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Görg/Brand (Hrsg.) Mythen globalen Umweltmanagements

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Page 1: Görg/Brand (Hrsg.) Mythen globalen Umweltmanagements

Görg/Brand (Hrsg.)Mythen globalen Umweltmanagements

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einsprüche 13 Christoph Görg/Ulrich Brand (Hrsg.)

Mythen globalenUmweltmanagements

„Rio + 10“ und die Sackgassennachhaltiger Entwicklung

WESTFÄLISCHES DAMPFBOOT

Ulrich Brand, geb. 1967, Dr. phil., studierte Tourismus inRavensburg und Politikwissenschaft in Frankfurt/Main, Berlinund Buenos Aires; wissenschaftlicher Assistent an der Univer-sität Kassel; Mitautor der Studie Global Governance. Alterna-tive zur neoliberalen Globalisierung?, Münster 2000.

Christoph Görg, geb. 1958, PD Dr. phil., studierte Soziologie,Politikwissenschaften und Philosophie in Frankfurt/Main, dorttätig als wissenschaftlicher Assistent am Fachbereich Gesell-schaftswissenschaften, arbeitet zu Themen der politischen So-ziologie (Staat, soziale Bewegungen, NROs), der Umwelt-soziologie und der Regulationstheorie, dazu zahlreiche Veröf-fentlichungen, u.a. Gesellschaftliche Naturverhältnisse und (zu-sammen mit R. Roth Herausgeber) Kein Staat zu machen,Münster 1998.

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Inhalt

Einleitung 7

Ulrich Brand und Christoph Görg„Nachhaltige Globalisierung“? Sustainable Developmentals Kitt des neoliberalen Scherbenhaufens 12

Henri AcselradDie ökologische Herausforderung zwischenMarkt, Sicherheit und Gerechtigkeit 48

Christa WichterichSichere Lebensgrundlagen statt effizientererNaturbeherrschung – Das Konzept nachhaltigeEntwicklung aus feministischer Sicht 72

Enrique LeffDie Geopolitik nachhaltiger Entwicklung –Ökonomisierung des Klimas, Rationalisierung der Umweltund die gesellschaftliche Wiederaneignung der Natur 92

Silvia RibeiroBiopiraterie und geistiges Eigentum –Zur Privatisierung von gemeinschaftlichen Bereichen 118

Silvia Rodríguez CervantesBiodiversitäts-Politik und lokale Gegenmacht –Das Beispiel Costa Rica 137

Tewolde Berhan Gebre EgziabherBedrohte Ernährungssouveränität, internationalesRecht und Farmers’ Rights in Afrika 154

Achim BrunnengräberUmwelt- oder Gesellschaftskrise?Zur politischen Ökonomie des Klimas 192

Über die Autorinnen und Autoren 216

Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

Mythen globalen Umweltmanagements : „Rio + 10“und die Sackgassen nachhaltiger Entwicklung / ChristophGörg/Ulrich Brand (Hrsg.) – 1. Aufl. – Münster :Westfälisches Dampfboot, 2002(Einsprüche; 13)ISBN 3-89691-596-7

1. Auflage Münster 2002© 2002 Verlag Westfälisches Dampfboot, MünsterAlle Rechte vorbehaltenUmschlag: Lütke-Fahle-SeifertDruck: Fuldaer VerlagsanstaltGedruckt auf säurefreiem Papier.ISBN 3-89691-596-7

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7Einleitung

Einleitung

Die neunziger Jahre des 20sten Jahrhunderts werden vielleichteinmal in die Geschichte eingehen als das Jahrzehnt, in der die„ökologische Problematik“ endlich die internationale Ebeneerreicht hat – und in der gleichzeitig das Scheitern einer „glo-balen Reaktionsstrategie“ sich abzeichnete. Nach dem Endeder Blockkonfrontation sollten die internationalen Beziehun-gen auf eine neue Grundlage gestellt werden. Im Juni 1992wurde mit der UN-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung(UNCED) in Rio de Janeiro auf der konzeptionellen wie auchauf der institutionellen Ebene der Versuch unternommen, mitdem Begriff nachhaltige Entwicklung (sustainable develop-ment) Umwelt- und Entwicklungspolitik miteinander zu ver-knüpfen. Die sog. Friedensdividende sollte in diese beidenBereiche fließen und neue globale Partnerschaften die Lösungder globalen Umweltbedrohung ermöglichen. Sowohl ein an-deres, gerechteres Nord-Süd-Verhältnis als auch eine grundle-gende Umorientierung der bestehenden, krisenhaften Formengesellschaftlicher Naturaneignung sollten mit Hilfe dieses Leit-bildes verwirklicht werden. Die Folgekonferenz 2002 in Johan-nesburg, die 10 Jahre nach Rio eine Bilanz des Erreichtenziehen und gleichzeitig frischen Wind in die festgefahrenenVerhandlungsprozesse bringen soll, gibt Anlaß zu einer kriti-schen Überprüfung dieses Konzeptes.

„Rio plus 10“ soll – nach dem Willen ihrer staatlich-politi-schen und zivilgesellschaftlichen Protagonisten – einen weite-ren Einschnitt in der internationalen Umwelt- und Entwick-lungspolitik darstellen. Trotz umfangreicher Aktivitäten stelltsich jedoch schon im Vorfeld Ernüchterung ein. Nicht nur istdie Bilanz des vergangenen Jahrzehnts alles andere als berau-schend. So haben sich die ökologische Situation wie die glo-balen Ungleichheiten z.T. drastisch verschlechtert – trotz allerinzwischen ergriffenen Maßnahmen, und manchmal sogar we-gen ihnen. Vor allem aber fehlen weitgehend Vorstellungendarüber, was die Konferenz überhaupt an neuen Anstößenbringen könnte, jenseits eines neuen Appells an die „Welt-gemeinschaft“, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich,Nord und Süd und die zunehmenden Umweltprobleme end-lich anzugehen.

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8 9Die Herausgeber Einleitung

Die dem Buch zugrunde liegende These lautet, daß der Rio-Prozess trotz aller Erfolge im Einzelnen gemessen an seinemursprünglichen Anspruch in eine Sackgasse geraten ist unddass dies mit grundsätzlichen Defiziten zusammenhängt. Nichtnur gibt es kaum noch überzeugende Vorschläge, wie die Nord-Süd- und die Umweltthematik integriert werden können, bei-de fallen sogar mehr und mehr wieder auseinander. Während„im Norden“ das Konzept der nachhaltigen Entwicklung aufein reines Umweltproblem reduziert und verkürzt wird – undals solches zudem der Suche nach Strategien zur Steigerungder nationalen Wettbewerbsfähigkeit untergeordnet wird –,droht das Ziel einer Abmilderung der globalen Ungleichheitenund damit die Gerechtigkeitsdimension immer stärker in Ver-gessenheit zu geraten oder auf ein bloßes Lippenbekenntnisreduziert zu werden.

In den letzten Jahren wurden im Denken wie im Handelnder Umgang mit internationalen Umwelt- und Entwicklungs-problemen auf ein technokratisches Management reduziert.Strukturelle Änderungen im Nord-Süd- wie in den gesellschaft-lichen Naturverhältnissen werden kaum noch anvisiert. Mehrnoch: Hinsichtlich der Entwicklungspolitik bzw. eines ande-ren Nord-Süd-Verhältnisses ist die heutige Debatte um denBegriff nachhaltiger Entwicklung stark am Paradigma vonStrukturanpassungen im Süden sowie der Hoffnung auf dievermeintlich überlegenen Problemlösungskapazitäten desMarktes und von neuen Technologien orientiert. Damit wirdjedoch – sowohl innerhalb der einzelnen Länder wie auchinternational – den dominanten Trends gesellschaftlicher Ver-änderung kaum entgegengewirkt und die praktische wie theo-retisch-konzeptionelle Suche nach gesellschaftlichen Alternati-ven entscheidend verkürzt. Im dominanten Prozess neo-liberaler Globalisierung kommt jenseits der Rhetorik nachhal-tige Entwicklung kaum vor, es sei denn das Verständnis davonwird auf eine recht affirmative Variante ökologischer Moderni-sierung reduziert.

In Deutschland wie in vielen anderen nördlichen Industrie-gesellschaften gibt es kaum noch kritische Diskussionen dar-um, wie diese Sackgasse kritisch aufgearbeitet und in neuepolitische Impulse umgewandelt werden kann. Warum ist„nachhaltige Entwicklung“ zu einem technokratischen und in

den nördlichen Ländern vor allem umweltpolitisch verkürztenBegriff geworden? Weshalb und wie wurde er kompatibel mitder neoliberalen Gesellschaftstransformation? Angesichts derEntkopplung von Umwelt und Entwicklung ist zudem zubeobachten, dass im Süden ganz andere Diskussion geführtwerden. Wie wird dort von kritisch-emanzipativen Akteurenmit dem Begriff „nachhaltige Entwicklung“ umgegangen? Da-mit soll eine Perspektiverweiterung und zugleich eine Reflexi-on auf die Erfahrungen des vergangenen Jahrzehnt vorgeschla-gen werden: Worin bestand das kritische Potential des Be-griffs? Und warum konnte dieses sich nicht nachhaltig Gel-tung verschaffen? Warum fanden in einzelnen Politikfeldernwie beispielsweise in der Klimapolitik sogar gegenläufige Pro-zesse statt?

Das Buch versammelt internationale und bundesdeutscheExpertInnen, die sich in den letzten Jahren kritisch mit denangedeuteten Tendenzen auseinandergesetzt haben. UlrichBrand und Christoph Görg arbeiten in ihrem einleitendemBeitrag, ausgehend von der Situation im Vorfeld des Johannes-burg-Gipfels, die heute zu beobachtende Verknüpfung zwi-schen Nachhaltigkeit und Globalisierung als Gefahr heraus. Esdroht nicht nur eine weitere Verflachung der Debatten, da diestrukturellen Probleme neoliberaler Globalisierung kaum nochzur Kenntnis genommen werden, sondern die Debatte drohtinsgesamt in den Schatten der „neuen Weltunordnung“ zugeraten, deren Widersprüche sich nach den Anschlägen vom11. September noch vertieft haben. Henri Acselrad aus Rio deJaneiro geht den inneren Spannungen genauer nach, die demBegriff der nachhaltigen Entwicklung von Beginn an inne ge-wohnt haben und die mit der Konfliktstruktur zu tun haben,die mit seiner Hilfe bearbeitet werden sollte. Er beleuchtetinsbesondere die wichtigsten diskursiven Wandlungen der ver-gangenen Jahre. Dabei zeigt er am Beispiel des brasilianischenAmazonasgebietes die in der letzten Zeit verstärkt zu beobach-tende Verknüpfung von Umweltthemen mit Fragen der natio-nalen Sicherheit, die zu einer „Militarisierung der Nachhaltig-keit“ geführt hat. Christa Wichterich (Bonn) bringt in Erinne-rung, dass das Konzept der nachhaltigen Entwicklung die inden 1980er und frühen 90er Jahren innerhalb der globalenFrauenbewegung geführten Debatten um ein neues Entwick-

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10 11Die Herausgeber Einleitung

lungsmodell nur äußerst selektiv wiedergibt. Insofern ist diesesKonzept in seinem Kompromißcharakter nicht nur hochgra-dig selektiv in der Aufnahme genderspezifischer Themen, son-dern weist zudem eine entscheidende „Transformations-schwäche“ auf.

Enrique Leff aus Mexiko sieht eine Unvereinbarkeit zwi-schen ökonomischer und ökologischer Rationalität. Er zeigtauf, wie es unter dem Begriff nachhaltige Entwicklung zu einerÖkonomisierung der biologischen Vielfalt kommt, weil derNorden diese zur Bindung von CO2 nutzen möchte, um denTreibhauseffekt zu bekämpfen. Er weist zudem auf die zentraleBedeutung internationaler politischer Institutionen hin, umdominante Interessen durchzusetzen. Globalisierung, das wirdinsgesamt in diesem Band deutlich, ist eben ein ökonomischerund politischer Prozess. Zudem skizziert er Konturen eineralternativen Rationalität, die in sozialen Auseinandersetzun-gen erfochten werden muss. Silvia Rodriguez (Costa Rica)berichtet, ausgehend von der Situation in einem bestimmtenGebiet in Costa Rica, über die ambivalenten Erfahrungen mitInitiativen zur Stärkung der lokalen Ebene. Sie stellt dar, war-um technokratische Ansätze im Naturschutz scheitern müssenund welche Aussichten für ein „Empowerment“ der lokalenAkteure bestehen. Eine besondere Bedrohung für die Rechteschwächerer Akteure ist die Praxis der Biopiraterie. Die inMexiko lebende internationale Aktivistin Silvia Ribeiro zeigt,dass die gegenwärtige internationale Politik im Bereich geneti-scher Ressourcen dazu beiträgt, diese besser den Vermarktungs-bedingungen anzupassen. Insbesondere die Spezies der trans-nationalen Konzerne, die Ribeiro als „Gen-Giganten“ bezeich-net, treiben die Entwicklung in engem Zusammenspiel mitstaatlichen Akteuren voran. Zentral ist hier, dies taucht ineinigen Beiträgen auf, die internationale Absicherung der gei-stigen Eigentumsrechte der „modernen“ Unternehmen.

Aus seinen langjährigen Erfahrungen aus der nationalenwie internationalen Politik heraus schildert Tewolde BerhanGebre Egziabher (Äthiopien), Träger des Alternativen Nobel-preises, die besonderen Probleme und die Aussichten desafrikanischen Kontinents, um die Ernährungssicherheit seinerBevölkerung zu gewährleisten und gleichzeitig in der globalentechnologischen Konkurrenz nicht erneut übervorteilt zu wer-

den. In gewisser Weise handelt es sich um einen konkretenBeleg der andernorts entwickelten Vorstellung einer „De-Globalisierung“, die jüngst beim Weltsozialforum in PortoAlegre breite Zustimmung fand. Die Notwendigkeit rechtlicherRegelungen auf internationaler Ebene wird gesehen, die gegen-wärtige Situation aber scharf kritisiert. Achim Brunnengräberzeigt in seinem Beitrag über die internationale Klimapolitik,wie die Diskussionen um eine weltweite Gleichverteilung derPro-Kopf-Emissionen, um den Zusammenhang von Armut,Reichtum und Umweltzerstörung oder um das Thema der hi-storischen Verantwortung für den Klimawandel mittlerweilevon der engen Fokussierung der Klimaverhandlungen auf öko-nomische Fragen und wirtschaftliche Instrumente zur Problem-lösung abgelöst wurde. Er macht deutlich, dass sich die mäch-tigen Akteure auf diesem Terrain globaler Politik keinesfallsnur an den – durch die Klimakatastrophen als zwingend postu-lierten – sozial-ökologischen Notwendigkeiten orientieren, son-dern an handfesten ökonomischen Interessen.

Die verschiedenen Beiträge liefern ein facettenreiches Bildder globalen Problemlage. Es war weder beabsichtigt nochwäre es möglich, daraus ein einheitliches Gesamtbild zu ent-werfen, obwohl bestimmte Themen eng miteinander verknüpftsind. Es sollte aber mit diesem Band nicht darum gehen, nacheinem „Masterplan zur Rettung des Planeten“ zu fahnden,sondern vor allem darum, einige vergessene Fragestellungenund Perspektiven in der deutschen und internationalen De-batte vor und nach Johannesburg wieder in Erinnerung zubringen.

Unser Dank gilt neben den AutorInnen den ÜbersetzerIn-nen Stefan Armborst, Stephan Günther, Sandra Liebig, GeroldSchmidt und Peter Stegemann sowie Juliane Hammermeisterfür der Unterstützung bei den Korrekturen. Wir hoffen, mitdiesem Band einen anregenden und provokativen Beitrag dazuzu leisten, was unter einer angemessenen Politik nachhaltigerEntwicklung verstanden werden kann.

Besonders bedanken möchten wir uns bei der Rosa-Luxem-burg-Stiftung (Berlin) für die Gewährung eines Zuschusses fürdie Übersetzungen.

Die Herausgeber Frankfurt/M. und Kassel, im März 2002

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13„Nachhaltige Globalisierung“?12 Ulrich Brand und Christoph Görg

Ulrich Brand und Christoph Görg

„Nachhaltige Globalisierung“?Sustainable Development als Kittdes neoliberalen Scherbenhaufens1

In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts war das Scheiternüberkommener Entwicklungsvorstellungen wie auch die sichzuspitzende Krise gesellschaftlicher Naturaneignung offenkun-dig geworden. Von sozialen Bewegungen wie von kritischenIntellektuellen auf die Tagesordnung gesetzt, schienen beideProbleme auf eine Revision der Leitvorstellungen gesellschaft-licher Entwicklung hinzudeuten. Ökologische Probleme sowiedie Risiken der Atomkraft und anderer technologischer Groß-projekte hatten nicht nur in den Ländern des Nordens dieüberkommenen Modernisierungsstrategien zweifelhaft erschei-nen lassen. Auch das Modell „nachholender Entwicklung“wurde immer stärker kritisiert, zumal die seit Beginn der 80erJahre offenkundige Schuldenkrise viele südliche Länder immerstärker in die wirtschaftspolitische Defensive drängte.

Mit dem Ende der Blockkonfrontation schien jedoch Raumgeschaffen für eine grundsätzlich neue Ordnung in den inter-nationalen Beziehungen. Mit der Veröffentlichung des sog.Brundtland-Reports (deutsch: Hauff 1987) setzte sich imöffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs ein neuer Begriffdurch, welcher fortan richtungsweisend sein sollte: SustainableDevelopment, meist als nachhaltige Entwicklung übersetzt. Inden Vorbereitungen auf die United Nations Conference onEnvironment and Development (UNCED) seit Anfang der90er Jahre und deren Durchführung in Rio de Janeiro 1992manifestierte sich schließlich die Idee „nachhaltiger Entwick-lung“; institutionelle und gesellschaftliche Reformen solltenfolgen. Die Problemfelder „Umwelt“ und „Entwicklung“ soll-ten verknüpft und in Reformprozessen auf eine neue Grundla-ge gestellt werden.

Relativ losgelöst, und ungleich dominanter, waren zwei Ent-wicklungen, die schon damals zu einigem Pessimismus Anlassgaben: Die neoliberale Politik, die sich in der Folge derSchuldenkrise im Nord-Süd-Verhältnis in neoliberalen Struktur-anpassungsprogrammen äußerte, wie die 1991 vom damaligen

Präsidenten George Bush ausgerufene „Neue Weltordnung“(wir kommen auf diese Entwicklungen noch zurück). Der bra-silianische Umweltaktivist und zeitweilige Umweltminister JoséLutzenberger sprach diesbezüglich von einer „unerträglichenEntwicklung“.

Doch zurück zum sog. Rio-Prozess: Ob dieser als erfolg-reich angesehen werden kann, ist Gegenstand der Diskussio-nen um den World Summit on Sustainable Development(WSSD), der im Herbst in Johannesburg stattfindet. BisherigeEinschätzungen geben kein klares Bild ab. Die einen sehen imVorbereitungsprozess und in der Konferenz in Johannesburgdie „seit langer Zeit und für lange Zeit beste Gelegenheit“, umden Zusammenhang zwischen Globalisierung und nachhalti-ger Entwicklung zu diskutieren (Müller-Kraenner/Greger 2001:20). Andere hingegen befürchten, dass private Industrieunter-nehmen den Gipfel als große PR-Veranstaltung nutzen könn-ten, um sich einerseits als Hauptakteur einer ökologischenModernisierung darzustellen und um andererseits verbindli-che sozial- und umweltpolitische Regulierungen zu unterlau-fen (Hoedeman 2001).

So oder so – die Globalisierungsproblematik wird vor, inund nach Johannesburg zweifellos einen zentralen Stellenwerteinnehmen. Immer häufiger sind Stimmen zu vernehmen, diedaran weit reichende Erwartungen knüpfen hinsichtlich einerErneuerung der festgefahrenen Umweltverhandlungen wie auchin Bezug auf den Abbau der globalen Ungleichheiten. Äuße-rungen wie die von UNO-Generalsekretär Kofi Annan gebendas Motto vor: „Making globalization work for sustainabledevelopment and to jump start implementation efforts.“(Annan 2001) Andere folgen ihm dabei, indem sie ausgerech-net die transnational agierenden Konzerne und die zentralenInstitutionen neoliberaler Globalisierung als wichtigste Ver-bündete im Kampf gegen globale Umweltveränderungen undgegen die Armut in der Welt anempfehlen:

„Die Welthandelsorganisation (WTO), die Weltbank und der Inter-nationale Währungsfonds versuchen in wachsendem Umfang, sich fürUmweltschutz und Armutsbekämpfung einzusetzen. MultinationaleUnternehmen und Allianzen der globalen Zivilgesellschaft betreibeneine immer energischere Debatte dazu. Der Johannesburg-Gipfel kanndiese Akteure in den Dienst nehmen und sich auf Wege konzentrie-

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15„Nachhaltige Globalisierung“?14 Ulrich Brand und Christoph Görg

ren, auf denen die Globalisierung nutzbar gemacht werden kann fürdie Bedürfnisse der Armen und Marginalisierten, um Umwelt-dienstleistungen aufrecht zu erhalten.“ (IIED 2001)

Diese Hoffnung auf eine globale Partnerschaft trägt jedochdazu bei, dass sich ein verhängnisvoller Trend fortsetzt undsogar verstärkt. Denn eines der zentralen Versäumnisse in öf-fentlichen wie in den wissenschaftlichen Diskussionen dervergangenen Jahre lag darin, dass keiner der verschiedenenAkteure an einer vertieften Ursachenanalyse der Defizite desRio-Prozesses interessiert war, die insbesondere die strukturel-len Gründe miteinbezogen hätte (Unmüßig 2001). Wenn nungerade der Privatsektor und jene Institutionen als Haupt-verbündete einer Reform dargestellt werden, deren Gründungs-zweck in der Regulierung und Liberalisierung des Welthandelsliegt, dann dürfte sich dieses Versäumnis sogar noch verstär-ken. Denn damit erhöht sich die Gefahr, dass dominanteGlobalisierungsprozesse kaum hinterfragt, sondern als Rah-menbedingung akzeptiert werden. Dies ist nicht neu: Bereitsin den 90er Jahren haben sich Begriff und Praxis nachhaltigerEntwicklung immer weniger kritisch auf dominante gesell-schaftliche Entwicklungen und Kräfteverhältnisse bezogen.Unter nachhaltiger Entwicklung wird heute – insbesondere inden nord-westlichen Gesellschaften – im günstigsten Falle dieökologische Modernisierung etablierter Institutionen und einvor allem technokratisch „von oben“ gedachter Prozess ver-standen. Nichts anderes verbirgt sich hinter der Nachhaltig-keitsstrategie der deutschen Bundesregierung, die zwar die Zivil-gesellschaft als Feigenblatt in ihre Nachhaltigkeitsbemühungeneinbindet, letztlich aber alle ihre Reformbemühungen unterdem Label der Nachhaltigkeit anpreist.

„Weltumweltpolitik“ (Udo Ernst Simonis) ist zum integra-len Bestandteil neoliberaler Globalisierung und Neuer Welt-ordnung geworden. Statt ein alternatives Entwicklungsmodellvoranzutreiben und der „Weltgesellschaft“ zu einem stärkerökologisch und sozial geprägten Aussehen zu verhelfen, ge-langte der Reformprozess selbst immer mehr in Sackgassen.

Die etablierten Institutionen nachhaltiger Entwicklung –allen voran die Klimarahmenkonvention und die Konventionüber biologische Vielfalt – haben in den 90er Jahren selbsteinen Transformationsprozess durchlebt. Indem dominante

politische und wirtschaftliche Akteure auch hier ihren Interes-sen stärker Geltung verschaffen konnten, wurde das Leitbildnachhaltiger Entwicklung vor allem in Form einer Ökonomi-sierung der Natur konkretisiert (vgl. dazu die Beiträge vonEnrique Leff, Silvia Ribeiro und Achim Brunnengräber in die-sem Band).

Dass in diesem Rahmen die sozialen und ökologischenProbleme – allen institutionellen Reformen und internationa-len Abkommen zum Trotz – nicht geringer wurden, ist nahezuunbestritten (vgl. UNEP 2000). Im Hinblick auf die Armuts-bekämpfung hat sich vor allem gezeigt, dass die neoliberalenStrukturanpassungsprogramme, mit deren Hilfe Weltbank undIWF „Reformen“ in den Entwicklungsländern erzwingen woll-ten, auf breiter Linie gescheitert sind. Gedacht, um auf demWege einer beschleunigten Öffnung für den Weltmarkt dieWettbewerbsfähigkeit der Entwicklungsländer zu erhöhen, hatdie Überprüfung der Programme nun z.T. verheerende Ergeb-nisse zu Tage gefördert – verheerend vor allem für die ärmereländliche Bevölkerung, insbesondere gilt dies für die Frauen indiesen Regionen, und für die natürlichen Lebensgrundlagen(SAPRI 2002). Obwohl alle Daten belegen, dass die neoliberaleStrategie der Weltmarktintegration ein höchst selektives Wachs-tum erzeugt, welches in erster Linie zur Erhöhung nationalerund internationaler Ungleichheit und der ungleichen globalenMachtverteilung beiträgt, ist die dominante Stellung dieserStrategie durch die jüngsten globalisierungskritischen Protestehöchstens herausgefordert, aber (noch) nicht erfolgreich un-tergraben worden.

Dennoch laufen jene Prozesse, die mit „Globalisierung“ oder„Umwelt- und Entwicklungspolitik“ nur unscharf erfasst wer-den, keineswegs widerspruchsfrei ab. Die Kritik an dominantenEntwicklungen nimmt seit einigen Jahren sogar deutlich zu.Die Stichworte „Seattle“ und „Genua“ drücken mehr als punk-tuelle Protestereignisse aus und das Weltsozialforum in „PortoAlegre“ ist mehr als ein isoliertes fünftägiges Event. Vielmehrhandelt es sich hier um Kristallisationspunkte zunehmender,sich in sehr unterschiedlichen Bereichen artikulierender Kritik.In diesen Auseinandersetzungen spielen Begriffe eine wichtigeRolle, denn sie geben Orientierungen, kennzeichnen bestimm-te politische Vorschläge als legitim oder absurd und begründen

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17„Nachhaltige Globalisierung“?16 Ulrich Brand und Christoph Görg

neue Sichtweisen auf reale Verhältnisse. Das beste Beispiel istaktuell sicherlich die Auseinandersetzung um die Begriffe„Globalisierung“ und „Neoliberalismus“, die vor wenigen Jah-ren noch als unveränderbar galten und im Zuge der jüngstenEntwicklungen kräftig in Frage gestellt werden.

Auch die Debatte um „sustainable development“ muss alsein spezifisches Konfliktterrain verstanden werden. Hier wer-den gesellschaftliche Auseinandersetzungen um die Richtungund den Gehalt gesellschaftlicher Entwicklung sowie ihrer so-zialen und ökologischen (und zunehmend auch wirtschaftli-cher) Konsequenzen geführt.

Gerade deswegen droht hier eine große Gefahr, besondersaus kritisch-emanzipativer Perspektive. Sollten sich die Stim-men durchsetzen, die auf neue „Partnerschaften“ mit den Ak-teuren und Institutionen setzen, die für die neoliberaleGlobalisierung die Hauptverantwortung tragen, dann könntedie sich in letzter Zeit stärker artikulierende Kritik am Neoli-beralismus gerade durch die Nachhaltigkeitsdebatte entschärftwerden. Denn in dem Maße, in welchem auf Kooperation und„gemeinsamen Interessen“ insistiert wird, scheint grundsätz-lichere Kritik eher störend. Auch der Protest auf „der Straße“wird dann nur noch als Ort der Unmutsäußerung verstanden,der allenfalls dazu dient, den ExpertInnen und Regierungen„etwas Dampf zu machen“. Radikalere Kritik an den herr-schenden Verhältnissen muss nämlich in dem Maße suspektwerden, indem die Adressaten der Kritik zur Kooperation ge-wonnen werden sollen. Zudem wird sie zunehmend mit demArgument der fehlenden Alternativen zurückgewiesen. Eineweitergehende Infragestellung von politischen Formen undInhalten, Fragen nach Macht und Herrschaft, nach Demokra-tie und Gerechtigkeit – die zu den Grundanliegen der jüngstenglobalisierungskritischen Bewegung gehören – drohen aus die-ser Perspektive ausgeblendet oder gar delegitimiert zu werden.

Der Kontext: Neoliberale Globalisierungund der Übergang zum Postfordismus

Im Vorfeld der Johannesburg-Konferenz skizziert Kofi Annanin einem Report die dominierende, weithin geteilte Perspekti-ve auf gegenwärtige Probleme. Der sog. Rio-Prozess sei langsa-

mer als erwartet und in einigen Bereichen hätten sich dieBedingungen sogar verschlechtert. Die Ziele der Agenda 21,nämlich wirtschaftliches Wachstum, soziale Entwicklung undUmweltschutz zu vereinen, wären noch nicht erfüllt. Die Hin-dernisse seien ein fragmentierter statt integraler Politikansatz,kurzfristige und inkohärente Finanz-, Wirtschafts-, Investitions-und Technologiepolitiken sowie das Fehlen von finanziellenRessourcen, um die Agenda 21 umzusetzen. Annan benennt –die dramatischen Trends weltweiter wirtschaftlicher und politi-scher Entwicklung aufzeigend – dann das, was zum zentralenTopos des mit der Konferenz beginnenden „Johannesburg“-Prozesses werden dürfte: Den Prozess der Globalisierung fürdie Umsetzung nachhaltiger Entwicklung zu nutzen. Mit mehrpolitischem Willen, praktischen Schritten und neuen Partner-schaften sei dies auch zu erreichen (Annan 2001).

Doch was es heißen könne, den Prozess der Globalisierungzu nutzen, das bleibt mehr als unklar. In den meisten jüngerenBeiträgen steht zwar der Prozess ökonomischer Globalisierungim Kern der gegenwärtigen Entwicklungen (vgl. Sachs 2000;Dowdeswell 2001; IIED 2001; Müller-Kraenner/Greger 2001) .Das bedeutet aber nicht, dass es einen allgemeinen Konsensgebe, zumindest dann nicht, wenn es darum geht, konkreteLösungsstrategien und Umsetzungsschritte zu entwickeln. Viel-mehr lässt sich ein ähnliches Defizit beobachten wie bei ande-ren Fragen der Nachhaltigkeitspolitik. Dieser Prozess, seineUrsachen und ihn vorantreibenden Kräfte sowie die Rollebestehender Institutionen werden nicht tiefergehend analysiertund vor allem nicht weiter hinterfragt. Mehr noch: Mit derAnfang des Jahres 1999 beim Weltwirtschaftsforum in Davoslancierten Initiative eines Global Compact, d.h. eines „Vertra-ges“ der UNO mit privatwirtschaftlichen Unternehmen setztAnnan explizit auf jene Kräfte, welche die neoliberale Globali-sierung wesentlich vorantreiben (zur Darstellung und Kritikvgl. Paul 2001)

Dabei ist die Verknüpfung der Diskurse über nachhaltigeEntwicklung und Globalisierung relativ jung. Auf den ver-schiedenen Weltkonferenzen in den 90er Jahren fand derGlobalisierungsbegriff kaum Verwendung. Zwar waren die 80erJahre entwicklungspolitisch das anerkanntermaßen „verloreneJahrzehnt“, doch „Entwicklungsprobleme“ wurden vor allem

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19„Nachhaltige Globalisierung“?18 Ulrich Brand und Christoph Görg

als solche des Südens interpretiert. Dass weltweit, also auch imNorden, ein Umbruch stattfand, der tiefergehend war als dasSymbol „1989“ und das Ende der Blockkonfrontation, wurdeerst in der zweiten Hälfte der 90er Jahre deutlich.

Zu dieser Zeit dominierte jedoch eher noch die Skepsis, obdie Globalisierung nicht verantwortlich sei für das langsameVorankommen nachhaltiger Entwicklung: „Der Rio-Prozessleidet darunter, dass die öffentliche Debatte immer stärkervon den Themen Globalisierung der Wirtschaft, Arbeitslosig-keit und leere Staatskassen bestimmt wird.“ (Fues 1998: 2)Heute zeichnet sich, wie im Zitat von Kofi Annan angedeutet,eine wichtige Verschiebung ab: Es geht nicht um „Globalisie-rung“ gegen „nachhaltige Entwicklung“, sondern um ihr rich-tiges Zusammenspiel.

Von wissenschaftlicher Seite wird diese Sichtweise argumen-tativ unterfüttert. In einer Studie mit dem programmatischenTitel „Rio plus 10“ vertrat exemplarisch Thomas Fues (1998)schon sehr früh die inzwischen dominante Position. „Nurwenn alle Länder den Ernst der Lage erkennen und mit verein-ten Kräften gegen steuern, kann die Rettung der Menschheitgelingen.“ (ebd.: 2) Es gehe angesichts der erkannten katastro-phischen Zuspitzung um eine „radikale Erneuerung der gesell-schaftlichen Fundamente.“ Dazu seien „kooperative, vorbeu-gende Lösungsansätze“ notwendig. Ökologischer Strukturwan-del könne nur kooperativ erfolgen, denn bei Alleingängenriskiere ein Land seine Wettbewerbsfähigkeit und seine Ar-beitsplätze (ebd.: 6).

Aus dem Blickfeld gerät vor allem der Zusammenhang zwi-schen ökologischer Problematik und gesellschaftlichen Um-strukturierungen, die als Übergang vom Fordismus zumPostfordismus zu begreifen sind und die sowohl die inner-gesellschaftlichen wie auch die internationalen Strukturmustererheblich verändert haben. Die ökologische Krise war, symbo-lisch wie materiell, eng mit der Krise des Fordismus verbun-den. Auf der materiellen Seite war das fordistisch-fossilistischeWohlstandsmodell der nördlichen Industriegesellschaften aufmateriell-stofflicher Seite maßgeblich verantwortlich für dieenorme Ausweitung des Ressourcenverbrauchs und die stei-gende Belastung der natürlichen Umwelt durch Schadstoffe(Altvater 1992). Auf der anderen, symbolischen Seite themati-

sierten soziale Bewegungen und Intellektuelle die ökologischeKrise als eine gesellschaftliche Krise, d.h. es wurde versucht,die sozialen Ursachen der Krise gesellschaftlicher Natur-verhältnisse zu benennen. Doch diese Konstellation geriet inden 80er Jahren immer stärker in den Sog des neoliberalenUmbaus der Gesellschaft. Die zentrale Strategie zur Durchset-zung des postfordistischen Kapitalismus war die neoliberaleAusrichtung der Gesellschaft an den Imperativen der Effizienzund der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Auch staatli-che Politik wurde immer stärker daran ausgerichtet (Hirsch1995). Ein weiterer Punkt kommt hinzu. Seit den 90er Jahrenhat die Entwicklung neuer Technologien, insbesondere derInformations- und Kommunikationstechnologien sowie derneueren Bio- und Gentechnologien auch auf ökonomisch-technischer Ebene zur Herausbildung veränderter, „postfordi-stischer Naturverhältnisse“ beigetragen (Görg/Brand 2001).

Mit dem Übergang zum Postfordismus ändern sich sowohldie Arbeitsweise zentraler gesellschaftlicher Institutionen alsauch auf eine durchaus widersprüchliche Art und Weise derZugriff auf natürliche Ressourcen. Mit dem immer stärker wer-denden, von machtvollen Interessen gesetzten Imperativ inter-nationaler Wettbewerbsfähigkeit wird auch der Umgang mitNatur als Ressource bzw. deren Inwertsetzung stärker denRentabilitätskalkülen des Kapitals unterworfen (gerade in südli-chen Ländern erhält dies durch den Kontext von Auslands-verschuldung und dem Zwang zum Schuldendienst besondereBedeutung). Aufgrund neuer technologischer Verfahren undneuer Produktionsstrukturen gewinnt diese Verwertung eineneue Qualität. Insbesondere die neuen Bio- und Gentechnolo-gien erfordern partiell diesen anderen Zugriff und machen Tei-le der außermenschlichen wie auch der menschlichen Natur zu„strategischen Ressourcen“ (Ceceña/Barreda (Hg.) 1995).

Auf internationaler Ebene bildet sich damit ein Koopera-tions-Konkurrenz-Paradox als zentrale Rahmenbedingung in-ternationaler Umweltpolitik heraus. Davon wird in den sozial-wissenschaftlichen wie auch öffentlichen Diskussionen meistnur die eine Seite erwähnt: Ein wachsender Druck zur koope-rativen Bearbeitung grenzüberschreitender Umweltprobleme.Dieser Druck setzt sich nicht naturwüchsig als direkte Folgeökologischer Problemlagen durch, sondern immer vermittelt

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21„Nachhaltige Globalisierung“?20 Ulrich Brand und Christoph Görg

durch seine öffentliche Symbolisierung durch soziale Akteure(NGOs, WissenschaftlerInnen, die sog. „Wissensgemeinschaf-ten/epistemic communities“ etc.). Der politische Druck zurKooperation hat in den vergangenen Jahren zu einer kaumnoch überschaubaren Zahl internationaler Umweltabkommengeführt. Allerdings heben diese Abkommen und Regime dieKonkurrenz zwischen Staaten sowie zwischen verschiedenenökonomischen Sektoren und Regionen keineswegs auf. Viel-mehr prägt diese Konkurrenz die bestehenden Abkommen inhohem Maße, und zwar umso stärker, je mehr von einzelnenAbkommen komplexe Querschnittsprobleme tangiert unddamit meist auch Spannungsverhältnisse zwischen verschiede-nen internationalen Vertragswerken sichtbar werden (beideskann in der internationalen Biodiversitätspolitik gut beobach-tet werden). Generell lässt sich sagen, dass sich sowohl innationalen als auch in internationalen Maßnahmen zur Bear-beitung ökologischer Problemlagen völlig unterschiedlicheund z.T. gegensätzliche Interessen artikulieren, welche dieKonkurrenz zwischen verschiedenen nationalen wie interna-tionalen Interessengruppen in die Vertragstexte und den weite-ren Verhandlungsprozess „hinein tragen“.

Zwei Elemente sind dabei von besonderer Bedeutung. Er-stens kommt es zu einer neuen, postfordistischen Grenzzie-hung zwischen Politik und Ökonomie. Diese Entwicklungwird in den Sozialwissenschaften oft als Erosion des National-staats missverstanden. Tatsächlich verliert der Nationalstaatzwar in manchen Punkten seine Steuerungsfähigkeit und seineSouveränität über ein bestimmtes Territorium. Aber er ver-schwindet dabei nicht einfach, sondern transformiert sich inRichtung des stärker den globalen Konkurrenzbedingungenunterworfenen nationalen Wettbewerbsstaats. Gleichzeitig fin-det aber auch eine Internationalisierung des Staates statt(Hirsch 2000; Brand u.a. 2001). Die Veränderungen von Poli-tik im Zuge einer Transformation des Staates sind weitrei-chend. Sie sind jedoch wenig dazu angetan, Hoffnungen aufeinen übermäßigen Einfluss der „Zivilgesellschaft zu wecken.Politik findet auch in internationalen Regimen und Institutio-nen immer noch wesentlich als zwischenstaatliche Politik statt.Dies geschieht nicht nur zufällig und nicht nur vorüberge-hend. Vielmehr ist auch der internationalisierte Staat vor allem

ein Herrschaftsinstrument, in dem sich globale Interessenlagenund Machtverhältnisse „verdichten“ (nach einer Formulierungvon Nicos Poulantzas 1978; vgl. auch Hirsch/Jessop/Poulantzas 2001). Die dominante Orientierung internationa-ler Politik hat Stephen Gill (1995) als „globalen Konstitutiona-lismus“ bezeichnet. Denn es geht in zunehmendem Masseauch auf internationaler Ebene um die Absicherung der bür-gerlichen Rechts- und Eigentumsordnung. Dies betrifft auchund gerade die internationale Umweltpolitik.

Zweitens: Bezogen auf ökologische Problemlagen lässt sichfeststellen, dass der postfordistische Kapitalismus sich zwar ingewisser Weise durchaus auf diese Probleme eingestellt hat.Dies erfolgte nicht im Sinne einer erfolgreichen Bearbeitungder materiellen Dimensionen der ökologischen Krise. Gleich-wohl hat sich ein größtenteils akzeptiertes Muster der Krisen-bearbeitung herausgebildet. Denn vor allem Strategien ökolo-gischer Modernisierung haben Aussicht auf Erfolg, die entwe-der auch betriebswirtschaftliche Kosten senken helfen oderein neues Absatzfeld für neue Technologien etc. eröffnen. DieSpielräume für Bearbeitungsstrategien werden dabei von ande-ren Prozessen, nicht zuletzt der zunehmenden Kapital- undStandortkonkurrenz, vorgegeben und der neoliberalen Strate-gie der wirtschaftlichen Liberalisierung untergeordnet. Zudemstehen auf zwischenstaatlicher Ebene alle Maßnahmen undderen Erfolgsaussichten unter dem Primat einer globalenMachtpolitik zentraler Staaten. Mehr und mehr wird außer-dem die ökologische wie die soziale Frage, dem Standort- wiedem Sicherheitsdiskurs untergeordnet, der ein nur schlechtverborgenes Vehikel für globale Herrschaftsstrategien darstellt.Auch diese Entwicklung lässt den Begriff „nachhaltiger Ent-wicklung“ nicht unberührt. Christoph Spehr und ArminStickler (1997: 220ff) sehen ihn als Ausdruck und Teil desÜbergangs vom Entwicklungsdiskurs zum „postmodernenOrdnungsdiskurs“.

Das Hegemoniedefizit der „neuen Weltordnung“

Wie bereits 1992 liegt auch heute der Schatten der „neuenWeltordnung“ über den Bemühungen, kooperativ aus denumwelt- und entwicklungspolitischen Sackgassen herauszu-

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kommen. Wurde das Datum „1989“ noch mit den Chanceneiner Suche nach neuen Politikformen verbunden, so wurdeder Vorbereitungsprozess der UNCED zu Beginn der 90erJahre von einem anderen Ereignis deutlich überlagert. DerEinmarsch der irakischen Armee in Kuwait im Sommer 1990und die militärische Antwort der USA bzw. der NATO daraufim Januar/Februar 1991 waren eine weltpolitisch entscheiden-de Zäsur. Der damalige US-Präsident George Bush proklamier-te im Januar 1991 eine „Neue Weltordnung“, die um einigesanderes aussah als jene wenig später von den UNO-Weltkonfe-renzen angedachte. Nicht Kooperation und die gemeinsameSuche nach Wegen zur Lösung der „Weltprobleme“, sonderndie gegebenenfalls militärische Absicherung der dominantenInteressen stand im Zentrum dieser Politik. Die NATO-Richt-linien von 1999 sind ein deutlicher Ausdruck dafür, wie mili-tarisiertes Denken zu institutioneller Praxis wird.

2002 sieht es ähnlich aus. Wie vor Rio, so wurden auch einJahr vor Johannesburg die USA mit einem Militärschlag aktiv,um die Weltordnung, aber im zunehmenden Maße auch ihreeigenen Interessen und vor allem ihre nationale Sicherheitmilitärisch zu verteidigen. Der 11. September, das ist heutebereits absehbar, wird nicht nur auf der militärisch-politischenEbene einen weitergehenden Einschnitt als der zweite Golf-krieg 1991 bedeuten, sondern auch auf der ideologischen.Und dies hat Konsequenzen für alle Ansätze globaler Refor-men wie für kritisch-emanzipatives Handeln und damit auchfür eine Politik, die den einst formulierten Ansprüchen nach-haltiger Entwicklung entsprechen würde.

Schon längere Zeit wurde die Entwicklung des internatio-nalen Systems in den 90er Jahren als „Ende der WestfälischenOrdnung“ zu begreifen versucht. Aber bislang war das Aus-maß dieser Veränderung noch nicht absehbar. Das hat sichnach dem 11. September geändert. Unter der „WestfälischenOrdnung“ wird die seit dem Westfälischen Frieden von 1648geltende Ordnung des internationalen Systems verstanden, dieauf dem Prinzip der Anerkennung der territorialen Integritätsouveräner Staaten beruht. Diese Ordnung, so die bislang vonverschiedenen Seiten vertretene These, sei mit der Globalisie-rung aller Lebensbedingungen unwiderruflich untergrabenworden. Doch diese These trifft nicht den Kern des Problems.

Denn es ist nicht eine anonyme Globalisierung, welche diezwischenstaatliche Ordnung untergräbt. Seit dem 11. Septem-ber wird mehr und mehr deutlich, dass die Versuche einerVerrechtlichung der internationalen Beziehungen – und d.h.von machtförmig und konkurrenzhaft strukturierten und auchpotentiell kriegerischen Verhältnissen zwischen souveränenStaaten – wieder zugunsten der Interessen dominanter Staatenuntergraben werden. Dies hat weitreichende Folgen auch fürdie internationale Umwelt- wie Entwicklungspolitik.

Nun war mit der „Westfälischen Ordnung“ eine Herrschafts-form etabliert worden, die schon immer einen höchst wider-sprüchlichen Charakter hatte, nämlich eine Form bürgerlicherAllgemeinheit, die sich nur im Gegeneinander, in der Konkur-renz partikularer Staaten etablieren konnte und die daher apriori antagonistisch war. Zwar war es die Hoffnung der bür-gerlichen Aufklärung, dass diese dynamische Situation sich zueinem „weltbürgerlichen Zustand“ (Kant 1977) weiterentwik-kelt, in der die bürgerlichen Verfassungen die gesellschaftli-chen Antagonismen überwinden und zu einem „ewigen Frie-den“ unter selbständigen bürgerlichen Republiken fortschrei-ten. Kant war sich jedoch noch völlig klar darüber, dass alleineine zunehmende Verrechtlichung internationaler Beziehun-gen die grundlegenden Antagonismen, durch die Staat undRecht in der bürgerlichen Gesellschaft gekennzeichnet sind,überwinden oder zumindest zu bändigen versuchen könne.

Genau diese Hoffnung scheint nun untergraben zu werden.Und das nicht erst seit dem 11. September. Seitdem wird aberdeutlich, dass mit dem Ende der „Westfälischen Ordnung“Gewalt und Recht eine neue Synthese eingehen. Denn wirhaben es zwar auf den ersten Blick mit einer Rückkehr in eineOrdnung zu tun, in der jeder Staat, solange er nur über ent-sprechende Macht verfügt, die Gewaltmittel einsetzen kann,die ihm zur Verfolgung seiner Absichten opportun erscheinen.Insofern ist das „Ende der Westfälischen Ordnung“ auch nichtmit einem „Ende des Nationalstaats“ zu verwechseln. Die rea-le Souveränität von Staaten war jedoch schon immer ungleichverteilt. Und diese Machtungleichgewichte haben sich nichtnur weiter verstärkt – auch das Gegengewicht einer Verrechtli-chung der Beziehungen wird zunehmend in den Hintergrundgedrängt. Nicht mehr die Rechtsbindung staatlicher Gewalt,

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sondern die Nichteinhaltung von selbstgesetzten Regeln stehtauf der Tagesordnung. Unter Berufung auf nationale Sicher-heitsinteressen werden grundlegende menschen- und völker-rechtliche Standards wie etwa die Genfer Konvention oder dasVerbot der Vereinten Nationen, einen Angriffskrieg zu führen,missachtet und immer mehr als bindende Normen desavou-iert. Dabei ist das Recht aber nicht einfach verschwunden. Dersituative Bezug auf Menschenrechte oder das Völkerrecht –bei gleichzeitiger Missachtung, wenn es den eigenen Interessengegenüber nicht opportun erscheint – zeigt vielmehr, dass dierechtliche Auslegung bestimmter Maßnahmen weiterhin um-kämpft ist und als eine diskursiv erzeugte Machtressourcedient, deren sich Akteure zur Legitimation ihrer Absichten zubedienen versuchen. Mehr und mehr scheint also das Rechtselbst zu einer Ressource zu werden, mit dem Akteure ihreInteressen durchzusetzen versuchen.

Damit wird eine Entwicklung verschärft, die sich schon vorden Anschlägen abgezeichnet hat, und die sogar als eine ihrertiefer liegenden Ursachen angesehen werden muss – das Feh-len von Hegemonie im internationalen System. Denn die ein-zige verbleibende militärische und politische Supermacht, dieUSA, ist in einer ganzen Reihe von internationalen Abkom-men und Regimen weder Willens noch in der Lage, die politi-sche Führung zu übernehmen.2 Dazu würde neben politisch-militärischer und wirtschaftlicher Stärke auch die Bereitschaftgehören, Akteure mit anderen und möglicherweise gegensätzli-chen Interessen in einen Kompromiss einzubinden, notfallsauch durch punktuelle Zugeständnisse. Nur dadurch ließe sichauch die Hoffnung auf eine kooperative Bearbeitung globalerProbleme rechtfertigen. Denn diese setzt voraus, dass auf denEinsatz von Machtpotenzialen zugunsten einer Strategie ver-zichtet wird, der verschiedene Akteure nach Vorgabe desHegemons bzw. hegemonialer Diskursstrategien zustimmenund in die sie eingebunden werden könnten.

Selbst diese kooperative Problembearbeitung wäre dannvordringlich durch den Interessenkompromiss der beteiligtenAkteure bedingt und daher per se keineswegs sachangemessenbzw. eine wirkliche Problemlösung. Durch die Politik des„America first“ wird aber selbst diese Minimalbedingung füreine kooperative Strategie in zunehmendem Maße erschwert.

Ironischerweise geschieht dies sogar in den internationalenRegimen, bei deren Gründung die Interessen der USA eigent-lich eine zentrale Rolle gespielt haben, wie in der WTO, oderdie gerade zum jetzigen Zeitpunkt eine wichtige Rolle spielenkönnten, wie die Biowaffenkonvention. Während die US-Re-gierung im WTO-Prozess zu keinen Zugeständnissen bereit istund damit im Umfeld der Doha-Konferenz der WTO als wich-tigster Bremser angeklagt wurde (http://www.twnside.org.sg/title/dohamain.htm), ist sie aus anderen Regimen inzwischenfaktisch ausgestiegen oder betätigt sich allein als Verhinderer –nicht nur in der Biowaffenkonvention, sondern auch im Rah-men der Klimarahmenkonvention und in anderen internatio-nalen Abkommen.

Jede Hoffnung auf eine kooperative Bearbeitung globalerProbleme, seien sie militärischer, wirtschaftlicher, sozialer oderökologischer Art, muss sich also mit dem Problem auseinan-dersetzen, dass der ohne Zweifel wichtigste nationalstaatlicheAkteur kein Interesse an einer kompromisshaften, die Interes-sen der verschiedenen Akteure einbeziehenden Bearbeitungs-strategie hat. Die „neue Weltordnung“ kann daher als eineSituation charakterisiert werden, in der bei zunehmenden glo-balen Interessengegensätzen und Machtungleichgewichten –und trotz mächtiger Diskursstrategien – ein Hegemon fehlt.Oder genauer: Es handelt sich um eine Situation, in welcherder mächtigste Staat genau diese Rolle verweigert und gleich-zeitig seine Interessen machtvoll, notfalls auch militärisch,durchzusetzen versucht.

Der Rio-Gipfel und die in seinem Gefolge verhandeltenAbkommen waren der Versuch, über z.T. neue Formenschwach institutionalisierter Normsetzungen, wie dies interna-tionale Regime darstellen, internationales Recht zu entwik-keln. Heute lässt sich einerseits eine relative Beliebigkeit in derAuslegung dieser Normen und andererseits eine recht deutli-che Rückkehr zur reinen Machtpolitik erkennen, die vor alleman nationalen Interessen und der nationalen Sicherheit orien-tiert sind. Vor allem die NATO-Richtlinien von 1999 zeigen,worum es dabei geht: Um die Verteidigung der Interessen derdominanten Länder des Nordens, wo immer es ihnen notwen-dig erscheint. Dabei wäre es auch eine völlig falsche Hoff-nung, dieser „neuen Weltordnung“ eine im Kern progressive

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„Weltumweltpolitik“ (Simonis) dichotomisch gegenüberstel-len zu wollen. Das Gegenteil ist der Fall. Einmal muß generellim Auge behalten werden, dass selbst diese Normen bei ihrerEntstehung Kompromißbildungen vor dem Hintergrundhegemonialer Machtverhältnisse darstellten und damit mit vie-len Defiziten und Selektivitäten behaftet waren. Zudem sindgerade die in Rio unterzeichneten Abkommen zu Klima undbiologischer Vielfalt einem Transformationsprozeß ausgesetzt,der diese immer stärker den Gesetzen der neoliberalen Globali-sierung unterwirft. Und zuletzt zeigt auch die allgemeine Ent-wicklung von Politik und Recht, daß es dabei vor allem umdie Verteidigung des oligarchischen Lebensstils einer Minder-heit der Weltbevölkerung geht – mit allen Implikationen fürdie Kontrolle über Ressourcen, Produktions- und Konsum-muster und die „ökologische Sicherheit“.

Auf dem Weg in einen „ökologischen“ Kapitalismus?

Vor dem Hintergrund der „neuen Weltordnung“ wie der sichverändernden Formen der Naturaneignung muss gleichwohldaran erinnert werden, dass die Richtung der weiteren Ent-wicklung erst durch soziale Konflikte auf verschiedenen Ebe-nen entschieden wird. Und hierbei spielt der Begriff der nach-haltigen Entwicklung eine wichtige Rolle. Er stellt in gewisserWeise eine Kompromissformel dar, in der sich sehr unter-schiedliche und z.T. gegensätzliche Interessen wiederfinden.Wenn immer wieder herausgestellt wurde, dass sein genauerGehalt unklar oder schwammig bleibe, dann ist die Schwam-migkeit des Begriffs gerade seine Stärke (Achselrad/Sedrez1995; Armborst/Brand 1996; Görg 1996; Spehr/Stickler 1997;ähnlich von Braunmühl 2001: 188). Die sich zuspitzende Um-weltkrise auf der materialen wie auch auf der politisch-diskur-siven Ebene machte es notwendig, eine Formel zu finden,mittels derer sozial-ökologische Kompromisse zwischen Ak-teuren organisiert werden konnten, die divergierende und teil-weise antagonistische Interessen hatten. Von daher ist es nurkonsequent, dass im Zentrum dieses Leitbilds der Gedankeder Kooperation steht und dass Konkurrenzverhältnisse ausge-blendet oder zumindest als überwindbar dargestellt werden.Denn wenn das Problem der Konkurrenz ernst genommen

würde, müsste man sich stärker mit der in den Diskussionennicht hinterfragten ökonomischen Sphäre und den globalenMachtverhältnisse auseinandersetzen, als dies bisher der Fallist.

Entscheidend ist letztlich, wie genau der Begriff operationa-lisiert und durch welche Rahmungen die öffentliche Debattestrukturiert wird, wie die Prioritäten gesetzt werden und wel-che Aspekte dabei berücksichtigt werden und welche nicht. Sowurde „im Norden“ zunehmend von der Entwicklungs-problematik abgesehen bzw. diese von der Forderung nachgerechteren Bedingungen im Nord-Süd-Verhältnis hin zur not-wendigen Ermöglichung „nachhaltigen Wachstums“ für alleLänder umgedeutet. Exemplarisch kann dafür der Diskurs übernachhaltige Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschlandgelten (vgl. K.W.Brand/Jochum 2000; Jörissen u.a. 2000). Esgab hier durchaus unterschiedliche Versuche, das Leitbild zuübersetzen und zu konzeptualisieren und dabei seine verschie-denen Aspekte zu integrieren – von der Studie „Zukunfts-fähiges Deutschland“, durchgeführt vom Wuppertaler Institutfür Klima, Umwelt und Energie im Auftrag von BUND undMisereor (BUND/Misereor 1996) bis zum Handlungskonzeptdes Verbandes der Chemischen Industrie (VCI 1995). Nebendem sog. Umweltgutachten von 1994 (SRU 1994) hat derBericht der Enquete-Kommission des Bundestages „Schutz desMenschen und der Umwelt“ (Enquete-Kommission 1994) ei-nen starken Einfluss auf die bundesdeutsche Diskussion ge-habt. „Nachhaltigkeit“ wird dort als ein Drei-Säulen-Modellkonzeptualisiert, bei dem die Interessen der Umweltakteure(ökologische Säule), der Gewerkschaften (soziale Säule) undder Unternehmen (ökonomische Säule) miteinander in Ein-klang gebracht werden sollen. Damit wird die Tendenz desbundesdeutschen Diskurses am besten zum Ausdruck ge-bracht, der durch drei Merkmale charakterisiert werden kann:

Erstens lässt sich ein „ökologischer bias“ feststellen (K.W.Brand/Jochum 2000: 177) – die Entwicklungsproblematik, sowie sie in der internationalen Kompromiss des Brundtland-Berichts noch enthalten war, wird in den meisten Studien garnicht aufgegriffen oder allein auf die Bevölkerung des eigenenLandes bezogen (vgl. auch Jörissen u.a. 2000). Selbst der Stu-

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die „Zukunftsfähiges Deutschland“, die in dieser Hinsichtnoch am stärksten auf die Verknüpfung von „Umwelt undEntwicklung“ aufmerksam gemacht hatte, wurde von Kritike-rInnen vorgehalten, dass sie hinter die Diskussionen der 80erJahre zurückfalle (Ebinghaus/Stickler 1996; Armborst/Brand1996; vgl. auch den Überblick von Hermle (Hg.) 1997).

Zweitens ist mit dieser Verkürzung der ursprünglichen Ziel-setzung eine starke Fokussierung auf die nationale Ebene ver-bunden (Jörissen u.a. 2000: 11), den man als „nationalen bias“bezeichnen könnte. Viele Ansätze, so auch die Studie „Sustain-able Netherlands“ (ISOE 1994), nehmen den „nationalenUmweltraum“ als Ausgangspunkt, d.h. die von einem Natio-nalstaat genutzte Umwelt. Je nach EinwohnerInnen werdenAnsprüche auf Ressourcen und Schadstoffsenken „ausgerech-net“ und entsprechende Vorschläge gemacht, um die dramati-sche Übernutzung zu reduzieren. Andere beziehen sich aufFragen internationaler Kooperation implizit oder explizit ehernegativ. Entweder wird das bundesdeutsche System der sozia-len Marktwirtschaft als „zu bewahrendes Erbe“ interpretiert(Jörissen u.a. 2000: 9) und die ökologischen wie die globalensozialen Kosten des „Modells Deutschlands“ in seiner fordisti-schen Phase ignoriert. Oder es wird die Verbesserung der Wett-bewerbsbedingungen explizit als Ziel einer „ökologischen Mo-dernisierung“ der Gesellschaft angesehen und damit die Kon-kurrenz als treibender Motor angenommen.

Drittens ist mit dieser Fokussierung eine Präferenz für eineprozedurale und dialogische Vernetzung und die Kooperationder unterschiedlichen Akteure verbunden, die nicht nur keineEingriffe in wirtschaftliche Interessen erwarten lässt, sondernüberhaupt die Kritikmöglichkeiten beschränkt (K.W. Brand/Jochum 2000: 185, 189 und 191). Zwar sei das Diskursfeld, sodie Autoren einer Studie, „offen genug, um auch radikaleren,kapitalismus- und industrialismuskritischen Positionen“ Zu-gang zu gewähren (ebd. 176). Faktisch seien diese Positionenaber nicht nur im Diskurs marginal, sondern auch die prakti-sche Umsetzung des Leitbilds eher am Konzept „ökologischerModernisierung“ orientiert (ebd. 189). Man darf daher voneinem „affirmativen bias“ sprechen, bei dem kritischere Fra-gen hinsichtlich der Realisierungsbedingungen nachhaltigerEntwicklung zugunsten von pragmatischeren und vor allem

den etablierten Interessen gewogenen Konzepten in den Hin-tergrund gedrängt werden.

Der Diskurs um „nachhaltige Entwicklung“ hatte, selbst inseinen besten Zeiten nach der Publikation der Wuppertal-Studie, ohnehin einen eher geringen Stellenwert in der breitenÖffentlichkeit. Dies wurde in dem Maße eingebüßt, in demFragen der internationalen Konkurrenz am „Standort Deutsch-land“ an Bedeutung gewonnen haben.

„Ein Großteil der Faszination, die der Nachhaltigkeitsdiskurs auch imlinken Lager ausübt, gründet sich auf seinem Ruf, ein Gegendiskurszu „Globalisierung“ zu sein. Dies ist jedoch ein Irrtum. Nachhaltig-keit ist kein Rivale der Globalisierung, sondern ihr Partner. Beide sindTeil eines umfassenden Diskurswechsels, der das politische Terrain nachdem Zusammenbruch des Entwicklungsdiskurses neu organisiert.“(Spehr/Stickler 1997: 217)

Die Operationalisierung des Begriffs kann nicht losgelöst vongesellschaftlichen Machtverhältnissen betrachtet werden. Dreiwichtige Dimensionen, in denen ursprünglich durchaus einkritisches Potential angelegt war, wurden durch die Diskussio-nen der letzten Jahre an den Rand gedrängt: die Problemati-sierung des Nord-Süd-Verhältnisses, eine grundlegende Umori-entierung der internationalen Politik sowie eine Problemati-sierung des Verhältnisses der kapitalistischen Ökonomie zuihren materiellen Grundlagen.

Ein Beispiel für letzteres ist der in der Studie „Zukunfts-fähiges Deutschland“ noch verwendete Subsistenzbegriff, d.h.die gesellschaftliche Thematisierung der Frage: „Was ist ge-nug?“. Damit sollte auf die notwendige Begrenzung desRessourcenverbrauchs hingewiesen und der unbegrenzten Stei-gerung des Naturverbrauchs eine öffentliche Debatte entge-gengesetzt werden (denn nur durch einen sozialen Konsens,nicht durch wissenschaftliche Berechnungen können solcheGrenzen etabliert werden). Dieser Aspekt ist in den Diskussio-nen der letzten Jahre fast vollständig hinter der Suche nachtechnischer Effizienz zurückgetreten. Dahinter ist einerseitsein erheblicher Steuerungsoptimismus zu erkennen, der glaubt,die Probleme auf dem Wege einer Optimierung des Stoff-durchsatzes bearbeiten zu können. Und andererseits stecktdarin ein technokratisches Verständnis sowohl der Problemeals auch ihrer Bearbeitungsstrategien. Probleme werden als

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prinzipiell lösbar angesehen und pragmatische Management-strategien unter Ausblendung ihrer herrschaftsförmigen Im-plikationen bevorzugt. Im Zuge der Globalisierungsdiskus-sion sind die ökologischen Voraussetzungen und Folgen kapi-talistischen Wirtschaftens noch stärker in den Hintergrundgerückt.

Im Hinblick auf die Nord-Süd-Problematik lässt sich eineähnliche Entwicklung beobachten. Einmal wird auch hier dieVerbindung zwischen Umweltproblematik und globalenMachtverhältnissen oftmals ausgeblendet und statt dessen einpragmatischer Regulierungsmodus bevorzugt.

Und schließlich wird die Einsicht vernachlässigt, dass unterdem Deckmantel der internationalen Umweltpolitik oftmalsganz andere Prozesse vorangetrieben werden. Beide Problemespiegeln sich in der Frage nach dem Verhältnis zwischen deninternationalen Umweltabkommen und anderen internationa-len Vertragswerken und Institutionen. Zugespitzt formuliertist das wichtigste Abkommen der 90er Jahre, das die gesell-schaftlichen Naturverhältnisse tiefgreifend transformiert, we-der die Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) nochdie Klimarahmen-Konvention (FCCC), sondern die WTO, dieWelthandelsorganisation. Dies hat damit zu tun, dass geradedie Nichtbeachtung umweltpolitischer wie sozialer Belange inden wichtigsten internationalen Institutionen sehr weitreichen-de Folgen hat. Die „Liberalisierung des Welthandels“ hat nichtnur direkte ökologische wie soziale Folgen, bspw. in der Erhö-hung der Güterströme oder dem Eingriff in die nationaleUmwelt-, Sozial- und Gesundheitspolitik. Darüber hinaus gehtes auf dem Gebiet der Umweltpolitik meist auch um dieDurchsetzung neuer Technologien und der dazu gehörendenpolitischen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Am bekann-testen sind hier die Beispiele der Gentechnologie im Umgangmit der biologischen Vielfalt bzw. mit genetischen Ressourcensowie die ökonomischen Instrumente zum Klimaschutz (Emis-sionshandel etc.; vgl. dazu den Beitrag von Achim Brunnen-gräber in diesem Band). Die umwelt- und entwicklungs-politischen Institutionen i.e.S. sind längst nicht mehr Sammel-becken progressiver Interessen. „Globale Player wie internatio-nale Energie-, Wasser-, Chemie- und Saatgutmultis dominierendas Verhandlungsgeschehen.“ (Unmüßig 2001: 3) Damit die-

nen diese Abkommen oftmals noch ganz anderen Zielen, alsan ihrem Namen abzulesen ist.

Am Beispiel der biologischen Vielfalt wollen wir die Konse-quenzen kurz verdeutlichen (vgl. dazu umfassender: Görg/Brand 1999 und 2001a und b). Während in der öffentlichenDiskussion die Auffassung vorherrscht, dass es dabei um um-weltpolitische Maßnahmen geht, die den Verlust der Bio-diversität stoppen oder verlangsamen sollen, zielen die staatli-chen Maßnahmen und die internationalen Abkommen nochauf etwas anderes. Im Ganzen dienen sie der institutionellenVerregelung des Umgangs mit genetischen Ressourcen, vonder Sicherheit im Umgang mit gentechnisch-modifizierten Or-ganismen bis zur Etablierung eines Regimes zur Verteilungvon Verfügungsrechten. Dabei geht es zuvorderst um die Re-gelung der Zugangs- und der mehr oder weniger exklusivenNutzungsrechte an genetischen Ressourcen.

Gerade im Bereich der internationalen Biodiversitätspolitikwird deutlich, dass hier versucht wird, die Aneignung des„grünen Goldes der Gene“ durch die Agrar- und Pharmaindu-strie politisch-institutionell abzusichern. Im Nord-Süd-Verhält-nis geht es zentral um Rechts- und Planungssicherheit für diedominanten Akteure, insbesondere um einen gesicherten undeffektiven, d.h. unter anderem kostengünstigen Zugang. Qua-si-staatliche Politik hat – in engem Zusammenspiel mit dernationalstaatlichen Ebene – Funktionen wie die Regelsetzungfür Wettbewerb und ökonomische Transaktionen, die Gewähr-leistung des Ressourcenflusses oder die Sicherung von Eigen-tum und Geld. Mit den neuen Formen der Nutzung undInwertsetzung von biologischer Vielfalt und genetischen Res-sourcen sind daher Fragen des geistigen Eigentums eng ver-bunden (vgl. ausführlicher Correa 2000; Seiler 2000). Es sollfestgelegt werden, wer von den Vorteilen profitiert, die sichaus der Nutzung genetischer Ressourcen ergeben. Ein gewissesParadox liegt dabei darin, dass die modernsten Akteure(Forschungseinrichtungen und vor allem transnational agie-rende High-Tech-Unternehmen) auf den Zugang zu diesenRessourcen und damit in gewisser Hinsicht auf „marginali-sierte“ Bevölkerungsgruppen im Süden angewiesen sind. Dennsolche Ressourcen sind vor allem in südlichen Ländern unddort oft gerade in den Siedlungsräumen „marginalisierter“ Be-

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völkerungsgruppen vorhanden. Zudem spielt bei der Aneig-nung genetischer Ressourcen das „traditionelle“ Wissen dar-um, wie mit den Ressourcen umgegangen wird, eine wichtigeRolle, denn es dient vielfach als „Filter“ bei der Suche nachökonomisch wertvollen Substanzen (Kuppe 2001: 147ff.). Auf-grund dieses ökonomischen Interesses an genetischen Res-sourcen sowie an damit verbundenem Wissen wird beidesjedoch immer stärker aus einem kommerziellen Blickwinkelheraus betrachtet. Die Frage der Nicht-Kommodifizierung vonNatur und „traditionellem“ Wissen wird dementsprechend aufinternationaler Ebene kaum gestellt (verschiedene Aspekte die-ses Problems werden in den Beiträgen von Enrique Leff, SilviaRodriguez, Silvia Ribeiro und Tewolde Berhan Gebre Egziabherausführlicher behandelt).

Die Anerkennung der nationalen Souveränität (im Sinneder rechtlichen Regulierungskompetenz), wie durch die CBDerfolgt, ist in Zeiten des vermeintlichen Kompetenzverlustesvon Nationalstaaten eine notwendige Voraussetzung zurInwertsetzung der Biodiversität. Gleichwohl ist zu berücksich-tigen, dass die CBD ein Konfliktterrain darstellt, auf demunterschiedliche Akteure um die Durchsetzung ihrer Interes-sen kämpfen. So sind in die CBD auch andere Anliegen einge-gangen, insbesondere jene lokaler Gemeinschaften und indige-ner Völker. In dem prominenten Artikel 8(j) ist festgelegt, dassderen Wissen und Praxen zu respektieren, zu schützen und zuerhalten seien und sie an den Entwicklungen teilhabenmüssten. Allerdings haben ihre Interessen in einer Weise Nie-derschlag gefunden, welche die Akteure schwächt. Denn zumeinen sind die Regelungen im Artikel 8(j) durch ein instrumen-telles Verständnis der Rechte lokaler Akteure geprägt: Zu ach-ten seien diese nur, insofern sie der Erhaltung der biologi-schen Vielfalt dienen. Zudem seien sie der nationalen Souverä-nität unterzuordnen (Stoll 1999). Die konkrete Umsetzung istAngelegenheit nationaler Implementation der CBD.

Die Kommerzialisierung der Biodiversität als ein Elementder Globalisierung ist nicht allein ein ökonomischer, überMarktkräfte induzierter Prozess, sondern wird politisch durch-gesetzt. Dies bedeutet, dass ökologische Aspekte zu einemFaktor der „Standortkonkurrenz“ werden, d.h. zu einem strate-gischen Element der Handels- und Wettbewerbspolitik. Dabei

vermischen sich Fragen der Ressourcenverwendung, des Zu-gangs zu und der Rechte über Ressourcen sowie den darausresultierenden Folgen und Belastungen mit Fragen des Ge-winns und der Gewinnverteilung aus dieser Verwendung, vorallem auch (aber nicht nur) im „Nord-Süd“-Verhältnis. Auchwenn zwischenstaatliche Abkommen eine größere Relevanzerhalten, so verliert der Nationalstaat seine zentrale Bedeu-tung nicht. Vielmehr verstärkt sich diese. Insofern ist auchClaudia von Braunmühls (2001: 189) Einschätzung, der Ver-such, globale Probleme über völkerrechtliche Rahmenkonven-tionen anzugehen, sei im Wesentlichen gescheitert, zu relati-vieren. Die Rahmenkonventionen stellen einen durchaus er-folgreichen Versuch dar, ein Terrain zu schaffen, auf demum die gesellschaftlich legitime und rechtlich legale Aneig-nung der Natur gerungen wird. Allerdings geschieht dies ins-besondere unter Berücksichtigung der Interessen herrschenderAkteure. Und selbst das Label nachhaltige Entwicklung trägtin diesem Kontext zu einer Ökonomisierung der Natur bei.

Globales Umweltmanagementund „ökologische Sicherheit“

Ein Hauptgrund für das relative Scheitern des Rio-Prozesseswird demnach in der institutionellen Zersplitterung internatio-naler Umwelt- und Entwicklungspolitik gesehen. Ein Vor-schlag, der bei der „Rio plus 5“ Konferenz 1997 in New Yorkvon der Bundesregierung bereits vertreten wurde, rückt daherin den letzten Jahren immer stärker ins Zentrum: Die Stärkungdes UN-Umweltprogramms (UNEP) zu einer neuen und mitmehr Kompetenzen und Ressourcen ausgestatteten Supraorga-nisation im Rahmen der UNO. In Deutschland wird diesesKonzept am vehementesten von Udo Simonis (Biermann/Simonis 1999) vertreten, aber beispielsweise auch von MartinKhor vom Third World Network (Ling/Khor 2001). Bei Khorund Simonis geht dieser Vorschlag mit einer erhofften Aufwer-tung des Umweltthemas einher, da das UNO-Umweltpro-gramm UNEP und nicht etwa das EntwicklungsprogrammUNDP den Kern bilden sollen. Thomas Fues will für die„globale Rio-Architektur“ die bislang bedeutungslose Commis-sion on Sustainable Development zum Kern eines neu zu

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schaffenden Council for Sustainable Development machen,der u.a. die UNO Umwelt- und Entwicklungsorganisationensteuert und dem IWF, Weltbank und WTO berichtspflichtigsind (aber nicht gesteuert werden). Auch der UN-Generalsekre-tär erhebt die Forderung, IWF, WB und WTO sollten sichendlich auf die Ziele nachhaltiger Entwicklung einlassen(Annan 2001).

Hier artikuliert sich eine Problemsicht, welche die fehlendeMacht der entsprechenden Institutionen als größtes Hindernismangelnder nachhaltiger Entwicklung sieht. Das legt nahe, glo-bale Umweltpolitik sei am besten von zentralisierten, mitEntscheidungs- und Machtressourcen ausgestatteten Institutio-nen zu erfüllen und könne insofern nur „von oben“ betriebenwerden. Dieses Verständnis ist jedoch in mindestens dreifacherHinsicht unzureichend. Zum einen wird den Gründen für dierelative Machtlosigkeit umwelt- und entwicklungspolitischerInstitutionen nicht nachgegangen. Damit ist jedoch nicht nurdie Hoffnung auf einen Machtgewinn dieser Institutionen ohneerkennbare Grundlage. Hinter diesem Defizit steckt zudem eintechnokratischer Steuerungsoptimismus bzw. ein „Manageris-mus“ (Redclift 1994), der davon ausgeht, dass Probleme beirichtigem Management im Kern lösbar seien. Dies ist tendenzi-ell naiv. Vielmehr verdichten sich in verschiedenen Institutio-nen unterschiedliche Kräfteverhältnisse mit verschiedenen In-teressen und Machtpotenzialen im Hintergrund (Görg/Brand2001a). Deshalb finden in den umwelt- und entwicklungs-politischen Institutionen im engeren Sinne schwächere Interes-sen auch eher Gehör. Auch werden diese Institutionen längstvon den dominanten Akteuren genutzt: Wie gesehen, dient dieCBD immer stärker den transnationalen Unternehmen undForschungsinstituten zur Absicherung des Zugangs zu geneti-schen Ressourcen und „ihrer“ geistigen Eigentumsrechte. Auchdiese Institutionen können also nicht einfach als Gewinn annachhaltiger Entwicklung interpretiert werden, da sich in ihnendie Ambivalenzen des Prozesses der letzten zehn Jahre nieder-geschlagen haben. Zugespitzt gefragt: Warum sollte eineSupraorganisation daran etwas ändern? Im Gegenteil, domi-nante Interessen können sich noch stärker durchsetzen.

Zum zweiten hängt dies mit der Tendenz zur Sektorali-sierung von Politik zusammen. Obwohl die realen Entwick-

lungen wie auch die Tendenz der wissenschaftlichen Forschun-gen der letzten Jahre deutlich gezeigt haben, dass eine abge-grenzte Umweltpolitik weder vorhanden noch machbar ist,wird weiterhin auf abgegrenzte Politikfelder gesetzt. Die Ent-wicklung der Regimeforschung belegt, dass selbst dann, wennsich problemspezifische internationale Institutionen herausge-bildet haben, die Wirkungsweise und der Erfolg dieser Institu-tionen im hohen Maße vom widersprüchlichen Zusammen-spiel sehr unterschiedlicher Regime entscheidend beeinflusstwerden – nicht zuletzt vom Verhältnis zwischen internationa-len Umweltabkommen und Abkommen zur Handelsliberali-sierung (Bernauer/Ruloff 1999). Die explizite Umweltpolitikkann nicht isoliert betrachtet werden, sondern die gesamtgesell-schaftliche Entwicklung gibt der globalen Regulierung derNaturverhältnisse den Rahmen vor.

Neben Managerismus und Sektoralisierung geht der Forde-rung zur Schaffung mächtiger internationaler Organisationennoch eine dritte, höchst problematische Annahme voraus: Die„top-down“ Perspektive. Besonders problematisch ist diese imHinblick auf den Umgang mit den sog. „global commons“,den globalen Gemeingütern. Als zentrales Argument wird andieser Stelle genannt, dass es sich beim Schutz dieser Gemein-güter – wobei der Charakter als globales Gemeingut immereine diskursive und oft höchst umstrittene Konstruktion dar-stellt – um globale Menschheitsprobleme handle und docheigentlich alle zusammen ein Interesse an ihrer Lösung habenmüssten. Faktisch entsteht dabei eine von Macht- und Herr-schaftsinteressen durchsetzte Form des globalen Managements,das Michael Goldman (1998) als globales Ressourcenmanage-ment bezeichnet hat. Diese Commons-Debatte wurde Gold-man zufolge deshalb wichtiger, weil soziale Bewegungen dasFunktionieren der herrschenden Institutionen herausgeforderthätten und weil die materielle Degradation die kapitalistischeReproduktion gefährden. In der Unterstellung, dass die lokaleÜbernutzung von Gemeingütern das entscheidende Problemsei, welches durch ein globales Management korrigiert werdenmüsse, wird ausgeblendet, dass es sich tatsächlich um konkre-te Nutzungskonflikte handelt, bei der sich Konflikte zwischenglobaler und lokaler Ebene und zwischen Nord und Süd über-lagern. „Durch die Verlagerung der Forschungsperspektive auf

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37„Nachhaltige Globalisierung“?36 Ulrich Brand und Christoph Görg

Gemeingüter von einer lokalen auf eine globale Ebene werdenWeideflächen nicht länger nur als Konfliktzonen zwischenoder unter Viehhaltern und Bauern definiert, sondern als klei-ne Fragmente irdischer Biomasse, deren falsche Bewirtschaf-tung nicht nur lokale oder regionale Bevölkerungen negativbeeinflusst, sondern uns allen schadet. Mit anderen Worten:Lokale Nutzungsformen von Gemeingütern im Süden sindgleichzeitig ein Problem für den Norden.“ (ebd. 102)

Mit dem globalen Ressourcenmanagement bildet sich einneuer Autoritäts- und Machttyp heraus, da globale Institutio-nen die als global definierten Ressourcen und Krisenherdeverwalten sollen. Die einheimischen und regionalen Institutio-nen, so die Argumentation, seien dafür schlecht gerüstet. Dasgrößte Problem für die globalen Ressourcenmanager bestehe –neben der Überbevölkerung, welche die Tragfähigkeit des Pla-neten gefährde – konsequenterweise darin, dass die globalenInstitutionen nicht genug Macht hätten. Vor dem Hinter-grund der kapitalistischen Restrukturierung und ihrer neuenFormen der Naturaneignung kommt Goldman zu seiner Ein-schätzung der Rio-Konferenz: Es sei „die größte ‘Commons’-Show aller Zeiten“ gewesen, bei der es darum gegangen sei,

„die Gemeingüter zu restrukturieren (d.h. zu privatisieren, zu ‘entwik-keln’, ‘produktiver zu machen’, zu bewerten, ‘den richtigen Preis zubestimmen’), um sie den krisengeschüttelten kapitalistischen Ökono-mien anzupassen. Die Wirkung ist daher auch nicht, destruktive Prak-tiken aufzuhalten, sondern sie zu normalisieren und stärker zu institu-tionalisieren und somit die commoners (die lokale Bevölkerung; U.B./C.G.) rund um die Welt noch größeren Risiken auszusetzen.“ (ebd. 91)

Damit wird auch das Wissen der lokalen Bevölkerung unter-graben sowie deren Möglichkeit, an den Auseinandersetzun-gen teilzunehmen, wie Gemeingut überhaupt zu definierensei. Gerade im Bereich der NGOs ist Umwelt für viele längstzum green business geworden, bei dem internationale Groß-organisationen wie The Nature Conservancy oder Conser-vation International sich mit ihrer starken Schutzorientierungwenig um die Belange lokaler Bevölkerung und viel um diewohlwollende Finanzierung durch transnationale Unterneh-men kümmern. Die NGOs tragen durchaus bewusst dazu bei,dass Unternehmen und Forschungsinstitute in geschütztenGebieten besser ihre Bioprospektierungsprojekte durchführen

können als in solchen, in denen sich die lokale Bevölkerungevtl. gegen die Aneignung ihrer Ressourcen und ihres Wissenswehrt (vgl. Delgado 2001).

Die Hoffnung auf ein top-down-Management des globalenWandels wird also der Realität ökologischer Probleme in denLändern des Südens nicht gerecht. Vielmehr wäre eine Stär-kung der lokalen Ebene die erste Voraussetzung, um demGedanken einer nachhaltigen Entwicklung mehr Realitätsgehaltzu verschaffen (Barkin 1999; vgl. auch die Beiträge von SilviaRodriguez und Silvia Ribeiro in diesem Band). Auch die glo-balen Machtverhältnisse werden in fataler Weise verschoben.Dies alles ist die Konsequenz einer „Astronautenperspektive“(Sachs 1997), für die weltweite Ungleichheiten und die sozia-len Herrschaftsverhältnisse, wenn überhaupt, nur noch einenachgeordnete Bedeutung haben.

Zweifel an diesem Modell werden schon dadurch geweckt,indem man seine historische Genese und damit den Zusam-menhang zwischen Globalisierung und Natur genauer betrach-tet. Die Konstruktion „einer globalen Natur“ aus der Astro-nautenperspektive ist nämlich lediglich die zeitgemäße Varian-te der ideologischen Verwendung des Naturbegriffs, in derdiese gleichzeitig materiell als Gegenstand eines globalen Ma-nagements konstituiert wird. Unsichtbar gemacht wird mit derKonstruktion der Einen Natur, dass ökologische Probleme inden verschiedenen Teilen der Welt vor dem Hintergrund ver-schiedener ökonomischer und kultureller Naturverhältnissesehr unterschiedliche Formen annehmen können. So hat die„Third World Political Ecology“ (Bryant/Bailey 1997) daraufaufmerksam gemacht, dass in Ländern des Südens die ökologi-schen Belastungen viel direkter mit den alltäglichen Lebens-problemen verbunden sind: Als Mangel an sauberem Wasser,von Feuerholz bzw. Brennmaterial, als hygienische und sanitä-re Probleme oder als Versteppung und Wüstenbildung. Klima,Ozon oder auch „die“ Biodiversität, also die typischen Kandi-daten für vermeintlich globale ökologische Probleme, sinddann Ausdruck einer sehr selektiven, rein nördlichen Perspek-tive auf Natur, die ihre eigene partikulare Perspektive nichtreflektiert, sondern unterschlägt und zu universalisieren ver-sucht. Und diese globale Selektivität ist vielfach mit einerGeschlechtsblindheit verbunden, welche die geschlechtsspezi-

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39„Nachhaltige Globalisierung“?38 Ulrich Brand und Christoph Görg

fischen Auswirkungen nicht zur Kenntnis nehmen will (vgl.den Beitrag von Christa Wichterich in diesem Band).

Dieser selektiven Betrachtungsweise stellen Raymond Bryantund Sinéad Bailey (1997: 27ff.) den Begriff einer „politisiertenUmwelt“ (politicised environment) entgegen. Danach ist Um-welt (oder Natur) nicht eine unberührte, neutrale Umgebungmenschlicher Aktivitäten, sondern in die Machtverhältnisseeingeschrieben: Die natürliche Umwelt ist selbst umkämpft, insie sind „ungleiche Machtverhältnisse zwischen Akteuren ‘ein-geschrieben’.“ (ebd. 43). Zentral ist dabei der Machtfaktor, dersich auf „die Fähigkeit eines Akteurs, die eigene Interaktionmit der Umwelt und die Interaktion anderer Akteure mit derUmwelt zu kontrollieren“ bezieht (ebd. 39). Die Kontrolle(oder Gestaltung) der Naturverhältnisse („die eigene Interakti-on mit der Umwelt“) durch eine Akteursgruppe ist demnachin Verbindung zu sehen mit der Kontrolle über die Natur-verhältnisse einer anderen Akteursgruppe – beides zusammenkonstituiert spezifische Machtpositionen. Machtverhältnisseim Hinblick auf die natürliche Umwelt erstrecken sich nichtallein auf soziale Beziehungen zwischen Akteuren, so die Mehr-zahl sozialwissenschaftlicher Machtbegriffe, sondern sie sindauch durch die Naturverhältnisse der jeweiligen Akteurs-gruppen vermittelt.

Dadurch ergeben sich komplexere und vielfach gebrocheneMachtverhältnisse. Eine fehlende Kontrolle über die eigenenNaturverhältnisse (nicht: über die Umwelt/Natur) schwächtdie Machtrelationen zu anderen Akteuren trotz überlegenersozialer Machtressourcen. Umgekehrt üben Gesellschaften einenEinfluss auf andere in dem Maße aus, wie es ihnen gelingt, aufdie Gestaltung der Naturverhältnisse dieser Gesellschaften ein-zuwirken und sie ihren Zwecken zu unterwerfen. Beide Aspek-te sind also zu beachten: Zum einen werden Regionen dieserErde als Rohstoffressource oder als globale Schadstoffsenkefür andere konstituiert. Zum anderen besitzen sie ein Macht-potential, das sich daraus ergibt, dass die nördlichen Industrie-gesellschaften auf die Natur anderer Regionen angewiesen sind.Hier, in der Bewusstwerdung dieses Machtpotentials durchAkteure im Süden (insbesondere der indigenen Völker), liegtgegenwärtig einer der spannendsten Aspekte internationalerPolitik.

Es gibt aber auch eine stark gegenläufige Entwicklung: Seiteiniger Zeit lässt sich verstärkt beobachten, welche Auswirkun-gen diese Verbindung von Macht und Ökologie hat – und wiebeides nach dem 11.September neue Verbindungen eingeht.Ökologische Sicherheit ist zu einem neuen Schlagwort gewor-den, bei dem ökologische Problemlagen für den Sicherheits-diskurs funktionalisiert und militärische und ökologische Über-wachungssysteme miteinander verknüpft werden (vgl. dazu denBeitrag von Henri Acselrad in diesem Band). Mit dem Konzeptder „politisierten Umwelt“ lässt sich erklären, warum es sichdabei weder um einen Zufall noch um eine vorübergehendeErscheinung handelt. Wenn die Naturverhältnisse ein Aspektin den Machtbeziehungen zwischen Staaten und Regionen sind,dann ist es nur folgerichtig, auch Umweltprobleme verstärktunter dem Blickwinkel nationaler Interessen und nationalerSicherheit zu re-interpretieren. Historisch gesehen ist dies nichtsabsolut Neues, denn auch die Kolonialzeit wie das imperialisti-sche Stadium des Kapitalismus verknüpften Machtinteressenmit der Kontrolle über die Naturverhältnisse (Crosby 1991).Aber im Zeitalter neuer technologischer Potentiale – nebenden Informations- und Kommunikationstechnologien sind hierauch die neueren Bio- und Gentechnologien zu berücksichti-gen – nimmt dies doch andere Formen an. Zugespitzt ließesich feststellen, dass auch in den Zeiten „nachhaltiger Globali-sierung“ die machtgestützte und notfalls militärische Absiche-rung der nationalen Interessen ein vielleicht sogar zunehmendbedeutender Faktor in der Kontrolle über die Naturverhältnissewerden könnte – und nicht mehr die Suche nach kooperativenBearbeitungsformen (wie unzureichend diese auch waren).

Neue Dynamiken: Globalisierungskritik

Ungeachtet all dieser Tendenzen gilt es festzuhalten, dass esim System internationaler Politik Widersprüche gibt. Das be-deutet, die unterschiedlichen Terrains mit ihren jeweils spezifi-schen Konflikten im Auge zu behalten: Die CBD ist nicht dieWTO und wird von ihr auch nicht völlig dominiert. Vor allemdie Widersprüche zwischen verschiedenen Foren bieten oft-mals die Gelegenheit, auch schwächere Interessen mit Erfolgzu artikulieren. Dies lässt sich z.B. an den internationalen

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41„Nachhaltige Globalisierung“?40 Ulrich Brand und Christoph Görg

Diskussionen zum Schutz des traditionalen Wissens demon-strieren, die nicht zuletzt durch die erheblichen Spannungenzwischen der CBD sowie dem International Treaty on PlantGenetic Resources for Food and Agriculture der FAO (demsog. Saatgut-Vertrag von November 2001) und dem TRIPS-Abkommen der WTO hervorgerufen wurden (Brand/Görg2001). Dabei geht es nicht einfach nur um rechtliche Regelun-gen, sondern darüber hinaus um veränderte Kräfteverhältnisseund um andere Orientierungen, weit über Umwelt- undEntwicklungspolitik i.e.S. hinaus.

Die eigentliche Hoffnung auf eine Tendenz hin zu einer„nachhaltigen Entwicklung“, die ernst machen würde mit ei-ner tiefgreifenden Veränderung des gesellschaftlichen Entwick-lungsmusters, kommt von ganz anderer Seite. Relativ unab-hängig von der Debatte um Nachhaltigkeit hat sich in denletzten Jahren die praktische und theoretische Kritik am neo-liberalen Kapitalismus verstärkt. Dabei kam es zu einer Politi-sierung des Globalisierungsbegriffs: Der damit benannteProzess, seine für viele Menschen katastrophalen Wirkungenund die damit verbundenen Interessen werden nicht mehr alshinzunehmende „Risiken“ oder zu behebende Begleiterschei-nungen verstanden, sondern immer stärker als immanenteBestandteile der gesellschaftlichen Veränderungen und als Fol-ge sozialer Kämpfe.

Das Anfang Februar im brasilianischen Porto Alegre statt-gefundene zweite „Weltsozialforum“ ist ein eindrucksvollerBeweis dafür, dass Kritik und Alternativen gerade auf lokalerund nationaler Ebene formuliert und vorangetrieben werden.Die sich zuspitzenden Widersprüche (deren bloße Existenzerst einmal nichts heißt) werden von dieser heterogenen Bewe-gung politisiert. Die seit Seattle immer offenkundigere Globali-sierungskritik ist auch eine Zurückweisung der Idee, „Welt-probleme“ ließen sich von oben, durch Experten und koope-rativ lösen. Der mit der UNCED 1992 erstmals derart breitpropagierte Politiktypus der „globalen Runden Tische“ unddie damit einhergehende Delegitimierung konfrontativerPolitikansätze wird von der internationalen Protestbewegung –was immer bedeutet: Von vielen verschiedenen Bewegungenund Organisationen auf nationaler und lokaler Ebene – gründ-lich in Frage gestellt (vgl. Brand 2002).

Interessant ist, dass etwa in der bundesdeutschen Diskussi-on sozial-ökologische Themen kaum eine Rolle spielen. DasNetzwerk attac! beispielsweise versteht sich eigenen Angabenzufolge als eine „Bewegung für ökonomische Gerechtigkeit“(so Sprecher Sven Giegold auf dem Berliner attac-Kongress imOktober 2001). Auch im breiteren gesellschaftskritischen Spek-trum hat die ökologische Dimension in den letzten Jahren anBedeutung eingebüßt. Hinsichtlich aktueller Entwicklungenweist Barbara Unmüßig (2001: 3) darauf hin, dass auch dieglobalisierungskritische Bewegung auf diesem Gebiet nochNachholbedarf hat. Sie sitzt bislang der falschen Trennungvon „harten“ wirtschaftlichen und politischen Fragen einer-seits und „weichen“ Fragen vermeintlich geringerer gesellschaft-licher Relevanz auf. Das steht im Gegensatz zu vielen Bewe-gungen in südlichen Ländern. Die Aufgabe wäre also, derKrise der Naturverhältnisse wieder einen wichtigeren Stellen-wert in der Kritik an den dominanten Strategien zur globalenUmstrukturierung zu verschaffen.

Dazu ist Katastrophismus wenig angebracht. Der dienteimmer der Stärkung beharrender Kräfte und delegitimierteKritik mit dem Verweis, dass jetzt sofort gehandelt werdenmüsse. Auch linke Intellektuelle wie Alain Lipietz skizziertenum Rio herum dramatisch: „Der ökologische Krieg hat begon-nen. Wie der Golfkrieg, so markiert auch dieser einen Wende-punkt in der Geschichte der menschlichen Gattung. Er wirdlange dauern: in etwa vierzig Jahre. So viel Zeit bleibt derMenschheit, sich entweder zu retten oder mit dem kleinenRaumschiff Erde unterzugehen. In dieser Zeit wird sich auchherausstellen, wen es erwischen wird.“ (Lipietz 1993: 79) Sol-che Bilder führen paradoxerweise zu recht realpolitischenOptionen – bei Lipietz etwa zur notwendigen Stärkung Euro-pas gegenüber den USA. Wichtiger wäre sicherlich eineRemoralisierung der Ökonomie (von Braunmühl 2001: 192f.).

Die größte Gefahr dürfte dagegen von der Metapher dernachhaltigen Globalisierung ausgehen. Natürlich nicht vondem Begriff selbst, sondern von dem damit transportiertenVerständnis. Denn die „zivilgesellschaftlichen“ Politikvor-stellungen des Rio-Prozesses basierten lange Zeit auf der An-nahme, dass mit Kooperation, alternativer Expertise und demAppell an die aufgeklärten Eigeninteressen in Wirtschaft und

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43„Nachhaltige Globalisierung“?42 Ulrich Brand und Christoph Görg

Politik das Leitbild durchgesetzt werden könnte. Die 90erJahre haben besonders deutlich gezeigt, dass die damit verbun-denen politischen Konzepte sich nicht als erfolgreich erwiesenhaben (vgl. auch Bergstedt 1998 und die Beiträge von ChristaWichterich und Henri Acselrad). Oft genug dienten sie eherder Legitimation der „großen“ Entscheidungen von Regierun-gen, Unternehmen und Medien. Diese konnten die ihnengenehmen Aspekte von Kritik destillieren und sich auf dieseWeise auch noch selbst legitimieren.

Die neoliberale Globalisierung hat sich durchgesetzt – undzwar nicht kooperativ, sondern vor allem „von oben“. Heutezu meinen, dass dieser ungleich machtvollere Prozess wieder-um mit Kooperation, Expertise und dem Appell an Einsichts-fähigkeit zu stoppen sei, ist bestenfalls naiv. Diesem Glaubennicht aufzusitzen, das ist einer der wichtigsten Beiträge deraktuellen globalisierungskritischen Bewegung. Und dies solltenicht mit einer neuen Runde der „Hofferei“ (Wolf-Dieter Narr)im nun anlaufenden Johannesburg-Prozess verschenkt werden.„Nachhaltige Globalisierung“ – das könnte zum ideologischenKitt des neoliberalen Scherbenhaufens werden. Es lässt sichleicht ausmalen, dass dieser Begriff, den Akteure wie NGOsoder Intellektuelle in kritischer Absicht auf die Tagesordnungsetzen, nur wenig später in den Hochglanzheften von Opelund Aventis im ICE zu lesen sein wird. Die Funktion desLeitbegriffs hätte sich damit erneut erfüllt.

Wichtig wäre statt dessen in der öffentlichen Auseinander-setzung, den Glauben an die technokratischen Allheilmittelund das „Management“ von Problemen infrage zu stellen.Selbstbestimmung, Menschenwürde und die Befriedigung ele-mentarer Bedürfnisse werden nicht durch Effizienzdenken undManagerismus erreicht. Dagegen gilt es kritische Praxen zustärken. Ob und wie diese sich auf die Formel der „nachhalti-gen Entwicklung“ beziehen, erscheint zweitrangig. Bedeuten-der ist dagegen zu sein, wie konkrete Inhalte aufgegriffen wer-den, wie mit sozialen Interessen umgegangen und ob eineKritik an den herrschenden Verhältnissen, d.h. eine umfassen-de Herrschaftskritik mitgedacht wird. Vor allem wäre ein Glau-be zu unterlaufen, der trotz und wegen allem pragmatischenManagerismus doch deren Fundament ist: Der Glauben an dieUnhintergehbarkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse, an die

Alternativlosigkeit kapitalistischer Globalisierung. Und geradehier haben die Bewegungen der letzten Jahre die meisten Er-folge zu verzeichnen. Nicht eine „nachhaltige Globalisierung“,sondern die nachhaltige Zurückdrängung ihrer treibendenKräfte muss das Ziel einer wirklich nachhaltigen Entwicklungsein. In diesen Auseinandersetzungen entwickeln sich bereitsheute Alternativen, Reformvorschläge und Vorstellungen eineranderen, vielleicht dann „nachhaltig“ genannten Gesellschaft.

Anmerkungen

1 Achim Brunnengräber sei für Anmerkungen gedankt.2 Wir sind uns der etwas unklaren Verwendung des Hegemonie-

begriffs bewusst. Aus Gramscianischer Perspektive geht es ja gera-de nicht darum, dass die US-Regierung „wählen“ könnte zwischeneiner hegemonialen und nicht-hegemonialen Strategie. Hegemo-nie ist ein ungleich komplizierterer Prozess. Für den hiesigenText, der eher zu politischen denn zu theoretischen Klärungenbeitragen soll, belassen wir es jedoch bei dieser Verwendung.

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49Die ökologische Herausforderung48 Henri Acselrad

Henri Acselrad

Die ökologische Herausforderung zwischenMarkt, Sicherheit und Gerechtigkeit

Die Grundidee der nachhaltigen Entwicklung zielte imBrundtland-Bericht bekanntlich auf einen Kompromiss zwi-schen Entwicklung und Umwelt, der sowohl wirtschaftlichesWachstum im Süden ermöglichen sollte (wo zweifellos Grund-bedürfnisse zu befriedigen waren) als auch einen technologi-schen Wandel, der mit den Interessen des Nordens kompati-bel ist (und der mit der Notwendigkeit gerechtfertigt wurde,die Umweltschäden zu begrenzen). Diese offenkundig wech-selseitigen Zugeständnisse zwischen den Interessen des Nor-dens und denen des Südens fielen faktisch zusammen mit demWunsch, ein anderes Dilemma zu lösen, das in Verbindungsteht mit der Reduzierung des Wirtschaftswachstums, wie esvom „Club of Rome“ gefordert worden war. So wurde dasUmweltproblem in den 80er Jahren – im Gegensatz zu den„Grenzen des Wachstums“, die während der 70er Jahre alsLösung im Raum standen – so interpretiert, dass es keineGrenzen für das Erzielen ökonomischer Profite dargestellt.Der wichtigste Kompromiss, der in diesem Zusammenhangdiskutiert wurde, war der zwischen der internationalen politi-schen Gemeinschaft und den Wirtschaftskräften, die über 30Jahre das Nachkriegs-Wirtschaftswachstum bestimmt hatten:Die Umweltinteressen sollten kein Hindernis für die Auswei-tung der Profite sein, welche die Grundlage darstellen für dieReproduktion der kapitalistischen Ökonomie. Um diese Posi-tion zu stützen, wurden zwei starke Argumente präsentiert,damit profitträchtige Aktivitäten nicht gestoppt und nichteinmal verlangsamt werden mussten. Das erste Argument ziel-te auf verstärkte wirtschaftliche Handelsbeziehungen mit denPeripherien des Südens (die ökonomische Theorie nennt diesdie „extensive Form der Akkumulation“: die Erwirtschaftungvon Profiten durch billige Arbeitskräfte und Rohstoffe). Daszweite Argument zielte dagegen auf Investitionen in neue undeffizientere Technologien (was die ökonomische Theorie die„intensive Form der Akkumulation“ nennt: Profite aus Produk-tivitätsgewinnen durch technische Innovationen).

Die wichtigsten konkreten Ergebnisse der Rio-Konferenzvon 1992 waren verbunden mit technischen Änderungen, wennauch auf unterschiedliche Art. Die Konvention über Biodiver-sität setzt Normen, um neue Märkte zu schaffen – sie zielt aufdie Einbeziehung genetischer Information in das Marktge-schehen. Ein großer Teil der Diskussion bezieht sich hier aufdie Verteilung von Rechten oder Gewinnerwartungen im Hin-blick auf die Ausbeutung strategischer natürlicher Rohstoffe.Juristische und politische Systeme wurden geschaffen, die sichmit den Marktchancen auf diesem neuen Feld beschäftigen.Bei der Klimarahmenkonvention sind auf der anderen Seitedie angestrebten technischen Veränderungen nicht gerade kom-patibel mit wachsenden Profitraten. Die politischen Entschei-dungen, die hier zur Disposition stehen, implizieren in der Tatein ökonomisches Handeln, das die Profitraten des Energie-sektors gefährdet, um „unökonomisch“ das globale Klima zuschützen. Die US-Position bezüglich des Klimawandels zeigtjedoch, dass konventionelles ökonomisches Denken stark ge-nug ist, um Widerstand dagegen zu leisten, Profite für denglobalen Umweltschutz zu opfern.1 Das Beispiel dieser beidenKonventionen scheint zu bestätigen, dass es von Anfang angroße Spannungen gab zwischen der Gesamtlogik der ökono-mischen Liberalisierung und Deregulierung einerseits und denErwartungen, die internationale Umweltpolitik würde grundle-gende Beschränkungen der ökonomischen Rationalität eta-blieren.2

Nachhaltige Entwicklung als ein Diskurs, in der Versiondes Brundtland-Berichts, weist in seiner ursprünglichen Bedeu-tung auf eine Art Aufgabenteilung zwischen Nord und Südhin, um gleichzeitig weiteres wirtschaftliches Wachstum sowiedie „Technisierung“ der Umwelt zu rechtfertigen – d.h. dieUmweltkrise so darzustellen, dass sie durch die Übernahmetechnischer Innovation zu managen sei. Die gesamte UNCED-Debatte brachte dagegen Beschlüsse auf die Tagesordnung, dieprinzipiell nicht kompatibel waren mit Marktexpansion undKapitalakkumulation – so zum Beispiel Finanztransfers, inter-nationale Hilfe, Schuldenreduzierung und Änderungen imEnergiesektor. Dies sind Konzepte, die nicht ohne weiteres inMarktbegriffe und Profitlogik übersetzt werden können. ImGegenteil: Sie bauen auf Gerechtigkeitsvorstellungen auf, um

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die komplexen Ursachen anzugehen, die hinter den interna-tionalen Ungleichheiten in sozialer und ökologischer Hin-sicht vermutet wurden.

Nach UNCED glaubte man, dass die UN sich in Opposi-tion stellen würden zu den Bretton Woods-Institutionen –welche allgemein bekannt sind als wenig offen für soziale undökologische Fragen – und zur Tendenz, die soziale Ungleich-heit und ökologische Zerstörung noch zu verbreitern. Aberentgegen dieser Erwartungen wurde seit 1992 eine neue diskur-sive Anstrengung unternommen, den Freihandel als den ent-scheidenden institutionellen Kontext zu präsentieren, um dieökologischen Probleme anzugehen. Das strategische Programmder sogenannten „ökologischen Modernisierung” umfasste dieInternalisierung von Umweltbelangen in bereits bestehendeInstitutionen sowie die Konzentration auf technologischeAnpassungen, die Lobpreisung der Marktwirtschaft und denGlauben an Kooperation und politischen Konsens (Blowers1997). Umweltschutz wurden in diesem Sinne übersetzt alsAusweitung des Modernisierungsprozesses. Aber sowie derDiskurs der ökologischen Modernisierung so wie die Bildungvon Institutionen „von oben“ betrieben wurde – durch multi-laterale bürokratische Agenturen und die Strategen der großenUnternehmen – entwickelte sich eine andere Koalition „vonunten“, die Umweltschutz und Gerechtigkeit miteinander ver-knüpfte. Entgegen dem Bestreben, die Umwelt zum Markt-instrument zu machen, wurden die vielen Erfahrungen dersozialen Bewegungen für „ökologische Gerechtigkeit“ zurGrundlage für eine Argumentation, die Ursachen für Unge-rechtigkeit und für Umweltzerstörung als untrennbar zusam-mengehörig begreift. In der Bewegung der Seattle-Proteste unddes Welt-Sozialforums wurden soziale Gerechtigkeit und Um-weltschutz als logisch zusammengehörig interpretiert. Beideseien strukturell miteinander verbunden und schon im Ent-stehungsprozess miteinander verknüpft. In diesem Rahmenwird die politische und ökonomische Machtkonzentrationüber materielle wie monetäre Ressourcen – unterstützt nochdurch den Prozess der Globalisierung – als Ursache für diesozialen und ökologischen Ungleichheiten betrachtet.3 DieDebatte über soziale und ökologische Folgen der Globalisie-rung kann so zunehmend als kontrovers interpretiert werden,

was die Analysen und Lösungsvorschläge betrifft: Die einensetzen auf den Markt, die anderen auf Gerechtigkeit.

Nachhaltigkeitsdebatte und Agenda des Marktes

Seit sie in die internationale öffentliche Agenda Einzug gefun-den hat, wurde die Umweltfrage im Wesentlichen in zweigrundlegend unterschiedlichen Formen dargestellt, die zweiverschiedene Handlungsstrategien nahelegen. Ein erster An-satz betont die Notwendigkeit gegen die Verschwendung vonRohstoffen und Energie zu kämpfen, indem höhere Effizienz-niveaus beim Ressourcenverbrauch erreicht werden. Der Vor-schlag zielt darauf ab, die materielle Grundlage der ökonomi-schen Entwicklung dadurch zu sichern, dass der Planet zuneh-mend zum Objekt ökonomischen Handelns gemacht wird.Diese Bestrebungen konzentrierten sich auf die Suche nacheiner materiellen Basis für Entwicklung. Das Ziel, für das dieseAnstrengungen unternommen werden sollten, wurde allerdingsnicht diskutiert, d.h. es gab kein Nachdenken über die Inhaltedes Entwicklungsprojektes selbst. Eine sparsame Nutzung vonRohstoffen und Energie durch eine Effizienzrevolution, das istder vorgeschlagene Weg, um eine Entwicklung fortsetzen zukönnen, die in ihren eigenen Zielen nicht hinterfragt wird (vgl.dazu Sachs 1989; Acselrad 1999).

Ein zweiter Ansatz machte die Ökologie zur Triebfeder füreine Hinterfragung des eigentlichen Sinns von Entwicklung:Welche Ziele rechtfertigen den wachsenden Verbrauch vonNaturraum durch die Gesellschaften?4 Wenn der Planet „Gren-zen“ besitzt, sollten wir uns dann nicht fragen, zu welchemZweck wir ihn in Besitz nehmen? Sollte man Kampfpanzeroder Pflüge herstellen? Tödliche Raketen oder Lebensmittelgegen den Hunger? Aus dieser zweiten Perspektive wurde diegrundlegende Qualität von Entwicklung hinterfragt. Begrenztenatürliche Rohstoffe müssen selbstverständlich genutzt wer-den, aber zu äußerst legitimen Zwecken, legitimiert durch einedemokratische Debatte, die sich am Wohlergehen der Men-schen orientiert.

Sich diesen grundlegenden Fragen zu stellen oder lediglichEntwicklungshilfegelder sparsamer zu verwenden, in dieserAlternative liegt die Herausforderung der ökologischen Krise

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für all diejenigen, die sich verantwortlich fühlen für die Zu-kunft unserer Gesellschaften. Und dies scheint auch die zen-trale Frage zu sein, die sich verstärkt stellt in Verbindung mitder internationalen Krise, die sich nach den terroristischenAngriffen von 11. September 2001 ergeben hat. Wie könnenwir den Verbrauch der Ressourcen des Planeten regeln, wennes keine politischen Institutionen gibt, die fähig wären, globa-le Entwicklungs- und Kulturkonflikte demokratisch zu lösen?Wie können wir Teil einer Welt sein, die vorgibt, alle einzube-ziehen, während sie in Wirklichkeit geteilt ist, und zwar sehrungleich geteilt? Wie können wir die Technik regulieren, diedie menschlicher Kreativität freizusetzen scheint, wenn dieselbe Technologie offenbar auch Herrschaft und Terror dient?Schließlich: Können wir ernsthaft Nachhaltigkeit diskutieren,wenn wir ökologische Fragen von solchen nach sozialer Ge-rechtigkeit, kulturellen Werten und demokratischen Institutio-nen trennen?

Wenn wir auf die späten 60er Jahre zurückblicken, könnenwir die Geburt einer Ökologiebewegung erkennen, der deut-lich das Profil einer Gegenkultur trägt, einer Gegenkultur, dieden Konsumismus systematisch kritisiert hat in seiner höchstfraglichen Eignung als Projekt unserer Gesellschaften. In denfrühen 70ern läßt sich dagegen ein Trend der Ökonomisierungdes Umweltprozesses beobachten: Nach dreißig Jahren dessogenannten fordistischen Wachstumstyps zeigte der Club ofRome 1972 mit seinem Bericht „Grenzen des Wachstums“ dieNotwendigkeit auf, das ökonomische Wachstum aufzuhalten.Aber gleichzeitig warf er keine Fragen nach dem wirklichenSinn von Entwicklung auf. Während die ökologische Gegen-kultur zeitweise absorbiert war durch aktuelle pazifistischeKämpfe, verlor die ökonomistische Perspektive zeitweilig ihreTriebfeder angesichts der Energiekrise und des zyklischen Sin-kens der Weltökonomie seit Mitte der 70er Jahre.

Der Anfang der 80er Jahre war gekennzeichnet durch dieSchuldenkrise und die Aufbürdung von Strukturanpassungs-programmen für die am wenigsten entwickelten Ökonomiender kapitalistischen Peripherie, verbunden mit makroökono-mischen Stabilisierungsprogrammen zur Liberalisierung vonFinanzmärkten und Handel sowie mit der Deregulierung derMärkte und der Privatisierung von Unternehmen der öffentli-

chen Hand. Damals waren die Bewegungen, die die Ziele desEntwicklungsprojektes hinterfragt hatten, sehr beschäftigt mitder Kritik an den Strukturanpassungsprogrammen und ihrensozialen und ökologischen Auswirkungen. Noch deutlichersichtbar wurden die Auswirkungen der kapitalistischen Expan-sion in den Gebieten, in denen traditionelle Gesellschaftenlebten. Die wachsende Wahrnehmung sozialer und ökologi-scher Zerstörung als Teil der immensen Entwicklungspro-gramme führte zu einer erfolgreichen Allianz zwischen ländli-chen Gewerkschaften und jenen der Rohstoffindustrie in denperipheren Länder mit den internationalen Umweltschutz-organisationen, die sich mit dem Schutz der Wälder und demKlimawandel beschäftigten.

Mitten in diesen Druck von Seiten der Umweltbewegung,der auf den Widerstand großer Konzerne traf, brachte derBrundtlandbericht 1987 den Begriff der nachhaltigen Entwick-lung ins Spiel, den Kompromiss zwischen ökonomischemWachstum im Süden und technologischem Fortschritt durchden Norden. Eine doppelte Aufgabe war zu lösen:• Diejenigen mussten zufrieden gestimmt werden, die nach

dem Erscheinen des Berichts des Club of Rome gegen eineBegrenzung wirtschaftlichen Wachstums Sturm liefen. Dazumusste der Umweltgedanke im allgemeinen Denken undHandeln verankert werden, ohne den Prozess der Akkumu-lation von Reichtum zu stoppen.

• Der Umweltbereich musste an die Strukturanpassungs-programme angepasst werden, um das Konzept der Effi-zienzsteigerung auf alle Ressourcen und Nischen der Erdeauszudehnen.

Während der Vorbereitungsphase auf UNCED-92, als die er-sten Anstrengungen unternommen wurden, um die Prinzipiendes Brundtland-Berichts zu implementieren, äußerten Kritikerdes vorherrschenden Entwicklungsmodells ihre Erwartungen,dass der UN-Ansatz den Entwürfen der Strukturanpassung,wie sie von den Bretton Woods-Organisationen, Weltbankund IWF vorgebracht wurden, trotzen würde. Man erwarteteauch, dass Instrumente zum koordinierten Handeln geschaf-fen würden, um größeren Einfluss auf die globalen Umwelt-veränderungen auszuüben und Mechanismen zum Ressour-cen-Transfer von Nord nach Süd zu etablieren. Es ging darum,

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mehr politische Regulierung zu schaffen, um Umweltschutzmit sozialer Gerechtigkeit zu schaffen.

Nicht mehr als ein Jahr nach UNCED versuchte der sogenannte „Konsens von Washington“ die Prinzipien wirt-schaftsliberaler Reformen festzuschreiben, indem gleichzeitigdie Notwendigkeit zugestanden wurde, den Strukturanpas-sungsprogrammen größere Glaubwürdigkeit und öffentlicheAkzeptanz zu verschaffen. In allen Ländern des Südens sollteneoliberale Politik betrieben werden, basierend auf dem Glau-ben, dass die verfehlten sozialen, ökonomischen und ökologi-schen Auswirkungen des neoliberalen Programms als vorüber-gehend und notwendig anzusehen seien, zum Nutzen für einhöheres und langfristiges allgemeines Wohl. Die Kritiker derEntwicklungsideologie nannten das, was der Neoliberalismusanstrebte, „weniger Politik und mehr ökonomische Effizienz“.Die Entwicklung verlief also diametral entgegen der erwartetenstärkeren politischen Regulierung für mehr Umweltschutz undsoziale Gerechtigkeit. Gleichzeitig wuchs die Überzeugung,dass die ökonomische Liberalisierung – ungeachtet der Verhei-ßung, dass der Markt aus sich heraus eine gerechtere Zukunftsichern könnte – eher schädliche soziale und ökologischeAuswirkungen haben würde.

Seit UNCED haben die Repräsentanten des neoliberalenDenkens auf die Entpolitisierung des Umweltthemas gesetztund zu verhindern versucht, dass die internationale Debattezu neuen Regulierungsinstrumenten führt. Die These wurdeverbreitet, wonach „privates Eigentum einen besseren Schutzder natürlichen Umwelt gewährleisten kann“ und „eine stärke-re Regulierung nicht zu einem besseren Schutz der natürlichenUmwelt führt, sondern eher zu weniger Schutz“. Das sindStatements, die das begründen, was Albert Hirschmann (1991)die „These der Perversion“ nannte, nach der die reaktionäreRhetorik schon immer versucht hat nahezulegen, dass jederVersuch, die Gesellschaft zu verändern, soziale Gerechtigkeitoder Umweltschutz zu fördern, sie in die entgegengesetzteRichtung treiben würde. Für den Umweltbereich heißt dieseUmkehrung der Argumentation: Umweltpolitik wirke schäd-lich auf die Umwelt.

Während der 90er Jahre richteten die neoliberalen ThinkTanks daher ihre Anstrengungen darauf, den Umweltaspekt in

den Neoliberalismus einzufügen: Sie wollten zeigen, dass diebestehenden politischen Institutionen ökologische Interesseninternalisieren könnten, indem sie auf die Versöhnung vonWirtschaftswachstum und der Lösung des Umweltproblemssetzten und das Vertrauen in die Trias Technologie-Marktwirt-schaft-Konsenspolitik stärkten. Dieser Ansatz zielte auf mehrals auf die Legitimierung des Marktes als bestes Instrumentder Umweltpolitik: Die Umweltprobleme wurden als ein wei-terer Grund dargestellt, um neoliberale Reformprogramme zuinstallieren.

Der Globalisierungsprozess erzeugte als Gegenbewegung einWiedererstarken sozialer Akteure, welche die Effektivität poli-tischer Regulation, die Achtung sozialer Rechte und der Um-welt forderten. Die neoliberalen Reformen brachten den Un-ternehmen deutliche Gewinnsteigerungen, was in den flexi-blen Bereichen entscheidend zu einem Aufschwung beitrug.Durch die Deregulierung sanken die Kosten für die Verlage-rung ganzer Produktionseinheiten von einem Ort der Welt aneinen anderen merklich. Große Unternehmen wurden so befä-higt, die politischen und institutionellen Bedingungen frei zuwählen, die ihnen vorteilhafter erschienen für ihre Niederlas-sungen. Woher stammten diese Gewinne, welche die größereräumliche Mobilität der großen Unternehmen mit sich brach-te? Sicherlich aus dem riesigen Machttransfer, den die Deregu-lierung schaffte. Denn mit dem Abbau von Regulierungennehmen die Kosten der Firmenverlagerungen ab. Die mobil-sten ökonomischen Akteure werden mächtiger gegenüber we-niger mobilen sozialen Akteuren – etwa lokale Regierungenund Gewerkschaften. So hat sich die ökonomische Macht derGroßunternehmen in direkte politische Macht verwandelt. Siewurden praktisch befähigt, die Grundzüge der Stadt-, Sozial-und Umweltpolitik zu diktieren; sie können ihre Bedingungenverbessern, weil sie die freie Wahl haben, wem sie Arbeitsplät-ze und öffentliche Einnahmen anbieten. Je mehr sich dieNationalstaaten, die in ihrer Regulationsfähigkeit geschwächtsind, auf die Sicherung des Kapitalzuzugs und der Geld-stabilität konzentrieren, indem sie stagnierende Löhne undflexible Umweltregelungen anbieten, desto mehr ist die ökolo-gische Nachhaltigkeit gefährlich abhängig von der finanziellen„Nachhaltigkeit“ der Banken.

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Die Agenda der Nachhaltigkeit wurde so schon währendder 90er Jahre von der Agenda des Marktes übernommen –durch die einseitige Bevorzugung liberaler Reformen als auchdurch die objektive Stärkung der Großunternehmen gegen-über denjenigen Akteuren, die eigentlich besser qualifiziertwaren, soziale und regionale Umverteilungsmechanismen auf-zubauen wie auch stufenweise steigende ökologische Standardsfestzulegen. Konsequenterweise wurde fast einstimmig festge-stellt, dass die 90er Jahre die sozialen Unterschiede innerhalbder Länder verstärkt haben und gleichzeitig der Graben zwi-schen reichen und armen Ländern und zwischen den wohlha-benderen und den weniger prosperierenden Regionen nochvertieft wurde. Anstatt mehr öffentlichen Umweltschutz undsoziale Verantwortung voranzutreiben, führte die Globalisie-rung zu der Vorstellung einer Umwelt, die nur noch alsbusiness opportunity gesehen wurde. Die Rede von der „be-trieblichen Selbstregulierung“ verfestigte auf der anderen Seitedie Konzentration von Reichtum in den Händen globalerInteressen, die sich nicht verantwortlich fühlen für soziale undUmweltbelange, gegenüber den Regierungen und der Bevölke-rung. Die Übernahme des Umweltthemas durch die Agendades Marktes, in dem nichts anderes als kumulatives Wachstumvermerkt war, hat dabei die schädliche Trennung zwischenUmwelt- und sozialer Frage noch vertieft. Die Wahrnehmung,die neoliberalen Reformen hätten dazu beigetragen, dass sichsoziale Ungleichheiten und Umweltindikatoren verschlechter-ten, scheint selbst einige Offizielle von Weltbank und IWFberührt zu haben. Aber im Kontext der internationalen politi-schen Krise, welche die Anschläge vom 11. September ausge-löst haben, droht die Debatte über soziale und ökologischeRe-Regulation wieder absorbiert zu werden – und zwar durcheine neue Unterordnung der Umweltbelange, diesmal unterdie militärische Rede von „ökologischer Sicherheit“.

Die Militarisierung von Nachhaltigkeit: DerFall der ökologisch-ökonomischen Zonierungder brasilianischen Amazonas-Region

Im internationalen Kontext wurde die Rede von der „ökologi-schen Sicherheit heraufbeschworen, um Projekte zur Bevölke-

rungskontrolle in wenig industrialisierten Ländern zu legiti-mieren. Hintergrund ist die neo-malthusianische Prämisse,wonach der Bevölkerungsdruck auf knappe Ressourcen dieHauptursache für soziale und politische Konflikte sei. DiesesInterpretationsmodell, das solche internen Konflikte als Ge-fahr für die internationale Sicherheit ansieht, wurde 1994 vonThomas Homer-Dixon entwickelt (vgl. Homer-Dixon 1995).Schon bald wurde es beliebt auf dem internationalen Politik-feld, insbesondere im US-Außenministerium, wie die Fälle vonHaiti, Ruanda und Chiapas in Mexiko zeigen. Die Ausbrei-tung eines solchen Modells wird üblicherweise mit dem Ver-such erklärt, die hohen Militärausgaben zu legitimieren, nach-dem die großen Unternehmen im Luftfahrt- und Telekommu-nikationssektor nach dem Kalten Krieg mit dem Wegfall gut-dotierter Verträge fertig werden mussten. Das Militär und dieLuftfahrtindustrie führten die Belange des Umweltschutzes undsolche der nationalen Sicherheit diskursiv zusammen.

Die Krise der postkolonialen afrikanischen Staaten dientedazu, interne politische Konflikte als Folge der Überbevölke-rung zu erklären, die angeblich zu Kämpfen um knappe Res-sourcen führe: „There is altogether a group of biological na-tional security problems: environmental destruction,population boom, rapid spread of disease, the emergence ofcompletely new diseases“, gab einer der Wortführer diesesökologisch begründeten Neo-Hobbesianismus zu bedenken.„It is known that these things affect Africa, but they still donot see that they too can affect America“; „chaos is the bestincubator of disease and disease is an incubator of chaos“,fasste er zusammen.5 Argumentative Strategien dieser Art bil-deten die Kulisse für Veränderungen in der nordamerikani-schen Verteidigungspolitik. Mit ihren Schilderungen, nachdenen der „Wettstreit um knappe Ressourcen eine uralte Formmenschlicher Konflikte darstellt, die Spannungen zwischenStaaten verursachen“, begründete die US-Aussenministerin inihrer Rede beim Earth Day 1997 den Begriff der „ökologi-schen Sicherheit“, der rhetorisch brauchbar erschien, um demVerteidigungs- und Geheimdienstbereich eine zentralere Rollein der US-Umweltdiplomatie zu gewährleisten (Conca 1998).

Seit 1991 zählt der Jahresbericht über die nationale US-Sicherheitsstrategie auch Umweltbelange zu seinen Themen,

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während der Gebrauch von Militärsatelliten zur Umwelt-kontrolle zur wichtigsten praktischen Anwendung des neuennationalen Sicherheitsfokus auf die Umwelt wurde. Basierendauf geobezogenen Daten sollten quantitative Analysen des„national security impact index“ die neue Sicherheitsstrategiebestimmen. Beispiele dafür sind die Einschätzungen des US-Militärgeheimdienstes, wonach die ökologische Zerstörung desViktoriasees eine „Ursache für mögliche Instabilität in Ostafri-ka“ darstellte;6 oder dass die US-Militärpräsenz in Afrika dienachhaltige Entwicklung unterstützen solle, etwa durch Hilfefür Fischer und ein Wasser-Ressourcenmanagement.7

Gleichzeitig mit dieser „Militarisierung von Nachhaltigkeit“entwickelte sich das, was man „Umwelt-Militär-Komplex“ nen-nen könnte. Dies rückt die Umwelt in den Zuständigkeitsbe-reich des Geheimdienstes und legitimiert riesige Investitionenin Technologien und Apparate zur Landüberwachung. Im FalleBrasiliens wurde von der dortigen Regierung mit Unterstüt-zung der USA das System zur Überwachung des Amazonas(SIPAM) als Matrix für nachhaltige Entwicklung im weitenÖkosystem des Amazonas präsentiert, während das AmazonasKontroll System (SIVAM) als bi-funktional beschrieben wird,als ein Militärprojekt, um den Luftraum zu verteidigen, und –gemeinsam mit der ökologisch-ökonomischen Zonierung – umInformationen zu sammeln über mineralische, Wald- und Was-serressourcen, menschliche Bewegungen und Siedlungen. DasSIVAM, ein Projekt mit einem Umfang von 1,4 Milliarden Dol-lar, wovon fast die Hälfte für die Datenaufnahme vorgesehen ist,wird eventuell SIPAM in der Umweltüberwachung unterstützen– durch den Gebrauch von Sensoren, Radar, Satellitenbildern,einem integrierten Telekommunikationssystem und die Aufzeich-nung von irregulären Aktivitäten. Die militärische Verwicklungin Projekte dieser Art geschah in einem Kontext, den ein frühererSekretär für Strategische Angelegenheiten „Existenzangst“ derbewaffneten Kräfte genannt hat. Seiner Einschätzung nach hat-te das Militär „aufgehört, ein wichtiger Akteur in der Moderni-sierung des Landes zu sein und hielt konsequent Ausschaunach mehr Raum im Zentrum staatlicher Macht.“ (vgl. M.C.Flores, „Rumos para Defesa“, in Jornal do Brasil, 1/4/1995)

Die Fernkontroll- und Teleüberwachungstechnologien för-derten die strategische Debatte über die Landbesetzerorgani-

sationen in Grenzregionen. Umweltschutz-Projekte wurdenaufgebaut, die sich gleichzeitig gegen verbotene Aktionen rich-teten. Auf der einen Seite konnten die gewonnenen Umwelt-informationen als Instrumente zur Verteidigung der nationa-len Souveränität und zum Widerstand gegen die angeblichdrohende internationale Intervention in die Amazonas Regiongenutzt werden (de Oliveira 1995: 42). Andererseits benutzteman die vernetzten Projekte wie die ökologisch-ökonomischeZonierung und SIVAM als Methoden der simultanen Fern-überwachung ökologischer Prozesse und illegaler Praktiken.Erdgestützte Umweltdaten werden als integraler Teil der Infor-mationen herangezogen, nach der eine illegale Praxis als sol-che charakterisiert wird. Die Basis der Umweltkontrolle vonSIVAM ist konsequenterweise vorgesehen als Instrument derInformationsbeschaffung für das Kriminalitätsüberwachungs-system. Die Teleüberwachung nimmt also eine doppelte Auf-gabe in Anspruch – eine ökologische und eine juristische. Fürden Zweck der Fernüberwachung korrespondiert diese Aufga-be mit einer festgelegten Anordnung von Menschen und Din-gen in der Region – was in den geobezogenen Daten vorgege-ben ist: “Die geobezogene Datenbasis ist grundlegend. Wennwir nicht wissen, wo die Mineralvorkommen liegen, die Haupt-wohnorte der Indigenen, umkämpfte Gebiete, die wichtigstenbewohnten Gebiete, wo Hartholz weggeschafft wird, dannkann SIVAM nicht mit der Arbeit der Überwachung begin-nen“, stellte der SIVAM-Projektkoordinator fest (ebd.).

Die Legalität wird dann gesehen als Ausdruck der Entspre-chung von Menschen und Dingen an „ihrem jeweiligen Ort“.Illegalität und ökologische Unordnung spiegeln folglich feh-lende Übereinstimmung zwischen Menschen, Dingen und „ih-ren Plätzen“ wider, wie es der SIVAM-Koordinator ausdrückt:„All diese Berichte sollten verbunden werden mit den Berich-ten über illegale Aktionen, die in einem anderen Bereich ge-nutzt werden. Wenn irgend etwas schief läuft in der Region,werden wir herausfinden, was passiert ist in dieser Gegend. Esist viel einfacher herauszufinden, was in der Region los ist,wenn man die illegalen Handlungen mit einbezieht.“ „Wennman ein bestimmtes Flugzeug das erste Mal in eine bestimmteRichtung zu einem bestimmten Punkt hin fliegen sieht, magdas Zufall sein, ein ganz normaler Flug; beim zweiten Mal

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sollten wir ihm etwas mehr Aufmerksamkeit schenken; beimdritten Mal ist dieser Flugverkehr verdächtig. Doch um das zurealisieren ist es wichtig, die Informationen aus allen Berei-chen zu haben.“ (ebd.) Und die Legitimation dieser angenom-menen Ordnung wird als genauso selbstverständlich angese-hen wie die Fähigkeit des Überwachungssystems selbst, illegaleAktionen zu identifizieren: „Wann es suspekt ist – wer will esals suspekt oder anders benennen oder klassifizieren, wennnicht der Kontrolleur; die Datenkombination, die wir zurVerfügung haben, wird uns sagen, wenn es dort eine Schürf-stelle oder eine andere Art illegaler Ausbeutung gibt. DasSystem selbst wird die ersten logischen Schlussfolgerungenziehen.“ (ebd.)

Diese Informationen würden folglich auf „quasi-natürlicher“Basis, objektiviert in einem digitalen System, die gesetzlichewie die ökologische Ordnung festlegen. Das Ziel einer solchenquasi-Naturalisierung der sozio-territorialen Ordnung führt je-doch eine ganze Reihe von Konsequenzen nach sich, welchedie Unterschiede zwischen Überwachung und Simulation inzunehmendem Maße verschwimmen lassen. Kontrolle durchFernerkundung ist charakterisiert durch den Gebrauch vonTechnologien, welche die Datenübertragungszeit gegen Nulltendieren lassen.8 Die elektronischen Signale/Bilder könnendaher als reales Gegenstück der Objekte und Ereignisse be-trachtet werden. In Anbetracht dessen, dass hier „imaginär“und „real“ zusammenfallen, verschwindet die Distanz zwischenvirtueller und realer Kontrolle.

Diese rationalistische Sicht, die Welt der Dinge zu ordnen,erinnert uns an Benthams Utilitarismus. Von diesem wurde im18. Jahrhundert ein hydraulisches System der Vergnügungenanvisiert, das die menschliche Psyche eindämmt und zu kör-perlicher Produktivität kanalisiert (Foucault 1977). Mit derÖkologisierung der territorialen Ökonomie wird gleichfallsversucht, ökonomische Ströme einzudämmen, zu kanalisierenund eine systematische Korrektur daran vorzunehmen: Eineproduktive Kanalisierung der ökonomischen Ströme der Na-tur. Zu der ursprünglichen Besorgnis in der frühen Neuzeitüber die Verschwendung der psychischen Energie kommt nundie Sorge um die Verschwendung der Elemente der materiel-len Welt. Während in der panoptischen Sicht Benthams (eines

zentralen Überwangungssystems) eine „Bio-Macht“ danachstrebt, die produktiven Subjektivitäten nicht zu verschwen-den, zielt die „Öko-Macht“ darauf ab, die produktiven territo-rialen Elemente nicht zu verschwenden. Die erstere fragt da-nach, was im Land getan wird; sie diszipliniert Menschen, ihreKörper und Oberflächen und geht von einer politischen Ana-tomie aus, die auf Unterordnung ausgerichtet ist. Die zweitefragt danach, was mit dem Land passiert; definiert zulässigeund unzulässige Verfahren, verteilt effizient die technischenund ökonomischen Prozesse. Während die panoptische Sichtselbst vom Überwachten nicht gesehen, sondern nur geahntwerden kann, ist die ökologische Sicht immer offen über denBeteiligten positioniert, als eine Perspektive von einem plane-tarischen, im globalen Wettbewerb stehenden oder generatio-nenübergreifenden Standpunkt aus.

Ökologische Fernerkundungsverfahren stellen damit eineAneignung von Gebieten durch eine Machtstrategie dar, wo-bei diese Verfahren dazu neigen, den gesellschaftlichen Inhaltdes Raumes zu ignorieren und eine „natürliche Natur“ alsBezugspunkt zu setzen für die angestrebte „Ordnung derUmwelt“. Es ist daher notwendig, die spezifische Komplexitätdes konkreten gesellschaftlichen Terrains in seiner ganzen Be-deutung zu erfassen – mit seinen Widersprüchen, Konfliktenund Widerständen – um hinter der ungewissen sozio-territoria-len Fernkontrolle die „offene Kosmologie eines unvollkom-menen Panoptismus“ (Graham 1998: 486) zu entdecken. Auf-grund der spezifischen sozio-politischen Bedingungen derAmazonasregion wird ein Projekt, das auf eine Architektur derPositionen zielt – strukturell geplant und angewandt auf Indi-viduen und Orte, auf Ströme und Prozesse –, kaum je aufhö-ren, von seinem Anspruch abzulassen, der aber „ein mehr alsunvollkommener Panoptismus“ genannt werden kann.9

Ökologische Gerechtigkeit versuskonsensuale Post-Demokratie

Das Ende der Militärdiktaturen und die weltweite Demokra-tisierungswelle der 1980er Jahre gab Anlass zu hohen Erwar-tungen, dass es zu einem doppelten Prozess von Demokrati-sierung des Staates und der Vergesellschaftung der Politik kom-

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men würde. Dies würde mehr Transparenz im öffentlichenManagement und eine größere Einbeziehung der Gesellschaftin die politische Debatte wie auch einen Prozess der Macht-verteilung implizieren. Es wurde weiterhin angenommen, dassdas geschlossene Festhalten der Linken am Projekt der Demo-kratisierung als einer Gesellschaftsform – und nicht lediglichals ein politisches Regime – in Verbindung mit dem Wieder-aufkommen sozialer Bewegungen, das Aufziehen einer so ge-nannten „neuen Politik“ erlauben würde – mit einer Art Fusi-on politischer und nicht-politischer Sphären, des Staates undder Zivilgesellschaft. In diesem Prozess würden die Bürger ander Kontrolle der politischen Elite partizipieren, indem sieüber neue Kommunikationskanäle mit dem Staat verbundensind. Angelegenheiten, die zuvor privat, moralisch oder ge-schäftlich waren, würden politisiert. Das staatsbürgerlicheHandeln aus der Sphäre der Regierungsgewalt würde sich aus-breiten, nicht-politische Institutionen der Zivilgesellschaftwürden politisiert, und die Gesellschaft würde die Werte unddie kulturellen Modelle infrage stellen, in denen sich traditio-nell die divergierende Interessen niedergeschlagen haben. DieArt, das Profil und die Richtung politischer Kontrolle würdenselbst zum Gegenstand politischer Konflikte, die eine breitereöffentliche Sphäre einnehmen würden als nur die des Staates.

Herausgekommen ist heute ein ganz anderes Paradigma, indem die Disqualifikation der Politik die Ausbreitung des nicht-politischen Raums rechtfertigt. Vormals politische Themensind entpolitisiert und in die Privatsphäre übergegangen.Regierungsaufgaben sind nichtstaatlichen Akteuren übertra-gen und dabei neue Kanäle (wie z.B. Foren und Beiräte) einge-richtet worden, die als frei von den Übeln der Politik gelten.Die politische Sphäre soll nun einer Schlichtungsstelle derEliten überlassen bleiben – wegen der angeblich geringen Be-deutung und Effektivität von Politik. Private und zivile Orga-nisationen sind angehalten, eine Einigung herbeizuführen, wasja einst das Vorrecht staatlicher Autorität war. Die Werte, diekulturellen Muster und die Regeln des sozialen Zusammenle-bens, in denen die Interessen definiert wurden, bleiben nununbestritten, und die diversen Interessen werden symbolischvereint. Letztlich ist die Politik durch ökonomische Meta-phern ökonomisiert worden: „Wirtschaftsstandort“ für den

Ort städtischer Politik; „Unternehmensleitung“ für das Mana-gement öffentlicher Investitionsprogramme; „nationale Wett-bewerbsfähigkeit“ für die internationalen Strategien eines Lan-des; die Zuweisung von Preisen für eigentlich nicht handelbareTeile der Umwelt; die Veräußerbarkeit von Wissenschaft alsAusdruck eines ökonomischen Wertes von Wissen, das anUniversitäten „produziert“ wird; etc.

So wird mehr und mehr ein Modell erkennbar, das JacquesRancière (1995) „konsensuale Post-Demokratie“ genannt hat,charakterisiert durch die Verheimlichung von Konflikten,durch das „Verschwinden von Politik“ und den Auftrag anbestimmte soziale Gruppen, die als neue „Partner“ des Staatesbesonders für Verhandlungen mit ihm geeignet erscheinen.Wenn die Runden Tische und andere Foren sowohl Unterneh-mer und als auch Arbeiter, die Verursacher von Umwelt-verschmutzungen und ihre Opfer einschließen, dann bringendiese hybriden Formen zwischen Staat und Gesellschaft allegleichermaßen in den homogenen Stand von „Partnern“, wo-bei jeder Unterschied der sozialen Rolle, der Verantwortungund der Macht verwässert wird. Die Verantwortung für Um-weltverschmutzung und ihre Lösung wird dabei häufig gleich-gesetzt, zum Beispiel, in den Foren der so genannten lokalenAgenda 21. Nichtsdestotrotz machen die Verschmutzer immerweniger Anstalten, ihre Informationen über den von ihnenangerichteten Schaden offen zu legen und lassen immer weni-ger eine soziale Kontrolle dieser Gefahren zu. Die RundenTische mögen mehr und mehr „partizipativ“ in ihrer Zusam-mensetzung sein, doch sie haben weniger entscheidungsfähigeMacht wegen des großen Volumens ihrer Agenda, und dieWahrscheinlichkeit ist groß, dass sie als eine Art „Polit-Show“wahrgenommen werden. Weil soziale Nicht-Differenzierunginnerhalb dieser Sphären der „Partnerschaft“ von Nutzen ist,basiert die Entwicklung einer Demokratie stark auf Bildern.Die scheinbare Stabilität, die durch den symbolischen Kon-sens erzielt wird, wird ein wesentliches Element der Politik,um internationale Investitionen anzuziehen. Die Notwendig-keit, dem Investor auf internationaler Ebene Vorteile anzubie-ten, – sozialer Konsens, Sicherheit, ökologische Nachhaltig-keit – rechtfertigt dabei, dass alle umstrittenen Projekte unterden Tisch gekehrt werden um des lokalen oder urbanen Wett-

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65Die ökologische Herausforderung64 Henri Acselrad

bewerbs willen. Aber der fiktionale Charakter vieler dieserKonsense wird zunehmend sichtbar an den Symptomen, anden Brüchen in den sozialen Beziehungen, der zunehmendenräumlich-sozialen Segregation und der Gewalt in den Städten.

Konsensbildende Techniken wurden entwickelt, um jedenStreit als ein zu vermeidendes Problem darzustellen. Und jederverbleibende Disput wird konsequenterweise als Folge man-gelnder Konsensfähigkeit und nicht als Ausdruck realer Diffe-renzen zwischen Handelnden und ihren sozialen Projekten zubetrachten versucht; Differenzen, die üblicherweise in der Öf-fentlichkeit behandelt werden. Da angesichts der Aushöhlungder Demokratie nur ein „Quasi-Nichts“ noch von demokrati-schen Verfahren regiert wird, wurde, um die politische Leere zufüllen, ein Diskurs über „lokale Bürgerschaft“ initiiert, die alsIndikatoren eines einheitlichen Selbstverständnisses der Gesell-schaft präsentiert werden. Dabei wird der Versuch unternom-men, den realen Trend der sozialen Fragmentierung durch dieIntegration der Ausgeschlossenen in lokalen Kollektiven zukompensieren. Eine Art „Demokratie der Nähe“ wird als Heil-mittel gegen den sozialen Zusammenbruch präsentiert. Dabeisind die meisten tief verwurzelten Ursachen von Ausgrenzungund Gewalt nicht auf der lokalen Ebene zu finden.

Die „konsensuale Post-Demokratie“ präsentiert das Unter-nehmen als Modell für die Organisation der Gesellschaft. DieVorstellung dabei ist, dass die Logik der Effizienz, gemessennach strikt monetären Kriterien, von nun an die Leitlinie füralle Aspekte des sozialen Lebens wird – von öffentlicher Ver-waltung bis zum Management genetischer Informationen. Aberkein demokratisch aufgebauter Prozess würde es überstehen,wenn das soziale Leben in ein Modell von diskussionsfreien,unternehmerischen Hierarchien gepresst wird. Das demokrati-sche Projekt ist im Gegenteil verpflichtet, sich immer wiederder antiken Polis zu erinnern, die gleichzeitig pluralistisch ist,weil sie die unterschiedlichen Perspektiven der Bürger wieder-gibt, und gemeinschaftlich, weil dies von allen geteilt wird.

Dies genau ist die Herausforderung, welche die Umwelt-frage in das politische System brachte: Die Externalisierungvon Umweltbelastungen ist ein strikt politisches Feld, sie iststrukturell wegen des Kräftespiels des Marktes und nicht we-gen randständiger „Marktfehler“. Nicht nur Ineffektivität ge-

fährdet die Umwelt, sondern auch der Mangel an sozialerGerechtigkeit. Daher prangerten angesichts der sich verschlech-ternden sozialen und ökologischen Verhältnisse die sozialenBewegungen in den 90er Jahren diese Auswirkungen als derMarktlogik inhärent an. Unterschiedliche lokale Initiativenfür eine bessere Verteilung der Umweltressourcen haben sichauf nationaler Ebene zusammengeschlossen und begonnen,sich auch international als integralen Teil der Politik zuverorten. Ihr Auftreten erklärt sich mit der Entwicklung einesUmweltbewusstseins in den traditionellen sozialen Bewegun-gen, ob im Interesse der Bürgerrechte oder für die Demokrati-sierung des Landes. Aber sie entstanden auch wegen der um-weltbedingten Verelendung der am meisten von Armut betrof-fenen Bevölkerungskreise, sowohl in den Ländern der Periphe-rie als auch innerhalb der wohlhabenden Staaten selbst.

Ökologische Gerechtigkeit ist in ihrem Kern eine Auswei-tung vom Gebiet der reinen Umweltprobleme hin zur Themati-sierung der räumlichen und sozialen Verteilung von Umwelt-gütern und -belastungen, der ungleichen Lastenverteilung be-züglich des Umweltschutzes und – vielleicht am wichtigsten –der Orte, an denen umweltbezogene Entscheidungen getrof-fen werden. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf diese Kern-fragen der Verteilung richten, wird sich unser Blickfeld weitenund das Lokale wie das Globale, städtische wie ländliche Re-gionen einbeziehen. Wir müssen nach der Verteilung der Um-weltlasten innerhalb der Städte und zwischen ihnen fragen;zwischen den Städten, ihren Peripherien und dem Hinterland;und zwischen den Regionen der Welt. Aus dieser Perspektiveist Umweltverschmutzung in einem begrenzten Raum, die dieArbeiter und ihre Nachbarschaft bedroht, genauso ein globa-les Problem wie ihre logischen Verknüpfungen, z.B. der Ver-lust an biologischer Vielfalt, der Klimawandel oder das Ozon-loch (Deutsch Lynch 1999).

Die ungleiche Verteilung von Umweltgütern und -schädenspiegelt breitere ökonomische Ungleichheiten wider, was vielzu tun hat mit der regionalen Integration in die globale Öko-nomie wie auch mit strukturellen Faktoren innerhalb der Län-der. Weil diese ökonomischen Unterschiede oft verstärkt wur-den durch die internationale Entwicklungspolitik, erfordertdas Bemühen, mehr ökologische Gerechtigkeit in den Län-

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dern des Südens zu erreichen, dass internationale Entwick-lungsagenturen ihre Aufmerksamkeit auf diese umweltbezo-genen Ungleichheiten richten und eine Politik machen, die zuderen Abbau beiträgt. Weil die Kritik an der Welthandels-politik in jüngster Zeit wächst, müsste dies leichter möglichsein. Unter Berücksichtigung, dass internationale Entwick-lungsagenturen ökologische Ungerechtigkeit in wenig entwik-kelten Ländern immer weiter vertieft haben, braucht das Stre-ben nach ökologischer Gerechtigkeit Neuerungen in der Um-weltpolitik.

Wenn, wie Low und Gleeson (1998) vorschlagen, „ökologi-sche Gerechtigkeit von der Verteilung der Umwelten an Men-schen handelt“, kann sie als Verräumlichung von Verteilungs-gerechtigkeit gedacht werden. Das bedeutet, dass Eigentums-und Zugangsfragen fundamental sind für die Agenda der öko-logischen Gerechtigkeit. Ein Set von Fragen hat mit der Zutei-lung von Umweltgütern und -belastungen zu tun: Die Privati-sierung der Profite, die zu Lasten der Allgemeingüter geht,transnationale Verteilung von Umweltbelastungen (inklusivetransnationalem Handel mit Giftmüll) und Entscheidungendarüber, bestimmte Landschaften für den ästhetischen Genußzu schützen und andere für die Produktion zu zerstören (wasStädte erst befähigt zu überleben und zu wachsen). WieConcepción (1995: 203) zeigt, sind die transnationale Vertei-lung von Umweltschäden eng verbunden mit dem anti-kolo-nialen Kampf.

Ein zweites Set hat speziell mit dem Zugang zu Land zu tunund mit den destruktiven Einflüssen von Eigentum und Han-del auf soziale Beziehungen. Die Kommodizifizierung des Rau-mes führt zu Eingrenzungen und zu Veränderungen von Land-schaften und ökologischen Zusammenhängen, was diese insta-bil macht und eine Landnutzung fördert, welche die Gesund-heit der Landarbeiter, die Nachbarn und das nicht-menschli-che Leben gefährden. Fast unvermeidlich führt das zu Vertrei-bungen und zur Entfremdung der Landbevölkerung von ihrerLebensgrundlage. Landkonzentration und ökologische Unge-rechtigkeit in ländlichen Gebieten gehen einher mit der Pro-duktion von städtischen Räumen, die ebenfalls ungerecht sind.

Ein drittes Themenset hat zu tun mit der soziale Verteilungverschmutzender Einrichtungen und Menschen im städtischen

Raum. Der Wohnungsmarkt, Arbeitsmöglichkeiten im formel-len wie im informellen Sektor, Wohnverhältnisse und Trans-portmöglichkeiten beeinträchtigen die Verteilung von Men-schen und von Risiken. Die Auswirkungen dieser Politik sindwahrscheinlich da am schädlichsten, wo sie durchdrungen sindvon rassistischen und ethnischen wie auch von klassenmäßigenBenachteiligungen (Deutsch Lynch 1999).

Gesundheit und Hygiene sind seit Mitte des 19. Jahrhun-derts ein wichtiges Anliegen für Stadtpolitiker in Dritte-Welt-Ländern. In den letzten Jahren wurden diese Probleme„ökologisiert“ und Fragen der Wasserversorgung, des Abwas-sers und der Müllabfuhr können als Problem von Umwelt-gerechtigkeit angesehen werden. Aber allzu oft werden sie alseinziges städtisches Umweltproblem gesehen. Lateinamerika,zum Beispiel, ist überwiegend städtisch geprägt und voll in dieglobale Ökonomie integriert; seine Einwohner sind den Risi-ken von Luft- und Wasserverschmutzung und giftigen Sub-stanzen am Arbeitsplatz und in der Wohngegend alltäglichausgesetzt. Diese Risiken sind nicht begrenzt auf die Regionender Megacitys, sondern man begegnet ihnen auch in den klei-neren Städten und den Randbezirken, wo die Industrie häufi-ger angesiedelt ist. Die Umweltschäden, die mit diesen Indu-strien einher gehen, können als wichtige Nebenprodukte desinternationalen Handels an giftigen Substanzen und gefährli-chen Technologien verstanden werden. Manche Umwelt-schäden betreffen alle Stadtbewohner; andere sind lokal wirk-sam, meist in alten Arbeitervierteln und neueren informellenAnsiedlungen (ebd.).

Das Paradigma der Umweltgerechtigkeit wurden von Akti-visten erdacht, die mit einer langen Geschichte im Kampf umBürgerrechte zum Umweltschutz kamen. Im Fall der Vereinig-ten Staaten war die Bewegung notwendigerweise gezwungen,das Thema Umweltgerechtigkeit im Mainstream der Politik zuetablieren. Ein Bericht über „Toxic Waste and Race“ (UnitedChurch of Christ 1987) in den USA belegte sehr deutlich, dassdie Belastung mit Giftmüll nicht nur in sozial schwachenGebieten, sondern auch in den Vierteln der Farbigen stärkerkonzentriert ist. Die Publikation von Daten über die Freiset-zung von Giftstoffen durch die US-Umweltschutzbehörde hatden Aktivisten außerdem ermöglicht, Informationen über die

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räumliche Verteilung der Risiken in US-Städten zu sammelnund zu verbreiten. Die bestehenden Erfahrungen zeigen dieBedeutung sozialer Bewegungen und Wissenschaften im öf-fentlichen Interesse, um die Belange der Umweltgerechtigkeitzu erreichen. Doch die unterschiedlichen politischen und bü-rokratischen Traditionen und die tiefen Unterschiede in Wohl-stand, Macht und Ungleichheit zwischen den Ländern ma-chen es gefährlich, zu sehr auf vergleichbare Strategien zusetzen.

Abschließend ist gegen die Absorption der Umweltproble-matik durch die Logik der Effizienz und gegen die Disqualifi-zierung von Politik durch einen „post-demokratischen Kon-sens“ – d.h. gegen die zentralen Elemente des (neo-)liberalenReformprogramms – eine auf die Initiativen sozialer Bewegun-gen zurückgehende neue Art der Artikulation zu setzen. Diesemüsste ökologische und soziale Ziele in Verbindung bringenund der ökologischen Frage neue politische Unterstützungund eine erneuerte moralische Kraft geben, um die kulturellenWerte und Ziele in Frage zu stellen, mit denen die Ausbeu-tung des Planeten gerechtfertigt wird. Vor diesem Hintergrundsollte die internationale Debatte zur Kenntnis nehmen, dassnatürliche Ressourcen ungleich verteilt sind und dass auch dieBetroffenheit von Umweltgefahren zwischen den verschiede-nen sozialen Gruppen ebenfalls sehr ungleich ist. Denn eswird zunehmend evident, dass die Logik des Marktes, wie siein dem kontroversen Memorandum von Lawrence Summersgerechtfertigt wurde, das 1992 in der Weltbank verbreitet wur-de,10 zu einer Verbreitung von Verschmutzungsprozessen undUmweltschäden auf nationaler wie internationaler Ebene führtin einer Art, die vor allem die ärmere Bevölkerung trifft. Umökologische Ungerechtigkeit aus der Welt zu schaffen, müssenwir in letzter Konsequenz hinterfragen, wie Staat und Markt inspezifisch nationalem und supranationalem Rahmen funktio-nieren und wie sie technische und wissenschaftliche Entschei-dungen beeinflussen. Und wir müssen auch ergänzende Fra-gen nach der Rolle der internationalen ökonomischen undpolitischen Institutionen stellen; danach, wie diese Institutio-nen die Parameter für die Thematisierung der Umweltfragensetzen, die von der tröstlichen Bezeichnung „nachhaltigenEntwicklung“ erfasst werden, und wie sie die Demokratisie-

rung ökologischer Planungs- und Regulierungsprozesse stüt-zen oder behindern.

Aus dem Englischen von Stephan Günther

Anmerkungen

1 Es ist schon seit langer Zeit bekannt, dass „the moral con-struction of global environmental problems emphasising thecommon interest in the efforts to face up to them has prevailed,diverting the attention from political setbacks resulting from thediversity of social interests and nations involved in this confront“(Buttel/Taylor 1992: 406).

2 Das politische Dilemma bezogen auf globale Umweltproblemeberührt sicher auch die wissenschaftliche Debatte selbst: „globalchange research is part of a contested science in a contestedpolitical arena“ (Krueck/Borchers 1999: 123).

3 „The real debate associated with globalization is, ultlimately, notabout the efficiency of markets, nor about the importance ofmodern technology. The debate, rather, is about inequality ofpower“ (Sen 2001: 9).

4 Georgescu Roegen (1971) hat auf die Problematik der Entropie-steigerung zurückgegriffen, um die ökologische Frage als eineethische Wahl darzustellen. Wenn die Irreversibilität des entropi-schen Prozesses gegeben ist, dann muss eine Wahl getroffenwerden zwischen der Produktion von Pflügen oder Panzern.

5 J. Goldberg, „Our Africa Problem“, New York Times Magazine,March 2, 1997, p. 35, zit nach: Hartmann 1997: 12.

6 J. Brian Atwood, „Towards the Definition of National Security“,Bemerkungen bei der Konferenz „New Directions in U.S. ForeignPolicy“ an der Universität von Marylan, College Park, 2. No-vember 1995. Excerpted in Wilson Center, EnvironmentalChange and Security Project Report, Spring 1996: 85-88, zit.nach: Hartmann 1997: 15.

7 K. Butts, „National Security, the Environment and DOD“, inWilson Center, Environmental Change and Security Project Re-port, Spring 1996, zit. nach: Hartmann 1997: 15.

8 vgl. W. Bogard (1996), The Simulation of Surveillance: hyper-control in telematic societies, Cambridge Univ. Press, Cam-bridge, S. 9, zit. nach: Graham 1998: 497.

9 „The image standard“ – stellt ein technisches Dokument desBrasilianischen Sekretariats für strategische Studien (SAE) fest –„is the result of combinations of spectrum responses of the

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71Die ökologische Herausforderung70 Henri Acselrad

physical and biotic variables and of the actions resulting fromeocnomic activities“ The „graphic homogeneity of the imagestandard – proceeds the document – defines spatialisation andpermits the preliminary identification of the environmental unit“(SAE-PR 1995: 8). Guillot (1995: 50) dagegen warnt vor derAnnäherungscharakter der Resultate von Fernüberwachungen.

10 Lawrence Summers, Ex- Sekretär der US-Zentralbank und Chef-ökonom der Weltbank, schlug vor, dass ärmere Länder als Müll-abladeplätze (pollution havens) genutzt werden sollten, weil Um-weltfragen vor allem ein ästhetisches Problem für die Reichensind. Die meisten BewohnerInnen der Dritten Welt würden so-wieso nicht lange genug leben, um von den krankmachendenEffekten der Verschmutzung betroffen zu werden – und, falls siedoch lange genug leben sollten, wäre ihr Leben weniger Wert alsdas der BewohnerInnen von entwickelten Ländern (TheEconomist, 8. Sept. 1992).

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73Sichere Lebensgrundlagen ...72 Christa Wichterich

gorien Nord-Süd, Klasse, „race“ und Geschlecht diskutier-ten,

d) entwicklungspolitische Ansätze zu „Frauen in Entwicklung“(WID), die sich ausgehend von den GrundbedürfnissektorenLandwirtschaft, Wald, Wasser und Energie zu einem Kon-zept von „Frauen-Umwelt-Entwicklung“ (WED) erweiterthatten.

Ziel des Selbstverständigungsprozesses vor der Rio-Konferenzwar, über alle Differenzen hinweg eine autonome Positionie-rung und eine eigene Agenda aus Frauensicht für die Konfe-renz zu erarbeiten. Kristallisationspunkt in diesem Prozess warder 1991 in Miami als Tribunal veranstaltete „Women’s WorldCongress for a Healthy Planet“. Als Ergebnis der unterschied-lichen gelebten Erfahrungen und wissenschaftlichen Analysenließen sich zwei Konsenspunkte in dem breiten Spektrumfeministischer Ansätze und Konzepte identifizieren:�Die Analogie von Frauenunterdrückung und Naturbeherr-

schung,�der innere Zusammenhang von Wachstumsdogma und Um-

weltzerstörung bzw. die Raubbaulogik des Wachstums-paradigmas.

Charakteristikum der Debatten in Miami war eine dominanteEntwicklungsskepsis bis hin zu radikaler Entwicklungskritik,ein „Infragestellen des herrschenden Entwicklungsmodellsdurch eine politische Umweltanalyse“ (WIDE) und einevielfacettige Systemhinterfragung. Entsprechend richtete sichdie Perspektivsuche vor allem auf Alternativen zum und imherrschenden Entwicklungsparadigma bzw. auf „Alternativenzum Modell des Wirtschaftswachstums“ (Peggy Antrobus vomSüd-Frauennetzwerk Development Alternatives with Womenfor a New Era, DAWN). Diese Alternativen sollten gleicher-maßen Probleme globaler Ungleichheit wie die der Umwelt,d.h. die Verteilungs- wie auch die Überlebensfrage aufnehmenund beantworten.

Bereits in einem Workshop „Women and Children First“im Rio-Vorbereitungsprozess hatten die TeilnehmerInnen for-muliert: „Wir sind entschlossen, die asymmetrischen undDominanzverhältnisse der Wirtschaft zur Natur, von Män-nern zu Frauen und des Nordens zum Süden zu verändern.

Christa Wichterich

Sichere Lebensgrundlagen statteffizienterer Naturbeherrschung –Das Konzept nachhaltige Entwicklungaus feministischer Sicht

Die Rio-Konferenz wirkte auf feministische und geschlechter-politische Diskurse wie auch auf Frauenorganisationen und-netzwerke wie ein Magnet. Dafür gab es inhaltliche und poli-tisch-strategische Gründe. Der zentrale Anspruch der Konfe-renz, Umwelt- und Entwicklungspolitik zu verknüpfen, korre-spondierte mit feministischen Ansätzen, Ökologie, Sozialesund Ökonomie zusammenzudenken. Gleichzeitig forderte derAufbau eines Global Governance-Regimes nach dem Ende derbipolaren Weltordnung und die Suche nach globalen politi-schen Antworten auf globale Probleme Frauenorganisationengeradewegs zur Einmischung heraus. Die Konferenz warHoffnungsereignis und schien Türen der Ermöglichung zuöffnen, feministische Konzepte einzubringen.

Als deutlich wurde, dass von UN-Seite die Rio-Konferenzwieder einmal weitgehend geschlechterblind vorbereitet wur-de, setzte Women’s Environment and Development Organiza-tion (WEDO), ein neuer Typus von Frauenorganisation, derals Knotenpunkt und Schaltstelle transnationaler Vernetzunghöchst integrativ agierte, einen Sammlungsprozess in Gang.Die Vorbereitung auf Rio wurde zum Sammelbecken ver-schiedenster feministischer und frauenpolitischer Strömungen:liberale, gleichstellungsorientierte und ökofeministische, gleich-stellungskritische Konzepte flossen ebenso ein wie sozialisti-sche und differenzorientierte, gynozentrische Ansätze. Da-durch wurden Diskursstränge und Praktiken zusammengeführt,die in den achtziger Jahren weitgehend unverbunden neben-einander her gelaufen waren:a) Debatten zum Ökofeminismus, zu spirituellen und Frie-

densansätzen, feministischer Umweltpolitik,b) Wissenschaftskritik, vor allem feministische Kritik der Na-

turwissenschaften und Technikentwicklung,c) entwicklungskritische und feministische Ökonomie-Ansät-

ze, die Macht- und Interessenstrukturen entlang der Kate-

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75Sichere Lebensgrundlagen ...74 Christa Wichterich

Livelihood versus Entwicklung

Der Begriff „Nachhaltige Entwicklung“ kommt in dem Doku-ment, das Grundlage für die Advocacy- und Lobby-Arbeit vonFrauen bei der Rio-Konferenz wurde, nicht ein einziges Malvor. Die normativen Leitorientierungen in der „Women’s Ac-tion Agenda“ sind Gleichheit und Gerechtigkeit, währendNachhaltigkeit hier noch keineswegs die magische Formel dar-stellt, um welche die Agenda 21 ein halbes Jahr später gebautwurde.

Das Konzept von sustainable development wurde in denDebatten in Miami von Frauen aus dem Süden, vor allem vonDAWN, konterkariert durch ein Konzept von „sustainedlivelihood“. DAWN nannte nachhaltige Entwicklung im gän-gigen wirtschaftszentrierten Verständnis einen Widerspruch insich selbst, denn Entwicklung bedeute immer maximale Nut-zung und optimale Verwertung natürlicher Ressourcen undmüsse deshalb zwangsläufig das Erhaltungsprinzip torpedie-ren. Prinzipiell lehnte DAWN ein universell geltendes Entwick-lungsparadigma und eine Strategie nachholender Entwicklungfür die Länder des Südens ab.

Statt von Entwicklung als Makrostrategie auszugehen, setz-te DAWN livelihood, lokale Lebensbedingungen, Überlebens-sicherung und Alltagserfahrungen von Frauen als Ausgangs-punkt. Livelihood ist ein Gegenparadigma zu Entwicklung:dezentral und anti-universalistisch, basiszentriert und „bottom-up“-gerichtet. Entsprechend heißt es im Statement der Frauendes Süd-Caucus:

„We, the women of the South, affirm that equity and justice must bethe guiding principle between men and women, among communitiesand among nations, for a healthy people and a healthy planet. Webelieve that people have the right to sustainable livelihoods whichencompass every aspect of human well being: material, spiritual,cultural, ecological and political. We are convinced that sustainablelivelihoods for every individual can be the only basis on which hu-man progress can be built and a healthy relationship between peopleand the environment can be established.“

Armut wie auch die Umweltkrise sah DAWN durch diewachstums- und weltmarktfixierte Marktökonomie verursacht.Als forcierende Bedingungen für beide Krisenkomplexe kom-men Überkonsum im Norden und der Eliten des Südens so-

Unser Ziel ist nichts anderes als eine Revolution im Namenvon Frauen, Kindern und der Umwelt.“ (zit. bei Braidotti1994: 102) Entsprechend forderte ein Formulierungsentwurfbei der 3. Vorbereitungskonferenz im Rio-Prozess „ein Endeder entwicklungsmäßig nicht nachhaltigen Weltordnung undihren Ersatz durch ein neues Entwicklungsparadigma, das dieRechte der Menschen, besonders von Frauen und Kindern inRechnung stellt (zit. bei Braidotti ebd.).

Diese Akzentsetzungen bestimmten auch die als Manifestin Miami verabschiedete „Women’s Action Agenda 21“. Die-ses Positionspapier verbindet einerseits eine deutliche Struktur-kritik an der „Ideologie des freien Marktes“ und dem Konzeptökonomischen Wachstums, die „Umweltsicherheit“ vereiteln,mit realpolitischen Forderungen nach Zeitnutzungsstudien zuFrauenarbeit über Umwelt-Audits bis zu geschlechterdemokra-tischer zivilgesellschaftlicher Kontrolle aller Militärausgaben.Dieser Spagat zwischen visionärer Gesellschaftstransformationund kleinen politischen Schritten wurde durch einen ökofemi-nistischen Duktus („Sorge um die Gesundheit des lebendigenPlaneten“), durch eine stark normativ und ethisch begründeteArgumentation und die Verklammerung von Solidarität undDiversität möglich. Darin waren auch die drei kategorialenForderungen der Richterinnen am Ende des Tribunals in Mi-ami aufgenommen: globale Gerechtigkeit, Ressourcenethik undFrauenempowerment. In die strategische Forderung des Em-powerment brachte das Süd-Frauennetzwerk DAWN seinenFokus auf Selbstorganisierung von Frauen ein, liberale Gleich-stellungsfeministinnen wie WEDO dagegen die notwendigePartizipation von Frauen an politischer Entscheidungsmacht.Die gesamte politische Stoßkraft des Dokuments von Miamizeichnet sich durch die emanzipatorische Zielsetzung aus, denMensch-Natur-Bezug wie auch Ungleichheitsstrukturen zwi-schen Nord und Süd und innerhalb der Gesellschaften struk-turell verändern zu wollen. „Wir appellieren an alle Frauenund Männer, sich diesem Ruf nach einer grundlegenden undsofortigen Transformation menschlicher Wertorientierungenund des Handelns anzuschließen.“ (World Women’s Congress1992: 16)

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77Sichere Lebensgrundlagen ...76 Christa Wichterich

Ihre Kritik der Herrschaftslogik im Mensch-Natur-Bezug be-rührt das Grundverständnis von Wissenschaft, Technologieund Marktwirtschaft.

Gemeinsam war den beiden Ansätzen – DAWN undÖkofeminismus – die Forderung nach einem „anderenMensch-Natur/Umwelt-Verhältnis“ und damit auch nach an-deren Wirtschaftsweisen. Mit dem Livelihood-Ansatz werdensowohl das raubbauwirtschaftliche Markt- und Wachstums-konzept als auch die experimentellen Naturwissenschaftenkonterkariert und stattdessen auf indigenes, durch Erfahrunggeneriertes Wissen und auf lokal gelebte Ökonomiekonzepterekurriert, in denen Nutzung und Schutz natürlicher Ressour-cen verknüpft sind. Die starke Betonung der Diversität vonFrauen und ihrer Lebensbedingungen in der Women’s ActionAgenda korrespondiert mit der biologischen und kulturellenVielfalt der unterschiedlichen lokalen Livelihoods als integrier-te Überlebenssysteme.

Angepasste Nachhaltigkeit –abgestimmte Sprachregelung (agreed language)

Der dominante entwicklungsskeptische und wachstumskriti-sche Tenor der Debatten in Miami und der Women’s ActionAgenda steht im Gegensatz zur Agenda 21 von Rio. Sie atmetEntwicklungs- und Wachstumsoptimismus. Das Konzept nach-haltiger Entwicklung, das die tragende Säule des Brundtland-Berichts und die handlungsleitende Maxime der Agenda 21ist, stellt weder die markt-instrumentelle Umgangsweise mitNatur noch die Wachstumsgeilheit der kapitalistischen Markt-ökonomie in Frage. Im Gegenteil. Das Nachhaltigkeitskonzeptwird eingepasst in die ökonomischen Vorgaben von Wachs-tum, Produktivität und Effizienz und angepasst an ein techni-sches und politisches Instrumentarium zum Management derUmweltkrise und der natürlichen und menschlichen Ressour-cen. Als wichtigste Rahmenbedingung beschreibt die Agenda21, dass die Weltwirtschaft „eine nachhaltige Entwicklungdurch Liberalisierung des Handels fördern“ soll. So ist dasKonzept nachhaltiger Entwicklung keine Blaupause für eineandere Entwicklung, sondern ein system-immanentes amöben-haftes Reformkonzept und eine abhängige Variable der Defini-

wie Verschuldung und Strukturanpassung hinzu. Beide Krisen,die Armuts- wie die ökologische Krise, analysiert DAWN inihrer Verschränkung und mithilfe der drei sozialen KategorienKlasse, „race“ und Geschlecht.

Alternatives Wirtschaften, Umweltsicherheit und reproduk-tive Rechte – das waren die drei Eckpunkte, die in den Debat-ten von DAWN den Rahmen für die Perspektiventwicklungabgaben. Der Anspruch auf reproduktive Rechte thematisiertzum einen den Körper als die unmittelbarste (Um-)Welt undbedeutet eine Kritik an jedweder Bevölkerungskontrollpolitik,die Frauenrechte missachtet, Fortpflanzung nach demographi-schen Maßgaben steuern will und sich politisch damit legiti-miert, dass das Bevölkerungswachstum Hauptursache von Um-weltzerstörung und Armut sei (DAWN 1992). Zum anderenaber schließt das Thema „Reproduktion“ die weltweit überwie-gend von Frauen geleistete Sorge- und Reproduktionsarbeitein, die von der neoklassischen Ökonomie und in Brutto-sozialprodukten nicht als produktiv gewertet, sondern außer-halb der Ökonomie angesiedelt wird. Der explizite Einbezugvon Körper und Sorgearbeit in den Livelihood-Ansatz beruhtauch auf dem praktischen Erleben von Umweltschäden ver-mittelt über Körperlichkeit und Gesundheit, der für Frauen alsLebensproduzentinnen und klassische Gesundheitsarbeiterin-nen in den Familien Alltag ist.

Stand im Zentrum dieser entwicklungskritischen Positiondas Hinterfragen des industriekapitalistischen Weltmodells, sostand im Zentrum ökofeministischer Kritik von Entwicklungder androzentrische Umgang mit der Natur, der sich Natur –wie auch die Frauen – untertan macht. Ökofeministische Posi-tionen greifen stark auf die in den achtziger Jahren geleistetefeministische Wissenschaftskritik zurück. Bahnbrechend warCarolyn Merchants Analyse der Zerstörung des organischenWeltbilds durch die Bacon-Newtonsche experimentelle Natur-wissenschaft, die mit der Hierarchisierung der Geschlechterund mit der Hexenverfolgung einherging. Merchant weistnach, dass die Herrschaftslogik, die diese Naturwissenschaftenwie auch den verwertungsreduktionistischen Umgang mit derNatur leitet, in dem konstruierten Dualismus von Kultur –Natur, Mann – Frau gründet. Die globale Umweltkrise führenÖkofeministinnen letztlich auf diese Herrschaftslogik zurück.

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Doppelrolle als Opfer und Akteurinnen in Teile der Agenda21 einzubringen, sie vor allem aber als handlungs- undnachhaltigkeitsfähige Akteurinnen zu profilieren. Damit konn-te die Geschlechtervergessenheit internationaler Politik punk-tuell korrigiert und die Exklusion der Kategorie Geschlechtebenso punktuell überwunden werden. Frauen firmieren alserste Major Group in der Agenda 21.

Diese Integration von Frauen in den Major-Group-Ansatzder Agenda zeigt die volle Ambivalenz des Integrationsan-satzes: Frauen schrumpfen zu einer gesellschaftlichen Gruppeunter vielen und werden über die Kategorie Gender definiert,nicht aber über das von ihnen vertretene Paradigma des ande-ren Naturbezugs, des Livelihood-Ansatzes und des Vor-sorgeprinzips. Der dominante Tenor des Miami-Kongresses,nämlich die Strukturkritik an Entwicklung und der ressour-cenräuberischen Wachstumsökonomie einerseits und die Kon-zentration auf Gerechtigkeit und den Livelihood-Ansatz ande-rerseits konnten nicht in die Agenda 21 hinein „gelobbiet“werden. Das Konzept nachhaltiger Entwicklung blieb von derfeministischen Wirtschafts-, Wissenschafts- und Entwicklungs-kritik unberührt.

In diesem Dilemma stand auch die Mainstreaming-Strate-gie der Lobbyistinnen, die in jedes politische Ressort undjedes Kapitel der Agenda 21 eine Geschlechterperspektive ein-bringen wollten: „Wir müssen die Frauen in die Ozeane be-kommen“ (Bella Abzug), sprich: auch im Kapitel über dieOzeane müssen Frauen erwähnt werden. Im Eifer des Lobby-gefechts bekamen Integration bzw. Partizipation eindeutigVorrang vor der Zielstellung der Transformation, die realpoli-tische Strategie der kleinen Schritte rangierte vor der visionä-ren Umstellung von Weichen.

Das „Frauenkapitel“ der Agenda (Kap. 24) enthält die dop-pelte Botschaft: Empowerment von Frauen und mehr Ge-schlechtergleichheit ist eine Voraussetzung für die Frauenbetei-ligung an der Umsetzung nachhaltiger Entwicklung und fürdie Nachhaltigkeit von Entwicklung. Andererseits: Ohne Be-teiligung von Frauen ist nachhaltige Entwicklung nicht zumachen. Die Tatsache, dass die internationale Politik die „vi-tale Rolle“ von Frauen für die Umsetzung nachhaltigerEntwicklung anerkennt und ihnen öffentliche Aufgaben im

tion von Entwicklung. Prinzipiell baut die Agenda 21 auf dieHoffnung, dass globale wie lokale ökologische Krisen durchdie Generierung von Expertenwissen, durch ein besseres Res-sourcen- und Stoffströmemanagement sowie effizientere Um-weltschutz- und Kontrollmaßnahmen technisch und politischzu bewältigen seien.

Die Rio-Konferenz und die Aushandlung der Agenda 21stellten die Weichen für den dominanten Politikstil derneunziger Jahre: Statt konfrontativer Politikformen wurdendiskursive, „konstruktive“ Aushandlungsstrategien eingeschla-gen. Zivilgesellschaftliche Organisationen glaubten mit koope-rativen Politikformen mehr erreichen zu können als mit denkonfrontativen Formen der sozialen Bewegungen der siebzigerund achtziger Jahre. Konsensformeln wie die der nachhaltigenEntwicklung oder des Gender Mainstreaming bei der 4. Welt-frauenkonferenz 1995 in Peking spielten dabei ein wichtigeRolle der Integration gesellschaftskritischer Kräfte in denVerhandlungsmodus von Global Governance. Sie erfüllen dieFunktion einer allgemeinen Leitorientierung und erscheinenauf den ersten Blick offen für Partizipation wie auch für struk-turelle Transformation. Konsensfähig sind sie gerade wegenihrer Offenheit. Die Schließung der Konzepte erfolgt dann jenach ihrer Anbindung an ökonomische und politische Set-zungen und Zielorientierungen.

Die Rio-Konferenz läutete das Jahrzehnt der Kompromisseund der agreed language-Kultur ein: Enorme politische Energi-en wurden in die Ausformulierung von UN-Dokumenten undinternationaler Abkommen investiert, um eine konsensualeSprache zu finden. Dabei werden kritische Begriffe aus sozia-len Bewegungen in die agreed language übernommen und inden Koordinaten des bestehenden Entwicklungsparadigmasweichgespült oder neoliberal überformt. Exemplarisch geschahdies mit dem machtpolitischen Begriff des Empowerment.

Frauenorganisationen beteiligten sich mit hohem Engage-ment an dieser Verhandlungskultur, um ihren Ausschluss alspolitische Subjekte aus den internationalen Politikarenenaufzubrechen und die Positionen des Miami-Kongresses ein-zubringen. Vor allem die gleichstellungsorientierten undentwicklungspolitisch anschlussfähigen NGOs feierten ihreLobbystrategie in Rio als Erfolg. Es gelang, Frauen in ihrer

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selbst bei Gleichstellungsfeministinnen wie Bella Abzug kamimmer mal wieder ein entwicklungskritisches Einsprengsel zumVorschein: „Women don’t want to be mainstreamed into apolluted stream“. Insgesamt aber gewann, forciert durch die 4.Weltfrauenkonferenz in Peking, zunehmend eine integrativeMainstreaming-Strategie die frauenpolitische Oberhand.

Technokratisierung des Zusammenhangs vonGeschlechterfragen und Nachhaltigkeit

Der Deal ist nicht aufgegangen. Zwar wurden beide, Genderund ökologische Nachhaltigkeit, zu Querschnittsthemen er-klärt. Doch die im Rio-Prozess zusammengewachsenen Dis-kurse von Gender und Nachhaltigkeit ließen sich nicht leichtin politische Praktiken umsetzen. Zum Beispiel umwelt-relevante Ressorts in der Entwicklungspolitik. Dort wurde dieIntegration einer Geschlechterperspektive bisher nur ansatz-weise vollzogen. Am stärksten konnten geschlechterdifferen-zierende Ansätze in die Sektoren Landwirtschaft, Wasser undWald eingebaut werden. Eine Evaluierung der Weltbankpolitikstellte 1997 fest, dass sich Gender-Ansätze oder „Komponen-ten“ in 35 Prozent der Landwirtschaftsprojekte, in 15 Prozentder Wasserversorgungsprojekte, aber nur in vier Prozent allerProjekte im Transportsektor fanden. Sie musste eingestehen:„Bis jetzt richtet sich die Politik im Transportbereich primäran Männerinteressen aus.“ Das bedeutet, kaum ein Projektkümmerte sich um geschlechtsspezifische Unterschiede imMobilitätsverhalten und den Transportbedürfnissen.

Insgesamt zeichnet sich ab, dass die Strategie des GenderMainstreaming ein geringes Transformationspotential hat.Zwar wurden in den vergangenen Jahren eine Reihe von In-strumenten entwickelt, die es möglich machen, eine Geschlech-terdifferenzierung vor allem in der Bedarfsanalyse, Umsetzungs-planung und Wirkungsanalyse zu institutionalisieren. Aber imKontext des derzeit verbreiteten Instrumenten- und Metho-denbooms in vielen politischen Ressorts führt dies eher zueiner kontextunabhängigen Technokratisierung der Verknüp-fung von Geschlechter- und Umweltpolitik. Sie lenkt die Auf-merksamkeit auf Mechanismen und Methodik und zieht sievom inhaltlichen parteiischen Engagement ab. Geschlechter-

Sozial- wie auch im Umweltbereich überantwortet, zeigt, dassPartizipation zwischen den Polen demokratischer Gesellschafts-gestaltung und Kooptation rangiert und der Grat zwischenEinvernehmen qua agreed language und der Vereinnahmungsehr schmal ist. Der hier mitschwingenden Instrumentalisie-rung von Frauen für die nachhaltige Nutzung natürlicherRessourcen und den Umweltschutz war Vorschub geleistetworden durch die ökofeministische Unterstellung einer beson-deren Naturnähe, -kenntnis und -verpflichtung von Frauenund dem impliziten Angebot: Frauen kennen die Antwortenauf die Krise (Braidotti 1994: 96ff).

Der fade Beigeschmack, dass es sich bei der Würdigung der„nützlichen Integration von Frauen“ um die Mobilisierungbilliger Arbeitskräfte für die Nachhaltigkeit handeln könnte,wurde durch die Hoffnung auf eine win-win-Situation kom-pensiert: Von Frauen als Nachhaltigkeitsakteurinnen solltensowohl Umweltschutz und Armutsbekämpfung als auch dieGeschlechtergleichheit profitieren. Die Kohärenz und Integra-tion der Zielstellungen soll beiden dienen, der Nachhaltigkeitund der Geschlechtergerechtigkeit.

Dies betonte 1993 erneut die Vertreterin des Women’sCaucus: Ihre Argumentation bot den Regierungen einen Ko-operationsvertrag bzw. ein Tauschgeschäft mit dem Kollektiv-subjekt Frauen an: „Sie brauchen das Wissen und die Fähigkei-ten, über die Landfrauen in Afrika, Asien und Lateinamerikaverfügen. ... Wir brauchen Sie, um unsere Kenntnisse undFähigkeiten in die Planung und Praxis neuer Programme undMethoden umzusetzen, die uns empowern ...“ (WEDO1993: 7)

Zunächst wurde der Anspruch der Transformation der„Weltordnung“ noch als zielorientierte Denk- und Marsch-richtung beibehalten. DAWN versuchte den Integrationsan-satz mit dem Transformationsansatz in dem Slogan „Transfor-mation durch Partizipation“ zu verklammern und damit dasstrategische Ziel struktureller Veränderung aufrechtzuerhalten.Der Women’s Caucus bei der in Rio gegründeten Commissionon Sustainable Development (CSD) mahnte 1993 an: „VieleFrauen stellen die Grundlagen eines Systems in Frage, dasfortwährendes Wirtschaftswachstum voraussetzt und gleichzei-tig systematisch Lebensformen tötet.“ (WEDO a.a.O.). Und

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oder politischer die Handlungsebene ist, desto männerdomi-nierter ist sie. Trinkwasserversorgung in den Dörfern istFrauensache, Bewässerungssysteme für die Landwirtschaft undDämme gelten dagegen primär als Männerangelegenheit. Ener-gieversorgung für den Haushalt und Energiesparen (Mikro-Ansatz: energiesparende Herde) sind zwar Frauensache, allge-mein sind der Energiesektor und die Energiepolitik jedoch festin Männerhänden. Frauen sind überrepräsentiert auf der mikro-strategischen Ebene der Putz- und Schutzarbeit in der geschä-digten Umwelt, und unterrepräsentiert auf der makrostrategi-schen Ebene politischer und wissenschaftlicher Planung. DieGlasdecke markiert auch eine Rezeptionsblockade von Natur-und Umweltwissenschaften sowie der staatlichen Politik ge-genüber der Expertise von Frauen, sei es dass sie sich in Alltags-erfahrungen oder wissenschaftlich gebildet hat. FeministischeForschung, Wissenschafts- und Politikansätze werden vomMainstream nicht zur Kenntnis genommen.

Neoliberale Globalisierung undNachhaltigkeitsstrategien

Diese beharrliche Ignoranz wurde kürzlich durch eine Analysevon drei politikwirksamen wissenschaftlichen Gutachten zuUmwelt und Nachhaltigkeit in Deutschland bestätigt (Jungkeitet al. 2001). Ungebrochen liegen den drei Experten-Studienherrschende androzentrische Denkmodelle im Wissenschafts-und Naturverständnis zugrunde. Feministische Forschung undPraktiken werden nicht einbezogen. Außerdem weisen diezwischen 1994 und 1999 entstandenen Studien folgendeDiskursverschiebungen auf: Während 1994 noch eine teilweiseReflexion der gesellschaftlichen Naturverhältnisse stattfand,greift später eine zunehmende Verabsolutierung der Nutzen-Perspektive und der Effizienzlogik Raum. Dem entspricht eineSchwächung des Nachhaltigkeitsbegriffs und eine Ablösungder Ökologie durch die Ökonomie als Leitwissenschaft fürNachhaltigkeit. Aber auch innerhalb der Ökologie findet einewichtige Verschiebung statt. Sie ist zwar eine vielfältige, hete-rogene Wissenschaft, doch zunehmend dominieren ökosyste-mische Konzepte. Der von den feministischen Kritikerinnenbeklagte Mangel an sozialer und Geschlechterdifferenzierung

gerechtigkeit – im Sinne einer gerechten Verteilung von Zu-gängen zu und Eigentum an Ressourcen, von Lasten undPflichten im Umweltschutz und der Überlebenssicherung, vonGestaltungsmöglichkeiten in der Umwelt- und Entwicklungs-politik – steht dagegen noch aus.

Die Partizipation von Frauen soll „zu beträchtlichenEffizienzsteigerungen“ (so die Gesellschaft für technische Zu-sammenarbeit, GTZ) und zu einer Qualitätsoptimierung derMaßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit führen. DasFass vorgeordneter Entwicklungsstrukturen und -wege wirddurch Gender mainstreaming und die entsprechenden „tools“für den institutionellen Handwerkskasten aber nicht aufge-macht, d.h. vorausgesetzte Strukturen nicht-nachhaltiger Ent-wicklung werden nicht berührt. Die Fixierung auf Instrumentebeim Gender Mainstreaming korrespondiert mit den techno-logiegläubigen Ansätzen nachhaltiger Entwicklung, die auf dietechnische Lösbarkeit sozialer Probleme setzten.

Ähnlich wirkt der Sektoransatz in der Umwelt- und Ent-wicklungspolitik. Er zerreißt Nachhaltigkeitszusammenhängeund trennt künstlich die ökologischen, ökonomischen undsozialen Verbindungen, die in den realen Praktiken, aber auchin Problemlagen bestehen. „Das Leben armer Frauen ist nichtzerstückelt, und sie arbeiten nicht nur zeitweise.“ (DAWN1992: 21) Vorgelagerte entwicklungsstrategische Fragen werdenals Rahmenbedingungen akzeptiert und bleiben auf derProjektebene ausgeklammert (Braidotti 1994: 174f; Braunmühl1998). So stellt das Gender-Papier der GTZ zur Bewässerungs-landwirtschaft nicht mehr die vorgeordnete Frage, welcheBewässerungssysteme entwickelt werden bzw. inwieweit diese,z.B. Staudammbauten, der Leitorientierung der Nachhaltigkeitentsprechen oder die lokalen Lebensgrundlagen (livelihood)von Frauen zerstören. Wie das Konzept nachhaltiger Entwick-lung zielt auch das Konzept des Gender Mainstreaming pri-mär auf eine Effizienzsteigerung, Nutzungsoptimierung, tech-nologische Nachbesserung und Schadensbeseitigung durchökologische und soziale Maßnahmen.

Nach wie vor besteht eine „Glasdecke“ für Frauen in deneinzelnen umweltrelevanten Sektoren: sie sind die Sisyphos-arbeiterinnen der alltäglichen sozialen und ökologischen Ver-sorgung an der Basis, doch je technischer, wissenschaftlicher

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zureichend in die Überlegungen zu Zukunftsfähigkeit einge-hen, aber auch dass das Herstellen tragfähiger sozialer Bezie-hungen, Bindungen und Sicherheiten, sprich: praktiziertegesellschaftliche Zusammenhänge jenseits der Markt- undErwerbsökonomie, in ihrer Bedeutung für Nachhaltigkeit un-terbewertet werden (Spitzner 2001). So wie der Naturbezug aufdie instrumentelle Logik reduziert wird, wird Arbeit aufmarktförmige Erwerbsarbeit enggeführt.

Aus einer Geschlechterperspektive ist dagegen die bedeu-tendste Schnittstelle zwischen Sozialem, Wirtschaft und Öko-logie die unbezahlte Sorgearbeit, die in allen Gesellschaftenüberwiegend von Frauen in Haushalten oder auch als Ehren-amt in lokalen Gemeinschaften geleistet wird. Leitend fürNachhaltigkeit ist aus dieser Sicht das Vorsorgeprinzip, so-wohl in den Haushalten und lokalen Gemeinschaften als auchauf der Ebene der Global Governance durch verbindlicheKonventionsregeln. So setzten sich Frauenaktivistinnen beider Aushandlung des Protokolls zur biologischen Sicherheitvehement dafür ein, dass das Vorsorgeprinzip zum Schutz vorgenmanipulierten Organismen Vorrang vor dem Prinzip desFreihandels bekommt und zum ersten Mal auf der internatio-nalen Ebene rechtsverbindlich verankert wurde. Damit setztdas Vorsorgeprinzip der neoliberalen Globalisierung konzep-tionell auf der Makro-Ebene Grenzen.

Auch für Nachhaltigkeitsansätze aus Frauensicht im Nor-den ist typisch, dass die Alltagserfahrungen und -expertise unddie gelebten Praktiken der (Über-)Lebenssicherung undGesundheitssorge – sprich: livelihood – im wörtlichen SinneDreh- und Angelpunkt sind (vgl. MURL (o.J.), Schultz 1996,Forum Umwelt & Entwicklung 2001). Bei der Definition vonNachhaltigkeitsindikatoren waren es Feministinnen, welche diegeschlechtsspezifische Arbeits- und Verantwortungsteilung unddie unbezahlte Sorgearbeit in den Indikatorenkatalog einbrach-ten (Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen/WuppertalInstitut 1998, Forum Umwelt & Entwicklung 1997). Ihnen istdabei durchaus das Risiko bewusst, dass das Vorsorgeprinzipbei der derzeitigen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung aufder Mikro-Ebene des Alltagshandelns einer Feminisierung derVerantwortung Vorschub leisten könnte. Deshalb wird dasPlädoyer für das Vorsorgeprinzip mit der Forderung nach

in den drei Studien bei gleichzeitiger Tendenz zur Expertokra-tie durch Ökosystemtheoretiker liegt parallel zu der oben dar-gestellten Kontext unabhängigen Technokratisierung des Zu-sammenhangs von Gender und ökologischer Nachhaltigkeit.

Die Ökosystemtheorie ist Hoffnungsträger für Nachhaltig-keitsstrategien, weil sie anders als die „harten“ naturwissen-schaftlichen Einzeldisziplinen wie Chemie und Physik „wei-chen“ ganzheitlichen Vorstellungen folgt. Doch wie dieNaturwissenschaften will sie die Gesetzmäßigkeiten der ganz-heitlich betrachteten Systeme und die Grenzen ihres Funktio-nierens und ihrer Nutzbarkeit erforschen. Mit der Festlegungvon Grenzwerten für den Eingriff in die Natur will sie dieGleichgewichtskontrolle der Ökosysteme übernehmen. Aus fe-ministischer Sicht wird kritisiert, dass auch die Ökosystem-theorie nicht mit der Beherrschungslogik bricht und deshalbüberaus kompatibel ist mit den marktwirtschaftlichen Verwer-tungsstrukturen (vgl. z.B. AG Frauen des Forums Umwelt undEntwicklung 2001). Sie wird in erster Linie zur Wissenschaftdes Umweltmanagements.

Das Scharnier der Abstimmung zwischen Ökosystemtheorieund Ökonomie ist der Effizienzgedanke: Mit Hilfe von Tech-nologie und Expertenwissen sollen der Stoffverbrauch desWirtschaftssystems und die Umweltbelastung reduziert wer-den (Sachs 1994). Die „Effizienzrevolution“ fokussiert auf diestoffliche Seite der gesellschaftlichen Naturverhältnisse undlässt den sozialen Prozess aus dem Blick und aus der Verant-wortung für Nachhaltigkeit. Umwelt und Natur werden alskrisenhaftes System betrachtet, das durch Grenzwertfestle-gungen vor dem Kollaps bewahrt werden muss. Dagegen wer-den gesellschaftliche Verhältnisse und gesellschaftliche Hand-lungsstrukturen nicht als Krisenursachen ausgemacht, derenVeränderung anzustreben wäre.

Auf diese Weise konnte der Anspruch des Nachhaltigkeits-paradigmas, sich in einem ausbalancierten Dreieck zwischenÖkologie, Ökonomie und Sozialem zu entfalten, nicht einge-löst werden. In Deutschland – und dies scheint exemplarischfür den Norden – werden Nachhaltigkeitskonzepte durchUmweltthemen dominiert, während die soziale Dimensionweitgehend unter den Tisch fällt. Das bedeutet sowohl, dassVerteilungsfragen und soziale Ungleichheitsstrukturen nur un-

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system, während zeitgleich die Biosphäre zunehmend als kon-trollierbares Ökosystem behandelt wird. Das hat auch zurFolge, dass die Umwelt nach Kriterien der Effizienz- und Ge-winnmaximierung weiter ökonomisiert wird. Das Credo derEffizienz leitet das Standortdenken: Welche natürliche undmenschliche Ressource ist hier und jetzt am konkurrenzfähig-sten und am besten verwertbar? Wie lassen sich soziale undökologische Kosten reduzieren bzw. externalisieren? Wie las-sen sich Strukturen und Ressourcen flexibilisieren, d.h. an dieErfordernisse des Weltmarkts anpassen? Diese reale Entwick-lung schlägt sich in den Nachhaltigkeitsstrategien dahinge-hend nieder, dass zunehmend die Ökonomie, und nicht mehrdie Ökologie Leitwissenschaft für Nachhaltigkeit ist (vgl. oben).

Die Kommerzialisierung aller Ressourcen von natürlichenGemeinschaftsgütern über kollektives Erfahrungswissen bis zupflanzlichen, tierischen und menschlichen Genen ist beimKern des Lebens angekommen: embryonale Stammzellen undGene als Waren. Im Klon findet die Herrschaftslogik imMensch-Natur-Bezug ihren industrialisierten Höhepunkt, dertechnische Machbarkeitswahn gipfelt im Schöpfungsmythos –scheinbar erhaben über alle Grenzwerte und ethischen Werte.Das Klon kann als gestaltungsmächtiges Symbol dafür gelten,dass die neoliberale Globalisierung den Ausgangspunkt desNachhaltigkeitsdenkens, nämlich die ‘Grenzen des Wachstums’zu erkennen und zu akzeptieren, der Markt- und Effizienz-logik opfert. Natur und Mensch sind unter neoliberalem Re-gime endgültig im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeitangekommen. Für Frauen als Produzentinnen von Leben undfür das kulturelle Naturverständnis ist dies von derzeit nochunermesslicher Bedeutung.

Von der Entwicklungs- zur Globalisierungskritik

Bereits 1995 konstatierte DAWN: „Die DAWN-Reise auf demWeg alternativer Entwicklung hat uns nicht zu einer neuenBlaupause, zu einem anderen Modell geführt ... Die Prozessewirtschaftlicher Transformation durch Globalisierung ... sindzu komplex und unterschiedlich, als dass unsere Antworteneinfach auf eine klare Blaupause von Alternativen zurechtge-stutzt werden könnten ... Stattdessen haben wir ein Set von

Geschlechtergerechtigkeit verknüpft, im Sinne eines Lasten-und Pflichtenausgleichs und einer gerechteren Teilung vonArbeit und Verantwortung zwischen den Geschlechtern.

Ohnehin besteht der Trend, dass im Zuge der neoliberalenUmstrukturierungen sowohl der Markt als auch die Staatensoziale und ökologische Kosten weiter zu externalisieren su-chen. Soziale Verantwortung – von der Kindererziehung biszur Aids- und Altenpflege – wie auch Umweltverantwortung –vom Mülltrennen in den Industrienationen bis zum Bäum-chenpflanzen in den Ländern des Südens – wird an die priva-ten Haushalte oder die lokalen Gemeinschaften verschoben.Da sie dort überwiegend unbezahlt in der Haushalts- undFamilienökonomie oder ehrenamtlich von Frauen übernom-men werden, bedeutet die Kostenexternalisierung eine Femini-sierung der Lasten und der Verantwortung. Die unbezahlteDaseinsvorsorge, soziale Fürsorge und Umweltsorge von Frau-en produzieren in hohem Maße Nachhaltigkeit und gesell-schaftliche Zukunftsfähigkeit. Sie sichern und regenerierenlivelihoods. Als gesellschaftlicher Produktivfaktor werden siejedoch nicht gewertet.

Während die Nachhaltigkeitsverantwortung von Frauenzunimmt, schrumpft ihr Zugang zu und ihre Kontrolle übernatürliche Ressourcen. Die Privatisierung von Gemeinschafts-gütern wie Wald, Weideland und Gewässer schreitet weitervoran und zieht Frauen die Lebensgrundlagen und Produkti-onsmittel förmlich unter den Füßen oder aus den Händenweg. Exemplarisch zeigt sich dies an der Kontrolle über dieNahrungsmittel. BSE ist zum Symbol dafür geworden, wie dieprofitgesteuerte Industrialisierung die Agrarproduktion außerKontrolle gerät und wortwörtlich in den Wahnsinn befördert.In den Ländern des Südens war das Saatgut für die Grundnah-rungsmittel gerade in seiner Vielfalt ein wichtiges Kapital derFrauen innerhalb der lokalen Ökonomien, weil gerade dieBiodiversität Überleben sicherte. Durch die Verbreitung kom-merzieller Hybridsorten und die Patentierung von Saatgut ver-lieren sie diesen Machtfaktor.

Die Beschleunigung der Wirtschaftsliberalisierung im ver-gangenen Jahrzehnt hat im Zuge der Standortkonkurrenz dieKommerzialisierung aller Ressourcen vorangetrieben. DerMarktfundamentalismus expandiert die Warenlogik zum Welt-

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Anmerkungen

1 Chambers (1988) verknüpft in seiner Hungeranalyse mit demBegriff Livelihood vor allem Ernährungssicherung und Erhaltder natürlichen Umwelt, für Grown & Sebstad (1989) istLivelihood die Summe aller materiellen, sozialen und kulturellenRessourcen der Existenzsicherung.

2 Caucus ist das indianische Wort für Versammlung. Im UN-Kontext meint es themenspezifische oder regionale Gruppen,die sich treffen, um ihre Interessen und Positionen zu koordinie-ren und in die Verhandlungen einzubringen.

3 Auf die (feministische) Kritik am Ökofeminismus kann hier nurkurz verwiesen werden. Diese Kritik bezog sich 1) auf dieökofeministische Romantisierung vormoderner, vorindustrieller,vorkolonialer etc. Gesellschafts- und Naturverhältnisse; 2) aufdie Projektion dieser idealisierten Verhältnisse zum Zukunfts-modell von Subsistenz- und moralischer Ökonomie; 3) auf denEssentialismus und die Idealisierung in der Behauptung einerbesonderen Naturnähe von Frauen und die weitgehende Aus-blendung von Klassen- und Kastenstrukturen.

4 Umweltgutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen(1994), Abschlussbericht „Konzept Nachhaltigkeit. Vom Leit-bild zur Umsetzung“ der Enquête-Kommission „Schutz desMenschen und der Umwelt“ (1998), Jahresgutachten „Welt imWandel. Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Biosphäre“ desWissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung „Globale Um-weltveränderungen“ (WBGU 1999)

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Entwicklungskritik ist gegen Ende der neunziger Jahre ineine bewegungsbasierte Kritik an der neoliberalen Globalisie-rung hineingewachsen. Seattle/Dezember 1999 war das Ereig-nis, welche das Jahrzehnt der politischen Kompromisskulturbeendete. Wie der Rio-Prozess am Anfang des Jahrzehnts warder Seattle-Prozess am Ende der neunziger ein Sammelbeckenfür unterschiedliche zivilgesellschaftliche Kräfte und Diskurseund markierte erneut einen Paradigmenwechsel im Politikstil.Gegenüber den Verhandlungen innerhalb von Institutionengewann der öffentliche Raum erneut eine größere Bedeutungfür politische Artikulationen und Auseinandersetzungen.Frauenorganisationen bündelten dort mit bäuerlichen Bewe-gungen aus dem Süden, US-amerikanischen Gewerkschaften,neuen globalen Netzwerken wie People’s Global Action, Um-welt-, Menschenrechts- und kirchlichen Organisationen ihrenWiderstand gegen die Penetrationsgewalt des undemokrati-schen neoliberalen Regimes. Bei den globalisierungskritischenBewegungen finden sich Feministinnen erneut auf keinemleichten politischem Gelände wieder, denn diese Bewegungenweisen bedauerliche Blindheiten, sowohl auf dem geschlechter-politischen als –zumindest im Norden – auch auf dem ökolo-gischen Auge auf.

Seit Seattle aber wird auf allen Ebenen der Verhandlungund der Auseinandersetzung versucht, der globalen Beschleu-nigung des neoliberalen Dogmas Riegel vorzuschieben undGrenzen zu setzen, um überhaupt Räume für alternativeNachhaltigkeitsansätze und die Wahrung von Livelihoods zuerhalten.

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93Die Geopolitik der Biodiversität92 Enrique Leff

Rationalität über andere Verhältnisse losgetreten wurde undbis heute dynamisiert wird. Die immer stärkere Ökonomisie-rung führt zu einer Homogenisierung von Produktion undKonsum, was wiederum desaströse Auswirkungen auf die öko-logische und kulturelle Vielfalt der Erde hat.

Von Anbeginn der westlichen Zivilisation bereitet die Tren-nung zwischen dem Sein und dem Seienden, welche das meta-physische Denken bewegt, den Weg für die Objektivierung derWelt. Die Ökonomie bestätigt den Sinn der Welt in der Pro-duktion, die Natur wird verdinglicht, ihrer ökologischen Kom-plexität enthoben und in den Rohstoff eines wirtschaftlichenProzesses verwandelt; die natürlichen Ressourcen werden zuObjekten, die lediglich der Ausbeutung durch das Kapital zudienen haben. In der Ära der ökologischen Ökonomie ist dieNatur nicht länger ein Objekt des Arbeitsprozesses, sondernsie transformiert sich in eine Form des Kapitals – das natürli-che Kapital – und generalisiert und erweitert dabei die Formender ökonomischen Bewertung der Natur (O’Connor 1993). Indiesem Sinne ist es zu verstehen, dass – zusammen mit denalthergebrachten Formen intensiver Ausbeutung, welche die„Plünderung der Dritten Welt“ charakterisierten (Jalée 1968) –heutzutage eine „konservierende“ Ausbeutung der Natur mög-lich ist. Biodiversität erscheint dabei nicht nur als eine Vielfaltvon Lebensformen, sondern bewertet – in Form von Schutzge-bieten oder in sonstigen natürlichen Lebensräumen – hinsicht-lich ihres genetischen Reichtums, ihrer ökotouristischen Mög-lichkeiten und ihrer Funktion, Kohlenstoff zu binden.

Aber: Aufgrund welcher Kriterien ließe sich der Wert derBiodiversität auf den dieser Umwelt-Dienstleistungen beschrän-ken? Und mehr noch: Auf welchen Prinzipien basieren dieneuen Formen der Aneignung der biologischen Reichtümerdes Planeten?

Die jüngsten Biodiversitäts-Politiken stellen nicht nur eineAntwort auf die Sorge um den Verlust der Vielfalt und seineFunktion für das ökologische Gleichgewicht des Planeten dar.Biodiversität hat sich zu einem enormen Reservoir genetischerRessourcen für die großen Pharma- und Nahrungsmittel-konzerne entwickelt, deren eigener Wert jenen der Erdöl-Kon-zerne übersteigt. Für jene, in deren Region die genetischenRessourcen zu finden sind, verändern sich mit dem verstärk-

Enrique Leff

Die Geopolitik nachhaltiger Entwicklung –Ökonomisierung des Klimas, Rationalisie-rung der Umwelt und die gesellschaftlicheWiederaneignung der Natur

Ökonomische Globalisierung undKapitalisierung der Natur

Der Planet, den wir bewohnen, ist eigentlich schon immerglobal gewesen: Ein Erdball. Doch die Erde befreite sich erstim 16. Jahrhundert von ihrer Flachheit und begann ihrenGlobalisierungsflug mit den Erdumsegelungen und demTauschhandel zwischen den verschiedenen Zivilisationen undKulturen. Im Laufe der Zeit wurde der allgemeine Tauschhan-del zu einem Gesetz, welches – immer universeller – in alleBereiche des Seins und der Lebenswelten der Menschen ein-drang. Die Erfindung der Wirtschaftswissenschaften und dieInstitutionalisierung der Ökonomie als Regeln des allgemeinenZusammenlebens waren der Beginn eines fünf Jahrhundertedauernden Prozesses der Ökonomisierung der Welt. In denphysischen und biotischen Wurzeln der Welt befindet sichjedoch keinerlei ökonomische Essenz, von dem Impuls desmenschliche Grundbedürfnisse befriedigenden Produzierensmit der Natur einmal abgesehen. Dieser Expansionsprozess derökonomischen Rationalität hat eine Sättigung und eine Gren-ze, einen Höhepunkt erreicht; die Grenze seines extremen Wil-lens, die Welt zu globalisieren, indem er alle Dinge verschlingtund sie in die Kodes ökonomischer Rationalität übersetzt. Dasbedeutet gleichzeitig die Unmöglichkeit, den Natur-, Lebens-und Kulturgesetzen gemäß zu denken und zu handeln. Dieserökonomische Prozess schwitzt nicht nur Äußerlichkeiten aus,die sein eigener Metabolismus nicht absorbieren kann, sonderner durchbohrt die Welt mithilfe seines fundamentalistischen undtotalitären Glaubensbekenntnisses und zerstört das Sein der Din-ge – der Natur, der Kultur, des Menschen – indem er sie in seineunitaristische und globale Form zurückzuverwandeln versucht.

In diesem Sinne ist die kritisch zu entziffernde Globalisie-rung ein Prozess, der von der Dominanz der ökonomischen

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seine Unfähigkeit, ökologische Gleichgewichte effektiv zu re-gulieren und die Umweltkosten über ein System von Rechts-vorschriften, Steuern oder marktgesteuerter Verschmutzungs-rechte zu internalisieren. Sie schlagen eine Beschränkung derÖkonomie auf Wachstumsgrenzen vor, welche die Reproduk-tion der ökologischen Bedingungen einer nachhaltigen Pro-duktion und die Regenerierung des natürlichen Kapitals si-chern. Und dies muss in einer außerhalb des Marktes geführ-ten wissenschaftlich-politischen Debatte über ein Sicherungs-prinzip geschehen, welches auf Risikofaktoren, Unsicherheitenund festgelegten Beschränkungen basiert.1

Dennoch fehlt der Ökonomie, verstanden als wissenschaft-liche Rationalität und als gesellschaftlicher Prozess, die Flexi-bilität, um sich den Bedingungen ökologischer Rationalitätanzupassen. Es gibt zwar eine wachsende Kritik an der weltwei-ten Nicht-Nachhaltigkeit und den ökologischen Risiken. Abersie konnte sich nicht vom dominanten Marktdenken lösen.Während die ökologische Ökonomie im ökonomischen Para-digma gefangen bleibt, hat die kritische Theorie die Türen hinzu einer politischen Ökologie geöffnet, in der sich die wissen-schaftliche Diskussion wieder dem Politischen zuwendet. Hierschreibt sich die Frage der Nachhaltigkeit ein in soziale Kämp-fe gegen die dominante Form der Globalisierung und für eineWiederaneignung der Natur. Hier verschieben sich Diskursund Handeln weg von der Dekonstruktion ökonomischerLogik hin zu einer ökologischen Rationalität (Leff 1998,2001a).

Die neue Geopolitik der Nachhaltigkeit bildet sich herausvor dem Hintergrund der ökonomischen Globalisierung: Letz-tere führt einerseits zur Denaturalisierung der Natur und treibtandererseits mit dem Diskurs der nachhaltigen Entwicklungeine Aneignungsstrategie voran, welche die Marktförmigkeitder Natur zu „naturalisieren“ versucht – so als gäbe es dazukeine Alternative.

Obwohl ein Umweltbewusstsein Ende der 60er Jahre ent-steht und in den 70er Jahren – nach der UN-Konferenz überMensch und Umwelt (Stockholm 1972) – Gegenstand derPolitik wird, hat sich die Geopolitik in den vergangenen zehnJahren und in der Folge des Umweltgipfels in Rio 1992 inRichtung des Diskurses und der Politik der „nachhaltigen

ten Zugriff auf diese Ressourcen die dortigen sozialen Verhält-nisse und kulturellen Bedeutungen. Andererseits ist die biolo-gische Vielfalt Ausdruck eines produktiven Potenzials der Öko-systeme, die überhaupt erst weltweite nachhaltige Nutzungs-strategien ermöglichen.

Angesichts der scheinbaren Neuheit der Globalisierung undihres im Entstehen begriffenen Charakters ist es notwendig,ihre Ursprünge in der Gestaltung des modernen wissenschaft-lichen Denkens, der ökonomischen Vernunft und dem Auf-stieg des Handelskapitalismus bis zu seiner aktuellen global-ökologischen Phase zu sehen. In diesem Sinne erscheint diederzeitige wirtschaftliche Globalisierung als eine Weiterent-wicklung (als ein „höherer Zustand“) des Prozesses der Kapital-akkumulation und der Internationalisierung des Kapitals. Die-ser Akkumulationsprozess kann sich dem dialektischen Prin-zip des Wechsels von Quantität zu Qualität nicht entziehen;nicht deshalb, weil einige heutzutage das „qualitative Wachs-tum“ als eine neue Ära bezeichnen, die alles Übel und alleWidersprüche des Kapitals ausgetrieben habe. Sondern des-halb, weil das an seine Grenzen stoßende wirtschaftlicheWachstum angesichts der Unmöglichkeit, sich wie ein leben-der Organismus zu stabilisieren, weiter einer expansionisti-schen Trägheit folgt, in der Natur die Abfälle des Prozessesder „zerstörerischen Kreativität“ des Kapitals abzuladen.

Die Geopolitik der Biodiversität und der nachhaltigen Ent-wicklung verlängert und intensiviert nicht nur die bisher er-folgten Prozesse der zerstörerischen Aneignung der natürli-chen Ressourcen, sondern verändert die Formen der Interven-tion und der Aneignung und führt die Logik der ökonomi-schen Rationalität an ihre Grenze. Die ökonomische Unver-nunft hat

„eine auswuchernde Gesellschaft (geschaffen), deren Entwicklung un-kontrollierbar ist, die bereits ohne Beziehung zu ihrer eigentlichenBestimmung verläuft, in der die Akkumulation der Folgen Hand inHand geht mit dem Verschwinden der Gründe. Das Ergebnis ist einebrutale systematische Stockung und einer von Hyperthelie – einemExzess funktionaler Sachzwänge, einer Art Saturierung – verursachteFunktionsstörung.“ (Baudrillard 1993: 31)

Ökologische Ökonomen wie René Passet, Herman Daly undJoan Martínez Alier sehen die Grenzen des Marktes: Nämlich

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logische Ordnung“, beherrscht von einer Kodierung der Na-tur als „natürliches Kapital“, als ein wahrhaftiges „Simulations-modell“, als eine Erfindung der Realität. Die Natur wird so indie Umlaufbahn der wirtschaftlichen Simulation katapultiert,übertragen in Kapital.

Angesichts der Komplexität von Umwelt (Leff et al. 2000)zeigen die Politiken der ökonomisch-ökologischen Globalisie-rung, dass die Probleme gar nicht vollständig erkannt werdenkönnen. Der Diskurs der nachhaltigen Entwicklung erzeugteher einen künstlichen Nebel, durch dessen Schwaden diewahren Gründe der ökologischen Krise verschleiert werden.Trotz der globalen Erwärmung des Planeten wird nicht gese-hen, dass sich die entropische Degradation unter dem Wirkenökonomischer Rationalität vollzieht. Und immer noch wirdder anthropogene Ursprung des Phänomens verneint, indemviele Folgen als „Natur-“Katastrophen bezeichnet werden. DieGeopolitik der nachhaltigen Entwicklung betrachtet die Auf-lösung der Widersprüche zwischen Ökonomie und Ökologiemit Optimismus, etwa mit dem Vorschlag, Biodiversität ineine Sammelstelle gegen den Treibhauseffekt (der ja haupt-sächlich aus Kohlendioxyd besteht) zu verwandeln. Damitdürfen die industrialisierten Ländern „ihre“ Emissionsratenüberschreiten und treiben gleichzeitig die ökologische Kon-version der Länder der Dritten Welt nach ihren Bedürfnissenvoran (vgl. auch Achim Brunnengräber in diesem Band).

Die „Mechanismen sauberer Entwicklung“ (Clean Develop-ment Mechanism; CDM), mit denen man versucht, die ökolo-gische Restauration der Ökonomie in Gang zu setzen, basie-ren auf trügerischen wissenschaftlichen Sicherheiten über dieAbsorptionskapazität von Kohlenstoff seitens der Landwirt-schaft und der Biodiversitäts-Reservate, über die Funktionali-tät des Zinses und der Effizienz des Marktes bei der Umwand-lung des Bodens für die Zwecke nachhaltiger Entwicklung.Die Politiken „nachhaltiger Entwicklung“ basieren auf der An-nahme, dass die langfristigen Prozesse durch den Automatis-mus des Marktes kontrolliert werden könnten. Dabei werdenjedoch Unsicherheitsfaktoren der ökonomischen und ökologi-schen Prozesse, die Ineffizienz der öffentlichen Politiken undvorhandenen Interessen bezüglich der Strategien der Naturan-eignung einfach negiert. Die theoretische Blauäugigkeit und

Entwicklung“ verändert. Der vormals kritische Diskurs desEcodevelopment (der durchaus Spannungen zwischen „Ent-wicklung“ und ihren materiellen Grundlagen sah; vgl.Bruckmeier 1994; U.B./C.G.) ist verwässert worden: Ökologi-schen Vorschläge wurden immer stärker den Zielen ökonomi-scher Rationalität untergeordnet. Zudem ist nicht nur derRhythmus intensiver geworden, mit dem die Ressourcen aus-gebeutet und umgewandelt werden, sondern es sind auch ganzneue Strategien entstanden, um in natürliche Prozesse einzu-greifen (Carvalho 2001).

Auch die in der Beziehung von Arbeitskraft, Kapital undBoden verankerte politische Ökonomie bewegt sich in Rich-tung einer politischen Ökologie. Dabei verschieben sich dieGegensätze der gesellschaftlichen Kämpfe entlang von Identi-tät, Territorialität und Prozessen der Nachhaltigkeit. Das Ver-hältnis von Produktionsverhältnissen und Produktivkräftenetabliert sich nicht länger zwischen Kapital und Industrie-proletariat – zwischen Kapital, Arbeit und Technologie – undes definiert sich das Verhältnis zur Natur neu. In dem neuenDiskurs über Biodiversität und nachhaltiger Entwicklung ha-ben sich die Konzepte Territorium, Autonomie und Kultur inpolitische Konzepte verwandelt (Leff 2001a).

Der letzte Ausdruck des Klassenkampfes findet nicht mehrin den Fabriken statt, sondern in einem „Urinlandia“ (etwa:Piss-Land) genannten Territorium, in den Kloaken der Städteund der Welt. Es ist keine Forderung gegenüber der Produkti-on mehr, nicht einmal die der Autonomie des Verbrauchers,sondern des Rechts, in der Umwelt die Abfälle des Lebensdeponieren zu dürfen. In diesem Brechtschen Bühnenbildentsteht der Mehrwert durch die letzten Verdammten dieserErde aus ihrem Elend (und nicht dem Wert ihrer Arbeitskraft),an dem die ökologischen Unternehmer sich bereichern, in-dem sie die Funktion übernehmen, die Umwelt zu schützenund sie von den Exkrementen derjenigen zu reinigen, welchedas „Recht auf Kloake“ nicht bezahlen können. Es geht umdie Privatisierung des Unrats der Welt. Grenzpunkt des Öko-Faschismus.

Der Neoliberalismus gibt vor, die natürlichen Potentiale zubefreien, indem er sie auf das Glücksrad der wirtschaftlichenKreisläufe montiert. In diesem Sinne erscheint die neue „öko-

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neuen Weltordnung der Welthandelsorganisation stützen, eig-nen sich die großen transnationalen Konzerne (TNC) dengenetischen Reichtum der biodiversitätsreichen Länder an, umspäter deren Territorien mit transgenen Produkten zu erobern.Auf diese Weise wird die Abhängigkeit der BäuerInnen desSüdens mittels eines Patent-Regimes erhöht, welches den TNCserlaubt, die größten wirtschaftlichen Vorteile, die aus der Kon-trolle und der Ausbeutung der genetischen Ressourcen er-wachsen, zu ergattern. Heutzutage konzentrieren die fünf Gi-ganten der Biotechnologie mehr Reichtum auf sich als diegroßen Erdöl-Konsortien und die Transnationalen andererIndustriesektoren.

Für einige Forscher bedeuten die Mechanismen gemeinsa-mer Implementation (Joint Implementation, JI) das Allheil-mittel eines dreifachen Gewinns, nämlich sowohl ökonomisch,wie sozial und ökologisch, weil sie „Kapital aus den Industrie-staaten in die Entwicklungsländer transferieren [...] Das kommtden ärmsten ländlichen Bereichen zugute, in denen sich häu-fig die Wälder befinden, und so die Forstbedeckung, speziellin Primärwäldern, erhalten bleibt, was ein Schlüsselelementzum Erhalt der biologischen Diversität in den Tropen dar-stellt.“ (Castro 1999) Auf der Prämisse des „Gesamtwertes derBiodiversität“, die deren Wert auf ihre Funktion als Kohlen-stoffsammler und das Angebot ihres Reichtums an Natur-schauspielen reduziert, rechtfertigen sich diese Strategien derBewertung der Natur mittels raffinierter Berechnungen desWertes der Biodiversität. Letztere gründen sich auf der Zuwei-sung von Preisen für die Absorption von Kohlenstoff und aufZinsdiskontierungen (d.h. der Verrechnung von Zinsen in derZukunft), die diese Modelle des Umwelt-Neoliberalismus zubieten haben (Pearce/Moran 1994). Trotzdem sind nicht nurdiese „wissenschaftlichen“ Berechnungen über die Absorp-tionsfähigkeit von Kohlenstoff durch Ökosysteme, kommerzi-elle Plantagen und Sekundärwälder unglaubwürdig, sondernmehr noch die Anwendung von Zinsdiskontierungen bei derAktualisierung von Preisen von Prozessen, die einer hochgra-dig ökologisch-ökonomischen Unsicherheit unterliegen. Zu-dem unterliegen sie sozialen Auseinandersetzungen und Um-welt-Konflikten, von denen die Aneignungsformen von undder produktive Umgang mit Biodiversität ganz entscheidend

das politische Interesse gehen mit der Faszination für wissen-schaftliche Formeln, raffinierte Mathematik und Marktgläu-bigkeit einher, ohne dass die Prämissen, auf denen diese Mo-delle vielfältigen Rückschritts in Richtung Nicht-Wissen aufge-baut sind, eine konzeptionelle Kohärenz aufweisen würden.

Gleichheit und Nachhaltigkeit: ÖkologischeVerteilung und ungleicher Tausch

Nach den Schemata der Importsubstitution und Industrialisie-rung der 60er und 70er Jahre, die von der Dependenztheorieinspiriert wurden, kehren die lateinamerikanischen Gesellschaf-ten in ihrer Orientierung zu einer Ökonomie auf Basis inten-siver Ausnutzung der Ressourcen für den Export zurück, dernun mit dem Diskurs der „nachhaltigen Entwicklung“ neueingekleidet wird. In Zeiten, in der die Normen der Nachhal-tigkeit und die grünen Zertifikate neue Formen des Handels-protektionismus auftauchen lassen – in diesem Fall verkleidetals Wettbewerb um die Qualität der Umwelt – ist das ökolo-gisch nachhaltige Wirtschaftswachstum ein Mythos. Dieserlöst sich angesichts der offensichtlichen Erosion der Biodiver-sität in Nichts auf – trotz der Politiken von Schutz und Reser-vatseinrichtungen und der Diversifizierung der Exporte vonPrimärprodukten sind die den Grenzen der Nachhaltigkeit derÖkosysteme, die weltweite Erwärmung und die Wirtschafts-und Finanzkrisen in der Region offensichtlich (siehe den FallChile bei Quiroga 1994). Gleichzeitig wird die technologischeAbhängigkeit, von der sich die lateinamerikanischen Ökono-mien in den 70er Jahren mit wissenschaftlich-technologischenInnovationen zu befreien versuchten, wieder intensiver. Heut-zutage kann kein Land in der Region eine wissenschaftlich-technologische Politik für „nachhaltige Entwicklung“ vorwei-sen, wobei hierunter der Vorsatz zu verstehen ist, eigene not-wendige Kenntnisse für eine selbstbestimmte und nachhaltigeNutzung der ökologischen Potentiale zu generieren.

In der Ära der wissensintensiven Produktion hat sich dieKonzentration des essentiellen Produktionsfaktors Wissen inden Ländern des Nordens erhöht, sowohl im industriellen wieim landwirtschaftlichen Sektor. Indem sie sich auf die Förde-rung und Umsetzung geistiger Eigentumsrechte innerhalb der

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künstlichen Wäldern, um die Absorptionsfähigkeit für die vonden Ländern des Nordens überschrittene Emissionen zu erhö-hen. In diesem Sinne erhält die Biodiversität eine passive öko-nomische Rolle – wegen ihrer Absorptionsfähigkeit für Koh-lenstoff – in der Bilanz von giftigen Emissionen und der Ab-schwächung der Erwärmung des Planeten. Es scheint so, alsob der Austausch dieser Funktionen den tropischen LändernVorteile beschert: Im Tausch gegen die immer künstlichereErhaltung der Ökosysteme des Nordens, das ungebremsteVoranschreiten der Industrialisierung und der hochgradig ka-pitalisierten und technologisierten Landwirtschaft, erlaubt sichder Süden den Luxus, zurückzukehren zum Müßiggang natür-licher Wirtschaft, von der Großzügigkeit von Mutter Erde zuleben, indem sie die komparativen Vorteile ausnutzen, dieihnen die Geographie ihrer Territorien beschert.

In der Geopolitik nachhaltiger Entwicklung steht eine, vonder geographischen Lage der Länder abhängige, ökologischeVerteilung auf dem Spiel. Zusätzlich zu den angeblichen Vor-teilen der Bewertung der Biodiversität und ihrer ungleichenökonomischen Verteilung, hat die geographische Lage der Län-der im Süden auch noch einen perversen Effekt bei der Kon-zentration der Umweltschäden. So konzentrieren sich die Fol-gen der Ausdünnung der Ozonschicht auf die Antarktis unddie Länder Südamerikas; die von Orkanen und anderen me-teorologischen Phänomenen hervorgerufenen ökologischenund menschlichen Schäden wie „el Niño“ oder „la Niña“häufen sich in dem Bereich zwischen den Wendekreisen.

Abgesehen von den sichtbaren Folgen bei der Zerstörungdes Planeten, zeitigt die ökonomische Globalisierung ver-schleiertere Folgen hinsichtlich der Eingriffe in Natur. Aufdiese Art und Weise haben sich die „natürlichen“ Katastro-phen in den letzten Jahren in „Ereignisse höherer Gewalt“verwandelt, welche die bäuerlichen und indigenen Gemein-schaften dazu gezwungen haben, ihre Jahrtausende alten Prak-tiken des Brandrodungsfeldbaus aufzugeben, da sie vielfachbeschuldigt wurden, die Verursacher dieser Tragödien zu sein.Gerechter wäre es, zuzugeben, dass die Erwärmung des Plane-ten – die natürlich nicht von diesen Gemeinschaften hervorge-rufen wird, sondern zu der sie nur in geringem Maße beitragen– ihre Ökosysteme verletzlicher und ihre Lebensweise risikorei-

abhängen. Noch unglaublicher ist die Vorstellung der direktenErfassung der Wälder Costa Ricas für den Kohlenstoff-Überschuss Hollands – welches auf diese Art und Weise denExzess seiner Emissionen bezahlt – über den willkürlichenWert, den diese auf dem Markt für Umweltverschmutzungerhalten.

Diese Transaktionen richten sich nicht nach einem „rea-len“ Wert oder Preis der Absorptionskapazität von Kohlen-stoff, sondern nach der Verhandlungsmacht beider Seiten.Davon ausgehend, dass die armen Länder ihre Kohlenstoff-aufnahmefunktion billig verkaufen – genauso wie sie es mitdem Erdöl, den ästhetischen Ressourcen und den genetischenReichtümern ihrer Biodiversitäts-Reserven machen – findendie Länder des Nordens einen einfachen Ausweg aus den for-malen Zwängen, ohne effektiv ihre Emissionen zu reduzieren.Dieser Mechanismus ungleichen Tauschs gewährt den Län-dern des Nordens einen Freibrief, um die nördlichen Ländervon ihrer ökologischen Schuld zu befreien.

Auf diese Art und Weise vertieft die Vermarktlichung derNatur in der neuen ökonomisch-ökologischen Geopolitikunter den Vorzeichen nachhaltiger Entwicklung die Unter-schiede zwischen reichen und armen Ländern. Die neueGlobalität rechtfertigt die komparativen Vorteile zwischen denindustrialisiertesten und am meisten verschmutzenden Län-dern und den armen Ländern, die ihre Fähigkeit, die Exzesseder reichen Länder zu absorbieren, neu bewerten und diegenetischen und ökotouristischen Ressourcen ihrer Biodiver-sität anbieten. Die Unterschiede zwischen zentralen und peri-pheren Ländern existieren nicht mehr nur aufgrund der Plün-derung und offensichtlichen Überausbeutung der Ressourcen,sondern sie bleiben in den Strategien zur Aneignung der Gü-ter und Umweltdienstleistungen des Planeten hinter diesenneuen, der Natur zugewiesenen Funktionen verborgen.

Für einige Autoren und Regierungen erscheint diese neueForm des Austauschs im wirtschaftlichen Bereich vorteilhaftund gerechtfertigt. So zum Beispiel in Costa Rica, das inLateinamerika paradigmatisch für die Umwandlung hin zunachhaltiger Entwicklung unter den Regeln von CleanDevelopment Mechanism und Joint Implementaion ist – dasheißt, für den Erhalt der Biodiversität und die Pflanzung von

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logische Rationalität kann diese Prozesse nicht umkehren undsie in Richtung einer tatsächlichen Nachhaltigkeit lenken.

Trotzdem öffnen sich auf diesen Wegen einer ökologischenUmwandlung Möglichkeiten, eine neue Ökonomie zu errich-ten, die nicht nur auf der ökonomisch-technologischen Pro-duktivität und den Strategien nachhaltiger Entwicklung be-ruht, sondern auf einer neuen Rationalität, die auf dem pro-duktiven Potential von Ökosystemen basiert. Dies eröffnetneue, diversifizierte Produktionsformen mit der Natur undeine Abkehr vom Markt als vorherrschendem Gesetz desGlobalisierungsprozesses.

Eine Ethik der Nachhaltigkeit geht sowohl über die Logikder aktuellen Kosten-Nutzenverteilung, zu der sie der Marktverurteilt, als auch über die generationsübergreifenden Folgenhinaus. Damit werden Fragen der Langzeitwirkung beim Er-halt der Biodiversität, den Folgen der transgenen Organismenauf die ökologische Sicherheit und die Lebensqualität derMenschen berührt, allesamt Prinzipien und Themen, die nichtin die ökonomische Bewertung einfließen. Von daher solltendas Vorsorgeprinzip sowie schwächere Interessen Vorrang ha-ben vor dem unsicheren Bilanzieren eines unberechenbarenökonomischen Wertes dieser Folgen.

Das Versagen des CDM, welcher der Markteffizienz unter-liegt, die Ratifizierung und Erfüllung der internationalen Ver-träge durch die Regierungen und die Widerstände, um eineVerlangsamung des Wirtschaftswachstums zugunsten der Um-welt zu erreichen, haben zu radikaleren Vorschlägen geführtwie der Anerkennung der ökologischen Verschuldung der ar-men Länder. Das Prinzip der „ökologischen Schuld“ ist einideologisches und politisches Mittel, welches die Widerstands-bewegungen gegen die Globalisierung nährt, indem es diehistorische Ungleichheit benennt. Diese Bewegungen entste-hen in ungewissen Räumen und entwickeln noch unsicherPrinzipien, die Entscheidungen und Handlungen in RichtungNachhaltigkeit beeinflussen.

In diesem Feld von Kontroversen und der Suche nachAlternativen wird der vorherrschende Umgang mit Biodiver-sität ausgeschlossen. Denn letzterer hat bei der indigenen Be-völkerung Widerstand hervorgerufen, da diese den Wert ihrerWälder nicht nach seiner Fähigkeit, Kohlenstoff zu absorbie-

cher gemacht hat, und sie in die Strategien der „sauberenEntwicklung“ zwängt.

Das Problem der Gleichheit angesichts der globalen Erwär-mung stellt sich nicht nur bei der Simulation einer angebli-chen Gleichheit innerhalb der Mechanismen der sauberenEntwicklung, sondern auch, wenn es um die Festlegung derBerechnungsgrundlage zur Verringerung von Emissionen undder entsprechenden Quoten zwischen Ländern und Personengeht. Die proportionale Verringerung pro Land, wie sie vonBeginn der Klimakonvention an vorgeschlagen wurde, hieße,die historischen Ungleichheiten zu akzeptieren und zur Grund-lage dieser weltweiten Anstrengung zu machen. Dies käme fürsich entwickelnde Länder wie China oder Indien einem Ur-teilsspruch zur Unterentwicklung gleich. Demgegenüber schlu-gen Agarwal und Narain (1991) eine ökologische Verteilungpro Einwohner – welche diese Länder wegen ihre großen Be-völkerung begünstigen würde – und die Schaffung eines Fondsfür nachhaltige Entwicklung vor.

In Wirklichkeit stellt keine dieser Optionen eine Lösungfür den, von der vorherrschenden ökonomischen Rationalitätverursachten, entropischen „Tod des Planeten“ dar. Denn die-se Rationalität selbst ruft ein unvermeidliches Anwachsen derEntropie hervor. Die einzig mögliche Lösung für Nachhaltig-keit und Gleichheit besteht in dem Abbau der ökonomischenRationalität und dem Aufbau eine öko-technologischen Ratio-nalität, die auf dem Prinzip der negentropischen Produktivitätbasiert, d.h. einer Produktivität, die nicht entropisch wirkt(Leff 1994).

Die Mechanismen des Protokolls von Kyoto werden esnicht zulassen, die Emissionen stärker zu senken, als es derRhythmus des Wirtschaftswachstums erlaubt. Die Internalisie-rung ihrer Kosten nach den Regeln des Marktes und denGraden der „De-Materialisierung der Produktion“, die der tech-nologische Fortschritt ermöglicht, wird nicht ausreichen, umdie Gesetze der Entropie und den Rhythmus der Emissionenumzukehren. Der CDM setzt darauf, die überschüssigenTreibhausgase über Foto- und Biosynthese-Kapazitäten derWälder, Böden und Ozeane zu binden, indem sie die Schwel-len und Niveaus des ökologischen Gleichgewichts des Plane-ten erhöhen. Aber die herrschende ökonomische und techno-

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Die Multilateralen Umweltabkommenund die WTO

Seit der Annahme des Washingtoner Artenschutzabkommens(CITES) im Jahre 1973 sind die unterschiedlichsten Verträge,Konventionen und Protokolle zum Schutze der Umwelt ver-einbart, ausgearbeitet und umgesetzt worden. Die Umsetzungeiniger dieser neuen Gesetzeswerke der internationalen ökolo-gischen Normensetzung – wie das Protokoll von Montrealüber den Schutz der Ozonschicht – hat zu wichtigen Erfolgengeführt, wie den generellen und unbedachten Einsatz vonSubstanzen wie DDT, Blei, Asbest, Dioxinen und den chlo-rierten Flurkohlenwasserstoffen einzuschränken.

Die 1992 durchgeführte UN-Konferenz zu Umwelt undEntwicklung (UNCED) stellt einen wichtigen Wendepunkt inder globalen Umweltpolitik dar. Nach Rio-92 haben die Politikender nachhaltigen Entwicklung die Schaffung und Umsetzungeines neuen internationalen Rechtsrahmens betrieben, der aufeiner Reihe von multilateralen Umweltabkommen (MultilateralEnvironmental Agreements, MEA) beruht. Diese beinhalten eineReihe von juristischen Instrumenten, die versuchen, den öko-nomischen und sozialen Akteuren Normen aufzuerlegen, umdie Folgen der ökonomischen und technologischen Prozesseauf die Umwelt einzuschränken und rückgängig zu machen.

Die MEA schließen Übereinkommen über Klimaverände-rung und biologische Diversität, die UNO-Konvention gegenVerwüstung und Trockenheit und die Protokolle vonCartagena zur Sicherheit im Umgang mit transgenen Organis-men, von Kyoto über Klimaveränderung und von Stockholmüber Persistente Organische Schadstoffe ein. Von diesen In-strumenten waren wegen ihrer globalen Wirksamkeit und auf-grund der Unterschiedlichkeit der Interessen und der Komple-xität der Konflikte, die in ihnen geschlichtet werden, die um-strittensten wohl die Übereinkommen zur Klimaveränderungund über die biologische Vielfalt – und die dazugehörigenProtokolle. Dies zeigt die Schwierigkeiten auf, ökologischeKosten zu internalisieren und die ökonomischen und Umwelt-politiken zusammenzuführen.

Abgesehen von den Versuchen der Verhandlungsführer ei-niger Länder, die Tagesordnung für grundlegende Streitpunkte

ren, bemessen sehen wollen. In diesem Sinne drückten dieVertreterInnen indigener Völker, die auf dem „Ersten Interna-tionalen Forum Indigener Völker zur Klimaveränderung“ imfranzösischen Lyon im September 2000 zusammengekommenwaren, ihren Widerstand gegen den Einschluss der Kohlen-stoff-Aufnahme unter dem „Mechanismus der sauberen Ent-wicklung“ aus. Er stelle

„eine reduzierte Form der Wahrnehmung unserer Territorien undBöden lediglich hinsichtlich der Aufnahme oder Abgabe vonTreibhausgasen dar, was unseren Weltvorstellungen und unserer Le-bensphilosophie konträr entgegensteht. Der Einschluss von Senkenwird außerdem zu neuen Formen der Enteignung unserer Böden undTerritorien und zur Verletzung unserer Rechte führen, was in einerneuen Form des Kolonialismus gipfeln würde [...] Wir glauben, dass[der CDM] wegen der kontinuierlichen Invasion und des dauerndenVerlustes unserer Böden und Territorien und ihrer Aneignung durchdie Einrichtung oder die Privatisierung neuer Muster für Naturschutz-gebiete eine Bedrohung darstellt [...] Wir wenden uns vollkommen ge-gen den Einschluss von Senken, Kernkraft-, Großwasserkraft- undKohlekraftwerken. Zudem sind wir gegen die Entwicklung eines Koh-lenstoff-Marktes, der die Reichweite der Globalisierung noch erhöhenwürde.“

Der Clean Development Mechanism stellt für die unterschied-lichen Länder und sozialen Akteure der nachhaltigen Entwick-lung kein neutrales Instrument dar. Auch wenn sie scheinbarfür einige Länder – wie z.B. Costa Rica – vorteilhaft sind, lässtsich dies nicht als eine durchgängige Norm für andere Länderund Gemeinschaften generalisieren, die nicht so entschiedenin das Spiel der Joint Implementation einsteigen.2 Diese öko-nomisch-ökologischen Transaktionen – wie auch der TauschSchulden gegen Naturschutz – operieren in marginalen Räu-men und mit geringen Beträgen, so dass die Kompensations-strategien nicht ausreichen, um die destruktiven Folgen für dieUmwelt zu bremsen. Heutzutage kann der in Richtung aufökologischen Umbau gerichtete technologische Prozess denRhythmus der Produktion von Treibhausgasen verlangsamen.Umkehren kann er diesen Prozess, der begonnen hat, schwer-wiegende Folgen in der Umwelt und bei der Menschheit zuzeitigen, vor allem in den verletzlichsten Gemeinschaften, abernicht.

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weise sie kompensieren, indem sie den fiktiven Wert zahlen,den die an Biodiversität reichen Länder für die Verschmut-zung aufbringen müssten.

Indem der Nachdruck auf den Handel mit Verschmutzungs-rechten gelegt wird, stellt das Kyoto-Protokoll der Klima-rahmenkonvention den Emissionsländern einen Freibrief aus.Statt ihre CO2-Emissionen und die den Treibhauseffekt för-dernden Gase zu reduzieren, gelten sie diese ab, indem sie ihreKosten auf Länder (wie die ehemalige Sowjetunion) übertra-gen, die unterhalb ihrer Quoten liegen und die aufgrund ihreökonomischen Situation nicht einmal in der Lage wären, ihreEmissionen zu erhöhen. Da es an einem Mechanismus für dieBildung von Aufnahmepreisen fehlt, geschieht das Ganze zu„Dumpingpreisen“ und beim „Meistbietenden“, weil, wieMartínez Alier versichert, die armen Länder ihre Umwelt-dienste billig verkaufen. So gesehen schaffen die MEA unter-einander nicht nur keine Synergien, sondern sie funktionierenvielmehr als Schleier zur Ökonomisierung der Natur.

Hinter den Debatten bezüglich der MEA und dem Dissensüber ihre Verabschiedung und Anwendung steht die Kontro-verse zwischen der den Umweltnormen unterliegenden ökolo-gischen Vernunft und Ethik einerseits, sowie den Prinzipienund Regeln der ökonomischen Vernunft andererseits. DerenInkompatibilitäten drücken sich nicht nur im Widerstand derRegierungen beispielsweise der USA und Japans aus, die MEAzu unterzeichnen und zu ratifizieren. Gleichzeitig hat dieWelthandelsorganisation (WTO) ihre eigenen Umweltordnun-gen entworfen, die den Regeln des Marktes und den geistigenEigentumsrechten untergeordnet sind.

Diese Streitigkeiten führen letztendlich zur Notwendigkeit,internationale Rahmenbedingungen festzulegen, die nach demPrinzip gemeinsamer, aber differenzierter Verantwortlichkeitenin der Lage sein sollen, Synergie-Effekte und Beziehungen zuschaffen, bei der sich die MEA und die WTO gegenseitigstärken (UNEP 2001). In dem Bestreben, formale Dispute zuvermeiden und die Konflikte zwischen Umwelt- und Handels-ordnungen vorherzusehen und vorgreifend zu lösen, tendiertdie Integration von Umwelterwägungen bei Entscheidungs-prozessen in ökonomischen und gesellschaftlichen Angelegen-heiten jedoch dazu, die Anwendung von ökologischen Nor-

zu öffnen, sind diese Instrumente in der Praxis auf der Grund-lage von eher pragmatischen Prinzipien (Vorgehensregeln,Finanzierungsfragen, messbare Indikatoren) festgelegt, um aufeinen gemeinsamen Nenner zu kommen, der Vereinbarungenzwischen den Beteiligten erlaubt. Die ethischen und philoso-phischen Erwägungen sowie die politischen Kontroversen be-züglich der Werte und Interessen, welche die Alternativeneiner nachhaltigen Entwicklung definieren und die nicht aufdas gemeinsame Muster der ökonomischen Bewertung über-tragbar sind, werden von diesen Ebenen der internationalenDiplomatie verdrängt. Sie gelangen damit auf das Feld derpolitischen Ökologie, wo die gesellschaftliche Kraft entsteht,um die globalen Tagesordnungen zu öffnen. Auf dieser Ebenekommt das Interesse für die biologische und kulturelle Diver-sität gegenüber der Homogenität des Marktes und den Strate-gien der wirtschaftlichen Globalisierung zum Ausdruck.

Es überrascht nicht, dass viele Ursachen, welche die Ab-kommen und die Anwendung dieser Mechanismen für dieglobale Regierungsfähigkeit verzögert haben, Kontroversensind, die mit Handelsangelegenheiten zu tun haben: Die Ver-marktung der natürlichen Güter und die Bewertung der Um-weltrisiken.

Die Schwierigkeit, die multilateralen Umweltabkommen(MEA) in Kraft zu setzen und effektiv anzuwenden, offenbartden Widerstand ökonomischer Art, die Umweltkosten zu in-ternalisieren und sich den Regeln der ökologischen Nachhal-tigkeit zu fügen. Beispiele dafür sind die aufgebauten Hinder-nisse, die Vereinbarungen von Rio – wie die Begrenzung derTreibhausgase und der Stop der globalen Erderwärmung – zuerfüllen. Auch wenn bei den MEA Fortschritte erzielt wurden,wie jüngst die Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls über denKlimawandel, so sind sie doch nach dem Prinzip des kleinstengemeinsamen Nenners vereinbart, der zwar die Absichten derRegierungen in Einklang bringt, aber seine Reichweite redu-ziert und seine Ziele verwässert. So stellen die Klauseln überden Handel mit Verschmutzungsrechten nicht sicher, dassjedes Land oder jeder Industriezweig seine Emissionen weit-möglichst abbaut. Im Gegenteil, dieses Ziel wird pervertiertangesichts der Möglichkeit, dass die Länder mit überschritte-nen Quoten diese auf andere Länder übertragen, beziehungs-

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109Die Geopolitik der Biodiversität108 Enrique Leff

Demgegenüber ist der Slogan „global denken, lokal han-deln“, der so beharrlich vom Diskurs der nachhaltigen Ent-wicklung befördert wurde, in Wirklichkeit ein Kunstgriff gewe-sen, um ein Einheitsdenken über „unsere gemeinsame Zu-kunft“ zu schaffen. Er verführt die lokalen Kulturen zu einemglobalen Denken, das nichts anderes ist als der ökonomistischeDiskurs vom nachhaltigen Wachstum. Dagegen besteht dieHerausforderung der Nachhaltigkeit doch gerade darin, dielokalen Besonderheiten zu denken und eine Rationalität auf-zubauen, die in der Lage ist, ihre Unterschiedlichkeiten zuintegrieren sowie ihre Unvergleichbarkeit, ihre Relativität undihre Ungewissheit, zu akzeptieren.

Die Zeit, darauf wies Evans Pritchard hin, gestaltet sich umbedeutsame Ereignisse sowohl gesellschaftlicher wie wirtschaft-licher Art herum. Jede Kultur definiert ihre Zeiten über ihreKosmologie und ihre symbolischen Systeme. Die Zeit ist nichtnur das Maß externer Ereignisse (geophysische Phänomene,ökologische Zyklen, Abnutzungs- und Regenerationsprozesseder Natur), sondern die Abfolge von mit Bedeutung versehenerinterner Ereignisse, der Fortbestand von „Gegenwarten“ imLauf der Geschichte, die Aktualisierung der ethnischen Identi-täten und der „kulturellen Wesen”. Die Zeit befreit die vorge-zeichnete und an vorherbestimmte Visionen fixierte Natur,indem sie den Weg für eine durch das Kulturbewusstsein neugedeutete Natur öffnet.

Eine neue Politik der Ortsgebundenheit und des Anders-seins wird ausgehend von den aktuellen Kämpfen um Identi-tät, Selbstbestimmung und das Territorium vom Zeitbewusst-sein entwickelt. Was dem Ruf nach Anerkennung der Über-lebensrechte, der kulturellen Vielfalt und der Lebensqualitätder Völker zugrunde liegt, ist eine Politik des Seins; ist einePolitik des Werdens und der Transformation, welche die Be-deutung der Utopie als Recht jedes Individuums und jederGemeinde wertet, die eigene Zukunft zu schmieden. Die kul-turellen Territorien werden durch eine Zeit befruchtet, welchedie Produktivstrategien und die existentiellen Bedeutungenneu schafft. Es handelt sich nicht nur um die Einforderungder kulturellen Rechte, welche die Sitten und Gebräuche ihrerautochthonen Sprachen und ihrer traditionellen Praktiken ein-schließen. Es geht auch um eine Kulturpolitik zur Rekonstruk-

men und Umweltprinzipien den Freihandelsordnungen zuüberlassen. In diesem Sinne hat sich die Entwicklung beschleu-nigt, wirtschaftliche Instrumente für die Handhabung derUmwelt auszuarbeiten und anzuwenden sowie den Wert derNatur auf die Preise zu reduzieren, die sie auf dem Markt derUmweltgüter und -dienstleistungen erzielen kann.

Wert und Territorium: Eine Politik derOrtsgebundenheit und des Andersseins

Gegenüber dem von der ökonomischen Vernunft und denMarktgesetzen regierten Globalisierungsprozess und, zusammenmit den Bewegungen der Globalisierungsgegner, kommt zu-nehmend eine Politik der Orts-, Raum- und Zeitgebundenheitzum Vorschein (Leff 2001b), die durch neue Rechte auf diekulturelle Identität der Völker mobilisiert wird (CNDH 1999;Sandoval/García 1999), und die vielfältigere und demokrati-schere Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens legiti-miert. Hier stellt sich etwas gegen die ökonomische Logik.

Das Territorium ist der Ort, wo die Nachhaltigkeit in einerökologischen Basis und in kulturellen Identitäten verwurzeltist. Es handelt sich um den gesellschaftlichen Raum, wo diesozialen Akteure ihre Macht ausüben, um die Umweltnutzungzu kontrollieren und Umweltpotentiale in selbstverwaltetenProjekten zu mobilisieren. Diese dienen dazu, Bedürfnisse,Hoffnungen und Wünsche der Menschen zu befriedigen, wel-che die ökonomische Globalisierung nicht erfüllen kann. DasTerritorium ist der locus der Forderungen und des Begehrensder Menschen, um ihre Lebenswelten wieder aufzubauen. Dielokale Ebene ist es, auf der die kulturellen Identitäten ge-schmiedet werden, wo sie als gesellschaftliche Bewertung derökonomischen Ressourcen und als Strategien zur Wiederan-eignung der Natur zum Ausdruck kommen (Leff 1994). DasTerritorium ist ein Ort, wo sich unterschiedliche Zeiten nie-derschlagen, wo sich kulturelle Identitäten und ökologischePotentiale artikulieren. Es ist mit anderen Worten der Ort, andem die Zeiten der Nachhaltigkeit zusammenlaufen: Prozesseder ökologischen Wiederherstellung und Leistungsfähigkeit,der technologischen Innovation und Anpassung, des Wieder-aufbaus kultureller Identitäten.

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111Die Geopolitik der Biodiversität110 Enrique Leff

gesellschaftlichen Struktur basiert. Fünftens, das Prinzip der Solidari-tät mit den Kämpfen der schwarzen Bevölkerungen in der Welt fürdie Suche nach alternativen Visionen ... Die Aktivisten konzipierendas Territorium als einen Raum für die Schaffung von Zukunft, fürdie Hoffnung und für den Fortbestand der Existenz.“ (Escobar, Gruesound Rosero 1998).

Auf diese Weise bekräftigt die indigene Bevölkerung ihre kul-turellen Rechte, um die Kontrolle über ihr Territorium alsökologischen, produktiven und kulturellen Raum wiederzuer-langen, um sich ein Erbe natürlicher Ressourcen und kulturel-ler Bedeutungen erneut anzueignen. Die Umweltvernunft wirddurch neue soziale Akteure internalisiert und drückt sich alseine politische Forderung aus, die neuen Prinzipien für dieBewertung der Umwelt und die Wiederaneignung der Naturden Weg weist, indem sie in neuen Territorien und neuenIdentitäten Wurzeln fasst. Kulturelle Politik wird im Schmelz-tiegel der Verschiedenheit der sozialen Akteure, die unter-schiedliche kulturelle Bedeutungen und Praktiken einbringen,geschmiedet, in der Vermischung verschiedener materieller undsymbolischer Prozesse durch das Handeln von Menschen, dieja immer aus Zeit, Leben und Geschichte bestehen. Wir sindauf diese Weise Zeugen, wie Traditionen wieder zum Lebenerweckt werden und Bedeutungen überleben.

Von diesem Standpunkt aus stellt sich eine Politik desAndersseins, die als Grundlage eine Lehre vom Sein und derAndersartigkeit hat, so dar, dass sie auf die Rekonstruktion derWelt und eine Öffnung geschichtlicher Optionen ausgerichtetist. Unzweifelhaft setzt die Politik des Andersseins daran an,dass die Globalisierung an ihr Ende kommt und zum Wider-stand gegen die Einkapselung in ein uniformes und homoge-nisierendes Denken wird. Das Recht auf Andersein ist eineForderung, die auf das Ursprungsprinzip des Seins zurück-geht, sich aber als Reaktion auf einen Globalisierungsprozess –dessen behauptete Allgemeingültigkeit, Naturgegebenheit,Überlegenheit – manifestiert, der dabei ist, Daseinsformen zuverschlingen und sie ihres Wesens zu berauben. Die Politikdes Andersseins entsteht nicht aus der Konfrontation der Be-sonderheiten verschiedener Kulturen, die in der Geschichteauftauchten, sondern, wie Baudrillard bemerkt:

„Andere Kulturen haben niemals die Allgemeingültigkeit für sich ein-gefordert. Ebenso wenig forderten sie ihr Anderssein ein, bis ihnen

tion von Identitäten, um eine Zukunft zu schaffen, die nichtvorbestimmt und ausschließend ist. Es handelt sich um denWiderstand gegen die homogenisierende Vorherrschaft derökonomischen Globalisierung und darum, die kreative Vielfäl-tigkeit des Lebens zu bekräftigen, die von der kulturell-ökolo-gischen Heterogenität aus geschaffen wird.

Das führt dazu, die Bedeutung der Geopolitik selbst zuüberdenken. Die Geo-Graphien, als Marksteine von den Zivi-lisationen auf der Erde hinterlassen, sind der locus, das habitat,in dem sich eine Welt ansiedelt, die durch eine Globalisierungauf den Kopf gestellt wurde, die dem Absolutheitsansprucheiner einzigen, universellen, dominanten Vernunft das Wortspricht. Aber es gibt auch die Handschrift, welche die neuengesellschaftlichen Bewegungen hinterlassen, die sich die Naturwieder aneignen wollen (Gonçalves 2001).

Von dieser kulturellen Politik für Identität ausgehend, istder Ruf nach Gleichheit und Nachhaltigkeit ein Kampf für dieVielfalt, für das Recht des Andersseins. Es handelt sich um dasRecht auf die Eigenart und die Autonomie gegenüber der Nö-tigung zu einer Allgemeingültigkeit, die durch eine beherr-schende Globalisierung aufgezwungen wird. Diese Politik desSeins und des Werdens entsteht, während Identitäten rekon-struiert und kulturelle Projekte auf dem Weg zu Nachhaltigkeitmit Diversität, Gerechtigkeit und Gleichheit erneuert werden.

Der Aufbau einer neuen ökologischen Rationalität wird inden entstehenden Bewegungen der indigenen Völker geschmie-det. Ein Beispiel dafür ist die Bewegung der Gemeinden vonSchwarzen des kolumbianischen Südpazifiks, die folgende Prin-zipien ihrer politischen Organisation nennt:

„Das Recht auf eine Identität besteht in dem Recht, schwarz zu sein,im Einklang mit der kulturellen Logik und der Weltsicht, die in derschwarzen Erfahrung verwurzelt ist ..., für die Rekonstruktion des ei-genen schwarzen Bewusstseins und die Ablehnung des herrschendenDiskurses von der ‘Gleichheit’ mit seiner gleichzeitigen Verschlossen-heit gegenüber der Verschiedenheit. Zweitens, das Recht auf ein Ter-ritorium als ein Raum, sich verwirklichen zu können und als wesent-liches Element für die Entfaltung der Kultur. Drittens, das Recht aufeine politische Autonomie als Vorbedingung für die Praxis, sich zuverwirklichen, mit der Möglichkeit, die gesellschaftliche und wirtschaft-liche Autonomie zu fördern. Viertens, das Recht, ihre eigene Visionvon der Zukunft, der Entwicklung und ihrer sozialen Praxis zu schaf-fen, die auf den Sitten und Bräuchen bei der Produktion und der

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113Die Geopolitik der Biodiversität112 Enrique Leff

begründete Lebensqualität hinaus. Die ökologische Rationali-tät führt dazu, die Produktion auf der Grundlage natürlicherPotentiale und der Natur kulturell zugewiesenen Bedeutungenzu überdenken. Das führt zu einer Politik des Seins, derDiversität, des Andersseins, welche die herkömmliche Ausbeu-tung der Natur in Frage stellt.

Neue Bewegungen zurWiederaneignung der Natur

Als Reaktion auf die Ökonomisierungstendenzen in der Weltentstehen neue soziale Bewegungen – hauptsächlich die derindigenen Völker und der bäuerlichen Gemeinschaften –, diesich für die Wiederaneignung der Natur einsetzen. Ab „Rio1992“ haben sich die indigenen Völker zunehmend und kri-tisch in den Diskurs um die Globalisierung und die Politiknachhaltiger Entwicklung eingemischt. Die Bejahung ihrer eth-nischen Identitäten und der Prinzipien demokratischer Beteili-gung haben den Weg für die Generation der neuen Umwelt-akteure unter den Indigenen des ganzen Kontinentes, denschwarzen Gemeinden Kolumbiens, der Landlosenbewegungund anderen geöffnet. Diese bringen sich ein in den Diskursüber nachhaltige Entwicklung, machen dabei aber ihre Origi-nalität und ihr Anderssein deutlich, indem sie ihre Identitätenbekräftigen und eigene nachhaltige Projekte aufbauen.

Die sozialökologische Orientierung der neuen sozialen Be-wegungen zeigt sich auf den jüngsten nationalen und interna-tionalen Foren, wo die indigenen Völker ihre Position gegen-über der ökonomischen Globalisierung, dem Freihandel sowiebezüglich ihrer Autonomie und ihrem Recht vertraten, sichihr natürliches und kulturelles Erbe wieder anzueignen. Sieberufen sich dabei auf das internationale Recht (z.B. die Kon-vention 169 der ILO; der Internationalen Arbeitsorganisation)und beteiligen sich an der Definition von Rechten, die sichaus den multilaterale Umweltabkommen ableiten.

Aber das geschieht nicht nur auf den internationalen UNO-Konferenzen. So erklärte Ende 2000 das „Forum vonOcosingo“ (gleichnamig dem Ort im mexikanischen Bundes-staat Chiapas), an dem Indígena- und Campesino-Organisatio-nen teilnahmen.

das Anderssein zwangsweise als Teil einer Art kulturellen Opiumkrie-ges injiziert wurde. Diese Kulturen leben ihre eigenen Besonderheit,ihres eigenen Ausnahmefalls, sowie mit der Unnachgiebigkeit ihrereigenen Rituale und Werte. Sie finden keinen Trost in der tödlichenIllusion, dass alle Unterschiede miteinander versöhnt werden können– eine Illusion, die für sie nur Vernichtung bedeutet ... Das radikalAndere ist nicht tolerierbar: es kann nicht ausgelöscht, aber auch nichtakzeptiert werden. Daher muss das verhandelbare Andere gefördertwerden. An diesem Punkt beginnt eine subtilere Form der Vernich-tung – eine Form, in der alle Eigenschaften der Modernität einbezo-gen sind“ (Baudrillard 1993: 132f).

Zweifellos entfaltet der Diskurs der ökonomischen Globalisie-rung – während er öffentlich seine Anerkennung gegenüberden ethnischen Differenzen ausruft – eine Strategie, um dieseDifferenzen zum Glaubensbekenntnis der obersten Marktge-setze zu konvertieren und ihre Kulturen in den Begriffen derökonomischen Werte neu zu kodifizieren. Diese Politik istviel ausgeklügelter als die demokratische Politik, die mit demHinweis auf die Gleichheit, die gesellschaftlichen Ungleichhei-ten verstärkt. Sie operiert als Strategie der Einverleibung/Aus-löschung der Umwelt, in der das absolut Entgegengesetzte zurökonomischen Vernunft gesehen wird.

Die Andersartigkeit zeigt sich aber nicht nur in ihrer antago-nistischen Präsenz, als Rache gegenüber der herrschenden Ratio-nalität und als unvermeidlicher Zersetzungsprozess, sondernauch als ontologisches Prinzip des Seins und als Öffnung gegen-über Alternativen der homogenisierenden Globalisierung. EinePolitik des Andersseins ist eine Politik des Widerstandes dage-gen, von weltweiten Ordnungsvorstellungen aufgesogen undvom Markt und der ökonomischen Vernunft einverleibt zuwerden. Das öffnet den Weg in Richtung einer vielfältig ver-flochtenen und abhängigen Welt, die nicht mehr eine zentraleAchse und einen einzigen Anziehungspunkt hat, sondern sichaus dem Zusammenleben der Besonderheiten, der kulturellenVielfältigkeiten, der unterschiedlichen Rationalitäten ergibt.

Die Kontroversen zwischen der ökonomischen und ökolo-gischer Vernunft führen aus der Perspektive der nachhaltigenEntwicklung dazu, der Logik des Tauschwertes eine produkti-ve Vernunft kontrastierend gegenüberzustellen, die auf demGebrauchswert basiert. Dieser geht über die Prinzipien der„totalen Qualität“ und der „sauberen Technologie“ der neuenÖkoindustrie sowie über eine auf „Konsumentensouveränität“

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115Die Geopolitik der Biodiversität114 Enrique Leff

wichtiger als monetäre und nicht-monetäre Vorteile. Nur wenn dieterritoriale Sicherheit garantiert ist, kann es zu einer gleichgewichti-gen Nutzenaufteilung kommen.“

In diesem Sinne bildet sich die Geopolitik der ökonomisch-ökologischen Globalisierung als ein konfliktives Feld heraus.Die Nachhaltigkeit von Entwicklung wird eher das Resultatder sozialen Bewegungen für die Wiederaneignung der Naturund die Konstruktion einer neuen ökologischen Rationalitätsein als das Ergebnis der Marktstrategien, ökologische Kostenzu internalisieren und Natur und Kultur zu kapitalisieren.

Aus dem Spanischen von Peter Stegemannund Gerold Schmidt

Anmerkungen

1 In diesem Sinne, angesichts der Fiktion der Kohlenstoffaufnahmedurch die Natur und der Geiselnahme der Natur durch die Öko-nomie, bekräftigen deutlichere und kritischere Standpunkte derökologischen Ökonomie, dass dieses „Ziel der Reduzierung ...über eine wissenschaftlich-politische Debatte außerhalb des Mark-tes festgelegt werden (muss), und zwar in Bereichen faktischer undwissenschaftlicher Unsicherheiten und politischer Interessen. Eskann in einem ökologisch erweiterten Markt nicht um die Frageder exakten Internalisierung der Externa im Preissystem (was un-möglich ist, da es sich um zukünftige und unsichere Geschehnissehandelt) gehen.“ (Martínez-Alier/Roca 2000:459)

2 Die „win-win-Strategien“ des Mechanismus der sog. sauberenEntwicklung übersetzen sich vielfach in lose-lose-Projekte oder –Aktionen. Wie Martínez-Alier für Ecuador darstellt, hatte dieAnpflanzung von Eukalyptus und Kiefern auf 75.000 ha andinenBodens folgende Effekte: „... durch die Pflanzung von Kiefern inden Sümpfen, deren Böden viel organische Materie beinhalten,wird mehr Kohlenstoff frei, als die Bäume aufnehmen: Eine lose-lose-Lösung.“ (Martínez-Alier/Roca 2000: 461)

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„Wir verstehen, dass es um die Kontrolle von Territorien, der Biodiver-sität, des Wassers, des Erdöls, des Stroms, des Urans geht, und dass wirIndígenas ein Hindernis für die Ausbeutung, Industrialisierung, Bio-prospektion dieser Naturschätze sind. Wo bleiben unsere Rechte?“

Das Internationale Indigenen-Forum zu Biodiversität traf sichim Oktober 2001 in Bonn am Rande der Arbeitsgruppe zumThema Zugang und Vorteilsausgleich der Biodiversitätskonven-tion. Hier wurden die folgenden Prinzipien und Forderungenzum Ausdruck gebracht, welche die Positionen gegenüber denProzessen der ökonomisch-ökologischen Globalisierung be-legen:

„Unser kollektives Wissen ist keine Ware, die wie irgendein Objektauf dem Markt gehandelt werden kann. Unser Wissen über dieBiodiversität ist untrennbar mit unseren Identitäten, Gesetzen, Ein-richtungen, Wertesystemen und Kosmovisionen als indigene Völkerverbunden. Generationenlang waren und sind unsere Völker die Wäch-ter der Natur, von der wir alle abhängen. Darum fühlen wir uns denersten beiden Zielen der Konvention über Biodiversität, d.h. dem Erhaltund der nachhaltigen Nutzung der Biodiversität, vollständig verpflich-tet. Aber jede Diskussion über Zugang und Vorteilsausgleich muss diefundamentalen Rechte anerkennen, unser eigenes Wissen zu kontrol-lieren, vorherige und informierte Zustimmung zu Projekten zu ertei-len (prior informed consent) sowie unsere kollektiven und territoria-len Recht anerkennen.“

Sie beziehen Stellung gegen die herrschenden Aneignungs-mechanismen bezüglich des genetischen Reichtums und derungleichen Nutzenaufteilung aus den Ergebnissen der Biopro-spektions-Prozesse. Sie kritisieren die negativen Konsequenzenfür ihre Lebensstile und ihre kulturellen Werte. Und schließ-lich fügen sie ihren Widerstand gegen die Vermarktung derBiodiversität und die monopolistische Kontrolle ihrer Reich-tümer durch die geistigen Eigentumsrechte auf lebende Orga-nismen hinzu:

„Es ist wichtig, dass die Konvention ihre Ziele auf eine gleichgewich-tige Weise erfüllt. Es besorgt uns jedoch, dass derzeit über die geisti-gen Eigentumsrechte ein unverhältnismäßiger Nachdruck auf dievermarktbaren und ökonomischen Werte der Biodiversität gelegt wird– zum Nachteil ihrer Bewahrung und ihrer kulturellen und spirituel-len Werte. Die Privatisierung und Vermarktung unseres Wissens undunserer Naturressourcen haben das Potential, die politische, soziale,ökonomische und kulturelle Integrität unserer Völker zu zerstören.Für die indigenen Völker ist die gesetzliche Anerkennung der Rechteder Indigenen, insbesondere die Garantie für Land und Territorien,

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117Die Geopolitik der Biodiversität116 Enrique Leff

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119Biopiraterie und geistiges Eigentum118 Silvia Ribeiro

Silvia Ribeiro

Biopiraterie und geistiges Eigentum –Zur Privatisierung von gemeinschaftlichenBereichen1

Der Begriff „Biopiraterie“ wird in unterschiedlicher Weise in-terpretiert. Einige sehen darin schlicht den Vorgang desAnsammelns biologischen Materials ohne die „vorherige in-formierte Zustimmung“ der regionalen Gemeinden oder desLandes, in dem es gesammelt wird, und ohne die Bestimmungzum „Vorteilsausgleich“ (benefit sharing) zu respektieren, wiesie von der Biodiversitätskonvention (engl. CBD) der Verein-ten Nationen vorgegeben ist. Gemäß dieser legalistischen Per-spektive würde die Unterzeichnung eines Vertrages über„Bioprospektierung“ das Problem der Biopiraterie im legalenRahmen lösen, und die so genannten „Rechte“ über geistigesEigentum, in ihren zahlreichen Versionen, könnten ein nützli-ches Instrument sein, dass in dem Moment, in dem für dieUnternehmen Gewinne anfallen, sie einen Teil ihres ökonomi-schen Ertrages an die lokalen Gemeinden abführen müssten,die ihnen die Ressourcen und Kenntnisse vermittelten.

Für die großen transnationalen Unternehmen, welche dieBiotechnologie für Pharmazie und Landwirtschaft nutzen undHauptinteressenten und -empfänger der biologischen Ressour-cen sind, ist die Biopiraterie die nicht-autorisierte Nutzungoder Reproduktion ihrer patentierten Innovationen. Benutztbeispielsweise ein Landwirt bewusst oder unbewusst patentier-tes Saatgut ohne dafür eine Gebühr zu bezahlen, so ist diesaus Sicht der Unternehmen „Biopiraterie“. Dies war beispiels-weise der Fall als das Feld eines Landwirts durch den durchWind verbreiteten Blütenstaub von Feldern, die patentiertesSaatgut enthielten, verunreinigt worden war. Zur Absicherungihrer Rechte haben die Konzerne, zusätzlich zu Gesetzen undden direkten Verträgen mit den Landwirten, Detektivgruppengebildet, die durch die Felder in den Vereinigten Staaten oderKanada ziehen, um von dort Proben zur Überprüfung zuholen. Das Unternehmen Monsanto hat bereits mehr als 460Prozesse gegen Landwirte dieser Länder angestrengt. Im März2001 wurde ein kanadischer Landwirt zu mehr als 75.000 Dol-

lar Strafe wegen „Biopiraterie“ verurteilt, weil sein Feld mitvon Monsanto patentiertem transgenem Saatgut durchzogenwar, obwohl der Landwirt das nicht wusste und auch gar nichtwollte, und zudem der Meinung war, dass diese Kontaminati-on seinem Feld schade.2 Für den Fall, dass die Gerichte andersentscheiden würden oder die Gesetze über geistiges Eigentumnicht ausreichend wären, haben die in diesen Sektoren domi-nanten Firmen inzwischen mehr als 70 technologische Patenteentwickelt, damit ihre Saat in der zweiten Generation sterilbleibt. So haben sie „biologische Patente ohne Verfallsdatum“(die sog. Terminator-Technologien) etabliert, um so derBiopiraterie vorzubeugen.

Die Gruppe ETC (vorher RAFI) sieht, ebenso wie zahlrei-che andere Organisationen der Zivilgesellschaft, in derBiopiraterie die Aneignung genetischer Ressourcen und Kennt-nisse der indigenen Bevölkerung und lokalen Gemeinschaften,speziell aus Dritt-Welt-Ländern, von Seiten privater, zumeisttransnationaler Unternehmen, und/oder öffentlicher Institu-tionen, die generell aus dem Norden stammen. Die Biopiratennutzen verschiedene Mechanismen geistigen Eigentums, umfür sich die Nutzung von aus dem Süden stammenden materi-ellen und nicht-materiellen Ressourcen zu beanspruchen. DieBiopiraterie ist also weit davon entfernt nur eine Frage vonGesetzen und Regeln zu sein. Sie ist ebenso ein Thema dersozialen, wirtschaftlichen und politischen Gerechtigkeit undim wesentlichen eine Frage der Ethik. Im Grunde handelt essich um die Privatisierung von Ressourcen, die immer öffent-lich, kollektiv und zum Allgemeinwohl bestimmt waren, undnun dem Gewinn und Nutzen einer handvoll Unternehmenund Institutionen dienen. Selbst wenn ein Unternehmen odereine andere Institution einen Vertrag unterschrieben hat, derdie rechtskräftige nationale oder internationale Verfassung re-spektiert, und selbst wenn dieser Vertrag ein gewisses Mass anMitsprache oder Teilnahme der Gemeinschaften und/oderStaaten verbunden mit irgendeiner Form von „Gewinnvertei-lung“ enthält, so bleibt es doch Biopiraterie. Denn der Schutzund Vorrang der Rechte der indigenen Bevölkerung, der Land-wirte sowie der lokalen Gemeinden, die ja die Hauptakteure indiesem Prozess der Biodiversität sind, sind nicht nur völligunzureichend. In vielen Fällen werden ihnen sogar diese fun-

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121Biopiraterie und geistiges Eigentum120 Silvia Ribeiro

damentalen Rechte verweigert. So wird die Plünderung ge-rechtfertigt und die Basis für das ursprünglich gemeinsameErbe an Ressourcen der biologischen und kulturellen Vielfaltunterminiert.

Wem gehören die Ressourcen?

Im Zuge mehrerer tausend Jahre hat sich weltweit der Lebens-unterhalt der Menschen auf die Kenntnisse über die Umweltund die Anpassung, Verfügbarkeit und Schaffung von Res-sourcen gestützt. Ernährung, medizinische Versorgung, Klei-dung, Schutz, ästhetische Zwecke und anderes wurden inner-halb der verschiedenen lokalen Kulturen – von den Indigenen,Landwirten, Pfarrern, Fischern usw. – gewährleistet und da-durch der Allgemeinheit vermacht. Es war stets ein kollektiver,offener Prozess des freien Austauschs. Restriktionen bestandenbezüglich „heiliger“ oder ritueller Kenntnisse, aber selbst dawaren sie im Grunde kollektiv und öffentlich, da die Funktio-nen dieser spezialisierten Kenner (Schamanen, Heiler, etc.)dem sozialen Gefüge dienten. Dieser freie Fluss hat eine per-manente Anhäufung und Bereicherung der Kenntnisse undRessourcen erlaubt.

Die kulturelle und die biologische Vielfalt interagieren dy-namisch miteinander, so wie auch die landwirtschaftlich kulti-vierte Vielfalt mit der wildwachsenden in einem engen Verhält-nis steht, in dem sich all diese Faktoren gegenseitig stützen.Das erklärt den wichtigen Umstand, warum die Gebiete mitder größten biologischen Vielfalt auch die Gebiete mit dergrößten kulturellen Vielfalt sind. Dieser Prozess gehört nichtder Vergangenheit an, auch wenn er verstärkt durch genetischeund kulturelle Erosion bedroht ist. Es wird geschätzt, dass dieländliche Bevölkerung der Dritten Welt 90% ihrer Bedürfnissedurch die in ihrer Region befindlichen biologischen Vorkom-men abdeckt, und 60% der Weltbevölkerung essenziell vonSelbstversorgung abhängt sowie 80% von ihnen Heilpflanzenzur Gesundheitsversorgung nutzen.3

Zusätzlich zu diesem direkten Nutzen bilden diese Ressour-cen und das Wissen um ihre Nutzung auch die Basis, auf diesich historisch und aktuell die Forschung und wissenschaftli-che Entwicklung in der landwirtschaftlichen, pharmazeuti-

schen und tiermedizinischen Branche stützt, sei es zu öffentli-chen, kommerziellen oder industriellen Zwecken.

Historischer Nord-Süd-„Vorteilsausgleich“ unddie aktuelle Rekolonialisierung des Südens

Die traditionellen Heilmittel und die Kenntnisse der indigenenBevölkerung haben, außer ihrem eigentlichen Wert als solche(d.h. ihrem sog. intrinsischen Wert), inzwischen einen hohenkommerziellen Wert erlangt. Ungefähr drei Viertel der heuteweltweit verschriebenen Medikamente, die aus Pflanzen herge-stellt wurden, wurden zuerst von Indigenen genutzt. Das er-möglichte die spätere „Entdeckung“ durch Unternehmen undLabore der industrialisierten Länder. Nach Zahlenangaben von1996 erzielt die Pharmaindustrie global schätzungsweise 32Milliarden Dollar Gewinn jährlich auf Grund der Nutzungtraditioneller Heilmittel, die zu Medikamenten verarbeitetwerden. Zwischen 1950 und 1980 waren 25 Prozent der in derpharmazeutischen Industrie der USA hergestellten Medika-mente aus pflanzlichen Substanzen hergestellt. Heutzutagesind 40 Prozent der Medikamente in den USA auf der Basisvon natürlichen Produkten entstanden, und der geschätztewirtschaftliche Wert der aus Pflanzen hergestellten medizini-schen Produkte liegt allein in den Vereinigten Staaten beischätzungsweise 68 Milliarden Dollar jährlich.4 Daher ist esnicht verwunderlich, dass die Jäger der biologischen Reichtü-mer sich besonders in Zonen großer biologischer Diversitätfieberhaft um das „grüne Gold“ des Südens abmühen.5

Das Interesse für die Untersuchung natürlicher Produktewächst stetig – besonders im Hinblick auf potenzielle medizi-nische Substanzen. 1980 noch war in den für Forschungen derPharmaindustrie vorgesehenen Ausgaben in den USA nichtsfür die Untersuchung höherwertiger Pflanzen bestimmt. Heu-te werten weltweit mehr als 200 private Forschungsunter-nehmen tierische und pflanzliche Stoffe auf potenzielle me-dizinische Wirkstoffe aus. Dieses gestiegene Interesse basiertzum Teil auf der Entwicklung neuer Technologien, welche dieMöglichkeiten zur Analyse und eventuellen späteren Verwer-tung in Medikamenten oder anderen Marktprodukten revolu-tioniert haben. Diese Entwicklung wird jedoch ebenso begün-

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123Biopiraterie und geistiges Eigentum122 Silvia Ribeiro

stigt durch die Ausweitung geistiger Eigentumsrechte in ganzneue Bereiche – speziell bezogen auf Lebewesen und biologi-sche Prozesse.

Der vorsichtig geschätzte Beitrag, den der Fluss von geneti-schen Ressourcen im landwirtschaftlichen Sektor für nur vierArten (Mais, Weizen, Reis, Stangenbohnen) von Süd nachNord leistet, liegt unter Einbeziehung des größten internatio-nalen Netzes zur Landwirtschaftsforschung CGIAR (Consulta-tive Group on International Agricultural Research) bei jährli-chen 5 Milliarden US-Dollar. 1994 legte der damalige US-Außenminister Warren Christopher in einem Schreiben anden Senat dar, dass das ausländische Keimplasma einem jähr-lichen Beitrag von 10,2 Milliarden für Mais- und Soyakulturenin den Vereinigten Staaten entspricht. Das Schreiben sollteArgumente liefern, welche die USA zur Unterzeichnung derBiodiversitätskonvention bewegen sollen.6

Die mächtigen Konzerne aus dem Norden haben die biolo-gischen – und andere – Vorkommen geplündert, so wie siesich, seit Jahrhunderten und besonders seit der AusdehnungEuropas, die Kenntnisse der indigenen Bevölkerung des Sü-dens zu Nutze gemacht haben. Dieser „Kollateralschaden“führte zu einer erheblichen menschlichen, kulturellen undumweltbezogenen Verwüstung. Trotzdem begann vor unge-fähr zwei Jahrzehnten ein Prozess, den man als neue landwirt-schaftliche und industrielle Technologierevolution bezeichnenkann, die noch tiefgreifendere Auswirkungen auf die Entwick-lung natürlicher und kultureller Vielfalt hat. Zusammenge-nommen sind es drei Faktoren, die gemeinsam sine qua nondie Vorraussetzungen zur Biopiraterie darstellen:– die Patentierung und andere Formen geistigen Eigentums

über Lebewesen;– die Entwicklung neuer Biotechnologien und anderer Tech-

nologien;– das vertikale und horizontale Ansteigen wirtschaftlicher und

Unternehmens-Machtkonzentrationen.Das Zusammenspiel der Faktoren führt zu einem wahrenProzess der Rekolonialisierung des Südens. Zentral ist dabei:Die Ressourcen, welche die Eroberer damals mitnahmen, be-standen aus Quantitäten wie Silber oder landwirtschaftlicheProdukte. Heute können sie aus der Entfernung angeeignet

werden, ohne dass die neuen Biopiraten einen Fuß in denHerkunftsort der Ressourcen setzen müssen.

Die Modalitäten der Biopiraterie:Piraten und Korsaren

Es ist unmöglich, präzise Daten für den Beginn der Biopirateriein der Welt zu nennen. Versteht man darunter die Plünderunggenetischer Ressourcen, war sie schon seit vielen Jahren eineheimliche und illegale Aktivität und ist häufig einfach nichtals solche wahrgenommen worden. So hat zum Beispiel dieNutzung von Keimplasma aus dem Süden in der Landwirt-schaft vieler Länder des Nordens eine enorme wirtschaftlicheBedeutung, die jedoch weder anerkannt noch finanziell begli-chen wurde. Man kann trotzdem in den 80er Jahren einSchlüsselmoment in der sprunghaften Entwicklung neuer Bio-technologien (Gentechnik, Klonen, Züchtung von Gewebe,etc.) sowie in der Zustimmung zu den ersten Patenten aufLebewesen in den USA ausmachen. Beide Bedingungen – Tech-nologien und Gesetze zur Monopolisierung geistigen Eigen-tums – intensivierten die Aktivitäten der Bioprospektierungauf Seiten der Pharma- und Agrarindustrie, die versuchen neueProdukte zu entwickeln.

Die Informationen und erhaltenen Ressourcen sind dieBasis der biotechnologischen Forschungssysteme, um Entwick-lungen auf dem Gebiet der Landwirtschaft und Pharmakologievoranzubringen. Das führt zu einem Fusionsprozess (der jaschon seit der sog. Grünen Revolution im Gange ist) zwischenUnternehmen des landwirtschaftschemischen Bereichs, derSaatgutkonzerne und des pharmazeutischen Sektors sowie derTiermedizin und der Genforschung. Das Resultat bestätigtdas, was wir als „Gen-Giganten“ bezeichnet haben. Obwohldie Aktivitäten von Bioprospektierung und Biopiraterie in den80er Jahren stark zugenommen haben, widmeten sich dieUnternehmen zu Beginn der mehr oder weniger zufälligenSuche, auch ohne rechtlichen Anspruch. Sie sammelten aufder Suche nach aktiven unbekannten Substanzen Muster ausGebieten mit großer biologischer Vielfalt. Monsanto hat alseiner der fünf größten Gen-Giganten unter seinen Angestelltendiejenigen ausgewählt, die „an einen exotischen Ort reisen

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möchten und denen es nichts ausmacht, aus Liebe zur Wissen-schaft einige Muster aus dem Boden zu reißen“ mit dem Ziel,brauchbare Exemplare für die landwirtschaftlichen Prospektie-rungsprogramme des Unternehmens zu finden. „Man weiß niewas man findet, noch wo man es findet ... Alles liegt innerhalbdes Möglichen“, äußert sich diesbezüglich der Sprecher vonMonsanto, Margann Miller-Wideman.7

Andere Unternehmen beginnen damit, zunächst Kontaktemit der einheimischen Bevölkerung und traditionellen Ken-nern von Heilmitteln in Gebieten mit großer Biodiversitätherzustellen. Im Rahmen eines Vertrages bezahlen sie ihnendann eine lächerlich geringe Summe, damit sie die von ihnenals nützlich oder selten eingestuften Pflanzen, inklusive derBeschreibung der bekannten Nutzungsformen, sammeln undan die Unternehmen senden können.

Systematischer, jedoch genauso wenig legal, ist dieBiopiraterie, die historisch und aktuell in den botanischenGärten des Nordens vonstatten geht. Unter dem Vorwand derwissenschaftlichen Recherchen für Sammlungszwecke, die an-geblich zum Nutzen der Menschheit seien, gelangten Tausen-de Muster aus Lateinamerika und dem übrigen Süden in dieLabore der multinationalen Konzerne. In vielen Fällen wurdendie Muster zu kommerziellen Zwecken Teil des Repertoiresdieser Labore, die sich die daraus gewonnenen Inhaltstoffepatentieren ließen. Einige botanische Gärten, darunter derMissouri Botanical Garden, der New York Botanical Gardensowie der Kew Royal Botanical Garden in London, kollabo-rierten offenkundig mit den Konzernen. Es gibt Verträge zwi-schen ihnen und den Konzernen Pfizer, Merck, Phytera, Searle(heute Monsanto und Pharmacia), Shaman Pharma (heuteBristol Myers Squibb), Dow Elanco Agrosciences und ande-ren, die den Konzernen die Versorgung mit Exemplaren fürdie Bioprospektierung zusichern.8

Geistiges Eigentum, Souveränität undder Diskurs über die Gewinnverteilung

Das erneute Interesse der Unternehmen für genetische Res-sourcen und Wissen der indigenen Bevölkerung im Süden hatdurch Ausweitung ihrer Aktivitäten im Bereich der Biopro-

spektierung dazu geführt, dass sie natürlich auch nach Formengesucht haben, sich vorrangige Monopolrechte auf ihre Akti-vitäten und Resultate zu sichern. Zum einen hat das denZweck, sich vor der Forschungsaktivität der konkurrierendenUnternehmen zu schützen, zum anderen den, sich gegen mög-lichen Protest von betroffenen Gruppen, anderen Institutio-nen und auch des Staates abzusichern. Eine der bedeutend-sten Maßnahmen dafür ist die systematische Intrige von Sei-ten der durch US-amerikanische Pharmakonzerne angeführteninternationalen pharmazeutischen Industrie zur weltweitenEinrichtung des Rechts auf geistiges Eigentum von Lebewesen.

Es ist eine bekannte Tatsache, dass diese Gruppe den erstenEntwurf des Kapitels über geistiges Eigentum des damaligenHandelsabkommens GATT – der aktuell weitergefassten Welt-handelsorganisation WTO – verfasste und erreichte, dass dasThema in der sog. Uruguay-Runde besprochen wurde. DasResultat war die Einbeziehung des TRIPS-Abkommens (han-delsbezogene Aspekte geistiger Eigentumsrechte), dessen Arti-kel 27.3(b) besagt, dass alle Mitglieder der WTO Patentsystemefür Mikroorganismen und mikrobiologische Prozesse anneh-men müssen. Außerdem müssen sie Systeme des geistigen Eigen-tums für Pflanzensorten erstellen, mit Hilfe von Patenten odersog. sui generis-Systemen, d.h. eigenständig entwickelten Rechts-systemen. Diese letzte Klausel wird von der Mehrheit der Regie-rungen als Sicherung des Schutzes von Pflanzenvarietäten in-terpretiert im Sinne der Konvention UPOV (Union Internatio-nale pour la Protection des Obtentions Végétales; Union zumSchutz neuer Pflanzenvarietäten). Formell sind das zwar keinePatente, sie haben aber tatsächlich durch die seit 1991 gültigenUPOV-Normen einen ähnlichen Effekt. Dem TRIPS-Abkom-men wurde 1994 zugestimmt und man gab den südlichenLändern einen Zeitraum von 4-10 Jahren zur Umsetzung.

Obwohl die Einführung geistiger Eigentumsrechte einmächtiges Instrument ist, das von den meisten Ländern be-reits implementiert wurde, ergeben sich einige Probleme: Diegroße Mehrheit der südlichen Länder akzeptierte das Abkom-men als Teil eines Verhandlungspaketes mit dem Bewusstsein,dass es ihnen wenig Nutzen bringen würde. Die Zustimmungerfolgte meist im Tausch gegen andere, ihnen Nutzen bringen-de ausgehandelte Aspekte – doch wie so oft hat sich diese

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Erwartung nicht erfüllt. Es existieren sogar Gutachten derUnited Nations Conference on Trade and Development(UNCTAD), die vor den Patentsystemen für den Süden war-nen. Seitdem breitet sich der bis heute sehr vehemente Protestvieler zivilgesellschaftlicher Organisationen gegen das TRIPS-Abkommen aus. Trotzdem bleibt es das international mäch-tigste „legale“ Instrument zur Einrichtung von Regelwerkenüber geistiges Eigentum, obwohl es auf vielen Ebenen an Legi-timität mangelt.

Deswegen spielen seither andere internationale Bestimmun-gen, die zur selben Zeit ausgehandelt wurden, jedoch wenigernegativ eingeschätzt werden, eine zentrale Rolle in der Legiti-mierung der Biopiraterie. Gerade in diesem Kontext kommtder Konvention über biologische Vielfalt (CBD) eine entschei-dende Rolle zu. Sie ist seit ihrem Inkrafttreten 1993 von 180Ländern ratifiziert worden. Ihre Ziele sind die Erhaltung derbiologischen Vielfalt, der nachhaltige Nutzen ihrer Kompo-nenten, und die gerechte Teilhabe an den durch sie erlangtenErträgen, einschließlich des Transfers der einschlägigen Tech-nologien, „unter Berücksichtigung aller Rechte über diese Vor-kommen und Technologien“. Die CBD wird von den USAanscheinend als genügend „gefährlich“ eingestuft, um zwarvon der Regierung nach langem hin und her unterschrieben,aber nie vom Parlament ratifiziert worden zu sein.

Zu den signifikantesten Bestimmungen hinsichtlich des hierbehandelten Themas gehören jene, welche die Souveränitätder Staaten über ihre genetischen Ressourchen festschreiben,gleichzeitig die Staaten verpflichten, dass sie einen „adäquatenZugang“ zu diesen sicherstellen müssen (Artikel 15). Der Arti-kel 8(j) besagt, dass die Staaten, „soweit möglich und sofernangebracht“, und gemäß der nationalen Gesetzgebung

„Kenntnisse, Innovationen und Gebräuche eingeborener und ortsan-sässiger Gemeinschaften mit traditionellen Lebensformen, die für dieErhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt vonBelang sind, achten, bewahren und erhalten, ihre breitere Anwendungmit Billigung und unter Beteiligung der Träger dieser Kenntnisse,Innovationen und Gebräuche begünstigen und die gerechte Teilungder aus der Nutzung dieser Kenntnisse, Innovationen und Gebräucheentstehenden Vorteile fördern;“

Die Tatsache, dass die Staaten „souverän“ über die auf ihremTerritorium befindlichen genetischen Ressourcen sind, wird

als Erfolg für die Dritt-Welt-Länder dargestellt, so als wäre dieseine gerechte Forderung. Paradoxerweise kann jedoch aus zweiGründen das Gegenteil daraus resultieren.

Der erste besteht darin, dass im Zuge der früheren Reisender Eroberer, Wissenschaftler und anderer, etwa aus botani-schen Gärten, der Großteil der genetischen Materialien ex-situgebracht wurde, also in Sammlungen außerhalb ihrerUrsprungsorte. Sie befinden sich in Institutionen der Länderdes Nordens, in genetischen Forschungslaboren für landwirt-schaftliche Zwecke, in botanischen Gärten, Aquarien, Zoosund mikrobiologischen Sammlungen. Indem die CBD dieSouveränität der Länder über die genetischen Vorkommen aufihrem Territorium erklärt (auch der nördlichen Länder), blie-ben automatisch die aus dem Süden stammenden Materialien,die vor der Ratifizierung durch das jeweilige Land angesam-melt wurden, außerhalb der Kontrollen und können so vonden Ländern des Nordens, die sie auf ihrem Territorium hat-ten, verkauft, patentiert usw. werden. Das ist entscheidend,denn 83 Prozent der biologischen Vielfalt, die man als in-situeinstuft, befinden sich in Afrika, Asien und Lateinamerika,während 75 Prozent der Vorkommen und Technologien ex-situ bereits in den Ländern des Nordens sind. Und das istnicht etwa die Folge dessen, dass die Länder des Nordens ihreeigenen Vorkommen katalogisiert und gesammelt hätten, son-dern die große Mehrheit dieser Ressourcen stammt eben ausden Ländern des Südens und wurde vor Inkrafttreten der CBDangesammelt.9

Ein zweiter, ebenso relevanter Grund ist, dass die Staatennun die Souveränitätsrechte auf die Vorkommen erhalten, dieeinst von der indigenen Bevölkerung, bäuerlichen Gemeinden,FischerInnen und anderen gehütet, genutzt und entwickeltwurden. Dieselben Staaten stellten jedoch schon immer dielegalen und bisweilen kriegerischen Instrumente dar, um dieGemeinschaften und indigenen Völker auf ihrem Land undTerritorium ihrer kulturellen, wirtschaftlichen und sozialenRechte zu berauben. Zudem stimmt die Staatenaufteilung nichtimmer mit der geografischen Verortung der indigenen Völkerüberein. (Es können bspw. mehrere Ethnien in einem Staatleben oder sich auf andere Staaten ausdehnen.) Das bedeutet,dass sich ein Staat das Recht nimmt, Ressourcen und Kennt-

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nisse zu kommerzialisieren, die eigentlich Teil des Erbes einerbestimmten Ethnie sind, die sich eventuell sogar auf mehrereStaaten ausdehnt.

Somit werden die indigenen Völker, auch wenn der Artikel8(j) ihnen offensichtlich die entscheidende Mitwirkung unddas Recht über die Ressourcen und Kenntnisse zuerkennt,unter die nationale Gesetzgebung eingeordnet. Sie werdendann unter den Namen „Gemeinschaft“ (community) einge-stuft, anstatt unter dem Begriff „Volk“ (people), mit dem dieIndigenen sich selbst einordnen. Das ist entscheidend, da eineoder mehrere Gemeinschaften nun als Partner bei Bioprospek-tierungsverträgen auftreten oder Zugang anderer Art zu denRessourcen gewährleisten können, die nicht nur ihnen gehö-ren, sondern Teil des kollektiven Kulturguts der indigenenVölker sind, die, sich eben auf viele andere Gebiete und Län-der erstrecken können.

In diesem Zusammenhang werden die Zugangsgesetze, diein den aktuell immer öffentlicheren Debatten über dieBiopiraterie diskutiert werden, nun als Allheilmittel gegen den„Raubbau“ stilisiert. In Wirklichkeit ergänzen sie die Reihe anRegulierungen, welche die Unternehmen benötigen, um „le-gal“ ihre Plünderungsaktivität und die Privatisierung der kol-lektiven und öffentlichen Ressourcen fortzuführen. Es sei nurerwähnt, dass kein einziges Land aus dem Norden über Zu-gangsgesetze zu ihren genetischen Ressourcen diskutiert. DieGesetzesvorschläge dieser Art beziehen sich ausschließlich aufdie kulturell und biologisch vielfältigeren Länder, nämlichjene des Südens.

Seit den 90er Jahren wurden die sogenannten Bioprospek-tierungsverträge abgeschlossen, die vorgeblich die Richtliniender Biodiversitätskonvention erfüllen. Einige multinationaleUnternehmen integrierten die Konzepte der Anfrage, des lega-len Zugangs und „Vorteilsausgleichs“. Unter den frühestenbekanntesten Vereinbarungen (vor Inkrafttreten der CBD, aberschon während der Diskussionsphase darüber) war die derFirma Merck mit dem Instituto Nacional de Biodiversidad(INBio). INBio ist eine private Firma aus Costa Rica, die sichverpflichtete 10.000 Pflanzenmuster aus diesem Land zu lie-fern, gegen einen Ausgleich von 1,135 Million Dollar, einigenGerätschaften, Fortbildungen und der Zahlung eines Prozent-

satzes an Einnahmen (die Höhe ist vertraulich), falls sich ir-gendein pharmazeutisches Produkt aus den gelieferten Pflan-zen herstellen ließe.

Der Vertrag, den die US-Firma Shaman Pharmaceuticalsmit einem indigenen Volk aus dem Amazonischen Urwaldabschloss, galt ebenfalls als „innovativ“. Es wurden den Indige-nen infrastrukturelle Verbesserungen sowie zukünftige Geldzu-wendungen versprochen im Tausch gegen die Aushändigungvon Pflanzen, inklusive der Kenntnisse über deren Nutzung.In beiden Fällen geschah dies mit der Zustimmung der Regie-rungen der darin verwickelten Länder.

Das nehmen die anderen multinationalen Konzerne zumBeispiel und beginnen, ähnliche Schemata zur Einbeziehungindigener Gemeinschaften und/oder Forschungszentren undUniversitäten anzuwenden und bieten als Gegenleistung eben-falls einen „Vorteilsausgleich“. Das sichert ihnen einen effizi-enteren Erhalt von Daten, Kenntnissen und Pflanzenmustern,Mikroorganismen, Insekten usw., die sie unter anderen Um-ständen nicht nur viel mehr gekostet hätten, sondern die sievielleicht auch nie bekommen hätten. Zusätzlich erhalten siestaatliche Rückendeckung aus den Ländern, in denen sie der-artige Verträge machen.

Das Schema der Plünderung von Substanzen bleibt stetsdasselbe, deswegen sollte man jene Bioprospektoren anstattPiraten doch besser Korsaren nennen. Zur Zeit der Piraterieerteilte die englische Krone denen die Erlaubnis zur Plünde-rung anderer Schiffe, die sich bereit erklärten, das für dieKrone zu tun. Man nannte sie Korsaren, obwohl sie dasselbetaten wie Piraten, jedoch eine Erlaubnis der Autoritäten dafürhatten, denen sie im Gegenzug Rechenschaft über ihre erbeu-teten Werte ablegen mussten. So wurde der berühmte PiratDrake zu Sir Francis Drake und somit zu einer „respektablen“Persönlichkeit.

Die raffinierteste Form, diese Art „legale“ Abmachungen zuerleichtern, stellt die International Cooperative BiodiversityGroup (ICBG) dar. Die Programme der ICBG werden voneinem Konsortium bundesstaatlicher Agenturen der USA ge-leitet, welche die nationalen Gesundheitsämter, die NationaleWissenschaftsstiftung und das Landwirtschaftsministerium ein-schließen. Diese Gruppe leistet Geldzuwendungen an öffentli-

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che und private Forschungsinstitutionen, die Bioprospektie-rungsprojekte in Ländern des Süden betreiben. Nach eigenerDarstellung der ICBG besteht das Ziel darin, Entdeckungenvon pharmazeutisch nutzbaren Substanzen, die aus natürli-chen Ressourcen hergestellt werden, sowie den Erhalt der bio-logischen Vielfalt und das nachhaltige Wirtschaftswachstumder Entwicklungsländer zu fördern. Zudem haben sie eineReihe von Richtlinien erlassen über die Notwendigkeit, dieZustimmung der lokalen Gemeinden und Autoritäten zum„gerechten Vorteilsausgleich“ zu etablieren.10

Zur typischen Struktur des ICBG gehört, dass dieEmpfängergruppen der Zuwendungen bestehen aus: a) Univer-sitäten und/oder botanischen Gärten, die stets Koordinatorender Projekte sind und alle Informationen und Materialienüber das Projekt erhalten; b) Universitäten oder Forschungs-zentren des Landes, in dem die Bioprospektierung vorgenom-men wird; c) in einigen Fällen internationale Nichtregierungs-organisationen (WWF und Conservation International, denenFälle von Biopiraterie in verschiedenen Ländern vorgeworfenwerden), sowie ein kommerzieller Teilhaber, der meistens einmultinationaler Pharmazie- und Agrarkonzern ist. Glaxo-Wellcome, Bristol Myers Squibb, Shaman Pharmaceuticals,Dow Elanco Agrosciences, Wyeth-Ayerst, American Cynamid,sowie Monsanto haben bereits an ICBG-Projekten teilgenom-men.

Die generelle Vorgehensweise der Projekte bestand darin,über ein nationales Forschungsinstitut oder eine internationa-le Naturschutz-NGO die indigenen Bevölkerungsgruppen vorOrt zu integrieren. Diese steuerten dann ihre Kenntnisse beiund erleichterten die Sammlung von pflanzlichen Mustern.Den Indigenen wurden zukünftige Entschädigungen verspro-chen, eine bescheidene sofortige Vergütung und in einigenFällen wurde ihnen angeboten, Patentinhaber zu werden, umdann die Patente an Dritte veräußern zu können. Das ist eineder negativsten Auswirkungen, da hiermit Elemente eingeführtwerden, die der indigenen Kultur fremd und schädlich sind.

So subventioniert die ICBG mit öffentlichen Geldern mul-tinationale Firmen mit der altruistischen Rhetorik, Medika-mente für die ganze Menschheit zu suchen und zum Erhaltder indigenen Kultur beizutragen. Die erlangten Resultate sind

um einiges billiger als das, was die Nationalen Gesundheits-oder Krebsforschungsinstitute vorher für von ihnen selbstdurchgeführte „Bioprospektierung“ ausgegeben haben. DieResultate kommen der Forschung zugute und der größte Teildes wirtschaftlichen Gewinns bleibt bei den Unternehmen, diean solchen Projekten teilnehmen.11

Der Unternehmens-Kontext

Die genetischen Ressourcen und das dazu gehörige Wissensind der fundamentale Rohstoff der Gesundheits- undLebensmittelindustrie, und es ist von Bedeutung wer dieseMärkte dominiert. Nachforschungen der ETC-Gruppe überverfügbare Angaben für 2001 verdeutlichen folgendes:12

– die 10 größten Pharmakonzerne kontrollieren ungefähr 48%des Weltmarktes, der 317 Milliarden US-Dollar ausmacht;

– die 10 größten Pharmakonzerne für Tiermedizin kontrollie-ren 60% dieses Weltmarktes, der 13,6 Milliarden US-Dollarentspricht;

– die 10 größten Saatgutkonzerne kontrollieren 30% des kom-merziellen Marktwertes für Saatgut, was 24 Milliarden US-Dollar entspricht;

– das transgene Saatgut nur einer einzigen Firma (Monsanto,heute im Besitz von Pharmacia) wurde in 94% der mittransgenem Saatgut bestellten Felder im Jahr 2000 benutzt;

– die 10 größten agrochemischen Unternehmen kontrollie-ren 84% des Marktwertes an landwirtschaftlichen Chemika-lien, deren Weltmarktumfang 30 Milliarden US-Dollar ent-spricht;

– die 32 größten Supermarktketten kontrollieren 34% desWeltmarkts allein für Nahrungsmittel, der einem geschätz-ten Wert von 2,8 Billionen US-Dollar entspricht. 10 vondiesen 32 Ketten kontrollieren 54% des gesamten Verkaufsvon 513,7 Milliarden.

Zentral ist, dass die Hauptunternehmen jeder Branche gleich-zeitig noch an mehreren anderen Unternehmen aus anderenBranchen beteiligt sind, was veritable „Gen-Giganten“ entste-hen lässt. Die Zahlen im folgenden Schaubild verdeutlichendie Stellung der Hauptkonzerne des jeweiligen Sektors imWeltvergleich.

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Motors beispielsweise wirtschaftlich stärker als Dänemark, Wal-Mart stärker als Norwegen und General Electric stärker alsPortugal sind. Die Unternehmen nutzen ihre wirtschaftlicheMacht, um ebenfalls enorme politische Macht auszuüben.Während sich die Regierungen so zu Gehilfen der Unterneh-men machen anstatt den Bürgern zu dienen, wird die Demo-kratie und die Bedeutung der nationalen und internationalenGesetzgebung in ihren Grundprinzipien ausgehöhlt.

Einige Schlussfolgerungen

Die Biopiraterie stellt mit ihren unterschiedlichen Mechanis-men nicht einfach nur den Raub von vormals öffentlichenund kollektiven Ressourcen dar und privatisiert sie mittels derSysteme geistigen Eigentums. Die Biopiraterie schafft auchWettbewerb und Konflikte zwischen lokalen Gemeinden undden Dritt-Welt-Ländern, die diese Ressourcen haben. Zudemuntergräbt sie grundlegende kulturelle Elemente der indigenenBevölkerung und der ländlichen Gemeinden, indem siemarktförmige und privatwirtschaftliche Systeme gegen Groß-zügigkeit und freien Austausch einführt, wobei letztere ja gera-de die historische Basis der kulturellen und biologischen Viel-falt bilden. Die Erfahrung zeigt außerdem, dass die Vereinba-rungen über „Vorteilsausgleich“, abgesehen davon, dass sieinsgesamt falsch sind, nicht eingehalten werden. Das geschiehtweder im Hinblick auf die gesetzten Ansprüche, noch kanneffektiv kontrolliert werden, wie die Unternehmen oder Insti-tutionen, welche die Verträge über die von ihnen erhaltenenRessourcen unterschreiben, diese letztendlich nutzen.

Außerdem forschen diese Unternehmen auch nicht „zumVorteil der Menschheit“, da ja die Systeme über geistiges Eigen-tum Forschung eher unterbinden, anstatt sie zu fördern. Eswird im Grunde nur zu kommerziellen Zwecken geforscht, aufder Suche nach rentablen Produkten für die Unternehmen –nicht für diejenigen, die sie benötigen, sondern für jene, die siebezahlen können. In diesem aktuellen Kontext von Unterneh-mensmacht und der Privatisierung von Forschung und Genban-ken gibt auch die öffentliche Forschung ihre Ergebnisse zuneh-mend an den privaten Sektor, sei es direkt oder auf Grund ihrerMarktdominanz. Die Regierungen der südlichen Länder schei-

Einordnung der Verkaufszahlen des Jahres 2000 nach Sektoren in US-Dollar Gen-Gigant Agrarchemie Saatgut Pharmazie SYNGENTA (Novartis+Astra Zeneca)

# 1 # 3 #4 Astra Zeneca #7 Novartis

PHARMACIA (incl. Monsanto)

# 2 # 2 # 8

AVENTIS # 3 (zum Verkauf)

# 10 # 5

BASF # 4 keine Angaben

Verkauf der Pharmaabteilung für 6,9 Mrd. US-Dollar

DUPONT # 5 # 1 Verkauf der Pharmaabteilung für 7,8 Mrd. US-Dollar im August 2001

BAYER # 6 keine Angaben

# 18 (zum Verkauf)

DOW # 7 # 7 keine Angaben

Quelle: ETC-Gruppe

In den letzten zehn Jahren ließ sich eine erstaunliche Konzen-tration der Unternehmensmacht feststellen, die sich praktischüber alle Sektoren der globalen Wirtschaft erstreckte. Der welt-weite Wert der jährlichen Fusionen und Unternehmensauf-käufe vergrößerte sich von 462 Milliarden US-Dollar 1990 aufmehr als 3.5 Billionen US-Dollar im Jahre 2000.13 Im letztenJahr waren 35 Prozent der gesamten Fusion und Aufkäufe dieStaatsgrenzen überschreitend. Der globale Wert der Fusionenund Aufkäufe im Jahre 2000 (3.5 Billionen US-Dollar) machte12 Prozent des Wachstums der Weltwirtschaft aus. Schätzungs-weise sind 97 Prozent der Patente im Besitz von OECD-Ländern, und die globalen Konzerne besitzen 90 Prozent dergesamten Technologie und der patentierten Produkte.14

Eine von Sarah Anderson und John Cavanagh vom Institu-te for Policy Studies (Washington) durchgeführte Studie zeigt,dass von den 100 größten Wirtschaftsbereichen 51 Unterneh-men und 49 Länder sind.15 Ein Vergleich der Unternehmens-umsätze und der Bruttoinlandsprodukte zeigt, dass General

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135Biopiraterie und geistiges Eigentum134 Silvia Ribeiro

nen zu glauben, dass sie mit der Übernahme von Regelwerkenüber geistiges Eigentum und Patenten, so wie es die WTO unddie Unternehmen fordern, mehr Auslandsinvestitionen anziehenund damit den Technologietransfer fördern, technologische In-novationen voranbringen und so auch die nationale Forschung.

Keine dieser Erwartungen erfüllt sich. Nach neuen For-schungen hat die Implementierung der international geforder-ten Richtlinien über geistiges Eigentum keine Auswirkungenauf die Auslandsinvestitionen oder bewirken sogar das Gegen-teil.16 Die Globalisierung und Harmonisierung der Patent-systeme nützt vor allem den Unternehmen, die ihre Markt-monopole auf weitere Länder ausdehnen und somit möglicheKonkurrenten besser ausschließen können. Die ausländischenInvestitionen können sich sogar verringern, da ja die Unter-nehmen dazu berechtigt sind, ihre Technologien und Produk-te auf neuen Märkten zu schützen, ohne dass damit ein Trans-fer in das betreffende Land einherginge oder neue Arbeitsplät-ze geschaffen würden. In einigen Fällen, wie beispielsweise inArgentinien oder Brasilien, brachen in den 90er Jahren zahlrei-che Forschungs- und nationale Entwicklungsprojekte ebensoweg wie Versuche, bestimmte Prozesse den lokalen Gegeben-heiten anzupassen. Der Erwerb nationaler Unternehmen vonSeiten der multinationaler Konzerne (die natürlich als Aus-landsinvestition zählen) bedeutete eine Verlegung der hoch-entwickelten Forschungen in ihre Stammhäuser der nördli-chen Länder. So werden in den südlichen Ländern wenigerausgereifte Prozesse zurückgelassen, was sich negativ auf dienationale Forschung und den Technologietransfer auswirkt.17

Der Fall der agrar-biotechnologischen Forschung ist beson-ders illustrativ, weil diese besonders intensiv ist. Diese Art derForschung wird entweder komplett von den Unternehmenbetrieben ohne jeglichen Technologietransfer ins Land. Odersie wird durch eine öffentliche Institution der südlichen Län-der durchgeführt, die dann wiederum von einem Großkon-zern finanziert wird, der dann von den Resultaten profitiert.Auch in diesem Fall findet kein relevanter Technologietransferstatt, sondern es wird lediglich das Notwendigste an Techno-logie transferiert, mit dem dann beispielsweise Feldversuchezur Anpassung genetisch veränderter Pflanzen an die Verhält-nisse dieses Gebietes gewöhnten Sorten durchgeführt werden.

Das geistige Eigentum wirkt dementsprechend, da es ja diemultinationalen Unternehmen selbst sind, die sich vor allemum die Schutzrechte kümmern und sie auch erhalten. DieRegelungen zu geistigem Eigentum sind per se ungerecht undunterwandern zum Beispiel die Prinzipien der AllgemeinenErklärung der Menschenrechte. Der dortige Artikel 27 besagt:„Jeder Mensch hat ein Recht auf freie Teilhabe am kulturellenLeben der Gemeinschaft, auf den Genuss der Künste und aufdie Teilhabe am wissenschaftlichen Fortschritt und an denNutzen, die daraus entstehen.“

Der Schutz und die nachhaltige Nutzung der biologischenVielfalt sowie der „ausgewogenen und gerechten Aufteilung dersich aus der Nutzung der genetischen Ressourcen ergebendenVorteile“ (so die Ziele der CBD, Artikel 1) bestünde unteranderem darin, überhaupt keine Form von geistigem Eigentumüber Lebewesen und Technologien zuzulassen. Dafür müsstender indigenen Bevölkerung, den BäuerInnen, vom Fischfangoder in Wäldern lebender Bevölkerung effektiv und umfassendihre Rechte zugesprochen werden – d.h. die wirtschaftlichen,sozialen, politischen und kulturellen Rechte inklusive desRechts auf Land und Territorium. Solange all das nicht verwirk-licht ist, bleibt jegliche Bioprospektierung Biopiraterie.

Aus dem Spanischen von Sandra Liebig

Anmerkungen

1 Dieser Artikel ist, auch wenn er in der endgültigen Version vonder Autorin geschrieben wurde, welche die Verantwortung fürden Inhalt übernimmt, ein wesentliches Produkt der Forschungs-arbeit der Gruppe ETC (Erosion, Technology and ConcentrationGroup), vormals RAFI (Rural Advancement Foundation Interna-tional). Für Informationen zum Thema und über die GruppeETC: http://www.etcgroup.org. Spezieller Dank für die Beiträgevon Julie Delahanty, Hope Shand und Pat Mooney. Teile derverwendeten Konzepte entstammen dem Dokument „La bio-piratería en México: la punta del iceberg“, koordiniert vonAndrés Barreda und der Gruppe CASIFOP, denen ich ebenfallsfür ihre Unterstützung und Zusammenarbeit danke.

2 Für weitere Informationen über diesen Fall: „Monsanto contralos agricultores: el caso Percy Schmeiser“, Comunicado del 5/4/2001, RAFI, Grupo ETC, http://www.etcgroup.org

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3 Alvaro Febles, Nelson/ GRAIN (2000) La diversidad biológica ycultural: ríz de la vida rural. Vollständige Dokumente unterhttp://www.biodiversidadla.org/documentos

4 Shand, Hope (1997) Human Nature: Agricultural Biodiversityand Farm-based food security. S.13, Rom, Italien: FAO

5 Daten aus „Galería de la vergüenza de los bioprospektores ... oadivine quién viene a piratear sus plantas! Bilateralismo vs.Multilateralismo“ RAFI Communique, novembre, 1994

6 RAFI (1994) Declaring the benefits: The North’s annual profitfrom International Agricultural Research, Occasional PaperSeries. Vol.1, no.3, Winnipeg, Canada. Ebenso The benefits ofBiodiversity. 100 examples of the contribution by Indigenousand Rural Communities in the South to the Development in theNorth. Occasional Paper Series. Vol.1. No, 1994. Im Internetunter http://www.etcgroup.org

7 Heine, Kathy, „Tesoro en la selva“, Monsanto magazine, Nr.1,April, S. 22

8 „Empresas farmacéuticas hacen ofertas por las collecciones delos Jardines Botánicos del norte en un intento de eludir laConvención de Biodiversidad ‘’, RAFI Communique, Juli, 1996

9 Siehe „The geopolitics of Biodiversity: a biodiversity balance sheet“,Rafi Communique, Jan./Feb. 1996, http://www.etcgroup.org

10 Weitere Informationen über das Programm unter http://www.nih.gov./fic/opportunities/icbg.htm

11 RAFI/Grupo ETC hat Nachforschungen angestellt und verschie-dene Berichte über ICBG-Projekte und den Widerstand dagegenvon lokalen Organisation aus Mexiko, Peru und anderen Ländernveröffentlicht. Zudem können diverse Meldungen über die ICBGMaya in Chiapas in den jährlichen Ausgaben von „Biopiracy Up-date, ab 1994, unter http://www.etcgroup.org eingesehen werden.

12 Siehe „Globalización S.A.“, ETC Group Communique #71, Juli/August 2001, http://www.etcgroup.org

13 Thomson Financial Services, „M&A in 2000: Fast start ... fadingfinale“, 3, Januar 2001. www.tfsd.com

14 Informe de Desarollo Humano PNUD 2000, S. 8415 Anderson, S.Y J. Cavanagh Top 200, The Rise of Corporate

Global Power, Institute for Policy Studies, 4, Dezember 200016 Kumar, Nagesh (1996) „Foreign Direct Investment and

Technology Transfer in Development: a perspective on recentliterature“, United Nations University

17 Nadal, Alejandro (1999) World Investment Report Flawed onmany fronts, South-North Development Monitor, Nummer4517. Genf, Schweiz

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137Biodiversitäts-Politik und lokale Gegenmacht

Silvia Rodríguez Cervantes

Biodiversitäts-Politik und lokaleGegenmacht – Das Beispiel Costa Rica

Zwei Konzepte dominierten die ökonomisch-ökologische Dis-kussion darüber, wie das in den sogenannten Ländern desSüdens seit den 60er Jahren praktizierte und letztlich geschei-terte orthodoxe Wachstumsmodell umorientiert werden könn-te – und zwar insbesondere in seiner ökologischen Dimensi-on. Der erste Ansatz war jener des „Naturschutzes“, dessenGrundlagen in den 70er Jahren gelegt wurde. In den 80ernwurde nach und nach unter Schirmherrschaft der Internatio-nal Union for the Conservation of Nature (IUCN) und desWorld Wide Fund for Nature (WWF) die „globale Strategienachhaltiger Entwicklung“ ausgearbeitet. Der Terminus wurdespäter von der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung,der sog. Brundtland-Kommission, mit derem Buch „Unseregemeinsame Zukunft“ (dt. Hauff 1987) popularisiert. Konkre-tisiert wurde das neue Leitbild nachhaltiger Entwicklung unteranderem in der seit 1989 verhandelten und 1992 in Rio deJaneiro unterzeichneten Konvention über biologische Vielfalt(CBD). In dieser internationalen Übereinkunft werden die dreiDimensionen der nachhaltigen Entwicklung bestätigt: die öko-nomische, die ökologische und die soziale. Insbesondere dasdort verankerte Prinzip des „ausgewogenen und gerechten Vor-teilsausgleichs“ (fair and equitable benefit sharing) der sich ausder Nutzung der biologischen Vielfalt ergebenden Vorteile warein viel beachteter Fortschritt.

Im Grunde wurde damit zweierlei versucht: Zum einen denan Biodiversität reichen Ländern, und hier speziell den indigenenVölkern und den ländlichen Gemeinschaften, das Recht zuzu-schreiben, im Austausch für ihre biologischen Ressourcen unddie damit zusammenhängenden Kenntnisse, eine ökonomischeVergütung (was nicht unbedingt Geld bedeutet) und „moderne“Technologien zu erhalten. Zum anderen sollte damit ihrenKulturen und Weltbildern Respekt entgegen gebracht werden.

Parallel dazu wurde zur gleichen Zeit ein drittes Konzeptgeprägt, das der Concientización (dt. etwa: Bewusstsein schaf-fen). Der Ursprung dieses Konzepts hat allerdings wenig mitden Diskussionen internationaler Organisationen zu tun. Es

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cen in situ und einige Schlußfolgerungen aus der in den Jah-ren 1985 bis 1991 geleisteten Arbeit mit den in einer bestimm-ten Region in Costa Rica lebenden Gemeinden. Der zweiteTeil ist eine kurze Zusammenfassung der seit 1995 geleistetenArbeit, damit die indigene Bevölkerung und die lokalen Ge-meinden die sie betreffenden Rechte und Pflichten in derKonvention über biologische Vielfalt und dem Biodiversitäts-gesetz in Costa Rica kennenlernen und diskutieren; das heißt,eine Arbeit der Concientización und des legalen Empower-ment in diesem Bereich. Als letztes werde ich – basierend aufdiesen Erfahrungen – die oben aufgeführte zentrale Frage be-antworten.

Technokratische Ansätze im Naturschutz

Costa Rica gab auf die Verheißung der modernen Biotechno-logie als ein Mittel zur Erhaltung der Biodiversität in situ mitder Einrichtung von Naturschutz-Gebieten eine schnelle Ant-wort (vgl. Rodriguez 1993: 50-98). Nach dem Zweiten Natio-nalpark-Kongress im Yellowstone-Nationalpark und der Stock-holmer Konferenz über Mensch und Umwelt, die beide 1972stattfanden, wurden in einem Zeitraum von zehn Jahren (1972-1982) Nationalparks und Naturreservate eingerichtet, die we-der menschliche Präsenz, noch die wirtschaftliche Nutzungder Ressourcen erlauben.2 Wie Costa Rica unternahmen auchandere tropische Länder als Antwort auf die bei diesen inter-nationalen Treffen eingegangenen internationalen Verpflich-tungen große Anstrengungen, um erhebliche Teile ihrer Terri-torien unter Schutz zu stellen.3

Diese Art von öffentlicher Erhaltungs-Politik mittels des„Schutzes“ bestimmter Gebiete wurden von oben nach unten,und ohne (auf) soziale Inhalte einzugehen, aufgezwungen undhatte natürlich erhebliche negative Folgen für die lokale Be-völkerung in diesen Ländern. Rao und Gisler (1990: 22) zeigenin einer detaillierten Studie mit Beispielen aus Zambia, Zaire,Nepal, Kenia, Tanzania und Uganda auf, dass diese negativenFolgen sich ergeben, wenn:• alteingesessene Siedler in ihnen unbekannte Gegenden um-

gesiedelt werden oder einfach nur von ihren angestammtenGebieten vertrieben werden;

ist vielmehr Ergebnis der Arbeit und der Reflexion mit Basis-gemeinden in Lateinamerika, später bereichert durch Erfah-rungen in Afrika und Asien. Seit den 60er und 70er Jahrenversuchten PromotorInnen, AktivistInnen und Sozialarbeite-rInnen das Paradigma und die Techniken der Gemeinde-Orga-nisation zu verbessern. Damit sollte die – in den Entwick-lungsmodellen jener Zeit so genannte – soziale Marginalitätüberwunden werden. Diese AktivistInnen wurden von dembrasilianischen Pädagogen Paulo Freire und anderen inspiriert.Die Concientización, die durch das gemeinsame Handeln unddie Reflexion von PromotorInnen und BewohnerInnen er-reicht wird, hatte von Anfang an erzieherische und politischeZiele. Es geht um die Wiedergewinnung der Entscheidungsge-walt der Gemeinschaften und Basisgruppen über ihre Ressour-cen und damit über ihr Leben. Hier liegt auch die Verbindungmit Begriff und Praxis des Empowerment.

Obwohl ihr Ursprung sehr weit von den Vorstellungen desklassischen Naturschutzes entfernt war, hat sich die Methodevon Forschung/Handeln bzw. von Handeln/Reflexion in denProgrammen und Projekten von vielen Umweltgruppen wieder-gefunden, die von dem neuen philosophischen und methodi-schen Vorgehen inspiriert wurden und „nachhaltige Entwick-lung“ sowie den „gerechten und ausgewogenen Vorteilsaus-gleich“ der Biodiversitätsnutzung in die Praxis umsetzen wollten.

Das in der Nationalen Universität von Costa Rica unterdem Namen CAMBIOS bekannte „Programm für soziale Ver-änderung, Biodiversität und Nachhaltigkeit“1 wurde im Lichteund der Kritik dieser drei Konzepte entworfen. In diesem Arti-kel möchte ich in eher essayistischer Weise eine Antwort auffolgende Frage geben: Können bestimmte Nutzungsformen derBiodiversität als Teil eines weitergefassten Programms nachhal-tiger Entwicklung und mit dem Ziel der Concientización unddes Empowerment der Gemeinden tatsächlich die ungleichenNord-Süd-Verhältnisse ändern? Meine Antwort auf diese Frageerhebt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, sie ist vielmehrdas Ergebnis einer sehr konkreten Analyse, die – falls sie sich inanderen Gebieten wiederholen sollte – eventuell als der Beginneiner Tendenz mit breiterer Wirkung angesehen werden könnte.

Dieser Beitrag hat zwei Teile. Der erste bezieht sich auf diePraktiken zum Schutz der natürlich vorkommenden Ressour-

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zur Ausrufung des nationalen Notstands durch die Zentralre-gierung (Camacho 1993; Naughton 1987).

Warum dauerten diese Widerstände während des ganzenJahrzehnts an, wenn doch bereits eine Wendung vom Kon-zept der eindeutig auf Schutz ausgerichteten Politiken hin zugemischteren Nutzungsformen stattgefunden hatte, die sowohldas Vokabular der nachhaltigen Entwicklung zu benutzen be-gannen, wie auch den lokalen Kenntnissen Raum zu geben?

Als Beispiel für diese Wendung führe ich einige Ergebnissedes 1982 auf Bali in Indonesien stattgefundenen Dritten Inter-nationalen Nationalpark-Kongresses auf, der unter dem Mot-to „Nationalparks, Erhaltung und Entwicklung: Die Rolle derSchutzgebiete für die Erhaltung der Gesellschaft“ stand. In derEinleitung des Kongress-Berichtes lesen wir:

„Die Nationalparks werden generell als Gebiete mit herausragenderBedeutung für die Natur betrachtet, in denen der menschliche Einflussminimal ist. In einer Zeit des Bevölkerungswachstums, der wirtschaft-lichen Unsicherheit und der sozialen Instabilität stellen viele Regie-rungen fest, dass das traditionelle Modell der Nationalparks nicht mehrfür notwendige Erholung, Ausbildung, Ressourcenmanagement, Schutzder Wassereinzugsgebiete und viele andere, für den Erhalt der Schutz-gebiete erzeugten, Güter und Dienstleistungen ausreicht.“ (McNeely1982: 1)

Der Kongress schloss mit der Erklärung von Bali, in der daraufhingewiesen wird, dass „die Menschen Teil der Natur sind. Ihrspirituelles und materielles Wohlergehen hängt von der Weis-heit ab, die beim Schutz und beim Gebrauch der lebendenRessourcen eingesetzt wird. Die notwendige Entwicklung zurVerbesserung der menschlichen Lebensbedingungen benötigtden Erhalt der lebenden Ressourcen, damit sie nachhaltig seinkann.“ Zusätzlich dazu wird in der fünften sog. Basis-Aktionder gleichen Erklärung mit groben Zügen die „Verteilung derGewinne“ aufgezeigt, die zehn Jahre später in der Konventionüber biologische Vielfalt fest verankert ist. Es wird auf dieNotwendigkeit hingewiesen,

„den wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Kontext der Schutz-gebiete anzuerkennen; die lokale Unterstützung der Schutzgebietedurch Maßnahmen wie Bildung, Einkommensverteilung, Teilnahmean Entscheidungen, mit Nachbargebieten komplementäre Entwick-lungsschemata und, falls dies mit den Zielen des Schutzgebietes kom-patibel ist, den Zugang zu den Ressourcen zu verstärken.“

• ihnen zwar erlaubt wird, weiterhin in ihren Siedlungsgebie-ten zu bleiben, allerdings die traditionelle Nutzung dernatürlichen Ressourcen eingeschränkt wird, die Dreh- undAngelpunkt ihres Lebens-Gleichgewichts sind;

• die traditionellen Systeme des Grundbesitzes, der Arbeits-teilung und Kenntnisse angegriffen werden und die häusli-che Ökonomie aus den Fugen gerät;

• Interferenzen oder Konflikte mit den kulturellen oder reli-giösen Werten provoziert werden;

• die Gemeinschaften durch Tourismus und neue Technolo-gien fremden Kulturen und Lebensstilen ausgesetzt werden;

• ein von der örtlichen Bevölkerung angestrebter Entwick-lungsstil unterdrückt wird.

Die Reaktionen der Gemeinschaften ließen nicht auf sich war-ten. Sie reichten von individuellen bis zu organisierten Antwor-ten; von einer gleichgültigen Indifferenz bis zu Zurückweisungund Rebellion. Im letzten Fall beschreibt McNeely (1990: 16)

„... die Bodos, ein Stamm im indischen Assam, drangen in den Manas-Nationalpark ein, töteten zwölf Waldhüter, säuberten einen Teil desLandes und öffneten das Gebiet für wildernde Jäger und Fischer. DieBodos argumentierten, dieses Land sei ihnen von ihren Vorfahren ge-geben worden und sie nähmen sich nun nur etwas, was ihnen unterdem britischen Regime weggenommen worden sei.“

McNeely gibt andere Beispiele aus Peru und den VereinigtenStaaten und zitiert außerdem die Studie von Machlis/Tichnell(1985), in der über 16.000 spezifische Bedrohungen in dentropischen Parks aufgezählt werden. Sie reichen vom Raub derPflanzen oder wilder Tiere, über Nutzungskonflikte um dieRessourcen der Parks bis hin zu den von der Klimaveränderunghervorgerufenen Bedrohungen, Bevölkerungswachstum undder steigenden Nutzung der natürlichen Ressourcen. In einernoch spezifischeren Studie über die vor allem gesellschaftlichindizierten Gefahren auf der ganzen Erde stellt die IUCN1990 neunzig Gebiete heraus.

Im Falle Costa Ricas gab es in den 80er Jahren eine ganzeReihe von Reaktionen der örtlichen Gemeinden, die von ille-galen Besetzungen über Brandstiftung, persönlichen Angriffenauf die Parkwächter bis hin zu zivilem Ungehorsam bezüglichder Regeln über den Zugang und den Umgang mit natürlichenRessourcen reichten. In sechs Fällen führten die Zwischenfälle

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teiligung kam, so ging es in diesen Fällen lediglich darum,dass die Siedler an der Erfüllung der Management-Plänemitarbeiten sollten, die die Techniker für die isolierten Seg-mente entwarfen, in dem sie ihr jeweiliges Spezialgebiethatten: im Wald, beim Fischfang, beim Wasserschutz oderin der Landwirtschaft.

• All dies bedeutet, dass die internationalen Erklärungen nichtvon heute auf morgen in die Tat umgesetzt werden kön-nen. Die Naturwissenschaftler, in deren Verantwortung üb-licherweise das Management zum Beispiel der Schutzgebie-te liegt, nehmen ja nicht automatisch die gesellschaftlichenFaktoren in ihre Pläne mit auf. Genauso wenig haben sieplötzlich die Sensibilität, die Methodologie und das Fein-gefühl, um die Beteiligung, die Concientización und diereale Rückverlagerung der Entscheidungskraft in die Ge-meinschaften zu fördern.

• Aber selbst im Fall des Projekts von Caño Negro, in demSoziologinnen und Sozialarbeiterinnen der Universität mit-arbeiteten, wurden uns bei der Handlen-Reflexions-Arbeitmit den Siedlern die Grenzen unserer Arbeit klar. Wir be-merkten, dass das, was dort geschah, stark determiniert war.Nicht nur – wie oben beschrieben – von den internationa-len Vorgaben der Kongresse und internationalen Umwelt-abkommen, sondern auch davon, dass diese wiederum vonden vom Land eingegangenen wirtschaftlichen Verpflich-tungen eingeschränkt wurden, und zwar nicht nur von denmit der Welthandelsorganisation WTO abgeschlossenenVerträge, sondern auch von anderen, regionalen Abkom-men, wie denen des Karibischen Beckens und den neo-liberalen Strukturanpassungs-Programmen.

• Unsere Arbeit in Caño Negro sollte die Möglichkeiten undBeschränkungen aufzeigen, die bei einer stärkeren Beteili-gung der Gemeinden an den Plänen zur Umsetzung nach-haltiger Entwicklung auftreten. Dabei wurde deutlich, dassunsere Gesellschaften in soziale Klassen, in Geschlechterund Ethnien gespalten sind. Deshalb werden Konzepte wiedie Management-Kategorien in den Schutzgebieten von denverschiedenen Bevölkerungsgruppen unterschiedlich aufge-nommen und gelebt (Poovey 1988: 3). Doch damit nichtgenug, denn jene, die sich in den besten Positionen der

All dies war Teil einer Wendung weg von der rein aufSchutz ausgerichteten Sprache. Es wurden auch sofort neueManagement-Kategorien wie Biosphärenreservate, Natur-Res-sourcen-Reservate und wildlife-Refugien eingerichtet, in denendie Möglichkeit des „vielfältigen Gebrauchs der Ressourcen“vorgeschlagen wurde. Costa Rica folgte erneut der internatio-nalen Strömung. Mit Ausnahme der 1982 gegründeten Natio-nalparks Braulio Carillo und Amistad, bei denen die Absichtbestand, sie in Biosphärenreservate zu verwandeln, werden indem gesamten Jahrzehnt keine weiteren Nationalparks einge-richtet. Im gleichen Zeitraum wurden verstärkt Gebiete ausge-wiesen, in denen mehr Eingriffe erlaubt waren.

Doch kehren wir zu unserer Frage zurück: Warum wehrtsich die lokale Bevölkerung gegen die Ausweisung von neuenGebieten? Unsere Untersuchungen erlauben mir, einige Fakto-ren für die Ablehnung zusammenzufassen wie auch die Schwie-rigkeiten der Wiederaneignung der Entscheidungsgewalt derGemeinden und des Erreichens anderer Ziele nachhaltiger Ent-wicklung:• Trotz der in der Erklärung von Bali 1982 festgehaltenen

Bedeutung sozialer Faktoren beim Management der Gebie-te, werden die Entscheidungen bei den internationalenForen und Kongressen weiterhin von oben nach untengetroffen; ohne jegliche Beteiligung der Betroffenen.

• Dieses Vorgehen wiederholt sich auf nationaler Ebene, dadie internationalen Entscheidungen ohne größere Analyseder lokalen Realität und ohne vorherige Diskussion mit dendort lebenden Menschen übertragen werden. Durch Gesetzeund Ausführungsbestimmungen verwandelt sich ihr Lebens-raum in ein Schutzgebiet einer bestimmten Kategorie unddeshalb müssen sich die dort lebenden Menschen den herr-schenden Beschränkungen unterordnen, obwohl diese dietraditionelle Form des Erhalts ihrer eigenen Ressourcen be-treffen. In einigen Fällen, wie zum Beispiel in Caño Negro,wussten die dort lebenden Menschen weder mit dem Begriff„wildlife-Refugium“ etwas anzufangen – was sie ja auch wirk-lich nicht müssen, noch konnten sie aktiv ihren Beitragdazu zu leisten, dessen Ziele zu erfüllen.4

• Wenn es in einigen Fällen und nur wegen der persönlichenInitiative irgendeines Funktionärs zu einer minimalen Be-

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nisse auf dem neuesten Stand zu sein, so geht es auch darum,dies der breiten Bevölkerung zu vermitteln. Bildung wird inunserer Abteilung der Universität als Prozess definiert, in demgemeinsam mit den Gemeinden und den schwächsten gesell-schaftlichen Gruppen erforderliche Maßnahmen analysiert undergriffen werden. Das wiederum bereichert die Lehre und er-laubt eine Forschung, die enger an die Bedürfnisse des Landesgebunden ist. Dem Mandat unseres Universitätsmodells fol-gend und die weltweiten Ereignisse berücksichtigend, began-nen wir mit dem Programm CAMBIOS und innerhalb diesesProgrammes mit dem Projekt „Biodiversität und in Wäldernlebende Gemeinschaften“, um mit den betroffenen Akteurendie Information über die auf internationaler Ebene getroffenenEntscheidungen zu teilen, von denen sie kurz- oder mittelfristigbetroffen sein würden und um initiativ zu werden.

Es handelte sich um ein in vielen Aspekten ambitioniertesund gerade wegen dieses Ehrgeizes vielfach beschränktes Pro-jekt. Methodologisch spannte sich der Bogen von der teilneh-menden Beobachtung auf internationalen und regionalen Tref-fen über die aktive Einwirkung auf die nationale Gesetzgebungbis hin zur konkreten Arbeit mit Basisgruppen nach dem For-schung/Handeln-Schema. Das verlangte eine zusätzliche „Über-setzungsanstrengung“, um die ausgeklügelten Konzepte unddie internationale Terminologie sowie das zwischen National-staaten und den internationalen Strukturen aufgebaute Bezie-hungsgerüst in die einfache Sprache der lokalen Gemeinschaf-ten und der indigenen Völker zu übertragen. Dazu entwickel-ten wir Arbeitshefte und allgemeinverständliche Protokolle, diezumindest zu einem gewissem Grad das Ziel erfüllen sollten,diesen Gruppen das Verständnis unserer postmodernen Gesell-schaft zu erleichtern und ihnen so zu ermöglichen, auf infor-miertere und aktivere Weise politisch handeln zu können. Wirsahen ebenfalls die Notwendigkeit, andere Bereiche – wie denakademischen oder den Regierungsapparat – durch Vorträge,Artikel in Büchern und Zeitschriften sowie die Teilnahme anSeminaren und runden Tischen zu sensibilisieren, wobei ökono-mische Aspekte mit ökologischen und Fragen gesellschaftlicherBeteiligung verbunden wurden. Der in diesem kurzen Beitragzur Verfügung stehende Raum lässt nur eine zusammengefassteDarstellung der durchgeführten Aktionen zu.

Gesellschaft befinden, haben das Privileg, die Notwendig-keiten der anderen zu „interpretieren“ (Fraser 1989: 181).Das heißt, in der Evaluierung mussten nicht nur die Varia-blen des internationalen wirtschaftlichen Drucks auf diekonkreten lokalen Gemeinschaften berücksichtigt werden.Wir haben auch die autoritäre Perspektiven untersucht, dieangeblich neutral und ohne eigene Interessen sind, jedochin Wirklichkeit die Einstellungen jeder Art der herrschen-den gesellschaftlichen Gruppe ausdrückten – inklusive derGenderproblematik.5

Die Ergebnisse dieser Erfahrungen, die Identifizierung derstrukturellen, ideologischen und eigenen Beschränkungen un-serer kleinen Gruppe sowie der schmale universitäre Haushaltbrachten uns dazu, externe Geldquellen für eine spezifischereArbeit zu suchen: dem legalen Empowerment. Dabei wolltenwir uns aber nicht nur auf eine Gemeinde konzentrieren, son-dern landesweite Untersuchungen vornehmen und teilweisesogar die Bedeutung für ganz Mesoamerika erforschen.6

Neoliberale Globalisierung, lokale Initiativenund nationale Gesetzgebung

1992 wurde die Biodiversitäts-Konvention verabschiedet und1994 endeten die Gespräche der Uruguay-Runde, die zur Grün-dung der Welthandelsorganisation führten. Wenig später, 1996,begann ein Diskussionsprozess, um die Internationale Vereinba-rung über Pflanzengenetische Ressourcen für Landwirtschaftund Ernährung (das sog. International Undertaking der FAO)in ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen umzuwandeln.Wegen der Debatten über diese Vereinbarungen wussten wir,dass die ökonomischen Ziele dabei waren, gegenüber ökologi-schen und sozialen Zielen Vorrang zu erhalten. Zudem wurdeimmer deutlicher, dass die neoliberale Globalisierung auf einevöllig vertikale Weise gegenüber nationalen und örtlichen Initia-tiven durchgesetzt wird. So konnten aus unserer Perspektive dieZiele nachhaltiger Entwicklung nicht erreicht werden, selbst wennes noch so viele theoretische Konzepte geben und die Gemein-den über noch so großen Naturreichtum verfügen würden.

Wenn es eine unserer Verpflichtungen als AkademikerInnenist, über die die Gesellschaft betreffenden Tatsachen und Ereig-

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Biodiversität, die Bedeutung ihres Wissens, die internationalenStrukturen, die unter anderem ihre Lebensformen beeinflussenund verändern, diskutiert haben. Derzeit befinden sie sich ineinem autonomen, partizipativen Prozess, um ihre kollektivengeistigen Eigentumsrechte zu definieren. Dieser Prozess wurdezu einem großen Teil von unserer gemeinsamen siebenjähri-gen Pionierarbeit ausgelöst. Die lokalen Gemeinschaften undindigenen Völker beeinflussten ebenfalls den Entwurf des in-zwischen gültigen Biodiversitätsgesetzes und sie sind Teil derNationalen Biodiversitätskommission mit denselben Rechten,die Vertreter der öffentlichen Universitäten, einige Minister,die Unternehmer und die Umweltschützer haben.

Aber wir sind auch auf tiefgehende Probleme gestoßen,einige struktureller und andere konzeptioneller Art, sehr ähn-lich denen, die bei der Arbeit in Caño Negro ausgewertetwurden. Ich möchte hier nur das Ergebnis der Diskussionenmit den lokalen Gemeinschaften und indigenen Völkern her-ausstellen, um den Begriff des „gerechten und ausgewogenenVorteilsausgleichs“ zu interpretieren.

Wenn es einen wirklichen Nutzen für diejenigen geben soll,die traditionell die Wächter der Biodiversität gewesen sind,aber gleichzeitig am wenigsten an den ökonomischen Vortei-len aus ihrer Nutzung und den Forschungsergebnissen partizi-piert haben, so müssen wir – das ergaben unsere Diskussionenals Schlussfolgerung – mit Nachdruck die Beachtung der fol-genden Prinzipien einfordern:• Die Bedingungen für den Verkauf der genetischen und bio-

chemischen Ressourcen dürfen nicht dazu führen, den indi-genen Völkern und den örtlichen Gemeinschaften den tra-ditionellen und fortwährenden Gebrauch dieser Ressour-cen, einschließlich deren Austausch und Innovation, zuverwehren.

• Dieselben Bedingungen dürfen weder die kulturelle Integri-tät der Gemeinden schädigen noch zu Zerwürfnissen unterihnen führen.

•· Der Prozess der Bioprospektion mit der daraus folgendenNotwendigkeit, über Pflanzenmaterial zu verfügen, darf we-der die Ressourcen erodieren noch die Ökosysteme zerstören.

• Die „nicht-monetären Nutzen“ müssen breiter definiertwerden und nicht nur aus der Perspektive, Forschung zu

Mit unserem Projekt innerhalb des Programmes CAMBIOSerreichten wir von 1995 bis 2001 Folgendes:• auf internationaler Ebene: die Beteiligung an mehreren Kon-

ferenzen zur Konvention über Biodiversität (CDB), an meh-reren Sitzungen zum International Undertaking zu pflanzen-genetischen Ressourcen der FAO, an Veranstaltungen derUNESCO und verschiedener NGOs über traditionelles Wis-sen und an Meetings zu den Themen Biosicherheit, Biotech-nologie, Nanotechnologie und geistiges Eigentum;

• auf regionaler Ebene: die Durchführung von drei mesoame-rikanischen Foren und zwei Folgetreffen für örtliche Ge-meinschaften und Indigena-Völker zum Thema Biodiver-sität und Gemeinderechte sowie die Teilnahme an verschie-denen Regionalseminaren zu den im vorherigen Abschnittgenannten Themen;

• auf nationaler Ebene: die Koordination der parlamentari-schen Sonderkommission, welche das BiodiversitätsgesetzCosta Ricas vorschlug; die Vertretung der staatlichen Uni-versitäten in der Nationalen Biodiversitätskommission, diedurch das erwähnte Gesetz geschaffen und darin unter an-derem mit dem Auftrag versehen wurde, Zugangsregeln fürdie biochemischen und genetischen Ressourcen festzule-gen; Mit-Organisation von Workshops mit verschiedenenGruppen, um die erwähnten Regeln zu diskutieren; Vorträ-ge und Artikel zu diesen Themen;

• auf lokaler Ebene: Durchführung von sechs Workshopsüber Biodiversität und Ressourcen sowie Aktionen, diesezu verteidigen; Erarbeitung von didaktischem Material undallgemeinverständlichen Protokollen aller Workshops; Be-teiligung im „Biodiversitäts-Netzwerk“ zusammen mit Um-welt-, BäuerInnen- und Indígena-Organisationen, um dieInformation zu diskutieren und zu verarbeiten, die für einwirksames Agieren auf den anderen Ebenen notwendig sind;direkte Mitarbeit am nationalen Prozess, in dessen Rahmendie BäuerInnen und Indígenas derzeit diskutieren und Ab-sprachen treffen, um die kollektiven geistigen Eigentums-rechte festzuschreiben.

Im Laufe dieser Jahre haben wir viele der gesetzten Ziele er-reicht und es geschafft, dass die örtlichen Gemeinschaften undindigenen Völker Themen wie die neuen Nutzungsformen der

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auf den Treffen der Welthandelsorganisation und anderer inter-nationaler Einrichtungen. Anschließend werden die Vereinba-rungen in verschiedenen bilateralen oder multilateralen Frei-handelsverträgen konkretisiert, die unsere Regierungen kritiklosunterzeichnen, ohne die ökologischen und gesellschaftlichenAuswirkungen zu berücksichtigen. Bei dieser ganzen Entwick-lung haben die südlichen Nationalstaaten mehr und mehr ihreSouveränität verloren. Zwar stärkt die CBD formal die Souverä-nität über ihre Ressourcen; de facto legt die CBD aber auchfest, dass der Zugang zu den genetischen Ressourcen gesichertbleiben muss. Und vor allem die lokalen Gemeinschaften se-hen sich noch stärker unterjocht. Sie haben nur geringePartizipations- und Entscheidungsgewalt bezüglich ihres Le-bens und ihrer Ressourcen. Das schränkt die Aktionen auflokaler Ebene erheblich ein.

Kamen mit dem Konzept der „nachhaltigen Entwicklung“und der Anerkennung des „gerechten Vorteilsausgleichs“ nichtneue Hoffnungen auf? Ich denke, wir hatten diese Hoffnung.Zunehmend bemerkten wir jedoch, dass öffentliche Äußerun-gen eine Sache sind und eine andere die ergriffenen Aktionen,um sie zu konkretisieren. Wenn wir zurückblicken, sehen wir,dass mit der Umsetzung der sog. Entwicklungsdekaden ab1960 nacheinander von „Entwicklung mit Gleichheit“, von„Entwicklung, um die Grundbedürfnisse zu befriedigen“ undsogar von partizipativen Methodologien und dem Wachstummit Gleichheit gesprochen wurde (Adelman 1975: 67-76). DieHoffnung auf eine Änderung der Beziehungen zwischen Nor-den und Süden, insbesondere zugunsten der Armen, und nach-haltiger Formen der Naturaneignung ist im Laufe der vergan-genen Jahre verloren gegangen. „Nachhaltige Entwicklung“,verstanden als ein empfindliches Gleichgewicht zwischen Wirt-schaftswachstum und der Ressourcenbewahrung, verlor dieBalance und richtete sich zugunsten des Wachstums aus –selbst wenn der „grüne“ Diskurs und der Diskurs von derBürgerbeteiligung beibehalten wurden (Rodríguez 1991: 88-98). Darum müssen wir sensibel und skeptisch gegenüber die-sen Konzepten bleiben, die sich so bewegend anhören, abervollständig durch strukturelle Bedingungen sowie Entschei-dungen beeinflusst sind, die sich momentan außerhalb ihrerReichweite befinden.

unterstützen und die Universitäten und Forschungszentrenmit geldwerten Vorteilen zu bezahlen.

• Die Kriterien für die Stoßrichtung der Gesundheitsfor-schung müssen die entsprechenden Bedürfnisse des Landeseinschließen, aus dem die Ressourcen stammen.

• Bei der Gewinnverteilung darf der Vorteilsausgleich sichnicht auf den Rohstoff beschränken. Dies wäre der Stil desfrüheren Handelskolonialismus.

• Die Gemeinschaften und indigenen Völker dürfen die Kon-trolle über ihre Ressourcen nicht durch die Durchsetzungvon Patenten und andere Formen des geistigen Eigentumsverlieren.

• Die Gewinnverteilung muss die anderen beiden Ziele derCDB unterstützen und ergänzen: Die Nutzung im Sinneeiner nachhaltigen Entwicklung und die Bewahrung derBiodiversität.

Zum Ende möchte ich im Lichte unserer Erfahrungen einigeAntworten auf die zentrale Frage dieses Aufsatzes geben. DieFrage war: Können bestimmte Nutzungsformen der Biodiver-sität als Teil eines weitergefassten Programms nachhaltigerEntwicklung und mit dem Ziel der Concientización und desEmpowerment der Gemeinden tatsächlich die ungleichenNord-Süd-Verhältnisse ändern?

Die Antwort ist komplex und lautet daher nicht einfach jaoder nein. Ein Ja verbietet sich, weil ich davon ausgehe, dassdiese Art von Projekten selbst bei positivem Verlauf an vielestrukturelle Begrenzungen stoßen. Isolierte Anstrengungen derConcientización und des Empowerment auf dem Feld derBiodiversität reichen nicht aus, die Ungleichheit in den Nord-Süd-Beziehungen zu ändern. Wir wissen, dass die Spielregelnder Nord-Süd-Beziehungen seit langer Zeit mit enormem Er-folg von Regierungen und transnationalen Unternehmen durch-gesetzt wurden – mit der Zustimmung der politischen undökonomischen Klasse in den Ländern des Südens und sekun-diert von Finanz-Institutionen wie der Weltbank, dem Interna-tionalen Währungsfonds und anderen Regionalbanken. ImZuge der neoliberalen Globalisierung werden diese Beziehun-gen in internationalen Foren festgelegt, die von den am stärk-sten industrialisierten Ländern dominiert werden; so völlig in-formell in der G7-Gruppe oder auf wenig demokratische Weise

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Die kleine verändernde Geste, die in jeder einzelnen klei-nen Aktionen unseres Arbeitsteams in Costa Rica versteckt ist,kann zusammen mit unzähligen anderen Gesten in Costa Ricaund der übrigen Welt gegebenenfalls diese Entwicklung auslö-sen, deren Wirkung eine nicht absehbare Veränderung derGeschichte ist. Wir hoffen auch, dass damit eine Veränderungder aktuellen, ungleichen Beziehungen zwischen Norden undSüden, zwischen den verschiedenen Gruppen, Klassen undGeschlechtern innerhalb jedes Landes und jeder Gemeinschafteinhergeht. Aber wir lassen diese Geste nicht in den Händeneiner übernatürlichen Kraft oder von Außerirdischen. Wir prä-sentieren sie ebensowenig als historisches Schicksal, das eintre-ten wird, weil es eintreten muss. Wir gehen davon aus, dass diekleinen verändernden Gesten das Produkt des Arbeitseinsatzeskonkreter Personen aus Vergangenheit und Gegenwart sind.Das alles ist sehr viel positiver als mit verschränkten Armendarauf zu warten, was das sogenannte Schicksal oder die un-sichtbare Hand des Marktes für uns vorgesehen haben.

Aus dem Spanischen von Peter Stegemann

Anmerkungen

1 CAMBIOS heißt „Cambio Social, Biodiversidad y Sustenabili-tad“ (Sozaler Wandel, Biodiversität und Nachhaltigkeit). DieserBeitrag basiert auf den theoretischen und praktischen Arbeitdieser Universität und der Gemeinschaft von Caño Negro, dieim Norden Costa Ricas in einem Wildlife-Refugium lebt.

2 Zur Position der Vereinigten Staaten in der Stockholmer Konfe-renz über Mensch und Umwelt 1972, in der die USA die Schaf-fung von geschützten wildlife-Territorien in Ländern mit großerbiologischer Vielfalt als Reservoirs genetischer Ressourcen för-derten: Department of State 1971.

3 1987 schätzte die Brundtland-Kommission die unter diesemSchutz stehende Erdoberfläche auf 4%, von denen zwei Drittelsich in wirtschaftlich armen, aber ökologisch reichen Ländernbefanden (WCED 1987:147). Ein Beispiel, das aufhorchen läßt,ist die mittelamerikanische Region, die die Anzahl ihrer Schutz-gebiete zwischen 1969 und 1981 von 25 auf 149 erhöhte, waseiner Erhöhung von 193.500 auf 615.000 Quadratkilometer ent-spricht (Neumann/Machlis 1989:14, zitiert nach USDI/NPS1985:69).

Genauso wenig kann ich jedoch pessimistisch erklären, dass,wenn die Nord-Süd-Beziehungen von denen bestimmt wer-den, die derzeit die Welt beherrschen, nichts getan werdenkann und die Antwort auf die zentrale Frage dieses Aufsatzesdaher ein vollständiges Nein wäre. Wenn das so wäre, dannhätte unser Team vom CAMBIOS-Programm seit vielen Jah-ren die hier vorgestellte Arbeit aufgegeben, weil es sich umeine absurde Zeitverschwendung gehandelt hätte.

Wenn wir dabei geblieben sind, dann deswegen, weil unsdas Wissen motiviert, dass es erstens weder schnelle Rezeptenoch Lösungen für so komplizierte Sachlagen gibt. Zweitenssind wir davon überzeugt, dass es ebensowenig absolut festge-legte Zustände in der Welt gibt, und immer kleine Spielräumefür relativ effektives Handeln bestehen. Und drittens unter-stützen wir jede Aktion in der Hoffnung, die sich auf verschie-dene Überlegungen stützt, unter anderem auf den sogenann-ten Schmetterlingseffekt. Laut Leonardo Boff ist diese Meta-pher der Quantenphysik entlehnt, die uns lehrt, dass

„... alles mit allem zu tun hat und wir alle inter-retro-dependent sind.Darum zählt jedes Individuum viel, weil es ein Glied in der unendli-chen Energie- und Lebenskette ist. Der Schmetterlingseffekt repräsen-tiert eine Konkretisierung dieses Prinzips. Er wurde 1960 von denMeteorologen festgestellt. In diesem Arbeitsfeld wie in anderen funk-tionieren chaotische Systeme. Das heißt, Systeme, in denen das Un-vorhersehbare dominiert. Als Ganzes sind auch diese Systeme denbeschreibbaren mathematischen Gesetzen unterworfen, dennoch kannihr konkretes Verhalten nicht vorausgesagt werden. Kleine Bewegun-gen können große Veränderungen verursachen. Daher wird gesagt:„Wenn ein Schmetterling in Hongkong seine Flügel schlägt, kann ereinen Sturm in New York provozieren.“ Oder wie in einem Fußball-stadion: es reicht, dass einige mit „la ola“ („der Welle“) beginnen undplötzlich lässt sich das ganze Stadion anstecken und es entsteht eineendlose Welle. Das ist der Schmetterlingseffekt: eine kleine Geste, diegroße Transformationen bewirken kann.“ (Boff 2002)

Wenn wir also die Metapher des Schmetterlingseffekts aufneh-men, können wir mit einem bedingten Ja auf die zentraleFrage antworten. Die Concientización und das Empowermentvieler Gruppen überall auf der Welt, die nachhaltige Entwick-lung praktisch werden lassen und die einen gerechten Aus-gleich der Vorteile einfordern, die sich aus der Nutzung derBiodiversität ergeben, können große Veränderungen in denaktuellen Nord-Süd-Beziehungen erreichen.

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4 In der von Forschern der Universität durchgeführten Umfragegab es auf die Frage „Was bedeutet für Sie das Wildlife-Refugiumin Caño Negro?“ unterschiedliche Antworten. Einige Personengingen davon aus, dass der Name wohl bedeute, dass Costa Ricaseine Grenzen öffnen werde, um den Flüchtlingen aus dem na-hegelegenen und zu der Zeit vom Bürgerkrieg heimgesuchtenNicaragua ein Refugium zu gewähren. Andere Befragte sagten, eswürden wohl wilde Tiere aus Afrika nach Caño Negro gebracht.Weitere gingen davon aus, dass sie nun keine giftigen Schlangenmehr töten dürften, sondern sie vielmehr „hüten“ müssten.

5 All diese Einschätzungen basieren auf den von den verschiedenenGruppen Caño Negros gelebten Tatsachen, unter denen beson-ders die Arbeit mit den Fischerinnen der Gemeinschaft „LasCubas“ hervorstach, eine der in ihrer Lebensform am meisten vonder Einrichtung des Schutzgebietes betroffenen Gruppe.

6 Mesoamerika ist eine geografisch-kulturelle Region, die von Zen-tral- und Südmexiko bis Panama reicht.

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Tewolde Berhan Gebre Egziabher

Bedrohte Ernährungs-souveränität,internationales Recht undFarmers’ Rights in Afrika1

Von wenigen Bereichen abgesehen, in denen die für den Ex-port produzierende industrielle Landwirtschaft dominiert,hängt die Nahrungsmittelproduktion Afrikas von seinen länd-lichen KleinbäuerInnen ab. Diese sind in bäuerlichen Gemein-schaften organisiert, die sich an gewohnheitsrechtlichen Nor-men orientieren. Afrikas Nahrungsmittelsicherheit und Ernäh-rungssouveränität sind daher von diesen dezentralen Gemein-schaften abhängig.

Die herausragende Bedeutung der Dorfgemeinschaften fürdie Erhaltung und die nachhaltige Nutzung der landwirtschaft-lichen Biodiversität ist von der Konvention über biologischeVielfalt (CBD) in den Bestimmungen – zum Beispiel Artikel8(j) – und Entscheidungen der Konferenzen der Vertragsstaaten(engl. Conference of the Parties; COPs) anerkannt und nach-drücklich betont worden. Seit November 2001 gibt es zudemim Rahmen der FAO einen Vertrag, um das bislang völker-rechtlich unverbindliche Abkommen für pflanzengenetischeRessourcen (International Undertaking) als InternationalTreaty on lant Genetic Resources for Food and Agriculturemit der CBD in Übereinstimmung zu bringen. Die CBD hatRegeln ausgearbeitet, die sich mit den indigenen und lokalenGemeinschaften insgesamt beschäftigen, und auf ihren COPsrelevante Entscheidungen getroffen, die besonders auf die afri-kanischen Gemeinschaften anwendbar sind. Einige dieser Ent-scheidungen beziehen sich insbesondere auf die agrarbiolo-gische Vielfalt und auf die ländlichen Gemeinden.

Die CBD bestätigt insgesamt das in der FAO ausgearbeiteteKonzept der Farmers’ Rights (Rechte der BäuerInnen). Auf derGrundlage dieser nun auch international anerkannten Rechtehat Afrika sein Modellgesetz über die Farmers’ Rights als Teileines umfassenderen „Modellgesetzes über die Rechte der loka-len Gemeinschaften, BäuerInnen, SaatgutzüchterInnen sowieüber die Regulierung des Zugangs zu biologischen Ressourcen“verabschiedet. Dies ist unbedingt notwendig, denn angesichtsder Globalisierung werden die dörflichen Gemeinschaften Afri-

kas drangsaliert; und der Kontinent sieht sich dem enormenRisiko gegenüber, seine Nahrungsmittelsicherheit und damitauch seine Ernährungssouveränität an Kräfte außerhalb Afrikaszu verlieren. Da die Teilnahme Afrikas am Welthandel für dieseexternen Kräfte quantitativ nicht bedeutsam ist, kann geschluss-folgert werden, dass wenn diese sich sogar gegenüber denkontinentübergreifenden Angelegenheiten als unempfänglichzeigen, die lokalen Gemeinschaften erst recht mit ihren Proble-men allein gelassen werden. Afrika tut also gut daran, sich fürden gesetzlichen Schutz der Farmers’ Rights zu entscheiden.

Um zu verstehen, welche Dimensionen der Verlust derErnährungssouveränität für Afrika besitzt, müssen wir verste-hen, wie sich der Charakter der Agrarsysteme der Dorfgemein-schaften von dem der industriellen Landwirtschaft samt dendahinterstehenden Kräften der Globalisierung unterscheidet,welche Verantwortung die Welt zur Unterstützung der bäuerli-chen Gemeinschaften besitzt, und schließlich welche SchritteAfrika unternehmen muss, um seine kleinbäuerliche Landwirt-schaft und seine Ernährungssouveränität zu sichern.

Landwirtschaft und ökologische Stabilität

Der in diesem Beitrag häufig verwendete Begriff „Homöostase“bezieht sich auf die Aufrechterhaltung der Stabilität einesÖkosystems durch den Einsatz interner funktionaler Kompo-nenten, um externe Störungen auszugleichen.

Wenn ein Agrarökosystem instabil ist, kann es sich schnellverändern und dann unproduktiv werden. Ein natürlichesÖkosystem ist annähernd stabil. Es erreicht die benötigteHomöostase, weil ihre funktionalen Komponenten positiv aufnegative Rückkoppelungen reagieren. Verursacht werden diesedurch Änderungen, die von außerhalb stammen. In einenAgrarökosystem umfassen die funktionalen Komponenten 1)die angebauten Pflanzen und das dazugehörige Beikraut alsProduzenten; 2) menschliche Lebewesen, Haus- und Zuchttie-re, an vielen Orten auch einige Vögel, Insekten, wildlebendeTiere und einige andere Pflanzenfresser niedrigerer Gattungen,insbesondere die im Boden, als Verbraucher; 3) Bodenpilzeund -bakterien als Zersetzer; 4) Humus oder anderes zersetztesbzw. zersetzendes organisches Material als Binder und Konser-

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vierer bzw. Entbinder und Spender von Bodennährstoffen so-wie als Nährboden, der anorganische Partikel in die Einheitender Bodenstruktur einbindet; 5) Grundwasser als essentielleKomponente, die allen Lebewesen zugänglich sein muss; 6)schließlich die große Masse des Bodens – die anorganischenKomponenten – als Substrat für alle anderen Komponenten;zusammen mit der Atmosphäre und dem einfließenden Was-ser als Garant für die Zufuhr von lebenswichtigen Stoffen;zusammen mit dem Humus als Abpufferungsmaterial, um denpH-Wert mehr oder weniger stabil zu halten.2

Landwirtschaft und Nischen-VereinfachungIn der Landwirtschaft besteht das Interesse vor allem in derMaximierung der Produktion von Biomasse bei der Feldbestel-lung und/oder bei der Aufzucht von Tieren, die für die Ernäh-rung oder für andere Zwecke benutzt werden (Heywood/Watson 1995: 443). Dies verringert die Zahl der auf dem Feldwachsenden Pflanzenarten. In der Natur besetzen Arten, dieam gleichen Ort wachsen, oft ganz oder teilweise verschiedeneNischen desselben Ökosystems. Dies ist deutlich sichtbar ineinem Wald, wo sich Pflanzen verschiedener Höhe, aber auchGröße, Form und Blattwinkel an die sich veränderndenLichtintensitäten anpassen. Eine ähnliche Nischenspezialisie-rung findet sich in der Anpassung an verschiedene andereUmweltfaktoren, zum Beispiel die Bodentiefe. In einer land-wirtschaftlichen Monokultur wird demgegenüber nur eine Ni-sche benutzt, und alle angebauten Kulturpflanzenarten odergezüchteten Tierarten konkurrieren um dieselbe Nische, wäh-rend andere Nischen ganz oder teilweise unterbesetzt bleiben,weil Arten, die sie benutzen könnten, nicht vorhanden sind.Heywood/Watson (1995: 402-405; 448) betonen, dass obwohlintensive Inputs die Agrarproduktion in einer bestimmten Jah-reszeit produktiver machen können, mit Monokulturen, dassheißt mit der Benutzung nur einer Grünpflanzennische, eineüber Jahre anhaltende Produktivität allerdings nicht möglichist. Die Besetzung eines kritischen Minimums an Grünpflanzen-nischen ist für ein stabiles Ökosystem notwendig, und einegrößere Zahl von Arten würde sogar die Produktion erhöhen.

Die Zahl der Pflanzenarten für die Feldbestellung sowie dergezüchteten Tierarten, deren Biomasse maximiert werden soll,

ist geringer als die der Pflanzen und Tiere, die in einem natür-lichen Ökosystem vorhanden sind. Das heißt, selbst wenn dieLandwirtschaft auf dem Gemischtanbau (Polykultur) beruht,verringert sich die Anzahl der genutzten Nischen einesAgrarökosystems. Aus diesem Grund gelingt es diesem nicht,sich so effektiv wie das von ihm ersetzte natürliche Ökosystemzu regulieren, woraufhin Degradationsprozesse einsetzen. Dar-um kommt es zu Struktur- und Fruchtbarkeitsverlusten imBoden (zum genauen Ablauf dieser Prozesse vgl. Heywood/Watson 1995, 326-452), der hydrologische Kreislauf wird un-terbrochen, oft kommt es zu Bodenversalzung3 und nochhäufiger zu Bodenerosion.4 Viele Zivilisationen sind durchderartige, durch die Landwirtschaft verursachte Verwüstungenuntergegangen, zum Beispiel durch Versalzungsprozesse wie inden Tälern des Euphrats und Tigris oder durch Bodenerosionund Sedimentation wie in Ephesus.

Techniken der bäuerlichen Gemeinschaften gegenden Verlust von ÖkosystemkomponentenIn der langen Geschichte der Landwirtschaft haben bäuerlicheDorfgemeinden über Tausende von Jahren hinweg gelernt,verschiedene biologische und physikalische Methoden zu ent-wickeln, um die Probleme, welche sich aus dem Verlust vonKomponenten des Agrarökosystems ergeben, zu meistern, sozum Beispiel durch die Anlage von Terrassen oder durch daszeitweilige Brachlegen von Ackerflächen. Die wichtigsten Me-thoden sind wohl diejenigen, die eine bewusste Artenkombi-nation benutzen, um positive Reaktionen auf die negativenRückkoppelungen eines Agrarökosystems hervorzurufen. Soermöglicht zum Beispiel die integrierte Landwirtschaft (mixedfarming)5, das heißt die Kombination von Feldbestellung undTierhaltung, einen effektiven Ausgleich zwischen biologischerProduktion und biologischem Verbrauch. Der integriertenLandwirtschaft gelingt es auch, das sich zersetzende organi-sche Material (Dünger) genau an den Ort eines Agraröko-systems zu befördern, wo es am meisten benötigt wird. Tief-wurzelnde Anbaupflanzen bringen verlorengegangene Nähr-stoffe zurück in die oberen Bodenschichten, wo diese dendarauffolgenden Pflanzengenerationen erneut zur Verfügungstehen. Hülsenfrüchte nehmen Stickstoff auf, der denjenigen

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ersetzt, welcher durch Nitratverlust und Abgabe an die Atmo-sphäre verloren gegangen ist. Sorghum (ein der Hirse verwand-tes Getreidegras, auch Durra genannt, Anm. des Ü.) und ähn-liche traditionelle Kulturpflanzen wurzeln tief und bringennicht nur Nährstoffe an die Oberfläche, sondern widerstehenauch Dürreperioden, welche durch die Abforstung häufigerauftreten. Einige Arten verlangsamen ihr Wachstum, um Über-schwemmungen zu überleben; und Reis wächst sogar besserunter Bedingungen der Beflutung. Auch ausgedehnte Wald-rodungen vergrößern die Gefahr von Überschwemmungen.

Die in lokalen Gemeinden angewandten physikalischenMethoden verringern oder vermeiden die Bodenerosion, redu-zieren den Wasserverlust, entwässern den Boden oder macheneine Bewässerung erst möglich. Sowohl die Bewässerung alsauch die Entwässerung können den physikalischen und/oderchemischen Zustand des Bodens beeinflussen, zum Beispieldurch Versalzung. Sie sind so verantwortlich für große Verlu-ste an Ackerboden und Biodiversität. In Kombination miteiner angemessenen biologischen Vielfalt und, wenn nötig,mit anderen physikalischen Strukturen können sie allerdingssehr effektiv sein. Die Verbindung dieser Methoden sicherteinen hohen Humusgehalt des Bodens und erhält somit des-sen physikalische und chemische Eigenschaften, so dass einehohe und zeitlich stabile Fruchbarkeitsrate erzielt werden kann.Genügend Humus hält auch die Wirtschaftspflanzen gesundund schützt sie vor Krankheiten und Epidemien.6

Industrielle Landwirtschaft und Ökosystem-MarktDie industrielle Landwirtschaft nahm nach dem Ersten Welt-krieg ihren Anfang. 1940 beschrieb Sir Albert Howard, einbritischen Agrarwissenschaftler, deren Ursprünge folgenderma-ßen: “Seit dem Ende des Großen Krieges mussten die Fabri-ken, die zuvor mit der Bindung von Stickstoff aus der Atmo-sphäre für die Herstellung riesiger Mengen des zur militäri-schen Verteidigung und zur Zerstörung gegnerischer Armeenbenötigten Sprengstoffs beschäftigt waren, einen neuen Marktfinden. Nachfrage wurde geschaffen durch den niedrigen Preis,zu dem der aus der Massenproduktion stammende Stickstoffauf dem Markt angeboten werden konnte, sowie durch dieZuverlässigkeit des Produkts. Dasselbe galt auch für Phospha-

te und Pottasche. ... Das Ausprobieren von Kunstdüngern[dass heißt chemischen Düngemitteln] und neuen Variantenhat unzählige Freilandversuche notwendig gemacht. Derenbekannt gewordene Ergebnisse sind uneinheitlich und verwir-rend, sowohl was ihren Umfang als auch die Schlussfolge-rungen angeht. Durch eine bewusste Auswahl dieses Materialsist es möglich, alles oder nichts zu belegen oder zu widerle-gen.“ (Howard o.J.: 188-189)

Die industrielle Landwirtschaft will einen homogenen An-bau erreichen, ohne auf die charakteristischen Eigenarten desexistierenden Ökosystems Rücksicht zu nehmen. Daher machtsie ausgedehnten Gebrauch von der Bewässerung. Sie schafftsich so einen eigenen Markt für Pump- und Bewässerungs-ausrüstungen und bringt auch Verträge über den Bau vonStaudämmen sowie von Be- und Entwässerungskanälen. Aufdiese Weise dehnen sich die Probleme geographisch aus, dieseit jeher mit der Bewässerung verbunden waren. Die industri-elle Landwirtschaft trennte die Tierhaltung vom Feldanbau. Sielegt Monokulturen an, die nur auf einer Kulturpflanzenartberuhen und ausgedehnte Landstriche durchgehend bedecken.Die Zerstörung von Ökosystemen ist so unvermeidlich. EinIndikator für diese Zerstörung ist der wiederholt auftretendeund schnelle Kollaps der Anbauvarianten aufgrund der Anfäl-ligkeit gegenüber Krankheiten und Epidemien.7 Saatgutzüch-terInnen werden darauf getrimmt, die agrarbiologische Vielfaltwegzuzüchten und einheitlichen Monokultur-Saaten zu produ-zieren. Diese Anbauformen garantieren zudem den Hersteller-firmen von Pflanzenschutzmitteln einen geschlossenen Markt.Die im Norden beheimateten transnationalen Konzerne kon-trollieren so immer mehr die Saatgutproduktion und die Zulie-ferung von Agrochemikalien (Fowler/Mooney 1990: 115-139).Die Zusammenführung beider Sektoren macht die Züchtungvon Varianten möglich, die eine notwendige Abhängigkeit vonAgrochemikalien erzeugen. Und die Konzerne patentieren bei-de Bereiche, um den BäuerInnen zu diktieren, wie sie Saatgutund Agrochemikalien einzusetzen haben.

Die aggressive Vermarktung solcher patentierter Pakete führtzu ausgedehnten Monokulturen und untergräbt die biologi-sche Vielfalt. Die SaatgutzüchterInnen in den Gemeinden wer-den damit marginalisiert. Sie sind es aber, die von jeher die

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agrarbiologische Vielfalt erhöhten und so der Menschheit so-wohl die verschiedenen Kulturpflanzen mit ihren unzähligenVarietäten als auch die ökologischen Methoden gegen Krank-heiten und Epidemien geliefert haben.8 Einmal an den Randgedrängt, verlieren die Gemeinschaften das Vertrauen in ihreüberlieferten und erprobten Anbauweisen, werden abhängigvon Monokulturen und somit hilflos, wenn sie mit Krankhei-ten und Epidemien konfrontiert sind, denen sie vorher effektivvorbeugen konnten. Nährstoffe werden ausgelaugt und fort-geschwemmt, woraufhin sie in regelmäßigen Intervallen externzugeführt werden müssen. Dies schafft den Düngemittel pro-duzierenden und liefernden Chemiefirmen einen Markt. DieBodenstruktur verschlechtert sich, was nun wiederum den Her-stellern von Agrarmaschinen Marktchancen bietet. Die natürli-chen Komponenten des Ökosystems werden so durch künstli-che Komponenten ersetzt, die auf dem Markt gekauft undverkauft werden (müssen). Die Gemeinden verlieren das Ver-trauen in ihre bewährten und traditionell erworbenen ökologi-schen Praktiken, die Bodengüte und -fruchtbarkeit zu bewah-ren oder wiederzuerlangen. In Äthiopien heißt es: „Das Landist korrumpiert: Es hat den Geschmack der Bestechlichkeit aufder Zunge. Wir müssen es mit chemischen Düngemitteln beste-chen, damit auf ihm etwa wächst.“ Auf diese Weise dringt dieGlobalisierung in die bäuerlichen Gemeinschaften ein.

Afrika, „Entwicklung“ und der Agrar-MarktAuch wenn die gekauften Ersatzversionen das gleiche Homöo-stase-Niveau wie die natürlichen Agrarökosysteme erlangenwürden, so blieben Bedenken ihnen gegenüber: Warum fürdiese Komponenten Geld bezahlen, wenn man sie durch denEinsatz der eigenen Arbeit doch auch umsonst von der Naturbekommen kann und wenn zudem diese ländliche Arbeit nichtübermäßig Zeit in Anspruch nimmt?9 Offensichtlich wird hier,dass die Zulieferfirmen der Ersatz-Komponenten aus den in-dustrialisierten Ländern stammen und dass die afrikanischenBäuerInnen durch deren Benutzung in eine gefährliche Ab-hängigkeit geraten. Da die Versorgung mit ausreichenden Nah-rungsmitteln eine absolute Notwendigkeit darstellt, hat dieHerstellung landwirtschaftlicher Komponenten in Afrika selbstderzeit allerhöchste Priorität, da nur so die Ernährungssouve-

ränität zu sichern ist. Kommerzielle Ersatz-Komponenten zer-stören außerdem kontinuierlich die natürlichen Ökosystem-Komponenten und machen sich selbst unersetzlich.

Die Zulieferfirmen der Ersatz-Komponenten wollen höhereProfite erzielen und reagieren oft mit höchst vereinfachendenSchnell-Kuren auf die durch die Anwendung der Markt-prinzipien verursachten schwerwiegenden Mängel im Agrar-ökosystem. Das jüngste dieser verabreichten falschen Heilmit-tel, die Gentechnik, soll – so die kommerzielle Werbung –nicht der Erhöhung der Erträge in stabilen Agrarökosystemedienen, sondern durch genetisch manipulierte Kulturpflanzendie Erträge in degradierten marginalen Agrarökosysteme erhö-hen helfen.10 Das logische Endresultat der Degradierung istdie Zerstörung. Genetisch manipulierte Kulturpflanzen in ei-ner von Zerstörung bedrohten Umgebung anzubauen, wäreverhängnisvoll, da es den Argwohn zerstreuen würde und unsdie Zerstörung akzeptieren ließe, bis es zu spät ist, diese Pro-zesse umzukehren. Tatsache ist, dass gentechnisch manipulier-te Kulturpflanzen bisher nur dazu benutzt worden sind, im-mer mehr ökosystemzerstörende Elemente zu installieren. DieVergiftung besonders der wirbellosen Tiere beim Anbau gen-technisch behandelter Bt-Pflanzenvarietäten11 sowie die gene-relle Vergiftung anderer Pflanzen bei der Anwendung vonPflanzenschutzmitteln auf ausgesuchte gentechnisch manipu-lierten Kulturpflanzen sind die Folge (National ResearchCouncil 1989: 62; James 2000).

Ohne das Thema hier zu vertiefen, kann man sagen, dassAfrika von den Industrieländern in die Falle gelockt wordenist. Verschiedene Ursachenkomplexe haben bisher eine not-wendige Reflexion über dieses Thema verhindert.

Die erste Verlockung ist die Hinwendung Afrikas nach Eu-ropa in Form einer bloßen Imitation. Das Nachdenken übersoziale Entwicklung verläuft sowohl in Europa als auch inAfrika normalerweise linear. Es nimmt an, dass wenn Afrika„entwickelt“ werden soll, der europäische Weg nachgeahmtwerden muss. Dies lässt die Tatsache aus dem Blickfeld gera-ten, dass Europa viele Fehler gemacht hat und immer nochmacht, die Afrika vermeiden kann. Nach und nach werden inden Industrieländern die Fehler erkannt, die in der Vergangen-heit beim Umgang mit ihren Agrarökosystemen begangen

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wurden. Als Reaktion darauf hat sich nun dort ein Markt für„organische Produkte“ etabliert, um so Anreize für korrigie-rende Maßnahmen zu schaffen. Die organischen Produktebeliefern einen schnell wachsenden Nischenmarkt. Selbst aufder Grundlage der geltenden Kriterien könnten schon heuteweite Teile Afrikas ohne größere Anstrengungen für den sichin Europa und Nordamerika ständig vergrößernden Nischen-markt organische Agrarerzeugnisse produzieren.

Eine zweite Verlockung ist die technische und finanzielleHilfe aus dem Norden. Sie wird effektiv dazu genutzt, Afrikadazu zu bringen, Wege in der Landwirtschaft einzuschlagen,die Europa und Nordamerika für diesen Kontinent bestimmthaben.12

Diese Verlockung wird verstärkt durch eine reale oder ange-nommene Nachfrage der Märkte in den Industrieländern nachbestimmten homogenen Landwirtschaftserzeugnissen. In Wirk-lichkeit ist es oft so, dass nach dem dementsprechend durch-geführten Wandel in der Agrarproduktion Afrikas die Markt-nachfrage unbeständig wird und verschwindet. So verkauftenzum Beispiel Unternehmen der Industrieländer in Afrika gro-ße Mengen Pflanzenschutzmittel mit DDT und anderen hoch-toxischen Substanzen. Heute nun wird der kontinuierlicheGebrauch dieser Stoffe von den Industrieländern als Argu-ment benutzt, den Import afrikanischer Agrarprodukte abzu-lehnen.13 Dies ist eine geschickte Form, die Konkurrenz aus-zuschalten. Die Ausflüchte und Winkelzüge der Industrielän-der hinsichtlich der Abschaffung der Agrarsubventionen, wiesie in den Paragrafen der Präambel des WTO-Abkommensüber den internationalen Handel mit Agrarerzeugnissen gefor-dert wird, bestätigen die These, dass Pläne geschmiedet wer-den, um die neu entstehende Konkurrenz der „unterentwickel-ten“ Länder auszuschalten.

Die vierte und vielleicht mächtigste Verlockung ist die An-ziehungskraft, welche die europäischen und nordamerikani-schen Ausbildungssysteme im Landwirtschaftsbereich auf dieafrikanische akademische Jugend ausüben. Sowohl in der Aus-bildung in Afrika als auch wenn junge Menschen an Universi-täten der Industrieländer geschickt werden, werden europäi-sche und/oder US-amerikanische Lehrpläne und Lehrmateria-lien benutzt. Die jungen AfrikanerInnen lernen, dass die Er-

satz-Komponenten von Agrarökosystemen gekauft und ver-kauft werden können, und im Glauben, dass sie damit Afrikamodernisieren helfen, bringen sie diese Komponenten auf deneinheimischen Markt, wo diese eigentlich nicht notwendigsind. Die Industrieländer benutzen das Argument der teurenArbeitskräfte, wenn sie diese künstlichen Substanzen kommer-zialisieren und zum Beispiel den Einsatz von Herbiziden zurVermeidung des Jätens mit der Hand propagieren. Afrikane-rInnen mit einer Ausbildung im Landwirtschaftsbereich zie-hen nicht die massive Arbeitslosigkeit in Betracht, wenn siediesen Handel in vollem Umfang akzeptieren.

Es ist an der Zeit, dass die zerstörerische Kommerzialisie-rung der Komponenten von Agrarökosystemen reguliert wird.Trotz aller Wünsche der nationalen Eliten ist diese zerstöreri-sche Entwicklung in Afrika noch nicht vollständig abgeschlos-sen. Von daher können und sollen unsere Regierungen unddie Öffentlichkeit in Afrika die wirtschaftlichen Entscheidungs-trägerInnen in Zugzwang bringen, nachdem diese, mit derZustimmung und Beihilfe vieler, systematisch von Europa undNordamerika missgeleitet worden sind. Es sollten Maßnah-men ergriffen werden, die dazu beitragen, dass die Stabilitätder afrikanischen Agrarökosysteme wiederhergestellt wird. DieSelbstheilungsprozesse der Natur verlaufen sehr schnell, wennihnen nur eine Chance gegeben wird!

Nahrungsmittelsicherheit und -souveränität

Garantierte Nahrungsmittelsicherheit bedeutet, dass die Masseder produzierten Lebensmittel jederzeit für alle reicht. Diesemüssen auch für alle dann zur Verfügung stehen, wenn siegebraucht werden. Von daher geht Nahrungsmittelsicherheitverloren aufgrund von ungenügender Nahrungsmittelproduk-tion, aufgrund von unzureichenden Lagermöglichkeiten, auf-grund des ungenügenden Transportwesens und/oder aufgrundder fehlenden Kaufkraft derjenigen, die Nahrungsmittel benö-tigen. Wenn Lebensmittel importiert werden müssen, könnendie Knappheit ausländischer Devisen oder politische Wirrendie Versorgung gefährden. Kriege und Bürgerkriege unterbre-chen meist den Import und die Verteilung von Nahrungsmit-teln. Die Industrieländer beeinflussen direkt und indirekt so-

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wie beabsichtigt und unbeabsichtigt die Ausprägung und dieGrößenordnung dieser Variablen in den „unterentwickelten“Ländern. Aus diesem Grund muss in Afrika durch die interneProduktion die Nahrungsmittelversorgung garantiert werden.Mit anderen Worten, der Kontinent muss die volle Ernäh-rungssouveränität erlangen, wenn er unabhängig von den glo-balen politischen Wechselfällen das Überleben seiner Men-schen garantieren will. Dazu müssen viele Probleme angegan-gen werden, von denen einige in den folgenden Absätzenzusammengefasst dargestellt werden.

Von den Industrieländern auferlegtenegative VeränderungenEinige Transformationen, die – vermutlich mit guten Absich-ten – Afrika von den Ländern des Nordens auferlegt wordensind, können schädliche Folgen haben. Ein Beispiel: In vielenLändern ist es die Frau, die das Feld bebaut. Die in derKolonialzeit14 aufgezwungene Landprivatisierung, welche dieEigentümerschaft auf den Ehemann übertrug, während dieFrau weiterhin für die Feldbestellung zuständig war, hat dieEntwicklung der afrikanischen Landwirtschaft negativ beein-flusst.15 Dieses Eigentumsrecht bedeutet, dass nun der Ehe-mann, der oft sehr wenig informiert ist über die Produktionvon Nahrungsmitteln und den Umgang mit ihnen, die Ent-scheidungsbefugnis darüber erhält, was angebaut wird und wasnicht. Wenn Programme zur Verbesserung der Landwirtschaft,zum Beispiel Ausbildungskurse, entwickelt und durchgeführtwerden, so nimmt auch der Ehemann daran teil, aber es istweiterhin die Ehefrau, die von diesen Programmen prakti-schen Gebrauch macht, um die Nahrungsmittelproduktionder Gemeinschaft zu verbessern. In Notzeiten verkauft derEhemann sein Land an die Reichen. Vielleicht verkauft er essogar, um weiterhin seinen Trinkgewohnheiten nachgehen zukönnen. Die traditionellen, auf dem Abstammungsprinzipbasierende Form des Landbesitzes und die überlieferten Tradi-tionen gegenseitiger Hilfe hätten diesen unwiderruflichen Ver-lust kleinbäuerlicher Produktion verhindert, die ein einzigarti-ges System zur Garantierung des Lebensunterhalts in den länd-lichen Regionen der „unterentwickelten“ Länder darstellen(FAO 1979: 122-123).

Viele mögen argumentieren, dass bevor das Farmland nichtprivatisiert wird, sich niemand wirklich darum kümmert. Die-se Kritik ist nicht gerechtfertigt, da Feldanbau und Tierzuchtauf dem ererbten Land sowie dessen ökonomische Nutzungauf dem überlieferten Prinzip des nicht übertragbaren Kollek-tiveigentums aller Verwandten basieren. Landbesitz in derForm einer völlig privaten Eigentümerschaft ist für dieseSicherheitsgarantie nicht wesentlich.

Die europäische Kultur wird in Afrika von vielen als soerfolgreich angesehen, dass sie deren Ausprägungen und For-men oft bloß imitieren. So entscheiden sich die Menschen invielen tropischen Gegenden, und hier insbesondere die städti-sche Bevölkerung, dauerhaft für den Weizen, das heißt vorallem für das Weizenbrot als bevorzugtes Grundnahrungsmit-tel. Dies stellt eine Nachahmung der auf Weizen basierendenErnährungskultur Europas dar. Tropische Länder werden sovon Importweizen abhängig und lokal angepasste Nahrungsge-treidearten wie Yams-Wurzel, Wintermelone, Banane und Hir-se werden immer weniger angebaut. Zudem weisen diese tropi-schen Länder in der Regel wenig Exportprodukte auf, um ihreWeizenimporte zu finanzieren. Das Resultat sind Schuldenund Hunger.

Auswirkungen internationaler Regulierung auf AfrikaDie internationalen Organisationen wie zum Beispiel die Welt-bank, der Internationale Währungsfonds oder sogar die Ver-einten Nationen, die ihrem Auftrag nach dem Wohl der Men-schen aller Länder dienen sollen, wurden am Ende des Zwei-ten Weltkriegs formal gegründet und in ihren Funktionendefiniert, also zu einer Zeit, als fast alle „unterentwickelten“Länder noch Kolonien waren. Es waren die Industrieländer,die diese Institutionen ins Leben riefen, und sie kontrollierenseitdem deren Strukturen, Funktionen und Arbeitsweisen, in-dem sie sich u.a. bis heute das ungeschriebene Recht garantie-ren, dass alle Führungspositionen von Angehörigen ihrer Staa-ten eingenommen werden.16 Durchgehend werden so die Re-geln der Industrieländer den „unterentwickelten“ Ländernübergestülpt. Weil zum Beispiel die Industrieländer in den80er Jahren besondere Politiken entwickelten, um öffentlicheGelder mehr in die schulische Primar- und Sekundarstufe und

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weniger in die Universitätsausbildung fließen zu lassen, verrin-gerte die Weltbank nicht nur weitgehend den Kreditumfangfür letztere, sondern suchte den freien Zugang zur Universitätin den „unterentwickelten“ Ländern einzuschränken.17 Als Fol-ge davon hat sich im Süden die Qualität der wissenschaftli-chen Ausbildung verschlechtert, wovon auch die an den Mo-dellen des Nordens orientierte Agrarwissenschaft betroffen ist.

Private Einrichtungen zur Finanzierung und Vermarktung,einschließlich Versicherungen, Banken, Transportfirmen undTelekommunikationsunternehmen, haben sich vor allem imNorden herausgebildet und sind in ihren Aktivitäten auch aufdiesen konzentriert. Wie wäre es anders möglich, dass diePreise für die Erzeugnisse aus dem Süden – viele von ihnenstammen aus der Landwirtschaft – in London, New York undChicago festgelegt werden und dass sie unablässig fallen, wäh-rend im Gegensatz dazu die Preise der im Norden produzier-ten Waren stetig ansteigen? Warum sollte der Süden, der dochdie meisten Waren produziert, keinen Einfluss auf die Preisederjenigen Produkte haben, die er selbst herstellt bzw. im-portiert?

Unfaire Praktiken gegenüber dem SüdenAnreize können positiv sein und benötigte Entwicklungspro-zesse befördern. Sie können aber auch kontraproduktiv seinund diese verhindern. Die Anreize, die der Homöostase einesAgrarökosystems gegeben werden, sind insgesamt falsch. Sieführen zu einem Verlust an agrarbiologischer Vielfalt und zurVerschlechterung der Bodenqualität, das heißt zu einer gene-rellen Beeinträchtigung agrarökologischer Stabilität.

Der Handel mit Ersatzkomponenten zur Schaffung homo-gener Agrarökosysteme führt notwendigerweise zur Beseitigungder dort vorher anzutreffenden agrarbiologischen Vielfalt. Hierliegt die wichtigste Erklärungsursache für den Arten- undVarietätenverlust bei Kulturpflanzen, in der Tierzucht, beimSaatgut sowie bei den Bodenorganismen, Pilzen und Bakterien(Heywood/Watson 1995: 423-425). Diese Entwicklung ist nichtallein auf das gemeinsame Bestreben des privaten Sektors zu-rückzuführen, einen Markt für die eigenen Produkte zu schaf-fen; es ist ebenfalls die direkte und indirekte Subventionierungkommerzialisierter Ersatzkomponenten für Agrarökosysteme,

welche die biologische Bewirtschaftung letzterer unrentablermacht und den Kauf instabiler Ersatzkomponenten begünstigt.

In allen Industrieländern wird zu einem bestimmten Grad18

der einheimische Landwirtschaftssektor subventioniert. In den„unterentwickelten“ Ländern muss dieser dagegen das Bildungs-system, die Gesundheitsversorgung, die Infrastrukturmaßnah-men sowie insbesondere den verhätschelten, aber oft nicht sehreffektiven industriellen Sektor subventionieren. Dies bringt dieintensive kleinbäuerliche Landwirtschaft Afrikas insgesamt ineine nachteilige Position. Artikel 3 der Präambel des WTO-Agrarabkommens fordert, Subventionen an die einheimischeLandwirtschaft zu beseitigen. Die Forderung wird jedoch hohl,weil das angestrebte Ziel als ein „langfristiges“ bezeichnet wird.Wann endet diese Frist? Wann ist die traditionelle Landwirt-schaft des Südens endgültig vom Erdboden verschwunden?Aus diesem Grund ist das Abkommen Anlass für einen nichtenden wollenden Streit zwischen Nordamerika und Europa,ohne dass jedoch beide dazu gebracht werden, die Subventio-nen deutlich abzubauen, weshalb das Wörtchen „langfristig“wohl ewig bedeutet. Das WTO-Landwirtschaftsabkommen dientvon daher nur als Nebelschleier, hinter dem die bestehendenSubventionen an den agroindustriellen Sektor des Nordensbeibehalten werden – zum Schaden der agrarbiologischen Viel-falt und Agrarökosysteme.19 Andererseits werden die an agrar-biologischer Vielfalt reichen bäuerlichen Gemeinschaften imSüden vom zukünftigen Erhalt von Subventionen ausgeschlos-sen mit dem Argument, hier handle es sich um neue Subven-tionen; und deren Akzeptanz verletze das WTO-Abkommen,genauer dessen Artikel 3 und insbesondere dessen Artikel 3.3,in dem es heißt, dass es den WTO-Mitgliedsländern „verbotenist, bisher noch nicht aufgeführte Agrarprodukte neu zu sub-ventionieren“. Dessen ungeachtet bleibt die Frage, warum denndie alten „Sünden“ toleriert und nur die neuen verdammtwerden sollen? Diese absurde Situation bleibt vermutlich vor-herrschend, weil nur durch die Ankurbelung des Handels mitErsatzkomponenten von Agrarökosystemen die Industrielän-der ihre Führungsrolle auf dem globalen Agrarmarkt beibehal-ten können. An Stabilität orientierte Agrarökosysteme, undhier besonders die in anderen Teilen der Welt, verstoßen gegendominante Interessen und müssten daher untergraben werden.

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169Bedrohte Ernährungssouveränität ...168 Tewolde Berhan Gebre Egziabher

Die indirekten Subventionen, die nicht einmal im WTO-Abkommen Erwähnung finden, sind sogar noch gefährlicher.So erzeugt zum Beispiel die sogenannte „tropische Subsistenz-landwirtschaft“ für jede in den Produktionsprozess eingegan-gene Energieeinheit 30 Mal mehr Energie in Form vonBiomasse (Beets 1990, aber auch Pretty u.a. 2000). In derbritischen Landwirtschaft beläuft sich im Vergleich dazu derErtragsfaktor (in Form von Biomasse) für jede in die Produk-tion eingegangene Energieeinheit auf nur 0,4. Das heißt, dassdie Landwirtschaft Großbritanniens bis zu 75 Mal mehr Ener-gie benötigt als die afrikanische „Subsistenzlandwirtschaft“.Wer bezahlt für die Subventionierung der Energie in Großbri-tannien? Einleuchtenderweise die Sektoren Industrie, Handelund Dienstleistungen, die diese Kosten dadurch ausgleichen,dass sie aus den Ländern des Südens billig produzierte Fertig-waren erstehen. Umgekehrt werden ihre Güter und Dienstlei-stungen zu hohen Preisen verkauft. Würden nicht umgekehrtSubsistenzbäuerInnen aus Afrika oder aus anderen Länderndes Südens den Weltmarkt für Nahrungsmittel beherrschen,weil ihre Agrarerzeugnisse konkurrenzfähiger sind als Produk-te, deren Herstellungskosten nicht vollständig internalisiertworden sind? Wären Güter und Dienstleistungen aus demNorden, die befreit sind von den normalerweise an die einhei-mische Landwirtschaft zu zahlenden Subventionen, dann nichtauch für den Süden billiger? Angesichts der allseits bekanntenHabgier der Konzerne des Nordens könnte dies der Fall sein,ist es aber nicht.

Es kann argumentiert werden, dass die sogenannten „Sub-sistenzbäuerInnen“ nicht genug Nahrungsmittel für die ganzeWelt produzieren würden. Es sollte dabei betont werden, dassalle diese KleinbäuerInnen auch Teile ihrer Erträge verkaufenwürden, wenn sich die Gelegenheit dazu ergäbe. Von daherwürde der erwähnte internationale Konkurrenzvorteil zu einergrößeren „Subsistenzproduktion“ anregen. Möglicherweisewürde dabei auch der Energieeinsatz steigen, jedoch nicht indem Maße, in dem der Energieverbrauch der industriellenLandwirtschaft dann dementsprechend abnehmen würden.

Der Norden hat das WTO-Abkommen über Aspektehandelsbezogener geistiger Eigentumsrechte (engl. TRIPS) eta-bliert, ohne auf die Stimmen aus dem Süden zu achten, der

verstand, was hier vor sich ging. Und was noch wichtiger ist:Trotz der Tatsache, dass der Norden über eine überwältigendeÜbermacht verfügt, hat er dabei versagt, die Konsequenzendes TRIPS-Abkommens für die soziale Entwicklung der armenLänder zu verdeutlichen. Das Abkommen ist das mit Abstandungerechteste aller internationalen Handelsabkommen. Es ge-nügt zu erwähnen, dass sogar einige seiner ursprünglichenMentoren nun ihre Meinung geändert haben und für dieEntfernung dieses Abkommens aus der WTO plädieren. Diesgilt zum Beispiel für Jadish Bhagwati, der sich in diesem Sinnein Zeitungskommentaren geäußert hat. Sogar das UN-Entwick-lungsprogramm (UNDP 2001) unterstreicht in diesem Zusam-menhang die unfaire Behandlung des Südens.

Angesichts dieser Tatsachen hat Afrika zum Zwecke derSchadensbegrenzung das bereits erwähnte Modellgesetz überdie Rechte der lokalen Gemeinschaften verabschiedet. In Zu-sammenarbeit mit der Union zum Schutz neuer Pflanzenvarie-täten (frz. UPOV)20 hat die Weltorganisation für geistiges Ei-gentum (engl. WIPO) Afrika für diese Initiative verwarnt.21

Dabei ist die Initiative absolut notwendig: Denn wie soll sonstdie Ernährungssicherheit in Afrika gesichert werden, wenn dieInnovationen der bäuerlichen Gemeinschaften auch weiterhinin privaten Händen monopolisiert und ihre Produktionsfor-men durch die subventionierte auswärtige Konkurrenz sowiedurch internationale Gesetze und Normen, die auf eine schnel-le Privatisierung abzielen, zerstört werden?

Derzeit sichern das TRIPS-Abkommen und das Landwirt-schaftsabkommen der WTO sowie viele andere internationaleRegulierungen die Vorteile der nur an ihren Profitinteressenund an einer schnellen Privatisierung des öffentlichen Sektorsinteressierten Konzerne des Nordens.22 Der Süden ist zu schwach,um die WTO zu verändern oder ausgleichende internationaleRegulierungsmechanismen bzw. eine als Gegengewicht dienendeOrganisation zu schaffen. Denn der Norden schützt durch dieBegünstigung seiner Konzerne auf Kosten aller seine Eigen-interessen. Die UNO könnte die Initiative ergreifen, um denSüden in dessen Bestrebungen zu unterstützen. Fairerweise musszur UNO gesagt werden, dass der Norden diese umgangen undvöllig unabhängig von ihr die WTO gegründet sowie auf indi-viduelle und selektive Art und Weise die Länder des Südens in

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die WTO-Mitgliedschaft gezwungen hat und immer nochzwingt.23 Die UNO aber ist zu kritisieren für ihre Voreinge-nommenheit, mit der sie ihre Rolle als führende Weltorganisa-tion wahrnimmt. Dies beweist die fehlende Opposition gegenden Gründungsprozess der WTO und das stillschweigende Ein-verständnis mit der Praxis dieser Organisation.24

Nahrungsmitteldumping undgentechnisch verändertes SaatgutEs soll kurz auf einen weiteren Aspekt internationaler Politikhingewiesen werden: Nahrungsmittelsoforthilfe zur Abwen-dung von Hungerkatastrophen ist im Prinzip eine ehrenwerteAufgabe. Die Welt ist denen zu Dank verpflichtet, die insolchen Zeiten der Not zur Hungerhilfe bereit sind. Aberdieser Einsatz benötigt eine ausgefeilte Regulierung und Über-wachung. Zu oft benutzen die Länder des Nordens dieNahrungsmittelsoforthilfe zur Erlangung eines politischenVorteils und werden dabei zugleich ihre Überschussproduktionlos (Hancock 1989: 170). Die Hungerhilfe wird dann zu einemschmutzigen Propagandatrick. Die Regierungseliten des Sü-dens sehen in den Lebensmittellieferungen ein geeignetes Mit-tel, um die Not der Armen zu lindern, deren Hunger ja auchdarauf zurückzuführen ist, dass eben jene Eliten versagt ha-ben, die strukturellen Ursachen der Armut zu beseitigen. Inder derzeitigen Situation stimmen daher, aus jeweils verschie-denen Gründen, die Regierungen der ärmeren Länder mit de-nen der reichen Länder in ihren Interessen überein. Es bestehtkein Zweifel daran, dass dieser Konsens in Bezug auf dieNahrungsmittelhilfe die noch bestehende Landwirtschaft derHungernden völlig ruiniert (Hancock 1989: 168-170).25 Sollderen Elend abgewendet werden, dann kann Hilfe nicht darinbestehen, Teile der überschüssigen Lebensmittelbestände übersie auszuschütten und so die lokale Nahrungsmittelproduktionzu zerstören. Dies macht die Menschen in den betroffenenRegionen nur noch notleidender.

Der Norden verbreitet neue „Wundertechnologien“ im Sü-den. Ein gutes Beispiel dafür sind Pflanzenschutzmittel, dieDDT oder vergleichbare hochtoxische Substanzen enthalten.Der Norden lässt den Süden die wenigen vorhandenen odergeliehenen Gelder in die Anwendung dieser neuen Technolo-

gien investieren.26 Wenn diese Technologien im Norden auf-gegeben werden, kommt es teilweise dazu, dass die mit diesenjetzt „veralteten“ oder „schädlichen“ produzierten Erzeugnissemit einem Importbann belegt werden. Unvermeidlich verliertso der Süden nicht nur seine Märkte für die Devisenerwirt-schaftung, sondern häuft auch Schulden in auswärtigen Wäh-rungen an (Payer 1974, insbesondere S. 18).

Der Norden sollte vorsichtiger sein, wie er seine Machteinsetzt. Er sollte das Vorsorgeprinzip (precautionary principle)27

effektiv umsetzen, insbesondere in Bezug auf die neuen Tech-nologien, deren Gebrauch die menschliche Gesundheit oderdie natürliche Umwelt negativ beeinträchtigen können. Er kannes sich leisten, bei sich selbst Fehler zu machen und diese dannzu korrigieren. Er sollte aber kaum erprobte und möglicherwei-se hochgefährliche Technologien nicht in den armen Länderneinführen und dann die verheerenden Auswirkungen ignorie-ren, welche dann dem Süden aufgenötigt werden, um die Folge-wirkungen zu bekämpfen (Conway/Pretty 1991).

Der durch die Dumpingpolitik im Nahrungsmittelsektorerzeugte Hunger im Süden wird heute durch die biotechno-logische Industrie des Nordens als Argument dafür miss-braucht, um nach einer selbst durchgeführten und mehr alsoberflächlichen Testphase genetisch modifizierte Kulturpflan-zen zu verbreiten. Meines Wissens existieren bisher keine gen-technisch veränderten Kulturpflanzen, deren gesteigerte Erträ-ge pro Einheit Agrarfläche die Erträge der in gleicher Umge-bung wachsenden nicht-manipulierten Varianten übertroffenhätte. Unsicher ist sogar, ob jemand überhaupt schon einmalversucht hat, auf diese wichtige Frage eine Antwort zu geben.Die Industrie scheint zudem die Überlegung zu ignorieren, obdenn gentechnisch manipulierte Kulturpflanzen durch ihrebesonderen Eigenschaften die Welt von Hunger befreien kön-nen. Dies geschieht vorsätzlich. Noch schlimmer wird dieSache durch die Tatsache, dass die Patentierung das gen-technisch manipulierte Saatguts, welche die BäuerInnen gege-benenfalls jede Saison für ihre Aussaat benötigen, verteuert, dasie jedes Mal Patentgebühren bezahlen müssen. Zudem blei-ben die Vorteile vermeintlicher Mehrerträge aus, mit denenauch nach Abzug der Zahlung dieser Gebühren eine gewissewirtschaftliche Rentabilität bliebe. Gentechnisch manipulierte

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Kulturpflanzen sind daher wie Hechte im Forellenteich: Sieködern nichtsahnende KleinbäuerInnen und bringen sie unterdie Kontrolle der ausländischen Agrarmultis. Einmal im Netzzappelnd, erkennen KleinbäuerInnen nicht die Interessen deraus der Ferne angelnden Konzerne und können so diese auchnicht dazu bewegen, Verständnis für die örtlichen Bedingun-gen zu entwickeln.

So wie gentechnisch manipulierte Nutzpflanzen derzeitentwickelt und kontrolliert werden, stellen sie ein Instrumentzur Markterweiterung und -beherrschung dar, das den Südenin die Falle locken soll. Die gentechnische Forschung undEntwicklung kann nur einen Nutzen für KleinbäuerInnen ha-ben, wenn sie aus den Fittichen der Privatwirtschaft befreitwird (Egziabher 2000a; vgl. auch Egziabher 2000b über diePatentierung gentechnisch veränderter Varianten).29

Die Zeitdauer, während der gentechnisch manipulierte Kul-turpflanzen vor einer generellen Freigabe beobachtet werden,hat bisher nur einige Jahre betragen. Und in der Tat umfasstdiese Beobachtung normalerweise nicht die Interaktionen mitanderen Arten. Daher sollte Afrika die Einführung gen-technisch manipulierter Kulturpflanzen äußerst gewissenhaftregulieren. Wenn sich eine solche Variante einmal mit örtlichwachsenden, unveränderten Varianten derselben Nutzpflanzegekreuzt hat, ist es nicht mehr möglich, durch die Zerstörungder eingeführten Art einen Fehler zu beheben.

Die bereits bestehende internationaleAnerkennung der Farmers’ Rights

Lokale bäuerliche Gemeinschaften, die nicht ernsthaft vomglobalen Markt der Ersatzkomponenten von Agrarökosyste-men betroffen sind, nutzen am meisten die agrarbiologischeVielfalt. Die Konvention über biologische Vielfalt (CBD), undhier insbesondere Artikel 8(j) und 10(c), stellt auf internationa-ler Ebene das erste legale Instrument dar, das nicht nur dieBedeutung der lokalen und indigenen Gemeinschaften für dieErhaltung sowie für die nachhaltige Nutzung der biologischenVielfalt anerkennt, sondern auch das Recht, dass diese angehörtwerden müssen, wenn ihre biologische Vielfalt oder das damitzusammenhängende technologische und kulturelle Wissen von

anderen genutzt wird. Dazu kommt das Recht auf einen ge-rechten Vorteilsausgleich (benefit sharing), das heißt auf eineTeilhabe am kommerziellen Nutzen, der von anderen aus derAnwendung der lokalen biologischen Vielfalt, des kulturellenWissens, der technologischen Kenntnisse sowie der Alltags-praktiken der betroffenen Gemeinschaften geschlagen wird. DieCBD erwartet von den Vertragsstaaten Anreize zu schaffen fürdiejenigen, welche die biologische Vielfalt erhalten und zu ihrernachhaltigen Nutzung beitragen (Artikel 11 und 20(1)), wozuauch die eigenen lokalen und indigenen Gemeinschaften gehö-ren, das heißt auch die bäuerlichen Produktionsgemeinschaften.Der genaue Mechanismus zur Umsetzung dieser Rechte wirdzur Zeit innerhalb der CBD ausgearbeitet.29

Auch in den Verhandlungen über die Neufassung des unterder Schirmherrschaft der Welternährungsorganisation (FAO)stehenden International Undertaking für pflanzengenetischeRessourcen (IU-PGR) ist mit Artikel 9 den Rechten der (Klein-)BäuerInnen (Farmers’ Rights) zugestimmt worden. In Einklangmit diesem Artikel sollen jeweils die nationalen Gesetzgeberdie spezifische Natur dieser Rechte näher bestimmen. JederStaat kann also die Farmers’ Rights als eine Anzahl einklagbarerSchutzbestimmungen festlegen, welche das (meist ungeschrie-bene) Gewohnheitsrecht der kleinbäuerlichen Gemeinschaftenanerkennt. Insbesondere die kollektiven Rechte auf das eigeneSaatgut werden festgeschrieben. Die Umsetzung der Rechteauf den Gebrauch des selbst produzierten Saatguts würdenAfrikas BäuerInnen vor dem Zwang schützen, in jeder Saisonauswärtiges Saatgut kaufen zu müssen. Denn der erzwungeneSaatguterwerb ist auf die Einwirkung externer Akteure zurück-zuführen. In der Regel sind das die im Norden beheimatetenmultinationalen Agrarkonzerne, die das Hybridsaatgut paten-tiert haben, zu dessen Benutzung die BäuerInnen selbst neigenbzw. überzeugt oder sogar gezwungen werden.30

Aus diesem Grund verbietet das schon erwähnte afrikani-sche Modellgesetz die Patentierung von Lebewesen. In diesemSinne versucht das Gesetz, die kleinbäuerlichen ProduzentIn-nen vor einer Kontrolle durch die Agrarmultis zu schützen. Essoll den Dorfgemeinschaften dabei helfen, ihre agrarbiologi-sche Vielfalt sowie ihre Biosysteme maximal nutzen und dieStabilität ihrer Agrarökosysteme auf einem hohen Produktivi-

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tätsniveau halten zu können. Das Modellgesetz bindet die imLand vorhandenen Potentiale bei der Aufgabe ein, den bäuer-lichen Gemeinschaften bei der Erlangung eines dem wissen-schaftlichen Fortschritt angemessenen Sachverstands zu hel-fen, was auch neue Technologien einschließt, mit denen dieökologische Stabilität gesteigert und die Ertragsproduktivitäterhöht werden können.

Die CBD hat verschiedene Vorkehrungen getroffen, dievon der Annahme ausgehen, dass sich Ökosysteme nur stabi-lisieren, wenn die natürlichen homöostatischen Prozesse neuetabliert und auf einem bestimmten Niveau beibehalten wer-den. Die Artikel 6 und 8 fordern von den Ländern, die biolo-gische Vielfalt zu erhalten und deren nachhaltige Nutzung zugarantieren.31

Klar ist, dass die derzeit dem Süden auferlegte Handels-liberalisierung die Aufrechterhaltung und Entwicklung einernachhaltigen Landwirtschaft hemmt, da die angestrebte Nach-haltigkeit offensichtlich notwendigerweise eine Einschränkungdes Handels von Waren wie Düngemitteln oder Saatgut bein-haltet. Darum heißt es in Artikel 10 der Entscheidung IV/6 der4. Vertragsstaatenkonferenz (COP) der CBD: „Die Vertragsstaa-tenkonferenz fordert den Generalsekretär dazu auf, die Vertrags-staatenkonferenz – nach Konsultationen mit relevanten Einrich-tungen wie der Welthandelsorganisation – über die Auswirkun-gen der Handelsliberalisierung auf die Erhaltung und die nach-haltige Nutzung der agrarbiologische Vielfalt zu informieren.“

Afrika sollte daher mit seiner Initiative zur Förderung derFarmers’ Rights sowie einer Nachhaltigkeitswende in der Land-wirtschaft fortfahren. Dies will nicht heißen, dass sich derKontinent in seinem Anstrengungen zugunsten einer nachhal-tigen Landwirtschaft keinen Problemen gegenübergestellt se-hen wird, zumal die Patente-heckenden Konzerne des Nor-dens und einige ihrer nationalen Regierungen auch weiterhindiese Pläne zu vereiteln suchen. Trotz der Unangemessenheit,lebende Organismen zu patentieren, werden die Patent-regelungen im Norden immer laxer gehandhabt.32 Der Nor-den will einen verstärkten Druck auf Afrika ausüben, um diePatentierung von Lebewesen zu akzeptieren.

Die Händler von Düngemitteln, anderen Agrochemikalienund Saatgut wollen zudem einen Zustand aufrechterhalten, in

dem Afrika trotz aller diesbezüglichen Bestrebungen den Han-del mit diesen Komponenten weder einschränken noch verbie-ten kann. Sie argumentieren, dass solche Restriktionen dieWTO-Prinzipien der Gleichbehandlung mit inländischen Fir-men (national treatment) sowie mit der jeweils meistbegünstig-ten ausländischen Nation (most favoured nation) verletzenwürde.34

Sogar einige UN-Einrichtungen behindern die von Afrikagestartete Initiative zur Festschreibung der Farmers’ Rights.Das Abkommen über Aspekte handelsbezogener geistiger Ei-gentumsrechte (TRIPS) ist von der UPOV und vom WIPOverteidigt worden, die beide Afrika der Verletzung dieses WTO-Abkommens bezichtigen. Aber was immer diese beiden Ein-richtungen auch behaupten, so sagt doch die Bestimmungüber die Ausnahmen der Patentierbarkeit (Artikel 27.3(b)) nicht,dass Saatgut patentiert werden muss, sondern nur dass diesesdurch besondere Pflanzenzüchterrechte geschützt werden kann.Und der genannte Artikel beinhaltet auch nicht, dass diesePflanzenzüchterrechte in der erwähnten UPOV-Konventionihren Ausdruck finden. Da diese schon vor den Verhandlungenüber das TRIPS-Abkommen in Kraft war, würde dessen Artikel27.3(b) sicherlich explizit angeben, dass seine Absichten auf dieForderungen der UPOV hinauslaufen. Ein anderer Beleg dafür,dass der Inhalt von Artikel 27.3(b) des TRIPS-Abkommen überdie diesbezüglichen Bestimmungen der UPOV-Konvention hin-ausgeht, ist das im ersteren erwähnte eigenständige Systems (suigeneris) als mögliche Alternative zu Patentrechten an pflanzen-genetischen Ressourcen. Es könnte sogar argumentiert werden,dass wenn die UPOV-Konvention als mögliche Trägerin einessolchen sui generis-Systems in Betracht käme, diese Einrich-tung, die ja schon lange vor 1994 bestand, auch im TRIPS-Abkommen namentlich erwähnt worden wäre.

Zusammengefasst: Es geht nicht darum, dass Afrika umge-hend den Import von sog. Ersatzkomponenten für Agroöko-systemen, insbesondere für seine kommerzielle Landwirtschaft,zu stoppen hat. Aber der Kontinent täte gut daran, seinenachhaltige Landwirtschaft zu fördern, die sich auf die ländli-chen Gemeinschaften stützt.34

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Mögliche nationale Vorgehensweisen

Afrika sollte mit der Umsetzung der Farmers’ Rights sowie derergänzenden Elemente des eigenen Modellgesetzes fortfahren.Zudem: Viele der in Afrikas ländlichen Gemeinschaften herge-stellten Erzeugnisse würden in den Industrieländern als „orga-nisch“ bezeichnet werden. Von daher besteht die dringendeNotwendigkeit, dass die Landwirtschafts- und Handelsministerder afrikanischen Staaten ein Zertifizierungssystem für orga-nisch erzeugte Agrarprodukte entwickeln, das in Europa undin Nordamerika akzeptiert werden kann. Afrikanische Lebens-mittelerzeugnisse könnten so leichter auf den globalen „orga-nischen“ Nischenmarkt gelangen. Es könnten auch neueNischenmärkte geschaffen werden. Begleitet von einer ange-messenen Kampagne könnten die Anbaubedingungen der ausAfrika stammenden Lebensmittel – die an agrarbiologischerVielfalt reichen Agroökosysteme des Kontinents – thematisiertwerden. Es könnte betont werden, dass die KonsumentInnendurch den Kauf dieser Lebensmittel zur Erhaltung und nach-haltigen Nutzung der biologischen Vielfalt beitragen. Beson-ders angesprochen werden könnten KäuferInnen, die den grü-nen Bewegungen nahe stehen.

Direkte Subventionen an den bäuerlichen landwirtschaftli-chen Sektor sind in Afrika kaum zu erwarten, da der landwirt-schaftliche Sektor eher andere Bereiche subventioniert alsumgekehrt. Obwohl die afrikanischen Länder als Mitgliederder WTO bisher noch keine Agrarsubventionen registriert ha-ben, würde eine zukünftige Unterstützung ihrer Dorfgemein-den durch die WTO blockiert. Dem könnte Afrika mit Hilfeder CBD und sogar der WTO entgegentreten.35

Auch ohne eine zukünftige Subventionierung, die dennochfür das ländliche Afrika einen großen symbolischen Wertbesäße, könnte den bäuerlichen Gemeinschaften eine beson-dere Rechtsstellung verliehen werden. Diese rechtliche Aner-kennung würde auch den im afrikanischen Modellgesetz vor-gesehenen Farmers’ Rights ein größeres politisches Gewichtverleihen.

Aus dem Englischen von Stefan Armborst

Anmerkungen

1 Anmerkung der Hg.: Wir haben große Textteile in Fußnotenverschoben, um den allgemeinen Argumentationsfluss für dieeher an den allgemeinen Sachverhalten interessierten LeserInnennicht zu stören. Die detaillierten und sehr wichtigen Verweisedes exzellenten Kenners der politischen Prozesse, insbesondereder völkerrechtliche Hintergrund, finden sich in den Fußnoten.

2 Jede Einleitung in die Ökologie reicht, um die Funktionsweisevon Ökosystemen zu verstehen. Eine kurze, aber ausreichendeanalytische Beschreibung befindet sich in Linthurst/Bourdeau/Tardiff 1995. Sei es die Sichtweise des Ökosystems als lose Grup-pe von Organismen mit komplementären Anforderungen(McIntosh 1976) oder aber als Superorganismus mit den Artenals klar bestimmbaren Komponenten desselben (Clements 1905),so ist es doch allgemein anerkannt, dass das Ökosystem – auchwenn es zu langfristig zu Wandlungsprozessen kommt – eineEinheit darstellt, die sich durch eine mehr oder weniger gleich-bleibende Verfasstheit auszeichnet. Diese Verfasstheit gründetauf der Homöostase, die erreicht wird durch die Interaktionenzwischen allen existierenden Komponenten.

3 Gut dokumentiert ist die Versalzung als Konsequenz von Bewäs-serung, besonders wenn die Wasserdrainage nicht ordnungsge-mäß durchgeführt wird. Obwohl es zunächst wenig logisch er-scheint, den Überschuss an Salz mit dem Überschuss an Wasserin Verbindung zu bringen, führt eine unzureichende Drainagezu Überwässerung und Versalzung, woraufhin sich der Bodennormalerweise verklumpt. Laut Brown/Flavin (1997: 42) gehenjährlich 2 Mio. ha Land durch Überwässerung und Versalzungverloren. Pretty (1995: 126-127) schätzt den Verlust nur auf 1,5Mio. ha. Beide Zahlen sind gleichermaßen erschreckend.

4 Nach WRI/UNEP/UNDP/WB (1998: 157) erodieren jährlich 16bis 300 mal mehr Bodenmassen als neue gebildet werden. Dieszeigt, dass wir die Zukunftsanlagen der Natur auffressen und inden Tod zukünftiger Generationen investieren.

5 Howard (o.J.: 1; 32-38) beschreibt dieses System, das in derindustriellen Landwirtschaft nicht existiert, jedoch von den bäu-erlichen Gemeinschaften des Südens, einschließlich Afrikas, ingroßem Umfang eingesetzt wird.

6 Nach dem Kenntnisstand des Autors behandeln die heutigeBodenwissenschaft die gesundheitlichen Implikationen des orga-nischen Bodenmaterials (Humus). Vielleicht sind die heutigenAutoren so auf die ökosystemersetzenden Agrochemikalien alsangeblich einziges Mittel zur Bekämpfung von Krankheiten und

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Epidemien bei Kulturpflanzen fixiert, dass sie natürlichen Heil-methoden keine Aufmerksamkeit schenken. Vor der Zeit desumfassenden Einsatzes von Agrochemikalien gab es jedoch Ver-öffentlichungen zu diesem Thema. Howard (o.J.: 143-174) zeigtdie Bedeutung eines hohen Humusgehaltes und eines ausgegli-chenen Agroökosystems für die physiologische Gesundheit derAnbaupflanzen und für die erfolgreiche Abwehr von Krankhei-ten und Epidemien. Er argumentiert, dass der Einsatz vonAgrochemikalien zur Bekämpfung von Krankheiten und Epide-mien nur begrenzte Effektivität besitzt, da diese sich an dieChemikalien anpassen. Später, aber noch bevor Agrochemikalienallgemein verbreitet waren, ergänzte Russel (1961) diesen Ansatzdurch genauere Informationen über die unterstützende Funkti-on der Mikroflora des Bodens (vgl. S. 210-221) und über dieBedeutung der organischen Bodenmaterials für die Pflanzen-gesundheit und Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten undEpidemien (S. 523-534).

7 Fowler/Mooney (1990, 135) berichten, dass zwischen 1947 und1977 die neue Gerstenvarianten in Großbritannien alle drei Jah-re ihre Widerstandskraft verloren.

8 Saatgutfirmen, die homogene Varianten für die industrielle Land-wirtschaft liefern, haben es immer abgestritten, dass ländlicheGemeinschaften Pflanzenzüchter sind, und behauptet, dass dortnur ausgewählt wird, was die Natur liefert. Das ist wahr, trifftaber nicht nur auf die ländlichen Agrargemeinden, sondern auchauf die WissenschaftlerInnen in der Saatgutzüchtung zu. Dankdieser behaupteten Trennlinie können die industriellen Saatgut-firmen die von den Gemeinden produzierten Varianten als„Landrassen“ bezeichnen, als ob der Boden und nicht die Men-schen die Erzeugung dieser Varianten kontrollierten. Widerwilligakzeptieren heute sogar die Saatgutfirmen die Rolle der Klein-bäuerInnen als ZüchterInnen – zum Beispiel Duvick (1995, 221-222), der aber trotzdem noch zwischen „professioneller“ und„bäuerlicher Pflanzenzüchtung“ unterscheidet.

9 Pretty (1995: 94-130) beschreibt die Methoden, die bäuerlicheDorfgemeinschaften in vielen Teilen der Welt anwenden, um dieHomöostase der Agroökosysteme aufrechtzuerhalten. Zu diesemThema existieren zahlreiche Studien aus den Ländern des Sü-dens.

10 Im Weltentwicklungsbericht 2001 (UNDP 2001: 31) heißt es:„Die Biotechnologie das einzige oder sogar beste ‘Auswahl-instrument’ für marginale Ökozonen (...), in denen mehr als derHälfte des ärmsten Teils der Weltbevölkerung wohnt..“ Im näch-sten Paragraf heißt es: „Es ist noch ein langer Weg, bis das

Potential der Biotechnologie ausgeschöpft ist.“ Das UNDP er-kennt indirekt an, dass die Biotechnologie noch nicht auf margi-nalen Böden ausprobiert worden ist, wodurch sich auch nochnicht als sicher herausgestellt hat, ob sie dort das beste oderüberhaupt ein geeignetes Instrument darstellt. Daher erweist sichdie Behauptung, sie sei das ‘beste Instrument’ dafür, als bloßesWunschdenken. Jeder hat das Recht darauf, sich etwas zu erträu-men, auch die UNDP. Aber Wunschträume werden nicht zuNahrungsmitteln. M.E. ist bisher noch keine, angeblich speziellfür die arme Bevölkerung entwickelte, gentechnisch veränderteKulturpflanze erfolgreich gewesen. Angenommen dass die Bio-technologie in der Tat auf marginalen Böden Nahrungsmittelliefert, wie sollen die „Ärmsten der Weltbevölkerung“, die zu-meist kein Bargeld besitzen und Analphabeten sind, die kompli-zierten Verhandlungen mit den PatentinhaberInnen aus demNorden bestreiten? Und wie sollen sie die Patentgebühren be-zahlen? Allen Debatten um geistige Eigentumsrechte zum Trotzschweigt die UNDP zu diesen Fragen. Deshalb wird ihr Traummit Sicherheit zu einem Alptraum!

11 Die gentechnisch behandelten Bt-Varianten besitzen alle das Geneiner eingeführten Bakterie (Bacilus thuringensis). Dieses Genproduziert ein generell wirkendes Gift, das zumindest alle Insek-ten tötet. Vgl. zum Beispiel National Research Council (1989:63) und James 2000.

12 Es ist verständlich, dass offizielle Publikationen aus dem Nordenund sogar die UNO, der IWF oder die Weltbank, die es eigent-lich besser wissen sollten, nicht viel über diese Problematikschreiben, es sei denn in groben Zügen, so über die Verschul-dung der ‘Entwicklungsländer’ – siehe zum Beispiel UNDP(2001: 191-194). Viele einzelne AutorInnen haben sich diesemThema gewidmet. Hancock (1989: 37-75) beschreibt auf leichtlesbare Weise, wie die ‘entwickelten Länder’ durch die Struktur-anpassungsprogramme ihre Bedingungen diktieren. Der privateSektor leistet ebenfalls Gehorsam gegenüber diesen Konditiona-litäten und übt effektiv Druck auf die Regierungen aus, damitderen Politik ihren Wünschen entsprechen. (siehe dazu u.a.Korten 1995).

13 Conway/Pretty (1991: 534) schreiben dazu: „In den 50er und60er Jahren wurden beträchtliche Mengen Pflanzenschutzmittel,die in den Industrieländern verboten oder im Gebrauch einge-schränkt worden sind, zu Dumping-Preisen in die Entwicklungs-länder verkauft.“ Gesetze legten generelle Höchstgrenzen für dieRestbestände von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmittels fest,zum Beispiel in den „1998 Pesticide (Maximum Residues Levels

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Food) Regulations“ in Großbritannien. Nun wurden Lebens-mittelimporte aus den Entwicklungsländern aus Gründen desdortigen Pflanzenschutzmittelgebrauchs eingeschränkt. So wur-den allein zwischen 1977 und 1979 insgesamt 40 Schiffsladun-gen Lebensmittel zurückgewiesen, die in die USA eingeführtwerden sollten. (Conway/Pretty 1991: 550)

14 Der Fall Kenia zeigt exemplarisch die mit der Aufbürdung eineseuropäischer Landbesitzformen verbundenen Probleme. Sorren-son (1968: 177-179) beschreibt ausführlich, wie das traditionelle,nach dem Abstammungsprinzip organisierte Bodeneigentum derganzen Familie zugute kam, was die europäischen SiedlerInnenzu der Annahme verleitete, das Land hätte keine EigentümerIn-nen und lüde sie zur Inbesitznahme ein. Frank (1979: 160) zitiertK. Woddis, der folgende Meinung vertritt: „Nur ein sehr kleinerTeil des für die EuropäerInnen reservierten Bodens wurde in derTat von diesen landwirtschaftlich genutzt. (...) Für diese Tatsacheund insgesamt für die massenhafte Landnahme in so weitenTeilen Afrikas waren zwei Motive verantwortlich. Zum einensollte verhindert werden, dass die afrikanischen BäuerInnen zuKonkurrenten für europäischen FarmerInnen und Plantagenbe-sitzerInnen werden. Und zum anderen sollte die afrikanischeLandbevölkerung derart verarmt werden, dass die Mehrzahl ihrermännlichen Erwachsenen sich dazu gezwungen sahen, für dieEuropäerInnen in den Bergwerken und auf den Farmen zu arbei-ten.“ Vor dem Kolonialismus waren in fast ganz Afrika die Frau-en für den Feldanbau verantwortlich und es vielerorts ist dieheute noch so. Snyder/Tadesse (1995: 20-26) streichen heraus,dass Frauen deshalb auch für die Verteilung der Ernte zuständigwaren. Viele AutorInnen (zum Beispiel Ahooja-Patel 1977: 66-89) betonen, dass Afrika mit der politischen Unabhängigkeit diein der Kolonialzeit geänderten Formen des Landeigentums über-nahm, was drastische Konsequenzen für die nun ihrer sozialenFunktionen entledigten Frauen hatte. Frank (1979: 159) streichtheraus, dass sogar in den für AfrikanerInnen reservierten Arealen„die Stammesführer immer mehr das von ihnen verwaltete Kol-lektiveigentum in Privateigentum überführten“.

15 Die Auswirkungen, die sich aus der Änderung der Landbesitz-formen für Frauen ergaben, ist gut dokumentiert, zum Beispielin FAO 1979. Ein Beispiel für die vielen aus Afrika stammendenPublikationen zu diesem Thema ist Kameri-Mbote 1992.

16 Bedjaoui 1979 beschreibt auf 287 Seiten (v.a. 23-63), wie dieinternationalen Normen und Machtverhältnisse asymmetrischim Interesse der Industrieländer geformt wurden, um die Interes-sen der Entwicklungsländer zu unterdrücken. Childers/Urquhard

(1994: 102) erwähnen, dass es in der UNO ähnlich aussieht:deren Führungspositionen werden vor allem von Personen ausdem Norden eingenommen. Weiter heißt es dort: „Trotz des inder UN-Charter verbrieften Schutzes gegen Privilegien und ille-gale Einflussnahme bei der Personalauswahl ist es in der UNDPsowie der UNICEF zur Tradition geworden, von US-Amerikane-rInnen angeführt zu werden – unabhängig davon, ob diese diefür diese Posten am besten Geeigneten oder am besten geeigne-ten US-AmerikanerInnen sind. Die UN-Generalsekretäre habenbis auf den heutigen Tag die von den USA diktierten Nominie-rungen akzeptiert. Andere große ‘Geberländer’ bestehen darauf,dass Angehörige ihrer Nationen Chefposten in den Fonds undProgrammen erhalten. (...) Im UNO-Sekretariat macht sich derEinfluss der freiwilligen Beitragsleistungen geltend, denn dortwerden 68 Prozent der Finanzen der außerbudgetären Ausgaben-posten von Angehörigen aus nur 20 ‘Geberländern’ kontrol-liert.“ Auf S. 37 weisen die Autoren darauf hin, dass die Mit-gliedsländer des Nordens diejenigen UNO-Büros und –Program-me selektiv fördern und stärken, die ihrem Eigeninteresse die-nen, und so das gesamte UN-System zu ihren Gunsten beeinflus-sen. Auf S. 126-129 zeigen sie, wie die Delegationen, die derSüdens in der UNO samt ihren Unterorganisationen hält, gegen-über den Delegationen des Nordens benachteiligt werden undwie so die mit ‘Unterstützung’ des Südens getroffenen Entschei-dungen letztendlich einseitig dem Norden zugute kommen.

17 In den 80er Jahren erzeugte die unter dem Protagonismus derWeltbank vorangetriebene Verringerung der Ausgaben für diehöhere Bildung viel Diskussionen auf den Rektorenkonferenzender afrikanischen Universitäten. Der Autor war damals Rektorder Asmara-Universität. 15 Jahre später beklagte der Welt-entwicklungsreport (UNDP 1990: 72-74), dass in den Entwick-lungsländern ein drastischen Ausgabenschwund in den Berei-chen Bildung und Gesundheit zu verzeichnen sind. Am schwer-sten betroffen davon sei Afrika.

18 Die Existenz des WTO-Agrarhandelsabkommens ist Beweis da-für, dass die Landwirtschaft in Norden subventioniert wird.Heywood/Watson (1995: 777) verweisen auf die „Subventionenfür den Landwirtschafts- und Energiesektor in den Industrielän-dern, insbesondere in Osteuropa und in Nordamerika“. Sie er-wähnen auch andere kontraproduktive Subventionen, Systemeund Politiken (S. 776-783). Pretty u.a. (2000) schätzen die „ge-samten Umwelt- und Gesundheitskosten“, das heißt die nicht-internalisierten Kosten, der britischen Landwirtschaft auf 2342Mio. Pfund Sterling.

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183Bedrohte Ernährungssouveränität ...182 Tewolde Berhan Gebre Egziabher

19 Shiva (o.J.: 104-111) streicht heraus, dass das WTO-Agrarab-kommen nur den Nahrungsmittelhandel liberalisiert, aber nichtdie Vergabe von Subventionen an die landwirtschaftlichen In-puts, zum Beispiel Investitionen, Kunstdünger, Marketing undInfrastruktur. An anderer Stelle heißt es dort: „Afrikas Ausgabenfür Nahrungsmittelimporte stiegen von 8,4 Mrd. Dollar auf 14,9Mrd. Dollar im Jahr 2000.“ Eine genaue Sicht auf Artikel 6 vonAnhang 3 des WTO-Agrarhandelsabkommens zeigt, das Shiva inihrer Interpretation richtig liegt.

20 Anm. d. Hg.: UPOV steht für Union Internationale pour laProtection des Obtentions Végétales mit Sitz in Genf. Das spezi-elle Schutzsystem für Pflanzenvarietäten wurde 1961 eingerichtetund 1978 und 1991 verändert.

21 Am 9-11 Mai gaben WIPO und UPOV, zusammen mit anderenOrganisationen, die für private Rechte auf Kosten kollektiverRechte eintreten, ihre Kritik am „Afrikanischen Modellgesetzzum Schutz lokaler Gemeinschaften, BäuerInnen, Saatgutzüchte-rInnen und zur Regulierung des Zugangs zu biologischen Res-sourcen“ bekannt. Die Kritik zielte ohne Ausnahme darauf ab,die Anerkennung geistiger Eigentumsrechte zu fördern, welche,in Übereinstimmung mit den Paragrafen der Präambel des WTO/TRIPS-Abkommens, allein als private Rechte verstanden werdenund so die Privatisierung von Wissen, Technologien und Inno-vationen der bäuerlichen Gemeinschaften voranzutreiben.

22 Frank (1979) fasst zusammen, wie der Norden seine Vorrangstel-lung den Vorteilen verdankt, die er historisch gegenüber demSüden erworben hat. Der analytische Rahmen des Autors basiertauf einem sozialistischen Ansatz. Alexander (1996) und Korten(1995) bieten neuere Daten zu diesem Thema und analysierenauch den Kapitalismus in seinen derzeitigen Nord-Süd-Dimen-sionen. Alle drei Autoren streichen die ungerechten Beziehun-gen zwischen Nord und Süd heraus. Farmers’ Rights undErnährungssouveränität sind nur ein Bereich einer umfassendenglobalen Problematik.

23 Artikel XI des Marrakesch-Abkommens von 1994, das die Grün-dung der WTO beschloss, sah die Vertragsparteien des GATT-Abkommens von 1947 als Gründungsmitglieder der neuen inter-nationalen Handelsorganisation vor. Jedes andere Land hattegemäß Artikel XII.1 seinen WTO-Beitritt „unter den zwischenihm und der WTO vereinbarten Bedingungen“ zu verhandeln –was nichts anderes hieß als zwischen ihm und den ursprüngli-chen GATT-Vertragsparteien von 1947, das heißt den Industrie-ländern samt einigen wenigen Ländern des Südens. Die WTO-Zulassungsnormen waren also faktisch vom den Interessen des

Nordens geprägt, weil dieser einen enormen Einfluss darauf be-saß, zu welchen Bedingungen andere Länder als WTO-Mitglie-der akzeptiert wurden.

24 Auf einer Konferenz der Organisation Afrikanischer Staaten(OAU) behauptete der Repräsentant der WIPO, dass die WTOdie WIPO – die ja auch Teil der UNO ist – mit der weltweitenImplementierung des TRIPS-Abkommens vertraut habe.

25 Hancock (1989: 168) zitiert Quellen der US-amerikanischenEntwicklungsbehörde (USAID), die seine Ansicht bestätigen,internationale Nahrungsmittelsoforthilfe werde als Risikokapitalbenutzt, um Exportmärkte für die US-amerikanischen Agrarpro-dukte, und hier insbesondere Weizen, zu schaffen. Hancockverweist auf die Ergebnisse der „Lateinamerikanischen Konfe-renz zu Nahrungsmittelhilfe und genetisch veränderten Organis-men“ (6.-9. August 2001), die mit der Analyse schließt, dass sichdie negativen Auswirkungen der internationalen Nahrungsmit-telsoforthilfe verstärkt haben. Die Menge der Lebensmittelliefe-rungen aus den USA und aus EU ist seitdem noch angestiegen.Außerdem werden heute auch gentechnisch veränderte Lebens-mittel, die in Europa abgelehnt werden und deren legaler Importvon den bedürftigen Empfängerländern offiziell nicht erlaubtwird, als Nahrungsmittelsoforthilfe kaschiert werden.

26 Conway/Pretty (1991: 534 u. 540) zeigen, dass statt in den Sü-den zu investieren, um die negativen Auswirkungen des Ge-brauchs der zu Dumpingpreisen verschleuderten Pflanzenschutz-mittel auszugleichen, der Norden dieses Problem instrumentali-siert, um den eigenen Handelsprotektionismus zu rechtfertigen.

27 Nummer 15 der auf der Umweltkonferenz von Rio de Janeiro1992 verabschiedeten Prinzipien kann in doppelter Hinsicht in-terpretiert werden. Einerseits bedeutet es, dass keine Handlungvollzogen werden soll, bevor nicht erwiesen ist, dass diese keinenbedeutenden Schaden anrichtet, und andererseits, dass keineHandlung der Schadenvermeidung ausgelassen werden soll, auchwenn keine eindeutige Sicherheit darüber besteht, dass solcheine Handlung diesen Zweck erfüllt. Das Prinzip sagt auch, dasswenn Unsicherheit darüber besteht, ob eine Handlung Schadenerzeugt oder nicht, diese nicht vollzogen werden soll, bevornicht eine eindeutig bestimmbare Sicherheit über die Harmlosig-keit der Handlung besteht.

28 Artikel 16.4 des Protokolls von Cartagena über biologische Si-cherheit macht erforderlich, dass jeder gentechnisch manipulier-te Organismus „eine angemessene Beobachtungsperiode durch-laufen muss, die mit dem Lebenszyklus oder der Generations-dauer in Einklang steht, bevor er zum vorgesehenen Einsatz

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185Bedrohte Ernährungssouveränität ...184 Tewolde Berhan Gebre Egziabher

kommt“. Der Grund für diese Bestimmung wird unter anderemin Paragraf 9(e) des Anhangs III genannt, in dem es um dieRisikoeinschätzung geht. Analysiert werden sollen hier „die Un-terschiede in den biologischen Charakteristika“ zwischen gene-tisch behandelten Organismen und ihrer nicht-behandeltenElterngeneration. Eine der wichtigsten biologischen Eigenschaf-ten, die untersucht werden muss, ist das Verhalten der gen-technisch veränderten Arten innerhalb der natürlichen Ökosy-steme, in die diese notwendigerweise entweichen werden.

29 Entscheidung III/14 der 3. COP der CBD, die im November1996 in Buenos Aires stattfand, sowie Entscheidung IV/9 der 4.COP der CBD, die im Mai 1998 in Bratislava abgehalten wurde,haben einige der genannten Rechte der lokalen und indigenenGemeinschaften genauer definiert und auch erste Schritte unter-nommen, in diesem Sinne eine juristisch eindeutigere Rechtslageauszuarbeiten. Der wichtigste dieser Schritte war die Schaffungeiner zeitlich nicht begrenzten Ad-hoc-Arbeitsgruppe zu diesemThema.

30 In den USA fand die ersten Patentierungen von Hybridvariantensowie von Genen in den Jahren 1956 bzw. 1980 statt. Bis zurGründung der WTO im Jahr 1995 patentierte kein anderes LandLebewesen oder lebende Prozesse. Doyle (1985: 300-338) be-hauptet, dass diese Patentierungen mit der Absicht vollzogenwerden, den US-Firmen einen Vorsprung gegenüber den Unter-nehmen anderer Länder zu geben und ersteren eine dominieren-de Stellung auf dem Weltmarkt zu verschaffen. Als die Welt, undinsbesondere die Länder des Südens, noch ahnungslos waren,planten die USA schon die allgemeine Anerkennung von Paten-ten in der CBD. Ebenso schufen sie heimlich die Voraussetzun-gen für die Patentierung von Bakterien und bakteriellen biologi-schen Prozessen sowie auch die Option für eine Patentierunganderer Lebensformen und lebendigen Prozessen im Rahmendes TRIPS-Abkommens.

31 Artikel 8(d) bezieht sich auf die Notwendigkeit, „den Schutz derÖkosysteme zu fördern“. Artikel 8(f) betrifft die „Sanierung undWiederherstellung degradierter Ökosysteme“. Artikel 8(i) verlangtvon den Ländern, „Anstrengungen zu unternehmen, um dienötigen Bedingungen für eine Kompatibilität zwischen der ge-genwärtigen Nutzung und der Erhaltung der biologischen Viel-falt bzw. einer nachhaltige Nutzung seiner Komponenten zuschaffen“. Es sei betont, dass Artikel 2 in seiner Definition der„biologischen Vielfalt“ die „Vielfalt innerhalb einer Art, die Viel-falt der verschiedenen Arten sowie die Vielfalt innerhalb desgesamten Ökosystems“ umfasst. Deshalb zieht Artikel 8(i) Ände-

rungen in der Nutzungsform von (auch landwirtschaftlichen)Ökosystemen in Betracht mit dem Ziel, die Anzahl der in ihnenbefindlichen Arten insgesamt zu maximieren. Artikel 8(m) for-dert die Länder auf, auch die im Norden, „dazu beizutragen,dass den in Artikel 8 genannten Aktivitäten ein ausreichenderfinanzieller Rahmen gegeben sowie andere Unterstützung zuteilwird“. Auch für den Fall, dass einige Regierungen die Anstren-gungen Afrikas nicht unterstützen mögen, artenreiche undstabilitätsfördernde Agrarökosysteme aufrechtzuerhalten, solltedie Politik auf dem Kontinent zumindest respektiert werden.Ganz im Sinne dieser wichtigen Bestimmungen von Artikel 8machen einige der Entscheidungen der CBD-Vertragsstaaten-konferenzen genauere Angaben darüber, wie Ökosysteme imAllgemeinen und Agrarökosysteme im Besonderen nachhaltiggenutzt werden können. In Artikel 2 der Präambel der Entschei-dung IV/6 der 4. Vertragsstaatenkonferenz der CBD in Bratislavaheißt es: „Besonders hervorzuheben ist die Notwendigkeit einerweltweiten Neuorientierung hin zu einer nachhaltigen Landwirt-schaft, die Produktion und Naturerhaltung miteinander verein-bart in dem Sinne, dass die Bedürfnisse einer wachsenden Welt-bevölkerung befriedigt werden, aber auch das ökologische Gleich-gewicht aufrechterhalten wird.“ Artikel 4 und 5 der Entschei-dung geben weitere Einzelheiten darüber, wie dies zu bewerkstel-ligen sei. Artikel 4 „schlägt vor, dass Regierungen, Finanz-agenturen, privater Sektor und Nichtregierungsorganisationengemeinsame Anstrengungen unternehmen, nicht nur nachhalti-ge landwirtschaftliche Praktiken und ein integriertes Landschafts-management – das Zusammenspiel von genutzten und naturbe-lassenen Arealen – zu kennzeichnen und zu fördern. Unterstütztwerden sollen auch angemessene Produktionsformen, welche dienegativen Auswirkungen von Ackerbau und Viehzucht auf diebiologische Vielfalt verringern und die ökologischen Funktio-nen stärken helfen, welche die Biodiversität zum Nutzen derLandwirtschaft ausübt.“ Artikel 5 der Entscheidung betrachtetalle Formen der Bodenflora als essentielle Komponenten agrar-biologischer Vielfalt.Ganz eindeutig rechtfertigen Artikel 6 und 8 sowie Entschei-dung IV/6 der 4. COP der CBD die Anstrengungen Afrikas zumAufbau einer nachhaltigen Landwirtschaft, die auf dem bewähr-ten überlieferten Gemeinschaftsprinzip basiert. Wissenschaftli-che Erkenntnisse können obendrein dazu benutzt werden, umsowohl die Produktivität zu erhöhen als auch die Agraröko-systeme als ganze zu stärken. Darum heißt es auch in Artikel15(k) der Entscheidung III/11 der 3. COP der CBD in Buenos

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187Bedrohte Ernährungssouveränität ...186 Tewolde Berhan Gebre Egziabher

Aires, dass „die Parteien dazu angeregt werden, nationale Strate-gien, Programme und Pläne zu erarbeiten, die unter anderem dieForschung, Entwicklung und Anwendung von integrierten Stra-tegien zur Plagenbekämpfung beinhalten, insbesondere alternati-ve Methoden und Praktiken in Gebrauch und Anwendung vonAgrochemikalien, um die biologische Vielfalt zu erhalten, dieWiderstandsfähigkeit der Agrarökosysteme zu stärken, die Bo-den- und Wasserqualität zu sichern und nicht die menschlicheGesundheit nicht zu beeinträchtigen.“

32 Nach Angaben des New Scientist Magazin vom 14. Juli 2001 (S.12) versuchte ein Patentanwalt in Melbourne zu zeigen, wie leichtes ist, in Australien dank der neuen, im Mai 2001 einführtenRegelung Patente anzumelden. Er stellte einen Antrag auf diePatentierung des Rades, das doch seit Urzeiten in Gebrauch ist,und bezeichnete es als „kreisförmige Einrichtung zur Erleichte-rung des Transporte“ und erhielt das Patent! Was nur die Verant-wortlichen in der WTO denken, wenn sie zur Arbeit fahren!

33 Für das TRIPS-Abkommen mag das sogar stimmen. Dort heißtes in Artikel 3: „Jedes Mitgliedsland soll in Bezug auf den Schutzder Rechte des intellektuellen Eigentums den Angehörige ande-rer Mitgliedsländer eine nicht weniger günstige Behandlung zu-teil werden lassen als es den Angehörigen der eigenen Nationzukommen lässt.“ Das Wort „Angehörige“ umfasst sowohl na-türliche als auch juristische Personen. Artikel 4 schreibt dieGleichbehandlung mit der meistbegünstigten ausländischen Na-tion vor. Dieses Prinzip macht es erforderlich, dass jede Begün-stigung, die den Angehörigen eines WTO-Mitgliedslands gegen-über den Angehörigen eines anderen Mitgliedslands eingeräumtwerden, auch den Angehörigen aller anderen Mitgliedsländereingeräumt werden muss. Doch wenn einmal Artikel 3 in Kraftgetreten ist, hat Artikel 4 nur Sinn, wenn ein Land den Angehö-rigen eines anderen Landes eine bessere Behandlung zuteil wer-den lässt als den Angehörigen des eigenen Landes. Das ist sehrunwahrscheinlich. Artikel 4 des TRIPS-Abkommens besitzt des-halb eine Overkill-Wirkung.In Artikel II des WTO-Abkommen zu Gütern (Multilateral Agree-ment on Trade in Goods; MATG), in dem es um die Gleich-behandlung mit der meistbegünstigten Nation geht, heißt es:„In Bezug auf jede durch dieses Abkommen abgedeckte Maß-nahme soll jedes Mitgliedsland unverzüglich und ohne Bedin-gungen Dienstleistungen und Dienstleistungsanbietern eines je-den anderen Mitgliedslands eine nicht weniger begünstigendeBehandlung zuteil werden lassen als diejenige, die es Dienstlei-stungen und Dienstleistungsanbietern eines andere Mitglieds-

lands einräumt.“ Dies erlaubt jedem Mitgliedsland, einige oderalle Dienstleistungen eines anderes Landes, die anzubieten eseinem beliebigen Drittland verboten hat, außerhalb des Kreisesder erlaubten ausländischen Anbieter von Dienstleistungen zustellen. Dessen ungeachtet wird in Artikel XIX-XXI an jedesMitgliedsland die Anforderung gestellt, auf der Grundlage des inden Verhandlungen vereinbarten Zeitplans in bestimmtenDienstleistungskategorien Liberalisierungsschritte zu unterneh-men. Artikel XVII fordert, Dienstleistungen und Dienstleistungs-anbietern dieser Bereiche innerhalb der angegebenen Fristen dasNT-Prinzip einzuräumen. Demgegenüber benutzt das MATG-Abkommen das Prinzip des national treatment in einem ver-schiedenen Kontext als das Prinzip des most favoured nation.Artikel I des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT),das Bestandteil der MATG-Abkommens ist, macht das Prinzipde das MFN-Prinzip nur erforderlich „in Bezug auf alle Zollab-gaben und -gebühren“. In diesem Sinne verbietet also diesesPrinzip dort keinesfalls ein generelles Einfuhrverbot bestimmterWarenklassen. Und es zwingt WTO-Mitgliedsländer auch nicht,Angehörige anderer Länder zu akzeptieren, die das Land betre-ten und dort eine beliebige Ware herstellen wollen. Der Begriffmost favoured nation wird also im MATG-Abkommen viel ein-schränkender gebraucht als zum Beispiel im Allgemeinen Ab-kommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) oder(in noch verstärktem Maße) im TRIPS-Abkommen. Aus diesemGrund können die Industrieländer den Import von Fertigwarenaus dem Süden nach Gutdünken blockieren. Und darum brauch-te die WTO auch besondere Abkommen über Textilien undüber die Landwirtschaft. Im GATT-Vertrag ist auch das Prinzipdes national treatment viel eingeschränkter. In dessen Artikel IIIgilt das NT-Prinzip nur bei der „internen Besteuerung und Regu-lierung“, nachdem die Fertigwaren einmal importiert wordensind. Im MATG-Abkommen, in das die ursprünglichen GATT-Bestimmungen integriert sind, beinhaltet das NT-Prinzip alsokeine mögliche Einschränkung von spezifischen Importverboten.Wie weiter oben gezeigt wurde, hat der Norden also durch dasMATG-Abkommen der WTO die Erlaubnis bekommen, Impor-te aus dem Süden zu verhindern. So muss also auch Afrika imStreben nach einer nachhaltigen Landwirtschaft auf der Basisländlicher Gemeinschaften das freie Entscheidungsrecht darübereingeräumt werden, ob, wann und wie es den Import von Ersatz-komponenten von Agroökosystemen erlaubt. Es ist natürlichklar, dass die durch die Geberländer, den IWF und die Weltbankauferlegten Bedingungen es ermöglichen, sich auf Dauer überdieses Rechte hinwegzusetzen. Es bleibt zu hoffen, dass Afrika

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189Bedrohte Ernährungssouveränität ...188 Tewolde Berhan Gebre Egziabher

die Kraft aufbringen wird, sich dem zu widersetzen. Alexanderbeschreibt, wie die Industrieländer es durch ökonomisch-finanzi-ellen Druck erreichen, dass die Entwicklungsländer ihrem Willenfolgen (1986: 54-84), welche Rolle der IWF und die Weltbankdabei spielen (S. 120-145) und wie insbesondere die „Strukturan-passung“ dazu dient, die Märkte der Entwicklungsländer zu öff-nen (S. 126-128). So machen nur die Industrieländern von demim MATG-Abkommen verbrieften Recht Gebrauch, Warenim-porte abzublocken. Durch die Strukturanpassung wird den Ent-wicklungsländern dieses Recht verweigert, das ihnen das interna-tionale Handelsrecht verbürgt. Einleuchtenderweise ist letztlichdas ökonomische Gewicht ausschlaggebend. Viele andere Auto-rInnen haben sich mit dieser Thematik beschäftigt.

34 Die Konvention über biologische Vielfalt (CBD) sieht unter ande-rem den Gebrauch von Anreizen vor. Zu diesem Zweck fordertArtikel 11 und 20.1 die Länder auf, Anreize für diejenigen schaf-fen, welche die Biodiversität erhalten und ihren nachhaltigenGebrauch fördern. Als Reaktion darauf traf die 3. Vertragsstaaten-konferenz der CBD zwei Entscheidungen, die für die agrarbio-logische Vielfalt von Wichtigkeit sind. In Paragraf 9(b) der Ent-scheidung III/9 heißt es, dass die Länder die Pflicht haben, „nega-tive Anreize zu unterbinden oder abzuschwächen, die einen schä-digenden Einfluss auf die biologische Vielfalt haben“. Entschei-dung III/18 gibt weitere Einzelheiten über die Notwendigkeit, dieexistierenden Gesetze sowie die Wirtschaftspolitik daraufhin zuändern, dass angemessene Anreize geschaffen und falsche Anreizeunterbunden werden, dass aber auch die biologische Vielfalt „inden Buchhaltungssystemen und Investitionsstrategien“ zu berück-sichtigen sind. Daher ist es gerechtfertigt, dass Afrika nicht nurdie Farmers’ Rights anerkennt und auf die Nachhaltigkeit derAgroökosysteme ihrer ländlichen Gemeinschaften setzt, sonderndass, wenn dies finanziell möglich ist, auch ein diesbezüglichespositives internes Anreizsystem geschaffen wird.

35 Und zwar mit Artikel 11 und 20.1 der CBD sowie Paragraf 12von Anhang 2 des WTO-Agrarhandelsabkommens. Da aber, wiehier schon herausgestrichen worden ist, die industrielle Land-wirtschaft die größte Bedrohung für die Erhaltung sowie dienachhaltige Nutzung der agrarbiologischen Vielfalt darstellt, soll-te der letzte Teil des Artikels 22.1 der CBD herangezogen wer-den, um das WTO-Agrarabkommen in Frage zu stellen. In Arti-kel 22.1 der CBD heißt es, dass wenn „die biologische Vielfalteinen ernsthaften Schaden erleidet oder sich einer schwerwiegen-den Bedrohung“ gegenübergestellt sieht, die in den andereninternationalen legalen Instrumente eingelassenen Rechte und

Obligationen außer Acht gelassen werden können, um das Pro-blem zu lösen. Hier wäre aber auch Paragraf 12 des Anhangs 2des WTO-Landwirtschaftsabkommens relevant. Dieser Paragrafnimmt Umweltschutzprogramme von der Verpflichtung zumSubventionsabbau aus – und die agrarbiologische Vielfalt isteine der wichtigsten Umweltschutzkomponenten. Da aber dieSubventionen ohnehin gering sind und es auf andere Dingeankommt, ist eine Auseinandersetzung in diesem Bereich wohlnicht notwendig.

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193Umwelt- oder Gewerkschaftskrise?192 Achim Brunnengräber

Achim Brunnengräber

Umwelt- oder Gesellschaftskrise?Zur politischen Ökonomie des Klimas1

„Mittlerweile hatten die Vögel die Grillen abgelöst und Tau lag schlüpf-rig auf den Blättern. Es schwebte ein Geruch in der Luft, herb undsüß zugleich, der Geruch der Sonne, die Knospen entzündete undBlüten öffnete. Ich betrachtete den Wagen. Er lag da wie ein Wrackirgendwo am Rand des Highways, wie eine Stahlskulptur. Zeugnis ei-ner längst untergegangenen Kultur. Alles war still. Das war Natur“ (T.C. Boyle, Greasy Lake).

Der Klimawandel wird als eines der zentralen Probleme derMenschheit angesehen, das es „im Jahrhundert der Umwelt“(Weizsäcker 1999) zu bewältigen gilt. Meist ist negativ formu-liert von einem globalen Umweltproblem, positiv formuliertvon einem global zu schützenden Gut, einem sog. global publicgood die Rede (Kaul et al 1999). Um die natürlichen Grenzenzu verdeutlichen, an welche die Gesellschaften auf Grund einesüberstrapazierten Ressourcenverbrauchs und zu hoher Schad-stoffemissionen stoßen, spricht das Wuppertal Institut vombegrenzten „globalen Umweltraum“ (BUND/Misereor (Hg.)1996). Aus der „Vermehrung von Risiken, die alle Gesellschaf-ten betreffen“, werden schließlich „gemeinsame Interessen anSicherheit, wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung sowie glo-baler Umweltpolitik“ abgeleitet (Messner/Nuscheler 1996). DieBotschaften, die mit einer solchen Problemwahrnehmung be-gründet werden und zu „neuen“ Nachhaltigkeitsstrategien füh-ren sollen,2 sind eindeutig – und notwendig: Sie fordern zuinternational abgestimmtem Handeln der sog. Staatengemein-schaft gegen die gravierenden ökologischen Zerstörungen auf,die im Zuge der temporeichen und ressourcenintensiven Globa-lisierung noch verschärft werden (Globale Trends 2001).

Eine solche politisch-strategische Problemsicht und -bearbei-tung greift allerdings analytisch zu kurz, weil sie eine einheitlicheProblemdefinition suggeriert, den Schwerpunkt auf die interna-tionale Politik als wesentliches Entscheidungszentrum legt undeinen Automatismus zwischen Problemwahrnehmung und demStrukturwandel in Richtung Nachhaltigkeit unterstellt. Beispiel-haft kann hierfür Klaus Töpfer, der Chef des UN-Umwelt-programms (UNEP), zitiert werden: „Ob der Kyoto-Vertrag

kommt, hängt nicht von der einen oder der anderen Regierung,sondern von den Notwendigkeiten ab, und was notwendig ist,das kann man an den sich häufenden Extrem-Wetterlagen inder ganzen Welt ablesen“ (FR vom 27.11.2000). Mit der Bezug-nahme auf das Kyoto-Protokoll ist auch festgelegt, wie die„richtige“ Antwort auf den Klimawandel aussehen soll: Vorallem wirtschaftliche Instrumente wie der Emissionshandel oderder Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung sollendem Trend des zunehmenden Treibhauseffekts entgegenwirken.

Das eigentliche Problem aber ist viel komplexer als es aufden ersten – und globalen – Blick erscheint: Gesellschaftenwerden erstens in ihren Reaktionsweisen und Entwicklungs-möglichkeiten durch „die Natur“ nicht eindeutig festgelegt.Denn die Natur ist auch das Ergebnis der gesellschaftlichenKommunikation über das, was als schützenswerte oder derNutzung zu unterwerfende Natur verstanden wird. Der jewei-lige Ansatzpunkt, machtförmige Diskurse oder die medialeAufbereitung dessen, was als Krise definiert wird, sind alsoentscheidende Elemente der Perzeption des Klimawandels.3

Zweitens sind der Klimawandel und Klimakatastrophen keinerein natürlichen Erscheinungen, sondern anthropogen, d.h.von Menschen mitverursacht (IPCC 1996). Dem Klimawandelliegen also gesellschaftliche Naturverhältnisse zugrunde, d.h.ein widersprüchliches und problematisches Geflecht aus Be-ziehungen und Verhaltensformen zwischen Individuen, Gesell-schaft und Natur. Drittens ist Klimapolitik abhängig vonmachtvollen Interessen und einflussreichen Akteuren, die we-sentlich dazu beitragen, dass sich hegemoniale Formen derProblembearbeitung herausbilden. Maßnahmen, die sich indas bestehende Wirtschaftsgefüge einpassen, erscheinen dabeirealistischer und durchsetzbarer als solche, die das bestehendeSystem in Fragen stellen. In der Klimapolitik entsprechen sieeinem technischen Steuerungsoptimismus und polit-ökono-misch einer weitgehend neoliberalen Strategie.4

Umkämpfte Problembearbeitung

Allseits geteilt werden die internationalen Antworten auf denKlimawandel aber nicht. Dementsprechend unterschiedlichwerden auch die Ergebnisse der Verhandlungen bewertet, wie

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195Umwelt- oder Gewerkschaftskrise?194 Achim Brunnengräber

exemplarisch an der Klimakonferenz im Juli 2001 in Bonn(Conference of the Parties; COP 6b) verdeutlicht werden kann:Für EU-Umweltkommissarin Margot Wallström gelang dortein Durchbruch auf den „wir stolz sein“ können und Konferenz-präsident Pronk sprach kaum bescheidener von einem „Erfolgfür den Multilateralismus“. Solche Reaktionen mögen nach demkräftezehrenden Konferenzkrimi verständlich sein. Aus einerAußenperspektive waren sie jedoch kaum nachvollziehbar.Umweltexperte Franz Alt kritisiert das Bonner Ergebnis inscharfer Form als „geradezu lächerlich“ und Hermann Scheer,Präsident von Eurosolar, sieht darin nur einen „Pyrrhussieg“.

Die Zusammenhänge, die trotz der mageren Ergebnisse zurpositiven Einschätzung der Ergebnisse aus der „Innenperspek-tive“ beitrugen, seien kurz in Erinnerung gerufen: US-Präsi-dent George W. Bush stellte im Vorfeld der Klimaverhand-lungen im Juli 2001 in Bonn die Grundsatzfrage, ob es denanthropogenen Treibhauseffekt überhaupt gibt. Der vermeint-liche Konsens der Staatengemeinschaft über diese Frage, diewissenschaftlich geklärt zu sein schien, wurde somit aufgekün-digt. Als jedoch ein von der Bush-Administration einberufenesExpertengremium der National Academy of Sciences bestätig-te, dass der Treibhauseffekt bereits in vollem Gange undmenschgemacht sei, war diese Position von Bush nicht mehrhaltbar. Gleichwohl schrieb er in einem Brief an die SenatorenHagel, Helms, Craig und Roberts vom 13. März 2001: „Ioppose the Kyoto Protocol“ (vgl. Simonis 2001).

Damit versuchte er – und die hinter ihm stehenden Interes-sengruppen der fossilistischen Industrie – die mühsam im Rah-men der Vertragsstaatenkonferenzen getroffenen Vereinbarun-gen zu unterminieren. Gleichzeitig unternahm er bilateraleAnstrengungen, um auch andere Vertragsstaaten zum Aussche-ren aus dem Kyoto-Prozess zu gewinnen. Das aber blieb er-folglos. Trotz des Ausstiegs der USA und des zögerlichenVerhaltens anderer Staaten konnte Ende 2001 bei der COP7in Marrakesch die Voraussetzung für die Ratifikation desKyoto-Protokolls geschaffen werden. Erklärtes Ziel ist es nun,das Kyoto-Protokoll bis September 2002 zur Weltkonferenzfür Nachhaltigkeit (World Summit on Sustainable Develop-ment; WSSD) im südafrikanischen Johannesburg in Kraft tre-ten zu lassen. Dafür müssen mindestens 55 Staaten das Proto-

koll ratifiziert haben, wobei auf diese mindestens 55 Prozentder weltweiten CO2-Emissionen der Industrieländer von 1990entfallen müssen. Ein Scheitern der Verhandlungen hätte die-ses Ziel frühzeitig vereitelt. Dies erklärt die für Außenstehendemeist unverständliche Euphorie. Ob die Ergebnisse aber realzur Verringerung der Treibhausgasemissionen in den Indu-strieländern werden beitragen können, ist eher zu bezweifeln.5

Der Grund für die unterschiedliche Beurteilung der Klima-verhandlungen liegt zunächst also auf der Hand: Während dieoffiziellen Verhandlungsführer aus der Warte der „hohen Di-plomatie“ argumentieren, dass der Prozess der internationalenKlimapolitik vor dem „Aus“ stand und in letzter Minute geret-tet wurde, fragen sich die externen Konferenzbeobachter, in-wiefern das alles noch etwas mit Klimaschutz zu tun hat. Auseiner weitergehenden Perspektive zeigt sich aber auch, dass essich beim Klimawandel keinesfalls um ein klar definiertes glo-bales Umweltproblem handelt, das spezifische Lösungsstrate-gien erforderlich macht, sondern um ein Konfliktterrain, aufdem um die Problemdeutung und den „richtigen“ Fahrplanzur Problemlösung gerungen wird.

Systemimmanente Risiken

Umweltschutz und Umweltpolitik in den Industrieländern seitden 1960er, 1970er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ziel-ten noch auf die Ausweisung von Naturreservaten, die Rettungvon Vögeln, end of pipe-Technologien oder auf die Behebungoder Begrenzung von Schäden, welche die Menschen der physi-schen Umwelt wie den Wäldern, Flüssen oder Böden zugefügthatten. Die Risiken waren zumindest zum Teil kontrollierbar;sie konnten als äußere Risiken durch eine mehr oder wenigerbeherrschbare Umwelt interpretiert werden. Darin zeigte sichder Anspruch der Moderne, die Beziehungen zwischen denMenschen und der objektiven äußeren Welt rational zu gestal-ten. Dieser Anspruch hat heute weniger denn je seine Geltung;insbesondere wenn er auf den Klimawandel bezogen wird.

Der ubiquitäre Treibhauseffekt lässt die begriffliche Ab-grenzung von Umwelt und Gesellschaft nicht mehr zu, ge-schweige denn, dass seine – im Einzelnen gar nicht vorherseh-baren – Auswirkungen kontrollier- oder beherrschbar wären.

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Die Menschen selbst, vor allem diejenigen in den reichenIndustrieländern, tragen durch die Nutzung fossiler Energie-träger zum Treibhauseffekt bei. Überschwemmungen, Stürmeoder Dürrekatastrophen sind daher systemimmanente oderinnere Risiken. Noch drastischer formuliert: Menschen undGesellschaften werden von den Geistern bedroht; die sie selbstgerufen haben. Die ökologischen Probleme wirken in Formvon Schädigungen der Lebensgrundlagen, der Gesundheit oderzusätzlicher Kosten auf die Menschen zurück (Görg 1999:10).

Gleichwohl kann daraus nicht der Zwang zur vernünftigenGestaltung der Naturverhältnisse abgeleitet werden. Vielmehrmüssen die widersprüchlichen Wechselbeziehungen zwischenNatur und Gesellschaft als zentrale Dimension der ökologi-schen Krise verstanden werden: Menschen artikulieren Schutz-ansprüche gegenüber der Natur und sind selbst durch dieeigene Produktions- und Konsumweise beständig dabei, Naturzu verändern und zu zerstören. Dabei sind allerdings sowohlauf der Verursacher- wie auf der Betroffenenseite erheblicheUngleichheiten vorhanden. Während vor allem die armen Be-völkerungsschichten in den Entwicklungsländern unter denKlimaveränderungen zu leiden haben, können sich die Men-schen in den Industrieländern (noch) relativ gut dagegen durchAnpassungsmaßnahmen schützen. Ebenso sind die Emissio-nen, sprich die Ursachen des Treibhauseffekts, ungerecht ver-teilt. Während rechnerisch die CO2-Emissionen pro Kopf undJahr in Deutschland bei rund 10,2 Tonnen CO2 liegen, be-trägt dieser Wert in den USA 22 Tonnen. Dagegen liegen diePro-Kopf-Emissionen in China bei 2,7 und in Indien bei 0,7Tonnen CO2. Die sozialen und wirtschaftlichen Ausprägun-gen des Klimawandels sind also alles andere als global.

Grenzen des Umweltraums?

Der Klimawandel ist tief in gesellschaftliche Strukturen wie dieProduktions- und Konsumweise, den Nord-Süd-Konflikt oderdas Mobilitätsverhalten eingeschrieben. Vor diesem Hinter-grund ist die Vorstellung trügerisch, dass der überzogeneRessourcenverbrauch und ökologische Zerstörungen – inter-pretiert als das Überschreiten natürlicher Grenzen – schondafür sorgen werden, dass Umweltprobleme auch adäquat be-

arbeitet werden. Die Grenzen der Natur sind, was den Klima-wandel betrifft, nämlich keine unüberwindlichen Barrieren imUmweltraum. Sie sind vielmehr der Gegenstand der gesell-schaftlich-wissenschaftlichen Debatten.

Die assimilative Kapazität der Weltmeere, der Pflanzen undWälder für anthropogene klimaschädliche Emissionen ist zwarüberschritten, d.h. das „natürliche“ Gleichgewicht hinsichtlichder stofflichen Zusammensetzung der Atmosphäre, das überJahrtausende hinweg Bestand hatte, ist gestört. Schließlichdrückt sich das Überschreiten der assimilativen Kapazität derNatur für klimaschädliche Gase auch in einer Erhöhung derWeltmitteltemperatur aus. Das IPCC geht davon aus, das sieim 21. Jahrhundert zwischen 1,4 und 5,8 Grad C ansteigenwird (ebd. 2001). Damit ist aber noch keine Grenze definiert,welche die zunehmende Konzentration von klimaschädlichenGasen in der Atmosphäre verhindern könnte. Im Gegenteil: Inden nächsten Jahrzehnten werden noch Millionen Tonnen anCO2 und anderer schädlicher Klimagase dort „deponiert“ wer-den. Im rein naturwissenschaftlichen Sinne existiert also keineGrenze, wie es der Ansatz des begrenzten Umweltraums nahelegt (BUND/Misereor (Hg.) 1996).

Das Ökosystem Klima ist vielmehr ein offenes System, dassich aus mehr oder weniger stabilen wie aus sich stetig verän-dernden und fortschreitenden Prozessen zusammensetzt. DasVerschwinden der Dinosaurier bedeutet vor dem Hintergrunddieser materiell-stofflichen Dimension des Klimas keinesfallsdas Ende der Entwicklung. „Bekanntlich ist der Natur dieökologische Krise ziemlich egal; es sind die Menschen, die siebewirken, von ihr betroffen sind und sie bewältigen müssen“(Sachs 1998: 203). Erst in dem Moment, als die ersten drama-tischen Auswirkungen des Klimawandels zu spüren waren, deranthropogene Charakter des Treibhauseffekts wissenschaftlichuntermauert werden konnte und die Ursachen davon in derauf fossilen Energieträgern beruhenden Ökonomie verortetwurden, konstituierte sich die Klimapolitik als konfliktives ge-sellschaftliches Terrain. Der strategische Bezug auf die „Gren-zen des Umweltraums“ oder auf die „nachhaltige Globalisie-rung“ stellen spezifische Antworten auf diese Entwicklung dar.Sie sind aber selbst nur ein – und sicher auch nicht der poli-tisch einflussreichste – Teil der damit verbundenen symbolisch-

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sprachlichen Dimensionen der Naturverhältnisse. Mit anderenWorten: Die „Grenze“ ist als Symbol zu verstehen, mit demverdeutlicht werden kann, das die Menschen – freilich auf ganzverschiedene Art und Weise und in unterschiedlichem Umfang– dabei sind, sich ihrer Lebensgrundlagen zu berauben. Diesesökologische Problem lässt sich aber außerhalb einer sozialenInterpretation und Vermittlung gar nicht bearbeiten.

Weil absolute Grenzen fehlen bzw. der diskursiven Kon-struktion bedürfen, verfolgt etwa der WBGU die folgende Stra-tegie. Er fordert die Festlegung einer „konkreten ‘Leitplanke’,also derjenigen Klimaänderung, die nicht mehr tolerierbar ist“(Politikpapier 1/2001: 8). Auswirkungen des Klimawandels wieungewöhnlich heftige Stürme, die über die Elendsviertel derEntwicklungsländer hinwegfegen, geografische Verschiebungender Vegetationszonen, die zu neuer Armut der ländlichen Bevöl-kerung führten, oder der angekündigte Untergang der Südseein-seln des Staates Tuvalu mit seinen Atollen und Eilands dürftenfür die Betroffenen aber schon jetzt nicht mehr tolerierbar sein(vgl. auch Schellnhuber u.a. 2001). Der moralische Appell an einUmsteuern zur Nachhaltigkeit, so notwendig er auch ist, reichtzur Krisenbewältigung ganz offensichtlich nicht aus. Und erwirft noch ein anderes Problem auf. Die Frage, wer diese Leit-planken eigentlich definieren soll, verweist auf einen top down-Ansatz von Politik. Dies trägt wiederum zur verkürzten Problem-konstitution bei, weil „... vom Gesellschaftlichen, also dem Inein-ander von Institution, Macht und Bedeutung, in das jeder Um-gang mit der Natur eingelassen ist, abstrahiert [wird], mit derFolge, daß die Umweltproblematik als Naturkrise und nicht alsGesellschaftskrise erscheint“ (BUND/Misereor (Hg.) 1996:149).

Der Klimawandel ist eine solche Gesellschaftskrise. Er wirdin vergesellschafteter Form bearbeitet, wahrgenommen undsymbolisiert, d.h. die Krise ist sozial, politisch, ökonomischund kulturell geprägt (Görg 1999, Harvey 1996:131) und wirdim Interessenkampf selbst zum Gegenstand der Interpretation.Das erklärt auch, warum die politische Bearbeitung des Klima-wandels keineswegs auf einem einheitlichen Verständnis da-von beruht, welches Problem eigentlich gemeinsam und aufwelche Weise bearbeitet werden soll. Vielmehr geraten dieAkteure mit ihren ganz unterschiedlichen Problemdefinitionenaneinander, wobei sich allerdings vor allem diejenigen Akteure

durchsetzen, die politisch und von ihren Ressourcen her inder Lage sind, Einfluss auf die (internationale) Klimapolitiknehmen zu können. Klimapolitik – wie alle anderen Bereiche,in denen es um Lastenteilung und die Probleme der Aneig-nung der Natur geht – reagiert also keineswegs nur auf objek-tiv bestehende Umweltveränderungen, sondern wird zugleichvon Herrschafts- und Machtverhältnissen überformt.6

Neoliberales Klima

Der Deutungsspielraum des Problems erklärt auch, weshalb inder internationalen Klimapolitik, wie sie sich seit Mitte der1980er Jahre herausbildete, „tektonische“ Verschiebungenmöglich waren (Walk/Brunnengräber 2000: 26, 72ff.). DieProblementdeckung und die Versuche, die Ursachen des Treib-hauseffekts zu klären und öffentlich zu machen, wurden vorallem von NaturwissenschaftlerInnen und Umweltverbändenunternommen; sie wurden lange Zeit nicht besonders ernstgenommen. Erst in den späten 1980er Jahren kam es zu einerstärkeren Politisierung des Phänomens. Die anfänglichen Dis-kussionen bewegten sich um Fragen der Gerechtigkeit zwi-schen Nord und Süd, um die weltweite Gleichverteilung derPro-Kopf-Emissionen, um den Zusammenhang von Armut,Reichtum und Umweltzerstörung oder um die Frage der histo-rischen Verantwortung für den Klimawandel und einen sub-stantiellen Finanztransfer von den Industrie- in die Entwick-lungsländer (Missbach 1999).7 Klimapolitik hat in dieser Pha-se also durchaus die gesellschaftlichen Naturverhältnisse zumGegenstand. Nachdem sich die Vertragsstaaten der Klima-rahmenkonvention 1997 auf das Kyoto-Protokoll geeinigt hat-ten und damit die Reduktionsziele für die Industrieländer feststanden, ging diese Phase aber zu Ende. Sie wurde, weil diefossilistische Industrie plötzlich aus ihrem Schlummer erwach-te, die weitreichenden Folgen der Klimapolitik hinsichtlichihrer Geschäftsinteressen abzuschätzen begann und ihre Gegen-kräfte mobilisierte, von der engen Fokussierung der Klima-verhandlungen auf ökonomische Fragen abgelöst.

Wirtschaftspolitische Maßnahmen, neue Technologien undFinanzinstrumente bestimmen nunmehr die Verhandlungen.Schon aus den Kommentaren zum Kyoto-Protokoll wurde

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deutlich, dass nunmehr in erster Linie der freie Markt dieProbleme lösen soll. Der UNFCCC-Exekutivsekretär Cutajarbezeichnete es als „eine der weitreichendsten ökonomischenVereinbarungen ..., die seit Jahren unter der Flagge der Verein-ten Nationen abgesegnet worden sind“ (zitiert nach Taalab1998: IV). In der Folge bildete sich eine hegemoniale Problem-bearbeitung heraus, weil sich hierbei nicht etwa alleine diedominanten Interessen der Regierungen oder Wirtschaftslobbymachtvoll durchsetzten, sondern durch Partizipation vonNGOs ein breiter gesellschaftlicher Konsens über die zentraleStrategie der Klimaverhandlungen, sprich die Erschließungneuer Märkte, erzielt werden konnte; freilich bei erheblichenDivergenzen im Detail. Die Notwendigkeit zur breit angeleg-ten Regulierung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse, dieauch das Klima in der Gesellschaft berücksichtigt, geriet –wird von zahlreichen aber erfolglosen Protestaktionen enga-gierter Umweltaktivisten einmal abgesehen – aus dem Blick.

Joint Implementation und Clean DevelopmentMechanism: moderne Formen des AblasshandelsDie Idee der beiden Instrumente ist einfach: Regierungen oderFirmen, die ihre Emissionen reduzieren müssen, können ihrenPflichten nachkommen, indem sie Klimaschutzmaßnahmenin einem anderen Land durchführen. Bei Joint Implementati-on (JI) geht es um Projekte von Industrieländern in einemanderen Industrieland und beim Mechanismus für umweltver-trägliche Entwicklung (Clean Development Mechanism;CDM) um Projekte von Industrie- und Entwicklungsländernin einem anderen Entwicklungsland. In Frage kommen etwadie Hilfe beim Bau von Kraftwerken und Windkraftanlagenoder Wiederaufforstungsprojekte. Die auf diese Weise einge-sparten bzw. im Falle der Aufforstungsprojekte gebundenen(siehe Abschnitt 5.3.) Emissionen können auf das Konto desinvestierenden Landes als Gutschrift verbucht und von deninternationalen Reduktionspflichten abgezogen werden. Aufdiese Weise soll den Ländern ein kostengünstiger Klimaschutzermöglicht werden, zumal es als irrelevant angesehen wird, inwelchem Land die Treibhausgase emittiert bzw. deren Emissio-nen reduziert werden. Als ökonomisch effizient gilt es hinge-gen, die Maßnahmen in denjenigen Ländern und Regionen

durchzuführen, in denen mit einem bestimmten Budget diegrößten Emissionsreduktionen erreicht werden können.

Zu Beginn der offiziellen Klimaverhandlungen erteilten dieRegierungen der Entwicklungsländer dem Instrument dennocheine Absage, weil sie es als Form des modernen Ablasshandelsansahen (Michaelowa 1997: 256). In Kyoto wollten die G77und China ihre Einwilligung nur dann geben, wenn die Indu-striestaaten die ersten Schritte zur Emissionsreduktion über-nehmen und nur einen Teil der international vereinbartenReduktionsverpflichtungen außerhalb des eigenen Landes er-füllen könnten. Auf diese Weise sollte verhindert werden, dassdie nationale Verantwortung für den Klimaschutz aufgeweichtund die eigentliche Problembearbeitung in die Entwicklungs-länder verschoben wird. Solche Überlegungen berührten nochdas (Un-)Gerechtigkeitsproblem zwischen den Industrie- undden Entwicklungsländern, das aus den unterschiedlichenBetroffenheiten und Ursachenstrukturen resultiert. Im weite-ren Verlauf der Klimaverhandlungen wurden solche Überle-gungen immer mehr von technischen Fragen abgelöst.

Bei der COP 1 1995 in Berlin wurde zunächst eine Pilot-phase vereinbart, in der die Reduktionen nicht gutgeschriebenwerden durften. Auch wurden für die Pilotphase weder explizi-te Ziele noch konkrete Kriterien zur Berichterstattung genannt,die es ermöglicht hätten, unterschiedliche Projekte zu verglei-chen. Es existierte lediglich ein gemeinsames Berichtsformat.Ein durchschlagender Erfolg der Erprobungsphase blieb dannauch aus (Michaelowa 1997: 259, Herold 1998: d1). Viele ver-fahrenstechnische und naturwissenschaftliche Details bliebenauch in der Folge ungeklärt. So wurden etwa die notwendigenBerechnungsmethoden noch nicht standardisiert, weshalb sichnicht eindeutig klären lässt, wie viele Emissionen bei einemgegebenen Projekt eingespart werden. 1998 bei der COP 4 inBuenos Aires bestand darüber hinaus die Befürchtung, dasseinige Regierungen eigene Regeln zur Berechnung der Reduk-tionen festlegen könnten, bzw. – da keine Vereinbarungen derVertragsstaaten existierten – der Mechanismus willkürlich ange-wendet werden könnte. Mitnahmeeffekte wären dann ein Leich-tes, d.h. dass Projekte wie große Wasserkraftwerke, die auchohne CDM wirtschaftlich sind und ohnehin durchgeführtwerden, als CDM-Maßnahme deklariert werden könnten.

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Mit dem Beschluss der COP 6 wurde nun zumindest ausge-schlossen – was lange Zeit eine offene Frage war –, dass Atom-kraftwerke im CDM und bei JI berücksichtigt werden können.Bei der COP 7 wurde darüber hinaus – um den Start von CDM-Projekten zu gewährleisten – ein CDM-Exekutivrat gewählt, derüber Richtlinien und Methodologien von Projekten entscheidetsowie Projektanträge registriert und prüft. Bei JI hingegen sollnur dann ein Aufsichtsgremium aktiv werden, wenn das Gast-land seine Berichtspflicht nicht erfüllt. Andernfalls kann es selbstdas Registrierungs- und Überprüfungsverfahren durchführen. Dieoben angeführten Probleme mit den flexiblen Mechanismensind mit dieser Regelung im einzelnen noch nicht aus der Weltgeräumt. Sie wurden lediglich anderen Gremien überantwortet,die nun die Konkretisierung der Instrumente voranbringen soll.

‚Hot and tropical air‘ für den EmissionshandelOhne die Klausel über das emission trading, durch die derinternationale Handel mit Emissionszertifikaten prinzipiell er-möglicht wird, hätten sich die USA bei den Klimaverhand-lungen in Kyoto kaum auf eine Emissionsreduktion um 7Prozent verpflichtet (eine Festlegung, die nun freilich schonverstaubt ist). In Buenos Aires machte der Verhandlungsführerder USA, Stuart Eizenstat, unmissverständlich deutlich, dassauch die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls andernfalls nichtin Frage käme. Andere Industrieländer wollten dieser Forde-rung gerne nachgeben, zumal sie die Möglichkeiten beinhal-tet, dass die vereinbarten Reduktionen wenigstens rechnerischeingehalten werden können.

Grundsätzlich geht es bei dem Handel mit Emissions-zertifikaten darum, dass alle Staaten Zertifikate erhalten, dieden ihnen zugeteilten Emissionsmengen entsprechen (assignedamount). Der Handel ist entsprechend des Protokolls von2008 an vorgesehen. Die Länder mit ungenutzten Emissions-rechten können diese Mengen dann solchen Ländern zumVerkauf anbieten, die ihre zugeteilten Emissionsmengen über-schreiten. Das Käuferland kann die Anteile zu der ihm zuge-schriebenen Menge hinzuzählen und somit die Reduktion ei-gener Emissionen kompensieren.

Vor allem den mittel- und osteuropäischen Transforma-tionsländer kommt der Handel mit Emissionskontingenten

gelegen. So wurde in Kyoto vereinbart, dass Russland und dieUkraine ihre Emissionen bis 2012 gegenüber 1990 lediglichstabilisieren müssen. Durch den Zusammenbruch der jeweili-gen Wirtschaften kam es real aber zu Emissionsminderungen,woraus sich die Möglichkeit ergibt, dass beide Länder ihreüberschüssigen Emissionsrechte auf dem zukünftigen Zertifika-tenmarkt versteigern könnten (es wird in diesem Fall vomHandel mit hot air gesprochen). 2001 in Bonn und dann nocheinmal wenige Monate später in Marrakesch gelang es Russlandsogar noch, Senken-Potentiale zu erhalten (Russian forest air;siehe Abschnitt 5.3), die sie auf den Handel mit hot air dazuaddieren können. Um diese Forderung durchzusetzen, mussteRussland nicht lange kämpfen. Nachdem die USA ihren Aus-stieg aus dem Kyoto-Protokoll verkündet haben, ist eine Ratifi-kation Russlands für das in Kraft treten des Protokolls unab-dingbar. Russlands Stimme konnte also teuer verkauft werden.

Weil im Kyoto-Protokoll lediglich erwähnt wird, dass derHandel mit Emissionsrechten zusätzlich zu den nationalenMaßnahmen erfolgen soll, wurden Obergrenzen für dasemission trading diskutiert (cap oder concrete ceiling). Dievor allem von Entwicklungsländern vorgetragene und von derEU unterstützte Forderung, dass mindestens 50 Prozent derEmissionsreduktionen im eigenen Land umgesetzt werden soll-ten, blieb aber chancenlos. Auch hier traten die USA alshardliner in Erscheinung – und setzte sich letztlich im Ver-bund mit anderen Industrieländern durch. Im BonnerBeschluss heißt es jetzt lediglich, dass ein „signifikanter An-teil“ im eigenen Land erbracht werden soll.

In Bonn wurde zudem ein System der Erfüllungskontrolleverhandelt, das die Konsequenzen auflistet, die bei Nicht-Einhaltung der Reduktionsziele drohen. Auf Grund des Wi-derstands insbesondere von Japan und Russland wurde diesesSystem aber nicht rechtsverbindlich vereinbart.8 Wie es aufnationaler Ebene konkret aussehen soll, ist noch offen. Groß-britannien, die Niederlande und Dänemark haben schon Pilot-vorhaben zum Emissionshandel gestartet. In der deutschenIndustrie hingegen sind die Widerstände groß, weil Wachs-tumshemmnisse und zusätzliche finanzielle Belastungen be-fürchtet werden.9 Die Selbstverpflichtungserklärungen werdenvon weiten Teilen der deutschen Industrie als ausreichend

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angesehen. Das ist verständlich, entsprechen sie doch nur dembusiness-as-usual.

Die große Unbekannte: Die SenkenUnter Senken wird die Bindung von CO2 durch Pflanzen,Wälder oder Meere verstanden. So wird durch Aufforstungs-projekte CO2 im Holz von Bäumen gespeichert. Umgekehrtwird bei der Verbrennung von Biomasse CO2 freigesetzt, wasals Quelle bezeichnet wird. Brandrodungen führen demzufol-ge zu CO2-Emissionen, wohingegen wachsende Wälder CO2absorbieren und somit zum Klimaschutz beitragen. Die Vor-teile liegen auf der Hand: Aufforstungs- und Walderhaltungs-projekte sind im Vergleich zu vielen anderen Projekten, dieetwa auf Technologietransfer beruhen, recht preisgünstig –und eignen sich ausgesprochen gut für public relations-Zwek-ke. Der französische Autokonzern Peugeot schützt den brasi-lianischen Regenwald, das Chemieunternehmen Henkel denWald in Argentinien und Neuseeland will gleich 80 Prozentseiner Emissionsverringerung durch Aufforstung erzielen(Michaelowa 1997: 245).

Vor allem auf Drängen von Staaten wie den USA, Neusee-land, Australien und Norwegen wurde diese Möglichkeit 1997im Kyoto-Protokoll fest gehalten. Vier Jahre später in Bonnkonnte hinsichtlich dieses Instrumentes ein nur fragliches Er-gebnis erzielt werden. Insbesondere große Flächenstaaten undJapan forderten eine unbegrenzte Anrechnung von Senken alsKlimaschutzmaßnahmen – und setzten sich weitgehend durch.Japan wird – wie einige andere Länder auch – zukünftig einenerheblichen Teil seiner Reduktionsziele über Senkenaktivitätenrealisieren können, wenn auch eine Obergrenze für Wald-senken festgelegt wurde. Das Schlupfloch sind die landwirt-schaftlichen Böden, die unbegrenzt als Senke genutzt werdenkönnen. Im CDM sind allerdings nur Aufforstung und Wieder-aufforstung zugelassen und gedeckelt. Über die technischenFragen der Definition, des Anrechnungsverfahrens sowie desmonitoring konnte zwar formal Einigkeit erzielt werden, diegrundlegenden Probleme der Berechnung von Senkenpoten-tialen sind damit aber noch nicht aus der Welt geräumt.

Problematisch ist erstens, dass es keine zuverlässige Metho-de gibt, die Auskunft darüber gibt, wieviel CO2 überhaupt

von der Vegetation gespeichert wird. Dennoch können nachden Bonner Beschlüssen nun auch die Acker- und Grünland-bewirtschaftung sowie die Ödlandbegrünung als Klimaschutz-maßnahmen angerechnet werden. Zweitens geht vom Senken-Ansatz der Anreiz zur Schaffung von Holzplantagen aus (bspw.von Eukalyptus), die ökologisch höchst fragwürdig sind undden Zielen der Biodiversitätskonvention zuwiderlaufen könn-ten. Nicht vorgesehen ist auch, wie die gespeicherten Kohlen-stoffmengen wieder mit dem Kohlenstoff verrechnet werden,der bei der späteren Nutzung des Holzes oder bei der Anlageder geplanten Holzanlagen frei wird. Schließlich besteht drit-tens die Gefahr, dass der Einbezug von Senken eine weiterekostengünstige Ausweichmöglichkeit bietet, um die Entwick-lung und den Einsatz von Technologien zur CO2-armenEnergienutzung und -erzeugung in den Industrieländern selbstzu verzögern oder gar zu verhindern.10

Aus den Entwicklungsländern ist deshalb auch wieder dieKritik zu vernehmen, die schon zum Thema JI geäußert wur-de. Insbesondere VertreterInnen von indigenen Völkern kriti-sierten die Senken-Debatte und sprechen von Kohlenstoff-Kolonialismus, weil vor allem in Entwicklungsländern Klima-schutz betrieben werden soll, während die Industrieländerselbst untätig bleiben. Außerdem wird mit diesem und denanderen flexiblen Instrumenten die schon lange im Nord-Süd-Verhältnis in die Kritik geratene „Projektitis“ neu belebt. NeuePolitikansätze oder Ansätze internationaler Strukturpolitikwurden durch die internationale Klimapolitik aber nicht reali-siert. Dabei wurde lange angenommen, dass die Entwicklungs-länder vor dem Hintergrund der ökologischen Krise nunmehrüber eine größere Durchsetzungsmacht ihrer Interessen ver-fügten (so etwa Udo Ernst Simonis, epd Entwicklungspolitik4/99). Zwei Aspekte ließen hoffen: Zum einen wurde die„Überentwicklung“ der Industrieländer aufgrund ihrer hohenCO2-Emissionen konstatiert. Sie müssten sich folglich unterökologischen Gesichtspunkten nunmehr mit weitreichendenEntwicklungserfordernissen im eigenen Land auseinanderset-zen. Der ökologischen Krise könne zum anderen aber nichtohne die aktive und intensive Mitwirkung der Entwicklungs-länder begegnet werden, weil die hier zu erwartende Zunahmeder Treibhausgasemissionen das globale Ökosystem erheblich

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beeinträchtigen wird. Wie nicht nur die Instrumentendebatteinnerhalb der internationalen Klimaverhandlungen zeigt, blie-ben jedoch die Hoffnungen auf veränderte weltpolitischeMachtkonstellationen, die vor allem durch die Konferenz fürUmwelt- und Entwicklung (UNCED) 1992 in Rio de Janeirogenährt wurden, unerfüllt.

Fraglicher Steuerungsoptimismus

Die 1997 in Kyoto vereinbarten klimapolitischen Ziele wurdenEnde 2001 in Marrakesch verwässert, die Instrumente wurdenabgeschwächt und die Finanzierungsfrage wurde alles andereals befriedigend geklärt. In den Instrumenten, die vor allem allwinners-Lösungen versprechen, sieht Jürgen Maier vom ForumUmwelt und Entwicklung eine „kreative Kohlenstoffbuchfüh-rung“ und konstatiert: „Für das Klima bringt das alles nochnicht sehr viel“ (Rundbrief des Forum Umwelt und Entwick-lung 3/2001). Eine Reihe von renommierten Klimaexpertenwie Tom Wigley (Intergovernmental Panel on Climate Change;IPCC) oder Patrick Michaels (Sachverständiger für den US-Senat) teilen diese Auffassung. Selbst wenn das Kyoto-Proto-koll in der jetzt vorliegenden Form von allen Unterzeichner-staaten ratifiziert wird, könne dies die Erwärmung der Erdat-mosphäre weder stoppen noch nennenswert beeinflussen (Wirt-schaftswoche 9.8.2001). Dazu wären konkretere und weitrei-chendere Maßnahmen erforderlich als sie bisher bei den COPs1 bis 7 vereinbart worden sind. Insofern ist auch der Erfolg zurelativieren, dass in Marrakesch ein Kontrollsystem vereinbartworden ist, das verbindliche Konsequenzen im Falle der Nicht-erfüllung der Vertragspflichten eines Staates und detaillierteVerfahrensvorschriften bei der Entscheidungsfindung vorsieht.

Zahlreiche wissenschaftliche Studien wurden bereits durch-geführt, die Licht ins Dunkel der komplizierten Materie brin-gen sollten – die aber immer auch neue Unsicherheiten produ-zierten. Alleine die offiziellen Dokumente umfassen heutemehrere tausend Seiten. Der Teufel aber steckt im Detail. Vielestrittige Formulierungen und Fragen sollen noch präzisiertund geklärt werden. Auf diese Weise ist die Debatte um denKlimaschutz immer mehr aus der Alltagswelt in die Hände der„globalen Ressourcenmanager“ (Goldmann 1998) verlagert

worden. Die Schlupflöcher, die die Dokumente offen lassen,sind kaum noch von den ExpertInnen selbst und schon garnicht mehr von der breiten Öffentlichkeit identifizierbar. Ganzzu schweigen von der Frage der nach wie vor fehlenden Kohä-renz mit den Vertragswerken der Welthandelsorganisation oderder Konvention zur biologischen Vielfalt.

Ein Ausweg aus der verfahrenen Situation wird in derVerschlankung oder der „Rückverhandlung“ der Instrumenten-vielfalt gesehen. „Es gibt kein Patentrezept für die Lösungdieses diplomatischen Knotens, aber eins ist sicher: ohne einedrastische Reduktion der Komplexität wird es keinen Fort-schritt geben. Die wesentlichen politischen Fragen müssen vonden eher technischen Details getrennt werden. Ohne eine dra-stische Reduktion der Komplexität wird es keinen Fortschrittgeben“ (Hermann Ott, FR 16.7.2001). Der Vorschlag zielt je-doch, wie oben begründet wurde, am eigentlichen Problem derKlimaverhandlungen vorbei. Der Steuerungsoptimismus, wieer in der Fokussierung auf die wirtschaftlichen Instrumenteund zwischenstaatlichen Verhandlungen zum Ausdruck kommt,überdeckt die Unsicherheiten und zugleich die gesellschaftlich-sozialen Dimensionen des Problems. Sie eröffnen einen globa-len Nebenschauplatz, auf dem die Ursachen der hergestelltenRisiken und die Krise der Regulierung gesellschaftlicher Natur-verhältnisse schon lange nicht mehr thematisiert werden. Erverengt die Lösungssuche auf systemspezifische Perspektiven,Begriffe und Methoden. Die Komplexität des Konfliktfeldes,wie sie im widersprüchlichen Doppelcharakter von symbolisch-sprachlicher und materiell-stofflicher Dimension zum Ausdruckkommt, wird gar nicht erfasst. Mit anderen Worten: Wichtigist, „was seit der Eröffnung der Konferenzserie versäumt, ver-tagt, ausgespart, unterlassen und verspielt wurde“ (Scheer 2001).

Die Engführung des klimapolitische Fahrplans wird vonmachtvollen Interessengruppen aus der Kohle-, Gas- und Erd-öl-Lobby gefördert; immerhin 80 Prozent des Ausstoßes klima-relevanter Gase basieren auf diesen Energieträgern (zuzüglicheines geringen Umfangs Uran). Ordnungspolitische bzw. ver-meintlich wirtschaftsschädigende Maßnahmen sollen verhin-dert, Marktgängigkeit, Effizienz und ökologische Modernisie-rung sollten gewährleistet werden. Dem wirken staatliche Ent-scheidungen nicht grundsätzlich entgegen. Vielmehr wird den

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209Umwelt- oder Gewerkschaftskrise?208 Achim Brunnengräber

Akteuren aus der Privatwirtschaft ein Bewegungsfeld eröffnet,um Marktinstrumente mit entwickeln, erproben und imple-mentiert zu können. Dabei gibt es zwar, wie die Diskussionenum die Strategie zum Emissionshandel in Deutschland undder Europäischen Union zeigen, heftige Auseinandersetzun-gen (Joachim Wille, FR 26.1.2002), letztlich haben aber auchRegierungen – gerade über den „strategischen Umweg“ derinternationalen Ebene – das Ziel, ihre Wettbewerbsfähigkeit,nationale energiewirtschaftliche Interessen und ökonomischeWachstumsziele durchzusetzen. Auch die meisten NGOs inden Industrieländern beziehen hierzu keine grundsätzlicheGegenposition, sondern sehen ihre Aufgabe vor allem darin,Steuerungsleistungen im Detail zu erbringen. Kritischer argu-mentieren noch die meisten der Süd-NGOs, die bei den inter-nationalen Klimaverhandlungen aber zumeist unterrepräsen-tiert sind (Walk/Brunnengräber 2000: 141ff.).

Die Klimaverhandlungen und die dort organisierten Akteureorientieren sich also keinesfalls nur an den – durch die Klima-katastrophen als zwingend postulierten – sozial-ökologischenNotwendigkeiten, wonach die Transformation der Industrielän-der in Richtung „nachhaltiger Globalisierung“ quasi zwangsläu-fig erfolgen müßte. Stattdessen wird die Klimapolitik ebenso wieam Beispiel der biologischen Vielfalt gezeigt werden kann, „vonzwei gegensätzlichen und sich überlagernden Tendenzen durch-zogen: der Politisierung von Nutzungsformen im Naturverhältnisund der Überformung ökologischer Problemdefinitionen durchMacht- und Herrschaftsverhältnisse“ (Görg 1997: 112). In die-sem Zusammenhang ist auf eine wichtige Unterscheidung zwi-schen der Klima- und Biodiversitätspolitik hinzuweisen: Hin-sichtlich der Biodiversitätspolitik steht die direkte Aneignungvon Natur in Form ihrer Ökonomisierung unter Wettbewerbsbe-dingungen im Vordergrund der Auseinandersetzungen (Brand/Görg 1998; ebd. 2001). In der Klimapolitik ist, weil hier eineunmittelbare wirtschaftliche Verwertbarkeit nicht gegeben ist, dieSuche nach den Instrumenten zur indirekten Aneignung in Gan-ge. Dabei wird weitreichend über die gesellschaftliche Zukunft(mit-)entschieden, d.h. bestimmte Entwicklungspfade werdeneröffnet, andere bleiben tendenziell verschlossen. Den dadurchentstandenen Blindstellen der internationalen Klimapolitik giltes zukünftig wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Resümee: Ein anderes Krisenkonzept

Die Defizite der Klimapolitik liegen darin, dass sie die mitdem Klimawandel verbundene sozial-ökologische Komplexitätnicht angemessen zu erfassen und zu berücksichtigen vermö-gen. Sie haben stattdessen zu Formen der politischen Regulie-rung der ökologischen Krise geführt, die durch drei wesentli-che Verkürzungen gekennzeichnet sind: zum einen eine Kon-zentration auf die wirtschaftliche Instrumentendebatte, welchedie systematische Förderung alternativer Ansätze der Problem-bearbeitung wie einen weitreichenden energiepolitischen Struk-turwandel weitgehend ausklammert, zum zweiten ein hegemo-niales Problemverständnis, das von einem scheinbar naturwis-senschaftlich objektivierbaren globalen Umweltproblem aus-geht und daraus die direkte und vor allem lösungsorientierteProblembearbeitung ableitet, und schließlich drittens einenFokus auf der internationalen Handlungsebene, die als dieangemessene und zentrale Bearbeitungsebene angesehen wird,obgleich der hier zwingend erforderliche Konsens nur schwa-che und sehr begrenzte Vereinbarungen zulässt. Darüber hin-aus konnten die Mechanismen zur Reduktion der schädlichenTreibhausgase noch nicht soweit konkretisiert und umgesetztwerden, dass eine in absoluten Zahlen gemessene CO2-Minde-rung garantiert werden könnte.

Die „langfristig größte ökologische Herausforderung derMenschheit“ (U. E. Simonis, in: Das Parlament Nr. 46,9.11.2001) stößt sich im Wesentlichen an den kurzfristigenökonomischen Interessen. Die Krisendiagnose und die Vor-schläge ihrer Bearbeitung sind in Macht- und Herrschaftsver-hältnisse eingelassen und folglich mit wissenschaftlichenModellierungen alleine weder beschreib- noch bearbeitbar.Ebenso wenig ist ihr alleine mit technischen und wirtschaftli-chen Instrumentarien beizukommen. Noch nicht einmal dieWirkungen der bisher angedachten Instrumente zur Problemlö-sung sind im Einzelnen vorhersehbar. „Durch die Wechselwir-kungen von globalen und lokalen Umweltveränderungen, tech-nologischen Entwicklungen, ökonomischem Strukturwandel,der Globalisierung von Märkten, sich wandelnden Bedürfnis-sen und Lebensstilen entstehen komplexe sozial-ökologischeProblemlagen mit einer nur schwer zu erfassenden Dynamik.

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Wieweit die beabsichtigten und die unbeabsichtigten Folgenvon politischen Eingriffen und Maßnahmen diese Dynamik tat-sächlich beeinflusst, ist eine offene Frage“ (Becker u.a. 1999: 27).

Ein anderes, sozial-ökologisches Krisenkonzept wird alsoerforderlich, weil es dem an der Schnittstelle zwischen Gesell-schaft und Natur gelegenen politisch-ökonomischen Systemimmer weniger gelingt, die Verknüpfung des Naturverbrauchsfür die Wachstumsdynamik der Weltwirtschaft und die Repro-duktionsgrundlage der Gesellschaft störungsfrei zu gewährlei-sten. Zumindest wird dieses System zunehmend zum Gegen-stand von Kritik und sozialen Auseinandersetzungen. Die zer-störerischen Produktionsweisen sowie die ressourcenintensivenKonsumstile und Mobilitätsbedürfnisse – vor allem in denIndustrieländern – werden allerdings weitgehend verteidigt. ImVordergrund steht vor allem die Frage der gesellschaftlichenNutzung und Inwertsetzung der Natur sowie das „enormeInnovationspotenzial für Wirtschaft, Umwelt und Gesell-schaft“, das unter dem Label der Nachhaltigkeit erschlossenwerden soll, wie es die deutsche Bundesregierung im Rahmenihrer Nachhaltigkeitsstrategie fordert (PM 19.12.2001). Dieinternationale Klimapolitik ist diesem Ziel durchaus förder-lich. Dort werden die konfliktreichen gesellschaftlichen Natur-verhältnisse auf spezifische Weise machtvoll reguliert, um dar-auf hin über das politisch-institutionelle Institutionensystemwirkungsmächtig auf den lokalen Ort zurückwirken.11

So bleibt unberücksichtigt, welche sozial-ökologischen Fol-gen es etwa für indigene Völker eigentlich hat, wenn ihre„natürlichen Umwelten“ nun als CO2-Senken in Wert gesetztwerden. Unabsehbar sind auch die sozial-ökologischen Konse-quenzen des Handels mit hot air. Jedenfalls scheint die Regie-rung Russlands größeres Interesse am schnellen internationa-len Geld zu haben, als daran, langfristig und intensiv denBereich der erneuerbaren Energien „vor Ort“ zu erschließenund zu fördern. Und die Maßnahmen im Rahmen des CleanDevelopment Mechanism könnten eher zu einem ökologi-schen Notanker der in die Krise geratenen Entwicklungs-zusammenarbeit werden, die kaum dazu in der Lage sind, diestrukturellen Probleme der Weltwirtschaft zu beseitigen. IhreSozialverträglichkeit wäre jedenfalls an konkreten Beispielenzu überprüfen. Es müsste außerdem geklärt werden, ob die

Liberalisierung des Welthandels durch die WTO mit klima-politischen Zielen überhaupt vereinbart werden kann. DieDimensionen globaler Gerechtigkeit und der Nord-Süd-Kon-flikt müssten verstärkt zum Gegenstand der klimapolitischenDebatten werden. Und schließlich müssten nationale wie loka-le Widerstände wieder als Teil der umfassenden sozial-ökologi-schen Krise angesehen werden.

Die Reaktion auf sozial-ökologische Krisen geschieht alsonicht nur auf Grund natürlicher Zwänge, denen Gesellschaf-ten in spezifischer Weise ausgesetzt sind. Die diskursive Kon-struktion von äußeren Realitäten mit eigenen Gesetzmäßigkei-ten wie die „globale Umweltkrise“ wird vielmehr selbst zumMachtinstrument. Darauf stützt sich heute argumentativ dieökonomisch-technisch geprägte Instrumentendebatte, mit derneue Märkte erschlossen werden sollen, oder auch die Forde-rung nach einer Weltumweltorganisation, deren Aufgaben undZiele abgesehen vom „Schutz der Umwelt“ meist nicht genau-er definiert werden. Staatliche und internationale Klimapolitikdient vor diesem Hintergrund nicht nur dem Klimaschutz,sondern ist eingebettet in Interessenpolitik und hegemonialeVerhältnisse. Nicht die Komplexitätsreduktion wäre daher er-forderlich, sondern die thematische Öffnung und Re-Politisie-rung der Klimaproblematik. Denn sie lässt sich als tiefgreifen-de Gesellschaftskrise mit den klassischen Instrumenten derUmweltpolitik nicht bearbeiten.

Anmerkungen

1 Der Aufsatz entstand im Rahmen eines Sondierungsprojekteszum Rahmenprogramm sozial-ökologische Forschung, das vomBundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) initiiertwurde. Der Titel des abgeschlossenen Vorhabens: „Globaler Kli-mawandel, gesellschaftliche Naturverhältnisse und (inter-)natio-nale Klimapolitik“. Dem Projektleiter Elmar Altvater und mei-ner Kollegin Angela Oels sowie Heike Walk, Axel Michaelowa,Christoph Görg und Ulrich Brand danke ich für wertvolle Anre-gungen zu diesem Text.

2 Klimawandel und Klimapolitik nehmen auch in der nationalenNachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung einen prominen-ten Stellenwert ein, deren Ausarbeitung auf Beschluss des Bun-deskabinetts vom 26. Juli 2000 beschlossen wurde. Dafür wur-den ein „Staatssekretärsausschuss für Nachhaltige Entwicklung“

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(green cabinet), ein „Rat für Nachhaltigkeit“ und ein „Internet-Forum Dialog Nachhaltigkeit“ ins Leben gerufen (vgl. http://www.dialog-nachhaltigkeit.de; http://www.nachhaltigkeitsrat.deund http://www.weltgipfel2002.de).

3 Auch die Nicht-Thematisierung von Umweltproblemen stellt indiesem Zusammenhang ein Problem dar. Dabei sind Unterschie-de zwischen lokalen, nationalen und globalen „Blindstellen“wichtig. Lokale oder nationale Umweltprobleme können ja„externalisiert“ werden und zum „Nimby-Syndrom“ (not in mybackyard) beitragen.

4 Im Folgenden konzentriere ich mich im Wesentlichen auf deninternationalen Politikprozess, obgleich dieser nicht unabhängigist von Auseinandersetzungen auf der nationalstaatlichen undlokalen Ebene. Die dort vorzufindenden Kräfteverhältnisse,Problemdeutungen und als legitim anerkannten Formen derProblembearbeitung sind kaum identisch mit denjenigen aufinternationaler Ebene. Gleichermaßen kann aber auch die (zu-nehmende) Deutungsmacht internationalen Politik nicht unbe-rücksichtigt bleiben.

5 Nach dem Kyoto-Protokoll sollen die Industrieländer bis 2012ihre Emissionen im Durchschnitt um 5,2 Prozent verringerthaben. Von dieser Zielmarge sind die Industrieländer weit ent-fernt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung beziffertden Anstieg der CO2-Emissionen in den OECD-Ländern 1999auf 8-9 Prozent gegenüber 1990 (DIW-Wochenbericht 6/2001).Problematisch ist außerdem das Aufweichen des Reduktionszielsdurch die Rolle von Senken und der „heißen Luft“ (siehe unten;Jotzo/Michaelowa 2001).

6 In der sich herausbildenden Global Change-Forschung, die imBegriff ist, die klassische nationale Umweltpolitik zu ergänzenbzw. abzulösen, wird dieser Aspekt gänzlich vernachlässigt.Schon terminologisch wird die ökologische Gesellschaftskriseentdramatisiert. Dem globalen Wandel gilt es dann mit pragma-tischen Managementkonzepten, technologischen Innovationenoder neuen globalen Institutionen zu begegnen.

7 Auch bei der COP 6b gelang es den Entwicklungsländern nicht,ihre Forderung nach rechtsverpflichtenden Finanzbeiträgendurchzusetzen. Zwar wurde die Globale Umweltfazilität (GlobalEnvironmental Facility; GEF) als Finanzmechanismus der Kon-vention konsolidiert sowie drei neue Fonds für Klimaschutz-maßnahmen in Entwicklungsländern geschaffen („SpecialClimate Change Fund“, „Least Developed Countries Fund“,„Adaptation Fund“). Die Ausstattung von jährlich 410 Mio.US$, die in der politischen Erklärung der COP6b genannt wird,

ist jedoch keineswegs garantiert und blieb weit hinter den Erwar-tungen der Entwicklungsländer zurück.

8 Festgelegt wurde allerdings, dass die im Jahr 2010 festgestellten„Fehlmengen“ an Treibhausgasreduktionen in der darauffolgen-den Periode mit einem Aufschlag (Faktor 1,3) nachgeholt wer-den müssen.

9 Wirtschaftsminister Werner Müller gibt Schützenhilfe: In seinemEnergiebericht, den er Ende 2001 vorlegte, wird ein Szenarioentwickelt, nach dem auf die Verbraucher bis 2020 kumulierteZusatzkosten von 500 Milliarden Mark durch Klimaschutz-maßnahmen zukommen würden. Im rot-grünen Regierungslagerführte der Bericht zu einigem Unmut, zumal sich auch Umwelt-minister Jürgen Trittin nicht mehr eindeutig zu dem bereitsgesteckten 25-Prozent-Ziel bekennt (FR 27.11.2001).

10 Mit dem Problem der Senken befasste sich auch ein Sondergutach-ten des „Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderun-gen“. Obgleich der Beirat die Idee einer Verbindung von Klima-und Senkenschutz befürwortet, bewertet er die Art der Anrechungvon Tätigkeiten im Bereich Landnutzungsänderungen und Forst-wirtschaft des Kyoto-Protokolls „als unzureichend und verbesse-rungsbedürftig ... Der derzeitige Anrechnungsmodus kann zu nega-tiven Anreizen sowohl für den Klimaschutz als auch für den Schutzder Biodiversität und der Böden führen“ (WBGU 1998:1, zur Sen-ken-Position des WBGU siehe auch Politikpapier 1/2001: 8). AlsProblem bzw. Schlupfloch könnte es sich auch noch erweisen, dassdie aus den drei Mechanismen erzeugten Emissionsrechte sowieEmissionsgutschriften, die aufgrund der Kohlenstoffeinbindung vonSenken erzielt wurden, sowohl zur Erfüllung der Emissionsreduk-tionsverpflichtungen als auch zum Handel mit anderen Vertrags-staaten genutzt werden können. Auch hier sind also viele die Stati-stik und Berechnung betreffenden Detailfragen noch ungeklärt.

11 Davon sind auch die nationalen Industrien betroffen, die sichgegen die Implementierung der internationalen Verhandlungser-gebnisse dann heftig zur Wehr setzten. Vor diesem Hintergrundist auch die These nicht von der Hand zu weisen, dass es ohnedie internationale Klimapolitik gar keine Fortschritte auf natio-naler Ebene geben würde.

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217Autorinnen und Autoren216

beitet u.a. in einem Forschungsprojekt zur internationalenBiodiversitätspolitik an der Universität Frankfurt/M.eMail: [email protected]

Enrique Leff, Dr. in Entwicklungsökonomie, ist Leiter des Netz-werks für Umwelterziehung des Umweltprogramm der VereintenNationen in Lateinamerika und der Karibik (UNEP). Autor zahl-reicher Bücher und Aufsätze zum Verhältnis von Kapitalismusund Natur bzw. ökologischer Krise.eMail: [email protected]

Silvia Ribeiro, derzeit Programmdirektorin der NGO Erosion,Technology and Concentration (ETC Group; vormals RAFI),davor arbeitete sie als Journalistin und Kampagnenaktivistin inUruguay, Brasilien und Schweden zu sozial- und umweltpoliti-schen Themen. Nahm als zivilgesellschaftliche Vertreterin an denVerhandlungen mehrerer internationaler Abkommen im Rahmender FAO, CBD und des Biosafety-Protokolls teil. Zahlreiche Ver-öffentlichungen und Durchführung von Workshops. Sie lebt inMexiko-Stadt.eMail: [email protected]

Silvia Rodríguez Cervantes, Dr. in Agrarsoziologie, Professorin ander Universidad Nacional in Heredia, Costa Rica, im ProgrammCAMBIOS (Cambio Social, Biodiversidad y Sustenabilidad), Mit-glied der nationalen Kommission zum Biodiveritätsmanagementund im Board der internationalen NGO GRAIN (GeneticResources Action International).eMail: [email protected]

Christa Wichterich, Dr. in Soziologie, arbeitet als freiberuflicheJournalistin, Buchautorin und Beraterin in der Entwicklungs-zusammenarbeit. Arbeitsschwerpunkte: Globalisierung, Ökologie,Frauenbewegungen, internationale Frauenpolitik, Frauenarbeit. Re-gionale Schwerpunkte: Süd- und Südostasien, Ost- und Südafrika.Mitarbeit im NRO-Frauenforum, beim Forum Umwelt und Ent-wicklung, bei Women in Development Europe (WIDE), beiATTAC.eMail: [email protected]

Über die Autorinnen und Autoren

Henri Acselrad, Dr. in Ökonomie, ist Professor am Institut fürStadt- und Regionalplanung und Forschung der Bundesuniversitätvon Rio de Janeiro, Brasilien und Mitglied des Leitungskreises desinterinstitutionellen Projektes „Brasilien – Nachhaltigkeit und De-mokratie“. Ehemaliges Mitglied im Brasilianischen NGO Forumim Rio-Vorbereitungsprozess (1991-1992).eMail: [email protected]

Ulrich Brand, Dr. phil., arbeitet im Fachgebiet „Globalisierung &Politik“ der Universität Kassel und in einem Forschungsprojektzur internationalen Biodiversitätspolitik an der Universität Frank-furt/M.; Schwerpunkte sind Global Governance/internationalePolitik, Staatstheorie, Nichtregierungsorganisationen und Umwelt-politik. Mitarbeit im Arbeitsschwerpunkt Weltwirtschaft in derBundeskoordination Internationalismus (BUKO).eMail: [email protected]

Achim Brunnengräber, Dr. pol., Politikwissenschaftler, arbeitetan der Freien Universität Berlin über die transnationale Vernet-zung von NGOs, Neue soziale Bewegungen, die internationaleKlimapolitik und Global Governance. Er ist außerdem wissen-schaftlicher Mitarbeiter von Ernst Ulrich von Weizsäcker (MdB),dem Vorsitzenden der Enquete-Kommission „Globalisierung derWeltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten“.eMail: [email protected]

Tewolde Berhan Gebre Egziabher, Dr. nat., leitet die äthiopischeUmweltschutzbehörde, die den Status eines Umweltministeriumshat. In den 90ern war er ein wichtiger Verhandlungsführer derafrikanischen Staaten in den CBD- und FAO-Verhandlungen;gleichzeitig übernahmen diese Länder immer stärker eine führendeRolle in der aus südlichen Ländern bestehenden „Gruppe der 77und China“, was die Gruppe insgesamt stärkte. Wichtig warenseine Beiträge im Rahmen der afrikanischen Position zum TRIPS-Abkommen, zu Community Rights und zu biologischer Sicher-heit. Er ist Träger des Alternativen Nobelpreises.eMail: [email protected]

Christoph Görg, Dr. phil., ist Sozialwissenschaftler mit denSchwerpunkten kritische Theorie und Naturverhältnisse und ar-