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Bereich Afrika Regionalgruppe Sahel und Westafrika 1 Good Governance und weibliche Genitalverstümmelung Politische Rahmenbedingungen für gesellschaftlichen Wandel

Good Governance und weibliche Genitalverstümmelung · MDGs NRO PGF PRSP TZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Deutscher Entwicklungsdienst Schweizer

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Bereich AfrikaRegionalgruppe Sahel und Westafrika 1

Good Governance und weibliche GenitalverstümmelungPolitische Rahmenbedingungen für gesellschaftlichen Wandel

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Verantwortlich:

Kerstin Lisy

T +49 61 96 79-1578

F +49 61 96 79-7177

E [email protected]

I http://www.gtz.de/fgm

Text:

Friederike Diaby-Pentzlin und Kerstin Lisy

Gestaltung:

Jeanette Geppert, konzept & design

www.jeanette-geppert.de

Eschborn 2007

Herausgeber:Deutsche Gesellschaft für

Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH

Postfach 5180

65726 Eschborn

Internet:

www.gtz.de

Überregionales Projekt:Überwindung der weiblichen Genitalver-

stümmelung

Regionalbereich Sahel und Westafrika 1

Kontakt im Bundesministerium für

wirtschaftliche Zusammenarbeit und

Entwicklung (BMZ):

Referat 321

Telefon: 0228-5353633

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Bereich AfrikaRegionalbereich Sahel und Westafrika 1

Good Governance und weibliche GenitalverstümmelungPolitische Rahmenbedingungen für gesellschaftlichen Wandel

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BMZ

DED

DEZA

EZ

FGM

FGM/C

IEC

MDGs

NRO

PGF

PRSP

TZ

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Deutscher Entwicklungsdienst

Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit

Entwicklungszusammenarbeit

Female Genital Mutilation

Female Genital Mutilation/Cutting

Information, Education, Communication

Millennium Development Goals

Nichtregierungsorganisation

Programmorientierte Gemeinschaftsfinanzierung

Poverty Reduction Strategy Paper

Technische Zusammenarbeit

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Vorwort 6

Executive Summary 7

Einführung 8

Teil 1: Zusammenhänge zwischen FGM und Good

Governance 10

Schlüsselkonzept Institutionspluralismus

FGM und Good Governance 11

• Die Bedeutung von Gender 12

• Die Bedeutung von Kultur 13

Die Überwindung von FGM durch Politikberatung 14

• FGM als Thema von Good Governance-Vorhaben 14

• Good Governance als Thema von Ansätzen

zur Überwindung von FGM 16

• Gegenüberstellung der beiden Zugänge 18

Teil 2: Maßnahmen zur Überwindung von FGM im

Rahmen der Förderung von Good Governance 20

Sechs Good Governance-Themen unterstützen die

Überwindung von FGM

• Good Governance auf nationaler Ebene 20

• Good Governance auf lokaler Ebene 22

• Recht und Justiz 23

• Menschenrechte 25

• Stärkung der Zivilgesellschaft 26

• Gender 27

Fünf Kernleistungen eines Mehrebenenansatzes

zur Überwindung von FGM 28

• Durchgängige Anwendung partizipativer und

prozessorientierter Methoden 28

• Analytisches Design unter Berücksichtigung des

kulturellen Hintergrunds 28

• Unterstützung von gesellschaftlichen Wandlungs-

prozessen auf unterschiedlichen Ebenen 28

• Förderung von Aushandlungsprozessen 29

• Sicherung der Nachhaltigkeit und Schutz auf

Zielgruppen- und institutioneller Ebene 29

Programmorientierte Gemeinschaftsfinanzierung

(PGF) und FGM 30

Fazit 33

Anhang: Übersicht über FGM-Prävalenzen und

Gesetzgebung in ausgewählten afrikanischen

Ländern 34

Bibliographie 35

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Vorwort

Die GTZ führt seit 1999 im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit

und Entwicklung (BMZ) das überregionale Projekt „Überwindung der weiblichen Genitalver-

stümmelung“ durch.

Mit dem Projekt will das BMZ nachhaltig dazu beizutragen, dass Frauen und Mädchen vor der

Praktik der weiblichen Genitalverstümmelung (femal genital mutilation,FGM) bewahrt werden,und

auf diese Weise die Verwirklichung der Menschenrechte von Frauen und Mädchen unterstützen.

Mit den Millenniumsentwicklungszielen hat die Thematik an Bedeutung gewonnen. Denn auch

wenn die Praktik auf den ersten Blick ein isoliertes, nur die Privatsphäre von Frauen und Familien

betreffendes Thema sein mag, so darf nicht übersehen werden, wie eng sie mit vielen entwick-

lungspolitischen Aspekten verwoben ist. So hat FGM Auswirkungen auf fast alle der in den

Millenniumsentwicklungszielen geforderten Anliegen von nachhaltiger Entwicklung.

Trotz langjähriger Anstrengungen afrikanischer und internationaler Organisationen zeigen groß-

räumige Erhebungen allerdings noch selten, dass die Ausübung der Praktik zurück geht.Wurde

die Überwindung von FGM zunächst als eine Frage gesundheitlicher Aufklärung verstanden, so

ist heute klar: FGM ist ein gesellschaftliches Problem. Um diese gravierende Menschenrechtsver-

letzung nachhaltig zu beenden, sind darum Lösungen notwendig, die die tiefe gesellschaftliche

Verankerung der Praktik in den Mittelpunkt stellen und auf gesellschaftlichen Wandel abzielen.

Solche Lösungen nehmen auch den Staat mit seinen Institutionen in die Verantwortung, um politische

Rahmenbedingungen zu schaffen, die einen gesellschaftlichen Veränderungsprozess in Richtung

einer Überwindung von FGM ermöglichen. Fragen von Good Governance rücken zwangsläufig in

den Vordergrund. Die Zusammenhänge von Good Governance und FGM müssen erkannt und

genutzt werden, um in den Bemühungen für ein Ende der Praktik größere Erfolge zu erzielen.

Peter Conze Cornelia Richter

Bereichsleiter Afrika Bereichsleiterin Planung und Entwicklung

6

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Executive Summary

Weibliche Genitalverstümmelung stellt eine gravierende Menschenrechtsverletzung dar und muss

als Ausdruck von schlechter Regierungsführung verstanden werden. Die Überwindung der Praktik

ist nicht nur eine gesundheitliche sondern auch eine gesellschaftliche Herausforderung.

Um die Praktik nachhaltig zu beenden, sind Lösungen notwendig, die auf gesellschaftlichen

Wandel abzielen und den Staat mit in die Verantwortung nehmen. Es müssen politische Rahmen-

bedingungen geschaffen werden, die einen gesellschaftlichen Veränderungsprozess in Richtung

einer Überwindung von FGM ermöglichen. FGM ist als Ausdruck einer strukturellen Benachteili-

gung von Frauen zu verstehen und es gilt, tief verankerte Rollenzuweisungen zu überwinden.

Ansätze zur Überwindung von FGM müssen berücksichtigen, dass es zwei unterschiedliche

Sichtweisen der Praktik gibt: Aus der Innenperspektive der handelnden Personen gilt FGM als

sozial erwünschte Praxis, aus der Außenperspektive als schwere Körper- und Menschenrechts-

verletzung. Dieser „Institutionspluralismus“ stellt eine Grundlage für einen Mehrebenenansatz

dar, der top-down-Maßnahmen aus Außenperspektive mit soziokulturell angepassten bottom-

up-Maßnahmen aus Innenperspektive kombiniert.

Ein Mehrebenenansatz zur Überwindung von FGM sollte folgende Kernleistungen sicherstellen:

1. Durchgängige Anwendung partizipativer und prozessorientierter Methoden

2. Analytisches Design unter Berücksichtigung des kulturellen Hintergrunds

3. Unterstützung von gesellschaftlichen Wandlungsprozessen auf verschiedenen Ebenen

4. Förderung von Aushandlungsprozessen

5. Sicherung der Nachhaltigkeit und des Schutzes auf Zielgruppen- und institutioneller Ebene

Eine engere Verknüpfung zwischen Good Governance und FGM in der entwicklungspolitischen

Praxis würde strategische Beiträge für die Überwindung der Praktik leisten und die Wirkungen

entsprechender Ansätze erhöhen. Das Leistungsangebot Good Governance der GTZ bietet in

sechs Themen Anknüpfungspunkte für Maßnahmen zur Überwindung von FGM:

Good Governance auf nationaler Ebene (Reform der öffentlichen Verwaltung, Öffentliche

Finanzen, Förderung von Demokratie)

Good Governance auf lokaler Ebene (Kommunale Selbstverwaltung, Dezentralisierung,

Local Governance)

Recht und Justiz

Menschenrechte

Stärkung der Zivilgesellschaft

Gender

Für eine nachhaltige Überwindung der Praktik ist es dringend geboten, politische Spielräume zu

erschließen und die Rahmenbedingungen für sensible gesellschaftliche Transformationsprozesse

zu schaffen.

7

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Einführung

FGM wird überwiegend in 28 Ländern Afrikas1, in geringerem Umfang in wenigen Ländern Asiens

und im Zuge von Migration auch in Einwanderungsländern praktiziert. Nach Schätzungen der

Weltgesundheitsorganisation sind weltweit rund 140 Millionen Mädchen und Frauen davon

betroffen, Jahr für Jahr kommen drei Millionen Babys, Mädchen und Frauen hinzu. Es existieren

verschiedene Formen der Praktik mit unterschiedlichen Schweregraden des Eingriffs.

Das BMZ hat die GTZ beauftragt, sich im Rahmen des überregionalen Projekts „Überwindung

der weiblichen Genitalverstümmelung“ für ein Ende der Praktik zu engagieren. Gemeinsam mit

bilateralen Vorhaben der deutschen technischen Zusammenarbeit (TZ) entwickelt, erprobt und

verbreitet das Projekt entsprechende Maßnahmen. Derzeit kooperiert das Projekt mit Vorhaben

der TZ in Benin, Burkina Faso, Kenia, Mali und Mauretanien, zum Teil in Zusammenarbeit mit dem

Deutschen Entwicklungsdienst (DED) und Plan International e.V..

Eine Zusammenarbeit mit der KfW Entwicklungsbank (KfW) ist in Planung. Das überregionale

Projekt verfügt über langjährige Erfahrungen in den Sektoren Gesundheit und Bildung. Noch

relativ jung ist die Zusammenarbeit mit dem Sektor Good Governance/Gute Regierungsführung.

Erste Erfahrungen gibt es in Benin und Mauretanien.

FGM ist eingebettet in rechtliche, kulturelle, soziale, politische und ökonomische Rahmenbe-

dinungen, die die Rechte von Frauen erheblich einschränken und FGM möglich machen. FGM

lässt sich daher nicht allein auf gesundheitliche Aspekte reduzieren und kann nicht losgelöst vom

gesellschaftspolitischen Kontext betrachtet werden.

Gesellschaftlicher Wandel in Richtung einer gleichberechtigten Stellung von Frauen und Männern

ist auch eines der Ziele, die unter dem Stichwort Good Governance/Gute Regierungsführung

zusammengefasst werden. Seit Anfang der 1990er Jahre ist Good Governance zu einem zentralen

Anliegen der EZ geworden. Als Methode rückte die Politikberatung in den Vordergrund. Good

Governance ist als transparentes Zusammenwirken aller relevanten politischen, wirtschaftlichen

und gesellschaftlichen Kräfte zur verantwortungsvollen Gestaltung des öffentlichen Lebens und der

demokratisch legitimierten Entscheidungsfindung zu verstehen, insbesondere der Verwendung

öffentlicher Ressourcen mit dem Ziel der nachhaltigen Entwicklung zugunsten der gesamten

Bevölkerung. Dieses Verständnis schließt die Beteiligung zivilgesellschaftlicher und privatwirt-

schaftlicher Akteure ausdrücklich mit ein.

Ansätze zur Überwindung von FGM im Rahmen von Bildungs- oder Gesundheitsprojekten haben

ihren Handlungsspielraum bereits erfolgreich in Kernbereiche von Good Governance hinein

erweitert, etwa durch Maßnahmen zur Stärkung von Frauenrechten. Die Erfahrung dabei zeigt:

Dort, wo die Position von Frauen gestärkt wird, damit Frauen gesellschaftlich über mehr

Mitsprache- und Entscheidungsmöglichkeiten sowie wirtschaftlich über mehr Ressourcen

verfügen, sehen Familien mehr Vorteile in der Aufgabe der Praktik, als in ihrer weiteren Ausübung.

Das vorliegende Dokument vertritt die These, dass FGM als Ausdruck von schlechter

Regierungsführung zu verstehen ist und eine Regierung dann entwicklungsorientiert handelt,

wenn sie ernsthaft darum bemüht ist, die Praktik per Gesetz und durch andere Maßnahmen

abzuschaffen. Der Frage nach den sich daraus ableitenden Handlungsempfehlungen für die

entwicklungspolitische Praxis geht das Papier aus zwei Richtungen nach:

1 Ägypten, Äthiopien, Benin, Burkina Faso, Djibouti, Elfenbeinküste, Eritrea, Gambia, Ghana, Guinea, Guinea-Bissau, Kamerun, Kenia, Kongo,

Liberia, Mali, Mauretanien, Niger, Nigeria, Senegal, Sudan, Sierra Leone, Somalia, Tansania, Togo, Tschad, Uganda, Zentralafrikanische Republik

8

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1. Wie können Ansätze im Förderbereich Good Governance direkt und indirekt zur

Überwindung von FGM beitragen?

2. Welche Beiträge leisten Ansätze zur Überwindung von FGM zu Good Governance-Themen

und wie können ihre politischen Wirkungen noch verstärkt werden?

Konkrete Empfehlungen für Maßnahmen zur Überwindung von FGM werden in sechs Bereichen

des Good Governance-Leistungsangebots der GTZ formuliert. Dabei werden auch die für Good

Governance relevanten Beiträge vorgestellt, die Ansätze zur Überwindung von FGM in den

Sektoren Gesundheit und Bildung bereits leisten. Ferner werden die wichtigsten Leistungen eines

Mehrebenenansatzes zur Überwindung von FGM vorgestellt und Handlungsoptionen im Rahmen

von programmorientierter EZ identifiziert.

Mit dem Papier sollen Kolleginnen und Kollegen für ein Thema gewonnen werden, das ihnen auf

den ersten Blick weit entfernt erscheint. Gleichzeitig wollen wir den Expertinnen und Experten,

die sich bereits gegen FGM engagieren, Hinweise geben, wie sie sich politische Spielräume weiter

öffnen können.Wir möchten mit dieser Publikation neben der GTZ auch andere Organisationen

der deutschen und internationalen EZ ansprechen, die sich für die Überwindung von FGM

engagieren.

Es ist unser explizites Anliegen, in den Bemühungen für ein Ende der weiblichen Genitalver-

stümmelung neue Koalitionen zu schmieden. Es wäre folgenschwer, FGM als kontextfreie

exotische kulturelle Praktik zu sehen, die anscheinend nur bestätigt, wie unverständlich uns

fremde Kulturen sind. Dies würde eine konstruktive Auseinandersetzung mit den Menschen,

die FGM praktizieren, verhindern und den Blick auf die vielfältigen gesellschaftspolitischen

Zusammenhänge verschließen.

Mein Dank geht an Prof. Dr. Friederike Diaby-Pentzlin für ihre Mitarbeit als Co-Autorin, den zahl-

reichen Kolleginnen und Kollegen im In- und Ausland für Ihre Auskunftsbereitschaft in Interviews

sowie Ruth Bigalke, Emanuela Finke, Marion Fischer,Andrea Frischholz, Monika Rickert, Dr. Jochen

Salow, Bianca Schimmel und Katrin Schneider für ihre konstruktiven Kommentare.

Kerstin LisyProjektleiterin

Überregionales Projekt „Überwindung der weiblichen Genitalverstümmelung“

9

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Zusammenhänge zwischen FGM und Good GovernanceSchlüsselkonzept Institutionspluralismus

Die Praktik der weiblichen Genitalverstümmelung kann aus zwei unterschiedlichen Perspektiven

gesehen werden: aus der Innenperspektive als sozial erwünschte Praxis oder aus der Außen-

perspektive als schwere Körper- und Menschenrechtsverletzung.

Die Innenperspektive beschreibt die Sicht der handelnden Personen. So stehen nicht der operative

Eingriff im Zentrum des Interesses, sondern die Aufwertung der (künftigen) Frau in ihrem Status.

Sogar wenn FGM als traumatische Erfahrung erlebt wird, führt dies nicht zur Ablehnung der

Praktik.Vielmehr wird der beschnittene Körper als ästhetische Norm erlebt und die unversehrten

Genitalien als unästhetisch. Der Status als heiratsfähige Frau und dessen Vorbereitung erfüllt die

Mädchen mit Stolz und Bedeutung. Mütter und Beschneider/-innen genießen ihre Macht. Ihre

rituellen Fähigkeiten sind gefragt, ihr Erziehungswissen wird geachtet. Sie kennen die Bedeutung

der Jungfräulichkeit, wissen um die Kraft der Sexualität oder gehorchen der Notwendigkeit, die

Männlichkeit aus den Körpern ihrer Töchter heraus schneiden zu müssen.2 Der Schmerz in

Übergangsriten vertieft die gemeinsame Erinnerung, verleiht Identität und stiftet Solidarität für

eine Altersgruppe. Gesundheitliche Schäden werden nicht dem Ritual zugeordnet, sondern

anders erklärt.

Im Gegensatz dazu bedient sich die Außenperspektive eigener analytischer Konzepte. Seit den

1970er Jahren kämpfen viele Intellektuelle und Aktivist/-innen gegen die Praktik. Sie decken die

schweren Körperverletzungen auf und beschreiben die Gewalt gegenüber Babys, Kleinkindern

und Mädchen, die zu jung für eigene Entscheidungen sind. Sie analysieren asymmetrische

Geschlechterverhältnisse und untersuchen, wie strukturelle Gewalt in weiblicher Genitalver-

stümmelung ihren Ausdruck findet. Heute gilt FGM weltweit als eine zu ächtende harmful

traditional practice. Die Praxis ist nicht nur in internationalen Konventionen, sondern auch in

verschiedenen afrikanischen Verfassungen und Gesetzen verboten. Jüngstes Beispiel ist das so-

genannte Maputo-Protokoll der Afrikanischen Union, das im November 2005 in Kraft trat und die

Rechte von Frauen in Afrika und auch das Verbot von FGM für die ratifizierenden Mitgliedsstaaten

festschreibt.3

Für die Überwindung von FGM ist es wichtig, beide Perspektiven zu unterscheiden. Heute wird

FGM auch losgelöst von Initiation und rituellen Deutungen praktiziert. In einer Gemeinschaft gibt

es häufig ko-existierende Sichtweisen von FGM. Aus Sicht des Staates beispielsweise gilt FGM als

Menschenrechtsverletzung, aus Sicht einer bestimmten lokalen Gruppe als soziale Norm.

Der Sachverhalt ko-existierender Sichtweisen von Normen, Regeln und Ordnungen wird am

griffigsten mit dem Konzept des „Institutionspluralismus“ erfasst. 4 Es umschreibt das gleichzeitige

Vorhandensein verschiedener sozialer Organisationsformen. Es stellt eine Grundlage für späteres

Projektdesign dar,welches in einem Mehrebenenansatz (national, regional, lokal) beide Sichtweisen

bedient.Weder auf großräumige Wirkung angelegte Top-down-Maßnahmen aus Außenperspektive,

noch soziokulturell angepasste kleinteilige Bottom-up-Maßnahmen aus Innenperspektive haben

10

2 Nach dieser Überzeugung werden Menschen sowohl mit männlichen als auch weiblichen Anteilen geboren und erst durch Beschneidung zu Frau oder Mann gemacht.

3 Vgl. GTZ: Das Maputo-Protokoll der Afrikanischen Union. Ein Instrument für die Rechte von Frauen in Afrika. Eschborn 2006.4 Zu Recht weist das Konzept „Rechtspluralismus“ darauf hin, dass es parallele Rechtsmechanismen gibt und dass das staatlich gesetzte

Recht in vielen Ländern weit davon entfernt ist, einen verlässlichen und berechenbaren Rahmen für Alltagshandeln bereitzustellen. Soziales Leben wird daneben durch eine Vielzahl weiterer mehr oder weniger formalisierter Regeln strukturiert und gelenkt.

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für sich allein große Wirkung. Es ist vielmehr die an den jeweiligen Kontext angepasste Kombi-

nation beider Maßnahmetypen, die die Wirkung in Bezug auf gesellschaftlichen Wandel deutlich

ansteigen lässt.

FGM und Good Governance

Wird FGM als Ausdruck von schlechter Regierungsführung oder mangelnder Entwicklungsorien-

tierung verstanden, so öffnet sich der Blick auf die Zusammenhänge zwischen der Überwindung

der Praktik und Good Governance. Die Abkehr von FGM berührt mehrere der Leitbilder, die

Good Governance ausmachen: Eine Regierung handelt entwicklungsorientiert, wenn sie Politik

armutsorientiert und nachhaltig gestaltet; darum bemüht ist, die Menschenrechte aller

Bevölkerungsgruppe zu achten, zu schützen und progressiv zu gewährleisten; Demokratie und

Rechtsstaatlichkeit fördert; sich für die Leistungsfähigkeit und Transparenz des Staates einsetzt

und sich in der Staatengemeinschaft kooperativ verhält.5

Dabei muss sich Good Governance nicht nur auf formal-staatliche, sondern auch auf informelle,

historisch gewachsene gesellschaftliche Ordnungs- und Regelungsstrukturen beziehen.6 Im

Leistungsangebot Good Governance weist die GTZ darauf hin, dass sich Ansprüche und Ziele der

Governance-Förderung aus den jeweiligen Wertorientierungen, den politischen Strukturen, der

Kultur sowie den Zielen einer Gesellschaft ergeben.

Auch das BMZ sieht im Rechts- und Institutionspluralismus insbesondere in afrikanischen Staaten

ein Entwicklungshemmnis und betont, dass es notwendig ist, auch die Reform traditioneller Nor-

men und Institutionen bei der Förderung von Recht und Justiz ins Visier zu nehmen. Denn gerade

Frauen und Mädchen räumt das traditionelle Recht oftmals eine mindere Rechtsposition ein. 7

Das BMZ weist in seiner Handreichung „Good Governance“ darauf hin, dass das Governance-

Verständnis des BMZ nicht auf einem formaldemokratischen Ansatz beruht, sondern auf der

Gestaltung der gesellschaftlichen Beziehungen und Aushandlungsprozesse zwischen den ver-

schiedenen Akteuren.Auf der Wirkungsebene sollten Reformen nicht nur technische Lösungen

bieten, sondern auch die dazu gehörigen Wertesysteme, Überzeugungen und Verhaltensmuster

langfristig ändern.Trotz allgemein anerkannter Prinzipien von Good Governance darf nicht

übersehen werden, dass die konkreten Ausprägungen immer kultur- bzw. kontext-spezifisch sind.8

11

5 Vgl. E+Z, Neue Akzente: Das BMZ hat seinen Kriterienkatalog überarbeitet, Frankfurt/Main, Jg. 48, 2007:6, S. 250.6 Im Rahmen des Sektorvorhabens “Mitgestaltung politischer Rahmenbedingungen in den Partnerländern” hat die GTZ im Auftrag des BMZ die

Grundlagen für die Förderung von Good Governance erarbeitet und diese 2004 in den Veröffentlichungen „Good Governance und Demokratieförderung zwischen Anspruch und Wirklichkeit - Ein Diskussionspapier“, „Governance Questionnaire - Ein Instrument zur Analyse von Politischen Rahmenbedingungen“ und „Mitgestaltung politischer Rahmenbedingungen in der Technischen Zusammenarbeit - Ein Fortbildungskonzept“ zusammengefasst.

7 Vgl. BMZ: Postitionspapier Recht und Justiz in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Bonn 2002, S. 6 und 9.8 Vgl. BMZ: Profilbildung der bilateralen EZ mit Sub-Sahara-Afrika in den Bereichen Good Governance, Wirtschaftsentwicklung und Wasser. Bonn 2006,

S. 43-47.

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In der konkreten Projektarbeit wird jedoch der Differenz zwischen informell-kultureller und

formal-staatlicher Struktur, zwischen gesellschaftlicher Machtwirklichkeit und staatlichem

Machtanspruch nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt.Verstärkt wird diese Tendenz durch

zunehmende Beteiligung an programmorientierter EZ.

Neben der Zusammenarbeit mit staatlichen Akteuren auf nationaler Ebene ist darum der Umgang

mit strategischen Gruppen in lokalen und informellen Räumen nötig, auch wenn er komplex

und zweischneidig ist. Auch gesellschaftliche Organisation birgt Ordnungs- und Regelungs-

strukturen, die weit entfernt von den Idealen von Good Governance sind und die für das Leben

der Menschen Bedeutung haben und greifen, auch wenn sie nicht formalisiert sind.

Da weibliche Genitalverstümmelung ein traditioneller sozialer Brauch ist, der trotz formal-

staatlicher Verbote weiter existiert, kann eine Verknüpfung von Good Governance mit der

Überwindung von FGM nur mit Ansätzen gelingen, die diesen Institutionspluralismus aufgreifen.

Geschieht dies nicht, so bleiben Maßnahmen zur Überwindung von FGM in ihren Wirkungen weit

hinter dem, was möglich wäre, zurück. Es sind vor allem zwei Bereiche, die bei dieser

Verknüpfung in den Mittelpunkt rücken: Gender und Kultur.

Die Bedeutung von Gender

FGM ist als Ausdruck struktureller Benachteiligung von Frauen und somit schlechter Regierungs-

führung zu verstehen. Die Benachteiligung von Frauen ist eng verwoben mit der gesellschaftlich-

kulturellen Konstruktion von „männlich“ und „weiblich“ sowie den damit verbundenen unter-

schiedlichen Rollen und Machtressourcen für Männer und Frauen in einer Gesellschaft, also mit

Gender.

Die Gründe, warum weibliche Genitalverstümmelung praktiziert wird, verdeutlichen diese

ungleichen Machtverhältnisse. Schon immer lagen FGM sowohl funktional-praktische als auch

soziale Motive zugrunde.

Die Praktik hat den funktionalen Sinn als Familie auf dem Heiratsmarkt mit physisch gesichert

reinen Töchtern aufwarten zu können. Darüber hinaus hat sie einen sekundären sozialen Sinn und

lebt oft eher aufgrund dieser sozialen Motive fort: weil sie schlicht „Tradition“ ist und damit der

Respekt vor der älteren Generation ihre Einhaltung gebietet; weil die Praktik Symbol für die

Zugehörigkeit zu einer Gruppe ist und Integration in eine Gemeinschaft ermöglicht; weil sie

Sicherheit und ein positives Selbstbild vermittelt oder weil die Rituale Frauen in den bestehenden,

ungleichen Geschlechterverhältnissen zumindest gewisse Macht, Status und Respekt sichern.Was

jedoch am schwersten wiegt: In einer von Männern ökonomisch abhängigen Lebensweise sichern

Frauen durch die Ausübung der Praktik ihr Überleben, denn erst mit der Erfüllung dieser sozialen

Norm werden sie heirats- und damit auch überlebensfähig.

Da FGM heute also überwiegend aufgrund von sozialen Bedeutungen praktiziert wird, müssen

Ansätze für eine Überwindung der Praktik diese in den Mittelpunkt stellen und Wege für neue

gesellschaftliche Deutungen finden. So resümiert Nahid Toubia, Ärztin und Frauenrechtlerin aus

dem Sudan, nach der Auswertung von Ansätzen zur Überwindung von FGM in den letzten 20

Jahren: „Wir können sie mit allen möglichen gesundheitlichen Risiken von FGM/C konfrontieren.

Wir können religiöse Führer dazu bringen, sie davon zu überzeugen, dass die Praktik keine

12

Zusammenhängezwischen FGM undGood Governance

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religiöse Pflicht ist.Wir können versuchen, den Zorn des Gesetzes ihnen aufzuerlegen. Aber in

ihrem verzweifeltem Festhalten an den geringen Machtressourcen, die sie seit Jahrhunderten ken-

nen, sind Frauen erst bereit die Praktik aufzugeben, wenn sie an ihrer Stelle etwas Gleichwertiges

oder mehr bekommen.“9 Darum gilt es, neben der Schaffung der politischen Rahmenbedingung

auch die gesellschaftliche Dimension von Good Governance zu berücksichtigen und tief

verankerte Rollenzuweisungen zu überwinden: Nötig ist nicht weniger als ein Ausgleich des

Herrschafts- und Gewaltgefälles im Geschlechterverhältnis, einen höheren Status für Frauen und

die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen.

Ein Machtausgleich im Geschlechterverhältnis lässt sich letztlich nur über mehr Verfügungs-

gewalt von Frauen über Ressourcen, über bezahlte Arbeit, Bildung, Zugang zu Information

und Verfügung über ihre Zeit herstellen. Es geht also um mehr wirtschaftliche, rechtliche und

politisch-gesellschaftliche Entscheidungsmacht für Frauen. Mehr noch als ein Gesundheits-

oder Bildungsproblem ist FGM damit tatsächlich und vor allem ein Problem ungleicher

Geschlechterverhältnisse.

Die Bedeutung von Kultur

Kultur ist ein mehrdeutiger Begriff, der sich auf von Menschen Gelerntes und Geschaffenes

bezieht. Das von der GTZ und der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit

(DEZA) herausgegebene Glossar „Kultur und Entwicklung“ weist darauf hin, dass Kultur aufs

engste mit Macht und gesellschaftlichen Partizipationschancen verbunden ist und im Kontext

der EZ nur in diesem Dreieck sinnvoll bestimmt werden kann.10 Der Körper ist eine wichtige

Projektionsfläche für kulturelle Vorstellungen, was sich beispielsweise in unserer Kleidung oder

in herrschenden Schönheitsidealen äußert.11

FGM spielt eine Schlüsselrolle nicht nur für die kulturelle Konstruktion von Genderidentität,

sondern auch für die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe sowie für die Beziehungen

zwischen den Geschlechtern und Generationen. Lokale Gemeinschaften verfügen über

Druckmittel, um die ungerechte Machtverteilung zwischen Männern und Frauen, Jungen und

Alten aufrecht zu erhalten und Frauen weiter zur Ausübung von FGM anzuhalten. So werden

unbeschnittene Frauen für nicht heiratsfähig erklärt.

Dazu kommen religiöse und speziell islamische Prägungen und deren Einfluss auf die Praktik

der weiblichen Genitalverstümmelung.Auch wenn keine Religion FGM explizit fordert, ist der

Glaube, die Praktik sei eine religiöse Tugend oder gar Pflicht, vor allem in islamisch geprägten

Ländern Afrikas verbreitet. Es gibt eine Vielfalt von rechtlichen Auslegungen zu FGM und keine

einheitliche Haltung unter den religiösen Autoritäten des Islam. Da die muslimische Bevölkerung

Afrikas stark durch Koran- und Hadithinterpretationen lokaler islamischer Führungspersönlich-

keiten beeinflusst wird, ist die Arbeit mit dieser Mittlergruppe ein wichtiger Beitrag für gesell-

schaftlichen Wandel.12

13

9 Nahid Toubia, “Legislation as a tool for Behavioural and Social Change”, in: AIDOS und NPWJ (Hrsg.): Stop FGM. Legal Tools for the prevention

of FGM. Proceeding from the Expert Consultation, Cairo 21-23 June 2003. Rom 2003. (Übersetzung K. Lisy)

10 Vgl. GTZ und DEZA (Hrsg.): Glossar Kultur und Entwicklung. Eschborn 2005, S. 109 und 150.

11 Dies illustriert beispielsweise der Eingriff des Facelifting, dem sich zunehmend alternde weiße Frauen (in kleiner Zahl inzwischen auch Männer)

unterziehen, auch um den Verlust von Prestige zu vermeiden. Beim Facelifting wird ausgehend von Schnitten an den Ohren die gesamte Wangenhaut

bis zur Nase abgelöst, dabei auch Empfindungsnerven zur Gesichtshaut durchtrennt. Dann wird die Haut straff gezogen und im Ohrbereich wieder

zusammen genäht. Inzwischen nimmt auch die Nachfrage nach plastischer Chirurgie zur „ästhetischen Korrektur“ weiblicher Genitalien zu.

12 Vgl. GTZ: Factsheet Weibliche Genitalverstümmelung und Islam. Eschborn 2005.

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Kulturwandel zur Überwindung von FGM findet auf der Ebene von Individuen, Familien und

Gruppen statt. So wie heute die individuelle Persönlichkeit als etwas ständig im Prozess

Befindliches gesehen wird, was niemals fertig oder vollendet sein wird, so befinden sich auch

kollektive Identitäten in einem ständigen Wandel. Ziel von Ansätzen zur Überwindung von FGM

ist es, dass eine kritische Masse ihr Verhalten ändert. Denn eine Einzelperson oder Familie, die

FGM ablehnt, riskiert den gesellschaftlichen Ausschluss, solange die übrige Gemeinde die Praktik

aufrecht erhält.

Zwischen Innen- und Außenperspektive gibt es permanente Rückkopplungen und Austausch-

bewegungen.Weder kann allein die Sensibilisierung der Zielgruppen und das Arbeiten mit

traditionellen Autoritäten auf Dorfebene noch eine einseitige Konzentration auf Rechtsreformen

Veränderungen bewirken. Es bedarf immer Maßnahmen, die zur Überwindung von schädlichen

traditionellen Praktiken gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen sowohl in staatlich-formellen als

auch in tradionell-informellen Räumen ansetzen.

Die Überwindung von FGM durch Politikberatung

Eine der wichtigsten Methoden der Good Governance-Förderung stellt die Politikberatung dar.

Die GTZ legt ihrem Beratungsansatz ein systemisches Verständnis von Politikberatung zugrunde,

das drei verschiedene Dimensionen von Politik unterscheidet:

1. Polity als die Dimension politischer Strukturen, Normen,Werte und Institutionen

2. Politics als die Dimension der politischen Prozesse beispielsweise der Interessenaushandlung,

Willensbildung, Konfliktlösung oder Machtdurchsetzung

3. Policy als die Dimension der politischen Inhalte und Ergebnisse im Sinne von Maßnahmen in

einem bestimmten Politikfeld

Politikberatung wird entsprechend als das Zusammenwirken von Institutionenberatung (polity),

Prozessberatung (politics) und Fachberatung (policy) verstanden. Politikberatung ist nicht nur

eine Methode für Projekte des spezifischen Förderbereichs Good Governance, sondern auch für

andere Sektoren, die Good Governance als Querschnittsthema bearbeiten.13

FGM als Thema von Good Governance-Vorhaben

Vorhaben zur Förderung von Good Governance nehmen Einfluss auf die strukturellen Rahmen-

bedingungen der Partnerländer, meist um demokratische und rechtsstaatliche Institutionen

einzuführen oder zu stärken. Auch zum Thema FGM kann gesellschaftlicher Wandel durch Ansätze

aus dem Bereich Good Governance unterstützt werden. Ein „förderliches Umfeld für Wandel

schaffen“ - so beschreibt UNICEF die Rolle des Staates bei der Überwindung von FGM.14 Die

stärkere Präsenz von bzw. der Zugang zu verantwortungsvollen staatlichen Verwaltungs- und

Rechtsinstitutionen tragen zur Überwindung schädlicher kultureller Praktiken bei. So können z.B.

moderne Institutionen Personen, die FGM bereits aufgegeben haben (early adopters), absichern

und dadurch weitere Familien ermutigen, die Praktik aufzugeben.

14

Zusammenhängezwischen FGM undGood Governance

13 Vgl. GTZ: Mitgestaltung politischer Rahmenbedingungen in der Technischen Zusammenarbeit - ein Fortbildungskonzept, Eschborn 2004, S. 12-13 und

GTZ: Instrumente und Ansätze der Politikberatung in der Technischen Zusammenarbeit, Eschborn 2004, S. 8-9.

14 UNICEF betont z. B. die gesellschaftlichen Verankerung von Gesetzen, regionale und internationale Mechanismen, Informations- und Aufklärungs-

kampagnen und Dialogforen. Vgl.: UNICEF: Innocenti Digest. Changing a harmful social convention: Female Genital Mutilation/Cutting. Florenz 2005,

vor allem Kapitel 6 “Creating an enabling environment for change”, S. 29-34.

Page 15: Good Governance und weibliche Genitalverstümmelung · MDGs NRO PGF PRSP TZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Deutscher Entwicklungsdienst Schweizer

Die Ansätze zur Förderung von Good Governance bereichern den Fächer an Maßnahmen zur

Überwindung von weiblicher Genitalverstümmelung vor allem um die professionelle Bearbeitung

der Polity-Dimension mittels Institutionenberatung, sind hierauf jedoch nicht beschränkt.

Allerdings bedürfen Reformen auf der formal-staatlichen Makroebene verschiedener Übersetzungs-

schritte und einbettender Maßnahmen, um bis auf die Ebenen des Dorfes oder des Stadtteils

direkt zu wirken.

Das Personal von Vorhaben im Bereich Good Governance hat darüber hinaus guten Zugang zu

politischen Entscheidungsträger/-innen, stellt mit seiner Fachkompetenz Beratung in der Policy-

Dimension zur Verfügung und hat Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung von Politikfeldern.

Auch in dieser Dimension lassen sich Ansätze zur Überwindung von FGM verwirklichen, wie z. B.

Maßnahmen, die FGM als Verletzung der Menschenrechte verurteilen und die Praktik aus dem

Tabubereich ins Licht der Öffentlichkeit holen. Des weiteren eröffnen sich Möglichkeiten, das

Thema FGM in die Beratung bei der Umsetzung von Armutsbekämpfungsstrategien zu integrieren.

Die dafür notwendige Fachkompetenz im Bereich FGM kann angesichts langjähriger entsprechender

Erfahrungen der deutschen EZ gut bereit gestellt werden.

Die Dimension der politischen Aushandlungsprozesse (politics) wird im Bereich Good

Governance dagegen noch unzureichend bearbeitet. Bei der Prozessberatung geht es um die

Förderung gerechter und transparenter Verfahren, die es einer Gesellschaft erlauben, über

Entscheidungen, Regeln und Normen zu verhandeln, die dann breite Akzeptanz in der Gesellschaft

finden. Auch bei der Überwindung von FGM geht es um die Aushandlung neuer gesellschaftlicher

Übereinkünfte, an denen Frauen und Männer beteiligt werden müssen. Die Schaffung innovativer

Foren für solche Aushandlungsprozesse kann Weichen für eine Neubewertung und Abschaffung

der Praktik stellen.

Da FGM eine Praktik ist, die vor allem von informellen Normen und Institutionen gefordert wird,

reichen Ansätze auf formal-staatlicher Ebene allein nicht aus. Projektkonzepte, die ausschließlich

bei staatlich-modernen Institutionen ansetzen, werden der gesellschaftlichen Wirklichkeit mit

ihrer Vielfalt nebeneinander existierender Werte- und Ordnungssysteme (Institutionspluralismus)

nicht gerecht und erreichen nur schwer die ländlichen Armutsgruppen. So hat die Kriminali-

sierung von FGM z.T. dazu geführt, dass der Eingriff im Geheimen an immer jüngeren Mädchen

oder in Nachbarländern vorgenommen wird. Mit dieser Gefahr müssen Maßnahmen zur

Förderung von Good Governance umgehen.

15

Bei der Entwicklung entsprechender Maß-

nahmen kann die deutsche TZ auf einen

großen Schatz an Erfahrungen von Projekten

zur Stärkung der Rechte von Frauen in

Sub-Sahara-Afrika zurückgreifen, die bereits

seit Jahren institutionspluralistisch arbeiten.

Sie können den Kampf gegen FGM um ihre

professionellen Kenntnisse über innovative

Rechtsformen ergänzen.

Dazu zählen beispielsweise die Zusammen-

arbeit mit traditionellen und religiösen

Autoritäten bei der Harmonisierung von

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Recht, die Einbindung traditioneller Konfliktbearbeitungsinstanzen in das staatliche Recht oder

die Verbesserung des Zugangs zu Recht und Gerichten.

Darüber hinaus können Maßnahmen zur Förderung von Good Governance, die diskriminierendes

Machtgefälle im Geschlechterverhältnis zu Gunsten der Frauen ausbalancieren und Frauen

stärken, einen indirekten Beitrag zur Überwindung von FGM leisten. Genderdifferenziertes Maß-

nahmendesign bei expliziten Governance-Projekten wird allerdings noch viel zu selten genutzt.

Good Governance als Thema von Ansätzen zur Überwindung von FGM

Der Schlüssel zur Überwindung von FGM ist bereits gefunden: Einstellungs- und Verhaltenswandel

einer Gemeinschaft. Dieses Ziel verfolgen so gut wie alle Ansätze zur Überwindung von FGM, auch

wenn sie in verschiedenen Sektoren, sei es Gesundheit,Bildung oder Jugend, implementiert werden.

Viele Maßnahmen zur Überwindung von FGM wirken dabei bereits erfolgreich in Bereiche von

Good Governance hinein.

In den vergangenen Jahren standen vor allem folgende Ansätze im Mittelpunkt:15

Gesundheitserziehung, welche die Schädlichkeit von FGM hervorhebt und auch das

Gesundheitspersonal einbezieht

Alternative Riten

Bewusstseinsbildung und Verhaltensänderung über IEC - Kampagnen (information,

education, communication) zu negativen gesundheitlichen Folgen und Aufklärung zu Mythen,

sozialen Konstrukten und Heiratsfähigkeit, dies auch unter Einschluss von Männern und

religiösen Instanzen

Fokus auf die Unterstützung von Familien, die sich von der Praktik lossagen (positive

deviants)

Sensibilisierung und alternative einkommensschaffende Maßnahmen für Beschneider/-innen

Ansätze auf der Grundlage religiöser Argumente

Menschenrechtsbildung

Rechtsreformen

Heute hat sich ein Konsens zu ganzheitlichen Herangehensweisen herausgebildet. In sogenannten

comprehensive social development approaches werden verschiedene der genannten

Herangehensweisen als Elemente integriert.16

Im Zentrum moderner Projekte gegen FGM steht erstens ein umfassendes Empowerment von

Mädchen und Frauen. Auf der Ebene von persönlichen Einstellungen geht es um ein neues Selbst-

bewusstsein, auf der Ebene von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geht es um eine bessere

wirtschaftliche Ausgangssituation, die es Mädchen und Frauen erlaubt, sich gegen die Ausübung

der Praktik zu entscheiden und diese Entscheidung auch durchzusetzen. Geschlechterdifferen-

zierte Maßnahmen zur Reduzierung von Armut, die den unterschiedlichen Bedingungen für

Frauen und Männer Rechnung tragen, können hier wertvolle Beiträge leisten.

16

Zusammenhängezwischen FGM undGood Governance

15 Für eine Beschreibung der verschiedenen Ansätze siehe GTZ: Addressing Female Genital Mutilation. Challenges and Perspectives for Health

Programmes. Part I: Select Approaches. Eschborn 2003.

16 Wie z. B. der Ansatz Women's Empowerment Community Consensus model for social change to stop FGM/C (WECC) der NRO RAINBO, dessen

Entwicklung u.a. von der GTZ unterstützt wurde.

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Page 17: Good Governance und weibliche Genitalverstümmelung · MDGs NRO PGF PRSP TZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Deutscher Entwicklungsdienst Schweizer

Zweitens zielen Maßnahmen darauf, in einer Gemeinschaft Konsens darüber herzustellen, dass

das Recht von Frauen und Mädchen auf körperliche Unversehrtheit von allen zu wahren und zu

schützen ist. Häufig wird angestrebt, diesen Wandel mit einer Handlung, einer öffentlichen

gemeinschaftlichen Erklärung oder einem Ritual feierlich öffentlich zu markieren und damit

seine Verbindlichkeit und Wahrnehmung in der Öffentlichkeit zu steigern.

Ansätze zur Überwindung von FGM arbeiten also vor allem in den Good Governance-Themen

Gleichberechtigung der Geschlechter, Empowerment von Frauen und Mädchen, Menschenrechte,

gesellschaftliche Aushandlungsprozesse und sozialer Wandel. Das Personal entsprechender

Projekte verfügt dabei über spezifische Fachkompetenz in Bereichen, die in enger Verbindung zu

FGM stehen und im Bereich FGM selbst. Dies eröffnet ihm gute Akzeptanz bei den Zielgruppen

und Möglichkeiten für zielgruppennahes Arbeiten. Es berücksichtigt die für die Überwindung von

FGM notwendigen sozio-kulturellen Faktoren und die Innenperspektive der handelnden

Personen, arbeitet also faktisch institutionspluralistisch.

Die relativ gute Kenntnis über die Lebensumstände der Zielgruppen führt auch dazu, dass

das Personal von Projekten, die sich für die Überwindung von FGM engagieren, eine stärkere

Sensibilität für die unterschiedlichen Interessen von Frauen und Männern entwickelt und

Projekte entsprechend differenziert plant und umsetzt. Es leistet damit bedeutende indirekte

Beiträge für die Überwindung von FGM.

Gute Tiefen- bzw. Sektorwirkung der Ansätze geht allerdings häufig zu Lasten allgemeiner

Breitenwirkung. Dies hängt auch damit zusammen, dass bei sektoralen Ansätzen zur Überwindung

von FGM bislang Maßnahmen zur Reform der institutionellen Rahmenbedingungen noch zu

wenig in Angriff genommen werden. Gute Erfahrungen auf lokaler Ebene fließen noch viel zu

selten in institutionelle Reformen auf nationaler Ebene ein. Auch die Rückfütterung in die

Ausgestaltung nationaler Anti-FGM-Politiken (Sektorpolitikberatung) erscheint ausbaufähig.

Es muss an dieser Stelle ferner darauf hingewiesen werden, dass auch Ansätze zur Überwindung

von FGM in den Sektoren Gesundheit oder Bildung Gefahr laufen,Widerstände und unerwünschte

Wirkungen zu erzeugen, die erkannt und beantwortet werden müssen. So hat die Schwerpunkt-

setzung allein auf gesundheitliche Argumente zu zahlreichen Problemen geführt, beispielsweise

zur Medikalisierung von FGM, also der Durchführung des Eingriffs durch Gesundheitspersonal.

17

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Gegenüberstellung der beiden Zugänge

Die folgende Tabelle fasst die Vor- und Nachteile der beiden Herangehensweisen - FGM als Thema

von Good Governance-Vorhaben einerseits und Good Governance als Thema von Anti-FGM-

Ansätzen andererseits - zusammen.

18

Zusammenhängezwischen FGM undGood Governance

FGM als Thema von Good Governance-Vorhaben

• Kompetenz bei der Institutionenberatung

(Polity)

• Gute Breitenwirkung von Maßnahmen

• Kompetenz der Rechtsprojekte zur

Förderung der Rechte von Frauen in

Afrika im Umgang mit rechtsplura-

listischen Ausgangssituationen

• Zugang zu politischen Entscheidungs-

träger/-innen und Beratung bei der

Politikgestaltung (Policy)

• Großes Potenzial für gender-gerechte

Ausgestaltung von politischen

Institutionen, Verfahren und Inhalten

• Fokussierung auf formal-staatliche

Strukturen, dadurch Gefahr von

Widerstand und Gegenreaktionen

bei der Bevölkerung

• Vernachlässigung der Prozessberatung

(Politics)

• Distanz zu Zielgruppen

• Schwächer ausgeprägte Sensibilität für

Gender

Good Governance als Thema von Ansätzen zur Überwindung von FGM

• Fachkompetenz im Bereich FGM und

in FGM nahestehenden Themen

• Meist guter Zugang zu, Anerkennung bei

und Kenntnis über Zielgruppen

• Institutionspluralistische

Herangehensweisen

• Sensibilität für Gender

• Gute Tiefen-bzw. Sektorwirkung geht zu

Lasten allgemeiner Breitenwirkung

• Vernachlässigung der Institutionen-

beratung (Polity)

• Zu geringe Nutzung des Potenzials

für die Beratung bei der Ausgestaltung

von nationalen Anti-FGM-Politiken

(Policy)

• Gefahr von Widerstand bei der

Bevölkerung und unerwünschten

Wirkungen (z. B. Medikalisierung)

SCHW

ÄCH

EN

ST

ÄRK

EN

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Maßnahmen zur Überwindung von FGM im Rahmen der Förderung von GoodGovernance Sechs Good Governance-Themen unterstützen die Überwindung von FGM

Es sind in erster Linie sechs Themen des GTZ-Leistungsangebots Good Governance,17 die für die

Überwindung von FGM bedeutende Beiträge leisten können:

Good Governance auf nationaler Ebene (Reform der öffentlichen Verwaltung, Öffentliche

Finanzen, Förderung von Demokratie)

Good Governance auf lokaler Ebene (Kommunale Selbstverwaltung, Dezentralsierung,

Local Governance)

Recht und Justiz

Menschenrechte

Stärkung der Zivilgesellschaft

Gender

Im Folgenden werden die Zusammenhänge zwischen FGM und diesen Themen anhand von drei

Fragestellungen erläutert:

1. Wie erzielen Maßnahmen zur Überwindung von FGM Wirkungen im Bereich Good

Governance und wie können sie diese noch ausweiten?

2. Welche Möglichkeiten haben Good Governance-Vorhaben, um direkt die Überwindung von

FGM zu unterstützen?

3. Wie tragen geschlechterdifferenzierte Ansätze im Bereich Good Governance indirekt zur

Überwindung der Praktik bei?

Good Governance auf nationaler Ebene

Beiträge sektoraler Anti-FGM-Ansätzen zu Good Governance auf nationaler Ebene

Die ganzheitlichen Ansätze gegen FGM konzentrieren sich bislang vor allem auf kommunale

Ebenen. Einzig Maßnahmen zu Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit, vor allem der Gesundheits-

und Menschenrechtsbildung sowie des Bildungswesens, setzen auch auf der nationalen Ebene an,

um allgemein ein unterstützendes soziales und kulturelles Umfeld zu fördern.

Über solche Öffentlichkeitsarbeit hinaus können sektorale Vorhaben, die sich gegen FGM

engagieren, Breitenwirksamkeit erzielen, wenn sie bei der Sektorpolitikberatung (Policy-Ebene)

Anliegen zur Überwindung von FGM mit einbeziehen und diese Politikvorgaben von Gesundheits-

oder Bildungsministerien dann umgesetzt werden.

Beispiel Mali: Seit 2003 unterstützt das überregionale FGM-Vorhaben ein bilaterales Grund-

bildungsprojekt in Mali bei der Integration des Themas FGM in Lehrpläne, Lehrerausbildung und

außerschulische Arbeit. Ein für das Bildungsministerium entwickelter pädagogischer Leitfaden

integriert die Thematik verbindlich in den Schulunterricht und die Lehrerausbildung. Die Schul-

behörden und ausgebildeten Lehrer/-innen bilden beständige Akteure, um die Informationen

weiterzuvermitteln. Im außerschulischen Bereich wird mit ausgebildeten Moderator/-innen

FGM zusammen mit anderen sensiblen Themen diskutiert. Dabei hat sich die Methode des

Generationendialogs bewährt.

20

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Page 21: Good Governance und weibliche Genitalverstümmelung · MDGs NRO PGF PRSP TZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Deutscher Entwicklungsdienst Schweizer

Governance-Maßnahmen mit direkten Wirkungen für die Überwindung von FGM

Auf nationaler Ebene konzentriert sich die GTZ auf die Förderung von Institutionen der

öffentlichen Finanzen und Verwaltung sowie von Institutionen und Verfahren der politischen

Willensbildung, Parlamenten und Medien. Die Zusammenarbeit mit Parlamenten und Medien

bietet gute Anknüpfungspunkte für das Thema, beispielsweise für Informations-, Medien- und

Bewusstseinskampagnen sowie Dialogforen über FGM unter Einbeziehung von Journalist/-innen,

Politiker/-innen, Frauenministerien sowie religiösen Instanzen. Gesetzliche Verbote von FGM

greifen am besten, wenn ihnen solche Maßnahmen vorausgehen oder von ihnen begleitet

werden. Die Rolle von Parlamenten und Abgeordneten hat auch die Interparlamentarische Union

(IPU) betont und einen Think Tank sowie eine Online-Datenbank zum Thema eingerichtet.18

Zahlreiche Projekte der deutschen TZ unterstützen Finanzplanung und Haushaltsaufstellung

sowie die Erarbeitung und Umsetzung von Armutsstrategiepapieren.Anti-FGM-Projekte können

Empfehlungen geben, welche praktischen und strategischen Bedürfnisse von Frauen bei dieser

Förderung berücksichtigt werden sollten, um gezielt die Überwindung von FGM zu unterstützen

(z.B.Allokation von Mitteln für Gesundheits- und Rechtsdienste). Gute Anknüpfungspunkte bieten

hier Armutsstrategiepapiere, die bereits Klauseln über FGM enthalten wie z.B. in Benin, Burkina

Faso, Äthiopien, Ghana, Guinea, Mali und Niger.19

Einige afrikanische Länder haben bereits nationale Aktionspläne entwickelt, um staatliche und

nicht-staatliche Bemühungen, FGM zu beenden, zu unterstützen und zu koordinieren. Zum Teil

wurden auch spezifische Institutionen eingerichtet oder als verantwortlich für das Thema

benannt, wie beispielsweise in Ägypten der National Council for Childhood and Motherhood.

Beispiel Mauretanien: Das überregionale FGM-Projekt arbeitet in Mauretanien seit 2005 mit

dem bilateralen Programm zur Förderung von Good Governance zusammen. Im Rahmen der

Gender-Komponente des Programms wird die nationale Partnerinstitution bei der Entwicklung

einer nationalen Anti-FGM-Strategie und einer entsprechenden Gesetzgebung beraten. Darüber

hinaus werden die Aufklärung und der Dialog über FGM in Trainingsmodule für Gemeindever-

treter/-innen und politische Entscheidungsträger/-innen und in Maßnahmen zur Förderung der

Rechte von Frauen und Mädchen integriert.

21

17 GTZ: Leistungsangebot des GTZ-Leistungsschwerpunkts „Demokratie, Zivilgesellschaft, Öffentliche Verwaltung“ der GTZ GmbH zur Förderung von

Good Governance. Eschborn (o. J.).

18 www.ipu.org/wmn-e/fgm-ipu.htm

19 Die italienische NRO AIDOS hat im Auftrag der Weltbank ein Handbuch für das Training von Regierungspersonal und NRO entwickelt, das wertvolle

Hinweise liefert, wie das Thema in Regierungsprogramme integriert werden kann. Vgl. AIDOS: Mainstreaming the fight against FGM/C. A training

manual. Rom 2005.

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Geschlechterdifferenzierte Governance-Maßnahmen mit indirekten Wirkungen für die

Überwindung von FGM

Das Potenzial von Good Governance-Vorhaben auf nationaler Ebene, durch strategische Beiträge

für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern indirekte Wirkungen zur Überwindung von

FGM zu erzielen, ist groß. Folgende Maßnahmen bieten sich beispielsweise an:

Gendersensible Haushaltsplanung durch Gender Responsive Budgeting

Geschlechtergerechte Politiken (policies) zur Umsetzung von Armutsstrategiepapieren.

Verwendung von geschlechterdifferenzierten Daten und Verfahren, z.B. bei Planung und

Monitoring, wie z.B. das Qualitative Impact Monitoring (QUIM) in Malawi

Geschlechtergerechte Verwaltungsreformen (Organisationsentwicklung, Quote für Frauen in

der Verwaltung, affirmative action)

Geschlechtergerechte Reformen von parlamentarischen, juristischen und polizeilichen

Institutionen

Good Governance auf lokaler Ebene

Beiträge sektoraler Anti-FGM-Ansätze zu Good Governance auf lokaler Ebene

Die Arbeit mit lokalen Gemeinschaften ist ein Schlüssel für erfolgreiche Interventionen gegen

FGM.Auch die von der GTZ geförderten Ansätze zur Überwindung von FGM gipfeln im

Einstellungs- und Verhaltenswandel einer Gemeinschaft, der zum Teil öffentlich markiert wird.

Beispiel Kenia: In Kenia fördert die FGM-Komponente des Gesundheitsprogramms seit 2001

gemeindenahe Ansätze für gesellschaftlichen Wandel im Bereich FGM. Die Komponente strebt

an, traditionelle Beschneidungszeremonien durch alternative Initiationsrituale, Empowerment

von Mädchen und Gemeindesensibilisierung zu ersetzen. Durchgehend betont das Projekt die

Zusammenarbeit mit lokalen Entscheidungsträgern, positive deviants und Vertretern von formal-

staatlichen Einrichtungen. Das Programm richtet sich mit folgenden Anliegen an kommunale

Adressaten:

Aufbau von Schutzeinrichtungen und Hilfsnetzwerken unter Beteiligung kommunaler

Funktionsträger

kommunale Stellen für Schlichtungen, z.B. für Schlichtung zwischen den Mädchen und ihren

Eltern

kommunale Kampagnen zur Fürsprache- und Gesundheitserziehung

Verbesserung polizeilicher Verfolgung und Vollstreckung von Strafurteilen

Vereinbarungen mit der lokalen Justiz zum Erlassen von Gerichts- u.a. Gebühren

Gebührenübernahme für Schulbesuch

22

Maßnahmen zurÜberwindung vonFGM im Rahmen der Förderung vonGood Governance

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Governance-Maßnahmen mit direkten Wirkungen für die Überwindung von FGM

Bei der Förderung formal-staatlicher Good Governance auf Ebene der Kommunen und kommu-

naler Dienstleistungen können konkrete Angebote in Bezug auf FGM in den Bereichen Recht,

Bildung und Gesundheit gemacht werden. Es sollte geprüft werden, ob in Projekten der

Dezentralisierung und Gemeindeentwicklung kommunale Dienstleistungen zur Überwindung

von FGM erweiterbar sind.Werden z.B. Frauen in Gemeindeparlamenten gefördert, so können in

einer Fortbildung besondere Interventionsmöglichkeiten gegen FGM thematisiert werden.

Darüber hinaus sollte Local Governance auch in informellen kulturellen Räumen unterstützt

werden. Dies ist besonders für Frauen wichtig, da sie aufgrund ihrer häuslichen Aufgaben örtlich

gebunden und damit traditionellen Instanzen stärker ausgeliefert sind. Dezentralisierungsprojekte

thematisieren bereits die Macht informeller Autoritäten z.B. bei der Unterstützung von

Kommunalwahlen.

Geschlechterdifferenzierte Governance-Maßnahmen mit indirekten Wirkungen für die

Überwindung von FGM

Kommunalentwicklungsprojekte sind besonders für wirtschaftliches Empowerment von Frauen

geeignet.Weitere Themen, die sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter auf kommunaler

Ebene anbieten, sind:

Genderorientierung in partizipativen Planungsprozessen, z.B. mit Planungen in nach

Geschlecht und Altersgruppen getrennten Gruppen

Geschlechterdifferenzierte Haushaltsplanung (lokales Gender Budgeting)

Geschlechterdifferenzierte Förderung lokaler Wirtschaftsaktivitäten

Genderorientierung in der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben, insbes. Empowerment von

weiblichen Funktionsträgerinnen und Mitgliedern von Gemeindeparlamenten

Gendersensible institutionelle Reformen und Organisationsentwicklung

Recht und Justiz

Beiträge sektoraler Anti-FGM-Ansätze zu Recht und Justiz

Weltweit nutzen Anti-FGM-Ansätze juristische Argumente, wagen sich jedoch selten mit eigenen

Interventionen (jenseits von Menschenrechts-Advocacy) auf das eigentliche juristische Terrain.

Um Maßnahmen durchzuführen, die angemessen auf institutionspluralistische Rahmenbedin-

gungen eingehen, sind interdisziplinäre Herangehensweisen nötig. Hier kann auf die Erfahrungen

von Frauenrechtsprojekten, die Ansätze zum Umgang mit dem Widerspruch zwischen Rechts-

anspruch und Rechtswirklichkeit entwickelt haben, zurückgegriffen werden.

Beispiel Äthiopien: In Äthiopien führte die GTZ von 2001 bis 2004 ein Projekt zur

Unterstützung von Frauen bei der Einforderung ihrer Rechte durch. Der universelle Standard zur

Ächtung schädlicher traditioneller Praktiken ist in der äthiopischen Verfassung und nationalen

Gesetzen festgeschrieben. Um diesem Standard auch in den Dörfern zur Anwendung zu verhelfen,

wurde mit Unterstützung von rechtsethnologisch versierten NRO in dörflichen Rechtssetzungs-

zeremonien das staatliche Recht „ratifiziert“ und noch einmal ausdrücklich in lokales Recht

transformiert. Örtliche Rechtssprechungsinstanzen sagten sich damit von bestimmten

schädlichen traditionellen Praktiken los.

23

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Governance-Maßnahmen mit direkten Wirkungen zur Überwindung von FGM

Nationale Gesetzgebung, die FGM unter Verbot stellt, kann Wandel vor allem dann beschleunigen,

wenn entsprechende gesellschaftliche Veränderungsprozesse bereits im Gange und Teile der

Bevölkerung sensibilisiert sind.Gesetzliche Verbote sollten immer Hand in Hand mit Informations-

und Aufklärungskampagnen gehen, um die gesellschaftliche Akzeptanz der Gesetze zu erhöhen.

Es ist ein Alleinstellungsmerkmal der GTZ, dass gender-orientierte Rechtsprojekte in Afrika

Ausgangssituationen bearbeitet haben, in denen Rechtsanspruch und Rechtswirklichkeit

auseinanderklaffen. Zu den Lessons learnt zählen dabei: 20

Wandel wird beschleunigt, wenn traditionelle Autoritäten und Eliten eingebunden werden.

Sie übernehmen selbst die Verantwortung, um unzeitgemäßes traditionelles Recht an das für

das gesamte Staatswesen verbindliche Normensystem und universelle Rechtsstandards

anzunähern.

Die Zusammenarbeit mit „Grenzgängern der Verständigung“ und „Veränderungsagenten“

(z. B. Rückkehrer/-innen aus der Emigration) ist sehr wichtig.Aufgrund ihrer Biographie

bewegen sie sich in mehreren kulturellen Umgebungen, was ihnen Legitimität in einer

Gemeinschaft sowie Übersetzungskompetenz und Fähigkeit zum Brückenschlag verleiht.

Auch islamisch-religiöses Recht wird und wurde je nach unterliegenden Machtkonstellationen

unterschiedlich interpretiert. Es hat sich bewährt, innerhalb des religiösen Kontextes zu

argumentieren und dabei solche Interpretationen zu betonen, die auf gerechteren Ausgleich

zwischen den Geschlechtern zielen. 21

Um die Legitimation und damit Steuerungskraft staatlicher Gesetzgebung und Rechts-

sprechung zu erhöhen, wird versucht, dessen „Anschlussfähigkeit“ an die Zivilgesellschaft zu

verbessern, z. B. über die Integration traditioneller Regelungen in die formal-staatliche

Gesetzgebung oder die Einbindung traditioneller Konfliktbearbeitungsinstanzen in das

staatliche Recht.

Jenseits der uns vertrauten Form von Rechtsprechung als dritter Gewalt werden innovative

Formen unterstützt wie z. B. Mediationsforen oder Paralegals (Barfußanwälte).

Große Bedeutung hat auch die Schaffung von Transparenz durch Informationspolitik über

Beiräte, öffentliche Diskussionsforen,Weißbücher, nationale Dialoge und Rechenschafts-

pflichtigkeit (Evaluation).

Geschlechterdifferenzierte Governance-Maßnahmen mit indirekten Wirkungen zur

Überwindung von FGM

Es ist bereits deutlich geworden, dass bei der Förderung von Good Governance insbesondere

Vorhaben im Bereich Recht und Justiz das Ziel der Gleichberechtigung von Frauen und Männern

in ihr Projektdesign integrieren. Neben den oben beschriebenen direkt gegen FGM wirkenden

Maßnahmen leisten damit alle genderorientierten Rechtsprojekte wertvolle Beiträge zur Über-

windung von FGM, indem sie ein rechtliches und gesellschaftliches Umfeld unterstützen, das den

Status von Frauen verbessert.

24

Maßnahmen zurÜberwindung vonFGM im Rahmen der Förderung vonGood Governance

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20 Die Erfahrungen sind von den Rechtsprojekten bzw. Programm-

modulen in Ghana, Äthiopien, Zambia und Malawi sowie vom

Sektorvorhaben „Frauenrechte stärken“ aufbereitet abrufbar.

Vgl. z. B. GTZ: Bridging the Gap between Modern Legislation

and Legal Reality: Working with Customary Legal Structures to

Improve Women's Rights. Eschborn 2006.

21 Vgl. GTZ: Gender Equality and Islam. Promoting Women's Human

Rights through Religion. Eschborn 2005.

Page 25: Good Governance und weibliche Genitalverstümmelung · MDGs NRO PGF PRSP TZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Deutscher Entwicklungsdienst Schweizer

Menschenrechte

Beiträge sektoraler Anti-FGM-Ansätze zur Förderung von Menschenrechten

Maßnahmen zur Überwindung von FGM leisten direkte Beiträge zur Förderung von Menschen-

rechten. Unterschiede liegen darin, wie explizit auf das Thema der Menschenrechte eingegangen

wird.

Beispiel Burkina Faso: In Burkina Faso setzt das von der GTZ geförderte Village Empowerment

Programme mit einem Modul zur nicht-formalen Basiserziehung besonders auf das Argument der

Menschenrechte.Der im Senegal entwickelte Ansatz verbindet partizipative Gesundheitserziehung

mit Menschenrechtsbildung.Von 2000 bis 2003 wurde mit Unterstützung der GTZ dieser Ansatz

nach Burkina Faso als ein Village Empowerment Program einer NRO übertragen und angepasst.

Das Programm folgt standardisierten Schritten. Ein Höhepunkt ist die öffentliche Erklärung von

Dorfgemeinschaften, FGM und andere schädlicher Praktiken nicht mehr durchzuführen.

Governance-Maßnahmen mit direkten Wirkungen für die Überwindung von FGM

Menschenrechtsförderung heißt für die GTZ vor allem institutionelle Förderung mit dem Ziel, den

Staat zu befähigen, die Menschenrechte zu achten, zu schützen und zu gewährleisten. Dazu zählen

auch Maßnahmen im gesellschaftlichen Umfeld, z. B. die Förderung von Verfahren der politischen

Partizipation oder von Diskussions- und Dialogforen zwischen Staat und Gesellschaft.

Menschenrechtsarbeit kann sozialen Wandel zwar nicht allein herstellen, ihn jedoch begleiten und

beschleunigen. In diesem Sinn ist die Förderung der Menschenrechte auch für die Überwindung

von FGM von Bedeutung. Sie trägt dazu bei, die Praktik aus dem verschwiegenen Tabubereich zu

holen und sie im Licht der Öffentlichkeit zur Sprache zu bringen, und sie schafft ein günstiges

Umfeld für die, die sich gegen FGM engagieren. IEC-Kampagnen setzen gerne und oft auf die

Menschenrechte,mit ihrem zentralen Gedanken der gleichen Würde aller Menschen.Zunehmender

Zugang von Frauen zu Wissen über die Menschenrechte trägt mit zur Überwindung der Praktik bei.

Geschlechterdifferenzierte Governance-Maßnahmen mit indirekten Wirkungen für die

Überwindung von FGM

Im Modul Menschenrechte des GTZ- Leistungsangebots wird die Durchsetzung der Menschen-

rechte für Frauen als ein besonders dringliches Ziel angesehen und dabei auch auf das

Empowerment von Frauen gesetzt. Frauenrechtsbetonte Öffentlichkeitsarbeit, Maßnahmen zu

Advocacy, Rechtsalphabetisierung und Empowerment von Frauen leisten wichtige indirekte

Beiträge für die Überwindung von FGM.

25

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Stärkung der Zivilgesellschaft

Beiträge sektoraler Anti-FGM-Ansätze zur Stärkung der Zivilgesellschaft

Ein Schwerpunkt aller bisherigen Anti-FGM-Maßnahmen liegt auf der Arbeit mit verschiedenen

gesellschaftlichen Gruppen zur Beeinflussung lokaler informeller Governance-Formen.

Unterschiedliche Maßnahmen zum Empowerment bereiten den gesellschaftliche Wandel vor:

Bewusstseinsbildende Maßnahmen und gesellschaftliches Empowerment der Mädchen,

Frauen und ihres nahen Umfelds

Suche nach einem Konsens in der Gemeinschaft, dass die Rechte von Frauen und Mädchen

auf körperliche Unversehrtheit zu schützen sind

Öffentlichkeitskampagnen und Rechtsmaßnahmen

Governance-Maßnahmen mit direkten Wirkungen für die Überwindung von FGM

Wie eingangs bereits erläutert, weist das Konzept des Institutionspluralismus darauf hin, dass

es auch im zivilgesellschaftlichen Raum Strukturen und Normen gibt, die den Idealen von Good

Governance entgegenwirken.Eine „Stärkung“ der Zivilgesellschaft allein ist darum zu kurz gegriffen.

Wichtig ist hier ein differenzierter Ansatz. Direkt gegen FGM wirkende Maßnahmen sind dann

insbesondere die Förderung von Artikulationsräumen über FGM für unterschiedliche Gruppen

und die Unterstützung - im Sinne von capacity development - gesellschaftlicher Gruppen, die sich

gegen FGM engagieren.

Beispiel Benin: Seit 2004 engagiert sich eine Projektallianz in Nordwest-Benin (Dezentralisie-

rung, Umwelt, Gesundheit) gegen FGM mit der Organisation eines „Forums der Zivilgesellschaft“,

in dem auch staatliche Organisationen vertreten sind, u.a. Ärzte, Journalisten, Hebammen,

Beschneiderinnen, Dorfälteste, regionale Vertretungen von Ministerien für Justiz, Gesundheit,

Familie und Bildung, Gendarmerie und Staatsanwaltschaft. So wurde eine neue Plattform für

gesellschaftliche Diskussion über FGM geschaffen.

Geschlechterdifferenzierte Governance-Maßnahmen mit indirekten Wirkungen für die

Überwindung von FGM

In Projekten zur Förderung von Demokratie und Good Governance auf nationaler Ebene, in

Dezentralisierungs- wie in Rechtsprojekten werden immer auch in einzelnen Aktivitäten der

„demokratische Raum“ oder die Zivilgesellschaft mit Maßnahmen gestärkt und gefördert, dies

soft mit besonderem Fokus auf die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Seitdem in der

UN-Menschrechtskonferenz in Wien 1993 noch einmal ausdrücklich betont wurde, dass Frauen-

rechte Menschenrechte sind, steigt auch die Anzahl von NRO, die zu diesem Thema arbeiten und

durch EZ gefördert werden. Dies hat indirekt auch positive Auswirkungen auf die Überwindung

von FGM.Wo Frauenrechte durch bewusstseinsbildende Maßnahmen gefördert werden, bietet es

sich an, diese Arbeiten um Anti-FGM-Komponenten zu ergänzen.

26

Maßnahmen zurÜberwindung vonFGM im Rahmen der Förderung vonGood Governance

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Gender

Beiträge sektoraler Anti-FGM-Ansätze zur Gleichberechtigung der Geschlechter

Dass Ansätze zur Überwindung von FGM immer auch Beiträge zur Gleichberechtigung der

Geschlechter und zur Stärkung der Rechte von Frauen leisten, liegt auf der Hand. Exemplarisch

seien hier nochmals genannt: wirtschaftliches, soziales und politisches Empowerment von Frauen;

Schaffung von Räumen zur Aushandlung und Abschaffung von informellen traditionellen Normen,

die Frauen diskriminieren; Zusammenarbeit mit traditionellen und religiösen Autoritäten;

Zusammenarbeit mit Männern; Zugang zu Informationen, Institutionen und Bildung für Frauen.

Beispiel Guinea: In Guinea hat das überregionale Projekt „Überwindung der weiblichen

Genitalverstümmelung“ verschiedene NROs, die auf Grassroot- und Gemeindeebene zu Gesund-

heit, Bildung, Empowerment und Partizipation arbeiten, unterstützt. Dabei wurde die Idee des

Generationendialogs geboren. Die seitdem dauerhaft nachgefragten und regelmäßig durchge-

führten Dialoge zwischen Männern und Frauen sowie zwischen Alt und Jung haben u.a. zu mehr

Verständnis für junge Frauen geführt, die bestimmte Traditionen als gewaltsame Akte sehen und

nicht mehr durchführen wollen. Der Generationendialog bewährt sich inzwischen auch in Mali

und Kenia dabei, FGM zu enttabuisieren und den Brauch neu zu verhandeln.

Governance-Maßnahmen mit direkten Wirkungen für die Überwindung von FGM

Im GTZ-Leistungsangebot können insbesondere zwei Themen des Förderbereichs Gender direkt

zur Überwindung von FGM beitragen: Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt und Rechts-

reformprozesse zur Förderung von Frauenrechten. FGM ist eine Form von geschlechtspezifischer

Gewalt, der mit folgenden Maßnahmen begegnet werden kann: Einrichtung von Anlaufstellen und

Beratung für (potenzielle) Opfer, Qualifizierung relevanter Rechtsanwender/-innen (Richter,

Anwälte,Polizei,Paralegals, traditionelle Schiedsstellen),Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen.

Auch wenn diese Maßnahmen FGM nicht unbedingt verhindern, so bieten sie ein Netz für Frauen

und Familien,die FGM aufgeben wollen.Bei Rechtsreformprozessen sind vor allem die Erarbeitung

und Umsetzung spezifischer Gesetze gegen FGM und die Vermittlung zwischen formalen und

traditionellen Rechtsanwendungspraktiken wichtig.

Spezifische Gendervorhaben in Ländern, in denen FGM praktiziert wird, können positive

Auswirkungen auf das Ende der Praktik haben. Die Umsetzung nationaler Gleichstellungspolitiken

und die Integration von Genderorientierung in das Verwaltungshandeln und in Rechtsreform-

prozesse bilden einen Rahmen, in dem auch FGM leichter thematisiert werden kann.

Ähnliche Wirkungen ergeben sich aus Vorhaben der EZ, die den Qualitätsstandards der GTZ

zum Thema Gender gerecht werden und das Ziel der Gleichstellung der Geschlechter in ihr

Projektdesign integrieren. Das Potenzial für Verbesserung ist hier allerdings beträchtlich.22

27

22 Vgl. GTZ: CD-Rom „Gender und Governance“, Eschborn 2005. Für Dezentralisierungsprojekte siehe GTZ: Dezentralisierung, Hinweise zur Gender-

Orientierung, Eschborn 2001. Zu den Themen Genderbudgets und Gender in Armutsstrategiepapieren siehe Handreichungen des Sektorberatungs-

vorabens Gender der GTZ.

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Fünf Kernleistungen eines Mehrebenenansatzes zur Überwindung von FGM

Ein Mehrebenenansatz zur Überwindung von FGM sollte folgende Kernleistungen sicherstellen:

1. Durchgängige Anwendung partizipativer und prozessorientierter Methoden

2. Analytisches Design unter Berücksichtigung des kulturellen Hintergrunds

3. Unterstützung von gesellschaftlichen Wandlungsprozessen auf verschiedenen Ebenen

4. Förderung von Aushandlungsprozessen

5. Sicherung der Nachhaltigkeit und Schutz auf Zielgruppen- und institutioneller Ebene

Durchgängige Anwendung partizipativer und prozessorientierter Methoden

Der Perspektivwechsel auf die Sicht der Zielgruppen erfordert durchgehend partizipatives und

prozess-orientiertes Vorgehen.Vorzugsweise ist dabei mit lokalen Kräften und „Grenzgängern

der Verständigung“ zu arbeiten und es sollten zu diesem Zweck lokale Wissenschaftsressourcen

aufgebaut werden.

Im Projektverlauf werden durch vernetzte Arbeit mit Zielgruppen und Funktionsträger/- innen

aller Ebenen Reformvorschläge empirisch hergeleitet. (Pilot)-Maßnahmen werden sorgfältig

begleitet, wissenschaftlich abgesichert und auf ihre Wirksamkeit und Veränderungen in örtlichen

Gemeinschaften befragt (z.B. partizipative nachfolgende Akzeptanzforschung). Ergebnisse des

Wirkungsmonitoring fließen iterativ und selbstkritisch in die partizipativen Reform- und

Entscheidungsprozesse zurück.

Analytisches Design unter Berücksichtigung des kulturellen Hintergrunds

Ein kultursensibles Design beginnt - wissenschaftlich unterstützt - immer mit empirischen

Erhebungen zu lokalen Werten, Normen, Institutionen, Organisationsformen, um anschließend

im Dialog mit Partnern, handlungsleitende Einschätzungen der jeweiligen Chancen und Risiken

im weiteren Vorgehen gegen FGM zu gewinnen.

Unterstützung von gesellschaftlichen Wandlungsprozessen auf unterschiedlichen

Ebenen

Bevor eine Gemeinschaft als Ganzes (öffentlich) der Ausübung von FGM abschwört, bedarf es

Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen:

Maßnahmen zum Aufbau eines vertrauensvollen Klimas, z.B. durch Gesundheits-, Bildungs-

oder einkommensfördernde Maßnahmen oder Nutzung einer bereits vorhandenen

Vertrauensbasis durch Integrieren des Themas in laufende Projekte.

Bewusstseinsbildende, stärkende und vernetzende Maßnahmen auf der Ebene von Dörfern

und Stadtteilen bei den direkt an der Ausübung von FGM Beteiligten: Mädchen, Brüder,

Eltern, Peergruppen,Verwandte, Ältere, Nachbarn, (potentielle) Ehemänner mit Familie,

traditionelle Hebammen, Beschneider/-innen, traditionelle und religiöse Autoritäten und

Entscheidungsträger/-innen

Menschenrechts- und Bildungsmaßnahmen in Form von Workshops u.a. bis zur regionalen

Mesoebene mit Akteuren, die die Ausübung von FGM noch direkt beeinflussen können:

Gesundheitspersonal, Lehrer/-innen,Angehörige weiterer dekonzentrierter staatlicher

Dienste sowie Personal von Kommunen und Kirchen, religiöse und traditionelle Führer/-

innen

28

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Maßnahmen zurÜberwindung vonFGM im Rahmen der Förderung vonGood Governance

Page 29: Good Governance und weibliche Genitalverstümmelung · MDGs NRO PGF PRSP TZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Deutscher Entwicklungsdienst Schweizer

Auf nationaler Ebene Medien- und Bewusstseinsarbeit zur indirekten Beeinflussung, um

einem allgemein unterstützenden sozialen und kulturellen Umfeld mit entsprechender

Rechtspolitik den Weg zu bereiten, unter Einbezug von Journalist/-innen, Politiker/-innen,

Parlamenten, Frauenministerien und ihren Einrichtungen sowie religiösen Instanzen

Von der Ebene des Dorfes, über Distrikt u.a. bis zur nationalen Ebene kommt bei der

Überwindung schädlicher traditioneller Praktiken wie FGM dem Rechtssektor besondere

Bedeutung zu:Training für lokale Autoritäten,Angehörige traditioneller Schlichtungsinstanzen,

Paralegals verschiedener Provenienz, Gerichtspersonal und Vollzugsorgane, Justizministerium

Durchgängig indirekt positive Wirkungen haben geschlechtergerechte Reformen formal-

staatlicher Institutionen,Verfahren und Politiken auf allen Ebenen

Förderung von Aushandlungsprozessen

Hier geht es vor allem darum, Foren zu schaffen, in denen informelle gesellschaftliche Normen

und Institutionen neu betrachtet, verhandelt und in öffentlichen Zeremonien abgeschafft werden

können. Es bieten sich an:

Innovative Lösungen bisheriger Anti-FGM-Ansätze: Generationendialog (Guinea), lokale

Rechtstransformation (Äthiopien), Forum für Aushandlung und Verständigung über einen

„Gesellschaftsvertrag“ (Benin),Village Empowerment Programme (Burkina Faso).

Innovative Lösungen von Rechtsprojekten in Afrika: Zusammenarbeit mit traditionellen und

religiösen Autoritäten zur Harmonisierung von Recht, Zusammenarbeit mit „Grenzgängern

der Verständigung“, Argumentation innerhalb des religiösen Kontextes,Verbesserung der

„Anschlussfähigkeit“ des staatlichen Rechts an die Gesellschaft, Förderung innovativer

Rechtsinstitutionen

Sicherung der Nachhaltigkeit und Schutz auf Zielgruppen- und institutioneller Ebene

Damit sich Zielgruppen über die traditionellen Vorstellungen der Instanzen ihres Dorfes hin-

wegsetzen können, sind zuerst Pioniere und Erneuerer, dann frühe Nachahmer und eine frühe

Mehrheit und zuletzt die Mehrheit vom Einstellungswandel bis zur Durchsetzung ihrer Anliegen

vor informellen und formalstaatlichen Instanzen zu begleiten und zu schützen. Auch gilt es,

Widerstände und Gegner mit Maßnahmen zu bedenken. Denn wenn die Sicherheit der bisherigen

Kultur verlassen wird, werden Familien angreifbar. Eine Entscheidung gegen FGM soll die

Mädchen und Frauen mit ihren Familien nicht schlechter stellen.

Im informellen Bereich kann bewusstseinsbildend nachsorgend z.B. mit Peergruppen gearbeitet

werden, im formal-staatlichen Bereich sind kommunale und juristische Dienste wichtig.Von

zentraler Bedeutung für die ökonomische Absicherung von Frauen ist weiter eine geschlechter-

differenzierte und für Frauen und Männer gleichermaßen gerechte Dorf- und kommunale

Wirtschaftsentwicklungspolitik.

Nachhaltigkeit wird auch dadurch gesichert, dass Erfahrungen auf lokaler Ebene in nationale

Institutionen,Verfahren und Politikgestaltung (z.B. nationale Armutsstrategien, Sektorstrategien)

einfließen.

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Programmorientierte EZ und FGM

Programmorientierte EZ hat als Instrument der deutschen EZ für die Unterstützung von

Governance-Reformprozessen in den Partnerländern an Bedeutung gewonnen. Sie beinhaltet

die Integration der Beiträge verschiedener Geber- und Durchführungsorganisationen in die

nationalen, sektoralen, regionalen oder Querschnittsprogramme der Partnerländer. Dazu zählen

auch programmorientierte Gemeinschaftsfinanzierungen (PGF). Laut Definition des BMZ be-

inhaltet PGF, sofern die Rahmenbedingungen gegeben sind, die gemeinschaftliche Unterstützung

von national entwickelten und verantworteten sektoralen, sektorübergreifenden oder makro-

ökonomischen Reformprogrammen des Partnerlandes durch mehrere Geber, die sich mit dem

Partner auf gemeinsame Ziele und harmonisierte Verfahren verständigen.23

Ob das Instrument PGF 24 in einem bestimmten Land zum Einsatz kommt, wird über sogenannte

Einstiegskriterien geprüft, die sich am Leitbild Good Governance und am aktualisierten BMZ-

Kriterienkatalog für die Bewertung der Entwicklungsorientierung der Partnerländer orientieren.

Als Prüfstein für die Entwicklungsorientierung von Regierungen wird dort explizit die Anerkennung

und Förderung der Frauenrechte als einer von drei Unterpunkten zum Thema Menschenrechte

aufgeführt. Hier kann die erste Verbindung zu FGM hergestellt werden: In Ländern mit hohen

Prävalenzen von FGM ist die Frage der Menschenrechtsorientierung und der Gleichstellung der

Geschlechter auch in Hinblick auf FGM zu beantworten. Im Rahmen des politischen Dialogs

verfügt die deutsche EZ über die Möglichkeit,Verschlechterungen der politischen Rahmenbe-

dingungen zu thematisieren und durch graduelles oder vollständiges Aussetzen von Zahlungen

auch zu sanktionieren.

PGF soll einen Beitrag zu den Millenniumszielen und den nationalen Armutsstrategien der Partner-

länder leisten. Hier gibt es Anknüpfungspunkte in den Ländern, in denen die Überwindung von

FGM Teil der nationalen Armutsstrategie ist. Aufgrund der Zusammenhänge zwischen der Über-

windung von FGM und den MDGs, lassen sich aber auch in anderen Ländern Verbindungen zu

FGM herstellen, beispielsweise über Indikatoren, die für die Überwindung von FGM relevant sind.

Weitere Zugänge bieten Sektorprogramme in Gesundheit und Bildung sowie Multi Donor Budget

Support Programme, die vornehmlich in sozialen Sektoren angesiedelt sind. Hier gilt es, FGM und

die Erfahrungen der deutschen EZ im Kampf gegen FGM in den sektorpolitischen Dialog ein-

zubringen.

In den Sektorprogrammen verfügt die deutsche EZ darüber hinaus in Ausnahmefällen über die

Möglichkeit, über den Mechanismus des sogenannten Earmarking Budgetmittel zweckgebunden

zur Verfügung zu stellen. Mit diesem Mechanismus könnten dann beispielsweise Mittel für den

gezielten Abbau von Geschlechterungleichheiten, für andere, für die Überwindung von FGM

relevante Bereiche (z. B. Gesundheit, Bildung) oder für gezielte Strategien zur Überwindung von

FGM, bereitgestellt werden.

30

Maßnahmen zurÜberwindung vonFGM im Rahmen der Förderung vonGood Governance

23 BMZ: Leitfaden zur Kennzeichnung von Vorhaben der Programmorientierten Gemeinschaftsfinanzierung (PGF). Bonn 2006, S. 1.

24 Das folgende Kapitel bezieht sich auf einen Entwurf des BMZ (Referat 220) des Positionspapiers „Konzept zur Programmorientierten

Gemeinschaftsfinanzierung (PGF)“ vom 10.11.2006.

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Im Kontext von PGF deckt die deutsche TZ insbesondere den erhöhten Bedarf an institutionellem

Capacity Development der Partnerländer. Im Rahmen der Beratung bei der Planung und

Umsetzung von PGF und der sektorfachlichen Beratung kommt das sektorfachliche Know-how

der deutschen TZ zum Tragen. Hier bietet sich die Möglichkeit, die Planung und Umsetzung von

PGF fachlich und methodisch zu begleiten, indem die deutsche TZ sektor- und armutsrelevante

Themen einbringt – in Hochprävalenzländern beispielsweise FGM – und die Entwicklung

entsprechender Strategien unterstützt.

Wie zuvor für die klassische TZ im Bereich Good Governance beschrieben gilt auch hier: Eine

konsequente Umsetzung des Qualitätskriteriums der systematischen Genderorientierung würde

auch im Rahmen von PGF wertvolle indirekte Beiträge für die Überwindung von FGM leisten. Das

Gender Responsive Budgeting, also die geschlechterdifferenzierte Allokation öffentlicher Mittel,

kann im Rahmen von PGF wichtige Beiträge leisten. Über dieses Instrument können sowohl auf

der Ebene des nationalen als auch des kommunalen Finanzmanagements Rahmenbedingungen

unterstützt werden, die die Überwindung von FGM erleichtern.

Insgesamt muß jedoch deutlich gemacht werden, dass die Wirkungsketten der oben genannten

Beiträge, die im Rahmen von Programmorienterten Gemeinschaftsfinanzierungen für die

Überwindung von FGM geleistet werden könnten, sehr lang sind. In PGF integrierte Ansätze

zur Überwindung von FGM laufen ferner Gefahr, pauschale Antworten auf sehr heterogene

Ausgangssituationen zu geben. Auch hier ist es darum unabdingbar, die vorhandenen Erfahrungen

und Kenntnisse zielgruppennaher Ansätze in der Planung und Umsetzung von PGF zu berück-

sichtigen.

31

Page 32: Good Governance und weibliche Genitalverstümmelung · MDGs NRO PGF PRSP TZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Deutscher Entwicklungsdienst Schweizer

Fazit

„FGM ist nicht Kultur. FGM ist Folter“ - so Waris Dirie, somalisches Ex-Model und UN-Sonder-

botschafterin für FGM, die im Alter von fünf Jahren selbst die Qualen des Rituals erlebte.25

Plastischer können die unterschiedlichen Sichtweisen auf FGM kaum beschrieben werden.

Die klare Botschaft, die in dieser Aussage liegt, ist für die Öffentlichkeitsarbeit außerhalb Afrikas

sinnvoll. Für die Zusammenarbeit mit afrikanischen Partnerländern muss jedoch beides gelten:

FGM ist Kultur und Menschenrechtsverletzung.

Erfolgreiche Ansätze zur Überwindung von FGM greifen beide Sichtweisen auf und nehmen auch

den Staat in die Verantwortung, um Rahmenbedingungen zu schaffen, die es Gemeinschaften

ermöglichen, kollektiv eine kulturelle Praktik aufzugeben, die die Menschenrechte von Frauen

und Mädchen eklatant verletzt.

Ist FGM eher die Folge von Imitation und Bildungsmangel als von tiefer Verankerung in Identität

oder religiös-kulturellem Empfinden, können reine Bildungs- und Aufklärungsmaßnahmen greifen.

Ist FGM jedoch Teil von Identität und Kultur, so bleiben solche Maßnahmen meist wirkungslos.

Moderne Vorhaben zur Überwindung von FGM folgen darum ganzheitlichen Herangehensweisen,

die bis zur Ebene der Kommune auch Themen von Good Governance bearbeiten. Die Wirkungen

von Ansätzen, die bei der Überwindung von FGM über das Thema Gesundheit einsteigen und ihre

späteren Empowerment-Maßnahmen auf rechtliche Selbstbestimmung von Mädchen und Frauen

zuspitzen, sind beachtlich.

Dennoch arbeiten Ansätze zur Überwindung von FGM selten auf der Ebene der politischen

Rahmenbedingungen und nur vereinzelt auf nationaler Ebene, auch wenn sie sich gerne auf das

Argument der Menschenrechte berufen. Für eine nachhaltige Überwindung der Praktik ist es

jedoch dringend geboten, politische Spielräume zu erschließen und die Rahmenbedingungen für

sensible gesellschaftliche Transformationsprozesse zu schaffen.

32

25 Waris Dirie: Schmerzenskinder. Berlin 2004, S.17.

Page 33: Good Governance und weibliche Genitalverstümmelung · MDGs NRO PGF PRSP TZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Deutscher Entwicklungsdienst Schweizer

Die Verknüpfung von Good Governance und FGM, sei es im Rahmen von bilateralen Vorhaben der

TZ oder im Rahmen von programmorientierter EZ, ergibt vor allem dann einen Mehrwert, wenn

folgende Empfehlungen beachtet werden:

Good Governance-Vorhaben auf nationaler Ebene sollten ihre Kompetenz bei der Reform

institutioneller Rahmenbedingungen, ihren Zugang zu politischen Entscheidungsträger/-

innen und die gute Breitenwirksamkeit ihrer Ansätze nutzen, um strategische Beiträge für

die Überwindung von Traditionen und Praktiken, die den Idealen von Good Governance

entgegen stehen, zu leisten.

Good Governance-Vorhaben sollten ihr Potenzial für die Förderung der Gleichberechtigung

der Geschlechter besser nutzen, um so indirekte Beiträge für die Überwindung der Praktik zu

leisten.

Der Mehrebenenansatz der deutschen EZ sollte für die Überwindung von FGM in Wert gesetzt

und die Förderung von Good Governance auf formal-staatlicher nationaler Ebene mit Ansätzen

auf regionaler und zielgruppennaher lokaler Ebene verknüpft werden.

Good Governance-Vorhaben sollten auf historisch gewachsene, informelle und meist lokal

geltende gesellschaftliche Governance-Strukturen und Normen, die maßgeblich für das

Fortbestehen von FGM sind, einwirken.

Die außergewöhnlichen Erfahrungen und Kenntnisse von (zum Teil bereits abgeschlossenen)

Frauenrechtsprojekten der deutschen TZ in Afrika im Umgang mit Institutionspluralismus und

Widersprüchen zwischen Rechtsanspruch und Rechtswirklichkeit sollten für die Überwindung

von FGM genutzt werden.

Ansätze zur Überwindung von FGM sollten ihre politischen Spielräume und ihre Wirkungen

auf die politischen Rahmenbedingungen erweitern, indem sie lokale Erfahrungen in institu-

tionelle Reformen und nationale Politik (Armutsstrategien, Sektorstrategien) einfließen lassen.

Im Rahmen von programmorientierter EZ sollten in Ländern mit hohen Prävalenzen die

Möglichkeiten zur Überwindung von FGM genutzt werden (Indikatoren, Earmarking, sektor-

politischer Dialog, sektorfachliche Beratung zu FGM,Genderorientierung,Gender Responsive

Budgeting) und die vorhandenen Erfahrungen und Kenntnisse zielgruppennaher Ansätze in

der Planung und Umsetzung von PGF berücksichtigt werden.

Welch ein Gewinn für die Überwindung von weiblicher Genitalverstümmelung wäre es,

Erfahrungen und Kompetenzen aus verschiedenen Sektoren zusammenzubringen: Auf der einen

Seite Fachkompetenz, tiefengenaues Arbeiten und Sensibilität für Gender der Anti-FGM-Ansätze in

den Sektoren Gesundheit und Bildung, auf der anderen Seite die Kompetenz in der Institutionen-

beratung, der Zugang zu politischen Entscheidungsträger/-innen, die Breitenwirkung und das

Potenzial für eine geschlechtergerechte Ausgestaltung politischer Rahmenbedingungen expliziter

Good Governance-Vorhaben.

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Anhang: Übersicht über FGM-Prävalenzenund Gesetzgebung in ausgewähltenafrikanischenLändern

Land

Ägypten

Äthiopien

Benin

Burkina Faso

Elfenbeinküste

Eritrea

Ghana

Guinea

Jemen

Kenia

Mali

Mauretanien

Niger

Nigeria

Sudan (Nord)

Tansania

Tschad

Zentralafrikanische Republik

Prävalenzrate1

97%

80%

17%

72%

45%

89%

5%2

99%

23%

38%

92%

71%

5%

25%

89%

18%

45%2

43%

Anti-FGM Gesetze vorhanden2

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x

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x

1ORC Marco 2004, 2UNICEF 2005,

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Bibliographie

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BMZ: Profilbildung der bilateralen EZ mit Sub-Sahara-Afrika in den Bereichen Good

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BMZ: Leitfaden zur Kennzeichnung von Vorhaben der Programmorientierten

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GTZ: Gender und Governance (CD-Rom). Eschborn 2005.

GTZ: Gender Equality and Islam. Promoting Women's Human Rights through Religion.

Eschborn 2005.

GTZ: Factsheet Weibliche Genitalverstümmelung und Islam. Eschborn 2005.

GTZ: Good Governance und Demokratieförderung zwischen Anspruch und Wirklichkeit -

Ein Diskussionspapier. Eschborn 2004.

GTZ: Mitgestaltung politischer Rahmenbedingungen in der Technischen Zusammenarbeit

Ein Fortbildungskonzept. Eschborn 2004.

GTZ: Governance Questionnaire - Ein Instrument zur Analyse von Politischen

Rahmenbedingungen. Eschborn 2004.

GTZ: Addressing Female Genital Mutilation. Challenges and Perspectives for Health

Programmes. Part I: Select Approaches. Eschborn 2003.

GTZ: Dezentralisierung: Hinweise zur Gender-Orientierung. Eschborn 2001.

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ORC Marco: Comparative Reports No. 7. Female Genital Cutting in the Demographic and

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Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH

Dag-Hammarskjöld-Weg 1-565726 EschbornT +49 61 96 79-0F +49 61 96 79-11 15E [email protected] www.gtz.de