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Graf von Zinzendorf im Ysenburger Land Am 9.Mai vor 250 Jahren starb Zinzendorf .Er lebte von 1700 bis 1760. Zinzendorf war Reichsgraf. Reichsgrafen gab es bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahr 1806 .Nicht alle Reichsgrafen gehörten zum höchsten europäischen Adel , der unmittelbar dem Kaiser unterstand , denn Reichsgraf durfte sich auch nennen, wer den blossen Ehrentitel Reichsgraf direkt vom römisch-deutschen Kaiser verliehen bekommen oder indirekt im Rahmen der Erbfolge erlangt hatte .Zur letztgenannten Gruppe gehörte Nikolaus Ludwig von Zinzendorf als Sohn eines begüterten sächsischen Ministers, der vom Kaiser zum Reichsgrafen erhoben worden war. Von Zinzendorf entstammte einer vom Pietismus geprägten Familie. Sein Vater starb früh. Seine Mutter ging eine neue Ehe ein. Bis zu seinem 10.Lebensjahr leitete Zinzendorfs Grossmutter Henriette Katharina von Gersdorf aus Grosshennersdorf in der Oberlausitz die Erziehung des Enkels , dann legte sie seine weitere schulische Ausbildung in die Hände August Hermann Franckes, des Leiters der von ihm gegründeten pietistischen pädagogischen und sozialen Anstalten in Halle, die unter dem Namen Waisenhaus ein Begriff waren. Von 1716 bis 1720 befasste Zinzendorf sich mit dem Studium der Rechte , nebenher auch etwas mit dem der Theologie. 1721 wurde er Dresdener Hofrat in Diensten Augusts des Starken (1670-1733) .1722 heiratete er Erdmuthe Dorothea Gräfin Reuss-Ebersdorf. Im gleichen Jahr erwarb er von seiner Grossmutter das in Ostsachsen, der Oberlausitz ,gelegene Rittergut Mittelberthelsdorf. Dort begann 1722 die Entstehung von Herrnhut mit der Ansiedlung evangelischer Flüchtlinge aus Mähren ( von

Graf von Zinzendorf im Ysenburger Land - niddataler-notizen.de fuer VfH- Homep. ) Kopie 2.pdf · auf einer Synode in London, wurde Jesus selbst, wohl durch das Los,als Generalältester

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Graf von Zinzendorf im Ysenburger Land

Am 9.Mai vor 250 Jahren starb Zinzendorf .Er lebte von 1700 bis 1760. Zinzendorf war Reichsgraf.  Reichsgrafen gab es  bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahr 1806 .Nicht alle Reichsgrafen  gehörten zum höchsten europäischen Adel , der unmittelbar dem Kaiser unterstand , denn Reichsgraf durfte sich auch nennen, wer den blossen Ehrentitel Reichsgraf direkt  vom römisch-deutschen Kaiser verliehen bekommen oder indirekt im Rahmen der Erbfolge erlangt hatte .Zur letztgenannten  Gruppe gehörte  Nikolaus Ludwig von Zinzendorf als Sohn eines begüterten sächsischen Ministers, der vom Kaiser zum Reichsgrafen erhoben worden war. Von Zinzendorf entstammte einer vom Pietismus geprägten Familie. Sein Vater starb früh. Seine Mutter ging eine neue Ehe ein. Bis zu seinem 10.Lebensjahr leitete Zinzendorfs Grossmutter Henriette Katharina von Gersdorf aus Grosshennersdorf in der Oberlausitz die Erziehung des Enkels , dann legte sie seine weitere schulische Ausbildung in die Hände August Hermann Franckes, des Leiters der von ihm gegründeten pietistischen pädagogischen und sozialen Anstalten in Halle, die unter dem Namen Waisenhaus ein Begriff waren. Von 1716 bis 1720 befasste Zinzendorf sich mit dem Studium der Rechte , nebenher auch etwas mit dem der Theologie. 1721 wurde er Dresdener Hofrat in Diensten Augusts des Starken (1670-1733) .1722 heiratete er Erdmuthe Dorothea Gräfin Reuss-Ebersdorf. Im gleichen Jahr erwarb er von seiner Grossmutter das in Ostsachsen, der Oberlausitz ,gelegene Rittergut Mittelberthelsdorf.

Dort begann 1722 die Entstehung von Herrnhut mit der Ansiedlung evangelischer Flüchtlinge aus Mähren ( von

Mähren, Morawien,wird im englisch-amerikanischen Sprachraum der Name "Moravian Settlements" für die Herrnhuter Gemeinen abgeleitet) ; es kamen zu den Flüchtlingen aus Mähren noch aus Schlesien stammende ebenfalls verfolgte Pietisten ,vor allem Schwenkfeldianer, hinzu. Der Name Herrnhut bedeutet "in der Hut des Herrn". Herrnhut wurde zu einem Zentrum der Heidenmission. Die Mission war bereits früh Hauptanliegen Zinzendorfs, der schon als 15-jähriger einen "Senfkornorden" gem.Matth.13,31u.32 ( Das Himmelreich ist gleich einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und säte es auf seinen Acker; welches ist das kleinste unter allem Samen; wenn er erwächst, so ist es das größte unter dem Kohl und wird ein Baum, daß die Vögel unter dem Himmel kommen und wohnen unter seinen Zweigen.) zusammen mit Friedrich von Watteville, gründete,mit dem Ziel,nicht nur Christus treu und zu allen Menschen gut zu sein , sondern auch das Evangelium in der Welt zu verbreiten.Tatsächlich vollbringt seit ihrem Bestehen die Herrnhuter Brüdergemeine Missionsleistungen, die diejenigen aller anderen Missionswerke weltweit in den Schatten stellen

Verbreitet ist die Brüder-Unität mit etwa einer Million Mitgliedern jetzt ausser in Deutschland vor allem in Afrika (Kongo,Malawi,Sambia) Albanien, Estland,Lettland,der Schweiz, den Niederlanden,Dänemark (Christiansfeld). der Karibik (Kuba,Französisch -Guayana,Honduras) in Nepal, Nordamerika (Pennsylvania,Bethlehem),North-Carolina (Winston-Salem), Suriname ,Palästina.

1727 trat der Graf aus dem Staatsdienst aus, 1731 versuchte er vergeblich,am dänischen Hof Fuss zu fassen.Einen Orden, der ihm vom dänischen König verliehen worden war, gab er später zurück, weil der König in

Zinzendorfs geistlichen Stand nicht einzuwilligen bereit war.1734 wurde er Kandidat des Predigtamtes in Stralsund und in Tübingen als lutherischer Theologe ordiniert. 1737 schloss sich in Berlin seine Ordination zum Bischof der Mährischen Brüdergemeinde an . Schon vorher kurzfristig, dann aber länger, von 1736 bis 1747 ,war Zinzendorf durch den sächsischen Kurfürsten (erst 1806 stieg das Kurfürstentum zum Königreich auf) wegen "Unordnungen und Religionsstörungen" aus Sachsen verbannt. Einerseits hatte die Staatskirche, die sich von Zinzendorfs Bewegung gestört fühlte, auf eine Verbannung hingearbeitet, andererseits hatte Kaiser Karl VI in einer eigenhändig abgezeichneten Beschwerde an die kursächsische Regierung ,weil ihm in seiner Eigenschaft als König von Böhmen Untertanen entfremdet würden, mit Nachdruck die Ausweisung der Herrnhuter Flüchtlinge gefordert.Neuerungen,die der Pietismus mit sich gebracht hatte, waren aus der Sicht der Pietisten die Betonung praktischen Christentums , Askese, sowie der Kampf gegen die Lähmung des religiösen Bewusstseins der Orthodoxie. Aus der Sicht der in Sachsen etablierten Kirche war die Bekehrungswut der Pietisten zu beanstanden, das Streben nach einer universalistisch-christlichen Kirche, also Separatismus, eine krankhafte Überspanntheit, Exzentrik. Als ausgesprochen exzentrisch wurden zur Herrnhaag-Zeit vor allem ausgelassene lustige Festlichkeiten ,sogenannte Niedlichkeiten, empfunden, deren Ausrichtung "Schätzelgesellschaften" oblag .Diese "Niedlichkeiten" wurden mit Leichtsinnigkeit gleichgesetzt . Es kam zu zahlreichen Warnungen, die ärgsten Auswüchse wurden zu guter Letzt von Zinzendorf beseitigt , der, weil er immer wieder lange auf Missionsreisen unterwegs war, erst spät , dann aber energisch, mit einem geharnischten Strafbrief, eingriff . Danach trat eine Läuterung der Religionsausübung

der Brüdergemeine ein.

Bis heute setzen die Herrnhuter Pietisten auf Erweckung, also persönliche Gotteserfahrung des einzelnen Gläubigen ,pflegen gemeinsames Bibelstudium und Gebet und gehen grundsätzlich von Irrtumsfreiheit der Bibel sowie dem Priestertum aller Gläubigen aus.Es gibt Diakone, Presbyter und Bischöfe. Die Bischöfe sind blosse Titularbischöfe, über kirchliche Vollmachten verfügen die Unitäts-Ältesten . Besonderheit : am 16.September 1741, auf einer Synode in London, wurde Jesus selbst, wohl durch das Los,als Generalältester der Herrnhuter angenommen. Die Herrnhuter kennen auch die Frauenordination. Angelene Harriet Swart wurde 2007 zur Präsidentin der aus einer innerkirchlichen Erneuerungsbewegung hervorgegangenen Evangelischen Freikirche gewählt .Freikirchen lehnen eine Finanzierung durch die Kirchensteuer ab und finanzieren sich durch freiwilige Beiträge und Spenden .

Im Herrnhuter Gottesdienst , der zusätzlich zu den in allen evangelischen Kirchen üblichen Aktivitäten an Festtagenspezielle "Agapefeiern" kennt, wird die Gemeinschaftsidee besonders unterstrichen. Eine Agapefeier ist ein „Liebesmahl“. Dabei wird in einem liturgischen Rahmen Tee getrunken und es werden Brötchen gegessen .Von den Herrnhutern werden ausser Predigtgottesdiensten auch Liedgottedienste gefeiert .Bei der sogenannten „Singstunde“ , trifft sich die Gemeinde zu einer Wochenschlussandacht , um Lieder gemeinsam zu singen . Auch Liedstrophen können nach Meinung der Herrnhuter

predigen ; man geht davon aus, dass mit dem gemeinsamen Singen die Gemeinde unter Mitwirkung aller anwesenden Mitglieder gewissermassen ihre Predigt selbst hält .

Es gibt verschiedene Spielarten des Pietismus, eine davon, die lutherische, der Zinzendorf angehörte, wurde von Philipp Jacob Spener begründet (1635-1705). Spener war einer der Taufpaten von Zinzendorfs (so Glaubrecht ,Zinzendorf in der Wetterau,1925,S. 21.Glaubrecht war das Synonym für den Pfarrer und Schriftsteller Rudolf Oeser aus LIndheim , 1807-1859).

Der junge Goethe nahm 1769 ,zusammen mit einem befreundeten Pietisten, J.F.Morgenstern,an der Herrnhuter Synode teil , der letzten ,die in Marienborn stattfand.

Marienborn zur Goethezeit, Maler unbekannt

Hofgut Marienborn heute , das Schloss ist verschwunden

Alexander Demandt erwähnt diese Marienborn-Begebenheit in seinem Aufsatz "Geschichte im Leben Goethes", in den Büdinger Geschichtsblättern Band XX, 2007/08, S.29.Goethe war von der Synode beeindruckt und wäre wohl beinahe zum Anhänger geworden. Jedenfalls wirkte das Herrnhuter Religionsverständnis ,über das er besonders oft mit einem pietistischen Freund ,Ernst Theodor Langer, sowie der von ihm "schöne Seele", genannten Pietistin Susanna Katharina von Klettenberg, diskutierte , noch lange in ihm nach. Goethe lässt Im 6.Buch seines Werkes "Wilhelm Meisters Lehrjahre" wiederholt sein Interesse am Herrnhuter Pietismus durchblicken.Als der Weisheit letzten Schluss sah er den Pietismus aber nicht an , denn in späteren Jahren fühlte er sich weitaus mehr als zum Pietismus zum Neuplatonismus Plotins hingezogen,

demzufolge sich die Seele des Menschen durch Ekstase und Visionen mit dem Ursprung, dem Allwesen, vereinigen könne.

Zinzendorf regelte akribisch die Kopfbedeckung der weiblichen Gläubigen : es wurden zum Beispiel weisse Hauben für die Witwen, Frauen, Jungfrauen und Mädchen vorgeschrieben , unterschieden durch die Farben der Bänder (weiss, blau, rosa, rot ).

Er räumte aber , ungewöhnlich für die damalige Zeit, den Frauen eine starke Stellung ein.Es gab -grundsätzlich

durch das Los als eine Art von Gottesurteil bestimmte - Ämter wie das der Ältestin, der Helferin,der Lehrerin,der Aufseherin, der Ermahnerin, der Dienerin,der Almosenpflegerin, der Krankenwärterin. Zinzendorf redete übrigens , als erster, von der dritten Wesenheit Gottes, dem heiligen Geist, als "Geistin" .Die Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist sah Zinzendorf als göttliche Familie von Vater, Sohn und Mutter, so dass die Vorstellung von einem Mutteramt des Heiligen Geistes eine wesentliche Rolle für ihn spielte .Er kämpfte vehement gegen Judenhass. Zinzendorf dichtete die - im Lauf der Zeit allerdings durch Dritte stark veränderten- Texte zu etwa 2000 Kirchenliedern. Einige dieser Lieder werden heute noch gesungen (zum Beispiel "Herz und Herz vereint zusammen", "Jesu geh voran", "Herr,Dein Wort, die edle Gabe") .Dass Zinzendorfs Lieder und seine sonstige Lyrik intensiv bearbeitet wurden, liegt daran, dass sie sehr bald als zensurbedürftig erkannt wurden , sei es wegen einer allzu überschwenglichen Jesus-Verehrung („Jesu, süße Lust/ aus der Liebes-Brust;/ nimm mich ein in deine Stille./ Ein Genuss aus deiner Fülle/ macht mich seliger/ als ein Wollust-Meer“ ) oder wegen des besonders bei den bereits erwähnten "Niedlichkeiten" im Mittelpunkt stehenden "Seitenhöhlchen" -Kults (der religiösen Verehrung der Lanzenstich-Wunde Jesu).

1728 schuf Zinzendorf die Herrnhuter Losungen, die für jeden Tag ein Wort aus dem Alten und dem Neuen Testament nebst einem Lied-Vers oder einem Gebet bringen und Menschen verschiedener Konfessionen und verschiedenen Frömmigkeitsgrades verbinden. Die Losungen werden jährlich in Herrnhut durch Auslosungfestgelegt.

Überhaupt suchte Zinzendorf die Gemeinschaft .Seine These war:"Ich statuiere kein Christentum ohne Gemeinschaft".Er wollte alle Christen ansprechen, nicht nur solche evangelischen Bekenntnisses, strebte im Grunde eine universelle Religion an . Zu einer wahren Gemeine Jesu gehörte nach seiner Überzeugung die Suche nach der Gemeinschaft mit den anderen Kindern Gottes (Reichel in "wir geben alles hin, nur eines nicht, die Gemeine-Das Selbstverständnis der Herrnhuter Gemeine auf dem Herrnhaag im 18.Jahrhundert, Büdinger Geschichsblätter Band XIII,1988,250 Jahre Herrnhaag, S.12.)Noch heute sind die Losungen Bestseller . Auf dem Grabstein Zinzendorfs in Herrnhut steht:

»Er war gesetzt, Frucht zu bringen und eine Frucht, die da bleibet«.

1738 verlegte der aus Sachsen ausgewiesene Zinzendorf seine Tätigkeit in die Wetterau, zur Ronneburg ,

Ronneburg

nach Schloss Marienborn (wo zahlreiche Synoden stattfanden, auch noch , bis 1769 ,nach der Auflösung der Herrnhaager Gemeine, und wo ein später nach Herrnhut verlegtes zentrales Archiv geschaffen wurde),nach

Lindheim , jetzt Stadtteil von Altenstadt ( das dortige Schloss , in dem vor allem Seminare stattfanden,

Lindheim mit Schlosswurde 1929 durch einen Brand total zerstört. Dabei wurde auch die Urne mit der Asche Sacher-Masochs vernichtet. Es steht innerhalb des Areals des ehemaligen Schlosses nur noch ein Landhaus, das letzter Wohnsitz von Sacher-Masoch war und seit Generationen von Familie Demandt bewohnt wird, ferner der Hexenturm ).

Lindheimer Hexenturm

In Lindheim lebte der Pfarrer und Volksschriftsteller Oeser-Glaubrecht .

Auch in Leustadt kamen, vor allem während der Hernhaager Bauarbeiten , Brüdergemeine - Mitglieder unter

Leustadt

Schliesslich konnte die Brüdergemeine die Herrnhaag-Häuser beziehen

Herrnhaag vor 1835, Pinselzeichnung auf Papier aus derGraphiksammlung des Hessischen Landesmuseums Darmstadt

Herrnhaag , Foto aus dem Jahr 2010 Links das Schwesternhaus der Brüdergemeine,rechts die Lichtenburg (das Grafenhaus).Im Grafenhauswohnte von Zinzendorf, der Bet-und Versammlungs-Saal(das Jüngerhaus) nimmt den 1.und 2.Stock des Grafenhauses ein . Rechts unterhalb der Gebäude : Modell des Brunnenhauses.

Eine der in den Boden des Brüdergemeine-Friedhofs eingelassenen Grabplatten

Auf dem Friedhof, von dem nur noch ein Rest erhalten geblieben ist, fanden laut einer der gusseisernen Platten am würfelförmigen Grab-Denkmal 429 Gemeine-Mitglieder ihre letzte Ruhestätte, darunter Heinrich Graf Reuss-Ebersdorf ,ein Schwager des Grafen, drei Kinder des Grafen, drei Negerkinder, zwei Negerinnen,ein Armenier,eine Perserin. Ein Bericht über eine Reise in die Wetterau im Jahre 1870, verfasst von Heinrich Adolph Müller,Lehrer der Brüdergemeine aus Neuwied,(Büdinger Geschichtsblätter Bd. XIII ,S.65 ff ,"Die Wetterau")schildert neben Stationen in Hanau, Lindheim und Büdingen eingehend einen Besuch des Herrnhaager Friedhofs, aber auch eine Besichtigung des Schlosses Marienborn. Das 1673 erbaute Schloss stand seit 1750 leer, wurde im Laufe der langen unbewohnten Zeit baufällig und 1889 abgerissen. Zum Zeitpunkt der Reise Müllers war es also, wenn auch in schlechtem baulichem Zustand, noch

vorhanden. Müller berichtet, dass er mit seinen Begleitern über die immer noch bequemen, obwohl von manchem Schutt und herabgefallenem Kalk bedeckten Treppen und durch die weiten langen Gänge .geschritten sei . Der Sitzungssaal jener vielen Synoden sei kaum noch mit Bestimmtheit auszumachen gewesen .Schliesslich sei man noch zu dem Türmchen auf dem Schloss emporgestiegen , von dem einst die Glocke zu den Versammlungen erklang und die blaue Flagge mit dem Lamm und der Siegesfahne wehte. Müller bezeichnet in seinem Reisebericht den Herrnhaag als Trümmerstätte. Es stünden nur noch ,im Ganzen gut erhalten, zwei Gebäude, das Schwesternhaus und die Lichtenburg .Bei Oeser a.a.O, Seite 265, findet sich eine beeindruckende Schilderung eines österlichen Friedhofsbesuches : man sei schweigend aus dem Betsaal getreten , die Gemeinde habe sich in Zügen geordnet.Voran seien die Brüder gegangen,ihnen seien die Schwestern gefolgt, in langem feierlichem Zuge, und eine unabsehbare Menge Fremder habe sich angeschlossen. Feierlich sei durch die Morgendämmerung das Blasen der Posaunen gehallt. Man habe den Gottesacker betreten, der Zug habe einen weiten Kreis um die festlich geschmückten Gräber der im letzten Jahr Gestorbenen gebildet.Die Namen der Entschlafenen seien verlesen worden . Mit dem Blick auf die Gräber habe die Gemeinde in lautloser Stille eine Weile der Verstorbenen gedacht .Dann ,als der erste Strahl der Ostersonne auf die Gräber fiel und die Tautropfen auf den Blumenkränzen zum Schimmern brachte, habe der Glaube Auferstehung gefeiert ,und die zum Morgenhimmel emporsteigenden Lerchen mit ihrem Gesang seien der Gemeinde Boten des eigenen vollen Herzens gewesen.

Herrnhaag ist die erste planmäßig angelegte Herrnhuter

Siedlung und wurde zum Modell für viele Brüdergemeine-Gründungen in Europa und in Übersee.Die ursprüngliche Gemeine in Herrnhut war noch nicht das Ergebnis einer einheitlichen speziellen Planung, sondern wurde in eine bereits bestehende Ansiedlung integriert . Herrnhaag und alle späteren Herrnhut-Siedlungen wurden demgegenüber so angelegt, dass ihre Errichtung getrennt von bereits bestehenden Ortschaften oder Siedlungen stattfand. Es herrschte mithin ein Separations-Grundsatz. Architekt war in Herrnhag der Dresdner Hofarchitekt Siegmund August von Gersdorf , der sozusagen "sächsischen Barock" in die Wetterau brachte. Zu den erhaltenen Resten der Herrnhaager Siedlung gehört der gewaltige, Raum für 600 Menschen bietende Betsaal ,ein Kleinod kirchlicher Baugeschichte in der Wetterau . Herrnhaag war in seiner Planung so angelegt, dass sich die Häuser um einen quadratischen Platz gruppierten,in dessen Mitte sich ein Brunnenhaus mit Glockenspiel befand. Aus 38 Metern Tiefe wurde das geschöpfte Wasser durch Bleiröhren in die Häuser geleitet. Der Platz wurde in das gottesdienstliche Geschehen bei jeder passenden Gelegenheit mit einbezogen. In der Zeit des Absolutismus wurden mit Vorliebe Bauten aufgeführt, die als Symbole der Größe ,Bedeutung , Macht des Auftraggebers , beispielsweise eines Landesherrn, gedacht waren . Alles überstrahlender Mittelpunkt war regelmässig ein Palast oder Schloss . In Herrnhaag gab es keinen solchen Prachtbau. Nicht einmal ein Kirchengebäude war zu sehen. Selbst der Bet- und Versammlungs-Saal war von aussen nicht zu erkennen. Zinzendorfs Planung war ,den Bedürfnissen der Brüdergemeine Rechnung tragend, rein funktionsbezogen . Grundvorstellung blieb stets , die baulichen Voraussetzungen für eine möglichst effiziente Religions-Ausübung der Gemeine und zugleich für ein

enges Miteinander der Gemeine-Mitglieder im alltäglichen Leben schaffen zu wollen ; nicht Herrschaft, sondern Gemeinschaft war Zinzendorfs Ziel. Dabei wurden damals weit verbreitete Standesschranken überwunden.Zinzendorf selbst sah sich als Bruder unter Brüdern und Schwestern.

Zinzendorf sorgte dafür, dass kein Mitglied der Brüdergemeine allein leben musste. Es gab Häuser für Familien, aber auch Gemeinschafts-Häuser (Chor-Häuser) für alle, die keine Familie hatten (Chorhäuser der ledigen Brüder,der ledigen Schwestern, der Witwen ).Vorläufer der Chöre waren sogenannte Banden, zahlreiche kleine brüderliche Gemeinschaften, in denen in voller Offenheit über alles gesprochen wurde, was die Gemeine-Mitglieder bewegte, und in denen Glaubenserfahrungen ausgetauscht wurden.

Nach dem Tod von Graf Ernst Casimir von Ysenburg-Büdingen im Jahr 1749 kam es zum Zerwürfnis mit dem Grafenhaus, das eine Huldigung, einen Untertanen-Eid verlangte, um die wirtschaftlich erfolgreiche Gemeine enger an Büdingen zu binden. Die Herrnhuter Siedlung wurde von dem gräflichen Kanzleidirektor Christoph Friedrich Brauer , der im Auftrag des Landesherrn den Unterwerfungs-Versuch mit grossem Eifer vorantrieb, zu Unrecht als "Staat im Staat" , als Bedrohung für die Macht des Büdinger Grafen, angesehen. Brauer verlangte zusätzlich zur Huldigung noch eine Absage an Zinzendorf und seine Gemeine-Ordnung. Die Mitglieder der Brüdergemeine weigerten sich , und daraufhin wurde 1750 zum Schaden der Gemeine , aber ebenso des Fürsten, in einem Emigrationsedikt die Auflösung unter Setzung einer Frist von 3 Jahren verfügt. Die Gemeine ( mit 18 Häusern und etwa 1000 Mitgliedern ) bestand also nur 12 Jahre ,lässt

man die 3-jährige Auflösungs-Zeit ausser Betracht . In diesem kurzen Zeitraum gelangen den Hernhutern erstaunliche Missionsleistungen in aller Welt, und die Künstlerfamilie Röntgen in Herrnhaag brachte es zu Weltruhm. Im Band XIII der Büdinger Geschichtsblätterwird die Familie Röntgen gewürdigt (Gabriele Reber, ästhetischer Genuss und technische Raffinessen .Das Möbelangebot der Kunstschreiner Abraham und David Röntgen, S. 30 ff.Abgebildet sind beispielhaft ein Verwandlungstisch, zwei grosse Schreibschränke, zwei grosse Schreibtische).Die Herrnhuter waren nicht die einzige besondere Religionsgemeinschaft, die sich im Büdinger Land betätigte. Vor allen die "Inspirierten" machten von sich reden. deren bekanntester Vertreter Johann Friedrich Rock (1678-1749) war. Matthias Graf befasst sich unter dem Titel "denn es brennet zu Zeiten eine Liebes-Flamme in mir, die mich nicht schweigen lässt" mit Rock und den Inspirierten (Büdinger Geschichtsblätter , Jubiläumsausgabe Band XIX , 2006, S.223 ff.).Rock war dem Grafen feindlich gesonnen .Oeser-Glaubrecht liess Rock in seinem Zinzendorf-Roman (Seite 209) recht abfällige Worte finden: im Schloss sitze eine Rotte,Wölfe in Schafskleidern, die Rocks Schafen Tag für Tag nachstelle. Im Schloss finde man Fleischeslust,Gesang, Lustbarkeit,Wohlleben und Hoffahrt . Da sei zu sehen, wie die Herrnhuter ihre Kuppeleien hätten , wie sie Weibsleute aus aller Herrn Länder zusammenlocken ,in die Chöre stecken und Hals über Kopf durch`s Los zusammenschmeissen würden .Die reichen Goldvögel aus Holland würden angelockt und dazu gebracht, ihre Beutel aufzutun und das Geld zu Tausenden herzugeben .

Zinzendorfs engste Vertraute waren Friedrich von

Watteville , Christian David,David Nitschmann, Ludwig Karl von Schrautenbach, August Gottlieb Spangenberg (der nach Zinzendorfs Tod dessen Nachfolger wurde), und , siehe nächsten Absatz, Anna Nitschmann .

1747 wurde Zinzendorfs Oberlausitzer Verbannung aufgehoben, er durfte nach Herrnhut zurückkehren, verlegte seinen Wohnsitz aber schon bald bis 1755 nach London.1756 starb seine Frau, die ihm 12 Kinder geboren hatte; nur 4 davon kamen über erste Kindheitsjahre hinaus. 1757 willigte Anna Nitschmann , wichtigste Mitarbeiterin Zinzendorfs, in die Ehe mit ihm ein. Drei Jahre später starb sie, nur zwei Wochen nach dem Tod ihres Mannes. Beide wurden neben Erdmuthe Dorothea von Zinzendorf auf dem Hutberg in Herrnhut beigesetzt.

Zum Zeitpunkt des Todes Zinzendorfs waren Mitglieder seiner Brüdergemeine an 28 Orten weltweit missionarisch tätig.

Nach dem Büdinger Ausweisungsedikt von 1750 verteilten sich die Gemeine-Mitglieder auf andere Brüdersiedlungen in Europa und Amerika . Band 13 der Büdinger Geschichtsblätter ,S.44 ff ,Dieter Krieg, "Abwanderung des welschen Häufleins auf dem Herrnhaag nach Neuwied am Rhein " und S.50 ff., "Paul Peucker," Der Weg der Herrnhaager Auswanderer nach Zeist" befasst sich mit Abwanderungsbewegungen innerhalb von Deutschland und nach den Niederlanden.

Die Herrnhuter Brüdergemeine ist der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) angegliedert. Der amerikanische Zweig der Herrnhuter, die Moravian Church, ist Vollmitglied der National Council of Churches of Christ und steht seit

2001 in voller Kanzels- und Abendmahlsgemeinschaft mit der Evangelischen Lutherischen Kirche Amerikas (ELCA) und führt zur Zeit Gespräche mit der Amerikanischen Anglikanerkirche, die zur vollen Kanzels- und Abendmahlsgemeinschaft führen sollen.

Über google books gelangt man zu drei lesenswerten Buch-Digitalisierungen:

"Neue Aspekte der Zinzendorf-Foschung, herausgegeben von Martin Brecht und Paul Peucker.

"Der Graf von Zinzendorf und die Brüdergemeine seiner Zeit" von Ludwig Carl v. Schrautenbach,

"Des grafen nicolaus von Zinzendorf leben und charakter"von August Gottlieb Spangenberg

Weiterhin empfehlenswerte nicht digitalisierte Bücher sind : Mainzer Studien zur Neueren Geschichte 18"Herrnhuter in Hessen" von Matthias Graf, ISBN 3-631-54560-6

Glaubrecht ,Zinzendorf in der Wetterau,1925 (antiquarisch ,zum Beispiel über ZVAB, noch zu bekommen)

E.Demandt, Nikolaus von Zinzendorf, Von Herrnhutzum Herrnhaag, 1700 - 1760 1.Aufl 2007 (über die Altenstädter Gesellschaft für Geschichte und Kultur zu erhalten) .

Graf Zinzendorf

VfH-Vorstandsmitglied Riescher, Cicerone,stellte den Herrnhaag in seinen "Wetterauer Lebenszeichen" mittels einer Collage vor (siehe gesondert wiedergegebenes Blatt)