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Grenze und Grenzüberschreitung im Mittelalter 11. Symposium des Mediävistenverbandes vom 14. bis 17. März 2005 in Frankfurt an der Oder Herausgegeben von Ulrich Knefelkamp und Kristian Bosselmann-Cyran Akademie Verlag

Grenze und Grenzüberschreitung im Mittelalter · 2012. 3. 28. · Suffolk 1980; Corina Nicolescu, Istoria costumuluide curie in T rile Romane. Secolele XIV-XVIII. Bukarest 1970 (Zusam-

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Grenze und Grenzüberschreitung im Mittelalter

11. Symposium des Mediävistenverbandes

vom 14. bis 17. März 2005 in Frankfurt an der Oder

Herausgegeben von Ulrich Knefelkamp und Kristian Bosselmann-Cyran

Akademie Verlag

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KIRSTEN O. FRIELING

Zwischen Abgrenzung und Einbindung: Kleidermoden im Reichsfürstenstand des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts*

Als Sybilla von Brandenburg, die Tochter des berühmten Markgrafen Albrecht Achilles von Brandenburg, im Jahre 1481 mit Herzog Wilhelm IV. von Jülich-Berg vermählt werden sollte, kam es während der Hochzeitsvorbereitungen zu einer Debatte um die Kleidung der Braut. Der Bräutigam und der Brautvater gerieten über die Frage aneinan- der, wo und wie die Kleidung der Braut gefertigt werden sollte. Wilhelm beabsichtigte, einen Schneider vom Rhein an den Ansbacher Hof zu senden, damit dieser vor Ort für Sybilla Kleider nach rheinischer Art nähen könne. Daß Albrecht von Brandenburg von diesem Angebot offenbar nicht besonders angetan war, geht aus seinem Antwortschrei- ben hervor. Er teilte Wilhelm mit, daß bereits alles für Sybillas Aussteuer fertig sei bis auf einen golddurchwirkten Rock, und wenn dieser eine Rock nicht zu den anderen Klei- dem passen würde, wäre das schimpflich für die Hochzeit. Vielleicht um den zukünftigen Schwiegersohn nicht durch eine rigorose Ablehnung ganz und gar vor den Kopf zu sto- ßen, bot Albrecht Wilhelm jedoch im gleichen Zuge an, Sybillas Kleider umarbeiten zu lassen. Von seiner Tochter Amalie, die mit Pfalzgraf Kaspar von Zweibrücken und Vel- denz verheiratet war' und deshalb die Mode am Rhein kannte, wußte Albrecht, daß die rheinische Kleidung faltenreicher und mit einem breiteren Besatz am Saum versehen war. Er schlug Wilhelm deshalb vor, die Falten entsprechend ändern zu lassen, sobald Amalie in der folgenden Woche nach Hause gekommen sei. Schließlich verzichtete Wil- helm darauf, einen Schneider nach Ansbach zu schicken, und die Hochzeit konnte inl Juli 1481 gefeiert werden. 2 Aus der geschilderten Begebenheit geht hervor, daß es Ende des 15. Jahrhunderts offen- bar Unterschiede zwischen der Fürstenkleidung am Hof der Herzöge von Jülich-Berg

* Die folgenden Ausführungen stellen einen Ausschnitt aus meinem laufenden Dissertations- projekt �Kleidung an deutschen Fürstenhöfen an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit" (Arbeitstitel) dar. Der Anmerkungsapparat wird an dieser Stelle deshalb auf das Notwen- digste beschränkt. Für anregende Diskussionen und gründliche Korrekturen danke ich herz- lich Lena Rohrbach (Zürich). Europäische Stammtafeln. Hrsg. v. Detlev Schwennicke. N. F. Bd. 1,1. Frankfurt a. M. 1998, Tafel 96.

s Redlich, Otto R., Die Hochzeit des Herzogs Wilhelm IV. von Jülich-Berg mit Markgräfin Sibilla von Brandenburg am B. Juli 1481 in Köln. Zeitschrift des Bergischen Geschichtsver- eins 37 (1904), S. 270-301, hier S. 274.

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und derjenigen am Hof der Markgrafen von Brandenburg gab, die von den Zeitgenossen auch wahrgenommen wurden. An der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit kennzeichne- te Kleidung nicht nur Rang, Stand, Geschlecht und/oder Zivilstand4, sondern sie verwies auch auf bestimmte, wenngleich nicht klar bestimmbare, geographische Räume. Ausgehend von den Reichsfürsten werden solche Unterschiede in der europäischen Fürs- tenkleidung untersucht und auf ihre Bedeutung für die Konstituierung einer kulturellen Identität der Reichsfürsten befragt. 5 Kleidung ist in hohem Maße relevant für die Konsti- tuierung und Stabilisierung von Identität. 6 Identität wird in zwischenmenschlichen Be- gegnungen ausgebildet, d. h. sie entsteht in der Interaktion. Damit Identität sich formie- ren' kann, bedarf es absichtlicher oder unabsichtlicher Abgrenzungen, denn erst im Ver- gleich mit dem Anderen gewinnt das Eigene Kontur. Selbst- und Fremdbeschreibung werden ständig zueinander in Beziehung gesetzt. Im Hinblick auf die Formierung von Gruppen spielt Kleidung in diesem Prozeß der Identitätsbildung insofern eine Rolle, als

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Zur Wahrnehmung' als Kategorie der historischen Forschung vgl. jüngst Silvia Serena Tschopp, Das Unsichtbare begreifen. Die Rekonstruktion historischer Wahrnehmungsmodi als methodische Herausforderung der Kulturgeschichte. Historische Zeitschrift 280,1 (2005), S. 39-81. Auf die herausgehobene Bedeutung, die Kleidung im Mittelalter für soziale Differenzierun- gen besaß, ist in der Forschung wiederholt hingewiesen worden. Aus der Fülle der Arbeiten seien hervorgehoben Jan Keupp, Macht und Mode. Politische Interaktion im Zeichen der Kleidung. Archiv für Kulturgeschichte 86 (2004), S. 251-281; Catherine Richardson (Hg. ), Clothing Culture 1350-1650 (The History of retailing and consumption). Aldershot 2004; Frangoise Piponnier, Perrine Mane, Se vetir au Moyen Age. Paris 1995; Maria Giuseppina Muzzarelli, Gli inganni delle apparenze. Disciplina di vesti ed ornamenti alla fine del medi- oevo. Turin 1996. Programmatisch ist in diesem Zusammenhang der Sammelband von Neit- hard Bulst, Robert Jütte (Hgg. ), Zwischen Sein und Schein. Kleidung und Identität in der ständischen Gesellschaft (Saeculum Sonderheft 1). Freiburg, München 1993. Aus literatur- wissenschaftlicher Perspektive einschlägig Elke Brüggen, Kleidung und Mode in der höfr- sehen Epik des 12. und 13. Jahrhunderts (Beiheft zum Euphorion 23). Heidelberg 1989 und Gabriele Raudszus, Die Zeichensprache der Kleidung. Untersuchungen zur Symbolik des Gewandes in der deutschen Epik des Mittelalters (Ordo. Studien zur Literatur und Gesell- schaft des Mittelalters und der frühen Neuzeit 1). Hildesheim 1985. Zu Prozessen der Identitätskonstruktion von Gruppen vgl. die Anmerkungen von Marcus Pyka, Geschichtswissenschaft und Identität. Zur Relevanz eines umstrittenen Themas. Histo- rische Zeitschrift 280,2 (2005), S. 381-392 (mit weiterführender Literatur). Siehe auch die Ausführungen zum Identitätsbegriff bei Valentin Groebner, Identität womit? Die Erzählung vom dicken Holzschnitzer und die Genese des Personalausweises. In: Peter von Moos (Hg. ), Unverwechselbarkeit. Persönliche Identität und Identifikation in der vormodernen Gesell- schaft (Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit 23). Köln, Wien, Weimar 2004, S. 85-97, bes. S. 85. Siehe dazu Peter von Moos, Das mittelalterliche Kleid als Identitätssymbol und Identifika- tionsmittel. In: Peter von Moos (Hg. ), Unverwechselbarkeit. Persönliche Identität und Identi- fikation in der vormodemen Gesellschaft (Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit 23). Köln, Wien, Weimar 2004, S. 123-146.

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mittels der Art und Weise sich zu kleiden sowohl Einzelne aus einer Gruppe ausgegrenzt als auch Gruppenzugehörigkeiten geschaffen werden können. Der Gebrauch von Klei- dung als signifikantem Unterscheidungsmerkmal erfüllt demnach zugleich zwei gegen- sätzliche, aber dennoch aufeinander bezogene Funktionen. ' Einbindungen in und Ausgrenzungen aus Gruppen von Individuen können anhand von Kleidungspraktiken ebenso beobachtet werden wie Abgrenzungen von verschiedenen Gruppen unterein- ander. Für Ab- und Ausgrenzung bzw. Schaffung von Zugehörigkeiten ist Kleidung besonders gut geeignet, weil sie sich durch eine unmittelbare Verknüpfung mit demjenigen, der sie trägt, auszeichnet. Im Gegensatz zu anderen Dingen sind Gewänder ohne zeitlichen und räumlichen Abstand mit ihrem Träger verbunden und können deshalb mit ihm in eins gesetzt werden s Das bestehende Spannungsverhältnis zwischen Abgrenzung und Einbindung, wie es sich in der Kleidung der Reichsfürsten im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert fassen läßt, steht im Vordergrund der folgenden Überlegungen. Es wird zunächst untersucht, auf welchen Ebenen und auf welche Weise sich kulturelle Unterschiede in Kleidung mani- festierten. Bevor abschließend betrachtet wird, welche Bedeutung Abgrenzungen für die Konstituierung einer kulturellen Identität der Reichsfürsten an der Wende vom Mittelal- ter zur Neuzeit besaßen, wird die Vermittlung von Moden am Beispiel von Fürstenheira- ten in den Blick genommen.

Die europäische Fürstenmode

Auf den ersten Blick boten die europäischen Fürsten ein relativ homogenes Erschei- nungsbild. Überall in Europa wurde Fürstenkleidung prinzipiell aus den gleichen Materi- alien und in den gleichen Farben gefertigt. Ihre Kleidung bestand etwa aus Samt, Da- mast, Taft, Zendal, Tobin und Atlas, \Voll-, Leinen- und Barchenttuchen, Zobel und Marder, häufig auch Feh und Hermelin. Ebenso wie die gleichen Stoffe und Pelze wur- den die gleichen Farben in ganz Europa für die Herstellung von Fürstenkleidung ver- wendet. Die Farbpalette war recht breit und reichte von Rot, Blau und Schwarz über

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Rekurriert wird hier auf die soziologischen Konzepte und Kategorien Pierre Bourdieus. Vgl. Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frank- furt a. M. 1987 und Pierre Bourdieu, Klassenstellung und Klassenlage. In: Ders., Zur Sozio- logie der symbolischen Formen. Frankfurt a. M. 1974, S. 42-74. Martin Dinges, Von der , Lesbarkeit der Welt' zum universalisierten Wandel durch individu- elle Strategien. Die soziale Funktion der Kleidung in der höfischen Gesellschaft. In: Neit- hard Bulst, Robert Jütte (Hgg. ), Zwischen Sein und Schein. Kleidung und Identität in der ständischen Gesellschaft (Saeculum Sonderheft 1). Freiburg, München 1993, S. 90-112, hier S. 91; Robert Jütte, Neithard Bulst, Einleitung. In: Neithard Bulst, Robert Jütte (Hgg. ), Zwi_ sehen Sein und Schein. Kleidung und Identität in der ständischen Gesellschaft (Saeculum Sonderheft 1). Freiburg, München 1993, S. 2-7, hier S. 2.

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Weiß, Grau und Grün bis zu Braun sowie einem leuchtenden Gelb. Neben den Stoffen und Farben waren auch verschiedene Arten von Stickereien, Perlen- und Edelsteinsticke- reien, Gold- und Silberstickereien, im Hochadel europaweit beliebt. Für die Anfertigung von Kleidung für Fürsten wurden diese Materialien in ihrer ganzen Breite genutzt. 9 Hauptsächlich stellte sich eine Ähnlichkeit in der Kleidung über die Schnitte ein. In der Fürstenkleidung an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit lassen sich idealtypische Modetrends ausmachen, die überall in Europa Verbreitung fanden. Fast das ganze 15. Jahrhundert hindurch wurde die europäische Fürstenmode - Mode im Sinne einer herr- schenden Bekleidungsweise - vom Hof der Herzöge von Burgund dominiert. Die Bilder von Fürsten und Fürstinnen in burgundischer Kleidung prägen vielfach bis heute die Vorstellungen vom Mittelalter. Die Männer trugen ein wattiertes, mit Schulterpuffen versehenes Wams, das in der Taille zusammengeschnürt wurde, dazu eng anliegende Beinlingen und lange, spitze Schnabelschuhe. Die Frauen kleideten sich in eng am Ober- körper anliegende, tief dekolletierte Röcke mit stoffreichen Rockpartien, die eine hoch- gesetzte Taille, lange Schleppen und bis zum Boden reichende, tütenförmige Ärmel be- saßen. Ein weiteres Charakteristikum dieser Mode stellten die turbanähnlichen Kopfbe- deckungen oder fezartigen Kappen der Männer und die kunstvoll aufgetürmten Frauen- hauben dar, allen voran die Hörnerhaube und der Hennin, ein hoher zuckerhutförmiger Hut mit einem Schleier an der Spitze. Neben diesen Kleiderformen nahm auch die Vor- liebe für Schwarz als Kleiderfarbe ihren Ausgangspunkt am Hof der Herzöge von Bur-

9 Vgl. dazu und zu den folgenden kostümhistorischen Ausführungen die entsprechenden Ab- schnitte in den zahlreichen Kostümkunden, allen voran Wiebke Koch-Mertens, Der Mensch und seine Kleider. Teil 1. Die Kulturgeschichte der Mode bis 1900. Düsseldorf, Zürich 2000; Erika Thiel, Geschichte des Kostüms. Die europäische Mode von den Anfängen bis zur Ge- genwart. 8. Aufl. Berlin 2004; Gisela Krause, Gertrud Lenning, Kleine Kostümkunde, 11. Aufl. Berlin 1995. Siehe auch die Einleitung und die in Frage kommenden Stichworte bei Harry Kühnel (Hg. ), Bildwörterbuch der Kleidung und Rüstung. Vom Alten Orient bis zdm ausgehenden Mittelalter (Kröners Taschenausgabe 453). Stuttgart 1992. Für einige Fürsten- und Königshöfen liegen detailliertere Untersuchungen zur Kleidung vor: Francoise Pipon- nier, Costume et vie sociale. La Cour d'Anjou. XIVe-XVe siecle (Civilisations et Societes 21). Paris 1970; Fr>: derique Lachaud, Textiles, Furs and Liveries. A Study of the Material Culture of the Court of Edward I. (1272-1307). Unveröffentlichte Dissertation. Oxford 1997; Agnes Page, Vetir le Prince. Tissus et couleurs a la Cour de Savoie (1427-1447) (Cahiers Lausannois d'histoire medievale 8). Lausanne 1993; Stella Mary Newton, Fashion in the Age of the Black Prince. A study of the years 1340-1365. Suffolk 1980; Corina Nicolescu, Istoria costumuluide curie in T rile Romane. Secolele XIV-XVIII. Bukarest 1970 (Zusam- menfassung in franz. Sprache u. d. T.: Histoire du costume de cour dann les Pays Roumains. XIVe-XVIIie siecle). Über die Kleidung am polnischen Hof zur Zeit der ersten Jagellionen gibt es eine polnische Arbeit, die wegen fehlender Sprachkompetenz zwar nicht eingesehen werden konnte, an dieser Stelle aber trotzdem mit aufgenommen werden soll: Krystyna Turska, Ubiör dworski w Polsce w dobie pierwszych Jagiellonöw. Warschau 1987.

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gund, wo sie durch Philipp den Guten initiiert wurde. ̀ Nicht nur Kleiderformen, son- dern auch -farben unterlagen dem modischen Wandel. Gefördert wurde die Entstehung und Verbreitung von Modefarben nicht nur durch einzelne Höfe als Impulsgeber, ebenso ausschlaggebend waren hierfür technische Fortschritte. Im 15. Jahrhundert wurde die Verbreitung schwarzer Kleidung auch dadurch begünstigt, daß beim Färben die Herstel- lung intensiver Schwarztöne möglich wurde, mit denen nicht nur Leinen- und Seiden- stoffe, sondern auch Pelze gefärbt werden konnten. " Die in der Forschung aufgeworfene und noch diskutierte Frage, ob der Hof von Burgund im 15. Jahrhundert als Modell für andere europäische Höfe fungiert hat, '` kann somit zumindest für die Kleidung bejaht werden. Während für andere Bereiche des höfischen Lebens ein burgundischer Einfluß auf andere Höfe zwar vielfach vermutet, aber letztend- lich nicht eindeutig belegt werden kann, ̀ ist die Vorbildfunktion der Herzöge von Bur- gund für die europäische Fürstenmode des 15. Jahrhunderts unumstritten. Dies mag unter anderem daran liegen, daß hinsichtlich der Kleidung vergleichsweise klar bestimmbare Charakteristika herausgearbeitet werden können, mit deren Hilfe eine typisch burgundi- sche' Mode definiert werden kann. Bei der Betrachtung von Fürstenkleidung an anderen Höfen kann man sich an konkreten Anhaltspunkten orientieren und einen burgundischen Modeeinfluß relativ leicht ermitteln. So deuten beispielsweise Fresken, die im Schifanoia Palast in Ferrara zwischen 1458 und 1460 gemalt wurden und auf denen Damen in bur- gundischer Kleidung zu sehen waren, auf burgundische Mode am Hof von Ferrara hin. '4 Als nach dem Tod Herzog Karls des Kühnen dessen Tochter Maria Maximilian I. heira- tete und das Herzogtum an das Haus Habsburg fiel, ebbte auch die Dominanz der bur-

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Zur persönlichen Vorliebe Herzog Philipps des Guten von Burgund für schwarze Kleidung siehe Annette Kamieth, Die Farbe Schwarz in der europäischen Modegeschichte der frühen Neuzeit. Unveröffentlichte Magisterarbeit. Berlin 2001, S. 28-33. Karl V., der in den Nieder- landen aufwuchs, präferierte ebenfalls schwarze Kleidung. Ebd., S. 40; Krause, Lenning [Anm. 9], S. 107. Michel Pastoureau, Vers une histoire sociale des couleurs. In: Ders., Couleurs, images, sym- boles. Etudes d'histoire et d'anthropologie. Paris 1989, S. 9-68, hier S. 35. Werner Paravicini, The Court of the Dukes of Burgundy. A Model for Europe? In: Ronald G. Asch, Adolf M. Birke (Hgg. ), Princes, Patronage, and the Nobility. The Court at the be- ginning of the Modern Age c. 1450-1650 (Studies of the German Historical Institute Lon- don). Oxford 1991, S. 69-102. Dies gilt etwa für die Hoforganisation. Vgl. Paravicini [Anm. 12], S. 92-102. Für höfische Feste ist der angenommene burgundische Einfluß widerlegt: Karl-Heinz Spieß, Höfische Feste im Europa des 15. Jahrhunderts. In: Michael Borgolte (Hg. ). Das europäische Mittelal- ter im Spannungsbogen des Vergleichs. Zwanzig internationale Beiträge zu Praxis, Proble- men und Perspektiven der historischen Komparatistik (Europa im Mittelalter 1). Berlin 2001, S. 339-357. Daran anschließend auch Werner Paravicini, Deutsche Adelskultur und der Westen im späten Mittelalter. Eine Spurensuche am Beispiel der Wittelsbacher. In: Joachim Ehlers (Hg. ), Deutschland und der Westen Europas im Mittelalter (Vorträge und Forschun- gen 56). Stuttgart 2002, S. 457-506, hier S. 465-466. Paravicini [Anm. 12], S. 94.

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gundischen Mode ab. Um etwa 1480 wandelte sich die Fürstenmode grundlegend. Statt der langen, spitzen, übertriebenen Formen, die die Vertikale betonten, kleideten sich die Fürsten und Fürstinnen nun in rundere, den natürlichen Körperproportionen angepaßte, ausladende Formen. Die Frauenröcke verloren Dekollete und Schleppe, die Taille wurde breiter und rückte an ihre natürliche Stelle, und die Rockpartie nahm eine vorgewölbte, bauschige Form an. Die Ärmel waren häufig geschlitzt, so daß das Hemd darunter gese- hen werden konnte. Die Männer trugen weiterhin das Wams, dessen Ärmel gebauscht, gepufft, geschlitzt und bestickt werden konnten. Dazu wurden Kniehosen, die wie die Wamsärmel mit Bauschen, Puffen und Schlitzen versehen waren, und Strümpfe angezo- gen. Ein besonderes Charakteristikum dieser Mode war die Schaube, ein mantelartiger Überrock, der meist bis zu den Knien reichte, einen großen, häufig bis über die Schultern reichenden Kragen und weite bauschige Ärmel besaß, die auf Höhe der Ellbogen eine zweite Öffnung haben konnten. An die Stelle der Schnabelschuhe traten runde, breite Schuhe, die sogenannten Kuhmäuler oder Bärenfüße; als Kopfbedeckung wurde nun von beiden Geschlechtern vorwiegend das Barett getragen. Das Aufkommen dieser bequemen, aber dennoch repräsentativen Kleidung um 1480 wird in der Kostümgeschichte mit dem wirtschaftlichen Aufblühen der großen Städte und der daraus resultierenden steigenden Bedeutung der wohlhabenden Stadtbürger ver- knüpft. Bezüglich der Kleidung verdrängten sie immer mehr den Adel und traten als Anreger für Moden neben die Fürstenhöfe. Zeichen dieser Verbürgerlichung der Mode' (KÜHNEL) waren insbesondere die Schaube, die breiten ausladenden Formen und die Verwendung von viel Pelzwerk-. 15 In welchem sozialen Milieu diese Mode zuerst veran- kert war, ob die reichen Stadtbürger in ihrer Kleidung die Fürsten nachgeahmt oder ob sich andersherum die Fürsten an der Mode der reichen Städter orientiert haben, läßt sich nicht mehr feststellen. Die Verbreitung dieser Renaissancemode nahm ihren Ausgangs- punkt jedenfalls vermutlich im Reich; sie wurde von vielen Fürstenhöfen in benachbar- ten Ländern aufgegriffen, besonders die Schaube sowie die Ausschnitt- und Ärmelfor-

men der Frauenkleider. 16 Diese grundsätzlichen Gemeinsamkeiten der europäischen Fürstenmode hinsichtlich Materialien, Farben und Schnitte schlossen nicht aus, daß Fürsten individuelle Kleidung trugen oder persönliche Präferenzen für bestimmte Farben oder Stoffe besaßen. 17 In ihrer jeweiligen stofflichen Beschaffenheit, ihren Schnitten, Farbtönen und Musterungen wa- ren die fürstlichen Kleidungsstücke in einem gewissen Maße individuell gestaltet, ohne jedoch ihren Bezug zur herrschenden Bekleidungsweise zu verlieren. Hier kommt das Paradoxon der Mode, auf das Georg SIMMEL hingewiesen hat, zum Tragen. Während die Mode dazu führt, daß der Einzelne in der Masse aufgeht, stillt sie gleichzeitig das Be-

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Kühnel (Hg. ) [Anm. 9], S. LVIII-LIX. Krause, Lenning [Anm. 9], S. 102, S. 97. Auf die Vorliebe für schwarze Kleidung seitens Philipps des Guten ist bereits hingewiesen worden. Ein weiteres markantes Beispiel war Ludwig von Savoyen, welcher graue und braune Kleider trug - ein Umstand, der vermutlich auf seine Religiösität zurückzuführen ist. Vgl. Page [Anm. 9].

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dürfnis des Einzelnen, sich von der Menge abzuheben und sich zu unterscheiden. 's Dis- tinktion und Anpassung stehen in einem ständigen, wechselseitigen Spannungsverhältnis

zueinander.

Abgrenzungen mittels Kleidung

Auf den zweiten Blick erweist sich die Kleidung der europäischen Fürsten im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert also durchaus als heterogen. Dieser Eindruck basiert nicht ausschließlich auf vorhandenen individuellen Distinktionen, sondern ist darüber hinaus

auf regionale und länderspezifische Unterschiede in der Kleidung zurückzuführen. Rufen wir uns die eingangs geschilderte Debatte um die Kleidung Sybillas von Branden- burg in Erinnerung, stellt sich die Frage, wie sich eine im wesentlichen einheitliche eu- ropäische Fürstenmode zu unterschiedlicher Kleidung an den Höfen in Ansbach und am' Rhein verhält. Es gilt offenbar, hinsichtlich der Fürstenkleidung verschiedene Ebenen voneinander zu unterscheiden. Auf einer übergeordneten Ebene existierte unter dem Dach einer überwölbenden Hochadelskultur eine Fürstenmode, die an den Höfen in wei- ten Teilen Europas getragen wurde. Auf einer anderen Ebene gab es regionale Varianten, die sich auf Details eines Kleidungsstückes wie die Länge des Saumes oder den Falten- wurf bezogen. Sozusagen dazwischen differenzierte sich auf einer dritten Ebene Fürs- tenkleidung in verschiedene länderspezifische Moden aus. In einem französischen Be- richt über die Zusammenkunft von Herzog Karl dem Kühnen von Burgund und Kaiser Friedrich III. in Trier 1473 wird angeführt, daß der Kaiser, sein Sohn Maximilian und die Fürsten, die ihn begleiteten, zu einem ersten Treffen mit Karl dem Kühnen am 4. Okto- ber in sehr schöne und prächtige Kleider ä leur mode gekleidet waren. ̀ Und dem fran- zösischen Adeligen Philippe de Commynes, der in seinen Memoiren die Feierlichkeiten anläßlich der Bekanntgabe der Liga am 31. März 1495 in Venedig schilderte, kamen die italienischen Kleider bien courtes vor. 20 Erfaßt wurden fremde Moden mittels des Kleidungsschnittes, der zum signifikanten Kriterium für die Unterscheidung zwischen dem vertrauten Eigenen und dem anderen Fremden wurde. Dabei wurde implizit die bekannte einheimische Mode als eine Art Kontrastfolie verwendet, vor der die Abweichungen und fremden Elemente anderer Mo- den sichtbar wurden. Fremde Moden wurden demnach immer als Gegenentwurf zu der

18 Georg Simmel, Philosophie der Mode (1905). Hrsg. von Michael Behr, Volkhard Krech, Gert Schmidt (Georg Simmel - Gesamtausgabe 10). Frankfurt a. M. 1995, S. 9-37, bes. S. 11.

19 Extract d'une lettre contenant une relation des premieres entrevues de Charles-le-Telmeraire

et de l'empereur Frederic a Treves. 4. octobre 1473. In: Actenstücke und Briefe zur Ge- schichte des Hauses Habsburg im Zeitalter Maximilian's 1. (Monumenta Habsburgica 1,1). Hrsg. v. Joseph Chmel. Bd. 1. Wien 1854, Nr. 16, S. 59-62, hier S. 59.

2Ö Philippe de Commynes, Memoires. Hrsg. v. Joel Blanchard. Paris 2001, S. 567.

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bekannten Mode konstruiert. An der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert erschöpften sich kulturelle Differenzierungen in der Fürstenkleidung jedoch nicht in der Opposition

, eigen'/, fremd'; sie wurden immer öfter national' ausgedeutet und wiesen damit über das Fremde, das Andere hinaus. Philippe de Commynes bringt dies pointiert zum Aus- druck, wenn er in seinen Memoiren bezüglich Fürstentreffen schreibt: Et quant ce sont deux nations differantes, leur langaige et habillennens sont differans; et ce quil plaist a 1'ung ne plaist pas a 1'autre. 2' Da nationale Identität am Ende des Mittelalters immer kulturell begründet wurde und in kulturellen Praktiken, wie der Art und Weise sich zu kleiden, Niederschlag fand, ist es nicht verwunderlich, daß sich die intensivere Ausprä- gung eines nationalen Bewußtseins zeitlich mit dem Auftauchen nationaler Kategorien in der Mode deckt. 2-' Verankert wurden diese nationalen Moden' wiederum im Kleidungs- schnitt, indem die Zeitgenossen eine bestimmte Art des Kleidungsschnittes als Merkmal eines bestimmten Landes ausmachten. In einer Beschreibung über die Hochzeit von Herzog Georg von Bayern mit der polnischen Königstocher Hedwig in Landshut 1475 wurde wiederholt vermerkt, daß Hedwig Kleider auf polonisch sitten gemacht trug23, die offenbar für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich weit geschnitten waren. 24 Über Beatrix von Neapel, die vor ihrer Hochzeit mit König Matthias von Ungarn 1476 gekrönt wurde, wird berichtet, daß sie in iren tit'aelischen klaydern2S zur Krönung und mit einem Schleier alsdann die Walhin tragen26 zur Trauung erschien. Die Kleidung der Reichsfürsten ist demnach an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit in einem Spannungsfeld von europäischen, (national-) kulturellen und regionalen Moden anzusiedeln. Obwohl die nationalen Tendenzen im Reich nicht überschätzt werden dür- fen und die Kleidung aufgrund eines fehlenden politischen und kulturellen Zentrums stark regionalisiert blieb27, treten �nationale Abschließungstendenzen" in der Fürsten-

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Commynes [Anm. 20], S. 194. Vgl. Claudius Sieber-Lehmann, Spätmittelalterlicher Nationalismus. Die Burgunderkriege am Oberrhein und in der Eidgenossenschaft (Veröffentlichungen des Max-Planck Instituts für Geschichte 116). Göttingen 1995; Katharina Simon-Muscheid,

'Schweizergelb' und 'Ju- dasfarbe'. Nationale Ehre, Zeitschelte und Kleidermode um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert. Zeitschrift für historische Forschung 22 (1995), S. 317-343. Gleichzeitige und vollständige Beschreibung der berühmten Hochzeit H. Georg des Reichen zu Lanndshut [sic] 1475. In: Beyträge zur vaterländischen Historie, Geographie, Statistik und Landwirthschaft, samt einer Übersicht der schönen Literatur. Hrsg. v. Lorenz Westen- rieder. Bd. 2. München 1789, S. 105-221, hier S. 142, auch S. 124, S. 136. Das geht aus einer weiteren Festbeschreibung hervor. Vgl. den Bericht des sog. Markgrafen- schreibers. In: Zeitgenössische Quellen zur Landshuter Fürstenhochzeit 1475. Hrsg. v. Se- bastian Hiereth. Landshut 1959, S. 14-51, hier S. 26, S. 34. Bericht Hans Seyboldts. In: Beyträge zur vaterländischen Historie, Geographie, Statistik und Landwirthschaft, samt einer Übersicht der schönen Literatur. Hrsg. v. Lorenz Westenrieder. Bd. 3. München 1790,120-145, hier S. 124. Westenrieder [Anm. 25], S. 128. Zu Nation und Reich vgl. Joachim Ehlers, Artikel , Natio'. In: Lexikon des Mittelalters. Bd. 6 (1993), Sp. 1035-1038, hier Sp. 1036.

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kleidung an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert besonders deutlich zu tage, weil Fürsten in vielerlei Hinsicht �grundsätzlich

international ausgerichtet" waren. 28 Trotz größerer länderspezifischer und kleinerer regionaler Unterschiede blieb die europäische Fürstenkleidung jedoch bestimmten gemeinsamen Charakteristika verhaftet.

Die Vermittlung von Moden

Auch in der Mode rührten regionale Diskrepanzen von einem innerhalb Europas - wie innerhalb des Reiches - bestehenden Spannungsverhältnis zwischen �der autochthonen Entfaltung von Regionen" auf der einen Seite und �der Beeinflussung einer Region durch eine andere" auf der anderen Seite her. 29 Aus diesem Spannungsverhältnis resul- tierten Angleichungsprozesse, die sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts be- schleunigten. 30 In diesem Prozeß konnte Mode zu einem 'Machtfaktor' in dem Sinne werden, daß die Durchsetzung von Moden, die Dominanz einer Mode und Auseinander- setzungen um Partizipationen an einer Mode mit Machtausübung zusammenhängen. 31 Die Vermittlung von Fürstenmoden im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert wurde durch die zahlreichen Kontakte innerhalb des europäischen Fürstenstandes begünstigt. Diese Kontakte fußten nicht zuletzt auf einem relativ dichten Netz von Heiratsbeziehun- gen32 und wurden mit der zunehmenden Mobilität im ausgehenden Mittelalter noch ein- mal intensiviert. Im Rahmen von höfischen Festen und Herrschertreffen, Aufenthalten zu Erziehungs- und Ausbildungszwecken, verwandtschaftlichen Besuchen und Reisen ka- men Fürsten persönlich zusammen und lernten gegenseitig die Mode des anderen ken- nen. Durch das Gesandtschafts- und Botenwesen wurde zudem das Wissen über Klei-

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Sieber-Lehmann [Anm. 22], S. 16-17. Peter Moraw, Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter. Ein Versuch. In: Ders., Über König und Reich. Aufsätze zur deut- schen Verfassungsgeschichte des späten Mittelalters. Hrsg. v. Rainer C. Schwinges. Sigma- ringen 1995, S. 293-320, hier S. 293. Zu kulturellen Kontakten und Transferprozessen zwi- schen dem Reich und West- bzw. Osteuropa vgl. Joachim Ehlers (Hg. ), Deutschland und der Westen Europas im Mittelalter (Vorträge und Forschungen 56). Stuttgart 2002 und Thomas Wünsch (Hg. ), Das Reich und Polen. Parallelen, Interaktionen und Formen der Akkultura- tion im hohen und späten Mittelalter (Vorträge und Forschungen 59). Ostfildent 2003. Moraw [Anm. 29], S. 293, S. 312. Vgl. grundlegend dazu Rene König, Menschheit auf dem Laufsteg. Die Mode im Zivilisa- tionsprozeß (Rene König - Schriften 6). Hrsg. v. Hans Peter Thum. Opladen 1999. Siehe Karl-Heinz Spieß, Europa heiratet. Kommunikation und Kulturtransfer im Kontext eu- ropäischer Königsheiraten des Spätmittelalters. In: Rainer C. Schwinges, Christian Hesse, Peter Moraw (Hgg. ), Europa im späten Mittelalter. Politik - Gesellschaft - Kultur (Histori- sche Zeitschrift, Beihefte N. F. 40). München 2005, S. 433-462.

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dung an anderen Höfen nicht nur durch Berichte der Gesandten vermehrt, sondern auch durch Kleider- oder Stoffgeschenke, die in die Heimat mitgenommen wurden. 33 Im Zusammenhang mit der Vermittlung von Moden ist die katalysierende Funktion von Fürstenheiraten wohl kaum zu überschätzen, weshalb sie als Kristallisationspunkte für das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Moden exemplarisch betrachtet werden kön- nen. Fürstenheiraten waren in dreierlei Hinsicht für die Vermittlung von Moden beson- ders bedeutsam: erstens wegen der persönlichen Begegnung anläßlich des Hochzeits- festes selbst, zweitens aufgrund des Brautschatzes, der einer Fürstentochter mit in die Ehe gegeben wurde, und drittens wegen der Übersiedlung von Personen - der Fürstin mit einem kleinen Gefolge an den Hof ihres Mannes. Spielten diese Aspekte offenbar schon eine Rolle, wenn Fürsten und Fürstinnen aus verschiedenen Regionen innerhalb des Reiches heirateten, war dies um so mehr der Fall, wenn die Ehepartner aus ver- schiedenen Ländern stammten. Zum Hochzeitsfest reisten die Familienmitglieder beider Brautleute mit ihrem Gefolge an, und diese Präsenz von Gästen aus verschiedenen Kulturräumen bildete die Voraus- setzung dafür, daß verschiedene Moden aufeinandertreffen konnten. Die Hochzeitsfeste wurden somit zu einer Art Forum, auf dem Moden zur Schau gestellt und bestaunt wer- den konnten. So nahm etwa Markgraf Rudolfo von Mantua mit einem Gefolge von 26 Mann an der Hochzeit seiner Schwester Barbara mit Eberhard von Württemberg in Urach teil35 - und kehrte in deutscher Kleidung nach Mantua zurück. 36 Neben der persönlichen Begegnung von Fürsten waren die Brautschätze31 für die Ver- mittlung von Moden bedeutsam, weil sie zu einem großen Teil aus Kleidungsstücken und Stoffen bestanden. Indem die Braut ihre eigene, nach dem Kleidungsstil ihrer Hei- mat gestaltete Kleidung mit in die Ehe brachte, gelangte diese Mode an den Hof ihres Mannes. So hatte beispielsweise Bianca Maria Sforza mehrere italienische Kleidungs- stücke und spezifische Kopfbedeckungen im Gepäck, als sie mit Maximilian I. vermählt

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Zum Gesandtschaftswesen vgl. Rainer C. Schwinges, Klaus Wriedt (Hgg. ), Gesandtschafts- und Botenwesen im spätmittelalterlichen Europa (Vorträge und Forschungen 60). Ostfildem 2003. Welche Rolle Stoffe und Kleidungsstücke als Gaben im diplomatischen Verkehr spiel- ten, zeigt Petra Ehm, Burgund und das Reich. Spätmittelalterliche Außenpolitik am Beispiel der Regierung Karls des Kühnen (1465-1477) (Pariser Historische Studien 61). München 2002, bes. S. 276-277, S. 279, S. 284. Zu Hochzeitsfesten siehe Spieß [Anm. 13], exemplarisch Gabriel Zeilinger, Die Uracher Hochzeit 1474. Form und Funktion eines höfischen Festes im 15. Jahrhundert (Kieler Werkstücke. Reihe E. Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 2). Frankfurt a. M. 2003. Zeilinger [Anm. 34], S. 120. Karl-Heinz Spieß, Fremdheit und Integration der ausländischen Ehefrau und ihres Gefolges bei internationalen Fürstenheiraten. In: Thomas Zotz (Hg. ), Fürstenhöfe und ihre Außenwelt (Identitäten und Alteritäten 16). Würzburg 2004, S. 267-290, hier S. 288. Zu Brautschätzen siehe Karl-Heinz Spieß, Unterwegs zu einem fremden Ehemann. Braut- fahrt und Ehe in europäischen Fürstenhäusern. In: Irene Erfen, Karl-Heinz Spieß, Fremdheit und Reisen im Mittelalter. Stuttgart 1997, S. 17-36, hier S. 26-29.

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wurde. 38 Besonders markant wichen die Formen der italienischen Kopfbedeckungen von den im Reich üblichen Kopfbedeckungen ab. Während die italienischen Hauben eher runde, kugelige Formen aufwiesen und die italienischen vornehmen Frauen häufig eine Art Haarnetz trugen, setzten die deutschen Fürstinnen zu dieser Zeit eher spitze, hohe Hauben nach burgundischer Art auf; statt Haarnetzen und Bändern waren flache Barette im Reich üblich 39 Für die Vermittlung von Moden erweist sich schließlich im Kontext von Fürstenheiraten der Umstand wichtig, daß Personen umzogen. Nach der Eheschließung begab sich eine Fürstin, häufig begleitet von einem kleinen Gefolge, an den Hof ihres Mannes. -: O Zu die-

sem Gefolge konnte auch ein Schneider gehören. So brachte Mechthild von Hessen nach ihrer Heirat mit Herzog Johann von Kleve neben zwei Jungfrauen, einer Kammermagd,

zwei Knaben und einem Kaplan einen Schneider mit at

Im Kontext von Fürstenheiraten, bei denen die Eheleute aus verschiedenen Ländern

stammten, waren die Unterschiede in der Kleidung größer und auffälliger als innerhalb des Reiches. Leider sind nur in einigen wenigen Fällen Hinweise darauf überliefert, wie die neue Umgebung auf die sichtbaren kulturellen Unterschiede in der Kleidung reagier- te. Bei der Hochzeit Maximilians I. mit Bianca Maria Sforza im März 1494 wünschte Maximilian - dem Bericht eines Mailänder Gesandten zufolge - daß seine Braut zum sonntäglichen Meßgang am 16. März deutsch gekleidet und mit einer schönen Krone, die

er ihr geschenkt hatte, erscheine. '- Er wollte also, daß seine Frau in der im Reich übli- chen Mode auftrat. Daß dieser Wunsch offenbar einer gängigen Praxis entsprach, legt der zeitgenössische Bericht des sog. Markgrafenschreibers über die Landshuter Hochzeit 1475 nahe, in dem vermerkt wird, daß Hedwig eine sehr x'olgestalte und tit'olgeschic .. i Fuerstin sein werde, sobald sie nach deutschen Sitten gekleidet sei. 43 Galeazzo Sforza

plante sogar, den Wechsel der Kleidung seiner Frau Bona auf Fresken darstellen zu las-

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Vgl. das Brautausstattungsverzeichnis. In: Bianca Maria Sforza-Visconti, Regina dei Roma-

ni, Imperatrice Germanica, e gli Ambascatori di Ludovico il Moro alla Corte Cesarea. Se-

condo nuovi documenti. Hrsg. v. Felice Calvi. Mailand 1888, S. 131-147, hier S. 134-138. Zu italienischen Kleidungsstücken und Kopfbedeckungen vgl. Rosita Levi Pisetzky, Il costu- me e la moda nella societä italiana. Turin 1978. S. 184-192, S. 208-224. Spieß [Anm. 36], S. 281-282; Spieß [Anm. 371, S. 33. Regesten der Landgrafen von Hessen. Bearb. v. Karl E. Demands (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 6). Bd. 2,1. Marburg 1990, Nr. 1191, S. 466-467, hier S. 466. Ein ebenso zusammengesetztes Gefolge sollte Sybilla von Brandenburg mitnehmen. Abschied der Räte Herzog Nilhelms von Jülich und Berg. In: Politische Correspondenz des Kurfürsten Albrecht Achilles. Hrsg. v. Felix Priebatsch (Publicationen aus den K. Preußi-

schen Staatsarchiven 67). Bd. 2.1475-1480. Neudruck der Ausgabe von 1897. Osnabrück 1965, Nr. 702, S. 653-655, hier S. 654. Schreiben des Mailänder Gesandten Erasmus Brascha an Herzog Ludovico Sforza. In: J. F. Böhmer, Regesta Imperii XIV. Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I., 1493-1519. Bd. 1. Bearb. v. Hermann Wiesflecker. Wien, Köln 1990, Nr. 477, S. 59. Hiereth [Anm. 24], S. 36. Erwähnt auch bei Spieß [Anm. 36], S. 278.

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sen. " Dem Kleiderwechsel war eine symbolische Komponente eigen. Er versinnbildlich- te den Wechsel einer Fürstin von der Manus ihrer Eltern in die Manus ihres Mannes. Indem er seine Frau so kleidete, wie es am Hof üblich war, setzte der Fürst ein Zeichen für ihre Zugehörigkeit zu ihm und nahm sie sichtbar in seine Familie auf. Vermutlich sollte ein derartiger Kleiderwechsel auch eine integrierende Funktion haben45, denn ob- wohl die Einkleidung nach der Mode des Mannes der Ehefrau erneut ihr Fremdsein vor Augen führen konnte, konnte sie zugleich ihre Anpassung an die neue Umgebung er- leichtern. Für die alltägliche Praktik: des Sich-Kleidens darf die Bedeutung des Kleiderwechsels im Rahmen interkultureller Fürstenheiraten jedoch nicht überinterpretiert werden. In der Ehe haben Fürstinnen vermutlich sowohl die Kleidung ihrer alten Heimat als auch die Kleidung ihres neuen Zuhauses getragen. Wenn eine Fürstin einen Schneider in ihrem Gefolge mit an den Hof ihres Mannes brachte, ist anzunehmen, daß dieser weiterhin ihre Kleider fertigte. Wenngleich dies nicht zwangsläufig bedeutete, daß er ihre Kleider nach den ihm bekannten Schnitten fertigte, spricht doch einiges dafür. Des weiteren ist wahr- scheinlich, daß Fürstinnen die von ihnen in der Brautausstattung mitgeführten Kleider auch anzogen. Ein Indiz dafür, daß diese nicht ein reines Prestigeobjekt darstellten, son- dern zum tatsächlichen Gebrauch vorgesehen waren, liefert abermals das gut dokumen- tierte Beispiel der Vermählung von Sybilla von Brandenburg mit Herzog Wilhelm von Jülich-Berg. In dem zu Beginn erwähnten Schreiben des Brautvaters an den Schwieger- sohn in spe wies Albrecht nämlich darauf hin, daß er mit Rücksicht auf das noch zu er- wartende Wachstum seiner Tochter ihre Kleider so hatte nähen lassen, daß sie erst in drei oder vier Jahren herausgewachsen sei. 46 Wenn eine Fürstin keinen Schneider mitbrachte, erhielt sie nach der Heirat vom Schnei- der ihres Mannes Kleidung bzw. der Fürst nahm für sie einen eigenen Schneider in seine Dienste. In beiden Fällen wurde die Kleidung vermutlich nach der am Hof des Mannes herrschenden Bekleidungsweise genäht. Insbesondere bei Heiraten zwischen Fürsten und Fürstinnen aus verschiedenen Ländern erscheint es darüber hinaus plausibel, daß die Zeitgenossen die Fürstinnen ermutigten, sich nach der Mode ihrer neuen Heimat zu klei- den, um ihnen dadurch bei der Integration in die neue Umgebung zu helfen. Darauf deu- tet auch der Kleiderwechsel hin. Schließlich hatten die Ehefrauen ohnehin schon einiges zu verkraften: Sie befanden sich in einem fremden Land fern von ihrer Heimat, waren zumeist von Menschen umgeben, die sie nicht kannten und deren Sprache sie häufig nicht verstanden, und mußten neue gesellschaftliche Normen und Regeln lernen. 47 Man wird demnach von einem Nebeneinander verschiedener Moden bei Hofe ausgehen können, vielleicht sogar von hybriden Kleiderformen'. Ob und in wie fern sich die ver- schiedenen Moden miteinander vermischt' haben, läßt sich jedoch in den Quellen nicht

Spieß [Anm. 36], S. 278. Spieß [Anm. 37], S. 32. Redlich [Anm. 2], S. 274. Sybilla war bei der Hochzeit 14 Jahre alt. Schwennicke [Anm. 1], Tafel 96.

d7 Vgl. Spieß [Anm. 361.

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mehr fassen. Verzeichnet wurden die ungewöhnlichen Kleidungsstücke, also diejenigen, die eben gerade dadurch auffielen, daß sie vom Gewöhnlichen abwichen, und deshalb bemerkenswert erschienen. So wird beispielsweise in den Rechnungsbüchern der sächsi- schen Hofschneiderei ein französischer Rock aus rotem Samt mit grauem Atlasfutter, den Herzog Friedrich der Weise 1497 erhielt, aufgeführt. °3 War die Anfertigung eines Kleidungsstückes mit einem besonderen Schnitt erwünscht, mußten offenbar auch be- sondere Maßnahmen ergriffen werden. Eine Möglichkeit bestand darin, sich einen Schneider kommen zu lassen, der über die entsprechenden Fähigkeiten verfügte. So hatte Herzogin Amalie von Bayern vermutlich ein Rock ihrer Schwester Anna, der Gemahlin Kurfürst Albrechts von Brandenburg, so gut gefallen, daß sie ebenfalls so einen Rock haben wollte. Denn Anna schickte ihr schwarzen Samt und dazu ihren Schneider, der zieh die rock wol machen kann nach umßerm snidt. 49 Der Schneider sollte vor Ort den Rock nach dem Schnitt, wie Anna ihn trug, anfertigen. In ihrem Antwortbrief bedankte sich Amalie und versicherte Anna, daß sie den Schneider solange bei sich behalten wer- de, bis das er uns solche cleider gemacht habe, und ihn darnach uwer lieb wider ubir- senden werde5° In fürstlichen Kleidertruhen und -schränken stachen solche Kleidungs- stücke durch ihr

, Anderssein', das dem Betrachter ins Auge fiel, hervor. Verstärkt wurde dieser Eindruck dadurch, daß es sich um einige wenige Kleidungsstücke gehandelt hat.

Die Bedeutung von Kleidung für kulturelle Identität

Betrachtet man abschließend die Art und Weise, wie sich die Reichsfürsten im späten 15, und frühen 16. Jahrhundert kleideten, ergibt sich ein ambivalentes Bild. Auf der einen Seite konstituierten sie sich über Kleidung in Abgrenzung von anderen als kulturelle Gruppe. Diese Abgrenzungen konnten auf verschiedenen idealtypischen Ebenen vorge_ nommen werden - auf einer europäischen, einer länderspezifischen, häufig national ge_ wendeten oder einer regionalen Ebene. Auf der anderen Seite wurden diese kulturellen Grenzen immer wieder dadurch durchbrochen, daß Moden aus anderen Ländern oder Regionen übernommen wurden. Infolgedessen verschieben sich die Abgrenzungsebenen mit der Ausbreitung der Mode immer wieder gegeneinander. Was vorher eine regionale Mode war, konnte zu einer überregionalen Mode werden. Erinnert sei an die schwarze Kleidung, die von einer persönlichen Vorliebe Philipps des Guten zunächst zu einer

48 Weimar, Thüringisches Hauptstaatsarchiv, Emestinisches Gesamtarchiv Reg. Bb. 5910, fol. 5r und fol. 10v.

av Kurfürstin Anna von Brandenburg an Herzogin Amalie von Bayern. In: Georg Steinhausen, Deutsche Privatbriefe des Mittelalters. Bd. 1. Fürsten und Magnaten. Edle und Ritter, Berlin 1989, Nr. 321, S. 217.

50 Herzogin Amalie von Bayern an Kurfürstin Anna von Brandenburg. In: Steinhausen [Anm. 49], Nr. 323, S. 218-219.

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regionalen Mode in Burgund wurde und sich dann im Laufe des 15. Jahrhunderts an den Fürsten- und Königshöfen in ganz Europa durchsetzte. Als Ankerpunkt für die verschiedenen Ebenen, die sich dynamisch zueinander verhalten und eng miteinander verzahnt sind, erweist sich der Fürstenhof. Der Hof liegt gewisser- maßen quer zu den Kategorien Europa, Nation und Region, indem er sich auf alle drei Kategorien beziehen läßt. Dieses integrative Moment des Hofes kommt auch bei der Konstituierung einer kulturellen Identität der Fürsten mittels Kleidung am Ende des 15. Jahrhunderts zum Tragen. Europa, Nation und Region erweisen sich auch in dieser Hin- sicht als Bezugspunkte, an denen die Fürsten ihre Identitätskonstruktion orientierten und ihr Selbst- und Fremdbild immer wieder neu ausrichteten - sicherlich ohne sich dessen bewußt zu sein. Weil Identität ständig in sozialer Interaktion neu ausgehandelt und ver- handelt wird und somit lebenslanger Anpassung bedarf, ist sie nicht statisch, nichts Fes- tes, sondern höchst fragil. Gerade deshalb zielt Identität immer auf Kontinuität und Ko- härenz ab. Dieses Streben nach Kohärenz spiegelt sich auch in den Kleidungspraktiken der Fürsten im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert wider, in der verschiedene 'Identi- tätsstränge' gebündelt und miteinander so verknüpft wurden, daß Widersprüchlichkeiten zugedeckt wurden. Ein Fürst besaß sowohl Kleidungsstücke, die nach der Mode anderer Länder gefertigt waren und anhand ihres Schnittes zugeordnet wurden, als auch Klei- dungsstücke nach der nationalen Mode und nach der regionalen Mode. Da Fürsten sich auf allen diesen genannten Ebenen bewegten, waren abgrenzende und integrierende Funktion vom jeweiligen situativen Kontext abhängig. Dabei konnte eine Mode auf einer Ebene integrieren, während sie auf einer anderen Ebene gleichzeitig abgrenzte. Klei- dungspraktiken und Moden waren demnach hoch komplex und dynamisch. In dem gleichzeitigen Nebeneinander von kulturell bedingten Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen in der Fürstenkleidung des ausgehenden Mittelalters spiegelt sich besonders deutlich jene Wechselwirkung von �Ausgleichsbewegungen und Unausgegli- chenheit", die Peter MORAw in einem anderen Zusammenhang für die deutsche und europäische Gesellschaft zu dieser Zeit konstatiert hat. 51 Bezüglich der Fürstenkleidung erklärt sich dies aus dem bereits angesprochenen paradoxen Wesen der Mode. Gerade durch diese Wechselwirkung zwischen �sozialer Egalisierung" und �individueller

Unter- schiedenheiti52 gewinnt die Mode ihre Dynamik, denn je weiter verbreitet eine Mode ist, desto mehr büßt sie an Möglichkeit zur Distinktion ein; ein neues Unterscheidungs- merkmal muß gefunden werden. Als Reaktion auf eine weitere Verbreitung einer Mode bleibt nur die Flucht zu einer anderen, neuen Mode 53

51 Momw [Anm. 29], S. 303. sz Simmel [Anm. 181, S. 11. 53 Simmel [Anm. 181, S. 13-14, ausführlicher Bourdieu, Klassenstellung [Anm. 7], S. 63-66.