusammensäßen“.

Damit Chor und Kanzel angesichtsder neuen Lust am Ackerbau nicht völligverwaisten, weitete der Reformer die Be-deutung von „labor“ zudem aus: Auchder Prediger oder geistig Tätige, erklärteer, sei eine Art Landmann, nur eben aufdem „Acker Gottes“. Also galt: „Wer dasWort Gottes zu verkünden hat, muss estäglich aus der Heiligen Schrift wie auseinem Bach schöpfen, um es zu denMenschen zu tragen.“

Ab dem 12. Jahrhundert wurde somitArbeit, egal welcher Art, zunehmend ge-sellschaftsfähig. Statt als lästige Strafefür den Sündenfall erschien sie als Chan-ce, schon auf Erden Bonuspunkte für dasJüngste Gericht zu sammeln. Auf Kir-chenfenstern und in den Eingängen derGotteshäuser zeigte man nicht mehr nurHeilige, sondern auch Bauern bei der

Feldarbeit oder Porträts der Handwer-ker, die die Kirche errichtet hatten. Eintätiges Leben galt als Inbegriff desChristseins.

Das neue Bild der Arbeit war nichtnur Voraussetzung für die spätere pro-testantische Arbeitsethik. Es lieferteauch die religiöse Rechtfertigung für einen Wandel, der parallel zur Kloster-reform die aufblühenden Städte erschüt-terte. Im 12. und 13. Jahrhundert entwi-ckelte sich dort nämlich ein Milieu, daswirtschaftliche Leistung und handwerk-liches Geschick überaus hoch schätzteund das mittelalterliche Leben fortanprägen sollte: die städtische Gesellschaftder Kaufleute und Handwerker.

Scharenweise flohen damals Bauern,Hirten oder Fischer in ehemalige Rö-merstädte wie Trier oder Paris. AlsMagd, Handwerker oder Bettler hofftensie, besser zu Geld zu kommen als durchLandarbeit. Andere wollten endlich ihreKetten als Leibeigene sprengen. Schließ-lich verboten es viele Stadtrechte denGrundherren, ihre Knechte zurückzu-fordern, wenn diese ein gutes Jahr in derStadt gelebt hatten. Manchmal suchtenauch begüterte Landleute in den Städtenihr persönliches Glück, etwa an einerUniversität oder in einem Orden.

Die während der Völkerwanderungverkümmerten Siedlungen wuchsen.Herzoge oder Fürsten gründeten neueStädte und statteten sie mit Zollprivile-gien oder Selbstverwaltung aus, um Zu-zug und Wirtschaft zu fördern. Und tat-sächlich florierte der Handel in und zwi-schen diesen Zentren, vor allem als imSpätmittelalter das Bankwesen die rei-senden Kaufleute von der Last befreite,neben ihrer Fracht aus Erzen, Stoffenoder Gewürzen stets auch kistenweiseMünzen mit sich zu transportieren.

Die städtische Oberschicht der Händ-ler hatte eine ganz andere Einstellungzur Arbeit als die Landbewohner: Nichtnur ums Überleben und Seelenheil ginges den Kaufleuten, sondern vor allem umLeistung und Gewinn – und das gabensie auch unumwunden zu: „Ich sage, dassich sowohl dem König und seiner Ge-mahlin als auch den Herzögen und Rei-chen und allem Volk nützlich bin“, lässtein Benediktinermönch bereits um das

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Der neuen Schicht der städtischenHändler ging es vor allem um Leistung

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Erst Riemenschneider versah seineKunstwerke ab den Neunzigerjah-ren des 15. Jahrhunderts teilweisebewusst nur mit einer braunen La-sur. Und er setzte Maßstäbe: SeineWürzburger Werkstatt beschreibtder britische Kunsthistoriker Mi-chael Baxandall als „wahre Skulp-turen-Fabrik“. Holz, Marmor, Sand-stein, Alabaster wurden hier vonBildhauern und Bildschnitzern so-wie zusätzlich eingestellten Hand-werkern anderer Branchen zu Kru-zifixen, Kerzenständern und Figu-ren für Altäre verarbeitet. Die Nutzung von Standardmodel-len erlaubte es, weniger qualifi-zierte Mitarbeiter zu beschäftigen.Trotz der fast „industriellen“ Fer-tigungsweise konnte Riemen-schneider lange Zeit das hohe Ni-veau seiner Werke halten, für dasihn seine Kunden, meist hochge-stellte Bürger, so schätzten.

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BUCHMALEREI

Kunstwerke aufTierhäutenOhne den Siegeszug des Pergaments hätte es dieprachtvolle Buchmalerei des Mittelalters vermutlichnie gegeben. Noch in der Spätantike waren Papy-rusrollen verbreitet, doch die konnte man höchstensmit kolorierten Zeichnungen verzieren: Für dickereFarben war das Material zu spröde, auch gestaltetesich das Betrachten der Bilder beim Vor- und Zu-rückdrehen sehr mühsam. Erst als es ab dem 4. Jahrhundert nach Christus üb-lich wurde, aus Tierhäuten gefertigte Pergament-bögen zu Codices zusammenzubinden, begannman, die Schriften mit aufwendigeren Illustrationenzu schmücken. Das Vorgehen der Maler, die oft zugleich auch dieSchreiber der Texte waren, änderte sich dabei überJahrhunderte hinweg kaum: Meist wurden die Bildererst mit Feder oder Pinsel in Braun oder Rot vor -gezeichnet. Dann folgte das Ausmalen der Gold-und Silberflächen: Bis 1200 verwendete man dafürmit Eiweiß- oder Gummibindemittel vermischtesMetallpulver; später trug man oft feinstes Blattgoldauf eine zum Beispiel mit Eiklar bestrichene Gips-schicht auf, das Gold wirkte dadurch besonders dick. Den Farbflächen widmete sich der Buchmaler stetszum Schluss. Aus Bindemittel und natürlichen oderkünstlich hergestellten Farben wie Zinnober oderGrünspan mischte er die nötigen Farbtöne zusam-men. Mit einem Pinsel trug er die Pasten danachauf.Bis 1200 wurden fast alle Bücher in den Skriptoriender Klöster hergestellt. Mönche und Nonnen schrie-ben und illuminierten hier biblische Schriften undHeiligenviten, aber auch wissenschaftliche Abhand-lungen und Werke antiker Philosophen für die eige-ne Bibliothek oder für die Bestände befreundeterOrden. In Klöstern wie Tours, St. Gallen oder Reichenau ent-standen repräsentative Pracht-Codices im Auftragvon Königen oder Kaisern wie das Perikopenbuchvon Heinrich II. Der Stil bestimmter Klöster prägtedabei ganze Regionen: Die rot-schwarzen Feder-zeichnungen des schwäbischen Klosters Hirsau be-einflussten im 12. Jahrhundert beispielsweise auchBuchmaler in Salzburg und der Steiermark. Als sich die Buchproduktion im 13. Jahrhundert we-gen der Nachfrage der schnell wachsenden Univer-sitäten kommerzialisierte, übernahmen Laienbetrie-be die Führungsrolle. Das Schreiben und Illuminierenerledigten in diesen Werkstätten nun meist verschie-dene Personen. In Adelskreisen galt das Sammeln von eindrucks-voller Buchmalerei zunehmend als schick. Nebenreligiösen Schriften bebilderten Werkstätten wie diedes französischen Buchmalers Jean Colombe imSpätmittelalter deshalb auch unterhaltende Literaturwie Heldenepen, Abenteuer- oder Ritterromane.

Aus einem von Jean Colombe 1469 gefertigten Stundenbuch:Taufe Christi (o.), Auferstehung, Krieg Davids mit Absalom.

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Schmied, Bäcker oder Weber gemeint.Wer sich in der spätmittelalterlichen Stadtals Handwerker etablieren wollte, wähltemeist viel engere Nischen, wurde Gold-,Kupfer-, Messer- oder Schwertschmied,Leinen-, Seiden- oder Wollweber.

Vor allem aber organisierte man sichin Zünften. Die regelten den Zugangzum Handwerk und besorgten die Roh-stoffe, bestimmten die Entlohnung derGesellen, kontrollierten Preise und Qua-lität der Waren. Als „Zunftbürger“ hatteman zudem bestimmte Aufgaben bei derStadtverteidigung zu erfüllen, kümmer-te sich um bedürftige Mitglieder und tratbei religiösen Festen als Gruppe auf.

A ls soziale Lebens- undHilfsgemeinschaften wa-ren die Zünfte perfekt aufdas Leben der städtischenBürger zugeschnitten, die

Zahl ihrer Mitglieder wuchs, und abdem 13. Jahrhundert machte man denPatriziern die politische Macht zuneh-mend streitig. Proteste der Zunftbürgerführten in vielen Städten dazu, dass ne-ben den Patriziern nun auch die Zünfteihren festen Platz im Stadtrat bekamen.In manchen, wie Augsburg oder Straß-burg, dominierten sie ihn sogar.

An der Schwelle zur Neuzeit war dieArbeit damit nicht nur „vom Fluch zumBeruf“ geworden, wie es der russischeMediävist Aaron Gurjewitsch ausdrückt.Sie bot auch immer häufiger die Chancezum gesellschaftlichen Aufstieg.

Freilich unter der Prämisse des got-tesfürchtigen Handelns. Eine 1513 ge-druckte christliche Erbauungsschriftformulierte das sehr klar: „Arbeitenheißt Gott dienen nach seinem Gebot,und darum sollen alle arbeiten: die einenmit der Hand auf dem Feld, im Haus undin der Werkstatt, die anderen mit Ge-lehrtheit und Kunst, wieder andere alsRegenten des Volks und sonstige Obrig-keit, andere im Krieg zum Schutz desLandes, wiederum andere als geistlicheDiener Christi in den Kirchen und Klös-tern. Wer aber müßig geht, ist ein Ver-ächter der Gebote Gottes!“

Der Verfasser der Schaffenshymnewar, wie sollte es anders sein, der Sohneines Handwerkers. ■

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ARBEITEN & FEIERN

Jahr 1000 in einer Schrift einen Kauf-mann über sich erzählen. Und weiter:

„Ich besteige mit meinen Waren dasSchiff, überquere das Meer, verkaufemeine Sachen und kaufe wertvolle Sa-chen ein, wie es sie hierzulande nichtgibt. Ich bringe sie euch mit großer Ge-fahr über die See hierher, und bisweilenerleide ich Schiffbruch mit Verlust allermeiner Waren – kaum, dass ich mein Le-ben rette. Willst du deine Waren hier soverkaufen, wie du sie dort gekauft hast?Gewiss nicht! Was würde mir dann mei-ne Mühe nützen? Sondern teurer willich sie hier verkaufen, um mir einen Ge-winn zu erwerben, womit ich meineFrau und meine Kinder ernähren kann.“

Auch in der Gesellschaft waren dieKaufleute hoch angesehen. Als Patrizierbesetzten sie den Stadtrat und anderewichtige Ämter, finanzierten Fürsten-und Königswahlen, statteten Kirchenaus, förderten Lesen, Schreiben undRechnen.

Schon bald machte ihnen im inner-städtischen Machtgefüge freilich eine an-dere Berufsgruppe Konkurrenz: dieHandwerker. Auch auf dem Land hattees Schmiede oder Weber gegeben. Sie hat-ten sich als Wanderhandwerker durch-geschlagen, als Unfreie in den Dörfernoder an den Höfen der Grundherren ge-arbeitet. Als freie Stadtbürger hatten siejedoch endlich die Möglichkeit, sich alsselbstständige Unternehmer zu betätigen.

Der Haushalt eines solchen Handwer-kers ähnelte durchaus noch dem einesBauernhofs: Neben Familie und Gesindewohnten meist mehrere Gesellen, Lehr-linge und Tagelöhner im selben Haus.Neben der Werkstatt besaß man oft einpaar Äcker und etwas Vieh, um den Ei-genbedarf an Nahrungsmitteln halbwegszu decken. Was dort und im Haushaltzu tun war, wurde immer wieder neu andie Haushaltsmitglieder verteilt. DieMänner gehorchten dabei den Befehlendes Hausherrn, die Frauen den Weisun-gen der Hausfrau.

Das Gemeinschaftsgefühl war groß. Da-für musste freilich auch jedes Mitglied be-reit und fähig sein, jederzeit überall mit-anzupacken. In der Werkstatt allerdingswar der Spezialist gefragt. Und damit warnicht bloß die Unterscheidung zwischen

Der Haushalt eines städtischenHandwerkers ähnelte

noch dem eines Bauernhofs.

94 SPIEGEL GESCHICHTE 1 | 2015

ARBEITEN & FEIERN

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SEIDENPRODUKTION

Luxusware ausFrauenhandSeide aus Köln war ein Exportschlager des Spätmit -telalters: In rund hundert Kölner Betrieben wurde im 15. Jahrhundert aus China tonnenweise importierte Roh-seide nach strengen Richtlinien zu edlen Stoffen verwo-ben und auf den Messen von Frankfurt oder Antwerpennach ganz Europa weiterverkauft. Doch nicht nur ihr Erfolg machte die Kölner Seidenweberei besonders: Siewar zudem eine Frauenzunft, eines der wenigen zünftigorganisierten Gewerbe also, in denen vornehmlich Frau-en das Sagen hatten. Auch sonst gab es natürlich Berufe, die vorrangig vonFrauen ausgeübt wurden, Hebammen etwa, Marktfrauenoder Wäscherinnen. Sie waren aber nicht zünftig. Zu-gang zu diesen einflussreichen Gemeinschaften fandenFrauen meist nur als Witwen von Meistern: Nach demTod des Mannes führten sie den Betrieb weiter und ver-traten den Verstorbenen bei den Treffen der Genossen.In fast allen Handwerken lassen sich deshalb immer wie-der auch Frauen als Chefinnen nachweisen. Nur in wenigen Städten und Branchen konnten sie selbstMeisterinnen werden; oftmals ging es dann um die Her-stellung von Stoffen und Kleidung. Schließlich galt Spin-nen, Nähen, Sticken und Weben schon im Frühmittelalter

als traditionell weiblicher Tätigkeits-bereich, als opus feminile. Um als Frau Karriere zu machen, wardas mittelalterliche Köln deshalbperfekt. Zum einen war die Stadt fürihre Textilproduktion berühmt. Zumanderen gewährte sie ihren Bürge-rinnen viele Sonderrechte: Zwar wa-ren sie wie überall von politischenÄmtern ausgeschlossen, sie konntenaber selbstständig Gewerbe undHandel treiben, Verträge schließen,Gutachten über die Qualität von Wa-ren erstellen, als Vormund agierenund Testamente vollstrecken. Wohl schon Mitte des 14. Jahrhun-derts organisierten sich die KölnerGarnmacherinnen, die das berühmte,meist blau gefärbte „coelsch garn“herstellten, als Zunft. Zeitgleich wur-den die Goldspinnerinnen zünftig.Mit ihren kostbaren Fäden beliefer-ten sie so vornehme Kunden wie dieoberitalienischen Brokathersteller.1437 und 1456 folgten die Seidenwe-berinnen und -spinnerinnen.Wie ungewöhnlich die Präsenz vonFrauen auch im Seidengewerbe war,zeigt ein Dokument von 1498. Darin

muss die Stadt Köln derStadt Antwerpen erstmal erklären, „dass dasSeidenmacheramt beiuns durch Frauen aus-geübt wird und sehr wenig durch Männer,weshalb die Frauen im Seidenhandel undin der Kaufmannschaft kundiger sind als dieMänner“. Ihren wirtschaftlichen Erfolg verdankten dieKölner Seidenweberinnen aber nicht nur ih-rem handwerklichen Können, sondern aucheiner klugen innerfamiliären Arbeitsteilung.Viele, wie die Hauptseidmacherin FygenLutzenkirchen, die heute als Steinfigur denKölner Ratsturm schmückt, waren mit be-deutenden Kölner Kaufleuten verheiratet.Während sich die Frauen um die Seiden-produktion und die Ausbildung der Lehr-töchter kümmerten, managten die Männerden Import der Rohseide und den Vertriebder fertigen Stoffe. Ein Geschäftsmodell, das sich offenbarlohnte: Das Ehepaar Lutzenkirchen besaßmehrere Häuser und muss auch sonst sehrwohlhabend gewesen sein. Selbst nach demTod ihres Mannes gehörte Fygen Lutzen-kirchen noch zu den reichsten Bürgern derStadt.Frühmittelalterliches Seidentuch

Figur der FygenLutzenkirchen Rathaus Köln