37
nd Dossier Griechischer Frühling Materialien zur Zeit. Ein Magazin der sozialistischen Tageszeitung | 3,50 € Was sie tun Chronik einer Erpressung: Wie Schäubles Ultras das neoliberale Prinzip gegen die SYRIZA- Regierung in Stellung brachten Was wir tun Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis über Marx – und warum jetzt erst einmal die Rettung des Kapitalismus nötig ist Was zu tun ist Aufrufe für die SYRIZA-Regierung gibt es mehr als genug. Aber was heißt praktische Solidarität für die Linken in Europa wirklich?

Griechischer Frühling - · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

  • Upload
    lamdiep

  • View
    217

  • Download
    3

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

nd Dossier

Griechischer Frühling

Materialien zur Zeit. Ein Magazin der sozialistischen Tageszeitung | 3,50 €

Was sie tun

Chronik einer Erpressung: Wie Schäubles Ultras das neoliberale Prinzip gegen die SYRIZA-Regierung in Stellung brachten

Was wir tun

Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis über Marx – und warum jetzt erst einmal die Rettung des Kapitalismus nötig ist

Was zu tun ist

Aufrufe für die SYRIZA-Regierung gibt es mehr als genug. Aber was heißt praktische Solidarität für die Linken in Europa wirklich?

Page 2: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

Schön, täglich im nd kritisch-solidarische Berichte überdie Entwicklung in Griechenland lesen zu können, – oder?Doch Qualitätsjournalismus hat seinen Preis. Und denkönnen Sie sich leisten:Nur 35 € kosten das Zwei-Monats-Abo und die nd-Appin unserem „SYRIZA-Paket“. Wer Griechenland verstehenwill, braucht eine Zeitung wie nd – und das täglich!

Interesse? Dann anrufen (030) 29 78 18 00. Oder E-Mail an [email protected]. Aboseite: neues-deutschland.de/abo

Das Angebot gilt nur im Inland und in Haushalten ohne aktives nd-Abo in den letzten 6 Monaten. Angebot gilt bis 30.6.15.

S O Z I A L I S T I S C H E T A G E S Z E I T U N G

SYRIZA-Versteherjetzt abon-nieren!συνδρομήist griechischund heißt: Abonnement!

GriechDoss_Anzeige_225_300_as_fertig_Layout 1 06.03.15 13:41 Seite 1

Page 3: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

Editorial

Athen. Ein AnfangEs wohnt den großen Dingen inne, den politischen Einschnitten, die das Prädikathistorisch verdienen, dass sie schnelllebig sind, dass die Dynamik der Ereignissehoch und die Geschwindigkeit der Veränderungen groß ist: Am 25. Januar 2015wurde in Griechenland eine linkssozialistische Partei zum Wahlsieger, nur einenTag nach der Abstimmung saß SYRIZA in der Regierung, mit einemMinisterpräsidenten Alexis Tsipras und einem Finanzminister Yanis Varoufakis,die rasend schnell zu emblematischen Figuren eines politischen Aufbruchswurden – verzerrt in den Bildern, welche andere von ihnen produzieren, jene, diean einem Kurswechsel in Europa, an einer Alternative zu Austeritätsdiktat unddeutscher Krisenpolitik kein Interesse haben.

Sechs Wochen sind seit der Wahl vergangen. Wochen, in denen viel geschehen ist,die das politische Europa bereits stärker verändert haben, als es der Linken aufdem Kontinent in den Jahren zuvor gelungen ist. Natürlich: Es waren erst einmalkleine Schritte nach vorn, Kompromisse des Zeitgewinns und des Offenhaltensvon Spielräumen, es gab von der Gegenseite erzwungene Seitwärtsbewegungenund nicht zuletzt auch dies: Rückschläge. Noch immer jagt eine Schlagzeile dienächste: Sie erzählen von Milliarden, von Krediten, von »den Griechen« und »denDeutschen«. Nur selten werfen sie ein aufklärerisches Licht auf den politischenCharakter des Aufbruchs, der – so die Hoffnung – in Athen erst begonnen hat.

Dieses Dossier nimmt den ersten Akt des griechischen Frühlings in den Blick. Wirwollen einen Ruhepunkt setzen, an dem kritische Reflexion, vorläufige Bilanz undein Blick nach vorn möglich werden. Ein Blick, der von den Widersprüchen despolitischen Betriebs weiß, in dem zu Agieren SYRIZA gezwungen ist. Wir zeichnendie ersten Wochen seit der Wahl nach; wir dokumentieren Texte, welche die überden Augenblick hinausreichenden Motive und Ziele der Regierung in Athendeutlich machen; wir haben offizielle Papiere zusammengestellt, von denen oftdie Rede ist – deren vollständigen Inhalt aber kaum jemand kennt. Wir geben derDiskussion Raum, welche innerhalb von SYRIZA läuft. Und wir wollen Lustmachen auf die in der deutschsprachigen Linken geführte Debatte darüber, wasjetzt und praktisch Solidarität mit der griechischen Linken heißt.

In diesem Heft fehlt vieles. Und während wir es in den Druck geben, läuft die Zeitweiter – also auch: der griechische Frühling. Noch viel mehr Beiträge, Debatten,Dokumente und Kommentare gibt es unter dasND.de/syriza

Tom StrohschneiderChefredakteur »neues deutschland«

mit freundlicher Unterstützung von

Inhalt

GRIECHISCHER FRÜHLING

Eine Zwischenbilanz 2

Die ersten sechs Wochen. Eine Chronik 4

Wohin flossen die Milliarden wirklich? 12

Warum ein Schuldenschnitt möglich ist 13

Yanis Varoufakis: Rettet den Kapitalismus 16

Ikone? Spieler? Linker! 20

NS-Schulden unter den Teppich gekehrt 22

Alexis Tsipras: Entscheidende Momente 25

Kurze Geschichte von SYRIZA 26

EUROPÄISCHE VERHANDLUNGEN

Dokumente des Konflikts 31

Zinsen für Berlin, Almosen für Athen 27

James K. Galbraith: Über den Deal 41

Offener Brief aus SYRIZA 44

Eine Kritik des Kredit-Kompromisses 45

Über die Debatte in SYRIZA 46

INTERNATIONALE SOLIDARITÄT

Solidarität mit SYRIZA in Deutschland 50

Kampf der Putzfrauen des Ministeriums 51

Landolf Scherzer: Kali mera, Kostas 52

Gespräch mit einem Solidaritätsbündnis 55

Die besetze Fabrik 56

Solidarität, nur wie? Deutsche Debatte 58

Literatur, Impressum 64

Page 4: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 32 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

Seit Amtsantritt von Tsipras ging von Athen mehr für einen Kurswechsel in der Krisenpolitik aus, als es der europäischen Linkenbisher gelungen ist: Freude bei SYRIZA-Anhängerinnen am Wahlabend in Athen Foto: dpa/Michael Kappeler

Auch wir haben die WahlWas hat SYRIZA erreicht? Eine erste Zwischenbilanz des griechischen Frühlings

Sechs Wochen nach der Wahl in Griechen-land, sechs Wochen des politischen Hin undHer, der Beschimpfungen und Sondertref-fen – ist Zeit für eine erste Bilanz. Was hatdie SYRIZA-geführte Regierung erreicht?Was hat sich geändert im Europa der deut-schen Krisenpolitik?

Man darf die Frage nicht darauf redu-zieren, wer als Sieger oder Verlierer ausdem Kompromiss über die Verlängerungdes Kreditprogramms hervorgegangen ist.Denn wer in Brüssel, Berlin und Athen seitdem25. Januarwasfürsichverbuchenkann,ist nicht nur eine Angelegenheit des Kon-flikts um die Schulden und die umstritte-nen Kürzungsauflagen. Es geht hier ummehr, um die europäische Krisenpolitik, umdie Machtbalance in der EU und um dieGlaubwürdigkeit eines neoliberalen Kur-ses, der bis zur Peinlichkeit demaskiert ist –und trotzdem noch die Szenerie bestimmt.Aber nicht mehr ganz unangefochten.

SYRIZA war erfolgreich – um des eige-nen politischen Überlebens Willen. Dieneue Regierung hat etwas Spielraum ge-wonnen, unter anderem in Sachen Primär-überschuss und bei einem Teil der Kür-zungsauflagen. Klar: Ein Befreiungsschlagist das nicht, es gelten die alten Regeln wei-ter, es wird kaum einfacher. Aber: Athen hatgegenüber der kompromisslosen Linie inBerlin gezeigt, wer wirklich ein Interesse aneiner Einigung hatte, was im Ringen um öf-fentliche Zustimmung nicht unwichtig ist.

SYRIZA war erfolgreich – für die ganzeeuropäische Linke. Seit Amtsantritt gingvon Athen mehr für einen Kurswechsel inder Krisenpolitik aus, als es der europäi-schen Linken bisher gelungen ist. Es hat vonlinks an der griechischen Linkspartei in-zwischenauchjedeMengeKritikgeben.Dasist auch völlig in Ordnung, ja: notwendig.Und dennoch: Der Gewinn von Zeit, den derKompromiss mit den europäischen Gläu-bigern zunächst darstellt, ist mehr als eineFristverlängerung für ein »bloß reformisti-sches« Projekt, es ist ein notwendiger Um-weg. Weder sind die Gefahren gebannt,

dass die Vertiefung der Krise nach rechtsausschlägt noch kann ernsthaft davon dieRede sein, dass es bereits gesellschaftlicheMehrheiten im europäischen Maßstab füreine andere, neue EU gibt. Nur: Darauf kannSYRIZA nicht warten, der Preis ist untrag-bar – eine humanitäre Krise, von der sichauch die meisten Beobachter außerhalbGriechenlands kaum eine realistische Vor-stellung machen können.

SYRIZA war erfolgreich – beim Vertie-fen von Rissen innerhalb der EU. Nicht nurder Kompromiss über die Verlänge-rung des Kreditprogramms istein Dämpfer für das neoli-berale Berlin. Auf euro-päischer Bühne ist daswochenlange Njet vonBundesfinanzministerWolfgang Schäublenicht mehr unwider-sprochen geblieben. Dasist ein wichtiger Schrittgegen den Versuch, sichmit Erpressungspolitik überalle alternativen Erwägungenhinwegzusetzen. Im Machtspiel der EUist das Gewicht des »politischen Europa«der Kommission gegenüber dem »finanzi-ellen Europa« der Eurogruppe unterSchäubles Knute gestärkt worden. Wennder EU-Kommissionschef Jean-ClaudeJuncker ultimativ erklärt, es werde »nie-mals einen Grexit geben«, dann ist dasauch eine Absage an jene in Berlin, die mitder Option eines Austritts Griechenlandsaus der Eurozone Politik gemacht haben.Und es ist eine klare Ansage an das Behar-ren auf einer finanzbürokratischen, reinenAusteritätsstrategie. »Wir müssen auf-passen, dass sich die Verhältnisse in Grie-chenland nicht noch verschlimmern«, sagtJuncker – auch gegen jene in Deutschland,die eine Lösung der humanitären Krise als»sozialistische Wohltaten« diffamieren.Die Regierung in Athen hat also die Re-Po-litisierung der Krisenbearbeitung in der EUvorangetrieben, was auch die politischen

Bedingungen für Linke in anderen Ländernverbessert.

SYRIZA war erfolgreich – weil nun dasscharfe Licht der Aufklärung die Verhält-nisse so deutlich ausleuchtet, wie es denKritikern lange nicht gelungen ist. Der Kurs,der maßgeblich von Schäubles Ultras vo-rangetrieben wurde, ist im Ringen um dieVerlängerung des Kreditprogramms de-maskiert worden. Weder sind die Vor-schläge aus Athen so »irre«, wie es die ver-öffentlichte Meinung hierzulande gern dar-

stellt, noch lässt sich die politöko-nomische Verengung auf Auste-

rität noch gegen eine Wirk-lichkeit verteidigen, die in

eine humanitäre Kriseführte. Wohin sind dieMilliarden eigentlichgeflossen? Warum istdie Verschuldung nichtgesunken und warum

die soziale und ökono-mische Lage nicht verbes-

sert? Jeder, der es wissenmöchte, kann nach sechs Wo-

chen des griechischen Frühlings sehen,dass der Satz »There is no Alternative« einepolitische Lüge ist: Unlängst hat sich Berlindafür eingesetzt, die »extrem harten Aufla-gen« für einen geplanten IWF-Kredit an dieUkraine zu lockern, um das Land »innen-politisch nicht zu destabilisieren«. Es ist al-so nicht der »Geist der Vereinbarungen«oder die »europäische Solidarität«, mit de-nen Athen vor allem aus Berlin konfrontiertwird. Sondern eine Sonderbehandlung, dienicht aus ökonomischer Rationalität sichspeist, umso mehr aber aus dem Motiv, dasneoliberale Europa abzusichern.

SYRIZA war erfolgreich – weil sich nunauch in der Bundesrepublik die Diskussio-nen zuspitzen. Die deutsche Debatte ist da-bei zum erhellenden Lehrstück über denZustand des politischen Bewusstseins ge-worden – und über einen medialen Betrieb,der meint, das »deutsche Interesse« müssepublizistisch »verteidigt« werden, weil es

SYRIZAwar erfolgreich:

beim Vertiefen vonRissen in der EU und

um des eigenenÜberlebens

Willen.

auch das Interesse der Leute sei, die hierwohnen. Motto: »die Deutschen« hätten alseine Art Gesamtkollektiv nur und aus-schließlich allergrößte Hilfe an Athen ge-leistet. Im Zuge der »Rettung« des Landesging es aber zuvörderst darum, die Gläubi-ger vor Schaden zu bewahren, also euro-päische Banken, deutsches Kapital. Zudemwurde die Eurozone stabilisiert, was demhiesigen Export zugute kam. Die BonitätDeutschlands stieg im Verhältnis zumSturzflug der Kreditwürdigkeit von Grie-chenland und anderer Krisenstaaten, waszu milliardenschwerer Zinsentlastungführte. Deutschland konnte zudem Geldbillig aufnehmen, um es teurer an Athen alsNotkredit zu verleihen.

SYRIZA war erfolgreich – weil nun diedeutsche Doppelmoral offensichtlich ist.Von griechischer Seite werden die offenendeutschen Kriegsschulden mit elf Milliar-den Euro beziffert. Und es ist nun hierzu-lande auch bekannt, dass die Bundesre-publik 1953 von einem enormen Teil ihrerSchulden befreit wurde, was für das dannanbrechende »Wirtschaftswunder« eineVoraussetzung war.

Was also hat SYRIZA in der ersten Etap-pe des griechischen Frühlings erreicht?Über die europäische Krisenpolitik kann

politisch verhandelt werden, sie ist verän-derbar wie auch die Bedingungen der Gläu-biger. Über den realen Ertrag von Privati-sierungsforderungen, über die Frage, wa-rum nach Jahren des »Sparens« die Schul-denberge nicht kleiner werden, welche Rol-le europäische Werte wie die der Men-schenwürde, der sozialen Sicherheit undder guten Arbeit gegenüber dem Prinzip derAusterität haben, wird schon jetzt andersgesprochen als vor den Wahlen in Grie-chenland. Das ist, gerade aus der linkenPerspektive eigener Schwäche in der Krise,alles andere als nichts.

Was hat SYRIZA noch nicht erreicht?Vieles. Bisher sind die Dinge »nur« ins Rol-len gekommen. Nun rollen sie. Griechen-land braucht auch künftig Geld, das ist kei-ne Überraschung – sondern das zwangs-läufige Ergebnis der »Rettungspolitik«:Schulden um der Bedienung von SchuldenWillen ohne Aussicht auf einen nachhalti-gen Wachstumsschub.

Das konnte SYRIZA binnen sechs Wo-chen nicht »abschalten«. Es wird auchschwer sein, in den vier Monaten bis zumAuslaufen des aktuellen Kreditprogrammseine komplette Wende zu vollziehen. Aberder Kampf geht weiter: Es wird das Ziel ei-nes Schuldenerlasses wieder ganz nach

vorne auf die Bühne der politischen Ausei-nandersetzunggestelltwerdenmüssen.Wierichtig das ist, lässt sich auch an den vehe-menten Abwehrreflexen ablesen, die ausder Bundesregierung schon jetzt zu hörensind: Getroffene Hunde bellen nun einmal.Man darf zurückbellen: Ein Schuldenschnittfür Griechenland ist so sinnvoll, wie er fürDeutschland tragbar wäre – der abzu-schreibende Betrag wäre geringer als jener,mit dem hierzulande die Kosten der Krisevergesellschaftetwurden–vulgo:alsdiederdeutschen Bankenrettung. Es gibt für einenSchuldenerlass verschiedene Modelle; wel-ches davon zum Zuge kommen könnte, isteine Frage des politischen Willens.

SYRIZA wird Fehler machen, es wird Dis-kussionen geben und auch Niederlagen.Kompromisse werden nötig sein, dieschmerzhaft sind. Aber der Regierungs-wechsel in Athen war der Ausgangspunkt füreinen Politikwechsel, für das, was die ge-sellschaftliche Linke immer als Ziel formu-liert hat. Nein, das hier ist kein »Schulden-streit«. Man wird nicht damit aufhören dür-fen, den Kern der Auseinandersetzung frei-zulegen: Am Exempel Griechenland geht esum die Zukunft Europas – soll es eines derMenschensein,odereinesdesKapitals.Auchwir haben die Wahl. Tom Strohschneider

Page 5: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 54 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

Die ersten sechs WochenGriechischer Frühling: vom SYRIZA-Wahlerfolg bis zur Verlängerung des Kreditprogramms

25. Januar

»Ab morgen harte Arbeit«Das Linksbündnis SYRIZA gewinnt dieWahlen in Griechenland mit 36,3 Prozent.Ein großer Erfolg – aber die absolute Mehr-heit von 151 Sitzen wird knapp verfehlt. DieLinkspartei zieht mit 149 Abgeordneten insAthener Parlament ein. »Wir haben heuteGeschichte geschrieben«, sagt SYRIZA-Chef Alexis Tsipras. »Ab morgen beginnt dieharte Arbeit.« Zweitstärkste Kraft sind diebisher regierenden Konservativen der NeaDimokratia ( 27,8 Prozent und 76 Manda-te). Die Neonazipartei Chryssi Avgi (6,3Prozent und 17 Sitze) wird drittstärksteKraft, die Partei To Potami erhält 6,1 Pro-zent und 17 Mandate. Der Einzug ins Parla-ment gelingt auch der kommunistischenKKE (5,5 Prozent und 15 Abgeordnete), dennationalistischen Unabhängigen GriechenANEL (4,8 Prozent und 13 Sitze). Die bisherregierende sozialdemokratische Pasok er-reicht nur noch 4,7 Prozent (13 Abgeord-nete). Die Wahlbeteiligung liegt bei 63,9Prozent – 2012 waren es 62,4 Prozent.

26. Januar

»Ein notwendiges Übel«InAthengehtesamTagdanachschnell.NurStunden nach der Wahl steht fest: SYRIZAwird mit der ANEL koalieren. Der Politolo-ge Alexandros Kioupkiolis spricht im »nd«von einem »notwendigen Übel«, andereBündnisoptionen seien entweder ausge-schlossen gewesen, etwa ein Pakt mit denbisherigen Regierungsparteien, oder poli-tisch ebenso fragwürdig. Die kommunisti-sche KKE hatte es schon vor der Wahl ab-gelehnt, sich in einer linken Regierung derRealität zu stellen. Am frühen Nachmittaglegt Tsipras den Amtseid vor Präsident Ka-rolos Papoulias ab: Erstmals schwört einMinisterpräsident in Griechenland nichtauf die Bibel, sondern auf die Verfassung.Der erste Gang im Amt führt Tsipras mit ro-ten Rosen nach Kessariani, östlich von

Athen. Dort waren während des ZweitenWeltkrieges 600 Menschen von den deut-schen NS-Besatzern hingerichtet worden.Als er später zum »Megaron Maximou«,dem Amtssitz des Regierungschefs kommt,wartet dort nicht wie es der Tradition ent-spricht der Amtsvorgänger: Antonis Sa-maras will dem linken Nachfolger das Ge-bäude nicht übergeben.

27. Januar

Die Linken und ANELDie Entscheidung für die Koalition mit ANELdämpft den Jubel über den SYRIZA-Erfolg inDeutschland und löst deutliche Kritik aus.Ähnliches hatte man in der Lautstärke nichtvernommen, als 2011 und 2012 die SPD-Bruderpartei Pasok und die CDU-Schwes-ter ND die rechtsradikale LAOS in die Re-gierung einbezogen. Doch die Linksparteisieht sich nun unter Rechtfertigungsdruck:Man mische sich nicht in die Koalitions-verhandlungen in Griechenland ein, heißtes. Auch wird auf die Unterschiede in denParteiensystemen und der Geschichte hin-gewiesen. Linken-Chef Bernd Riexingerweist darauf hin, dass die ANEL zwar ei-nerseits nationalistische Töne anschlage,andererseits sei sie gegen die Troika derGläubiger – was für SYRIZA der Haupt-maßstab gewesen sei. Die Linken-Vorsit-zende Katja Kipping äußert die Erwartung,dass SYRIZA auch in einer ANEL-Koalition»bei einem klar antirassistischen Pro-gramm bleibt«. Der europapolitische Spre-cher der Grünen im Bundestag, Manuel Sar-razin, nennt die Koalition einen »Schlag insGesicht aller Freunde Griechenlands«. Tei-le des linken Blockupy-Bündnis sprechenvon einer ersten Bewährungsprobe für SY-RIZA. In Griechenland sei man über dasBündnis aber »weit weniger überrascht alsin den internationalen Medien«. Die Mög-lichkeit einer solchen Koalition sei »spä-testens seit letztem Sommer als wahr-scheinlichste jenseits der absoluten Mehr-heit diskutiert« worden. Die linke Gruppe

»Griechenland entscheidet« aus Österreichverweist darauf, dass es »für SYRIZA keinegute Koalitionsoption« gegeben habe.

28. Januar:

Europa hat »keinen Bock«Vor einem Sondertreffen der EU zum U-kraine-Konflikt knirscht es zum ersten Malaußenpolitisch: Die neue Athener Regie-rung protestiert dagegen, dass sie bei derAbstimmung über eine Erklärung zu mögli-chen neuen Sanktionen gegen Russland au-ßen vor gelassen wurde – das Papier wurdeim Namen der ganzen EU veröffentlicht, oh-ne eine Zustimmung Griechenlands einzu-holen. EU-Parlamentspräsident MartinSchulz reagiert schroff: Er habe »keinenBock, ideologische Debatten zu führen miteiner Regierung, die gerade mal zwei Tageim Amt ist«. Der CSU-Europapolitiker Man-fredWeberwirftTsiprassogarvor,seinLandan den »Aggressor« Wladimir Putin auszu-liefern. Rückendeckung gibt es in Deutsch-land nur von links: Der Außenexperte derLinkspartei, Stefan Liebich, fordert die EUauf, Griechenlands Position zu akzeptierenund nicht Anweisungen zu erteilen, »Wenndie EU eine Institution von Demokratien ist,dann wird sie sich damit auseinanderset-zen müssen.« Athen stellt derweil klar, dassder Protest nicht gegen den Inhalt der Er-klärung gerichtet ist, sondern dass die nor-male Prozedur nicht eingehalten wurde.Tags darauf erläutert Außenminister NikosKotzias in Brüssel seinen Kollegen die grie-chische Position. Die EU müsse »endlichüberlegen,wiesieauf langfristigerBasismitRussland umgehen will«, anstatt auf »mo-ralisch korrekte, aber krampfhafte Weise«zu reagieren, sagt er später.

29. Januar

Ziel bleibt: SchuldenabbauDie SYRIZA-geführte Regierung erneuertihre Forderung nach einer europäischenSchuldenkonferenz zur Neuregelung des

Schuldenabbaus. Regierungschef Tsipraskündigt dazu eine Liste mit Vorschlägen an– auf einen Schuldenschnitt pocht Athenzunächst aber nicht mehr offiziell. Alle EU-Institutionen und die Bundesregierunglehnen einen solchen ab. »Wenn ich einverantwortlicher griechischer Politikerwäre, würde ich keine Debatten über einenSchuldenschnitt führen«, droht Bundesfi-nanzminister Wolfgang Schäuble. »Für ei-nen Schuldenschnitt gibt es derzeit keineMehrheit«, sagt der SPD-Politiker MartinSchulz. Griechenland schlägt nun vor, denSchuldenabbau an eine Wachstumsklauselzu koppeln. Auch gibt es Überlegungen zueiner Umschuldung etwa über die Ausgabevon Anleihen ohne Endfälligkeit. Finanz-minister Yanis Varoufakis erklärt jedoch,man bleibe bei der Forderung nach deutli-cher Schuldenentlastung – dazu werde dieSYRIZA-geführte Regierung nicht zögern,auch »Euphemismen« zu benutzen, alsobeschönigende Formulierungen. Und:Athen wird aktiv: Zur Vorbereitung einesneuen Schuldenschnitts wird die Invest-mentbank Lazard als Berater engagiert.Diese hatte die Regierung in Athen bereitsbeim Schuldenschnitt 2012 unterstützt.

30. Januar

»You just killed the Troika«Griechenland will künftig nicht mehr mitden Kontrolleuren der Gläubiger zusam-menarbeiten – das kündigt FinanzministerVaroufakis nach einem Treffen mit Euro-gruppenchef Jeroen Dijsselbloem an. DieTroika aus EU-Kommission, dem Internati-onalen Währungsfonds und der Europäi-schen Zentralbank ist bei vielen Griechenverhasst, weil sie die umstrittenen Kür-zungsauflagen und Deregulierungsforde-rungen überwachen soll. Varoufakis hattesie zuvor ein »faules Gremium« genannt,Dijsselbloem auf der Kürzungspolitik be-standen. Die Stimmung bei dem Treffen istgespannt. Bei der Pressekonferenz danachflüstert Dijsselbloem Varoufakis zu: »You

Die KriseIm Zuge der globalen Finanzkrise ab2008 geriet Griechenland Ende 2009unter Druck der Finanzmärkte. Ange-sichts relativ hoher Staatsschulden galtdas Land bei Investoren als unsichereAnlagesphäre. Folge: Für neue Krediteverlangten die Anleger immer höhereZinsen von Athen. Da die steigendenZinsen gleichzeitig die Lage Griechen-lands verschlechterten, zogen die Zin-sen noch mehr an. Ein Teufelskreis. An-fang 2010 sah sich die griechische Re-gierung nicht mehr in der Lage, neueKredite an den Finanzmärkten aufzu-nehmen. Damit drohten eine Staats-pleite und ein Zahlungsausfall bei grie-

chischen Anleihen, in die auch franzö-sische und deutsche Banken stark in-vestiert hatten. Um die Pleite zu ver-hindern und eine Ausbreitung der Kriseauf andere Euro-Länder zu verhindern,sprangen EU, EU-Staaten und IWF ein: Inden letzten vier Jahren gaben sie Grie-chenland Kredite über 230 MilliardenEuro. Im Gegenzug verlangten sie harteKürzungsmaßnahmen, die EntlassungZehntausender Angestellter, Privatisie-rungen, die Senkung des Lohnniveaus,eine Schwächung der Gewerkschaftenusw. Griechenland folgte weitgehendden Forderungen. Im Ergebnis ver-schlimmerte sich die Krise.

Die FolgenGriechenland hat in den vergangenenvier Jahren »das härteste Sparpro-gramm verfolgt, das ein westlicher Staatin Friedenszeiten jemals aufgelegt hat«,sagt Holger Schmieding von der Beren-berg Bank. Die Staatsausgaben sankenvon 2008 bis 2014 von 118 auf 86 Mil-liarden Euro. Ende vergangenen Jahresmachte Griechenland kaum noch neueSchulden. Die Lohnstückkosten warendrastisch gesunken. Soweit der »Er-folg«. Der Preis: Die Wirtschaftsleistungist um ein Viertel geringer als vor denKürzungsprogrammen. Die inländischeNachfrage brach um etwa 30 Prozent

ein, die Griechen haben im Durchschnittfast ein Drittel ihres Einkommens ver-loren. Immer mehr Menschen fehlt dasGeld für Nahrung, Strom, Heizung undWohnung. Zugang zu ärztlicher Versor-gung haben Millionen Griechen nur nochin Notfällen. Griechenlands Staatskon-sum ist um 40 Prozent zurückgegangen,die Unternehmensinvestitionen sankenum 70 Prozent. Trotz eines Schuldener-lasses von 100 Milliarden Euro sind diegriechischen Staatsschulden aber wei-ter gestiegen. 2010 lagen sie bei 120Prozent der Wirtschaftsleistung, Ende2014 waren es fast 180 Prozent.

Die NeuwahlenDie Regierung aus Nea Dimokratia undPasok hatte im Oktober 2014 stolz einnahendes Ende des Kreditprogrammsund damit ein Ende des Kürzungsdiktatsverkündet. Im November jedoch urteiltedie Troika der Gläubiger aus EU-Kom-mission, IWF und Europäischer Zent-ralbank,AthenhabedieBedingungenfür2015 nicht vollständig erfüllt. Daherwerde die letzte Tranche der Kreditenicht ausgezahlt – es sei denn, AthenbeschlösseweitereKürzungenüberzweiMilliarden Euro. Nea Dimokratia undPasok befürchteten jedoch die politi-

schen Folgen – den Bruch mit der Troikawagten die Konservativen und Sozial-demokraten aber auch nicht. In einer»Flucht nach vorn« beantragten sie eine»technische Verlängerung« des Kredit-programms – die Gläubiger gewährtenzwei Monate mehr bis Ende Februar2015. Außerdem zog die Regierung diePräsidentschaftswahlen auf Dezember2014 vor. Doch der Kandidat der Regie-rung, Pavlos Dimas, scheiterte in dreiWahlgängen. Das machte laut griechi-scher Verfassung Neuwahlen nötig. Die-se fanden am 25. Januar 2015 statt.

Page 6: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 76 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

just killed the Troika.« Darauf der griechi-sche Finanzminister: »Wow«. Ähnlich gehtes auch beim Treffen von MinisterpräsidentTsipras mit Dijsselbloem zu: Der fragt denGriechen, wie es denn mit dem Abschlussdes Sparprogramms Griechenlands nunweitergehen solle. »Welches Programm«,antwortet Tsipras laut Augenzeugen. DerBruch mit der Troika sorgt für Empörung inBerlin. Der CSU-Finanzpolitiker Hans Mi-chelbach fordert »sichtbare Konsequen-zen«; EU-Kommissar Günter Oettinger vonder CDU wirft Athen »freches und unver-schämtes Auftreten« vor, die RegierungTsipras »schüre Hass und Verzweiflung«.

31. Januar

Ein erster SchrittDie neue Regierung in Athen entlässt dieFührung der griechischen Privatisierungs-behörde TAIPED-HRADF – im Finanzminis-terium heißt es, dies sei »ein erster Schrittfür die neue Privatisierungspolitik«. Vor-gesehene Verkäufe von Teilen der Elektri-zitätsgesellschaft DEI, der Häfen von Piräusund Thessaloniki, der griechischen Eisen-bahnen sowie staatlicher Raffinerien sindauf Eis gelegt. Später wird auch die vomdeutschen Konzern Fraport vereinbarteÜbernahme von mehreren Regionalflughä-fen noch einmal gestoppt. Mit der Entlas-sung der TAIPED-Führung soll der »Aus-verkauf« des Landes gestoppt werden. Pri-vatisierungen sollen künftig nur noch mög-lich sein, wenn Griechenland etwas davonhat, etwa Arbeitsplätze und Wirtschafts-wachstum. Allerdings: Der »Ausverkauf« istzentraler Bestandteil der Bedingungen dereuropäischen Gläubiger für die Kredite anAthen. Bislang waren die von der Troika er-warteten Erlöse aber nicht erzielt worden,weil das Interesse von Investoren fehlte.

1. Februar

Vor der RoadshowEs ist Sonntag, die große Roadshow von Mi-nisterpräsident Tsipras und FinanzministerVaroufakis steht bevor: Die beiden Politi-ker werden in den kommenden Tagen in dieHauptstädte fast aller großen EU-Staatenreisen und ihre Vorschläge für eine alter-native Lösung der griechischen Schulden-krise präsentieren. Regierungschef Tsiprasist überzeugt, andere europäische Regie-rungen für seine Anti-Austeritäts-Politikgewinnen zu können. Über Zyperns Haupt-stadt Nikosia geht es für ihn unter anderemnach Rom, Paris und Brüssel. Varoufakis istbereits in Paris, wo er sich mit seinem fran-

zösischen Kollegen Michel Sapin trifft.Nächste Stationen auf seiner Liste: London,Rom – und auch wenn das zunächst nochnicht so aussieht: auch Berlin und Frankfurtam Main. Die SYRIZA-geführte Regierunghat den Druck kommender Zahlungsprob-leme und die Bedingungen der Gläubiger imNacken, will aber dennoch den Kurswech-sel schaffen: »Alles, was wir von unserenPartnern verlangen, sind einige WochenZeit, um sinnvolle und vernünftige Vor-schläge zu erarbeiten«, sagt Varoufakis.Tsipras bekräftigt derweil: Man fühle sichdem Mandat der griechischen Bevölkerungverpflichtet, die bisherigen Kürzungsdik-tate durch eine Wachstumspolitik abzulö-sen – dies habe jedoch »keineswegs zurFolge, dass wir unseren Verpflichtungengegenüber der Europäischen Zentralbankoder dem Internationalen Währungsfondsnicht nachkommen werden«.

2. Februar

Kredite von wem?US-Präsident Barack Obama äußert Ver-ständnis für die Abkehr der neuen griechi-schen Regierung vom umstrittenen Kür-zungskurs mit seinen weitreichenden so-zialen Folgen. »Sie können Länder, die sichinmitten einer Depression befinden, nichtimmer weiter ausquetschen«, sagt er ge-genüber CNN – und plädiert für »Kompro-misse auf allen Seiten«. Verteidigungsmi-nister Panos Kammenos von der ANEL sorgtspäter mit der Äußerung für Debatten,Griechenlandkönneauchversuchen,»Geldaus anderen Quellen zu bekommen. Eskönnen die USA im besten Fall sein. Eskönnte Russland, es könnten China oderandere Staaten sein«. Das sorgt vor demHintergrund des Kalten Krieges mit Mos-kau für Nachfragen – Tsipras sagt, manrechne nicht mit einem Kredit aus Russ-land. Auch die NATO-Mitgliedschaft wirdnicht in Frage gestellt. Kammenos erklärt,man werde die Beziehungen zu der westli-chen Militärallianz »wie immer« fortfüh-ren. Athen werde aber auch seine Bezie-hungen zu Russland »nicht verstecken«,etwa in Fragen der Energiekooperation.

3. Februar

Kampf um die TroikaDie Bundesregierung macht klar, dass siean der so genannten Troika zur Kontrolleder Spardiktate und Kreditprogramme inKrisenstaaten der Eurozone festhalten will.Unionsfraktionschef Volker Kauder machtauch verfassungspolitische Bedenken gel-

tend, Karlsruhe habe im Zusammenhangmit Entscheidungen zur europäischen Kri-senpolitik klare Vorgaben gemacht. In derEU-Kommission gibt es dagegen Offenheitfür Veränderungen: Präsident Jean-ClaudeJuncker hat schon vor seinem Amtsantrittgegenüber dem Europaparlament erklärt,dass er sich »in Zukunft« vorstellen könne,die Troika durch ein »besser demokratischlegitimiertes« Gremium zu ersetzen. Kon-krete Pläne für eine »neue Struktur« gibt esdemnach aber bisher nicht.

4. Februar

EZB verschärft den KursDie Europäische Zentralbank zieht dieSchlinge um den Hals der SYRIZA-geführ-ten Regierung enger – und bietet ihr zu-gleich hintenherum eine Krücke zum Fest-halten an. Ab 11. Februar werden griechi-sche Staatsanleihen nicht mehr als Si-cherheit für EZB-Kredite akzeptiert, wie esbisher noch durch eine Sonderreglung fürgriechische Anleihen möglich ist. Die EZBbegründet ihren Schritt mit Zweifeln, dassdas laufende Kreditprogramm mit Athenordentlich, das heißt nach den Regeln derGläubiger, abgeschlossen werden könne.Die Finanzierung der griechischen Bankenwird derweil abgesichert: Der EZB-Rat ver-größertdenSpielraumfürNotfallkredite. InAthen gehen am Abend Tausende gegen dieEZB auf die Straße: »Wir lassen uns nichterpressen, wir haben keine Angst, wir sie-gen«, heißt es. EZB-Chef Mario Draghi wirdvorgeworfen, »das Spiel (von Bundes-kanzlerin) Merkel zu spielen«. Zuvor hattesich Griechenland erstmals seit der Wahlam freien Markt Geld besorgt – es gab diegeringste Nachfrage seit Mitte 2006.

5. Februar

Einig, nicht einig zu seinIn Berlin kommen die Finanzminister vonDeutschland und Griechenland zusam-men. Kurz zuvor wird ein internes Papierder Bundesregierung an die Presse durch-gestochen. Die Botschaft: WolfgangSchäuble zielt auf vollständige Durchset-zung der bisherigen Vereinbarungen.Während Yanis Varoufakis betont, Kreditezurückzahlen zu wollen, wenn es die wirt-schaftliche Entwicklung wieder erlaube,zugleich aber darauf verweist, dass dieKürzungsprogramme abgewählt wurden,pocht Berlin genau darauf. »Ziel ist die Auf-rechterhaltung der vereinbarten Reform-agenda (kein Rollback von Maßnahmen).«Nach dem Treffen mit Varoufakis sagt

Schäuble: »Wir sind uns einig, dass wir unsnicht einig sind.« Der griechische Finanz-minister plädiert erneut für ein Überbrü-ckungsprogramm,dasZeitverschaffensoll,um die Krisenpolitik grundsätzlich zuüberdenken. Die Partner in der EU könntenvon Griechenland »ein Höchstmaß an Ver-nunft« erwarten, so Varoufakis. Vor demBundesfinanzministerium demonstrierenein paar Dutzend Menschen und einigeLinkenpolitiker gegen die Haltung vonSchäuble. Bundeswirtschaftsminister Sig-mar Gabriel, der ebenfalls mit Varoufakiszusammenkommt, äußert lediglich Ver-ständnis für Athen, findet aber keine eige-ne Position zu Schäubles Krisenkurs.

6. Februar

Deutsche BeleidigungenDer Berliner Tonfall ist nicht auf diesenFreitag beschränkt, er macht seit Wochendie Runde: Der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Hans-Peter Friedrichnennt die SYRIZA-geführte Regierung»Halbstarke«; der CDU-Wirtschaftsratmacht Athen sogar für den Aufstieg auchrechtsradikaler Parteien in Europa verant-

wortlich. Über Regierungschef Tsipras sagtVerbandspräsident Kurt Lauk abfällig: »Dieschlechte Saat, die er gesät hat, muss erwieder fressen.« Linksfraktionschef Gre-gor Gysi fordert daraufhin, Berlin solle »ausder Oberlehrerrolle, die Deutschland in derEU spielt« herauskommen. Mit dem Appell,die Entscheidung der Wähler in Griechen-land zu respektieren und Verhandlungenüber eine Alternative zur gegenwärtigenKrisenpolitik nicht zu blockieren, meldensich zudem namhafte Wirtschaftswissen-schaftler aus ganz Europa und Nordameri-ka zu Wort. Eine Politik des Drohens, derUltimaten, des Starrsinns und der Erpres-sung gegen die neue Koalition in Athenwerde der europäischen Bevölkerung nurnoch eindrucksvoller zeigen, dass das eu-ropäische Projekt gescheitert ist, heißt esin dem unter anderem von Elmar Altvater,Trevor Evans, James K. Galbraith, Bob Jes-sop und Dorothee Bohle unterzeichnetenAppell. In Athen wird derweil die 38-jähri-ge linke Abgeordnete Zoe Konstantopou-lou zur jüngsten Parlamentspräsidentin inder Geschichte der griechischen Republikgewählt – mit weit mehr Stimmen als dieRegierungskoalition Abgeordnete hat.

7. Februar

»Kein Klassenkampf«Der Ökonom und Wirtschaftsberater vonSYRIZA, Jannis Milios, glaubt nicht, dassdie Europäische Zentralbank ihren har-ten Kurs gegenüber Griechenland bis zueinem Punkt fortführt, an dem ein Aus-stieg aus dem Euro unausweichlich wird.»Das kann und wird die EZB nicht tun.Wenn ein Land die Währungsunion ver-lassen muss, zerfällt die Währungsunion,egal wie klein das Land ist«, sagt er in ei-nem Interview mit dem »Handelsblatt«.Athen und der Rest von Europa seien»aufeinander angewiesen. Wir sind keineGegner sondern Partner.« Zur Politik derLinkspartei SYRIZA in der gegenwärtigenPhase kurz nach der Regierungsüber-nahme in Athen sagt Milios, »unser Pro-gramm hat nichts Klassenkämpferischesoder Antikapitalistisches«. Die Pläne fürdie ersten Monate zielten auf ein »Pro-gramm für die ganz große Mehrheit derGriechen, für die 99 Prozent. Es geht da-rum, die Demokratie wiederherzustellenund wieder soziale Kohäsion zu errei-chen«.

»Wir haben heute Geschichte geschrieben«, sagt SYRIZA-Chef AlexisTsipras am Wahlabend. »Ab morgen beginnt die harteArbeit.« Hatte er eine Ahnung, wie hart diese Arbeit sein wird? Foto: Reuters/Marko Djurica

Page 7: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

8. Februar

Reparationen »grundlos«?In Athen spricht Alexis Tsipras über dieZiele seiner Regierung. In der Rede vor demParlament geht es um tiefgreifende Refor-men, mehr soziale Gerechtigkeit sowie ei-nen harten Kampf gegen Korruption undSteuerflucht (Auszüge daraus ab Seite 25).Er kommt auch auf die Forderung nachWiedergutmachung durch die Bundesre-gierung für Zerstörungen im Zweiten Welt-krieges sowie nach Rückzahlung einesZwangskredits zu sprechen. Man habe eine»moralische Verantwortung unserem Volkgegenüber, gegenüber der Geschichte undallen Völkern Europas«, die gegen die Na-zis gekämpft hätten, so Tsipras. Berlin hältdieReparationsfrageaber fürerledigt.Tagsdarauf macht SPD-Chef Gabriel klar, wiegering die Neigung ist, diese Haltung zu re-vidieren: Reparationsforderungen Grie-chenlands seien grundlos; die Frage im Zu-ge der Verhandlungen zur deutschen Ein-heit fast komplett und abschließend gere-gelt worden. Fast komplett?

9. Februar

Zehn-Punkte-PlanKurz vor einem Sondertreffen der Euro-gruppe, bei dem über das laufende Kredit-programm für Griechenland beraten wer-den soll, gibt es hinter den Kulissen etwasBewegung. Von einem Zehn-Punkte-Planist die Rede, der eine Überbrückungsver-pflichtung Griechenlands werden könnte.Das Zehn-Punkte-Papier verschwindetaber schnell wieder aus den Schlagzeilen.

10. Februar

Beliebte »Halbstarke«Während vor allem in Deutschland be-hauptet wird, die neue griechische Regie-rung – »die Halbstarken« – habe keinenPlan, bringt Athen immer neue Vorschlägeins Spiel und zeigt dabei Kompromissbe-reitschaft. Man strebe im Schuldenstreiteine Vereinbarung an, die ab dem 1. Sep-tember in Kraft treten soll, heißt es. Auchmit der OECD will Athen eine engere Ko-operation vereinbaren. Der Kurs stößt imLand auf Zustimmung: Fast acht von zehnGriechen bewerten Tsipras’ Regierungs-programm positiv. Zudem geben über73 Prozent der Befragten an, sie rechnetenmit einem Kompromiss zwischen Athenund der EU. In Berlin reagiert Finanzmi-nister Wolfgang Schäuble auf die Bekräfti-gung in Athen, das Kreditprogramm nicht in

Gänze – also mit den umstrittenen Kür-zungsbedingungen – verlängern zu wollenmit den Worten: »Schön. Wir haben dasniemandem aufgedrängt. Aber dann ist esauch vorbei.«

11. Februar

Wer wollte das Scheitern?In Brüssel scheitert das erste Treffen derEurogruppe zu Griechenland. Schnell wirdeine Erzählung in die Welt gesetzt, derzu-folge Finanzminister Varoufakis einer Er-klärung zustimmen wollte, sein Ja abernach einem Veto aus Athen wieder zu-rückgezogen habe. Eine andere Versionlautet: Varoufakis habe einer Fassung derErklärung zugestimmt, in der von einer»Änderung und Verlängerung« des um-strittenen Kreditprogramms die Rede war.Die deutsche Seite habe dann den Begriff»Änderung« streichen lassen – demhabe die griechische Seitenicht zugestimmt. Angeb-lich sei dann ein Entwurfder Vereinbarung an diePresse lanciert worden,in dem der Begriff »Än-derung« fehlte, offen-bar mit dem Ziel, dasgriechische Nein zu de-nunzieren. In Athen undThessaloniki sowie in wei-teren Städten gehen mehr als20 000 Menschen zur Unterstüt-zung ihrer Regierung auf die Straße:»Schluss mit der Austeritätspolitik« und»Gebt Griechenland eine Chance«, heißt esin Sprechchören und auf Transparenten –und: »Wir sind nicht Merkels Kolonie.« EinSignal der Solidarität wird auch anderswoausgesandt: Überall in Europa und auch inden USA gehen Menschen auf die Straße,um gegen die deutsch-dominierte Krisen-politik in Europa zu protestieren und für ei-nen Kurswechsel einzutreten.

12. Februar

Hoffnung nach dem GipfelVon einem EU-Gipfel in Brüssel kommt einpositiv klingendes Signal: Es ist ein Schrittin Richtung Einigung gemacht worden. Ei-ne Kommission soll prüfen, wie das der-zeitige Kreditprogramm mit den schwer-wiegenden Auflagen für Athen und die Plä-ne der griechischen Regierung vereinbarsind. SYRIZA hat akzeptiert, dass offiziellzwar nicht mehr von der verhassten Troikadie Rede sein soll, »the institutions« aberweiter ihre Rolle spielen. Kanzlerin Merkel

hatte zuvor erklärt: »Europa hat es immerausgezeichnet, Kompromisse zu finden.«Doch es gibt auch eine andere deutscheRhetorik: Bundesbank-Präsident JensWeidmannlehnteinenKompromissbeidenAuflagen ab, unter anderem mit dem Ar-gument, dass dies die Aufgabe der anderenRegierungen erschweren würde, das zurechtfertigen, was Weidmann als Refor-men bezeichnet.

13. Februar

»Es wäre möglich«Knapp drei Wochen nach der Wahl in Grie-chenland reden Experten der internatio-nalen Gläubiger wieder mit der griechi-schen Seite – »the institutions« treffen sichin Brüssel mit Regierungsexperten ausAthen. Ziel sei »eine Bestandsaufnahme«der Finanzlage und der Vorschläge, wie das

laufende Kreditprogramm für Athenund die griechischen Pläne für

eine Lockerung der um-strittenen Kürzungs- und

Deregulierungsauflagenvereinbar sein könnten.Jede Äußerung wird in-terpretiert: Die Mög-lichkeit, dass das lau-

fende Kreditprogrammnicht verlängert werde,

sei »eine Option«, sagte einein ranghoher EU-Vertreter.

»Es wäre möglich, das Programmnicht zu verlängern und zu sagen, wir be-ginnen Gespräche auf der Basis eines neu-en Programms.« Das wäre ein Schritt aufdem Weg, den Griechenland gehen will –auf den aber vor allem die Bundesregie-rung in Berlin immer neue Steine rollt. Bis-her pochen die Euro-Partner und insbe-sondere Deutschland darauf, dass Athendas Ende Februar auslaufende Kreditpro-gramm verlängert, wenn es weitere Unter-stützung will. »Der Übergang zu einemneuen Programm ist fortan einziger Ge-genstand der Gespräche« und des Treffensder Finanzminister der Eurozone am Mon-tag, hatte Alexis Tsipras tags zuvor opti-mistisch erklärt. Der Chef des Europäi-schen Stabilitätsmechanismus ESM, KlausRegling, äußert tags darauf Verständnis fürdie Bemühungen der neuen Regierung inAthen, die mit ihren Vorgängerinnen ver-einbarten Bedingungen zu ändern. Das sei»verständlich und nicht neu« – auch in Ir-land habe »mitten während eines Pro-gramms« die Regierung gewechselt. Dorthätten ebenfalls »einzelne Maßnahmen«geändert werden können so Regling.

14. Februar

Die Lager sollen schließenDie SYRIZA-geführte Regierung kündigt an,die gefängnisähnlichen und umstrittenenAufnahmelager für Flüchtlinge zu schlie-ßen. Zuvor hatte sich ein Migrant aus Pa-kistan im überfüllten Lager von Amygda-leza im Norden Athens das Leben genom-men. Hinter Zäunen und Stacheldraht sinddort mehr als 2000 Menschen zusammen-gepfercht. Eigentlich könne das Lager nichtmehr als 900 Menschen aufnehmen, heißtes. »Ich bin von Scham erfüllt«, sagt der zu-ständige Staatssekretär im Innenministe-rium, Yanis Panoussis, »wir sind fertig mitden Flüchtlingszentren. Wir brauchen nurein paar Tage«. Dann werde es Entschei-dungen zur Schließung der Lager geben.

15. Februar

»Lasst uns atmen«Es ist Sonntag und abermals gehen in Grie-chenland viele Tausend Menschen gegendie harten Kürzungsauflagen auf die Stra-ße, die im Gegenzug für Kredite von den eu-

ropäischen Gläubigern durchgesetzt wur-den. »Stoppt die Austerität – UnterstütztGriechenland – Ändert Europa«, heißt esauf einem Transparent vor dem Parla-mentsgebäude in Athen. In Thessaloniki,Patras und Volos sowie auf Kreta und an-deren Inseln gehen ebenfalls Menschen aufdie Straße – zur Unterstützung der Regie-rung. »Lasst Griechenland atmen«. Auch inanderen EU-Ländern und in den USA sindwieder Solidaritätsaktionen geplant. InBerlin kommen aber nur einige DutzendDemonstranten vor die EU-Vertretung inder Nähe des Brandenburger Tors.

16. Februar

Das zweite Treffen scheitertAuch das zweite Treffen der Eurogruppe zuGriechenland scheitert. Während die Deut-sche Presse-Agentur titelt »Griechenlandlässt schon wieder Schuldenverhandlun-gen platzen«, weist Finanzminister Varou-fakis darauf hin, dass es vor dem Treffen ei-nen Vorschlag unter anderem von EU-Kom-missar Pierre Moscovici gegeben habe, denAthen unterzeichnet hätte. Doch dieser

Entwurf sei kurz vor der Sitzung durch einPapier von Eurogruppenchef Jeroen Dijss-elbloem ersetzt worden – das für Athennicht mehr akzeptabel war. »Warum wurdeder Entwurf von Moscovici zurückgezo-gen? Und auf Druck von wem?«, fragt derWirtschaftskorrespondent der »Zeit«, MarkSchieritz. Nobelpreisträger Paul Krugmansagt zum Ausgang des Treffens: Es könnesein, dass die Eurogruppe aus Narren be-stehe – wahrscheinlicher sei es aber, dassdie Eurogruppe beschlossen habe, »Grie-chenland über den Abgrund zu schieben«.Der Chef der deutschen Linkspartei, BerndRiexinger, spricht von »Erpressung«, dieEurogruppe wolle »nicht Konsens sondernUnterwerfung«. Die österreichische Grup-pe »Griechenland entscheidet« sieht hin-ter dem Scheitern der Gespräche innerhalbder Eurogruppe »offenbar Unstimmigkei-ten darüber, Griechenland Zugeständnissezu machen«. Am Montagabend hätten »dieHardliner« gewonnen, die versuchten, »diegriechische Regierung dazu zu zwingen,eine Verlängerung der Troika-Programmezu akzeptieren – und den bisherigen Kursdamit zu legitimieren«.

»Ich bin von Scham erfüllt.« Wann hat sich in Deutschland mal ein Innenstaatssekretär derart über die Lage von Flüchtlingengeäußert, die hierzulande nur auf den ersten Blick besser ist als die der Asylsuchenden in Griechenland? Foto: dpa/Yannis Kolesidis

Menschengehen für SYRIZA

auf die Straße:»Schluss mit der

Austeritätspolitik«und »Wir sindnicht Merkels

Kolonie.«

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 98 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

Page 8: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 1110 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

17. Februar

»Am 28., 24 Uhr, is over«Bundesfinanzminister Schäuble bekräftigtseine kompromisslose Haltung. Es gehe»jetzt gar nicht um die Schuldenrückzah-lung«, sondern darum, dass Griechenland»auf dem Weg, der in den letzten Jahren«beschritten wurde, bleibt: auf dem des Kür-zungsdiktats. Da weiterhin behauptet wird,die SYRIZA-geführte Regierung würdenicht einmal konkrete Pläne vorlegen, han-delt Athen: und veröffentlicht Papiere, diesonst nicht für die Öffentlichkeit bestimmtsind.Korrespondentenmerkenan,dassvon»irrsinnigen Forderungen« Griechenlandskeineswegs die Rede sein könne. Schäublebleibt dennoch betonhart: »Am 28., 24.00Uhr, is over.« Kommentatoren diskutierendarüber, ob der CDU-Politiker offensiv aufein Ausscheiden Griechenlands aus derEurozone oder gar einen Nord-Euro zu-steuere. Schäuble gehörte in den 1990erJahren zu den Protagonisten eines Kern-Europa. Derweil bekommt die griechischeRegierung Rückendeckung der Europäi-schen Linken. »Wir protestieren dagegen,was auf der Tagung der Eurogruppe pas-siert ist«, sagte der Vorsitzende der Euro-päischen Linkspartei, Pierre Laurent.»Wenn es nicht zu einer Einigung mit Grie-chenland kommt, wird dies Europa teuer zustehen kommen.« Bis Ende der Woche sollnun eine Lösung gefunden werden.

18. Februar

Wegen der »Kommunisten«In Athen wird Prokopis Pavlopoulos alsPräsident Griechenlands bereits im erstenWahlgang gewählt. Der neue konservativeStaatschef erhält 233 der 300 Abgeordne-tenstimmen – 180 hätten ausgereicht. SeinGegenkandidat Nikos Alivizatos kommt nurauf 30 Stimmen; 32 Abgeordnete enthal-ten sich. Die Schlagzeilen macht immernoch der Streit um das Kreditprogramm.Vor der SYRIZA-Fraktion bekräftigt Regie-rungschef Tsipras das Ziel, »eine Verein-barung ohne Austerität, ohne Memoran-dum und ohne Troika« anzustreben. »Un-sere Antwort lautet: Wir haben es nicht ei-lig und wir lenken nicht ein.« Doch das Kre-ditprogramm soll Ende des Monats aus-laufen. Ein CSU-Mann macht klar, worum esden Hardlinern geht: Ausnahmen für Athenseien ausgeschlossen, da dies »sonst ei-nen Flächenbrand in Europa auslösen«könne. Welchen? »Bürger anderer Staaten,die ebenfalls Sparbeschlüsse zu erfüllenhaben, könnten denken: Ich muss ja nur

Radikale wählen oder Kommunisten, um zuentsprechenden Zusagen zu kommen«, soder Fraktionschef der Konservativen imEuropaparlament, Manfred Weber. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Jun-cker pocht zwar ebenfalls darauf, »dass al-le finanziellen Verpflichtungen« eingehal-ten werden. Vizepräsident ValdisDombrovskis weist aber da-rauf hin, dass »Flexibilität«bei den Kürzungs- undPrivatisierungsauflagenmöglich sei. Die Diffe-renzen zwischen dempolitischen Europa derKommission und demFinanzeuropa der Euro-gruppe werden deutli-cher. Derweil ringt sichAthen dazu durch, nun doch ei-ne Verlängerung der bisherigenKreditvereinbarung zu beantragen. Die Eu-ropäische Zentralbank hebt erneut denRahmen für Notkredite für griechischenBanken an – um 3,3 auf 68,3 Milliarden Eu-ro. Griechenland hatte laut Berichten eineErhöhung um fast zehn Milliarden bean-tragt. Erst vergangene Woche war der Rah-men von 60 auf 65 Milliarden Euro erhöhtworden.

19. Februar

Schäuble sagt NjetAm Donnerstagmorgen wird aus Athen be-kannt, dass der Antrag auf Verlängerungdes Kreditprogramms abgesandt wurde.Details sickern durch, es heißt, die SYRI-ZA-geführte Regierung habe wichtige Be-dingungen der Gläubiger akzeptiert. EU-Kommissionspräsident Juncker zeigt sichoptimistisch, spricht von einem guten »po-sitives Zeichen« und vom Anfang einesWeges zu einem »vernünftigen Kompro-miss im Interesse der finanziellen Stabili-tät in der Eurozone als Ganzes«. Auch ausden Reihen der Eurogruppe wird von posi-tiven Reaktionen berichtet. Finanzminis-ter Yanis Varoufakis erklärt in einemSchreiben (Dokument Seite 31), sein Landwerde die Kredite »an alle seine Gläubi-ger« zurückzahlen. Athen erkennt letztlichsogar die umstrittene Troika an, indem essich zur Fortsetzung der Zusammenarbeitmit den »Institutionen« bereiterklärt.Athen habe in dem Schreiben allerdings»keine Verlängerung des Memorandums«beantragt, in dem die Forderungen derGläubiger festgehaltensind.Dannmachteskurz nach Mittag »Peng«: Das Bundesfi-nanzministerium in Berlin sagt Njet, Res-

sortchef Schäuble ist mit dem Kompromissnicht zufrieden, er will die Kapitulation vonSYRIZA: »Der Brief aus Athen ist kein subs-tanzieller Lösungsvorschlag. In Wahrheitzielt er auf eine Brückenfinanzierung, oh-ne die Anforderungen des Programms zuerfüllen«, erklärt Ministeriumssprecher

Martin Jäger. Grünen-Chef CemÖzdemir fragte auf dem Kurz-

nachrichtendienst Twitter:»Schäuble sagt Nein?

Geht es hier noch um dieZukunft von Griechen-land und Europa? Oderworum geht es hierwirklich?« Die griechi-

sche Regierung siehtnach dem Nein von

Schäuble »exakt zwei Mög-lichkeiten: dem griechischen

Anliegen stattzugeben oder es ab-zulehnen«. Dabei werde sich zeigen »wereine Lösung wünscht und wer nicht«. An-gela Merkel findet am Tag danach zwar einpaar freundlichere Töne – über die Linie,die Schäuble mit seinem Nein gezogen hat,geht die Kanzlerin aber so wenig wie SPD-Chef Sigmar Gabriel, der sich vorsichtigkritisch zum Njet von Schäuble geäußerthatte. Welche Ziele die Bundesregierungverfolgt, geht aus einer internen Bewer-tung des Antrags der SYRIZA-geführtenRegierung an die Eurogruppe hervor: Diegriechischen Vorschläge würden nicht mitPositionen übereinstimmen, die Berlin alsgemeinsame Haltung des Treffens der Eu-rogruppe vom vergangenen Montag an-sieht. Es ergebe keinen Sinn, einen Ent-wurf für eine Erklärung der Eurogruppe zuerarbeiten, solange dies so bleibe. Von ei-nem »trojanischen Pferd« ist die Rede. Indem Papier drängt Berlin auf die vollstän-dige und den bisherigen Bedingungen derGläubiger entsprechende Beendigung desKreditprogramms sowie eine klare AbsageAthens an »jede Maßnahme«, die den der-zeitigen Vereinbarungen widerspricht –weshalb auch Abstimmungen über sozialeReformen im Parlament gestoppt werdensollen.

20. Februar

Eine vorläufige EinigungDie Finanzminister der Eurogruppe findendoch noch eine Einigung: eine vorläufige.Das Kreditprogramm wird um vier Monateverlängert, wenn die SYRIZA-geführte Re-gierung bis kommenden Montag eine ersteListe mit Maßnahmen präsentiert, die vonder Eurogruppe akzeptiert wird. Die Erklä-

rung der Eurogruppe enthält einen Hin-weis auf eine mögliche Folgevereinbarungzwischen Athen und den Gläubigern, auchist vom Ziel die Rede, die soziale Fairnesszu steigern. (Dokument Seite 32)

21. Februar

Gewinner oder Verlierer?Aber wer hat nun eigentlich gewonnen?Athens Finanzminister Yanis Varoufakissagt, sein Land lasse mit der Vereinbarungvom Freitag »das Memorandum hintersich«, von heute an seien die Griechen »dieCo-Autoren unseres Schicksals«. Auch Mi-nisterpräsident Alexis Tsipras ist optimis-tisch: Es sei gelungen, »die Sparpolitik hin-ter sich zu lassen«. Damit habe die SYRI-ZA-geführte Regierung ihr »Hauptziel« er-reicht – allerdings nur vorläufig: »Wir ha-ben eine Schlacht gewonnen, aber nichtden Krieg (...), die wahren Schwierigkeitenliegen noch vor uns.« In Berlin und in vie-len Medien ist dagegen von einer Nieder-lage der SYRIZA-geführten Regierung dieRede. Auch in der Linken wird der Kom-promiss kontrovers diskutiert (siehe dieDebatte ab Seite 41) In Griechenland ist dasEcho im Grunde genommen positiv – dieparteipolitischeKonkurrenzmeintaber, fürSYRIZA sei nun »das Ende der Illusionen«gekommen.

22. Februar

»Sozialistische Wohltaten«Es ist Sonntag, und der bayerische Finanz-minister Markus Söder fordert prophylak-tisch den Stopp des Kreditprogramms fürGriechenland – wenn die Liste der Maß-nahmen, die am Montag vorgelegt werdensollen, nicht den Vorstellungen des CSU-Politikers entspricht. Es müsse gelten:»Geld nur für Reformen und nicht für sozi-alistische Wohltaten«. Was der Christso-ziale damit sagen will? Mehr Austerität,mehr Kürzungen im Sozialbereich, mehrDeregulierungen – damit »die Wirtschaft inSchwung« kommt. Die humanitäre Krise inGriechenland, die alle europäischen Werteverhöhnt, interessiert Söder nicht. Derweillegt SPD-Chef Sigmar Gabriel gegenüberdeutschen Medien bei einem Auslands-aufenthalt Wert auf die Feststellung, manmüsse den Bürgern Griechenlands »Res-pekt signalisieren«. Und weiter: »Viel-leicht können bei uns die Ostdeutschen amehesten nachvollziehen, was die Griechenjetzt durchmachen: Weil sie einen solchenTransformationsprozess auch gemachthaben.«

23. Februar

PapierkriegWann kommt »die Liste« in Brüssel an undwelche Maßnahmen schlägt Athen der Eu-rogruppe vor? Am Vormittag erklärt ein EU-Vertreter, die Liste sei schon da. Eine Spre-cherin der EU-Kommission dementiert amMittag: Es sei doch noch keine offizielle Li-ste angekommen. Brüssel sei in Kontakt mitder griechischen Regierung und es sei nor-mal, dass »Dokumente« zirkulierten, es ge-be aber noch keine offizielle Liste Athens.Die griechische Regierung habe nach demBeschluss der Finanzminister bis zum En-de des Tages Zeit, um die Vorschläge ein-zureichen. Tags zuvor hatte es bereits ge-

heißen: Die SYRIZA-geführte Regierung inGriechenland habe die von der Eurogruppeverlangte Liste mit Maßnahmen schon amSonntag nach Brüssel geschickt – in einervorläufigen Fassung, die drei Seiten langsein soll. Am Montagabend dann die Mel-dung: Athen werde die Liste voraussicht-lich erst am Dienstag fertigstellen. Inzwi-schen soll ein Entwurf sechs Seiten um-fassen. Die Verzögerung wird allgemein alsZeichen dafür gewertet, dass Athen, dieEurogruppe und »die Institutionen« be-reits über den Inhalt in Verhandlungensind. Die Liste ist also auf dem Weg. (Do-kument Seite 33) Deutsche Politiker nutzendie Verspätung dennoch, um sich abermalsüber Athen zu erheben.

Ist der Grexit die einzige lösung? Was jetzt zu tun ist!

ISBN: 978-3-86489-096-3

„Das Buch ist wichtig, sehr wichtig sogar. Denn es dringt zum Kern der Eurokrise vor und passt zudem hervorragend in eine Zeit, in der die Europäische Zentralbank Staatsanleihen kauft und in Griechenland die Linkspartei SYRIZA an die Macht kommt.” Neues Deutschland

„Nur Deutschland kann den Euro retten wartet mit drastischen Thesen auf, die der Lage angemessen scheinen.” Der Freitag

„Ein sehr lehrreiches Buch“ NachDenkSeiten

Auch als eBook erhältlich.www.westendverlag.de

Schäublesagt Nein. Geht eshier noch um die

Zukunft von Griechen-land und Europa?

Oder worum geht eshier wirklich?

ANZEIGE

Page 9: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 1312 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

Das ist kein VölkerballDie Argumente von Merkel und Co. gegen einen Schuldenschnitt fürGriechenland – und warum sie wenig taugen

SYRIZA fordert eine Senkung der Schul-den. Die Bundesregierung und andereEU-Staaten zeigen sich unerbittlich: Ei-nen Schuldenerlass wird es nicht geben,egal in welchem Gewand er sich zeigensoll – so wird gebetsmühlenartig wie-derholt. Aber warum eigentlich nicht?Die zentralen Argumente der Schulden-schnitt-Gegner und was sich dahinterverbirgt.

1. »Die deutschen Steuerzahler sollennicht für die Schulden Griechenlands be-zahlen müssen«Dazu ist Folgendes zu sagen, erstens: Diedeutschen Kredite an Griechenland kom-men nicht aus dem Steueraufkommen. DieBundesregierung hat sich das Geld gelie-hen und an die »Krisenstaaten« weiter ver-liehen. Die »Krisenstaaten« zahlen Zinsendafür. In diesem Sinne hat der »Steuer-zahler« noch nichts gezahlt.

Zweitens: Ein Schuldenschnitt für Grie-chenland wäre ökonomisch absolut ver-kraftbar, sowohl für die Bundesrepublik alsauch für die EU. In europäischen Dimensi-onen betrachtet sind die rund 320 Milliar-denEurogriechischeSchulden»Peanuts«–sie entsprechen etwa drei Prozent derWirtschaftsleistung der Euro-Zone. Ur-sprünglich wollte die griechische Regie-rung, dass die Hälfte ihrer Schulden ge-strichen wird – also ein Betrag, der nur 1,5Prozent der Euro-Wirtschaftsleistung ent-spricht.

Und überhaupt: Was nutzt es dem»Steuerzahler«, wenn Griechenlands Plei-te nur immer weiter hinausgezögert undsein Elend verlängert wird? Und was nutztes ihm, wenn Griechenland definitiv Pleitegeht und die Schulden gar nicht mehr zu-rückzahlen kann?

Das Interesse der »deutschen Steuer-zahler« ist die stärkste Waffe der Schul-denschnitt-Gegner. Dabei liegt auf derHand: Die Berufung auf die Steuerzahler istein rein instrumentelles Argument. LautUmfragen sind zwar mehr als die Hälfte der

deutschen Steuerzahler gegen einenSchuldenerlass für Griechenland. Dasmüsste die Bundesregierung allerdingsnicht interessieren: In Umfragen zum Af-ghanistan-Einsatz war die Mehrheit derBefragten ebenfalls dagegen. Das hat dieBundesregierung nicht davon abgehalten,Millionen für diesen Krieg statt für Kitasauszugeben. Das Argument »der deutscheSteuerzahler« (respektive der europäi-sche) nutzt die Bundesregierung für ihreZwecke: Sie kann so tun, als führe sie in denEntscheidungen zu Griechenland nur denWillen der Bevölkerung aus. Die Regierungals Dienstleister!

So argumentieren Politiker wann immermöglich. Für alle Nicht-Politiker, also fürdie Steuerzahler gilt: Lasst euch nicht täu-schen, denn in Europa geht es gar nicht um»Deutschland gegen Griechenland«,»Frankreich gegen Italien« oder »Nieder-lande gegen Spanien«. Das ist kein Völker-ball.

Tatsächlich geht es um »Arm gegenReich«, um »Lohnabhängige gegen Kapi-talbesitzer« – also darum, dass die Ausga-ben des Staates die Kapitalbesitzer unter-stützen sollen statt soziale Maßnahmen zufinanzieren. Die normale Bevölkerung sollbilliger werden, sparen, auf Lohn verzich-ten, mehr arbeiten, wettbewerbsfähigerwerden (siehe »Agenda 2010«), um In-vestitionen in Europa rentabler zu ma-chen. Die »Euro-Rettung« ist darauf ange-legt, Investitionsrenditen zu erhöhen. Da-für müssen die einen zahlen und arbeiten,die anderen kassieren. Und das in jedemeinzelnen Land.

Das Argument »Steuerzahler« dagegensortiert die Menschen nach ihrer Nationa-lität. Nach dem Muster: Jeder Steuerzahlerist ein kleiner Finanzminister. Wer sodenkt, hat die falschen Feinde: die Grie-chen, Deutschen, Spanier, Portugiesen,Franzosen ... Und er hat die falschenFreunde: seine Regierung und die heimi-sche Elite. Der alte Spruch »Die Grenze ver-läuft nicht zwischen Nationen, sondern

zwischen oben und unten« gilt nach wievor.

2. »Ein Schuldenschnitt würde doch garnichts bringen«Das stimmt zum Teil, wenn man nur dieSchulden Griechenlands bei den EU-Staa-ten und dem Euro-Rettungsschirm (EFSF)betrachtet. Für diese Kredite werden Zin-sen und Rückzahlungen erst ab dem Jahr2020 fällig. Nur ein wenig an Zinsen mussGriechenland schon jetzt zahlen, aber eshandelt sich hier um Summen, die zu ver-nachlässigen sind. Wenn diese Schuldengestrichen werden, verschafft das alsoGriechenland in den nächsten Jahren kaumErleichterung. So weit stimmt der Ein-wand: Bei den Schulden von EFSF und EU-Staaten bringt ein Schuldenschnitt kurz-fristig keine Verbesserung. Ab 2020 siehtdie Sache natürlich auch hier anders aus.Aber schauen wir uns an, wie sich die Situ-ation bei den Krediten der anderen Gläubi-ger darstellt.

Rund 50 Milliarden Euro schuldet Grie-chenland dem Internationalen Währungs-fonds (IWF) und der Europäischen Zent-ralbank (EZB). Und diese Schulden müssenschon jetzt bedient werden: Bereits diesesJahr werden hierfür Zins- und Rückzahlun-gen über mehrere Milliarden fällig. Für die-se Schulden würde also ein Schulden-schnitt auch kurzfristig etwas bringen. EZBund IWF dürfen aber laut Statuten dieSchulden nicht streichen.

Will man diese Statuten nicht ändern,dann liegt die Lösung auf dem Tisch: DieEU-Staaten oder der Euro-Rettungsschirmübernehmen die Schulden von EZB undIWF, streichen Teile (sie dürfen das näm-lich), senken Zinsen, legen die Schuldenstill, koppeln ihre Bedienung an das grie-chische Wirtschaftswachstum, was auchimmer. Ob das jetzt passiert oder nicht, istweniger mit ökonomischen Sachzwängenzu erklären, sondern ist eine politischeEntscheidung: Indem man die Schuldennicht streicht, kann man den Druck auf

24. Februar

TelefonkonferenzAm Dienstagmorgen liegt die Liste vor,»rechtzeitig«, wie es bei der EU-Kommis-sion heißt. Die Finanzminister der Eurozo-ne machen den Weg für eine Verlängerungdes Kreditprogramms für Griechenlandfrei. Dazu reicht eine »kurze, aber konst-ruktive Diskussion«, wie EU-Währungs-kommissar Pierre Moscovici erklärt. Aber:Die von Athen vorgeschlagenen Vorhabenmüssten nun »weiter ausgeführt« werden,drängt die Eurogruppe. Der IWF vermisst invielen Bereichen »klare Zusicherungen,dass die Regierung beabsichtigt, die insAuge gefassten Reformen umzusetzen«.(Dokumente Seiten 31-40) Im Finanzmi-nisterium in Athen heißt es, man habe »ei-nige Wochen« Zeit gewonnen. Um die zu-gesagte Bekämpfung von Steuerhinterzie-hung und Korruption sowie die Effizienz-steigerung der Verwaltung umzusetzen,»müssen wir uns in den kommenden Mo-naten aber selbst übertreffen«, wird einranghoher Mitarbeiter zitiert. »Wir bewe-gen uns auf unerforschtem Gebiet.«

25. Februar

Debatten bei SYRIZADer Kompromiss mit der Eurogruppe stößtinnerhalb von SYRIZA und der griechi-schen Linken auf Kritik. Der Europaabge-ordnete Manolis Glezos spricht von einem»Trugbild«, Tsipras versuche »Fleisch alsFisch darzustellen«. Man hätte sich einegerechtere und nüchternere Einschätzungvon einem erfahrenen Mitglied erwartet,lautet die Antwort von Staatsminister Ale-kos Flambouraris. Der Sänger Mikis Theo-dorakis prangert die Führung von SYRIZAan, sie hätte dem deutschen Finanzminis-ter ihr eigenes »Nein« entgegenschleudernmüssen. Als Krieger muss man eine Stra-tegie haben und den Verstand einsetzen,um dem Gegner nicht in die Falle zu gehen,antwortet Regierungschef Alexis Tsipras.

Umweltminister Panagiotis Lafazanis,der an der Spitze der Linken Plattform inSYRIZA steht, gehört ebenfalls zu den Kri-tikern. Am Mittwochabend stehen Finanz-minister Varoufakis und Tsipras vor derFraktion Rede und Antwort. Bei einer Ab-stimmung votieren laut der Autoren einesOffenen Briefes (Dokument Seite 44) 70Parlamentarier für die Vereinbarung mitden Gläubigern, 40 Abgeordnete dagegen,30 nahmen nicht teil. Zuvor hatte Staats-minister Alekos Flambouraris allerdingserklärt, die Zahl der Kritiker sei deutlich

geringer gewesen. In Athen protestierenlinke Gruppen gegen die Vereinbarung undfordern»RausausderEU«und»StreichtdieSchulden«. Berichten zufolge gehen einigeScheiben von Geschäften zu Bruch.

26. Februar

Deutsche DebattenUnter anderem in Deutschland muss dasParlament dem Kompromiss noch zustim-men. Die SPD-Fraktion spricht sich klar fürdie Verlängerung des Kreditprogrammsaus. Ja-Stimmen werden auch bei den Grü-nen erwartet. Die Linksfraktion hatte beifrüheren Abstimmungen über die Kredit-programme für Griechenland mit Nein vo-tiert. Diesmal werben aber viele Linke fürein Ja. Die SYRIZA-geführte Regierung ha-be unter bedrängten Umständen einenKompromiss herausgehandelt, der ihr Zeitverschaffe und die Möglichkeit einesgrundlegenderen Kurswechsels in der Kri-senpolitik offen halte. Es sei zwar nach wievor problematisch, in welcher Weise Athendurch das Hilfsprogramm »Handlungs-spielräume abgeschnürt werden«, sagt Vi-zefraktionschefin Sarah Wagenknecht, diesich selbst später enthalten wird. Dennochwolle man SYRIZA die Chance geben, ihreVorhaben umzusetzen. »Wir wollen ihrnicht den Boden abgraben.«

27. Februar

»Wahnsinnig schwer«Bundesfinanzminister Schäuble, das Ge-sicht der neoliberalen Hardliner, die keineZugeständnisse an Griechenland machenwollten, muss im Bundestag für einenKompromiss werben, den er selbst wohlnicht will: Vor der Abstimmung sagt er, »esfällt uns wahnsinnig schwer – jedem ein-zelnen von uns«. Anton Hofreiter wirft derBundesregierung vor, mit ihrem Beharrenauf den Kürzungsauflagen und Deregulie-rungsbedingungen für Griechenland ge-scheitert zu sein: »Wir brauchen eine soli-darische Europapolitik.« Dann wird abge-stimmt: 542 Abgeordnete votieren für denAntrag des Bundesfinanzministers, 32stimmen mit Nein, 13 Parlamentarier ent-halten sich. Die Medien schauen vor allemauf Union und Linksfraktion: Bei der stim-men im Parlament 41 Abgeordnete für dieVerlängerung des Kreditprogramms, zehnenthielten sich und drei votierten mit Nein.Aus den Reihen der Abgeordneten von CDUund CSU kommen 29 Nein-Voten und dreiEnthaltungen, 262 stimmen mit Ja.

Vincent Körner

»Hilfe« für Athen:Wohin flossendie Milliarden?

Seit 2010 hat Griechenland so ge-nannte Hilfskredite über rund 240Milliarden Euro erhalten. DieStaatsverschuldung in dem Land be-trug zuvor rund 301 Milliarden – heu-te liegt sie bei 318 Milliarden Euro.

Wohin ist das Geld, für welche dieSYRIZA-geführte Regierung jetzt ge-radestehen muss, wirklich geflossen?

Nach Berechnungen des griechi-schen Ökonomen Yanis Mouzakiswurden 81,3 Milliarden Euro für dieAblösung von Altschulden und 40,6Milliarden für Zinszahlungen ver-wandt. 48,2 Milliarden flossen in dieBankenrettung und 34,6 Milliarden indie Finanzierung des Schulden-schnitts von 2012. Für staatlicheAusgaben wie Gehälter oder Inves-titionen in die Infrastruktur wurdennur rund 27 Milliarden verwendet.

Eine 2013 von Attac Österreichvorgelegte Berechnung ergab, dassmindestens 77,12 Prozent der Pro-grammmittel direkt (über Bankenre-kapitalisierung) oder indirekt (überStaatsanleihen) an den Finanzsektorgeflossen sind. »Ziel der politischenEliten ist nicht die Rettung der grie-chischen Bevölkerung, sondern dieRettung des Finanzsektors«, so Attac.

2010 war Griechenland zu 94 Pro-zent bei privaten Gläubigern ver-schuldet, heute liegt deren Anteil beirund 11 Prozent. Schulden bei Ban-ken wurden von öffentlichen Geld-gebern abgelöst. In Griechenlandselbst blieb kaum etwas hängen. Mankönnte auch sagen: Es hat eine großangelegte Bankenrettung über denUmweg des griechischen Staats-haushaltes stattgefunden. vk

Foto: AFP/Louisa Gouliamaki

Page 10: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 1514 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

Griechenland dauerhaft aufrechterhaltenund die Politik des Landes kontrollieren.Denn ohne Schuldenschnitt braucht Grie-chenland immer neue Kredite von der EU,und die erhält es nur, wenn dort weiter diesogenannten Reformen durchgesetzt wer-den (Flexibilisierung des Arbeitsmarktes,Privatisierungen, Entlassungen, Schwä-chung der Gewerkschaften, Kürzungen,usw.). Genau damit will die Regierung vonSYRIZA Schluss machen – und genau daserlauben Bundesregierung und Troika (EU-Kommission, IWF, EZB) nicht. Im Gegen-teil, sie wollen die »Reform«politik euro-paweit durchsetzen.

3. »Griechenland hat schon einen Schul-denschnitt bekommen!«Im Jahr 2012 gab es tatsächlich einenSchuldenschnitt für Griechenland. Damalsging es um die Kredite von privaten Gläu-bigern (Banken, Investmentfonds, Versi-cherungen). Sie verzichteten auf Forde-rungen über 100 Milliarden Euro, heißt es(tatsächlich sanken Griechenlands Schul-den viel weniger). Schön und gut. Aber:

Erstens ist ein Schuldenschnitt für sichkein Argument gegen einen zweiten Schul-denschnitt, sollte Griechenland ihn brau-

chen. Zweitens ging es damals nicht darum,dass durch den Schuldenschnitt Geld freiwird für Infrastruktur, Soziales oder ähnli-ches. Ziel der Angelegenheit war, die Schul-denlast Griechenlands »tragbar« zu ma-chen. Gestrichen wurde nur der Teil derSchulden, den man für ohnehin unein-bringbar hielt. Der Rest blieb bestehen.Durch den Schuldenerlass sollte Griechen-land die Bedienung dieser Restschulden er-möglicht werden. Das war die »Rettung«:Die Ansprüche der Gläubiger sollten gesi-chert werden, und dafür musste das Landnatürlich weitere soziale Einschnitte auf-bringen.

Profitiert haben davon die privatenGläubiger, also die Banken und Invest-mentfonds, die Griechenland Geld geliehenhatten: Sie mussten ihre Griechenland-Kre-dite nicht voll abschreiben, sondern konn-ten einen Teil retten, weil die EU und derIWF einsprangen. Im Ergebnis liegen Grie-chenlands Schulden nun bei EU und IWFund die privaten Geldgeber sind fein raus.

4. »Griechenland muss sich an die Ver-einbarungen halten!«Auch das ist für sich kein Argument. Ver-träge können verändert werden. Auch die

Bundesrepublik erhielt 1953 einen großenSchuldenerlass, um die Wirtschaft desLandes zu stärken. Und übrigens: DieZwangsanleihe, mit der das Dritte Reich imZweiten Weltkrieg Millionen aus Grie-chenland herausholte, wurde nie zurück-gezahlt. Von wegen »Verträge müssen ein-gehalten werden«!

Der wahre Grund dafür, dass die Bun-desregierung auf die Einhaltung der Ver-einbarungen besteht, ist: Es gibt keinenSchuldenschnitt,weileskeinengebendarf.Das ist zwar ökonomischer Irrsinn – »Mankann Länder nicht mitten in einer Depres-sion ausquetschen«, sagte jüngst sogar US-Präsident Barack Obama. Doch Bundesre-gierung und EU bleiben hart, verweigernjeden Schuldenschnitt. Das ist eine politi-sche Entscheidung – kein ökonomischerSachzwang, sondern Ausdruck eines Inte-resses.

Die Schulden Griechenlands sollen auf-rechterhalten werden,– um nicht zugeben zu müssen, dass die

Politik der Troika komplett gescheitertist. Die sogenannten Reformen haben inGriechenland nämlich bislang zu einerSchrumpfung der Wirtschaft um 25 Pro-zent, einer Arbeitslosenrate von 25 Pro-

zent (50 Prozent bei Jugendlichen undjungen Erwachsen), einem Zusammen-bruch des Gesundheitssystems usw. ge-führt. Gleichzeitig wuchs durch den»Sparkurs« die Schuldenlast immer wei-ter.

– um weiter Druck auf Griechenland undandere Länder auszuüben. Das gibt dieBundesregierung auch offen zu. EinSchuldenschnitt oder andere Erleichte-rungen könnten »den Reformwillen inEuropa erlahmen lassen«.

– um am Beispiel Athen ein Exempel zustatuieren und ein Signal an alle LänderEuropas zu senden: Wer innerhalb derEurozone die »Hilfe« anderer Staatenbraucht, der erhält sie nur, wenn er sichbereit erklärt, alles dem Spar- und Re-formdiktat der Geldgeber unterzuord-nen und notfalls auch große Teile seinerWirtschaft zu opfern. Ganze Länder, ihreBevölkerungen und ihre Wirtschaft wer-den dabei einem Maßstab untergeord-net: »Schuldentragfähigkeit«. Ein Landmuss – fern jedweder ökonomischerNotwendigkeit – alles tun, um seine Ver-bindlichkeiten zu bedienen, koste es,was es wolle: Schuldenbedienung istwichtiger als die Lebens- und Arbeits-bedingungen der Leute. Damit Schuldenbedient werden können, wird Menschendie medizinische Versorgung gestri-chen, ihre Wohnung zwangsversteigert,ihnen wird der Strom abgestellt und derLohn gesenkt. Hauptsache das Land be-zahlt die Schulden zurück, bedient alsodie Ansprüche der Gläubiger und dasheißt meistens: der Anleger an den Fi-nanzmärkten.

5. »Wir haben Griechenland doch schongenug geholfen!«Was heißt hier »Hilfe«? Griechenland er-hielt doch keine milden Gaben, sondernKredite. Wären Kredite »Hilfen«, so wärejede Bank eine Hilfsorganisation. Die Kre-dite der EU-Staaten an Griechenland dien-ten nicht dem Zweck, den Menschen dort

Leid zu ersparen. Das wäre eine »Hilfe« ge-wesen! Ihr Ziel war es zum einen, die pri-vaten Geldgeber Griechenlands vor hohenVerlusten zu schützen. Zum anderen solltedurch eine Vermeidung der StaatspleiteGriechenlands die Euro-Zone stabilisiertwerden, die die Basis des wirtschaftlichenErfolgs gerade Deutschlands ist. Also: DieEU hat nicht Griechenland vor der Pleitegerettet. Sondern: Die EU hat sich vor denFolgen einer Griechenland-Pleite gerettet.Die »Hilfs«kredite waren nicht als Hilfe ge-dacht, sondernals Investition.Dasssiesichlohnt, dafür sollen die Menschen in Grie-chenland geradestehen.

6. »Griechenland kann doch zahlen!«Nach Berechnungen einiger Ökonomen istder griechische Staat durchaus in der Lage,seine Schulden zu bedienen. Denn letztlichkomme es nicht auf die absolute Höhe derSchulden an (ca. 320 Milliarden Euro oder175 Prozent der griechischen Wirtschafts-leistung). Sondern darauf, ob Griechenlandjedes Jahr genug Geld hat, um Zinsen undRückzahlungen zu leisten, also auf seine»Schuldentragfähigkeit«. Und dies ginge:Lediglich im Jahr 2015 sei das ein Problem,weil hier sehr hohe Rückzahlungen an denIWF und die EZB anstünden. In den Jahrendanach sei die Lage entspannter.

Griechenland kann seine Schulden be-dienen, braucht also überhaupt keinenSchuldenschnitt – wie kommen Ökonomendarauf?

Zu den Schuldenrückzahlungen: Tat-sächlich ist 2015 ein hoher Betrag vonnö-ten, den Griechenland nicht leisten kann(8,8 Prozent der Wirtschaftsleistung). Da-nach wird die Lage entspannter. Die Troikanimmt an, dass sich Griechenland in dennächsten Jahren wieder selbst an den Fi-nanzmärkten verschulden kann und ausdiesen Krediten die Rückzahlungen leistet –die Schulden also erfolgreich verlängert zubezahlbaren Zinsen.

Nimmt man das an, so hängt die »Schul-dentragfähigkeit« davon ab, ob Griechen-

land seine Zinsen zahlen kann. Diese Zinsenzahlt das Land aus seinem Primärüber-schuss im Staatshaushalt. Das ist der Über-schuss, der sich ergibt, wenn man die Zins-zahlungen herausrechnet: Primärüber-schuss = Staatseinnahmen – Staatsausga-ben ohne Zinszahlungen.

Anders gesagt: Der Primärüberschussgibt an, wie viel Griechenland jährlich fürZinszahlungen aufbringen muss, wie viel esalso jährlich an seine ausländischen Gläu-biger abführt. Hier kommt der IWF auf eineZahl von über vier Prozent der Wirtschafts-leistung ab 2016 (zum Vergleich Deutsch-land: ca. 1,5 Prozent). Und das sei nicht au-ßerordentlich viel. Insofern könne Grie-chenland zahlen und brauche keine weite-ren Erleichterungen.

Aber: Erstens beruht die Berechnung aufder Annahme, dass Griechenlands Wirt-schaft ab 2016 um nominal (reales Wirt-schaftswachstum + Inflationsrate) mit Ra-ten um die fünf Prozent wächst. Das ist op-timistisch. Die Troika hat sich in den letz-ten Jahren permanent zu optimistischeSchätzungen abgegeben. Für 2015 erwar-tet die EU-Kommission für Griechenlandfolgende Wachstumsraten: 2014: -0,4 /2015: 2,2 / 2016: 4,3. Zweitens: Es mag jatheoretisch möglich sein, jedes Jahr einenBetrag ans Ausland zu überweisen, dermehr als vier Prozent der Wirtschaftsleis-tungausmacht.Abergleichzeitig fehltdanndieses Geld für andere Ausgaben – zur För-derung der Wirtschaft oder für die Be-kämpfung von Hunger und Elend. Zwi-schen 2015 und 2019 soll GriechenlandimmerhinlautPlanfast44MilliardenandieGläubiger überweisen – das entspricht fasteinem Fünftel der Wirtschaftsleistung. Unddas in einem Land, in dem mittlerweileHunger herrscht und wo ein Drittel derMenschen nicht länger krankenversichertist.

Sabine Nuss ist Journalistin und Politologin,sie arbeitet bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.Antonella Muzzupappa ist dort Referentinfür Politische Ökonomie.

»Ihr Reichtum, unser Blut«: Tatsächlich geht es bei der Debatte um die Schulden Griechenlands um »Arm gegen Reich«,um »Lohnabhängige gegen Kapitalbesitzer«. Foto: AFP/Louisa Gouliamaki

Page 11: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 17

2008 erfasste eine zweite Welle vonKrampfanfällen den Kapitalismus welt-weit. Die durch die Finanzkrise ausgelösteKettenreaktion stürzte Europa in eine Tal-fahrt, die bis heute andauert. Dabei be-droht die aktuelle Lage auf dem Kontinentnicht nur Arbeiter, Besitzlose, Banker, gan-ze gesellschaftliche Schichten oder Natio-nen, sondern stellt unsere Zivilisation ansich in Frage.

Wenn meine Prognose richtig ist und wires nicht nur mit einer Konjunkturschwächezu tun haben, die bald überwunden seinwird, muss sich die Linke entscheiden: Sol-len wir die Krise des Kapitalismus in Euro-pa als Chance begrüßen, ihn durch ein bes-seres System zu ersetzen? Oder ist sie unsAnlass zu so großer Sorge, dass wir eineKampagne zur Stabilisierung des Kapita-lismus in Europa starten?

Für mich kann es darauf nur eine Ant-wort geben: Es ist weitaus weniger wahr-scheinlich, dass die Krise in Europa einebessere Alternative zum Kapitalismus her-vorbringt als dass sie gefährlich regressiveKräfte frei setzt, die ein humanitäres Blut-bad verursachen und für künftige Genera-tionen jegliche Hoffnung auf progressiveMaßnahmen zunichte machen können.

Wohlmeinende Linke kritisieren michfür diese Ansicht. Sie nennen mich »defä-tistisch« und werfen mir vor, ich wolle einnicht zu verteidigendes Wirtschafts- undGesellschaftssystem in Europa retten. Ichgestehe: Dieser Vorwurf schmerzt. Umsomehr, als er mehr als ein Körnchen Wahr-heit enthält.

Richtig ist, dass die Europäische Unionein massives Demokratiedefizit aufweist,das – in Kombination mit dem Leugnen derMängel in der Konstruktion ihrer Wäh-rungsunion – den Völkern Europas den Wegin die permanente Rezession geebnet hat.Ich beuge mich auch der Kritik, dass meinWerben eine Agenda impliziert, die sich aufdie Annahme stützt, die Linke sei – und diesauf Dauer – weitgehend geschlagen. Ge-wiss, auch mir wäre eine linke Agenda lie-

ber, deren raison d’être darin besteht, deneuropäischen Kapitalismus durch ein an-deres System zu ersetzen.

Ich will im Folgenden Einblicke in mei-ne Sicht auf einen verabscheuungswürdi-gen europäischen Kapitalismus gewähren,dessen Zusammenbruch es, trotz seinerzahlreichen Mängel, um jeden Preis zu ver-hindern gilt. Mein Bekenntnis soll die Lin-ke davon überzeugen, dass wir eine wi-dersprüchliche Mission erfüllen müssen:den freien Fall des europäischen Kapita-lismus stoppen, um Zeit zu gewinnen, eineAlternative zu formulieren.

Warum Marxist?Als ich 1982 ein Thema für meine Disser-tation wählte, konzentrierte ich mich be-wusst auf ein strikt mathematisches Prob-lem, bei dem marxistisches Denken irrele-vant war. Die universitäre Laufbahn als Do-zent an den traditionell wirtschaftswis-senschaftlichen Fakultäten, die ich danneinschlug, basierte auf der stillschwei-genden Vereinbarung, dass ich eine Wirt-schaftstheorie vermitteln würde, in derMarx keinen Platz hätte. Am Ende der1980er Jahre erhielt ich einen Lehrauftragdes Fachbereichs Ökonomie der Universi-tät von Sydney, damit mein Mitbewerber,ein Kandidat der Linken, außen vor bliebe(was ich damals jedoch nicht wusste).

2000 kehrte ich nach Griechenland zu-rück und versuchte mein Glück mit demspäteren Premierminister George Pa-pandreou. Ich wollte helfen, die erstar-kende Rechte zurückzudrängen, die dasLand sowohl innen- als auch außenpoli-tisch zunehmend in Richtung Fremden-hass trieb. Wie jeder weiß, scheiterte Pa-pandreous Partei nicht nur beim Versuch,der Xenophobie Einhalt zu gebieten, son-dern stellte am Ende mit ihrem ultraneoli-beralen makroökonomischen Ansatz dieSpeerspitze bei der sogenannten Rettung(den »Bailouts«) der Eurozone, was, ohnedass dies intendiert gewesen wäre, die Na-zis wieder auf die Straßen Athens trieb.

Wenngleich ich Anfang 2006 als BeraterPapandreous zurücktrat und zu einem derschärfsten Kritiker der Regierung und ihresUmgangs mit dem griechischen Zusam-menbruch nach 2009 wurde, waren meineöffentlichen Stellungnahmen in den De-batten über Griechenland und Europa nichtansatzweise marxistisch.

Angesichts dessen mag es überraschen,dass ich mich als Marxist bezeichne. Faktist jedoch, dass Karl Marx schon in frühes-ter Jugend meine Weltsicht geprägt hat.Zwar verzichte ich in »besserer Gesell-schaft« meist darauf, das zu erwähnen, dasich die Zuhörer bei der bloßen Nennungdes M-Worts bereits abwenden, doch ichleugne es auch nicht. Da ich seit mehrerenJahren immer wieder vor einem Publikumauftrete, das ideologisch anders gepolt istals ich, spüre ich allerdings das Bedürfnis,zu erläutern, inwiefern Marx mein Denkenbeeinflusst hat. Ich möchte erklären, wa-rum ich mich nicht dafür entschuldige,Marxist zu sein, und es gleichwohl fürwichtig halte, ihm in verschiedener Hin-sicht leidenschaftlich zu widersprechen.Mit anderen Worten, warum es wichtig ist,ein erratischer Marxist zu sein.

Wenn ich meine ganze akademischeKarriere lang Marx ignoriert habe und mei-ne aktuellen Politikempfehlungen unmög-lich als marxistisch durchgehen, warumdann gerade jetzt vom Marxismus spre-chen? Die Antwort ist simpel: Selbst meinenicht-marxistische Ökonomie wird vonmarxistischem Denken geleitet.

Ich war schon immer davon überzeugt,dass ein linker Sozialtheoretiker den öko-nomischen Mainstream auf zwei Wegen inFrage stellen kann. Einmal über immanen-te Kritik, indem er die Axiome des Main-streams akzeptiert und dann ihre innerenWidersprüche aufzeigt.. Die Argumentati-on lautet hier: »Ich widerspreche Ihren An-nahmen nicht. Doch dies sind die Gründe,warum sich Ihre Schlussfolgerungen nichtlogisch von ihnen ableiten lassen.« Dieswar Marx’ eigene subversive Methode in

Wie ich zumerratischenMarxisten wurdeVon Yanis Varoufakis

Dieser Text ist die überarbeitete Fassung eines Vortrags, den Yanis Varoufakis beim6. Subversiven Festival in Zagreb 2013 hielt. In ihm setzt sich der heute im Zentrum des Konflikts inder Eurozone stehende griechische Finanzminister kritisch mit dem europäischen Kapitalismusauseinander und thematisiert, was die Linke aus Marx’ Fehlern lernen kann.

Foto: ddp/Wiktor Dabkowski

Page 12: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 1918 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

der Auseinandersetzung mit der politi-schen Ökonomie Englands. Er folgte AdamSmith und David Ricardo in ihren Thesen,um zu demonstrieren, dass im Kontext ih-rer eigenen Prämissen der Kapitalismusvon Widersprüchen geprägt ist. Der zweiteWeg, den ein linker Theoretiker gehenkann, ist die Formulierung von Alternati-ven zu den etablierten Theorien, in derHoffnung, dass diese ernst genommenwerden.

Mir war stets klar, dass sich die Mächti-gen nicht um Theorien scheren, die auf an-deren als ihren eigenen Prämissen grün-den. Das einzige, was konservative neo-klassische Ökonomen aus der Bahn wirftund originär in Frage stellt, ist der Nach-weis der inhärenten Inkonsistenz ihrer ei-genen Modelle. Aus diesem Grund habe ichmich von Anfang an eher den Grundlagender neoklassischen Theorie gewidmet, alsEnergie für den Versuch einer Entwicklungalternativer, marxistischer Kapitalismus-modelle aufzuwenden. Meine Gründe da-für waren, so möchte ich anmerken, ziem-lich marxistisch.

Wenn man mich bittet, die Welt, in derwir leben, zu kommentieren, kann ich nichtanders, als in die marxistische Traditionzurückzufallen, die mein Denken geprägthat, seit mein Vater, ein Stahlarbeiter, mirbereits als Kind die historischen Konse-quenzen technischer Innovation bei-brachte. Wie beispielsweise der Übergangvon der Bronze- zur Eisenzeit die Ge-schichte beschleunigte. Wie die Erfindungdes Stahls historische Zeitläufevorantrieb. Und wie die silizi-umbasierte IT sozioökono-mische und historischeDiskontinuitäten rasantwachsen lässt.

Schon früh begeg-neten mir die marxisti-schen Schriften, nichtzuletzt als Konsequenzder außergewöhnlichenZeit, in der ich aufwuchs:Griechenland hatte gerade diealptraumhaften Jahre der neofa-schistischen Diktatur von 1967-74 hintersich, als ich Marx’ faszinierende Gabe, eindramatisches Drehbuch für die Geschichteder Menschheit zu schreiben, entdeckte. Esist dies eine Geschichte, die eigentlich vonder Verdammnis des Menschen kündet undzugleich das Narrativ einer möglichen Ret-tung und wahrer Spiritualität ist.

Die handelnden Personen im histori-schen Drama, das Marx erzählte, waren Ar-beiter, Kapitalisten, Beamte, und Wissen-

schaftler. Sie wollten Vernunft und Wis-senschaft fördern, damit die Menschheitstark würde, und setzten dabei unbeab-sichtigt teuflische Kräfte frei, die ihre ei-gene Freiheit usurpierten und untermi-nierten.

Diese dialektische Perspektive, in derAlles und Jedes das eigene Gegenteil ent-hält, und das scharfe Auge, mit dem Marxdas Potenzial zur Veränderung in den sichscheinbar am wenigsten wandelndenStrukturen aufdeckte, halfen mir, die gro-ßen Widersprüche der kapitalistischen Zeitzu verstehen. Sie löste das Paradoxon ei-ner Zeit auf, die den größten Reichtum undzugleich die bitterste Armut hervorbrach-te. Im Angesicht der heutigen Krise in Eu-ropa und den USA sowie der langdauern-den Stagnation des japanischen Kapitalis-mus übersehen die meisten Kommentato-ren den dialektischen Prozess, der sich vorihren Augen vollzieht. Sie erkennen dieSchuldenberge und die Verluste der Ban-ken, aber vernachlässigen die andere Seiteder Medaille: die riesigen Summen der ausAngst »eingefrorenen« Ersparnisse, dienicht produktiv investiert werden. Marxis-tische Wachsamkeit gegenüber inhärentenWidersprüchen könnte ihnen die Augenöffnen.

Ein Hauptgrund, warum die etablierteMeinung an der heutigen Realität schei-tert, ist, dass sie die dialektische Span-nung in der »gleichzeitigen Produktion«von Schulden und Überschuss, von Wachs-tum und Arbeitslosigkeit, von Reichtum

und Armut, von Gut und Böse, nieverstanden hat. Marx macht

uns in seinen Schriften aufdiese inhärenten Wider-

sprüche als Quellen fürdie List der Historieaufmerksam.

Seit meinen erstenÜberlegungen als Öko-

nom bis heute hat michder Gedanke begleitet,

dass Marx etwas entdeckte,das im Zentrum jeder Kapita-

lismusanalyse stehen muss, damitsie einen Nutzen hat. Es ist dies ein weite-rer inhärenter Widerspruch, der tief in dermenschlichen Arbeitskraft wurzelt. Arbeithat zwei sehr unterschiedliche Wesen: Sieexistiert zum Einen als wertschöpfendeAktivität, die sich nie vorab quantifizierenlässt (und daher nicht zur Ware werdenkann) und zum Anderen als Quantität (z.B.als Zahl der Arbeitsstunden), die verkauftwird und ihren Preis hat. Arbeit unter-scheidet von anderen produktiven Inputs,

z.B. Elektrizität, ihr doppeltes und wider-sprüchliches Wesen. Vor Marx vernach-lässigte die politische Ökonomie diesenmit einem Widerspruch einhergehendenUnterschied, und die traditionelle Wirt-schaftswissenschaft leugnet ihn noch heu-te.

Sowohl Elektrizität als auch Arbeit las-sen sich als Ware denken. Und tatsächlichbemühen sich sowohl Arbeitgeber als auchArbeitnehmer, die Arbeit zur Ware zu ma-chen. Arbeitgeber nutzen ihren gesamtenEinfallsreichtum – und den ihrer Lakaien inden Personalabteilungen – um Arbeit zuquantifizieren, zu messen und gleichzu-schalten. Derweil lassen sich Stellenbe-werber ausquetschen, im verzweifeltenBemühen darum, ihre Arbeitskraft zu ver-kaufen, und schreiben ihre Lebensläufe(neu), um als Lieferanten quantifizierbarerArbeitseinheiten zu erscheinen. Und hiergenau hat die Sache einen Haken. Denn derTag, an dem Arbeitnehmer und Arbeitge-ber die Arbeit gänzlich kommodifiziert ha-

ben, wird der Kapitalismus untergehen.Ohne diese Einsicht lässt sich nicht ver-stehen, warum der Kapitalismus immerwieder Krisen produziert. Allerdings er-langt nur derjenige diese Einsicht, der sicheinem gewissen Maß an marxistischemDenken aussetzt.

Im aus dem Jahr 1953 stammendenFilmklassiker Invasion der Körperfresser(Die Dämonischen) erfolgt der Angriff derAußerirdischen, anders als in HG Wells’Krieg der Welten, nicht frontal. Vielmehrwerden die Menschen von innen über-wältigt, bis von ihrem menschlichen Geistund ihren Gefühlen nichts mehr bleibt.Ihre Körper sind Hüllen, die einst einenfreien Willen bargen, und jetzt nur nocharbeiten, die Bewegungen des All-tags»lebens« vollziehen und als mensch-liche Simulacra funktionieren, die von dernicht messbaren Essenz der menschli-chen Natur »befreit« wurden. Etwas Der-artiges geschähe, wenn sich die mensch-liche Arbeit ausschließlich auf das Hu-

mankapital reduzieren und damit perfektden vulgärökonomischen Modellen an-passen ließe.

Jede nichtmarxistische Wirtschaftsthe-orie, die menschliche und nicht-menschli-che Beiträge zur Produktion als aus-tauschbar behandelt, gründet in der An-nahme, dass sich die Dehumanisierung derHumanarbeit vollzogen hat. Mit der voll-ständigen Entmenschlichung der mensch-lichen Arbeit geht jedoch das Ende des Ka-pitalismus als System der Wertschöpfungund –verteilung einher. Zunächst ähneltdie Gesellschaft der entmenschten Auto-maten einer mechanischen Uhr vollerSchrauben und Federn, die alle ihre Funk-tion haben, und gemeinsam ein »Gut« her-stellen: Zeitnahme. Wenn es in der Gesell-schaft jedoch nichts außer Automaten gibt,ist die Zeitnahme kein »Gut«. Sie ist zwarein »Produkt«, aber warum sollte sie ein»Gut« sein? Ohne echte Menschen, die dieFunktion der Uhr erleben, kann es weder»gut« noch »schlecht« geben.

Sollte es dem Kapital je gelingen, Arbeitzu quantifizieren und in der Folge voll-ständig zu kommodifizieren, wie dies jaständig versucht wird, wird es auch dieseunbestimmte, widerspenstige menschli-che Freiheit aus der Arbeit herauspressen,die Wertschöpfung erst möglich macht.Marx’ brillante Einsicht in das Wesen ka-pitalistischer Krisen bestand genau darin:Je erfolgreicher der Kapitalismus bei derKommodifizierung der Arbeit, desto ge-ringer der Wert der produzierten Einhei-ten, desto geringer auch die Profitrate undschließlich desto näher die nächste Re-zession des Wirtschaftssystems. Die Dar-stellung der menschlichen Freiheit alsökonomischer Kategorie findet sich einzigbei Marx. Sie erlaubt eine spezifisch dra-matische und analytisch kluge Interpreta-tion der Neigung des Kapitalismus, die Re-zession, und selbst die Depression, denKlauen des Wachstums zu entreißen.

Als Marx schrieb, dass Arbeit das le-bendige, formgebende Feuer sei, die Ver-

»Eine Geschichte,die eigentlich von derVerdammnis desMenschen kündet undzugleich das Narrativeiner möglichenRettung und wahrerSpiritualität ist«:Was Karl Marx zueinem Musical überihn selbst gesagthätte, wissen wirnicht. Was YanisVaroufakis soerleuchtend an demAlten aus Trier findet(und was nicht),können Sie hier lesen.

Foto: dpa/Hendrik Schmidt

Mir war stetsklar, dass sich die

Mächtigen nicht umTheorien scheren, dieauf anderen als ihreneigenen Prämissen

gründen.

Page 13: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 2120 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

gänglichkeit der Dinge, ihre Zeitlichkeit,leisteteerdengrößtenBeitrag,durchdenjeein Ökonom uns den inhärenten Wider-spruch in der DNA des Kapitalismus ver-stehen half. Als er das Kapital als Macht, derwir uns unterwerfen müssen, beschrieb,die »eine kosmopolitische, allgemeine, je-de Schranke, jedes Band umwerfendeEnergie entwickelt, um sich als die einzigePolitik, Allgemeinheit, Schranke und Bandan die Stelle zu setzen«, betonte er die Re-alität, in der sich Arbeit mit liquidem Ka-pital (d.h. für Geld) in ihrer Warenformkaufen lässt, jedoch immer den dem Käu-fer gegenüber feindlich gesinnten Willen insich trägt. Dies ist jedoch nicht nur einepsychologische, philosophische oder po-litische Aussage. Marx lieferte damit viel-mehr eine bemerkenswerte Analyse derGründe, warum Arbeit (als nicht quantifi-zierbares Handeln) in dem Moment, in demsie sich dieser Feindseligkeit entledigt,steril wird und keinen Wert mehr generie-ren kann.

In einer Zeit, in der die Neoliberalen dieMehrheit in ihren theoretischen TentakelnhaltenundunablässigdieIdeologievonderhöheren Arbeitsproduktivität wiederkäu-en, die die Wettbewerbsfähigkeit steigernund damit Wachstum schaffen soll, ist diemarxistische Analyse ein wirksames Ge-genmittel. Das Kapital kann den Kampf, Ar-beit zu einem unbegrenzt dehnbaren, me-chanisierten Beitrag zu machen, ohne sichdabei selbst zu zerstören, niemals gewin-nen. Das werden weder die Neoliberalen

noch die Keynesianer je begreifen. »Wenndie ganze Klasse der Lohnarbeiter durchdieMaschinerievernichtetwürde«,schriebMarx, »wie schrecklich für das Kapital, dasohne Lohnarbeit aufhört, Kapital zu sein.«

Was hat Marx für uns getan?Nahezu alle Denkschulen, einschließlich dereiniger progressiver Ökonomen, behauptenzwar, dass Marx bedeutend war, jedoch hät-ten, so sagen sie gern, seine Lehren heutenur noch wenig Relevanz. Ich kann demnicht zustimmen. Marx formulierte nicht nurdas grundlegende Drama der kapitalisti-schen Dynamik, sondern machte mich auchgegen die giftige Propaganda des Neolibe-ralismus immun. Viele übernehmen bei-spielsweise die Idee, der Staat würde sichquasi illegitim privat produzierten Reich-tum durch die Besteuerung aneignen. An-ders die, denen Marx’ prägnante Argumen-tation bekannt ist, die genau das Gegenteilbesagt: Es ist der kollektiv geschaffeneReichtum, auf den die private Aneignungdurch die gesellschaftlichen Produktions-bedingungenundEigentumsrechtefolgt,diesich, im Interesse ihrer eigenen Reproduk-tion, nahezu exklusiv auf ein falsches Be-wusstsein stützt.

In seinem jüngsten Buch »Never Let a Se-rious Crisis Go to Waste« beschreibt derWirtschaftshistoriker Philip Mirowski denErfolg der Neoliberalen, die mit der Ideeüberzeugen konnten, dass Märkte nicht nurein nützliches Mittel, sondern ein Selbst-zweck sind. Während kollektives Handeln

und öffentliche Institutionen es »nie hinbe-kommen«, garantieren uneingeschränktoperierende, dezentrale private Interessennicht nur die richtigen Ergebnisse, sondernauch die richtigen Wünsche, den richtigenCharakter und sogar die richtige Moral. Dasbeste Beispiel für diesen krassen Neolibe-ralismus ist die Debatte über den Klima-wandel. Wenn überhaupt etwas unternom-men werden müsse, so die Neoliberalen,dann sollte eine Art Markt für das »Schlech-te« geschaffen werden (d.h. ein Emissions-handelssystem), da nur die Märkte das»Gut(e)« und »Schlechte« mit dem richtigenPreis versehen. Um zu verstehen, warum ei-ne solche marktähnliche Lösung scheiternmuss, und vor allem, welche Motive hintersolchen »Lösungen« stecken, gibt esSchlimmeres als die Auseinandersetzungmit der Logik der Kapitalakkumulation, dieMarx skizzierte und die der polnische Wirt-schaftswissenschaftler Michal Kalecki füreine von vernetzten Oligopolen beherrschteWelt adaptierte.

Im 20. Jahrhundert gab es mit den kom-munistischen und sozialdemokratischenParteien zwei politische Bewegungen, dieihre Wurzeln im marxistischen Denken fan-den. Neben den anderen Fehlern, die siemachten, (und auch den Verbrechen, die siebegingen), versäumten sie jedoch, zum ei-genen Nachteil, Marx in einer wichtigenHinsicht zu folgen: Statt Freiheit und Ratio-nalität als Parolen und Konzepte für ihre Or-ganisationen zu übernehmen, wählten sieGleichheit und Gerechtigkeit, und überlie-

ßen die Idee der Freiheit damit den Neoli-beralen. Marx war hier unnachgiebig: DasProblem mit dem Kapitalismus sei nicht,dass er ungerecht, sondern dass er irratio-nal ist, da er gewöhnlich ganze Generatio-nen zu Elend und Arbeitslosigkeit ver-dammt und selbst Kapitalisten zu ängstli-chen Automaten macht, die ständig um ih-ren kapitalistischen Status fürch-ten, wenn sie ihre Mitmen-schen nicht vollkommenkommodifizieren, damitsie wirksamer der Kapi-talakkumulation die-nen. Wenn der Kapita-lismus ungerecht er-scheint, dann weil er al-le versklavt und mensch-liche und natürliche Res-sourcen vergeudet. Die Pro-duktionsanlage, die bemer-kenswerte technische Geräte undunsagbaren Reichtum hervorbringt, ist diegleiche, die tiefes Unglück und Krisen ver-ursacht.

Da die Sozialdemokratie und die Linkeinsgesamt versäumten, die Kritik am Kapi-talismus mit den von Marx für essenziell ge-haltenen Begriffen Freiheit und Rationalitätzu formulieren, konnten sich die Neolibera-len den Mantel der Freiheit überwerfen, denBegriff selbst usurpieren und im Kampf derIdeologien spektakuläre Triumphe feiern.

Der bedeutendste Aspekt des neolibe-ralen Triumphs ist vermutlich das, washeute »Demokratiedefizit« genannt wird.

Jede Menge Krokodilstränen flossen in denvergangenen drei Jahrzehnten der Finanz-ialisierung und Globalisierung angesichtsdes Niedergangs unserer großartigen De-mokratien. Marx hätte laut über diejenigengelacht, die sich vom »Demokratiedefizit«überrascht oder darüber empört zeigen.Welches große Ziel verfolgte denn der Li-

beralismus des 19. Jahrhunderts? Eswar, wie Marx nie müde wurde

zu betonen, die Trennungvon Ökonomie und Poli-

tik, und der Verweis despolitischen Handelns indie Sphäre der Letztge-nannten, während dieWirtschaft dem Kapital

überlassen blieb. Heutesind wir Zeugen des gran-

diosen Erfolgs des Libera-lismus, der sein lang gehegtes

Ziel erreicht hat. Nehmen wir Süd-afrika über zwanzig Jahre nach der Frei-lassung Nelson Mandelas und dem Mo-ment, in dem endlich die ganze Bevölke-rung des Landes politisch partizipierenkonnte. Das Dilemma des ANC bestand da-rin, dass er, um die Politik bestimmen zukönnen, die wirtschaftliche Macht aufge-benmusste.Werdasanderssieht,solltemitden Dutzenden von Minenarbeitern spre-chen, die von den bewaffneten Wachenniedergeschossen wurden, die die Arbeit-geber auf ihre Beschäftigten hetzten,nachdem diese gewagt hatten, eine Lohn-erhöhung zu fordern.

Warum erratisch?

Nachdem ich erläutert habe, warum ichmein Verständnis von unserer sozialenWelt weitgehend Marx verdanke, möchteichnunausführen,warumichihmgrambin.Mit anderen Worten, ich werde beschrei-ben,warumicheinbewussterratischerundinkonsistenter Marxist bin. Marx machtezwei spektakuläre Fehler: einen durch Un-terlassung und einen durch bewusstesHandeln. Noch heute beschränken dieseFehler die Effektivität der Linken, vor al-lem in Europa.

Marx’ erster Fehler – die Unterlassung –besteht darin, dass er die Konsequenzenseiner eigenen theoretischen Auseinan-dersetzung für die Welt, mit der er sich the-oretisch auseinandersetzte, nicht ausrei-chend durchdacht hat. Seine Theorie istdiskursiv außergewöhnlich wirkmächtig,und Marx war sich dessen durchaus be-wusst. Allerdings war ihm offenbar gleich-gültig, dass seine Schüler, Menschen dieseine grundlegenden Ideen besser ver-standen, als der durchschnittliche Arbei-ter, die ihnen durch diese Ideen verlieheneMacht nutzen könnten, um Genossen zumissbrauchen, ihre eigene Machtpositionauszubauen oder in einflussreiche Positi-onen zu gelangen.

Marx zweiter Fehler, den ich bewusstemHandeln zuschreibe, ist gravierender. Erbesteht in seiner Annahme, dass sich dieWahrheit über den Kapitalismus in ma-thematischen Modellen finden ließe. Dies

Karl Marxmachte zwei

spektakuläre Fehler:einen durch Unterlas-

sung und einendurch bewusstes

Handeln.

Ikone? Spieler? Linker!Gefragt, wie sie Ministerpräsident Alexis Tsi-pras und Finanzminister Yanis Varoufakisfinden, antworten die Deutschen genau so,wie Politik und Medien zuvor in den Verstär-kerraum öffentlicher Bilder und Urteile hi-neingerufen haben.

»Halbstarke« hat man die Regierung Grie-chenlands geschimpft, politische Korres-pondenten haben sich lang und breit über ih-re Mode ausgelassen, die von Varoufakis undTsipras kursierenden Bilder haben eine Iko-nografie der Doppeldeutigkeit geschaffen:EineMischungausAblehnung,Empörungundheimlicher Überhöhung hat die beiden zu denSuperstars der Krisenpolitik gemacht, mal inder Rolle des Bösen, mal in der Rolle des Hoff-nungsträgers.

Fehlt eigentlich in der Liste nur noch dieErotisierung der beiden Politiker, die nicht

etwa nur von Boulevardblättern zu Sexiko-nen erklärt wurden, sondern auch vomrechtsbürgerlichen Beobachterpunkt aus. Esist eine heimliche Sehnsucht, die sich hierBahn bricht, der sich selbst uneingestandeneWunsch nach Politikern, die anders sind als»unsere«, die besser aussehen als die in Ber-lin, die nicht schon beim ersten EU-Gipfel an-fangen, auch nach der »There is no Alterna-tive«-Melodie zu tanzen.

Diese öffentliche Zurichtung von Tsiprasund Varoufakis, ihre Einpassung in einen po-litischen Bilderrahmen, geht nicht unmittel-bar von den Tatsachen, den klassenpoliti-schen Interessen, den Widersprüchen des eu-ropäischen Kapitalismus aus – sondern un-terliegt einem gesellschaftspolitischen Irr-tum, den auch jene begehen können, die Tsi-pras und Varoufakis gegen die neoliberal im-

prägnierte Herabwürdigung verteidigen, et-wa, in dem man sie in Figuren populärer Sci-ence-Fiction-Serien verwandelt (oder ihr Rei-sen mit Rucksack in der zweiten Klasse über-höht), sie also zu Gegen-Stars formt – was denartifiziellen, ideologischen Charakter der soproduzierten Bilder nicht bricht, sondern nurvon einer anderen Seite her reproduziert.

Es ist der 16. Februar, das zweite Treffender Eurogruppe zu Griechenland ist vor einpaar Stunden geplatzt, in Brüssel läuft derKampf um die politische Erzählung darüber,wer den Ausgang für sich verbuchen darf odermuss, es geht um die Interpretation: Wer hatwas warum scheitern lassen? »Schon wiederdie Griechen«, schlagzeilt die Deutsche Pres-se-Agentur.

Irgendwann im Laufe seiner Pressekonfe-renz wird Varoufakis auf die Spieltheorie an-

gesprochen. Er hat an einer Privatschule inAthen das Abitur gemacht, in GroßbritannienWirtschaftsmathematik studiert, in Ökono-mie promoviert, an Spitzenuniversitäten wiein Cambrigde gelehrt. Und er hat mehrere Bü-cher über die Spieltheorie geschrieben. EinFakt, der in vielen Porträts von Varoufakiszum Ausgangspunkt eines Vorwurfs gemachtwird: Ob er, der so unministrable Finanzmi-nister, hier nicht ein Spiel spiele mit der Kri-se, mit den Schulden, mit den Menschen?

In der Spieltheorie geht es vereinfacht ge-sagt darum, wie sich unterschiedliche Betei-ligte dabei gegenseitig beeinflussen, eineEntscheidung zu treffen. In Büchern dazu istvon perfektem Erinnerungsvermögen die Re-de, von A-Priori-Strategiemengen, von Agen-tennormalformen. Das hat mit Spielen etwaso viel zu tun, wie die Frage nach Varoufakis

spieltheoretischer Biografie in der Presse-konferenz von Brüssel mit dem Konflikt umKreditprogramm und Krisenpolitik.

Ob er da nicht ein Monopoly mit falschemGeld spiele, fragt ein Journalist dennoch mitBlick auf die akademische Vita? Er habe Mono-poly nie mit falschem Geld gespielt, sagt Va-roufakis lächelnd, sondern immer nur mit ech-tem Monopoly-Geld. Und begründet dann, wa-rum die Annahmen der Spieltheorie auf dempolitischen Parkett des Ringens um die Krisen-politik nicht gelten. »So viel Glücksspiel stecktim Schulden-Streit«, heißt es tags darauf den-noch(oderdeshalb) in»Bild«,beidermannichtverstehen will, was der griechische Finanzmi-nister sagt, weil man dann nicht mehr schrei-ben kann, dass sich Varoufakis »verzockt« hat.

Varoufakis hat als Berater des Computer-spielunternehmens Valve ziemlich viel Geld

verdient, erfährt man. Er ist mit einer Künst-lerin verheiratet, die aus einer griechischenIndustriellenfamiliestammt, liestman.Ersollein Ferienhaus haben auf einem als Yuppie-Insel bezeichneten Eiland. Und diesem Mannsollen wir glauben, dass seine politischeHartnäckigkeit, mit der er die Neuformulie-rung des Kreditprogramms für Griechenlandverfolgt, aus sozialen Motiven sich speist?

In der Überzeichnung des Äußeren von Va-roufakis, in der Betonung kapitalistischerSymbole an ihm (Geld, Motorrad, Immobilie)steckt sowohl die seltsame Annahme, manmüsse erst selbst arm sein, um etwas ehrlichgegen Armut tun zu wollen. Und es wohnt demder Versuch der Diskreditierung eines Politi-kers durch den Zweifel an seinen Beweggrün-den inne, es ist unmittelbare Propaganda ge-gen seine Position. Tom Strohschneider

Page 14: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 2322 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

war der schlechteste Dienst, den er seinemtheoretischen System erweisen konnte.Der Mann, der uns die Freiheit des Men-schen als ökonomisches Konzept ersterOrdnung gab, der Gelehrte, der die radika-le Unbestimmtheit auf ihren angemesse-nen Platz in der politischen Ökonomie hob,spielte am Ende mit simplistischen algeb-raischen Modellen, die – natürlich – Ar-beitseinheiten quantifizierten, entgegenjeder Hoffnung hoffend, dass sich aus die-sen Gleichungen weitere Einsichten überden Kapitalismus gewinnen ließen. Nachseinem Tod vergeudeten marxistischeÖkonomen viele Jahre ihrer Karriere mitähnlich scholastischen Mechanismen.Vollkommen aufgehend in irrelevantenDebatten über das »Transformations-problem« und die Frage, was angesichtsdessen zu tun sei, wurden sie schließlich zueiner fast ausgestorbenen Spezies, wäh-rend der neoliberale Moloch jeden Wider-spruch auf seinem Weg niederwalzte.

Wie konnte Marx sich so täuschen? Wa-rum erkannte er nicht, dass die Wahrheitüber den Kapitalismus niemals aus einemmathematischen Modell abgeleitet wer-den kann, gleichgültig wie brillant der Ent-wickler des Modells ist? Verfügte er dennnicht über die intellektuellen Werkzeuge,um zu realisieren, dass die Dynamik desKapitalismus vom nicht-quantifizierbarenTeil menschlicher Arbeit angetrieben wird,das heißt von einer Variablen, die sich nie-mals mathematisch definieren lässt? Na-türlich verfügte er über sie. Er hatte siedoch selbst geschmiedet. Nein, der Grundfür seinen Irrtum ist eher düster: Ebensowie die Vulgärökonomen, die er so wun-derbar ermahnte (und die nach wie vor dieMehrheit in den Wirtschaftsfakultätenstellen), begehrte er die Macht, die ihm dermathematische »Beweis« verlieh.

Ich möchte behaupten, dass Marx wuss-te, was er tat. Er wusste oder konnte je-denfalls wissen, dass eine umfassendeWerttheorie sich nicht in einem mathema-tischen Modell von einer dynamischen ka-

pitalistischen Ökonomie fassen lässt. Eswar ihm zweifellos bewusst, dass einerichtige Wirtschaftstheorie beachtenmuss, dass die Regeln des Unbestimmtenselbst unbestimmt sind. In ökonomischenBegriffen formuliert ist das die Erkenntnis,dass die Macht des Marktes, und damit dieProfitabilität des Kapitals, nicht notwen-digerweise auf die Kapazität, die Arbeits-kraft der Arbeiter zu nutzen, reduziert wer-den kann, und dass aus Gründen jenseitsder marxistischen Theorie manche Kapi-talisten einen gegebenen Pool von Ar-beitskräften oder eine bestimmte Gruppevon Konsumenten stärker nutzen könnenals andere.

Dies anzuerkennen impliziert jedoch dieAkzeptanz der Tatsache, dass die eigenen(Marx’schen) »Gesetze« nicht unverrück-bar sind. Marx hätte gegenüber den kon-kurrierenden Stimmen in der Gewerk-schaftsbewegung konzedieren müssen,dass seine Theorie unbestimmt ist und da-her seine Erklärungen nicht einzig und ein-deutig korrekt sein könnten. Dass sie dau-erhaft provisorisch sind. Die Bestimmt-heit, mit der er behauptete, die ganze, ab-geschlossene Geschichte, das endgültigeModell oder das letzte Wort zu haben, kannich Marx nicht verzeihen. Sie erwies sichschließlich als Grund für zahlreiche Irrtü-mer und vor allem für den Autoritarismus.Fehler und Autoritarismus, die in hohemMaß die Ursache für die aktuelle Ohn-macht der Linken als Kraft des Guten undals Gegengewicht gegen den Missbrauchvon Vernunft und die Freiheit sind, dieheute von der neoliberalen Crew kontrol-liert wird.

Margaret Thatchers LektionIm September 1978, sechs Monate bevorMargaret Thatchers Wahlsieg Großbritan-nien nachhaltig veränderte, ging ich zumStudium nach England. Als Zeuge der Ero-sion der Labour-Regierung, die unter demGewicht ihres morbiden sozialdemokrati-schen Programms zerfiel, machte ich einen

kapitalen Fehler: Ich dachte, dass That-chers Sieg eine gute Sache wäre, denn siewürde der Arbeiterklasse und der Mittel-schicht im Land den massiven Schock ver-setzen, den es bräuchte, damit eine Rück-kehr zu progressiver Politik erfolgen könn-te. Ich dachte, die Linke bekäme ihre Chan-ce, eine frische und radikale Agenda für ei-nen neuen Typ effektiver und fortschrittli-cher Politik zu entwickeln.

Noch als unter Thatchers neoliberalerPolitik die Zahl der Erwerbslosen um dasDoppelte und dann Dreifache stieg, glaub-te ich an Lenins Diktum dass »es schlech-ter werden muss, bevor es besser wird«.Während das Leben härter, brutaler und fürviele kürzer wurde, realisierte ich jedoch,dass ich mich dramatisch geirrt hatte: DieLage könnte sich endlos weiter ver-schlechtern, ohne dass es jemals besserwürde. Die Hoffnung, dass schlechtereVersorgung mit öffentlichen Gütern, sin-kende Lebensstandards der Mehrheit und

immer mehr Armut und Elend überall imLand automatisch zu einer Renaissance derLinken führen würden, war tatsächlich nureine Hoffnung.

Die Realität stellte sich schmerzvoll an-ders dar. Mit jedem Drehen an der Schrau-be der Rezession betrieb die Linke mehrNabelschau und erwies sich als zuneh-mend weniger in der Lage, eine überzeu-gende, fortschrittliche Agenda anzubieten.Derweil spaltete sich die Arbeiterklasse indiejenigen, die aus der Gesellschaft he-rausfielen, und jene, die der neoliberaleGeist kooptierte. Meine Hoffnung, dassThatcher unbeabsichtigt eine neue politi-sche Revolution auslösen würde, warschlichtweg vergebens. Die Folgen desThatcherismus waren vielmehr: extremeFinanzialisierung, der Sieg der ShoppingMall über den Tante-Emma-Laden, die Fe-tischisierung des Wohnens und Tony Blair.

Statt die britische Gesellschaft zu radi-kalisieren vernichtete die Rezession, die

die Thatcher-Regierung so sorgsam als Teilihres Klassenkampfes gegen die organi-sierte Arbeiterbewegung und die in derNachkriegszeit gegründeten öffentlichenInstitutionen der Sozialversicherung undUmverteilung gestaltete, dauerhaft ebendiese Möglichkeit einer radikalen, pro-gressiven Politik in Großbritannien. AmEnde machte sie sogar die Idee zunichte,dass es Werte gäbe, die über den »ad-äquaten« Marktpreis hinausgehen.

Thatchers Lektion für mich war, dass ei-ne anhaltende Rezession progressive Po-litik unterminieren kann, und auf dieseLektion beziehe ich mich heute noch an-gesichts der Krise in Europa. Sie ist, in derTat, die wichtigste Determinante meinerPosition in Bezug auf die Krise. Sie ist derGrund, warum ich die Sünde, die mir einigemeiner linken Kritiker vorwerfen, gernezugebe: die Sünde, mich dafür entschie-den zu haben, keine radikalen politischenProgrammevorzuschlagen,diedieKriseals

»Die Eliten Europas agieren heute so, als verstünden sie nicht das Wesen der Krise, die sie selbst betreiben.« Die Menschenverstehen es mitunter viel besser. Athener Kiosk am Tag nach dem Wahlsieg von SYRIZA. Foto: dpa/Michael Kappeler

NS-Schuldenunter denTeppich gekehrt

Anfang März hatte der Sonderbot-schafter der griechischen Regierung,Jorgo Chatzimarkakis, eine Idee: Ber-lin könne doch für eine »griechischeKreditanstalt für Wiederaufbau« ei-nige Milliarden Euro als Startkapitalaufbringen – als späte Reparations-leistung. Die Frage der Wiedergutma-chung der Nazi-Verbrechen sei bisher»von den Vertretern der jeweiligenBundesregierungen nach 1949 sehrgeschickt unter den Teppich gekehrtworden«, so Chatzimarkakis.

Bundesregierungen haben immerwieder betont, diese Frage als erle-digt anzusehen. Das Argument: Mitdem Wiedergutmachungsvertragzwischen Deutschland und Griechen-land von 1960 sei die Frage der Re-parationen »abschließend geregelt«.Die Bundesregierung bezieht dabeiauch ein von den Nazi-Besatzern ab-gepresstes Darlehen ein. Allein dieRückzahlung dieses Zwangskredits,der zu Kriegsende 476 MillionenReichsmark wert war und für den seit-her beträchtliche Zinsen aufgelaufensein müssten, könnte heute Milliar-den Euro in die Kasse Athens spülen.

Experten des Bundestags hatten inder Vergangenheit auch schon Positi-onen formuliert, die denen der Bun-desregierung widersprechen. Diegriechische Forderung nach Rückzah-lungderZwangsanleihekönneauchalsGeltendmachung eines vertragsrecht-lichen Darlehensrückzahlungsan-spruches betrachtet werden, hieß es ineiner Expertise. In einer anderen wur-de die Rechtsauffassung der Bundes-regierung als völkerrechtlich nichtzwingend bezeichnet. vk/as

Foto: akg/images

Page 15: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

Über das Phänomen des charismatischen Politikers werden sich vielleicht auch anderswo Linke neue Gedanken machen müssen:hier Alexis Tsipras bei einer Rede auf einem SYRIZA-Parteitag Foto: AFP/Angelos Tzortzinis

Entscheidende MomenteAus der Regierungserklärung von Alexis Tsipras vom 8. Februar 2015

Nach fünf Jahren der Barbarei der Memo-randen verkraftet unser Volk keine weite-ren Enttäuschungen mehr, keine weitereFrustration. Und deshalb hat es bei diesenWahlen eine mutige Entscheidung getrof-fen. Es hat sich nicht terrorisieren lassen,erlag nicht den Drohungen und der Propa-ganda der Angst, denn es wusste, dass die-jenigen, die es bedrohten, das Land und dieMenschen in eine vollkommene wirt-schaftliche, politische und moralischeSackgasse geführt haben.

Wir werden kämpfen, um diese Sack-gassen nach innen wie nach außen zu be-seitigen, indem wir das Funktionieren derDemokratie wiederherstellen. Allem vorandas Funktionieren des Parlaments, das fak-tisch durch andauernde Gesetzgebungs-akte abgeschafft worden ist. Wir werdenkämpfen, um die Respektierung und Ein-

haltung der griechischen Verfassung wie-derherzustellen und darum, die Grün-dungsprinzipien und -werte des vereintenEuropas wiederzugewinnen, eines Europasder Solidarität, des sozialen Zusammen-halts, des Wachstums und der Demokratie.

Neue AgendaMeine Damen und Herren Abgeordneten,die Landschaft in Griechenland und in Eu-ropa ist nach wie vor schwierig aber sie istschon eine andere. Die Agenda verändertsich. Griechenland bleibt weiterhin im Mit-telpunkt des internationalen Interesses,aber zum ersten Mal nach vielen Jahren miteinem positiven Vorzeichen, als Protago-nist, nicht als Statist.

In einem Verhandlungsprozess, derendlich begonnen hat, unterbreitet die hel-

lenische Republik, Griechenland, Vor-schläge und ist nicht Empfänger von Wei-sungen auf elektronischem Wege.

Uns ist sehr wohl bewusst, dass dieserVerhandlungsprozessnicht leichtseinwird,dass wir einen steinigen Weg vor uns ha-ben,aberwirvertraueninunsereKräfteundwir werden es schaffen, vor allem weil wiroffenkundig bei diesen Verhandlungen dasRecht auf unserer Seite haben.

Unter der Verantwortung sowohl derfrüheren Regierungen wie auch unsererPartner wurde dem griechischen Volk einAusteritätsprogramm auferlegt, von demwir mit mathematischer Sicherheit wuss-ten, dass es nicht zu einer vorübergehen-den Rezession sondern zu einer langjäh-rigen Störung der Wachstumsmöglich-keiten des Landes und zu einem beispiel-losen Schrumpfen der griechischen Wirt-

Chance sehen, den Kapitalismus in Europazu überwinden, die schreckliche Eurozoneaufzulösen und die Europäische Union derKartelle und bankrotten Banker zu unter-minieren.

Gewiss, ich sähe eine derart radikaleAgenda gern. Doch ich bin nicht bereit,zweimal denselben Fehler zu machen. Waserreichten wir denn Gutes Anfang der1980er Jahre in England, als wir eine Agen-da des sozialistischen Wandels forderten,über die die britische Gesellschaft spotte-te, während sie Hals über Kopf in That-chers neoliberale Falle tappte? Nichts. Waswürde es denn heute nützen, die Auflösungder Eurozone und der EU selbst zu fordern,wenn der europäische Kapitalismus allestut, um die Eurozone, die EU und sich selbstzu untergraben?

Ein Austritt Griechenlands, Portugalsoder Italiens aus der Eurozone würde baldzu einer Fragmentierung des europäischenKapitalismus führen. Es käme zu massivenÜberschüssen in einer rezessiven Wirt-schaft in der Region östlich des Rheins undnördlich der Alpen, während eine böseStagflation die übrigen europäischen Län-der im Griff hätte. Wem würde das mehrnützen? Der progressiven Linken, die sichwie Phoenix aus der Asche der öffentlichenInstitutionen Europas erheben würde?Oder den Nazis der Goldenen Morgenröte,neofaschistischen Gruppen, den Xeno-phoben und den Schmarotzern? Ich weiß,welche der beiden Seiten vom Auseinan-derfallen der Eurozone am meisten profi-tiert, und ich bin nicht bereit, dieser post-modernen Version der 1930er Jahre nochWind in die Segel zu blasen. Wenn das be-deutet, dass wir, die angemessen errati-schen Marxisten, den Kapitalismus in Eu-ropa vor sich selbst schützen müssen, dannsei es so. Nicht aus Liebe zum europäi-schen Kapitalismus, der Eurozone, Brüsseloder der EZB, sondern schlicht weil wir denPreis, den die Menschen in dieser Krisezahlen müssen, so gering wie möglich hal-ten wollen.

Was sollten Marxisten tun?

Die Eliten Europas agieren heute so, alsverstünden sie weder das Wesen der Krise,die sie selbst betreiben, noch deren Folgenfür die Zukunft der europäischen Zivilisa-tion. Atavistisch plündern sie die dezi-mierten Rücklagen der Schwachen undVerarmten, um die riesigen Löcher des Fi-nanzsektors zu stopfen, und weigern sichdabei, die mangelnde Nachhaltigkeit die-ses Ansatzes zur Kenntnis zu nehmen.

Die Linke muss aber, angesichts derVerweigerungshaltung und Irrungen dereuropäischen Eliten, zugeben, dass sieeinfach noch nicht in der Lage ist, mit ei-nem funktionierenden sozialistischenSystem die Kluft zu überbrücken, die derZusammenbruch des Kapitalismus in Eu-ropa reißen würde. Unsere Aufgabe ist da-her eine zweifache. Erstens müssen wir ei-ne Analyse des Status Quo erstellen, derenSinn die nicht-marxistischen, wohlmei-nenden, doch den Sirenengesängen desNeoliberalismus folgenden Europäernachvollziehen können. Und zweitensmüssen wir nach dieser umfassenden Ana-lyse Vorschläge zur Stabilisierung Europasmachen, um die Talfahrt zu stoppen, dieletztlich nur die Fanatiker stärkt.

Ich möchte mit zwei Bekenntnissen en-den. Zwar verteidige ich das Bemühen umeine bescheidene Agenda zur Stabilisie-rung eines auch von mir kritisierten Sys-tems als originär radikal, doch will ich kei-neswegs so tun, als sei ich von dieser Lö-sung begeistert. Wir müssen unter den ge-gebenen Umständen so handeln, dochmacht es mich traurig, dass ich die Verab-schiedung einer radikaleren Agenda ver-mutlich nicht mehr erleben werde.

Zum Anderen gestehe ich, und das istsehr persönlich, dass ich meine Trauer da-rüber, dass ich die Ablösung des Kapita-lismus wohl nicht mehr erleben werde,manchmal durch das Gefühl lindere, bes-seren Kreisen heute genehmer zu sein alsfrüher. Hier und da stellt sich bei mir eine

gewisse Selbstzufriedenheit darüber ein,dass die Großen und Mächtigen mich fei-ern, und dieses Gefühl ist alles andere alsradikal; es ist hässlich, korrupt und ätzend.

Den Tiefpunkt erreichte ich an einemFlughafen. Eine solvente Institution hattemich eingeladen, als Hauptredner ihrerVeranstaltung über die europäische Krisezu sprechen und finanzierte mir ein First-Class-Ticket. Auf dem Rückweg, müde undnach mehreren Flügen, ging ich an der lan-gen Schlange von Economy-Passagierenvorbei zum Gate. Mit einem Mal wurde mirbewusst, wie schnell ich verinnerlicht hat-te, dass ich am gemeinen Volk vorbeizie-hen durfte. Ich realisierte, wie bereitwilligich vergaß, was ich als Linker immer ge-wusst hatte: dass sich nichts so erfolgreichreproduziert wie ein falsches Gefühl vonBerechtigung. Die Bildung von Allianzenmit reaktionären Kräften, die ich zur Sta-bilisierung Europas heute für notwendighalte, birgt die Gefahr, kooptiert zu wer-den und die eigene Radikalität aufzuge-ben, weil es glanzvoll erscheint, in denKorridoren der Macht »angekommen« zusein.

Ein radikales Bekenntnis wie das, dasich hier versucht habe, ist vielleicht daseinzige programmatische Gegengift zumideologischen Ausrutscher, der uns zuRädchen im Getriebe zu machen droht.Wenn wir Bündnisse mit unseren politi-schen Gegnern schließen, müssen wir auf-passen, dass wir nicht wie die Sozialistenwerden, die die Welt zwar nicht veränderthaben, doch ihre private Lage erfolgreichverbesserten. Es gilt also, den revolutio-nären Maximalismus zu vermeiden, derletztlich nur den Neoliberalen hilft, jedeOpposition gegen ihre sinnlose Politik zuumschiffen, und die inhärenten Fehler desKapitalismus nicht aus den Augen zu ver-lieren, während wir gleichzeitig versu-chen, ihn aus strategischen Gründen vorsich selbst zu retten.Übersetzung aus dem Englischen vonLilian-Astrid Geese

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 2524 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

Page 16: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

schaft führen würde, was auch eingetrof-fen ist.

Nach fast fünf Jahren extremen Sparenshaben wir ungefähr ein Viertel des Sozial-produkts verloren. Mehr als eineinhalb Mil-lionen unserer Mitbürger haben ihre Arbeitverloren, während über zweieinhalb Milli-onen gezwungen wurden, unter der offizi-ellen Armutsgrenze zu leben. Gleichzeitigist die Staatsverschuldung von 124 Prozentdes Bruttosozialprodukts auf 180 Prozentin die Höhe geschossen. Die Produktions-basis unserer Wirtschaft ist auseinandergebrochen, ein beispielloser Prozess vonDesinvestition und interner Entwertung hatstattgefunden, der eine explosive Mi-schung aus Rezession und Deflation schuf,die jegliche Aussicht auf wirtschaftlicheErholung ausschlaggebend behindert.

EuropaDie Bürger in Griechenland und in andereneuropäischen Ländern sind schon mobili-siert, erklären ihre Solidarität und Mithilfe.Wir danken ihnen und fordern sie auf, wach-sam zu bleiben. Ihre Solidarität und Mithilfesind wertvoll. Nur durch ihre Unterstützungwerden wir aus der Sackgasse, in die uns dieMemoranden geführt haben, steuern kön-nen. Nur durch ihre Unterstützung werdenwir es schaffen, Griechenland, aber auch Eu-ropa, aus dem Teufelskreis von Austerität,Rezession und Deflation herauszuholen.

Denn unsere Strategie betrifft nicht nurGriechenland. Sie betrifft die Völker aller

europäischen Länder. Denn das Problem istja nicht allein ein griechisches. Es war zukeinem Zeitpunkt nur ein griechisches. DieKrise ist nicht nur eine griechische. Die Kri-se ist eine europäische und also wird dieLösung ebenfalls eine europäische sein.

Bei diesen hart geführten und beharrli-chen Verhandlungen kann Griechenlandeine positive Katalysatorrolle bei den Ent-wicklungen spielen, mit dem einen Ziel:dass wir zu einer Lösung gelangen, die fürbeide Seiten – für Griechenland und für un-sere Partner – von Nutzen sein wird.

SchuldenWir wiederholen in aller Deutlichkeit: Grie-chenland will seine Schulden bedienen.Wenn dies auch der Wunsch unserer Part-ner ist, so sind sie aufgefordert, mit uns anden Verhandlungstisch zu kommen, um ge-meinsam den Modus und die technischenMittel zur Erreichung ihrer Tragfähigkeit zubeschließen. Die Höhe der Schulden – dieim Übrigen seit gestern die 180-Prozent-Marke überschritten haben – macht derenRückzahlung unmöglich. Das ist es, was wirversuchen zu erklären. Das Problem dergriechischen Schulden ist nicht ein Prob-lem technischer Natur. Es geht hierbei nichtum eine Frage der technischen Umsetzungvon bestimmten Entscheidungen. Es gehtum ein Problem politischer Natur und poli-tischer Entscheidungen.

Je mehr unsere Partner auf Austeritätbeharren, um so mehr wird sich die Schul-

denproblematik reproduzieren und ver-schärfen. Wenn wir uns also darauf eini-gen, dass die Austerität katastrophale Fol-gen hat, wird sich die technische Lösung füreine Umstrukturierung der Schulden unddie Rückzahlung auf dem Wege von Ver-handlungen und des gegenseitigen Einver-ständnisses finden.

Was die neue griechische Regierung beiden Verhandlungen mit den Partnern an-strebt, ist eine bis einschließlich Juni gel-tende neue Vereinbarung in einem Über-brückungsprogramm, eine »Brücken-Ver-einbarung«, wie wir sie nennen. Um somitden fiskalischen Raum zu erhalten, der füreine aufrichtig geführte Verhandlung überdie notwendige Umstrukturierung derSchulden und ein neues Programm für dieZusammenarbeit und das Wachstum zwi-schen Griechenland und seinen europäi-schen Partnern erforderlich ist.

Humanitäre KriseGrößte Priorität unserer Regierung ab Mitt-wochmorgen wird die Bewältigung der tie-fen Wunden des Memorandums, die Be-wältigung der humanitären Krise in unse-rem Vaterland sein, wie wir vor den Wahlenversprochen haben.

Die konkreten Maßnahmen werden diekostenlose Versorgung mit Nahrungsmit-teln, Strom, Wohnraum und Gesundheits-versorgung für die Tausenden von Familienund Haushalte betreffen, die in den letztenfünf JahrenOpferderhärtestenBarbarei,der

Barbarei der Memoranden wurden. Undwissen Sie, das ist eine Frage von Gleichbe-rechtigung und Zivilisation. GriechenlandkannnichteineuropäischesLandsein,wennTausende von Menschen im Land hungernund keinen Strom haben.

Die Maßnahmen werden aber auch dieBeseitigung großer Ungerechtigkeiten be-treffen. Wir beginnen umgehend mit derRehabilitierung der verfassungswidrig ausdem öffentlichen Dienst Entlassenen, derweiblichen Reinigungskräfte des Finanz-ministeriums, der Schulwächter und desVerwaltungspersonals der Hochschulen.Ihre Rehabilitierung wird den Staatshaus-halt nicht belasten, sie wird im Rahmen derfür 2015 vorgesehenen Einstellungen er-folgen.

InstitutionenDas griechische Volk hat uns ein klaresMandat zum Kampf erteilt. Zum Kampf ge-gen die Missstände des griechischen poli-tischen Systems und gegen die Partikular-interessen, die diese Missstände und denStaat aufgebaut haben. Denn nicht wir ha-ben diesen klientelistischen und ver-schwenderischen Staat konstruiert oderregiert. Und genau deshalb – ohne hier an-geberisch klingen zu wollen – sind wir dieeinzigen, die diesen Staat tatsächlich än-dern können, die den umfassendsten insti-tutionellen Wiederaufbau in der zeitge-nössischen Geschichte des Landes zu rea-lisieren imstande sind.

Dieser institutionelle Wiederaufbau hatbereits begonnen. Die stark veränderte Re-gierungsstruktur ist der erste Schritt einesnotwendigen Rationalisierungsprozessesder öffentlichen Verwaltung. Gleichzeitiggehen wir entschlossen die Einschränkungder Ausgabenverschwendung im öffentli-chen Dienst und die Einschränkung von Pri-vilegien von Ministern aber auch von Ab-geordneten an. Denn wir sind nicht ge-kommen, um Machtstrukturen und Macht-privilegien einzunehmen. Wir sind gekom-men, um Privilegien abzuschaffen und umdie Macht dort hin zurückzuführen, von wosie ausgeht, das heißt zum griechischenVolk.

Wir entlasten unmittelbar die öffentli-che Verwaltung von dem Heer von Beraternund abgeordneten Beamten bei den Minis-tern. Wir schaffen provokative Verschwen-dung ab. Wir reduzieren den um die 700Fahrzeuge starken Fuhrpark der Ministeri-en um ungefähr die Hälfte. Wir weisen dieVeräußerung von Regierungsfahrzeugenan, die mit über 700 000 Euro provokativteuer sind, in einer Zeit, in der der griechi-sche Durchschnittsbürger leiden muss. Wirweisen an, dass zunächst eines der drei Re-gierungsflugzeuge veräußert wird.

Meine Damen und Herren Abgeordne-ten, unser wirklich großer Kampf, die wirk-lich erbarmungslos zu führende Schlacht,die diese Regierung – koste es was es wolle– zu kämpfen bereit ist, ist der Kampf ge-gen die großangelegte Korruption, gegendieses System der Seilschaften zwischen

politischer und wirtschaftlicher Macht, dasüber Jahre hinweg unser Land dominiert,das das öffentliche Leben vergiftet und daspolitische System und dessen Institutio-nen in Misskredit gebracht hat.

MedienWir werden das berüchtigte »Dreieck derVerfilzung« zwischen Banken, politischemSystem und medialem Establishment auf-brechen. Wir sind die Garanten des uni-versellen Zugangs des griechischen Volkeszum Gut der objektiven und von politischerIntervention unabhängigen Information.Wir werden per Gesetz die GriechischeRundfunk- und Fernsehanstalt von Grundauf wieder neu gründen, indem wir aus-schließlich Mittel aus Gebühren einsetzen.

Wir werden eine enorme Ungerechtig-keit revidieren, ein Verbrechen gegen dasgriechische Volk und die Demokratie, dasam 11. Juni 2013 stattgefunden hat, am Tagder Schande, am Tag der schwarzen Bild-schirme.

DemokratieMeine Damen und Herren Abgeordneten,der institutionelle Wiederaufbau, den wirvoranbringen, hat ein zentrales Motiv: »De-mokratie überall«. Die Memoranden habennicht nur zur Diskreditierung des politi-schen Systems geführt, sondern sie habenvor allem die Demokratie selbst untermi-niert. Der Staat wurde vom Helfer des Bür-

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 2726 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

Die Spaltung überwunden: eine kurze Geschichte von SYRIZADie Gründungstage von SYRIZA liegen weitzurück, in der Spaltung der Kommunisti-schen Partei (KKE). Von der damals illegali-sierten und im »Ostblock stationierten«griechischen KP trennte sich 1968 ein später»eurokommunistisch« genannter Flügel.Nach dem Ende der griechischen Militärdik-tatur entwickelten sich ein Teil der »Euro-kommunisten« in den 80er Jahren weiter zurundogmatischen und dem linken Bildungs-bürgertum nahestehenden »GriechischenLinken« (EAR). Ende der 1980er Jahre, in-mitten einer skandalbedingten Krise der PA-SOK-Regierung, formte diese mit der mar-xistisch-leninistischen KKE die »Koalitionder Linken und des Fortschritts – Synaspis-mos« (SYN). Obwohl von Beginn an ein fra-giles Gebilde kam das Wahlbündnis 1989 beider Parlamentswahl auf 13,1 Prozent. Inter-

ne Auseinandersetzungen und der Kollapsder Sowjetunion führten aber 1991 zumBruch.

Dennoch entschieden sich ein Jahr späterundogmatische Linke und sogenannte KKE-Reformer, die verbliebenen Reste von Syn-aspismos in eine Partei umzuwandeln. Die-ser gelang der Einzug ins nationale Parla-ment erstmals 1996. In den folgenden Jahrenrang die Partei beständig darum, die Drei-Prozent-Hürde zu überwinden. Nach denWahlen im Jahr 2000 erfolgte die erste großeSpaltung der Partei. Protagonisten des»rechten Flügels« wanderten zur Sozialde-mokratie ab und SYN rückte im Parteien-spektrum weiter nach links. So konnte sieweitere linke Gruppen und soziale Bewe-gungen an sich binden. 2004, kurz vor derParlamentswahl, wurde zum ersten Mal die

»Koalition der radikalen Linken – SYRIZA«,gebildet, welche aber lediglich 3,26 Prozentder Stimmen errang. Das Wahlbündnis zer-fiel weitgehend. Erst 2007 konnte SYRIZAunter veränderter Zusammensetzung wie-derbelebt werden. Fundament der teils weitauseinander stehenden Parteien und Grup-pierungen waren erneut der Kampf gegen denneoliberalenUmbauGriechenlandssowiedieenge Bindung an die globalisierungskritischeBewegung.

Ungeachtet der Tatsache, dass auch mao-istische und trotzkistische Gruppen in SYRI-ZAmitarbeiteten,bliebSynaspismosstetsdietragende Säule. SYN gelang es beispielswei-se, trotz einer tiefen EU-Skepsis innerhalbdes Bündnisses, den Verbleib Griechenlandsin der Europäischen Union programmatischdurchzusetzen. Nach dem mit 5,04 Prozent

gestärkten Einzug ins Parlament 2007schlossen sich weitere Gruppen dem Bünd-nis an.

Bei der Wahl 2009 ging der Stimmenan-teil dennoch auf 4,6 Prozent zurück. Der im-mer wieder aufflackernde Flügelstreit führtewährend der einsetzenden Finanzkrise bei-nahe zur endgültigen Spaltung. 2010 verließein großer Teil des abermals »rechten Flü-gels« Synaspismos und gründete »als konst-ruktive, linke Opposition« zu PASOK die »De-mokratische Linke« (Dimar). Die Parteifüh-rung um Alexis Tsipras, seit 2008 Vorsitzen-der, konnte Synaspismos jedoch weiter öff-nen und enttäuschte Mitglieder sowohl vonPASOK als auch von der KKE für eine Mitar-beit in SYRIZA gewinnen.

Am 6. Mai 2012 erhielt SYRIZA so mit 16,8Prozent die zweitmeisten Wählerstimmen.

Nachdem die Koalitionsversuche der erst-platzierten Nea Dimokratia gescheitert wa-ren, erhielt Tsipras den Auftrag für Sondie-rungsgespräche – doch auch er konnte keineRegierung bilden. Größtes Hindernis für dieLinkspartei bei den daraufhin anstehendenNeuwahlen sollte der Siegerbonus im grie-chischen Wahlsystem sein. Danach erhält diestärkste Partei 50 Bonusmandate in dem ge-rade einmal 300 Sitze zählenden Parla-ment.

Da nur Parteien und nicht Wahlbündnisseim Falle eines Wahlsieges davon profitieren,ließ sich SYRIZA noch vor dem zweiten Ur-nengang am 17. Juni 2012 als Partei regist-rieren. Zwar reichte es auch in diesem An-lauf nicht für eine Linksregierung. Dennochlegte SYRIZA noch einmal über zehn Prozentzu und erzielte 26,9 Prozent. Aus der Positi-

on der stärksten Oppositionskraft gewannSYRIZA am 25. Januar 2015 die Wahlen deut-lich.

Obwohl die Steigerung der Wahlergeb-nisse von 4,6 Prozent (2009) auf 36,3 Pro-zent (Januar 2015) beispiellos in der Ge-schichte der europäischen Linken ist, be-steht das eigentliche Verdienst SYRIZAs inder Herausbildung kontinuierlicher (Ar-beits)Strukturen. Zwar war die Überführungvon einem Wahlbündnis in eine Partei ei-nem gewissen Zwang gefolgt. Dennoch ist esgelungen,auseinemwechselhaftenundüberJahre fragilen Zusammenschluss eine Parteizu formen. Gleichzeitig hat SYRIZA den Cha-rakter als breites Bündnis linker, ökologi-scher und feministischer Kräfte nicht verlo-ren. Anspruch war und ist es, Partei und Be-wegung zu sein. Dominic Heilig

Page 17: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 2928 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

gers zum Verfolger der Schwächsten, derAusgeschlossenen, der Opfer dieser Kriseverwandelt.

Wir werden jede demokratische Institu-tion, jede soziale Errungenschaft wieder-herstellen und vertiefen. Wir unterstützenund schützen die Rechte des Einzelnen unddie politischen Freiheiten, den Rechts-staat.

Wir führen ein neues Dogma für die Si-cherheit, die Freiheiten, die Rechte und dieBeziehungen zwischen Polizei und Bürgernein.DiePolizeiwirdnichtmehrdieRolledergewaltsamen Unterdrückung von Volksak-tionen haben. Die Polizei wird den Schutzdes Bürgers vor dem Verbrechen gewähr-leisten.

Wir ändern die Struktur und den Namendes Nationalen Nachrichtendienstes. Erwird umbenannt in »Amt für den Schutz derNationalen Souveränität« mit ausschließ-licher Zuständigkeit für die äußere undnicht die innere Sicherheit, welche weiter-hin den speziellen Diensten für den Bür-gerschutz unterliegt.

MigrationMit der neuen Regierung wird zum erstenMal im Land ein einfaches Amt für Migrati-on in ein Ministerium, in ein Ressort um-gewandelt, wie es in allen Ländern Europasder Fall ist. Die Migrationsfrage wird zumersten Mal zu dem, was sie in einem Rechts-staat sein sollte, nämlich eine Frage desganzheitlichen Managements mit einereinheitlichen Strategie vom zuständigenMinisterium konzipiert, dem das entspre-chende Ressort untersteht.

Unser Ziel ist eine einheitliche Politik beidiesen ernsthaften Fragen mit dem Vorzei-chen der Integration, dem Schutz, der Res-pektierung der Menschenrechte und derStärkung des sozialen Zusammenhalts.Vorrangige Rolle des neuen Geschäftsbe-reichs wird die unmittelbare Verabschie-dung eines Staatsangehörigkeitsgesetzesfür die Kinder der zweiten Generation ha-ben.

Die Frage der Migrationsflüsse betrifftnatürlich nicht allein Griechenland. Es isteine universelle und eine europäischeFrage, und aus diesem Grund eignen sichrein nationale Lösungen nicht. Von höchs-ter Dringlichkeit ist eine Koordination aufeuropäischer Ebene, was leider immernoch auf sich warten lässt. Es ist dringendnotwendig, eine europäische Einwande-rungs- und Asylpolitik zu fördern, die sichauf die Grundlage der Achtung der Men-schenrechte stützt, aber auch auf die

Übernahme und die Teilung von Verant-wortung durch alle Staaten der Europäi-schen Union mittels Umsetzung sofortigerSolidaritätsmaßnahmen in den Aufnah-mestaaten.

SteuernMeine Damen und Herren Abgeordneten, eskann keinen institutionellen und wirt-schaftlichen Wiederaufbau ohne eine gro-ße und mutige Reform des Steuersystemsgeben.

Steuergerechtigkeit ist für unser Landleider ein Fremdwort, während das verfas-sungsrechtlich verankerte Gebot der pro-portionalen steuerlichen Belastung nachwie vor eine leere Worthülse ist.

Die neue Regierung verpflichtet sichauch von dieser Stelle aus dazu, diesem fi-nanziellen und sozialen Wahnsinn, der Ir-rationalität und Ungerechtigkeit ein Endezu setzen. Jeder Bürger und jedes Unter-nehmen wird gemäß seiner Steuer-Leis-tungsfähigkeit, wie explizit in der Verfas-sung gefordert, seinen steuerlichen Beitragzur gemeinsam zu bewältigenden Last leis-ten.

Wir legen uns verbindlich fest, ein sta-biles, einfaches und gerechtes Steuersys-tem auszuarbeiten und einzuführen, dasdie Lasten ausgeglichen verteilen und zu-gleich ein Gefühl der Sicherheit schaffenwird, die für die langfristig angelegten stra-tegischen Investitionen notwendig ist.

Konkret werden wir eine einheitlicheund progressive steuerliche Staffelung oh-ne Ausnahmeregelungen und Schlupflö-cher festlegen, durch die die Steuerlast aufhohe und sehr hohe Einkommen verlagertwird. Wir setzen den Steuerfreibetrag auf12 000 Euro fest. Wir bringen die Regist-rierung von Vermögen in Griechenland undim Ausland mithilfe des Vermögensver-zeichnisses voran, das klare Auskunft überdie steuerliche Leistungsfähigkeit von Bür-gern und Unternehmen geben wird. Wirwerden die Einheitliche Immobilienbe-sitzsteuerab2015abschaffenundsiedurcheine auf großen Immobilienbesitz erhobe-ne Steuer ersetzen.

Die umfangreiche Reform des Steuer-systems stellt die unabdingbare Voraus-setzung für den Wachstumsschub dar, dendie griechische Wirtschaft braucht, und fürdie steuerliche Entlastung der Lohnabhän-gigen, Rentner und des Mittelstands. Dasallerdings braucht Zeit. Die Wiederbele-bung der Wirtschaft und die Maßnahmenzur Entlastung für die Opfer der Krise ist je-doch ein Thema, das wir unmittelbar ange-

hen müssen, ohne Verzug, ohne Nachläs-sigkeiten, ohne Zögerlichkeit.

Ähnlich unmittelbar ist auch die Not-wendigkeit, die Staatseinnahmen zu stär-ken. Die Zahlungsrückstände privaterSchuldner an den Staat stiegen auf fast72 000 000 000 Euro von fast30 000 000 000 Euro im Jahr 2009. Dasist ein Aderlass, der unüberwindbareSchwierigkeiten schafft und unsere Ver-handlungsmacht, die Unabhängigkeit desLandes untergräbt und gleichzeitig das De-bakel der Memoranden offenlegt.

Aus diesem Grund schreiten wir unmit-telbar zu Maßnahmen für die Regulierungder Zahlungsrückstände an den Staat unddie Versicherungskassen. Wir erlassen diehundert-Raten-Regulierung als Erleichte-rung bei der Rückzahlung fälliger Verbind-lichkeiten ohne bürokratische Anforde-rungen und schleppende Verfahren.

Wir werden alle Verfahrensgarantienzum Schutz vor Zwangsvollstreckung zu-lasten des Eigentums der Bürger wieder-einführen und den Status des Ausnahme-zustands, den die Memorandums-Regie-rungen zum Nachteil der kleinen und mitt-leren Einkommen auferlegten, abschaffen.Denn Demokratie und Rechte sind nicht à lacarte zu haben, sie können nicht einge-schränkt und noch viel weniger verstüm-melt werden.

ArbeitsmarktMeineDamenundHerrenAbgeordneten, imRahmen des institutionellen Wiederauf-bausunddeswirtschaftlichenNeustartshatder Wiederaufbau des Arbeitsschutzrah-mens und die Wiederherstellung der Rech-te der Arbeitnehmer eine zentrale Rolle. Diefünf Jahre des Memorandums haben die be-reits bestehende Tendenz zur Deregulie-rung des Arbeitsmarktes gestärkt und ver-tieft und schufen für fast alle Arbeitneh-merschichten mittelalterliche Beschäfti-gungsbedingungen.

Die neue griechische Regierung ist ent-schlossen, jenen Politiken ein Ende zu set-zen, die Zügellosigkeit der Arbeitgeber,extreme Ausbeutung und Demütigung derArbeitnehmer erlauben. Arbeitnehmer, diein den letzten Jahren zusehen mussten, wieihre Löhne gekürzt wurden, wie ihre Rechteschwanden, ihr Leben im Namen einer Po-litik zerstört wurde, die glaubt, die Wett-bewerbsfähigkeit der Wirtschaft hänge vonder Höhe der Löhne und vom Grad der De-regulierung des Arbeitsmarktes ab.

Wir lehnen diese Auffassung ab. DieWettbewerbsfähigkeit der griechischen

Wirtschaft kann sich nicht auf billige Arbeitohne Arbeitsrechte stützen, sondern nurauf Innovation, Spitzentechnologie undQualität der Waren und Dienstleistungen.Unser Ziel ist die Stärkung der Verhand-lungskraft der Arbeitnehmer und die Um-kehrung des neoliberalen Kurses der Dis-kreditierung der Arbeitswelt. In diesemPunkt bleiben wir unnachgiebig.

Genauso werden wir auch unserer Ver-pflichtung treu bleiben, den Mindestlohnauf 751 Euro anzuheben. Diese Anhebungwird jedoch schrittweise bis 2016 vorge-nommen, so dass die harmonische Anglei-chung an die reale Wirtschaft gewährleis-tet wird, ebenso wie die Anpassung der So-zialpartner, deren Zustimmung über dasanzuwendende Verfahren wir anstrebenwerden.

Es wird unmittelbar das Sonderpro-gramm zur Wiedererlangung der Arbeit ge-startet durch die Neuausrichtung der Mitteldes Arbeitsministeriums mit dem Ziel, imZeithorizont von vier Jahren hunderttau-sende von Arbeitsplätzen im Privatsektor,im öffentlichen Sektor und in der Sozial-wirtschaft zu schaffen.

Das neue Programm der Wiedererlan-gung der Arbeit wird nicht nur die Arbeits-losigkeit unmittelbar verringern, sondernauch den Versicherungskassen die Zeit zumAtmen verschaffen, der griechischen Wirt-schaft einen Wachstumsimpuls geben unddie Position der Arbeitnehmer insgesamtstärken. Eine Beschleunigung und Erwei-terung des Programms wird es natürlichnach Erzielung einer Übereinkunft mit un-seren europäischen Partnern geben.

WirtschaftMeine Damen und Herren Abgeordneten,alle obigen Ausführungen bilden den Rah-men, nach dem der nationale Plan für denWiederaufbau der Produktion ausgerichtetsein muss: Unterstützung der kleinen undmittleren Unternehmen, Schutz der Ar-beitnehmer, Respektierung des Umwelt-schutzes, einschneidende Reformen in deröffentlichen Verwaltung, stabiles Steuer-system und entschlossene Bekämpfung derKorruption, der Verfilzung und der Ver-schwendungöffentlicherGelder.EssinddiePrinzipien, auf die wir unsere neue An-strengung begründen müssen und werden.

Nichts von alledem jedoch reicht aus,wenn die griechische Wirtschaft weiterhinim Schraubstock von nicht tragfähigenSchulden erstickt, im Schraubstock derÜberschuldung, im Schraubstock abergleichzeitig auch in der Verpflichtung von

absurden, unerreichbaren und wirklich-keitsfremden Primärüberschüssen, diekeinen haushaltstechnischen Spielraumzum Atemholen und zu einer Wachstums-perspektive für die griechische Wirtschafterlauben.

Genau aus diesem Grund sollen unsereVerhandlungen mit unseren europäischenPartnern in eine Übereinkunft zur Umstuk-turierung der Schulden münden. Genaudeswegen erlangt ein neuer Sozialvertragmit Europa zentrale Bedeutung. Ohne die-se neue Vereinbarung wird das Land ver-urteilt sein, in der Abwärtsspirale der Re-zession, in der Falle der Deflation, in derDesinvestition, die wir all die Jahre erlebthaben, und in der Armut zu versinken.

Das Memorandums-Programm ist ge-scheitert. Es gibt keinen, der ernsthaft dasGegenteil behauptet. Was wir jetzt brau-chen, ist eine Vereinbarung, die die Dyna-mik der griechischen Wirtschaft freisetztund die Realisierung pluralistischer undkostengünstiger Projekte im Bereich derEnergie und des Tourismus, der Schifffahrt,der landwirtschaftlichen Produktion, derIndustrie, der Verarbeitung und des Kom-munikationssektors unterstützt. Projekte,die die Beteiligung von großen, mittlerenund kleinen privaten Initiativen wie auchden Anreiz für ausländische Investitionenund zwischenstaatliche Vereinbarungenüber wachstumsfördernde Joint Venturesunter Beteiligung des griechischen Staates– immer im Rahmen der Respektierung dereuropäischen Gesetzgebung – mit einem

umfangreichen öffentlichen Investitions-programm, das nach unserem VerständnisausdemDefizitauszunehmenist–wieauchvon unseren französischen und italieni-schen Partnern gefordert – und schließlichmit Formen der sozialen Ökonomie und ge-nossenschaftlichen Produktion, die einneues Modell von Wirtschaftsaktivität be-gründen werden, das auf Vernetzung undhorizontaler Organisation beruht und überden engen Rahmen des freien marktwirt-schaftlichen Wettbewerbs hinausgeht.

Insbesondere im Hinblick auf privateInitiativen und Investitionen möchte ichfolgendes klarstellen: Die neue Regierungmöchte und wird privatwirtschaftliche In-vestitionen, die eine Schlüsselposition imProzess des wirtschaftlichen Wiederauf-baus einnehmen können, unterstützen.Was die neue griechische Regierung je-doch nicht tun wird, ist den verbrecheri-schen Ausverkauf öffentlichen Eigentumsfortsetzen, um daraus eine nicht tragfähigeSchuldenlast zu finanzieren oder aktuelleLiquiditätsengpässe zu decken. Es habengenug Verbrechen auf Kosten des öffentli-chen Interesses stattgefunden.

SozialstaatMeine Damen und Herren Abgeordneten,die Memorandums-Politik der letzten fünfJahre basierte auf der Logik der horizonta-len Kürzungen. Das zweite Opfer nach denLöhnen war der Sozialstaat. In den letztenfünf Jahren sind die Institutionen der Sozi-

Solidarität mit Griechenland zeigen!In unserem Online-Shop https://shop.die-linke.degibt es verschiedene Buttons und Aufkleber.

Solidarität mit Solidarität mit Solidarität mit Solidarität mit Solidarität mit Solidarität mit Solidarität mit Solidarität mit

aroufakis

ANZEIGE

Page 18: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 3130 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

Sehr geehrter Herr Vorsitzender der Eurogruppe

Antrag Griechenlands auf Verlängerung des laufenden Kreditprogramms

18. Februar 2015

alversicherung, des nationalen Gesund-heitssystems, der Wohlfahrt und der Bil-dung aber auch die Kultureinrichtungenzerstört worden. Die neue Regierung bringtein neues Verständnis der Rolle des Sozi-alstaates mit, der die Aufgabe hat, die Un-gleichheiten auszutarieren, die der freieMarkt de facto schafft.

Der Sozialstaat ist nicht lediglich dieSumme der Institutionen, die diejenigenschützen, die der freie Markt ausschließt,sondern im Gegenteil, er ist der Garant derBedingungen für Wohlstand und Würde fürdie Gesamtheit der Bevölkerung. SeineFunktion ist per definitionem egalitärer Na-tur. Genau aus diesem Grund misst die neueRegierung der Unterstützung und dem Aus-baudesSozialstaatesallergrößtenWertbei.

Keine Anhebung der Rentenaltersgren-zen also, keine Kürzungen der Haupt- undZusatzrenten! Wir werden den öffentlichenglobalen Umverteilungscharakter der So-zialversicherung unter Achtung der ge-setzlich verankerten Rentenansprücheaufrecht erhalten. Erste Maßnahme zurStärkung der Kleinrentner wird die Wie-dereinführung der 13. Rente als Weih-nachtsgeld für diejenigen, deren Renteniedriger als 700 Euro im Monat ist, am En-de des Jahres 2015 sein.

Aus diesem Grund errichten wir denFonds des Nationalen Reichtums und derSozialversicherung, in den Einnahmen ausder Verwertung des natürlichen Reichtumsund der Bodenschätze sowie des öffentli-chen Eigentums übertragen werden. Mitdiesem Fonds verfolgen wir das Ziel, die ge-plünderten Rücklagen der Versicherungs-kassen zu stärken, das heißt, die Solidari-tät zwischen den Generationen und inner-halb der Generationen zu gewährleisten.

Tag für Tag und Monat für Monat werdenwir ein öffentliches, kostenloses, qualita-tivesGesundheitssystemfüralleBürgerdesLandes aufbauen, wobei das Instrumenta-rium die Unterbindung des Flusses von öf-fentlichen Mitteln in den privaten Sektor,die umfangreiche Unterstützung der Ge-sundheitsstrukturen durch Humanres-sourcen und Logistik und die demokrati-sche Umstrukturierung der Systemverwal-tung sein wird.

BildungIm Bereich der Bildung sind unsere Zieleähnlich gelagert: Chancengleichheit, uni-verseller Zugang, hohes Ausbildungsni-veau. Der Bildung fällt eine zentrale Rollebei der großen nationalen Anstrengung desWiederaufbaus des Landes zu.

Bezüglich der Hochschulbildung werdendie Bestimmungen über die Hochschul-Gremien abgeschafft, da diese Institutionspektakulär gescheitert ist und gegen dasverfassungsmäßige Gebot der Selbstver-waltung der Hochschulen verstieß.

Besonderes Gewicht verleihen wir derFörderung von Forschung. Aus diesemGrund wurde auch ein zuständiger Stell-vertretender Minister für Forschung undInnovation ernannt. Die wissenschaftlicheForschung und Innovation spielen eineentscheidende Rolle bei der großen An-strengung zum Wiederaufbau von Gesell-schaft und Produktion. Mittel, die für die-sen Zweck aufgewendet werden, stellenkeine Ausgaben dar, sondern sind langfris-tige Investitionen.

AußenpolitikMeine Damen und Herren Abgeordneten,die Wiedererlangung der Würde des Lan-des und des Volkes setzt auch die Gestal-tung einer aktiven und mehrdimensionalenAußenpolitikvoraus,diesichzumZielsetzt:

Erstens, aktiv die Interessen des grie-chischen Volkes und die territoriale Un-versehrtheit, die Souveränität und die sou-veränen Rechte unseres Vaterlandes aufbilateraler Ebene aber auch gegenüber al-len internationalen Organisationen, denenunser Land angehört, zu verteidigen.

Zweitens, die friedliche Beilegung vonStreitigkeiten auf der Grundlage des Völ-kerrechts und die Vertrauensbildung. Be-sonders wichtig ist in diesem Zusammen-hang auch das Engagement der Regierungfür die Unterstützung von Gesprächen zwi-schen den Volksgruppen zur Lösung des Zy-pernkonflikts auf Grundlage der Resoluti-onen der Vereinten Nationen mit dem Zielder Wiedervereinigung der Insel in Formeiner bizonalen, bikommunalen Föderati-on mit einer Souveränität, einer Staatsan-gehörigkeit und einer internationalenRechtspersönlichkeit.

Wichtig ist auch, im Rahmen von Ge-sprächen unter Ägide der Vereinten Natio-nen im Namensstreit der ehemaligen ju-goslawischen Republik Mazedonien einefür beide Seiten annehmbare Lösung zufinden, auf der Grundlage einer zusam-mengesetzten Namensgebung mit geogra-phischer Bezeichnung für die allgemeineVerwendung.

Drittens, unsere Außenpolitik wird zumZiel haben, die regionale Rolle Griechen-lands als Pol von Frieden und Stabilität ineinem Dreieck großer Instabilität hervor-zuheben. Griechenland und Zypern bilden

ein Feld der Stabilität in einem Dreieck derInstabilität in der weitergefassten Region,mit der Krise in der Ukraine im Norden, derKrise in Syrien im Südosten und der Kriseder letzten Jahre in Nordafrika im Südwes-ten. Griechenland und Zypern sind weitentfernt von der Logik der Kalten Kriege,abseits von aussichtslosen Handelskriegenund angeblichen humanitären Interventi-onen, die gescheitert sind. Sie sind kons-tante Verteidiger des Völkerrechts, derUNO-Beschlüsse zum Aufbau einer umfas-senden und nachhaltigen europäischen Si-cherheitsarchitektur gerade in einer Zeit,die ein kohärentes Handeln gegenüber dessich verbreitenden katastrophalen Phäno-mens des Dschihadismus erfordert.

ReparationenMeine Damen und Herren Abgeordneten,ich könnte nicht meine Regierungserklä-rung abschließenund die moralischePflichtnicht nur gegenüber unserem Volk versäu-men, eine moralische Pflicht gegenüber derGeschichte, gegenüber allen Völkern Euro-pas, die gekämpft haben, die ihr Blut in denKampf gegen den Faschismus gaben.

Die Einforderung der Zwangsanleihe ausder Zeit des Zweiten Weltkrieges und derReparationszahlungen ist die historischePflicht der neuen griechischen Regierung.Ich bin überzeugt, dass wir hierbei auch dieUnterstützung aller Flügel der demokrati-schen Parteien des griechischen Parla-ments haben werden.

Meine Damen und Herren Abgeordne-ten, der Wind der neuen Einheit unseresVolkes hat die Saat einer neuen Zwietrachtweggeweht, in die leider manche investie-ren wollten.

Ich möchte aber auch jede einzelne po-litische Kraft auffordern, vor allem jedeeinzelne Abgeordnete und jeden einzelnenAbgeordneten, auch jenseits der Regie-rungsmehrheit, auch diejenigen, die gegenunsere Regierungserklärung stimmen wer-den, ich fordere jede und jeden von Ihneneinzeln auf, die nationale Anstrengung zustützen, die Verhandlungen zu stützen, un-ser Vaterland, Griechenland, in dieser kri-tischen Zeit zu stützen.

Wir verlangen nicht die Zustimmung zurKatastrophe, wie es andere Regierungenfrüher von uns verlangten. Wir fordern Zu-stimmung für die Erlösung, die Rettung, dasVorankommen, den Fortschritt, Zustim-mung dafür, dass wir unser Land wiedergleichberechtigt, stolz machen, mit Stim-me und mit Würde in Europa.(gekürzte Fassung, Zwischentitel der Redaktion)

das griechische Volk hat in den vergangenen fünf Jahren be-achtliche Anstrengungen zur wirtschaftlichen Anpassung un-ternommen. Die neue Regierung hat sich zu einem breiterenund tieferen Reformprozess verpflichtet mit dem Ziel, dau-erhaft bessere Wachstums- und Beschäftigungschancen zuschaffen, Schuldentragfähigkeit und Finanzstabilität zu er-reichen, die soziale Gerechtigkeit zu verbessern und die be-trächtlichen sozialen Kosten der aktuellen Krise zu mildern.

Die griechische Regierung erkennt an, dass die von denVorgängerregierungen vereinbarten Verfahren durch diejüngsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ausge-setzt und einige der technischen Regelungen dadurch un-wirksam wurden. Die griechische Regierung steht zu den fi-nanziellen Verpflichtungen Griechenlands gegenüber allenseinen Gläubigern und ist zur Zusammenarbeit mit ihren Part-nern bereit, um technische Schwierigkeiten im Zusammen-hang mit der Hauptfinanzhilfefazilität, die wir finanz- und ver-fahrenstechnisch als verbindlich anerkennen, zu beseitigen.

Vor diesem Hintergrund beantragt die griechische Re-gierung hiermit die Verlängerung der Vereinbarung über ei-ne Hauptfinanzhilfefazilität um sechs Monate nach ihremAblauf. Während dieses Zeitraums werden wir gemeinsamund unter bestmöglicher Nutzung der in der aktuellen Ver-einbarung vorgesehenen Flexibilität dafür sorgen, dass die-se auf Grundlage der Vorschläge der griechischen Regierungeinerseits und der Institutionen andererseits erfolgreich ab-geschlossen und überarbeitet wird.

Die beantragte Verlängerung der Geltungsdauer der Ver-einbarung um sechs Monate soll für folgende Zwecke ge-nutzt werden:(a) Einigung auf gegenseitig akzeptable Finanzierungs- und

Verfahrensbedingungen, deren Umsetzung in Zusam-menarbeit mit den Institutionen eine Stabilisierung dergriechischen Haushaltslage, die Erzielung angemesse-ner Primärüberschüsse und Gewährleistung von Schul-dentragfähigkeit ermöglichen und zur Erlangung vonHaushaltszielen für 2015, die die derzeitige wirtschaft-liche Lage berücksichtigen, beitragen wird.

(b) Sicherstellung – in enger Zusammenarbeit mit unsereneuropäischen und internationalen Partnern – einer voll-

ständigen Finanzierung jeglicher neuer Maßnahmenunter Verzicht auf unilaterale Schritte, die die Haus-haltsziele, wirtschaftliche Erholung und Finanzstabili-tät gefährden würden.

(c) Wiedereinführung der Ausnahmeregelung (waiver)durch die Europäische Zentralbank gemäß ihren Ver-fahren und Vorschriften.

(d) Verlängerung der Bereitstellung der vom HFSF gehalte-nen EFSF-Anleihen während der Geltungsdauer der Ver-einbarung.

(e) Beginn der Arbeiten zwischen den technischen Teamsan einem von der griechischen Regierung angedach-ten neuen »Aufschwungs- und Wachstumsvertrag«(Contract for Revocery and Growth) zwischen Grie-chenland, Europa und dem Internationalen Wäh-rungsfonds zur möglichen Ablösung der aktuellen Ver-einbarung.

(f) Einigung auf eine Überwachung im Rahmen der EU undEZB und analog dazu mit dem IWF während der Gel-tungsdauer der verlängerten Vereinbarung.

(g) Erörterung von Möglichkeiten zur Umsetzung des Be-schlusses der Eurogruppe vom November 2012 betref-fend weitere Schulden- und Hilfsmaßnahmen, die nachAuslaufen der verlängerten Vereinbarung und als Teileines Folgevertrags umgesetzt werden könnten.

In diesem Sinne bekundet die griechische Regierung ihrenWillen zur engen Zusammenarbeit mit den Institutionen derEuropäischen Union und dem Internationalen Währungs-fonds mit dem Ziel, a) eine stabile Haushalts- und Finanzla-ge herzustellen sowie b) der griechischen Regierung die Ver-abschiedungsubstanziellerundweitreichenderReformenzuermöglichen, die erforderlich sind, um den Lebensstandardvon Millionen griechischer Bürger durch nachhaltigesWachstum, Erwerbstätigkeit und sozialen Zusammenhaltwiederherzustellen.

Mit freundlichen GrüßenYanis VaroufakisFinanzminister Hellenische Republik

Am 18. Februar stellte die SYRIZA-geführteRegierung ihren Antrag auf Verlängerung deslaufenden Kreditprogramms – entgegen frühererPläne. Doch die europäischen Gläubiger hatteneine schnelle Kursänderung in der EU-Krisenpolitikblockiert. Am 20. Februar einigte sich die Euro-

gruppe mit Griechenland auf eine vorläufigeVereinbarung, am 24. Februar segneten die Finanz-minister der Eurozone eine Liste mit Maßnahmenab, die den Spielraum der Regierung in Athenumreißen, nach eigenen Vorstellungen zu handeln.Wie dokumentieren die wichtigsten Papiere.

Page 19: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 3332 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

Sehr geehrter Herr Vorsitzender der Eurogruppe

Die Liste Athens, die der Eurogruppe vorgelegt wurde

Beim Treffen der Eurogruppe am 20. Februar 2015 wurde diegriechische Regierung aufgefordert, den Institutionen bisMontag, dem 23. Februar 2015, eine erste umfassende Listemit den von ihr angestrebten Reformmaßnahmen vorzule-gen, die bis Ende April 2015 weiter zu konkretisieren und zuvereinbaren sind.

Neben der Kodifizierung ihrer Reformagenda verpflich-tete sich die griechische Regierung gemäß der programma-tischen Erklärung des Premierministers Tsipras gegenüberdem griechischen Parlament, sich eng mit den europäischenPartnern und Institutionen und dem Internationalen Wäh-rungsfonds abzustimmen und Maßnahmen zur Stärkung derTragfähigkeit der öffentlichen Finanzen, Sicherung der Fi-nanzstabilität und Förderung der wirtschaftlichen Erholungzu ergreifen.

NachfolgendistdieersteumfassendeListemitdenvondergriechischen Regierung angestrebten Reformmaßnahmenaufgeführt. Es ist unsere Absicht, diese Maßnahmen unterInanspruchnahme der verfügbaren fachlichen Unterstüt-zung und Finanzierung durch den Europäischen Struktur-und Investitionsfonds umzusetzen.

Yanis VaroufakisFinanzminister Hellenische Republik

I.Finanz- und strukturpolitische

Maßnahmen

Steuerpolitik

Griechenland verpflichtet sich zu folgenden Maßnahmen:– Reform der Mehrwertsteuerpolitik, -verwaltung und -

durchsetzung.EswerdenbeträchtlicheAnstrengungenzurVerbesserung der Beitreibung und zur Bekämpfung derHinterziehung unter konsequenter Nutzung elektroni-scher Mittel und anderer technologischer Innovationenunternommen. Die Mehrwertsteuerpolitik wird im Hin-blick auf die Sätze vereinfacht, und zwar so, dass die tat-sächlichen Einnahmen maximiert werden, ohne dass sichdies negativ auf die soziale Gerechtigkeit auswirkt; zu-dem wird die Begrenzung der Ausnahmeregelungen undder Beseitigung unangemessener Nachlässe angestrebt.

– ÄnderungderBesteuerungvongemeinsamenAnlagenundder Vergünstigungen auf bestimmte Einkünfte und derenAufnahme in das Einkommensteuergesetz.

– Die Definition von Steuerbetrug und -hinterziehung wirderweitert und die Steuerimmunität aufgehoben.

– Modernisierung des Einkommensteuergesetzes und Ab-schaffung von Befreiungen sowie ggf. deren Ablösungdurch auf die Verbesserung der sozialen Gerechtigkeit ab-zielende Maßnahmen.

– Resolute Umsetzung und Verbesserung der Rechtsvor-schriften zu Verrechnungspreisen.

– Es werden Anstrengungen zur Schaffung einer neuen Kul-tur der Steuerehrlichkeit unternommen, um sicherzustel-len, dass alle Gesellschaftsgruppen, insbesondere dieWohlhabenden, einen gerechten Beitrag zur Finanzierungder staatlichen Maßnahmen leisten. In diesem Zusam-menhang soll mit der Hilfe europäischer und internationa-ler Partner eine Vermögensdatenbank zur Unterstützungder Steuerbehörden bei der Ermittlung der Richtigkeit vor-heriger Einkommensteuererklärungen geschaffen werden.

Verwaltung der öffentlichen Finanzen

Griechenland wird die folgenden Maßnahmen ergreifen:– Verabschiedung von Änderungen am Haushaltsrahmen-

gesetz und Ergreifung von Maßnahmen zur Verbesserungder Verwaltung der öffentlichen Finanzen. Der Haus-haltsvollzug und die Überwachungs- und Meldezustän-digkeiten werden verbessert und geklärt. Die Zahlungs-verfahren werden modernisiert und beschleunigt; gleich-zeitig wird unabhängigen Behörden und/oder Regulie-rungsbehörden ein höheres Maß an finanzieller und haus-haltspolitischer Flexibilität und Rechenschaft gewährt.

– Ausarbeitung und Umsetzung einer Strategie zur Beglei-chung von Zahlungsrückständen, Steuererstattungen undRentenansprüchen.

– Verwandlung des bereits etablierten (obgleich bislang ru-henden) Rats für Finanzpolitik (Fiscal Council) in eine vollfunktionsfähige Stelle.

Finanzverwaltung

Griechenland wird die Steuer- und Zollverwaltungen un-ter Zuhilfenahme der verfügbaren technischen Hilfe mo-dernisieren. Zu diesem Zweck wird Griechenland folgen-de Maßnahmen ergreifen:– Verbesserung der Offenheit, Transparenz und internationa-

len Reichweite des Verfahrens, nach dem der Generalsekre-tär des Generalsekretariats der Steuerverwaltung ernannt,mit Blick auf dessen Leistung kontrolliert und ersetzt wird.

– Stärkung der Unabhängigkeit des Generalsekretariats derSteuerverwaltung (GSPR), ggf. durch weitere Gesetze zumSchutze vor allen Arten der Einflussnahme (politischer

Die Eurogruppe bekundet erneut ihre Wertschätzung derbeachtlichen Anpassungsbemühungen, die Griechenlandund das griechische Volk in den vergangenen Jahren unter-nommen haben. In den letzten Wochen haben wir zusam-men mit den Institutionen einen intensiven und konstruk-tiven Dialog mit der neuen griechischen Regierung geführtund haben heute eine gemeinsame Basis gefunden.

Die Eurogruppe nimmt im Rahmen der bestehenden Ver-einbarungen den Antrag der griechischen Regierung auf ei-ne Verlängerung der Vereinbarung über eine Hauptfinanz-hilfefazilität (MFFA), der mit diversen Verpflichtungen un-terlegt ist, zur Kenntnis. Zweck der Verlängerung ist der er-folgreiche Abschluss der Überprüfung auf Grundlage der inder laufenden Vereinbarung enthaltenen Bedingungen un-ter optimaler Nutzung der darin gegebenen Flexibilität, diezusammen mit der griechischen Regierung und den Insti-tutionen berücksichtigt werden wird. Mit der Verlängerungsoll auch die Zeit für Gespräche über eine mögliche Folge-vereinbarung zwischen der Eurogruppe, den Institutionenund Griechenland überbrückt werden.

Die griechische Regierung wird bis Montagabend, 23.Februar, eine erste Liste mit Reformmaßnahmen aufGrundlage der aktuellen Vereinbarung vorlegen. Die Insti-tutionen werden dann eine erste Einschätzung abgeben, obdiese Liste umfassend genug ist, um als tragfähiger Aus-gangspunkt für einen erfolgreichen Abschluss der Über-prüfung dienen zu können. Die Liste wird dann weiter kon-kretisiert und mit den Institutionen bis Ende April verein-bart.

Jedwede Auszahlung der ausstehenden Tranche desEFSF-Programms und die Überweisung der SMP-Gewinne2014 ist nur möglich, wenn die Institutionen dem Ab-schluss der Überprüfung der verlängerten Vereinbarungzustimmen. Beide Maßnahmen müssen von der Eurogrup-pe genehmigt werden.

Aufgrund der Bewertung der Institutionen ist die Euro-gruppe damit einverstanden dass die bislang in dem HFSF-Puffer verfügbaren Mittel während der Verlängerung derMFFA, frei von Rechten Dritter, von der EFSF gehalten wer-den. Die Mittel bleiben während der Verlängerung derMFFA verfügbar und können nur zur Rekapitalisierung undAbwicklung von Banken verwendet werden. Sie werdennur auf Antrag von der EZB/dem SSM freigegeben.

Vor diesem Hintergrund begrüßen wir die Zusage dergriechischen Regierung, in enger Übereinstimmung mit deneuropäischen und internationalen Institutionen und Part-nern zusammenzuarbeiten. In diesem Zusammenhang er-innern wir an die Unabhängigkeit der Europäischen Zent-

ralbank. Wir kamen ebenfalls überein, dass der IWF wei-terhin seine Rolle spielen wird.

Die griechische Regierung hat sich ausdrücklich zu ei-nem breiteren und tieferen Reformprozess verpflichtet mitdem Ziel, dauerhaft bessere Wachstums- und Beschäfti-gungschancen zu schaffen, für einen stabilen und krisen-festen Finanzsektor zu sorgen und die soziale Fairness zuverbessern.

Die Regierung verpflichtet sich zur Umsetzung langüberfälliger Reformen, um Korruption und Steuerhinter-ziehung zu bekämpfen sowie die Effizienz des öffentlichenSektors zu erhöhen. Dabei verpflichtet sich die griechischeRegierung, die weiterhin bereitgestellte technische Hilfeoptimal zu nutzen. Die griechische Regierung bekräftigt ih-re eindeutige Zusage, ihre finanziellen Verpflichtungen ge-genüber all ihren Gläubigern vollständig und fristgerecht zuerfüllen.

Des Weiteren hat sich die griechische Regierung ver-pflichtet, die zur Gewährleistung der Schuldentragfähig-keit gemäß der Erklärung der Eurogruppe vom November2012 erforderlichen angemessenen Primärüberschüssebzw. Finanzierungserlöse sicherzustellen. Die Institutio-nen werden bei dem Primärüberschussziel für 2015 diewirtschaftlichen Umstände in 2015 berücksichtigen.

Angesichts dieser Zusagen begrüßen wir, dass in einigenBereichen die Politikprioritäten Griechenlands zu einerStärkung und besseren Umsetzung der aktuellen Verein-barung beitragen können. Die griechische Regierung ver-pflichtet sich, auf eine Zurücknahme von bisherigen Maß-nahmen sowie einseitige Änderungen an den Wirtschafts-und Strukturreformen, die sich nach Einschätzung der Ins-titutionen negativ auf die Haushaltsziele, wirtschaftlicheErholung und Finanzstabiltät auswirken würden, zu ver-zichten.

Gestützt auf den Antrag, die Zusagen der griechischenRegierung, den Rat der Institutionen und die heutige Eini-gung werden wir die entsprechenden nationalen Verfahreneinleiten, damit das Direktorium der EFSF die Verlänge-rung der laufenden EFSF-Vereinbarung über eine Hauptfi-nanzhilfefazilität (MFFA) um bis zu vier Monate endgültigbeschließen kann. Gleichzeitig bitten wir die Institutionenund die griechische Regierung, sich unverzüglich wieder andie zum erfolgreichen Abschluss der Überprüfung erfor-derliche Arbeit zu machen.

Wir bleiben weiterhin verpflichtet, Griechenland bis zurWiedererlangung eines vollständigen Marktzugangs ange-messen zu unterstützen, solange das Land seine Verpflich-tungen innerhalb des vereinbarten Rahmens erfüllt.

Erklärung der Eurogruppe zu Griechenland

20. Februar 2015

Page 20: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 3534 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

oder anderer Natur) bei gleichzeitiger Gewährleistung der vol-len Transparenz und Rechenschaft für seine Tätigkeiten. Zu die-sem Zweck werden die Regierung und der GSPR die verfügbaretechnische Hilfe in vollem Umfang nutzen.

– Quantitativ und qualitativ angemessene Personalbesetzung desGSPR, insbesondere die mit den Vermögenden und Groß-schuldnern befassten Einheiten der Finanzverwaltung, und Si-cherstellung,dasserüberrobusteBefugnisseaufdemGebietderErmittlung/Strafverfolgung verfügt und Ressourcen hat, die aufden Kapazitäten der SDOE aufbauen, um dem Steuerbetrug undden Steuerrückständen der höheren Einkommensgruppen ef-fektiv zu begegnen. Es werden die Vorteile einer Integration derSDOE in die GSPR berücksichtigt.

– Zunahme bzw. Erhöhung von Inspektionen, risikobasierten Be-triebsprüfungen und Beitreibungskapazitäten und gleichzeitigeBemühung, die Beitreibung von Einnahmen und Sozialversi-cherungsbeiträgen auf gesamtstaatlicher Ebene zu integrieren.

Öffentliche Ausgaben

Die griechische Regierung verpflichtet sich zu Folgendem:– Eine Überprüfung und Kontrolle der Ausgaben in allen Berei-

chen der Staatsausgaben (z. B. Bildung, Verteidigung, Verkehr,Kommunalverwaltung, Sozialleistungen).

– Hinwirkung auf eine drastische Verbesserung der Effizienz dervonderzentralenundlokalenRegierungverwaltetenStellenundEinheiten, indem auf Haushaltsverfahren, Verwaltungsum-strukturierungen und die Umverteilung von schlecht eingesetz-ten Ressourcen abgezielt wird.

– Identifizierung von Maßnahmen zur Kosteneinsparung mittelseiner gründlichen Ausgabenüberprüfung aller Ministerien undRationalisierung von gehalts- und rentenunabhängigen Ausga-ben, die aktuell ganze 56 % der öffentlichen Gesamtausgabenausmachen.

– Umsetzung von Rechtsvorschriften (aktuell in Entwurfsformbeim Obersten Rechnungshof) zur Überprüfung von Lohnne-benleistungen im öffentlichen Sektor.

– Validierung der Leistungen mittels Gegenkontrollen in den zu-ständigen Behörden und Verzeichnissen (z. B. Steuernummer-register, AMKA-Register), die helfen, nicht anspruchsberech-tigte Begünstigte zu identifizieren.

– Kontrolle der Ausgaben im Gesundheitswesen und Verbesse-rung der medizinischen Versorgung und Qualität unter Wah-rung des allgemeinen Zugangs zu medizinischen Leistungen. Indiesem Zusammenhang beabsichtigt die Regierung, gemein-sam mit europäischen und internationalen Institutionen, ein-schließlich der OECD, konkrete Vorschläge zu unterbreiten.

Sozialversicherungsreform

Griechenland verpflichtet sich, die Modernisierung des Ren-tensystems fortzuführen. Die Regierung wird folgende Maß-nahmen ergreifen:– Fortsetzung der Arbeiten an Verwaltungsmaßnahmen zur Ver-

einheitlichung und Optimierung der Rentenpolitik sowie zur Be-seitigung von Schlupflöchern und Anreizen, die in der gesamtenWirtschaft, insbesondere im Bankensektor und öffentlichenDienst, zu einer übermäßig hohen Zahl an vorzeitigen Renten-eintritten führen.

– Zusammenlegung von Rentenfonds zur Erzielung von Einspa-rungen.

– Stufenweise haushaltsneutrale Abschaffung von Gebühren imNamen »Dritter« (Bagatellgebühren).

– Engere Kopplung von Rentenbeiträgen an das Einkommen, Ver-einheitlichung von Leistungen, Stärkung von Anreizen zur An-meldung von Erwerbstätigkeiten sowie gezielte Unterstützungvon Arbeitnehmern zwischen 50 und 65 Jahren, unter anderemdurch ein garantiertes Mindesteinkommen, um den sozialen undpolitischen Druck zu beseitigen, vorzeitig in den Ruhestand zutreten und damit die Rentenfonds zu überlasten.

Öffentliche Verwaltung & Korruption

Griechenland will eine moderne öffentliche Verwaltung. Zu die-sem Zweck werden folgende Maßnahmen ergriffen:– Die Korruptionsbekämpfung wird landesweit zur Priorität er-

hoben und der Nationale Aktionsplan zur Bekämpfung der Kor-ruption vollständig umgesetzt.

– Bekämpfung des Schmuggels von Tabakprodukten und Kraft-stoffen, Überwachung der Preise importierter Waren (um Ein-nahmeverluste während des Imports zu vermeiden) und Be-kämpfung der Geldwäsche. Die Regierung beabsichtigt, in die-sen Bereichen unverzüglich ehrgeizige Einnahmeziele festzu-legen, die unter Federführung des neu geschaffenen Postens desStaatsministers verfolgt werden sollen.

– Reduzierung (a) der Anzahl der Ministerien (von 16 auf 10), (b)der Anzahl der »Sonderberater« in der Regierung und (c) der Zu-satzleistungen für Minister, Abgeordnete und Spitzenbeamte (z.B. Dienstwagen, Reisekosten, Zuschüsse).

– Verschärfung der Rechtsvorschriften über die Finanzierung po-litischer Parteien und Aufnahme von Obergrenzen für die Kre-ditaufnahme bei Finanz- und sonstigen Instituten.

– Unverzügliche Inkraftsetzung der aktuellen (jedoch ruhenden)Rechtsvorschriften, in denen die Erträge von Medienunterneh-men (Presse und elektronischen Medien) geregelt sind, um si-cherzustellen (durch ordnungsgemäß konzipierte Auktionen),dass sie den staatlichen Marktpreis für genutzte Frequenzenzahlen, und in denen die Weiterführung verlustbringender Me-dienbetriebe (ohne einen transparenten Rekapitalisierungs-prozess) untersagt ist.

– Schaffung eines transparenten, elektronisch verfügbaren, ins-titutionellen Rahmenwerks mit Echtzeitfunktion für öffentlicheAusschreibungen/die öffentliche Beschaffung; Wiedereinfüh-rung von DIAVGEIA (ein vernachlässigtes, elektronisch verfüg-bares, öffentliches Register mit Informationen zu Aktivitäten imöffentlichen Beschaffungswesen).

– ReformierungderVergütungstabellen imöffentlichenDienstmitdem Ziel, die Lohnverteilung durch Produktivitätssteigerungenund einer angemessenen Einstellungspolitik zu entschärfen,ohne die derzeitigen Lohnuntergrenzen zu senken. Gleichzeitigwird jedoch dafür Sorge getragen, dass die Lohn- und Gehalts-kosten im öffentlichen Dienst nicht steigen.

– Rationalisierung der Lohnnebenleistungen mit dem Ziel, im Ein-klang mit der bewährten EU-Praxis die Gesamtausgaben zu sen-ken, ohne die Arbeitsfähigkeit des öffentl. Sektors zu gefährden.

– Unterstützung von Maßnahmen, um die Verfahren zur Perso-nalgewinnung zu verbessern, die leistungsorientierte Beset-zung von Managerposten zu fördern, Mitarbeiterbewertungenauf der Grundlage objektiver Beurteilungen zu erstellen und ge-rechte Verfahren zur maximalen Erhöhung der Mobilität vonPersonal und anderen Ressourcen innerhalb des öffentlichenSektors zu entwickeln.

II.Finanzstabilität

Ratenzahlungsregelungen

Griechenland verpflichtet sich zu Folgendem:– Umgehende Nachbesserung bei der Gesetzgebung über die Be-

gleichung von Zahlungsrückständen bei Steuern und Sozialab-gaben in Übereinstimmung mit den Institutionen.

– Anpassungen bei den Ratenzahlungsregelungen, sodass effek-tiv zwischen Folgendem unterschieden werden kann: (a) stra-tegischem Zahlungsverzug/Zahlungsausfall und (b) Zahlungs-unfähigkeit; im Fall von (a) werden betroffene Privatperso-nen/Unternehmen mittels zivil- und strafrechtlicher Verfahrengezielt verfolgt (vor allem in den hohen Einkommensgruppen),im Fall von (b) werden betroffenen Privatpersonen/Unterneh-men Rückzahlungskonditionen angeboten, die das Überlebenpotenziell solventer Unternehmen sichern, Mitnahmeeffektevermeiden, moralische Risiken ausschließen und die sozialeVerantwortung sowie eine ordnungsgemäße Rückzahlungs-mentalität fördern.

– Entkriminalisierung von Schuldnern mit niedrigen Einkommenund geringen Verbindlichkeiten.

– Intensivierung der Vollstreckungsmaßnahmen und -verfahren,darunter der Rechtsrahmen für die Beitreibung ausstehenderSteuern und die Einführung wirksamer Beitreibungsinstru-mente.

Bankenwesen und notleidende Kredite

Griechenland verpflichtet sich zu Folgendem:– Banken sollen ihre Geschäfte nach soliden kaufmännischen und

bankwirtschaftlichen Prinzipien führen.– Vollständige Nutzung des griechischen Finanzstabilisierungs-

fonds (HFSF) und Sicherstellung in Zusammenarbeit mit demSSM, der EZB und der Europäischen Kommission, dass er seinerSchlüsselrolle bei der Sicherung der Stabilität des Bankensek-tors sowie bei der Kreditvergabe an Unternehmen unter Einhal-tung der EU-Wettbewerbsregeln in angemessener Weise nach-kommt.

– Umgang mit notleidenden Krediten unter vollständiger Berück-sichtigung der Kapitalausstattung der Banken (unter Beachtungdes verabschiedeten Verhaltenskodex für Banken), der Ar-beitsweise des Rechtssystems, der Lage auf dem Immobilien-markt sowie von Fragen der sozialen Gerechtigkeit und von ne-gativen Auswirkungen auf den Staatshaushalt.

– Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung der Banken und denInstitutionen, um im kommenden Zeitraum Versteigerungen vonHauptwohnungen von Personen mit Einkommen unter einer be-stimmten Schwelle zu vermeiden und gleichzeitig strategischmotivierte säumige Schuldner zu bestrafen, mit dem Ziel: (a) dieUnterstützung des umfangreichen Reformprogramms durch dieGesellschaft aufrechtzuerhalten, (b) einen weiteren Verfall derImmobilienpreise zu verhindern (der sich nachteilig auf die Port-folios der Banken auswirken würde), (c) die finanziellen Auswir-

GR for Growth, steht in der Ecke. Man kann das als Appell für mehr Wachstum in Griechenlands lesen. Die Troika-Programmehaben dazu nicht viel beigetragen. Wann darf die neue Regierung den Kurswechsel vollziehen? Foto: Reuters/Alkis Konstantinidis

Page 21: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 3736 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

kungen gestiegener Obdachlosenzahlen so gering wie möglich zuhalten und (d) eine starke Zahlungsmentalität zu fördern.

– Maßnahmen werden ergriffen, um die am stärksten gefährdetenHaushalte zu unterstützen, die ihre Kredite nicht bedienen kön-nen.

– Angleichung des Gesetzes zur außergerichtlichen Einigung andie Ratenzahlungsregelungen nach deren Änderung, um die Ri-siken für die öffentlichen Finanzen und die Zahlungsmentalitätzu begrenzen und gleichzeitig die Umschuldung im Privatsektorzu erleichtern.

– Modernisierung des Konkursrechts und Abbau der Bearbei-tungsrückstände .

III.Wachstumsfördernde Maßnahmen

Privatisierungen und Verwaltung desöffentlichen Vermögens

Zur Förderung der Investitionstätigkeit in wichtigen Bereichenund effizienten Nutzung des staatlichen Vermögens verpflich-tet sich die griechische Regierung zu Folgendem:– Keine Rücknahme von bereits abgeschlossenen Privatisierun-

gen. In Fällen, in denen das Ausschreibungsverfahren bereitsläuft, respektiert die Regierung dieses gemäß den rechtlichenVorschriften.

– SicherstellungderGrundversorgungmitöffentlichenGüternundDienstleistungendurchprivatisierteUnternehmen/BranchenimEinklang mit den nationalen politischen Zielen sowie dem EU-Recht.

– Überprüfung von noch nicht eingeleiteten Privatisierungen un-ter dem Gesichtspunkt der Verbesserung der Bedingungen mitdem Ziel, den langfristigen Nutzen für den Staat zu maximie-ren, Einnahmen zu erzielen, den Wettbewerb in der lokalenWirtschaft zu fördern, einen nationalen Wirtschaftsauf-schwung zu ermöglichen und die langfristigen Wachstums-chancen zu erhöhen.

– Ab sofort Anwendung einer Verfahrensweise, bei der jeder neueFall einzeln sachlich geprüft wird, mit Schwerpunkt auf lang-jährigen Mietverträgen, Joint Ventures (öffentlich-private Zu-sammenarbeit) und Verträgen, mit denen nicht nur die staatli-chen Einnahmen, sondern auch die zu erwartende private In-vestitionstätigkeit maximiert werden.

– Zusammenlegung (des HRDAF) mit verschiedenen Verwal-tungsagenturen für öffentliches Vermögen (die derzeit über dengesamten öffentlichen Sektor verteilt sind) mit dem Ziel, staat-liches Vermögen aufzubauen und durch mikroökonomische Re-formen und Reformen im Bereich der Eigentumsrechte den Wertdieses Vermögens zu steigern.

Arbeitsmarktreformen

Griechenland verpflichtet sich zu folgenden Maßnahmen:– Erreichen der bewährten EU-Praxis im gesamten Bereich des Ar-

beitsmarktrechts durch Konsultationen mit den Sozialpartnernunter Hinzuziehung der Fachkompetenz und vorhandenen In-formationen der ILO, der OECD und der verfügbaren techni-schen Hilfe.

– Ausbau und Weiterentwicklung des bestehenden Programmszur Schaffung befristeter Beschäftigungsangebote für Arbeits-

lose in Abstimmung mit den Partnern, sofern der Haushalt dieszulässt, und Verbesserung der Programme im Rahmen der akti-ven Arbeitsmarktpolitik mit dem Ziel der Auffrischung der Qua-lifikationen von Langzeitarbeitslosen.

– Schrittweise Einführung eines »intelligenten« Tarifverhand-lungsverfahrens, das ein Gleichgewicht zwischen notwendigerFlexibilität und Gerechtigkeit schafft. Dies umfasst auch die an-gestrebte Vereinheitlichung und schrittweise Anhebung derMindestlöhne dergestalt, dass Wettbewerbsfähigkeit und Be-schäftigungsaussichten gesichert bleiben. Umfang und Zeit-punkt der Änderungen beim Mindestlohn werden in Abstim-mung mit den Sozialpartnern sowie den europäischen und in-ternationalen Institutionen, darunter die ILO, festgelegt untervollumfänglicher Berücksichtigung der Einschätzung einer neu-en unabhängigen Stelle dazu, ob die Lohnänderungen mit derProduktivitätsentwicklung und Wettbewerbsfähigkeit im Ein-klang stehen.

Produktmarktreformen und besseresGeschäftsumfeld

Im Rahmen einer neuen Reformagenda verpflichtet sich Grie-chenland weiterhin zu Folgendem:– Abbau von Wettbewerbshindernissen auf der Grundlage von

Empfehlungen der OECD.– Stärkung der griechischen Wettbewerbsbehörde HCC.– Einführung von Maßnahmen zum Bürokratieabbau entspre-

chend den Empfehlungen der OECD, u. a. Erlass von Vorschrif-ten, nach denen Behörden keine Unterlagen anfordern dürfen(von Bürgern und Unternehmen), die Informationen enthalten,die dem Staat bereits vorliegen (in derselben oder einer ande-ren Behörde).

– Besseres Flächennutzungsmanagement, darunter Maßnahmenzur Raumplanung, Flächennutzung und zur Einrichtung einesangemessenen Grundbuchamts.

– Fortsetzung der Anstrengungen zur Aufhebung unverhältnis-mäßiger und ungerechtfertigter Beschränkungen bei den regle-mentierten Berufen im Rahmen der Gesamtstrategie zur Auflö-sung etablierter Interessen.

– Angleichung der Gas- und Strommarktregulierung an die be-währte EU-Praxis sowie das EU-Recht.

Justizreform

Die griechische Regierung verpflichtet sich zu folgenden Maß-nahmen:– Verbesserung der Organisation der Gerichte durch stärkere

Spezialisierung und in diesem Zusammenhang Verabschiedungeiner neuen Zivilprozessordnung.

– Vorantreibung der Digitalisierung der Gesetzbücher und deselektronischen Einreichungssystems sowie der Verwaltungs-strukturen in der Justiz.

Statistiken

Die griechische Regierung bekräftigt ihre Bereitschaft zu Fol-gendem:– Vollumfängliche Erfüllung der Verpflichtung zu zuverlässigen

Statistiken – insbesondere Sicherstellung der institutionellenUnabhängigkeit von ELSTAT sowie ausreichender Mittel für dieUmsetzung des Arbeitsprogramms von ELSTAT.

– Gewährleistung der Transparenz undOrdnungsmäßigkeit des Verfahrens zurBestellung des ELSTAT-Präsidenten imSeptember 2015 in Zusammenarbeit mitEUROSTAT.

IV.Humanitäre Krise

Die griechische Regierung bestätigt ih-ren Plan zur Umsetzung folgender Maß-nahmen:– Erfüllung der Bedürfnisse, die mit dem

jüngsten Anstieg der absoluten Armut(unangemessener Zugang zu Nahrung,Unterkunft, medizinischer Versorgungund grundlegender Energielieferung)einhergehen, durch gezielte nichtfi-

nanzielle Hilfen (z. B. Lebensmittel-marken).

– Durchführung dieser Hilfsmaßnahmendergestalt, dass die Reform der öf-fentlichen Verwaltung und der Kampfgegen Bürokratie/Korruption unter-stützt werden (z. B. Ausgabe einer »in-telligenten Bürgerkarte«, die als Per-sonalausweis, im Gesundheitswesensowie für den Zugang zum Lebensmit-telmarkenprogramm eingesetzt wer-den kann).

– Auswertung des Pilotprojekts zum ga-rantierten Mindesteinkommen im Hin-blick auf seine mögliche Ausweitung aufganz Griechenland.

– Sicherstellung, dass die Haushaltslagedurch die Bekämpfung der humanitärenKrise nicht beeinträchtigt wird.

Zinsen für Berlin,Almosen in Athen

Die Bundesregierung hat bis 2014vom griechischen Staat rund 360 Mil-lionenEuroanZinszahlungenausdemerstenKreditprogrammvomMai2010erhalten. In den nächsten Jahren wür-den weitere 20 Millionen fällig, so dasBundesfinanzministerium. Die Re-gierung in Berlin hatte Athen über dieStaatsbank KfW 22,4 Milliarden Eurogeliehen. Die Rückzahlung der Kredi-te soll im Jahr 2020 beginnen. Hinzukommen die Zinszahlungen aus denEFSF- und ESM-Kreditlinien, zu denendie Bundesregierung bisher keine An-gaben gemacht hat.

»Die griechische Krise ist fürDeutschland also auch noch ein ein-trägliches Geschäft. Lässt sich etwaWolfgang Schäuble seine SchwarzeNull auch von Griechenland mitfi-nanzieren?«, fragte Linksfraktions-chef Gregor Gysi. In der Bundesre-gierung wird das zurückgewiesen – esseien Kredite mit einem hohen Aus-fallrisiko, außerdem seien die Beträ-ge im Vergleich zu der Kreditsummegering.

Trotzdem kann an dieser Stelle einweiterer Vergleich helfen, die Ver-hältnisse zu beleuchten.

Anfang März sandte GriechenlandsFinanzminister Yanis Varoufakis er-neut einen Brief an die Eurogruppe. Indem elfseitigen Schreiben sind unteranderem detaillierte Vorschläge fürMaßnahmen aufgelistet, mit denenAthen mehr finanziellen Spielraumgewinnen und in denen es um die mitden europäischen Gläubigern ver-einbarten Reformen etwa gegenSteuerbetrug geht. Zudem sind kon-kretere Vorstellungen über Schrittegegen die humanitäre Krise enthal-ten. Eine Bürger-Card soll von ArmutBetroffenen Zugang zu Lebensmit-telhilfen ermöglichen. Geplant sindZuwendungen von 100 Euro pro Mo-nat für Ernährung für Bedürftige undein freies Budget von 300 kw/h proMonat für die von Elektrizitätssper-ren am meisten betroffenen 150 000Haushalte. Die Kosten setzt Finanz-minister Varoufakis in dem Schreibenmit etwas mehr 200 Millionen Eurofür die ersten neun Monate an. vk

Die falsche Medizin: bei einer Protestaktion gegen den Krisenkurs derBundesregierung am 15. Februar in Athen Foto: AFP/Angelos Tzortzinis

Page 22: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 3938 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

Lieber Jeroen,

Brief von Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der Europäischen Kommission, und Pierre Moscovici, Währungskommissar, an den Vorsitzenden der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem

24. Februar 2015

Lieber Jeroen,

Brief von EZB-Präsident Mario Draghi an den Vorsitzenden der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem

24. Februar 2015

Lieber Jeroen,

Brief von IWF-Chefin Christine Lagarde an den Vorsitzenden der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem

23. Februar 2015

meine Mitarbeiter haben am Wochenende die von der griechi-schen Regierung erstellte Maßnahmenliste geprüft. Wir sind derAnsicht, dass sie weitgehend die Themen abdeckt, die auf derAgenda der neuen Regierung stehen sollten. In Anbetracht des-sen können wir uns durchaus der Aussage anschließen, dassdiese Liste »umfassend genug ist, um als tragfähiger Aus-gangspunkt für einen erfolgreichen Abschluss der Überprüfungdienen zu können«, wie von der Eurogruppe bei ihrer letzten Sit-zung gefordert. Gleichwohl sollte ein endgültiger Beschluss indieser Sache vornehmlich auf der Grundlage der Bewertungdurch die Mitgliedstaaten selbst und die betreffenden europäi-schen Institutionen erfolgen.

Die von der Regierung erstellte Liste ist zwar umfangreich,jedoch nicht sehr konkret, womit wohl zu rechnen war, da dieRegierungerstneuimAmtist. IneinigenBereichen,wiez.B.derBekämpfung von Steuerhinterziehung und Korruption, bin ichangesichtsderaugenscheinlichstärkerenEntschlossenheitderneuen Regierung in Athen zuversichtlich und möchte gern mehrüber ihre Pläne erfahren. In vielen, darunter in den wohl wich-tigsten Bereichen enthält das Schreiben jedoch keine eindeu-tigen Zusagen der Regierung, dass sie beabsichtigt, die im Me-morandum zur Wirtschafts- und Finanzpolitik vorgesehenenReformen umzusetzen. Insbesondere stellen wir fest, dass we-der für die Ausgestaltung und Umsetzung der vorgesehenen

umfassenden Reformen des Rentensystems und der Mehr-wertsteuerpolitik noch für die Fortführung bereits vereinbar-ter politischer Maßnahmen zur Öffnung geschlossener Sekto-ren und zur Durchführung von Verwaltungsreformen, Privati-sierungen und Arbeitsmarktreformen eindeutige und klare Zu-sagen gemacht wurden. Wie Ihnen bekannt ist, sind diese Ver-pflichtungen und Zusagen unseres Erachtens unabdingbar fürdie Fähigkeit Griechenlands, die grundlegenden Ziele seinesvom IWF unterstützten Programms zu erreichen. Aus diesemGrund sind in diesen Bereichen auch die meisten strukturellenBenchmarks mit dem IWF vereinbart worden.

Daher muss ich nachdrücklich betonen, dass die Diskussio-nen über einen Abschluss der Überprüfung nur dann erfolg-reich verlaufen werden, wenn sie sich nicht nur auf die in der Li-ste der griechischen Regierung aufgeführten politischen Maß-nahmen beschränken.

Meine Mitarbeiter und ich sehen der Zusammenarbeit mit derneuen Regierung zur Schaffung einer gemeinsamen Basis ent-gegen, sodass wir die sechste Überprüfung des vom IWF unter-stützten Programms so bald wie möglich abschließen können.

Vielen Dank für all Ihre Bemühungen, die uns bis hierhergebracht haben.Christine Lagarde

meine Mitarbeiter haben die gestern Abend von der griechi-schen Regierung vorgelegte Maßnahmenliste geprüft. Unse-rem ersten Eindruck nach deckt das Dokument ein breitesSpektrum an Reformbereichen ab und ist somit umfassendgenug, um als tragfähiger Ausgangspunkt für einen erfolg-reichen Abschluss der Überprüfung dienen zu können. Wieerwartet war es der Regierung jedoch nicht möglich, konkre-te Vorschläge und Zusagen auszuarbeiten, die von den Insti-tutionen im Hinblick auf Wachstum, öffentliche Finanzen undFinanzstabilität bewertet werden können. Angesichts desäußerst knappen Zeitrahmens ist dies verständlich.

Ichgehedavonaus,dassklar ist,dassalsGrundlagefürdenAbschluss der laufenden Überprüfung sowie für eventuellekünftige Vereinbarungen die bestehenden Zusagen nach demaktuellen Memorandum of Understanding (MoU) und dem

Memorandum zur Wirtschafts- und Finanzpolitik (MEFP) die-nen. In diesem Zusammenhang weisen wir darauf hin, dassdie von der Regierung dargelegten Verpflichtungen in einerReihe von Bereichen von den bestehenden Programmzusa-gen abweichen. In den betreffenden Fällen werden wir imRahmen der Überprüfung beurteilen müssen, ob von der Re-gierung nicht akzeptierte Maßnahmen durch Maßnahmen er-setztwerden,dieunterdemGesichtspunktdesErreichensderZieledesProgrammsqualitativgleichwertigoderbessersind.

IchforderediegriechischeRegierungerneutdringendauf,zur Stabilisierung der Zahlungskultur rasch zu handeln undauf entgegengesetzte unilaterale Schritte zu verzichten.

Mit besten GrüßenMario

die Dienststellen der Kommission haben die gestern in IhrerFunktion als Vorsitzender der Eurogruppe an Sie gerichte-ten Reformvorschläge der griechischen Regierung sorgfältiggeprüft. Davor fand am Wochenende ein konstruktiver Aus-tausch zwischen der griechischen Regierung und Vertreternder Europäischen Kommission und der anderen Institutio-nen statt.

Aus Sicht der Kommission ist diese Liste umfassend ge-nug, um als tragfähiger Ausgangspunkt für einen erfolgrei-chen Abschluss der Überprüfung dienen zu können, wie vonder Eurogruppe bei ihrer letzten Sitzung gefordert.

Wir sind erfreut über die Verpflichtung zur Bekämpfungvon Steuerhinterziehung und Korruption, unter anderemdurch Anstrengungen zur Modernisierung der Steuer- undZollverwaltung, sowie das Festhalten an Reformen zur Mo-dernisierung der öffentlichen Verwaltung. Außerdem nimmtdie Kommission die Verpflichtungen bezüglich Statistikenzur Kenntnis und hält es für äußerst wichtig, dass die insti-tutionelle und operative Unabhängigkeit von ELSTAT undderen Geschäftsführung jederzeit gewährleistet ist.

In Einklang mit der Erklärung der Eurogruppe von letzterWoche sollen vor Ende April weitere Einzelheiten zu den Re-

formen in diesen und anderen wichtigen Bereichen vorge-legt und beschlossen werden. Die Kommission freut sich da-rauf, gemeinsam mit der neuen Regierung an den derzeitnoch allgemeinen Verpflichtungen zu arbeiten und diese inkonkrete politische Maßnahmen umzuwandeln.

Die Kommission unterstreicht ihre Bereitschaft, auchweiterhin technische Unterstützung in wichtigen Bereichenzu leisten und damit zur Gestaltung und Umsetzung der po-litischen Maßnahmen beizutragen. Vor diesem Hintergrundhebt die Kommission hervor, wie wichtig es ist, dass Grie-chenland seine bei der Sitzung der Eurogruppe am 20. Feb-ruar 2015 eingegangenen Verpflichtungen einhält, die denVerzicht auf eine Abkehr von bisherigen Maßnahmen sowieauf einseitige Änderungen an den Maßnahmen und Struk-turreformen, die sich nach Einschätzung der Institutionennegativ auf die Haushaltsziele, wirtschaftliche Erholung undFinanzstabilität auswirken würden, beinhalten.

Eine entschlossene und zügige Umsetzung der zugesag-ten Reformen wird für den erfolgreichen Abschluss der Über-prüfung wesentlich sein.

Valdis Dombravskis und Pierre Moscovici

Brieffreunde: Christine Lagarde vom IWF (links), Mario Draghi von der Europäischen Zentralbank (Mitte) und Pierre Moscovici,der EUWährungs- und Wirtschaftskommissar beim Eurogruppen-Treffen am 20. Februar Foto: picture alliance/Wiktor Dabkowski

Page 23: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 4140 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

Man muss schon richtig lesenDer politische Dammbruch, den SYRIZAs Wahlsieg ausgelöst hat, ist nicht mehr rückgängigzu machen: Anmerkungen zum Deal zwischen Griechenland und der Eurogruppe über dasKreditprogramm. Von James K. Galbraith

Als die ersten Meldungen über die in Brüs-sel erzielte Einigung zwischen der griechi-schen Regierung und der Eurogruppedurchdrangen, erklärte sich Deutschlandzum Sieger, und es überrascht nicht, dassder Großteil der Presse diese Behauptungübernahm. Ihre Quellen, auf die sich ver-lassen und die sie zitieren, sind vermeint-liche Autoritäten.

Auf diese Weise etwa berichtete die Ta-geszeitung »The Independent« aus Lon-don: »Eine Reihe von Analysten stimmt da-rin überein, dass die Ergebnisse der Ver-handlungen eine demütigende Niederlagefür Griechenland bedeuten.« Es folgtenkeinerlei weitere Angaben, die Analystensowie ihre institutionelle Anbindung blie-ben ungenannt – obwohl weiter unten imText zwei von ihnen zitiert werden. Undsiehe da: Beide arbeiten für Banken. Mankönnte, wenn man wollte, noch viele wei-tere solcher Beispiele von beiden Seitendes Atlantiks anführen.

Bei der US-amerikanischen Zeitschrift»TheNewYorker«verhältessichanders.Eshandelt es sich hierbei um ein unabhängi-ges Magazin mit einem außergewöhnli-chen Renommee, das sich an eine spezielleZielgruppe richtet. Ihr Wirtschafts- und Fi-nanzredakteur John Cassidy gilt als analy-tischer Geist. Die Leser tendieren dazu,das, was er schreibt, ernst zu nehmen, undwenn er mit etwas falsch liegt, dann ist dasnicht ganz unwichtig.

Cassidys Einschätzung der Verhand-lungen erschien unter der Überschrift »WieGriechenland ausmanövriert wurde«, undsein Aufmacher enthält folgenden Satz:»Griechenlands neue Linksregierung unterder Führung von SYRIZA hat seit Wochenverkündet, sie werde keinen Antrag aufVerlängerung der laufenden Hilfsmaßnah-men stellen, sondern wolle ein neues Kre-ditabkommen, das ihnen Handlungsspiel-raumverleiht,wodurchdererzielteDealalseine Kapitulation aufseiten von SYRIZA er-scheint und als Sieg für Deutschland undden Rest des EU-Establishments.«

Tatsächlich hat niemals die Aussicht aufein neues Kreditabkommen bestanden, zu-mindest nicht auf eins, das Griechenlandvöllig freie Hand gelassen hätte. Kredit-verträge sind immer an Bedingungen ge-knüpft. Die einzige Alternative für die Grie-chen bestand daher zwischen einer Ver-einbarung, verbunden mit Auflagen, oderkeinerlei Vereinbarung. Und die Entschei-dung hierfür musste vor dem 28. Februarfallen, dem Tag, an dem die Unterstützungder griechischen Banken durch die Euro-päische Zentralbank auslaufen sollte.

Wenn es zu keinerlei Abmachung ge-kommen wäre, hätte das für Griechenlandbedeutet: Einführung von Kapitalver-kehrskontrollen oder Zusammenbruch dereinheimischen Banken, Zahlungsunfähig-keitsowieeinfrühzeitigesAusscheidenausder Eurozone. SYRIZA ist nicht angetretenund gewählt worden, um die Beziehung desLandes zu Europa zu kappen. Deswegenmusste die Regierung, um ihrem Wahlver-sprechen gerecht zu werden, das Verhält-nis zwischen Athen und Europa auf eine Artund Weise »verlängern«, die für beide Sei-ten akzeptabel ist.

Aber was genau sollte verlängert wer-den? Es gab diesbezüglich zwei Formulie-rungen, die in den Verhandlungen eine Rol-le spielten (die vage Forderung nach einer»Verlängerung der Hilfsmaßnahmen« ge-hörte nicht dazu). In den Troika-Dokumen-ten war von »einer Verlängerung des lau-fenden Programms« die Rede, was die Ak-zeptanz der bestehenden Auflagen und Be-dingungen beinhaltete. Für die neue grie-chische Regierung kam dies nicht infrage.Demgegenüber war für sie die in techni-scher Hinsicht treffendere Formulierung»Verlängerung des Kreditabkommens«weniger problematisch. Das Abschlussdo-kument verlängert nun das »Master Finan-cial Assistance Facility Agreement«(MFFA), was für sie sogar noch besser ist.Das MFFA »geht einher mit einer Reihe vonVerpflichtungen«, die formal betrachtetaber von diesem getrennt sind. Kurzum:

Man hat sich auf eine Verlängerung desMFFA geeinigt, aber über die damit ver-bundenen Auflagen wird neu beraten.

Zudem hatte das griechische Verhand-lungsteam in einem Kommuniqué-Entwurfdes Eurogruppenchefs Jeroen Dijsselblo-em am Montagnachmittag das herrlicheWort »Arrangement« entdeckt, das von nunan hemmungslos zur Anwendung kam.

Das Dokument vom Freitag ist in dieserHinsicht ein Meisterwerk: »Der Zweck derVerlängerung ist es, die Überprüfung aufder Grundlage der im gegenwärtigen Ar-rangement geltenden Bedingungen erfolg-reich abschließen zu können, wobei dievorhandene Flexibilität in enger Abstim-mung mit den griechischen Regierungs-vertretern und Institutionen optimal zunutzen ist. Diese Verlängerung soll zudemder Überbrückung dienen und Zeit schaf-fen für Diskussionen über mögliche Folge-arrangements zwischen der Eurogruppe,den Institutionen und Griechenland. Die

James K. Galbraith, Jahrgang 1952,ist einer der renommiertesten US-amerikanischen Ökonomen. Derzeitarbeitet er als Professor an der Lyn-don B. Johnson School of Public Af-fairs in Texas. Er studierte in Harvardund Yale Wirtschaftswissenschaftenund war später auch im US-Kongresstätig. Im Sommer 2013 war Galbraithzusammen mit dem griechischen Fi-nanzminister Yanis Varoufakis unddem früheren britischen PolitikerStuart Holland an der Neuauflage des»Bescheidenen Vorschlags zur Lö-sung der Eurokrise« beteiligt. 2010erschien von ihm im Rotpunkt-VerlagZürich »Der geplünderte Staat oderwas gegen den freien Markt spricht«.Nach dem Erfolg der Linkspartei SY-RIZA in Griechenland begleitete derÖkonom die neue Regierung in Athenzeitweise.

Erklärung der Eurogruppe zu Griechenland

24. Februar 2015

Die Eurogruppe hat heute die von der griechischen Regierungvorgelegte erste Liste mit Reformmaßnahmen auf Grundlageder aktuellen Vereinbarung erörtert, die spätestens bis EndeApril weiter konkretisiert und mit den Institutionen vereinbartwird. Die Institutionen haben uns gegenüber in einer erstenStellungnahme mitgeteilt, dass diese Liste mit Maßnahmen ausihrer Sicht umfassend genug ist, um als tragfähiger Ausgangs-punkt für einen erfolgreichen Abschluss der Überprüfung die-nen zu können.

Wir haben uns deshalb darauf verständigt, mit den nationalenVerfahren fortzufahren, um eine endgültige Entscheidung überdie Verlängerung der aktuellen Vereinbarung über eine Hauptfi-nanzhilfefazilität (MFFA) um bis zu vier Monate zu treffen.

Wir fordern die griechische Regierung auf, die Liste mit Re-formmaßnahmen auf Grundlage der aktuellen Vereinbarung inenger Abstimmung mit den Institutionen weiterzuentwickelnund zu erweitern, um einen raschen und erfolgreichen Ab-schluss der Überprüfung zu ermöglichen.

»Sie haben gerade die Troika gekillt«, sagte der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem (l.) zu seinem griechischenAmtskollegen Yanis Varoufakis (m.). Eine Momentaufnahme, die Symbolbild wurde. Foto: Reuters/Francois Lenoir

Page 24: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 4342 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

griechischen Regierungsvertreter werdenbis Montag, den 23. Februar, auf der Grund-lage des gegenwärtig gültigen Arrange-ments eine erste Liste mit geplanten Re-formen vorlegen. Die Institutionen werdendiese in einem ersten Schritt dahin gehendbewerten,obdiesehinreichendsind,umalsAusgangspunkt für einen erfolgreichen Ab-schluss der Überprüfung zu dienen.«

Keine Spur von einem kompromisslosenFesthalten an den Auflagen des »laufendenProgramms«. Wer in dieser Rhetorik nachden entsprechenden Begriffen und Bedin-gungen sucht, wird nicht fündig werden. Esist also nicht so, dass die Troika nach Athenreisen und sich über die Wiedereinstellungder vom Finanzministerium zuvor entlas-senen Putzfrauen beschweren kann.

Was wirklich zwischen Griechenlandund Europa auf dem Spiel steht, ergibt sicherst dann, wenn man sich etwas genauermit dem berüchtigten »Memorandum ofUnderstanding« befasst, das von den Vor-läuferregierungen Griechenlands unter-zeichnet worden ist.

Zunächst einmal: Nicht alles in diesemPapier ist unvernünftig oder unzumutbar.Vieles entspricht EU-Gesetzen und -Richt-linien. Maßnahmen, die auf eine Eindäm-mung von Steuerhinterziehung und Kor-ruption abzielen oder auf eine Moderni-sierung der öffentlichen Verwaltung, sindim Großen und Ganzen politisch sinnvollund werden von SYRIZA deswegen auchbefürwortet. Es fiel der neuen griechi-schen Regierung daher auch nicht schwer,die Einhaltung von »70 Prozent« der Auf-lagen des Memorandums zuzusichern.

Die restlichen »30 Prozent« fallen fastalle unter die folgenden drei Kategorien:haushaltspolitische Zielvereinba-rungen, Notverkäufe und kurz-fristige Privatisierungensowie Änderungen desArbeitsrechts. Die Vor-gabe an die griechischeRegierung, einen »Pri-märüberschuss« von4,5 Prozent zu erzielen,ist vollkommen unrea-listisch, wie alle inzwi-schen hinter vorgehaltenerHand zugeben würden. Dieneue Regierung ist auch nicht perse gegen Privatisierungen, sondern gegensolche, die zu privaten Monopolen und un-lauteren Preisabsprachen führen. Und sierichtet sich gegen erzwungene Ausverkäu-fe, die dem Staat kaum Geld einbringen.

In Bezug auf arbeitsrechtliche Fragengibt es dagegen einen grundsätzlicheren

Dissens. Während die Position der grie-chischen Regierung sich in Einklang be-findet mit Vorgaben der InternationalenArbeitsorganisation (ILO), verstoßen dieAuflagen des letzten »Hilfsprogramms«gegen deren Arbeits- und Sozialstandards.Diese Differenzen stehen nun zur Diskus-sion. Dagegen hält wohl niemand mehr anden alten haushaltspolitischen Zielvorga-ben fest, und die griechische Seite hat sichbereit erklärt, in den nächsten vier Mona-ten, in denen sie eine Einigung über einneues Kreditabkommen anstrebt, von»einseitigen« Maßnahmen abzusehen.

In Cassidys Artikel wird auf einige die-ser Punkte eingegangen, aber er spielt dieErrungenschaften der Einigung damit he-runter, dass er behauptet, »sie würdekeynesianische Konjunkturprogramme imgrößeren Stile ausschließen«. Aber in wel-chem Dokument wurden solche Program-me jemals zugesagt?

Der griechische Staat hat kein Geld, dieRegierung ist pleite. Eine umfassendeWirtschaftspolitik à la Keynes stand nie-mals auf der Agenda, denn das hätte denAustritt aus dem Euro zur Voraussetzung.Nur mit einer neuen Währung wäre ein sol-cher auf steigende Nachfrage und Wachs-tum setzender Kurs denkbar, mit all den be-kannten Gefahren. Will man jedoch Teil derEurozone bleiben, muss das benötigte Geldfür Investitionen aus größeren Anstren-gungen bei der Steuereintreibung kommenoder von außen, einschließlich privater In-vestoren und der Europäischen Investiti-onsbank. Cassidys Vorwurf scheint dahervollkommen aus der Luft gegriffen.

Ein anderes realitätsfernes Hirnge-spinst ist die Vorstellung, das Team von

SYRIZA sei von dem politischen Er-folg, der »praktisch aus dem

Nichts kam«, noch ganz»trunken«. Vielmehr

konnte die Partei sichschon seit Monaten si-cher sein, dass – wennes ihr gelänge, im De-zember Neuwahlen

durchzusetzen – SYRIZAdiese gewinnen würde.

Ich war dabei, als Minister-präsident Alexis Tsipras am

Sonntag, den 8. Februar, mit sei-ner Rede zur Lage der Nation die Sitzungdes griechischen Parlaments eröffnete.Tsipras ist alles andere als ein machttrun-kener Politiker. Und als mich Yanis Varou-fakis im Finanzministerium empfing, kurzbevor wir uns zusammen ins Parlamentaufmachten, um Tsipras Regierungserklä-

rung anzuhören, waren seine ersten Wor-te: »Herzlich willkommen zur Überrei-chung des Schierlingsbechers.«

Cassidys Schlussfolgerung hinsichtlichder diplomatischen Anstrengungen vonTsipras und Varoufakis lautet, die beidenhätten »ihr Blatt überreizt«. Als ein Beob-achter vor Ort hätte er jedoch feststellenkönnen, dass die griechische RegierungGeschlossenheit zeigte und alle anfängli-chen Versuche, Varoufakis zu isolieren,nicht verfingen.

Im Laufe der Verhandlungen dann be-gaben sich Jean-Claude Juncker, Präsidentder EU-Kommission, und Währungskom-missar Pierre Moscovici aus der Deckungund boten ihre Hilfe an. Am Montag legtensie einen ersten konstruktiven Entwurf füreine Vereinbarung vor. Daraufhin rücktenandere Regierungsvertreter von ihrer har-ten Linie ab.

In der Schlussphase war es dann be-merkenswerterweise die deutsche Regie-rung, die sich in aller Öffentlichkeit ge-spalten zeigte: Vizekanzler Sigmar Gabrielließ verlautbaren, er sähe den Brief aus

Griechenland als Grundlage für weitereVerhandlungen an, nachdem Finanzmi-nister Wolfgang Schäuble zuvor das Ge-genteil behauptet hatte. Dies veranlassteKanzlerin Angela Merkel zu ihrem Tele-fongespräch mit Alexis Tsipras, das zu ei-nem Stimmungswechsel führte. Vielleichtwar das Ganze auch nur eine Inszenierung,aber am Ende war es Schäuble, der einenRückzieher machen musste. All diese Fak-ten scheinen Cassidys Aufmerksamkeitentgangen zu sein.

Stattdessen schreibt er, die griechischeSeite habe im unmittelbaren Vorfeld derVerhandlungen erkannt, dass sie über kei-nerlei wirksame Druckmittel verfüge, wo-raufhin plötzlich alle Vorteile auf der Seitevon Schäuble gelegen hätten, »als diesembewusst wurde, dass Varoufakis nicht dieGrexit-Karte spielen konnte«. In Wahrheithatte dieser aber nie die Absicht, zu pokernund seine Gegner zu bluffen, wie Varoufa-kisselbst ineinemBeitrag in»TheNewYorkTimes« ausgeführt hat und ich bereits zweiTage nach der Wahl auf der Internetplatt-form Social Europe geschrieben habe:

»Welche Macht hat Griechenland? Ganzoffensichtlich nicht sehr viel. Die schwerenGeschütze stehen der Gegenseite zur Ver-fügung. Aber es gibt etwas, das nicht zu un-terschätzen ist. Ministerpräsident Tsiprasund sein Team können an die Vernunft ap-pellieren und auf jegliche Drohungen ver-zichten. Die richtige und moralisch ein-wandfreie Antwort vonseiten der anderenwürde darin bestehen, […] Griechenlandfiskalischen Handlungsspielraum zu ge-währen und damit eine gewisse finanzielleStabilität, während die Gespräche weiter-gehen. Erst wenn dies passiert, können dieeigentlichen Verhandlungen beginnen.«

Am Ende scheint genau dies eingetretenzu sein. Und der Hauptgrund hierfür ist ge-nau der, den ich in meinem Essay genannthabe: Kanzlerin Merkel möchte nicht dieführende politische Figur sein, die für dasAuseinanderfallen Europas verantwortlichgemacht wird.

Als Alexis Tsipras vor Kurzem erklärte,Griechenland habe eine Schlacht gewonnen– vielleicht auch nur ein Scharmützel –, abernicht den Krieg, hatte er recht. Aber der po-

litische Dammbruch, den SYRIZAs Wahlsiegausgelöst hat, ist nicht mehr rückgängig zumachen. Psychologisch betrachtet habensich in Griechenland schon enorme Verän-derungen vollzogen. In Athen sind eine Auf-bruchstimmung und eine Würde zu spüren,dieesdortvorsechsMonatennochnichtgab.

Schon bald werden auch in Spanien neuepolitische Fronten und Machtverhältnisseentstehen, danach vielleicht auch in Irlandoder in Portugal, alles Länder, in denendemnächst gewählt wird. Es ist eher un-wahrscheinlich, dass die griechische Re-gierung bei den anstehenden Verhandlun-gen einbrechen und gänzlich nachgebenwird, es wird aber noch eine Weile brau-chen, bis sich erkennen lässt, wie groß derHandlungsspielraum wirklich ist, der im ers-ten Scharmützel erkämpft werden konnte.

In einem Jahr könnte die politischeLandschaft Europas jedenfalls schon ganzanders aussehen als die von heute.

Der Text erschien zuerst im Debattenmagazinsocialeurope.eu. Die deutsche Übersetzung vonBritta Grell wurde von der Rosa-Luxemburg-Stiftung ermöglicht.

Nach einemreinigendenGewitter, someint es derVolksmund, siehtman manchesklarer. Diegriechische undEU-Flaggespiegeln sichauf dem nochnassen Marmor-boden vor demParlament inAthen.

Foto: dpa/Simela Pantzartzi

Yanis Varoufakishatte nie dieAbsicht, zu

pokern und seineGegner zubluffen.

Page 25: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 4544 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

Liebe GenossInnen,

wir wollen Euch und die Partei »Die LINKE« über den In-halt des provisorischen Vertrags zwischen der griechi-schen Regierung und der Führung der Eurozone am 20.Februar 2015 informieren – zumindest darüber, wie wirihn gelesen haben. Gleichzeitig wollen wir Euch eine kur-ze Einschätzung des Inhaltes der Reformliste geben, dieunser Finanzminister Yanis Varoufakis an die Eurogrup-pe geschickt hat.

Beide Texte entsprechen nicht den wichtigsten Punk-ten unseres Wahlprogramms. Schlimmer noch: Die wich-tigsten Punkte unseres Programms werden dadurchpraktisch außer Geltung gesetzt.

An dieser Stelle können wir Euch nur einige wenigeBeispiele geben. Der Anstieg des Mindestlohnes auf 750Euro wird nicht kurzfristig von unserem Parlament »ein-seitig« durchgesetzt werden können. Er kann höchstenseine langfristige Perspektive werden, die unter dem Vor-behalt steht, dass er die Wettbewerbsfähigkeit des Lan-des in der internationalen Konkurrenz (»competitiv-ness«) nicht schwächt.

Die schon vollendeten Privatisierungen bleiben inKraft. Diejenigen bei denen das Verfahren noch läuft, sollder Prozess unter »Beachtung der Legalität« abge-schlossenwerden.EineprinzipiellablehnendeHaltungzuden Privatisierungen kann man in dem Text an keinerStelle finden.

Stattdessen behauptet der Text, dass die »Moderni-sierung« des Systems der sozialen Sicherung weiterge-führt wird. Diese »Modernisierung« bedeutete in der Ver-gangenheit immer Sozialabbau.

Im Rahmen des Vertrages liegt die Kontrolle über die Fi-nanzierung des Gesundheitssystems in den Händen aus-ländischer ausländischer »Institutionen«, darunter auchdie OECD. Die wesentliche Kernforderung des Wahlpro-grammes von SYRIZA – nämlich Steuererleichterungen fürLohnabhängige und keine Steuer auf Einkommen unter12 000 Euro – wird auf unbestimmte Zeit verschoben.

Fast kein Gesetzesentwurf kann ohne Einverständnisder Troika, die jetzt zu »den Institutionen« umgetauftwurden und ohne finanzielle Ausgleichsmaßnahmen ein-geführt werden.

Auch die Maßnahmen für die Lösung der humanitärenKrise dürfen keine negativen finanzpolitischen Konse-quenzen haben.

Wir möchten betonen, dass die Verlängerung des Fi-nanzierungsvertrags von 2012 für vier Monate politischund juristisch ohne die Einhaltung der Memoranden mitalle ihren juristischen Konsequenzen unmöglich ist. Diesbedeutet, dass die Memoranden und ihre Anwendungs-gesetze im wesentlichen ihre Geltung behalten.

Die Skepsis und Ablehnung gegen diesen neuen Ver-trag wurden auch in der Sitzung der Fraktion von SYRIZAam 25. Februar deutlich zum Ausdruck gebracht. 70 Mit-glieder der Fraktion stimmten in einer Probeabstimmungfür den Vertrag, 40 Abgeordnete stimmten dagegen und30 Abgeordnete nahmen an der Abstimmung nicht teil.

Auch die neue Präsidentin des Parlaments stimmte ge-gen den Vertrag. Während des Wochenendes (28.Febru-ar/1.März, A.d.R.) findet eine Sitzung des Zentralkomi-tees von SYRIZA statt, in der über den Vertrag und die vonder griechischen Regierung vorgelegte Reformliste ent-schieden wird.

Für uns steht fest, dass die Ratifizierung dieses Ver-trages durch europäische Parlamente unter Zustimmungder Parteien der Linken den griechischen Lohnabhängi-gen und dem griechischem Volk nicht nützlich sein kann.

Die Solidarität zwischen den linken Parteien und For-mationen in Europa und die notwendige Unterstützungder Regierung von SYRIZA muss aus unserer Sicht einerwichtigen Bedingung unterliegen: Dass sie die Memo-randumspolitik hinter sich lässt und den Neoliberalis-mus praktisch und nicht nur durch Worte und Kommuni-kationstricks bekämpft.

Angesichts dieser Situation stellt sich die Frage, wel-che Position die LINKE im Bundestag einnehmen sollte.Unserer Meinung nach ermöglicht man der griechischenLinken und im besonderem SYRIZA die Chance, ihr Pro-gramm zu verwirklichen, wenn man gegen diesen Vertragstimmt. Ein »Ja« hingegen öffnet den Weg in eine Welt derfalschen Illusionen.

Dimitris Belantis ist Rechtsanwalt und Mitglied des ZK von Syriza,Stathis Kouvelakis ist Professor an der Universität King’s CollegeLondon und Mitglied der ZK von Syriza

Erster Schritt auf rutschigem BodenEine kritische Einschätzung des Abkommens zwischen der SYRIZA-geführtenRegierung in Athen und der Eurogruppe vom 20. Februar.Von Spiros Lapatsioras, Jannis Milios und Dimitris P. Sotiropoulos

Eine erste Auswertung des »Übergangs-Abkommens« vom 20. Februar ergibt: EshandeltsichumeinenWaffenstillstand,dervon der griechischen Regierung vorge-schlagen und von der Gegenseite (den»Institutionen«) angenommen wurde. Inden nächsten vier Monaten werden dieVerhandlungsbedingungen für das nächsteAbkommen gesetzt. Dies bedeutet zwar,dass noch nichts entschieden ist. Sicher istdies allerdings nicht. Erstens verändert das»Übergangs-Abkommen« selbst dieMachtkonstellation. Zweitens: Da die»Feindseligkeiten« in den nächsten vierMonaten weitergehen werden (Kontrolleder Verpflichtungen und Re-Interpretationder Bedingungen von beiden Seiten), ist es

wichtig, zunächst die Verhandlungsbe-dingungen zu verstehen.

Die griechische Regierung hatte beimTreffen der Eurogruppe vom 12. Februar2015 – also in der ersten wichtigen Phaseder Verhandlungen – ein neues »Brücken-Programm« gefordert und erklärt, dass dieFortsetzung des bestehenden Programms,das von der Bevölkerung abgelehnt wurde,nicht möglich ist:

1. Das »Brücken-Programm« sollte kei-ne Bedingungen oder Überprüfungen usw.beinhalten, sondern nur öffentlicher Aus-druck des Willens aller Seiten sein, die Ver-handlungen ohne Druck, Drohungen undohne jegliches einseitiges Handeln fortzu-setzen.

2. In diesem Rahmen sollte Griechen-land auf die verbliebenen Kreditraten desvorherigen Programms verzichten. EineAusnahme sollten jedoch die 1,9 Milliar-den Euro sein, die die Europäische Zent-ralbank (im Rahmen des sog. SMP-Pro-gramms) und die Zentralbanken der Mit-gliedstaaten (im Rahmen des sog. ANFA-Programms) Griechenland schulden. Hier-bei handelt es sich um Zinseinnahmen ausgriechischen Anleihen, die die EZB und dienationalen Zentralbanken der Mitglieds-staaten erworben hatten. Zudem sollteGriechenland erlaubt werden, mehr als diebislang genehmigten kurzfristigen Anlei-hen (Treasury Bills) im Volumen von 15Milliarden Euro auszugeben, um damit un-

SYRIZA vereint viele linke Gruppierungen. Debatten über die Marschrichtung gehören da zur Tagesordnung. So war esvor der Wahl und so ist es mehr noch seither. Foto: Reuters/Marko Djurica

Wahlprogramm außer Geltung gesetztEin offener Brief von zwei SYRIZA-Mitgliedern an die Abgeordneten derLinkspartei in Deutschland. Von Dimitris Belantis und Stathis Kouvelakis

Page 26: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 4746 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

vorhergesehene Ausgaben tätigen zu kön-nen.

3. Nach dem Ende dieser Übergangspe-riode sollte Griechenland (a) endgültigeVorschläge unterbreiten, die gemäß denprogrammatischen Regierungserklärun-gen einen neuen Rahmen zur Finanzstra-tegie für die nächsten 3-4 Jahre und einenneuen nationalen Reformplan beinhaltensollten. Gleichzeitig sollte (b) die Fragenach einer Verhandlung über die Um-strukturierung bzw. eine Erleichterung vonStaatschulden gestellt werden.

Die deutsche Regierung – aber auch dieanderen »Institutionen« (EU, EZB, Inter-nationaler Währungsfonds) – gingin die Verhandlungen mit derForderung, Griechenlandmüsse eine sechsmona-tige »technische Fort-setzung« des beste-henden Programms(aus Kommunikations-gründen akzeptiertensie die Bezeichnung»bestehendes Arrange-ment« – existing arrange-ment) beantragen, mit dem Zieleines erfolgreichen Abschlusses derÜberprüfung gemäß den ursprünglichenAuflagen (successful completion of the re-view).

Der Ausgang der VerhandlungDas Abkommen vom 20. Februar beinhal-tet nun eine viermonatige Verlängerungdes »Hauptabkommens zur finanziellenAushilfsmöglichkeit (Master Financial As-sistance Facility Agreement, MFFA), diesich auf eine Reihe von Verpflichtungenstützt«.

Eine Verlängerung dieses Abkommensbedeutet:a) Kontrollen und Bewertungen seitens

derselben drei »Institutionen«b) Verpflichtungen, sowie Bedingungen

der Gläubigerc) eine Fortsetzung der Finanzierung auf

Basis des Auszahlungsplans des beste-henden Programms, geknüpft an die Be-dingung einer erfolgreichen Überprü-fung

d) Rückgabe der Gewinne der EZB und dernationalen Zentralbanken aus den ein-behaltenen Zinsgewinnen auf griechi-sche Staatsanleihen. Diese Auszahlungwird aber wiederum von einer positivenBewertung der griechischen Politikdurch die »Institutionen« abhängig ge-macht, allerdings unter Wahrung der»Unabhängigkeit« der EZB.

Mit anderen Worten: Es handelt sichhier um einen Verzicht auf die genanntenForderungen, mit denen die griechischeRegierung in die Verhandlungen einge-treten war. Was die griechische Regie-rung gewonnen hat (außer einer Ände-rung der Terminologie, die so heftig dis-kutiert worden ist): Die Regierung hat ge-mäß ihrer programmatischen Regie-rungserklärung nun die Möglichkeit, ge-eignete Finanz- und Entwicklungsrefor-men gegenüber den »Institutionen« selbstvorzuschlagen. So wurden die Maßnah-men, die die vorherige Regierung verein-bart hatte, abgelehnt (Rentenkürzungen

und Erhöhung der Mehrwert-steuer auf den Inseln); statt-

dessen wird der Schwer-punkt auf die Bekämp-fung von Steuerhinter-ziehung, des Schmug-gels und auf die Reformdes Steuersystems, etc.gelegt.

Auch an diesem Punkthängen die endgültigen

Entscheidungennatürlichander Genehmigung seitens der

»Institutionen«: »Die griechischenBehörden verpflichten sich dazu, die Rück-nahme eingeführter Maßnahmen und ein-seitige Änderungen der Politiken und derstrukturellen Reformen zu unterlassen, diesich negativ auf die fiskalischen Ziele, dieErholung der Wirtschaft oder die finanzi-elle Stabilität auswirken würden, wie die-se von den Institutionen bewertet wer-den.«

Über die Höhe des Primärüberschussesfür das Jahr 2015 wird verhandelt. Statt desursprünglich vereinbarten Überschusses inHöhe von drei Prozent der Wirtschafts-leistung lässt das Abkommen die Frage ei-nes niedrigeren Überschusses offen: »DieInstitutionen werden in Bezug auf das Zieldes Primärüberschusses von 2015 die fi-nanzielle Lage im Jahr 2015 berücksichti-gen«.

Es liegt also auf der Hand: Dieses Ab-kommen mag einen Waffenstillstand dar-stellen, es bedeutet allerdings kein »Un-entschieden«. Das Abkommen ist der ersteSchritt auf einem rutschigen Boden. Zwarwird mehr Zeit für die nächsten Schritteeingeräumt. Das in dem Abkommen skiz-zierte Umfeld für die Verhandlungen je-doch engt den Entscheidungsspielraum fürdie Regierung stark ein und ist weit ent-fernt von den Minimal-Anforderungen, diedie Regierung bis zum 12. Februar formu-liert hatte.

Was die Verhandlung entschiedenhat: über die Verhandlungstaktikund -strategie

Das Abkommen vom 20. Februar wurdebestimmt sowohl von externen Faktoren –dem gegebenen und bekannten neolibe-ralen Rahmen der »Institutionen« – alsauch von internen Faktoren, die am Endedie entscheidende Rolle gespielt haben.

Eine nur nebensächliche Rolle haben diemangelnde Vorbereitung der Regierungund die widersprüchlichen Taktiken desFinanzministeriums gespielt, wie zum Bei-spiel:

1. Das Fehlen eines seriösen Plans, dersich auf konkrete Zahlen und Analysenstützt. Selbst im Anhang, den das Finanz-ministerium als technische Übersicht ver-öffentlicht hat, kann man die Oberfläch-lichkeit der Vorbereitungen feststellen.Ferner wird in diesem Anhang der kriti-sche Punkt eingeräumt, dass die Schul-dentragfähigkeit mit den Primärüber-schüssen zusammenhängt (eine Haltung,die einen wichtigen strategischen Rück-zugdarstellt,dadieRegierungdadurchden

fiskalischen Raum von vorneherein ein-engt).

2. Die Bezugnahme auf manche allge-meine Prinzipien des Vorschlags über denSchuldenschnitt, als der Finanzminister inLondon weilte. Hier wurde ein taktischerFehler begangen: Ohne ein vorherigesTreffen mit der EZB wurde ein Vorschlagveröffentlicht, der aus einem Staat außer-halb der Eurozone angekündigt wurde undder den Umtausch der Staatsanleihen imBesitz der EZB im Zentrum hat. Es handeltsich um einen Änderungsvorschlag der Re-geln der EZB. Dieser Vorschlag zwingt dieEZB geradezu zur Ablehnung und zwar ausGründen, die mit ihrer Politik und demGleichgewicht innerhalb ihres EZB-Rateszu tun haben, aber auch wegen der Vor-würfe, sie verletze mit ihrer Politik derquantitativen Lockerung ihre eigenen Nor-men.

Man hätte auch nicht unbedingt die EZBadressieren müssen, sondern hätte sich aufentsprechende Verhandlungen im Rahmendes ESM konzentrieren können. Hier hättedie EZB dann durchaus unterstützen kön-nen. Das wäre regelkonform für die EZB ge-

wesen. Der andere Teil des Vorschlags, d.h.die Kredite des Euro-Rettungsschirms unddie Kopplung der Schuldenbedienung andie Wirtschaftswachstumsrate, hätte manerst in einer zweiten Phase der Verhand-lung einbringen sollen.

3. Es schien, dass die griechische Re-gierung sehr großen Wert auf die Kommu-nikation des Verhandlungsergebnisses ge-legt hat. Dies stellte ein negatives Signalsowohlnachaußenalsauchnachinnendar.Ein Beispiel dafür war der Umgang mit Eu-rogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem, derzwar das »nationale Gefühl« in Griechen-land gestärkt hat. Doch gleichzeitig wurdedie griechische Verhandlungsposition da-durch geschwächt, da sie das ganze Wo-chenende damit beschäftigt war, die Fi-nanzmärkte, die am Montag wieder öffnenwürden, zu beruhigen. Damit wurde deut-lich, dass die Regierung nicht wirklich einekohärente Verhandlungstaktik hatte. Undnatürlich war angesichts dieses Treffenauch für unerfahrene Beobachter offen-sichtlich, dass es in den Verhandlungenkeine gleichwertigen Regierungsmitglie-der außer dem Finanzminister gibt.

56 ProzentVor der Sitzung des Zentralkomiteesvon SYRIZA Ende Februar, AnfangMärz legten sich Parteichef Alexis Tsi-pras und Finanzminister Yanis Varou-fakis noch einmal ordentlich ins Zeug:Tsipras kündigte an, bald einen Planvorzulegen, um die humanitäre Krisein Griechenland zu lösen. Und Varou-fakis erklärte im Fernsehen, wenn erzur Deckung von Ausgaben dafür ge-zwungen sei, »eine Sondersteuer zuerheben, werde ich das tun, aber nurfür diejenigen, die zahlen können«.

Eines dürften beide dabei im Hin-terkopf gehabt haben: Die Kritik amKompromiss zwischen Athen und derEurogruppe über eine Verlängerungdes Kreditprogramms für Griechen-land. Die kleine Marxistische Strö-mung innerhalb von SYRIZA bezeich-nete die Vereinbarung als »Unterord-nung der Regierung unter die Erpres-sung der Troika«. Es sei schwierig, dieUmsetzung des eigenen Regierungs-programms mit den Vereinbarungenin der Eurogruppe in Einklang zu be-kommen, meldete sich der dem linkenFlügel zuzurechnende AbgeordneteKostas Lapavitsas zu Wort. Keine Ver-einbarung dürfe die Umsetzung desWahlprogramms gefährden, hatteUmweltminister Panagiotis Lafazanisschon zuvor gefordert.

Lafazanis steht an der Spitze deretwa ein Drittel der Partei repräsen-tierenden Linken Plattform. Die stellebei der Sitzung des ZK am 1. März ei-nen Antrag, der sich gegen die Ver-einbarung mit der Eurogruppe wand-te. Die Initiative fand keine Mehrheit,allerdings fiel die Abstimmung knappaus: 56 Prozent stimmten für denKompromiss, 41 Prozent dagegen.

Regierungschef Tsipras verteidigtebei der Sitzung die Vereinbarung. Ersprach von einem Druck auf Grie-chenland, der »Erpressungscharak-ter« gehabt habe – und: »Wir befin-den uns auf vermintem Gelände, diekonservativen Kräfte haben versucht,uns in eine Falle zu locken, um uns indie budgetäre Erstickung zu führen.«In die Falle sei man aber nicht gegan-gen, so der SYRIZA-Vorsitzende – undrief die Minister seiner Regierung auf,»weniger zu reden und mehr zu ar-beiten.« vk/as

Die griechischeRegierung hat

auf jene Forderungenverzichtet, mit denen

sie die Verhand-lungen begonnen

hatte.

»Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.« Würde Kanzlerin Merkel statt Pippi Langstrumpf diese Zeile singen, fänden sieviele nicht mehr so niedlich. Aber keine Panik! Merkel regiert ja nur das Eurowunderland. Foto: dpa/Michael Kappeler

Page 27: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

48 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

Es ist offensichtlich, dass diese schlechtinszenierte Verhandlung trotz der Ar-beitsstunden, die ihr ihre Hauptdarstellergewidmet haben, ein Todessprung mit ver-bundenen Augen war. Außerdem haben dieDifferenzen, die schlechte Handhabungund die Positionswechsel den Partnern ge-zeigt, dass die griechische Seite manipu-lierbar ist.

Aber was am Ende den Ausgang der Ver-handlung bestimmt hat, war nicht die fal-sche Taktik. Der Rückzug der griechischenSeite wurde durch eine strategische politi-sche Entscheidung vollzogen – durch dieEntscheidung, auch diejenigen sozialenSchichten repräsentieren zu wollen, die je-de Störung der »Normalität des Marktes«

ablehnen. Das vieldiskutierte Szenario ei-nes Bank-Run muss immer im Rahmen ei-ner sozialen Machtkonstellation eingebet-tet (und als solches jenseits der jeweiligenBewältigungstechniken überprüft) werden.

Gleichzeitig ist das Argument nicht zu-treffend, ein hypothetischer Bankenkol-laps würde notwendig einen Austritt Grie-chenlands aus der Euro-Zone nach sich zie-hen – ein Droh-Szenario mit einer Null-Prozent-Wahrscheinlichkeit, das jedochbereits den Regierungen Papandreou-Pa-padimas-Samaras als Legitimation für dieUmsetzung der Memoranden gedient hat.Dieses »Argument« ist immer eine »Waffe«in den Händen von Extrem-Neoliberalenwie Schäuble.

Was auf dem Spiel steht: Nichtskann sich ändern – oder ist eineandere Welt möglich?

Aus dem bisher Gesagten kann der Schlussgezogen werden, dass das Abkommen – umes milde auszudrücken – den politischenFreiraumbeidenStaatsfinanzenaberauchinanderen Bereichen signifikant einschränkt.Folglich ist der ökonomische Rahmen, aufdem sich die Regierung für die Verhandlun-gen und die Bewertung des intendierten fi-nalen Abkommens stützt, schlüpfrig.

Die Tatsache, dass die Regierung es vor-zieht, ihren offensichtlichen Rückzug unddie erzwungene Änderung ihres Pro-gramms als einen »Sieg« auszugeben, istein schlechtes Zeichen für den weiterenVerlauf; denn damit zeigt sich, dass es ihrmehr um die kommunikative Handhabe alsum die Sache selbst geht. Dies kann am En-de die wahre Niederlage bedeuten, da dasgesendete und von der Gesellschaft emp-fangene Signal die Gewissheit bestätigt:»Glaube nicht den Worten der Politiker, esist ihr Beruf, an der Regierung zu bleiben«.

Denken wir an folgende einfache Tatsa-che: Der Finanzminister Yanis Varoufakishat den Gläubigern zugesagt, 70 Prozentder Forderungen des Memorandums zu er-füllen. Doch dafür ist die Regierung nichtgewähltworden.HättesiediesvorderWahlversprochen, wäre sie eventuell nicht ein-mal in der heutigen Parlamentslandschaftpräsent. Dass sie ihr Mandat so uminter-pretiert, dass sie 70 Prozent des Memo-randums unterstützen kann, bedeutet ei-nen Wandel der Repräsentationsverhält-nisse und der gesellschaftlichen Allianzen,auf die sie sich stützt.

Da die 70 Prozent für sich offenbar eineaus der Luft gegriffene Zahl darstellen(wieso nicht 68 Prozent oder 72 Prozent?70 Prozent gemessen an den Seiten, denKapiteln oder den vorgesehenen Maßnah-men?), deutet diese Zahl auf ein interpre-tatives Kampffeld zur Konstitution von Re-präsentationsverhältnissen hin. Die Frage,

die für die Regierung noch nicht entschie-den ist, ist, ob die mediale Logik des»Siegs« und der Vertuschung der Proble-me sich durchsetzen wird, oder ob eine tie-fe Analyse des Rückzugs, den das Abkom-men darstellt, und der Bedingungen diesesRückzugs unternommen wird, solange dieZeit noch dazu ausreicht (und diese ist sehrkurz, da die nächste Runde der Verhand-lungen schon beginnt).

Unter den neuen, nachteiligen Bedin-gungen, welche das Abkommen des 20.Februar diktiert, haben die Regierung undSYRIZA nur einen Ausweg aus der neoli-beralen Sackgasse: die Offensive!

Eine Offensive der Ehrlichkeit: Man mussdie Niederlagen zugeben, um Wege zu fin-den, den langfristigen Schaden zu mini-mieren; d.h. die Regierung muss unsereprogrammatischen Verpflichtungen wiederauf die Tagesordnung setzen: Umvertei-lung von Einkommen und Macht zugunstender Arbeiterseite, Wiederaufbau des Sozi-alstaats, Demokratie und Teilhabe.

Eine Offensive mittels einer radikalenReform des Steuersystems – so dass end-lich das Kapital die Lasten trägt – und derBeseitigung rechtswidriger Praktiken ei-nes Teils der griechischen Oligarchie: Pet-

roleum- und Tabak-Schmuggel, Steuer-vermeidung mittels Transfer-Pricing,Steuerhinterziehung, Missbrauch vonKrediten, etc.

Gebraucht wird also ein neuer Schwungfür Veränderungen innerhalb des Landes,damit die Allianz mit den unteren Schich-tenaufneuerBasisausgebautwerdenkann.Metaphorisch gesprochen: Was fehlt undleider mit dem Abkommen des 20. Februarweiter in die Ferne zu rücken scheint, ist eineinheimisches »Memorandum für denReichtum« mit paralleler Verbesserung derLebensbedingungen breiter Bevölke-rungsschichten. Die Parole »Die Oligarchiesoll zahlen« war nie aktueller als jetzt.

In einer Gesellschaft, in der der Verlustvon 25 Prozent der Wirtschaftsleistung unddie Verelendung eines großen Teils der Be-völkerung nur die offensichtlichsten Seitender akuten Verschärfung der gesellschaft-lichen Ungleichheit darstellen; in einer Ge-sellschaft, in welcher die massive Arbeits-losigkeit von einer Verbreitung mittelal-terlicher Arbeitsbedingungen begleitet ist;in einer solchen Gesellschaft vielfacher Ge-gensätzeaberauchgroßerHoffnungenwirddie »Popularität« der Regierung sich nichtlange bei 80 Prozent halten können.

Damit die Regierungspolitik hegemoni-al bleibt, muss sie sich klar mit den Inte-ressen der arbeitenden Mehrheit verbün-den und die Strategie des Neoliberalismusin Frage stellen. Spielraum für eine »nati-onal-väterliche« Politik, die vage alles»griechische« oder »europäische« vertei-digt, gibt es nicht. Den hat es ohnehin niegegeben und wird es für eine linke Pers-pektive auch in Zukunft nicht geben.

Die deutsche Übersetzung von Ozeni Athanasia-dou wurde von der Rosa-Luxemburg-Stiftungermöglicht.

Spiros Lapatsioras ist Assistenz-professor für Politische Ökonomie ander Universität Kreta, Mitglied desZentralkomitees von SYRIZA.

Jannis Milios ist Professor für Politi-sche Ökonomie an der TechnischenUniversität Athen und Mitglied des ZKvon SYRIZA.

Dimitris P. Sotiropoulos ist SeniorLecturer an der Open UniversityBusiness School in Großbritannienund Mitglied von SYRIZA.

Drinnen wie draußen Lotterie. Der Unterschied: Beim Loskauf auf der Straßekönnen die Griechen ihr Budget selbst verwalten. Foto: Reuters/Alkis Konstantinidis

V. i.

S. d

. P.

S. W

agen

knec

ht, D

. Bar

tsch

DIE LINKE an der Seite von SYRIZA!

Solidarität mit Griechenland!

Antrag der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag am 27. Februar 2015, Bundestagsdrucksache 18/4146 Weitere Informationen unter www.linksfraktion.de

ANZEIGE

Page 28: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 5150 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

Moderne AmazonenMit roten Gummihandschuhen führten die Putzfrauen des griechischen Finanzministeriumsden Kampf um ihre Jobs – mit Erfolg

Entspannt sitzen die drei Frauen vor demZelt am Eingang des Finanzministeriums inAthen. Ihr ungewöhnliches Protestcamp imZentrum der Hauptstadt gehört zu einemauch im widerstandserprobten Griechen-land ungewöhnlichen Arbeitskampf. Er be-gann, als die Regierung Samaras am17. September 2013 beschloss, die Reini-gung der griechischen Finanzämter an Pri-vatfirmen zu vergeben – und die 595 beimFinanzministerium angestellten Putzfrau-en mit einem Schlag entließ. Zwar lande-ten sie zunächst in der sogenannten Mobi-litätsreserve. Doch wer hier nicht inner-halb von acht Monaten auf eine andereStelle vermittelt wird, ist endgültig in derArbeitslosigkeit angekommen.

Dass ausgerechnet 595 Frauen demübermächtigen Gegner aus Regierung und

Troika die Stirn bieten würden, damit hat-te der konservative Ministerpräsident An-tonis Samaras nicht gerechnet. Die Putz-frauen zogen in den Kampf – um ihre Stel-le, ihren Lebensunterhalt, aber vor allemum ihre Würde. Wieder und immer wiederblockierten sie morgens den Eingang zumFinanzministerium, im Mai 2014 errichte-ten sie schließlich ihr kleines Zeltlager aufdem Bürgersteig daneben. Geradezu le-gendär ist der bei keiner Streikdemonst-ration fehlende Block der Eimer und Besenschwingenden Frauen, die mit lautstarkenund bissigen Parolen ankündigten, die Re-gierung hinwegzufegen.

Beispielgebend war auch ihr über daseigene Anliegen hinausgehender Politik-ansatz. Wo immer dem neoliberalen Aus-teritätsmodell Widerstand entgegenge-

bracht wurde, waren die Frauen mit ihrencharakteristischen knallroten Gummi-handschuhen dabei, vom Arbeitskampf derentlassenen Medienarbeiter der geschlos-senen öffentlich-rechtlichen SendeanstaltERT bis zum Widerstand der Menschen inNordgriechenland gegen den umweltzer-störenden Goldabbau in Skouries.

Zehntausende Menschen sind seitheram Zeltlager der Putzfrauen vorbeige-kommen. Entweder um ihre Solidarität zubekunden oder aktiv zu zeigen, beispiels-weise mit Volksküchen direkt auf dem Bür-gersteig. Oder um sich von den unermüd-lichen Frauen Mut und Stärke für die eige-nen Kämpfe zusprechen zu lassen.

Denn Zuversicht haben die wider-spenstigen modernen Amazonen immerausgestrahlt. Und auch Evangelia, Kons-

Wie kann ich helfen? Wo kann ich mitmachen?Wen kann ich ansprechen? Eine unvollständige Übersicht

SYRIZA will Schluss machen mit demverheerenden Spardiktat der Troika. DieVorschläge der griechischen Regierungstoßen auf Gegenwind seitens der EZBund der Merkel-Regierung. Doch es gibtauch Unterstützung und Solidarität mitdem griechischen Kurs - und vor allem mitden Menschen vor Ort. Eine Übersicht:

Griechenland-SolidaritätskomiteeBerlin»Das Komitee besteht aus verschiedenenSpektren der Linken, Gewerkschaftle-rInnen und unorganisierten Personen. Esverbindet uns die Empörung über die be-wusste Verelendung einer ganzen Be-völkerung durch die Abwälzung der Kos-ten der Wirtschafts- und Finanzkrise«.griechenlandsolidaritaetberlin.blog-sport.eu

Gewerkschaftliche Griechenland-Reisegruppe»Eine Gruppe aus Österreich, Deutsch-land, der Schweiz, Serbien und Spanienhat im September Griechenland besucht,um sich vor Ort ein Bild vom Lohn- undSozialraub, von der Verelendung unddem Widerstand dagegen zu machen.«www.labournet.de

Griechenland-Solidaritätskomitee Kiel»Das Solidaritätskomitee für Griechen-land gründete sich nach der Konferenz›Europa von unten‹ in Kiel am 29. Sep-tember 2013. Das Komitee besteht ausverschiedenen Spektren der Linken, Ge-werkschaftlerInnen und unorganisiertenPersonen.«griechenlandsolikiel.de

»Sympáthia« – Gruppe deutsch-griechische Solidarität (Bremen)»Die Gruppe möchte den Kontakt mitSelbsthilfegruppen in Griechenland her-stellen und konkret von den Lebensum-ständen dort berichten; dringend benö-tigte materielle Hilfe organisieren; über

die wirkliche Situation in Griechenlandaufklären und der verzerrten Darstellungund dem Schweigen in den Medien ent-gegenwirken; über die katastrophaleWirkung der Sparpolitik auf die griechi-sche Gesellschaft informieren, die vor al-lem der Jugend die Zukunft nimmt.«www.attac-netzwerk.de/hb

Arbeitskreis InternationalismusIG Metall Berlin»Unser AK existiert seit 1994 als offizi-elle themenbezogene Arbeitsgruppe derIG Metall Verwaltungsstelle Berlin. Erbesteht aus Mitgliedern der IG Metall, dieentweder in organisierten Betrieben derMetall- und Elektrobranche arbeiten oderfrüher gearbeitet haben.«www.igmetall-berlin.de

Berliner Forum Griechenlandhilfe»Unter dem Motto ›immer trifft es dieSchwachen‹ hat Kostas Papanastasiou,griechisch-deutscher Liedermacher undGastwirt, am 26. August 2012 zu einemSolidaritätsessen in sein Charlottenbur-ger Lokal Terzo Mondo geladen und 20Prozent des Umsatzes für Griechen in Notgespendet. Bei dieser Gelegenheit hatsich eine Gruppe Berliner Griechen undDeutscher zusammengeschlossen, umsich längerfristiggemeinsamfürdeutsch-griechische Solidarität einzusetzen.«www.berliner-forum-griechenlandhil-fe.de

Solidaritäts Komitee Köln»Das Griechenland-Solidarität KomiteeKöln hat sich im Sommer 2012 als über-parteilicher Zusammenschluss antika-pitalistisch eingestellter Menschen ge-gründet, darunter auch Griechen undMitbürger anderssprachiger Herkunft.«gskk.eu

Forum Eurokrise im SozialforumMünchen»Das Forum Eurokrise im Sozialforum

München unterstützt das selbstorgani-sierte und selbstverwaltete Gesund-heitszentrum von Ellenikon am altenFlughafen von Athen. Dort helfen bis zuhundert Ärzte, Krankenschwestern usw.in ihrer Freizeit und unentgeltlich denMittellosen. Nicht nur aus Griechenland,sondern aus vielen anderen Länderntreffen mittlerweile private Geld- undSachspenden zur Unterstützung dieserexemplarischen Initiativen ein.«www.m-sf.de/forum-eurokrise.php

Solidarische Ökonomie in Griechen-land»Unter den Bedingungen der allgemei-nen wirtschaftlichen Depression hat nundie Idee der Konsumgenossenschaft eineRenaissance erfahren: Um die Bevölke-rung der städtischen Zentren mit günsti-gen Lebensmitteln zu versorgen und denBauern Preise über den Erzeugerkostenzu ermöglichen, entwickelten sich zahl-reiche Initiativen, die mit Hilfe des In-ternet den Direktverkauf von Grundnah-rungsmitteln organisieren« schreibtGregor Kritidis im Blog postwachs-tum.de. »Die Ausschaltung des Zwi-schenhandels mit seinen riesigen Ge-winnspannen ist zweifelsohne für Pro-duzenten und Konsumenten von Vor-teil.«blog.postwachstum.de

Bundesweite VernetzungAn dieser Stelle sind nicht alle Initiativenaufgeführt, die derzeit den Aufbruch inGriechenland unterstützen. Die deutsch-sprachigen Solidaritätsgruppen habensich im Februar in Köln zum zweiten Malgetroffen – um die Vernetzung zu ver-bessern. Es gehe nicht nur um praktischeSolidarität mit Selbsthilfeaktivitäten,sondern auch um ein Gegengewicht zuden politischen und ökonomischen Ma-növern der Bundesregierung zu setzen.Infos über Veranstaltungen gibt es unter:griechenlandsoli.wordpress.com

Eineinhalb Jahre dauert der Protest der Putzfrauen bereits an. Mit roten Handschuhen, Eimer und Besen sind sie zum Widerstands-symbol in Griechenland geworden. Ihr Durchhaltewille ist Vorbild und Motivation für Zehntausende. Foto dpa/Yannis Kolesidis

Page 29: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 5352 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

Kali mera, KostasWie die Griechen es schaffen, sich trotz Erniedrigung durch die Troika Würde zu bewahren

Erst nachdem ich Kostas, Tassos und Sok-rates schon zwei Mal im Kafenio »Mani-festo« in Thessaloniki getroffen und wirüber Mao und Marx, Solidarität und SYRI-ZA diskutiert hatten, fragte mich Kostas:»Wasdenkt ihrDeutschenwirklichüberunsGriechen?« Ich erwiderte, dass es »dieDeutschen insgesamt« nicht gibt. Ich in-formierte meine Gesprächspartner von deneinseitigen Berichten über die »faulen,korrupten Griechen« in den deutschen Me-dien und versuchte zu relativieren, dassviele Deutsche inzwischen begreifen, wiedas Spardiktat der Troika die kleinen Grie-chen gnadenlos in eine lebensbedrohlicheNot stürzt und die EZB-Kredite den großengriechischen Unternehmen und Banken beiihren korrupten Finanzgeschäften zugute-kommen.

In der Ankunftsnacht – ich schlief im»schlechtesten Hotel der Stadt«, einer Ab-steige für Prostituierte und Migranten, die»Europa«(!)heißt–flutetegegen22UhreinTsunami infernalischer Discomusik, knat-ternder Mopeds und hundertfachen Stim-mengewirrs die vom Verfall bedrohte Stra-ßenschlucht. Ich ahnte, dass die Griechensich erst spät abends zum Ausgehen undMiteinanderreden in der Stadt treffen undmischte mich unter die Leute.

Vor der Disco ging ein sehr kleiner, sichauf seinen Stock stützender alter Mann biszu den an der Straßenecke stehenden Müll-containern. Er schaute sich suchend um,fand am Straßenrand eine Holzkiste, plat-zierte sie am Fuße des Containers, stieg hi-nauf und konnte nun hineinschauen. Mitseinem Stock rührte er im Container wie einKoch im Topf. Brotreste warf er in einenLeinensack. Aus dem Discoschuppen ka-men zwei junge Männer und schrien denAlten an. Als er nicht reagierte, nahmen sieihm den Stock weg, schrien ihn wieder an.Nun schüttelte er mit dem Kopf. Einer derJungen ging in die Disco und kam mit ei-nem überbackenen Fladen und einem GlasWasser zurück. Sie setzten sich neben denalten Mann auf den Bürgersteig. Er brach

den Fladen und steckte eine Hälfte in denSack. Die andere aß er so bedächtig, wie erdas Wasser Schluck für Schluck trank.

Der Mann hieß Christos Angelopoulus,erfuhr ich, und war erst 58 Jahre alt. Er hat-te keinen Beruf erlernt. Seine Frau starbkurz nach der Geburt ihres Sohnes. Chris-tos blieb mit ihm allein und erhielt, als derSohn eingeschult worden war, in dessenSchule eine Stelle als Hausmeister – alsStaatsangestellter im ÖffentlichenDienst. Vor zwei Jahren wurdeder Hausmeister, wie fastalle anderen auch, bei derersten Kündigungswelle,die dem Spardiktat derTroika folgte, entlas-sen. Seitdem sucht er inden Mülltonnen vonThessaloniki nach ess-baren Resten.

Die jungen Leute holtenBrot und Käse aus der Disco.Der alte Mann wickelte alles inZeitungspapier, steckte es in den Sack undging auf seinen Stock gestützt in eine derunbeleuchteten Seitengassen. Mich frag-ten die Zwei, ob ich als Deutscher die Bun-deskanzlerin, Frau Merkel, liebe. Und alsich mit gutem Gewissen »Nein« gesagt hat-te, luden sie mich zur Disco ein. Ich ver-zichtete auf die Disco und setzte michstattdessen zu den zwei jungen Männer aufdie Straße. Einer der beiden ist Student undlebt inzwischen wie viele junge Griechen,die die Mieten in der Stadt nicht mehr be-zahlen können, unfreiwillig wieder im Dorfbei den Großeltern. Die Rente seines Groß-vaters wurde von einem Tag auf den ande-ren von 600 auf 380 Euro gesenkt. SeinVater, ein Eisenbahner, erhielt vor demSpardiktat 950 Euro, inzwischen bekommter nur noch 350. Der Mutter hat man, wieallen Griechen, die länger als ein Jahr ar-beitslos sind, die staatliche medizinischeVersorgung gestrichen. »Und ein LiterMilch kostet heute fast zwei Euro. Und einStück Butter mehr als zwei Euro.«

Am zweiten Abend demonstrierten aufder unweit vom Hotel »Europa« befindli-chen Hauptstraße Tausende Griechen. Un-ter den 12 000 Studenten, die an mir vor-beimarschierten, war einer, nur einer, derein Foto von Angela Merkel mit Hitlerbärt-chen in die Höhe hielt. Ausländische Ka-merateams drängten die neben ihm Lau-fenden zur Seite, um diesen Mann und dasFoto in Großformat aufnehmen zu können.

Am nächsten Tag rief ich in Deutsch-land an und erfuhr, was ich ver-

mutet hatte: im Fernsehenkein einziges Bild von den

11 999 Griechen, die ge-gen Korruption, Raffgierund Vetternwirtschaftdemonstriert hatten.Aber sehr groß, wie

auch in den Zeitungenabgebildet, der eine

Grieche, der das Merkel-Foto hochhielt. An diesem

zweiten Abend in Thessalonikibeschloss ich, in meinem Buch die anderenGriechen, die 11 999 (oder wenigstens ei-nige von ihnen), zu beschreiben.

Als ich aus Griechenland zurückkam,fragten meine Freunde: »Was hast du mit-gebracht aus Thessaloniki?« – »Olivenöl,Ouzo und Wein.« Doch sie meinten nichtdie materiellen, sondern die ideellen Gü-ter. Ich sagte: »Ich habe erlebt, dass sichdie Griechen trotz der Erniedrigung durchdie Troika Größe und Würde bewahren undeine Solidarität und Zuversicht entwickelthaben, die mir bisher unvorstellbar war.Sie haben mir Mut gemacht, dass Grie-chenland nicht zum ›Experimentierfeld‹ fürdie globalen Monopole und das Finanzka-pital wird, die dort erkunden wollen, wietief sie die Menschen im Kampf um Profitsozial hinunterdrücken können. Stattdes-sen setzen die Griechen ein Widerstands-zeichen – auch für Portugal, Italien, Frank-reich. Und auch für die BRD. Nämlich dann,wenn die von ihr exportierte Krise zurück-kommt!«

Sie machenMut, dass Griechen-

land nicht zumExperimentierfeldfür die globalen

Monopole und dasKapital wird.

tantina und Olga, die jetzt, fast anderthalbJahre später vor dem Zelt sitzen, strahlendiese Zuversicht aus. Die Anspannung istaus den Gesichtern verschwunden. Gelas-sen warten sie darauf, dass ihr erfolgreichgeführter Kampf mit der Rückkehr an dieArbeit ihren Abschluss findet.

»Bis dahin kann es noch ein, zwei Mo-nate dauern«, meint Evangelia, die von al-len immer nur Litsa genannt wird. Zwar hatdie neu gewählte SYRIZA-geführte Regie-rung bereits im Wahlkampf die unverzüg-liche Wiedereinstellung der zum Symbolgewordenen Putzfrauen angekündigt.»Aber dafür braucht es eine gesetzlicheRegelung, die das alte Gesetz über dieStreichung der Stellen aufhebt«, erläutertdie rothaarige, selbstbewusste Frau. Mansei definitiv auf dem richtigen Weg, was ih-nen erst vor Kurzem auch ein ranghoherMitarbeiter des Ministeriums für die Ver-waltungsreform im persönlichen Gesprächversichert habe. Vizeminister Giorgos Ka-trougalos hatte während der Verhandlun-gen in der Eurogruppe um die nötigen Re-formen in Griechenland sogar mit demRücktritt gedroht, sollte die Wiederein-stellung der Frauen am Einspruch derGläubiger scheitern.

Solch eine Regierung verdient Vertrau-en und man muss sie unterstützen, befin-den die Frauen. »Vorher hatten wir nur Ja-Sager und die Situation ist Tag für Tag un-erträglicher geworden.« Litsa lastet der al-ten Regierung dabei nicht nur die Verant-wortung für Massenarbeitslosigkeit undVerelendung an. »Samaras hat auch10 000 Menschen auf dem Gewissen, diesich in der Krise das Leben genommen ha-ben.« Denn auch wenn die Frauen bei-spielhaft für den griechischen Widerstandsind, wissen sie gut, dass nicht alle Men-schen den Mut und die Kraft aufbringen,sich so konsequent für die eigenen Rechteeinzusetzen. »Wenn man keine Arbeit hat,hat man das Gefühl, nichts beitragen zukönnen, nicht für die Gesellschaft und nichteinmal für die eigene Familie. Da kann manden Mut auch verlieren.«

Dass mit der Linksregierung nicht Milchund Honig fließen werden, ist den Frauenbewusst. Man dürfe sich keine Illusionenmachen, die Lage sei nach wie vor schwie-rig, meint Litsa unter zustimmendem Ni-cken von Olga und Konstantina. Deswegengefällt es ihnen auch, dass viele Menschenin Griechenland auf die Plätze gezogensind, um die Regierung in ihren Verhand-

lungen mit den europäischen Partnern zuunterstützen. »Alle sollten wieder auf dieStraße, um die Position von SYIRZA zustärken«, meint Litsa.

Den neuen Ministerpräsidenten AlexisTsipras kennen sie persönlich, genau wiedie ins Finanzministerium eingezogene Vi-zeministerin Nadia Valavani. Die hatte diePutzfrauen am Tag ihres Dienstantrittsumarmt und sich das plötzlich aufklingen-de Sie verbeten. »Als ich Tsipras zum ers-ten Mal gesehen habe, war ich etwas kons-terniert, dass ein Parteichef sich einfach soauf einer Demo zeigt«, berichtet Litsa vonihrer ersten Begegnung mit Tsipras. Aberdann habe sie ihm einfach das Megafon indie Hand gedrückt. »Seitdem kann ich garnicht mehr zählen, wie oft er unsere Wie-dereinstellung angekündigt hat.«

Eine prominente Kollegin der Putz-frauen im Athener Finanzministerium istmittlerweile sogar SYRIZA-Abgeordneteim Europäischen Parlament. Auf die beieiner privaten Reinigungsfirma ange-stellte Konstantina Kouneva wurde im De-zember 2008 ein bis heute nicht aufge-klärter Säureanschlag verübt. Die aktiveGewerkschafterin leidet noch immer anden Folgen des beinahe tödlichen Atten-tats, ließ sich aber dadurch nicht ein-schüchtern.

Bei der Parlamentswahl am 25. Januarhatte man auch Litsa angeboten zu kandi-dieren, aber sie hat abgelehnt. »Ich denke,die Arbeit, die ich in der Bewegung leiste,ist wichtiger«, sagt sie. »Partei und Bewe-gung sind einfach nicht dasselbe und ichziehe die Bewegung vor.« Ansonsten aberfreut sie sich schon darauf, endlich wiedernach Hause auf die Insel Korfu zu kommen.Die Verwaltung der dortigen Finanzbehör-de hat den ausgelaufenen Vertrag mit derprivaten Reinigungsfirma in Erwartung aufdie Rückkehr »ihrer« Putzfrauen gar nichtmehr verlängert. »Das war dann vielleichtdoch etwas voreilig«, lacht Litsa. »Ein we-nig werden sie noch warten müssen.«

Anke Stefan

Rund 1,3 Millionen ErwerbsloseIn Griechenland gibt es rund 1,3 Millio-nen Erwerbslose. Für 300 000 ver-sucht die SYRIZA-geführte Regierunglaut Wahlversprechen umgehend eineLösung zu finden. Vizearbeitsministe-rin Rania Antonopoulos, die zuvor amNew Yorker Bard College tätig war, ar-beitet seit 2006 an einem »Arbeitsga-rantie«-Konzept. Danach würde jedeerwerbslose Person eine mit Mindest-lohn bezahlte vollzeitige Arbeitsstelleerhalten – sofern diese dies will. Wennsich keine Stelle in der privaten Wirt-

schaft findet, finanziert die Regierungeinen Arbeitsplatz. »Wir würden amliebsten ein Programm gestalten, das fürjeden Arbeitslosen offen ist, aber die Fi-nanzierung ist schwierig«, sagte An-tonopoulos in einem Gespräch mit derDeutschen Welle. Die Athener Regie-rung hofft, etwa 800 Millionen Eurojährlich aus dem EU-Sozialfonds zu er-halten. Weitere Gelder sollen aus denKommunen kommen. »Aber es ist nochnicht genug«, sagt die Wirtschaftswis-senschaftlerin. nd

Page 30: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 5554 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

Freude, Genugtuung, SorgenWarum SYRIZAs Wahlerfolg noch kein Sieg ist und es jetzt europaweit auf sozialeBewegungen ankommt. Ein Gespräch mit Andreas Hesse vom Berliner Solidaritätsbündnis

Andreas Hesse arbeitet im Berliner Soli-daritätsbündnis für Griechenland mit. Zu-sammen mit einer gewerkschaftlichenGruppe hat er Solidaritätsreisen nachGriechenland unternommen. Mit dem 64-jährigen gelernten Schriftsetzer und ver.di-Mitglied sprach Ines Wallrodt.

Was haben Sie beim Wahlsieg von SYRI-ZA empfunden?Freude, Genugtuung und auch große Er-leichterung. Denn von unseren Partnern inGriechenland wissen wir, dass die Kraft fürden alltäglichen Kampf ums Überlebennachgelassen hat. Viele haben daher alleHoffnungen auf SYRIZA gesetzt. Wie esweiter gegangen wäre, wenn der Regie-rungswechsel nicht geklappt hätte, mag ichmir nicht ausmalen.

Die Griechen haben eine linke Alternati-ve zu Angela Merkel gewählt. Sehen Siedie Linke in Deutschland dadurch eben-falls in der Offensive?Da fragen Sie den Falschen. Für solchenOptimismus bin ich schon zu lange po-litisch aktiv. Früher hat man beiRevolutionen in anderenLändern geglaubt, jetztgeht es auch bei uns los.Aber das kann man ebennicht übertragen. Mer-kel müssen wir schonselber loswerden.

Ist es mit der Freude an-gesichts des rechten Ko-alitionspartners schon wie-der vorbei?Die Koalition mit den UnabhängigenGriechen (ANEL) trübt natürlich die Freu-de. Sie ist Ausdruck der Zerstrittenheit inder griechischen Linken. Die Kommunis-tische Partei mit ihrer dogmatischen undsektiererischen Haltung verweigert sichjeglicher Zusammenarbeit mit SYRIZA, sodass die gezwungen ist, sich einen ande-ren Koalitionspartner zu suchen. Da die

PASOK als auch POTAMI Befürworter derSparmaßnahmen sind, blieb nur ANELübrig.

Welchen Preis wird das haben?Viele linke Griechen sagen, die Koalitionmit ANEL sei nicht so furchtbar, wie siegerade im Ausland dargestellt wird. SY-RIZAs Priorität ist, den Sparkurs derTroika zu stoppen und die demokrati-schen Rechte wiederherzustellen. DieUnabhängigen stimmen dem zu. Wie esheißt, hätten sie auch kein Problem da-mit, die illegalisierten MigrantInnen mitPapieren zu versorgen, auch wenn siedies aus eigenen, populistischen Grün-den tun – damit die Flüchtlinge weiterreisen.

Kein Grund also, alle Hoffnungen sofortzu begraben?So schnell begraben wir unsere Hoffnun-gen nicht. Die Troika wird auf erheblichmehr Widerstand auch auf zwischenstaat-licher Ebene stoßen. Zumal es auf andere

Dinge ankommt als auf parlamentari-sche Schachzüge. Ich bin den-

noch vorsichtig mit dem WortSieg. Es ist zunächst ein

Wahlerfolg, vom Siegenkann man sprechen,wenn es der neuen Re-gierung gelingt, we-sentliche Verbesserun-gen für die verarmte Be-

völkerung durchzuset-zen.

Wovon hängt das jetzt ab?Es muss gelingen, nicht nur im Parlament,

sondern auch im Staatsapparat einen po-litischen Wechsel durchzusetzen. Da sit-zen ja noch die alten Leute. Zudem wirdentscheidend sein, ob sich die zahlreichenInitiativen des Widerstands bemerkbarmachen. Sie müssen die SYRIZA-Regie-rung in den Verhandlungen mit der Troikaunterstützen und sie zugleich kontrollie-

ren. Nur so lässt sich verhindern, dass dieneue Regierung des kleinen Griechenlandsvor der mächtigen Troika einknickt.

Wie groß ist diese Sorge?Diese Sorge ist tatsächlich sehr groß.Ohne internationale Unterstützung wirdeine linke Regierung auf die Dauer kei-nen Bestand haben. In den Ländern Süd-europas sieht es dabei ganz gut aus, wiedas Beispiel Spanien zeigt, wo PODE-MOS nach Wahlumfragen stärkste poli-tische Kraft ist. In Deutschland, Frank-reich oder England verschieben sich da-gegen die Kräfteverhältnisse nachrechts. Der Nationalismus auf Kosten an-derer Länder und vor allem der Flücht-linge nimmt rapide zu. Das erleben wirderzeit doch jeden Montag deutlich mitPegida in Dresden.

Brauchen die Menschen in Griechenlanddie Solidaritätsgruppen in Deutschlandnoch?Wir haben uns nie als Wahlkampftruppevon SYRIZA verstanden, sondern als Ini-tiative von unten, als Kolleginnen undKollegen, die weder im Parteiauftragnoch im Auftrag von Gewerkschaftsvor-ständen nach Griechenland gefahrensind. Wir wollten den vielfältigen Wi-derstand dort unterstützen. Der rechts-populistische Koalitionspartner bestä-tigt uns noch in unserer Unterstützung,beispielsweise der sozialen Kliniken.Viele von ihnen haben ihre Arbeit be-gonnen mit der kostenlosen Betreuungvon Flüchtlingen.

Es kommt jetzt darauf an, ob eine lin-ke, europaweite Bewegung gegen dieAusteritätspolitik genügend außerpar-lamentarischen Druck ausüben kann.Entscheidend wird sein, ob sie die ab-hängig Beschäftigten und damit derenGewerkschaften erfassen kann. Insofernhat sich an unseren Aufgaben nichts ge-ändert. Die Soligruppen treffen sichweiter.

Wir haben unsnie als Wahlkampf-truppe von SYRIZA

verstanden, sondernals Initiativevon unten.

Ich erlebte die Solidarität und den Mutder Griechen auch im »Sozialen Ärzte-zentrum« von Thessaloniki. In der zweit-größten Stadt Griechenlands sind über 35Prozent der Menschen seit mindestens ei-nem Jahr arbeitslos und haben deshalb kei-nen medizinischen Versicherungsan-spruch mehr. Doch 200 Ärzte und Schwes-tern behandeln diese nicht versichertenPatienten inzwischen ohne Honorar im»Sozialen Ärztezentrum« und verteilen ge-spendete Medikamente. Die Wartezimmerdieser Ärzte sind überfüllt.

Ich frage, ob Fachärzte aus allen Berei-chen im Zentrum vertreten sind. »Ja, alle.Am Samstag kommen auch die Hebammenund Gynäkologen und betreuen Schwan-gere.« – »Aber Frauen gebären doch nichtnur am Samstag. Was dann?« – »Falls sie zuden 30 Prozent der Nichtversicherten ge-hören, müssen sie für eine Geburt 600 Eu-ro bezahlen. Mit Kaiserschnitt 1200 Euro.«– »Und wenn die Frauen dieses Geld nichthaben?« – »Dann beschäftigen sich die An-wälte der Kliniken mit ihnen.« Einige Frau-en würden erst Minuten vor der Entbin-dung in die Klinik kommen und sofort da-

nach, noch bevor ihre Personalien aufge-nommen worden seien, mit ihrem Kind ver-schwinden.

Um auf die zweite Frage von Kostas,Tassos und Sokrates, nämlich der nachdem Verhältnis von Griechen zu Deut-schen, zu antworten: Nur einmal erlebteich in einer Diskussion, dass von GriechenHäme über deutsche Politiker ausge-schüttet wurde. Die Ikonenmalerin Melis-si, die in Kiel Kunst studierte, beschwertesich, dass Frau Merkel und Herr Schäuble,die sie als »Kommandeure der Troika« be-zeichnete, nur die armen Griechen blutenlassen. »Weshalb nehmen sie das Geldnicht von den griechischen Bankern undPolitikern? Und weshalb lassen sie zurSchuldentilgung nicht die Milliarden Eurobeschlagnahmen, die reiche Griechen inder Krise an der Steuer vorbei auch aufdeutschen Banken deponiert haben?« Sieverstehe nicht, dass Frau Merkel rigorosverlange, die Löhne in Griechenland zusenken, die Renten zu beschneiden, dieLehrer zu entlassen, aber noch nie er-wähnt oder gar verlangt habe, dass Grie-chenland, um Schulden abzubauen, nicht

mehr jährlich für viele Milliarden EuroWaffen kauft. – »Weshalb sie es nicht ver-langt? Weil die meisten dieser Waffen inDeutschland gekauft werden.«

Vier Tage vor der entscheidenden grie-chischen Wahl im Januar 2015 erlebte ichmeine erste Gänsehaut-Begegnung mit ei-nem Griechen in Berlin. Nicht mit einemGriechen, sondern mit dem Griechen. Ma-nolisGlezos,92 Jahrealt,AbgeordnetervonSYRIZA im EU-Parlament. Als 18-Jährigerhatte er während der Besatzung die fa-schistische Flagge unter Lebensgefahr vonder Akropolis geholt. Er hatte viele Jahre inden Todeslagern der Militärjunta gesessenund wurde noch vor wenigen Monaten beieiner Demonstration in Athen von der Po-lizei mit Tränengas angegriffen.

Am Abend des Wahlsieges von SYRIZArufe ich meine Freunde in Thessaloniki anund gratulieren ihnen. Doch Tassos sagt:»Gratuliere in zwei oder drei Jahren. Wir ha-ben die korrupten falschen Politiker in Grie-chenland zwar vom Thron gestürzt, aber dasandere Griechenland und das andere Euro-pamüssenwirerstnochmühsamTagfürTagerkämpfen.« Landolf Scherzer

»Ich habe erlebt, dass sich die Griechen trotz der Erniedrigung durch die Troika Größe und Würde bewahren und eineSolidarität und Zuversicht entwickelt haben, die mir bisher unvorstellbar war.« (Landolf Scherzer) Foto: AFP/Menelaos Myrillas

Page 31: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 5756 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

Solidarität ist eine SeifeSeit zwei Jahren produzieren die Arbeiter von VIO.ME selbstverwaltet in ihrerbesetzten Fabrik in Thessaloniki. Die dort hergestellte Seife wurde zu einem Symboldes Widerstandes, das weit über Griechenland hinaus wahrgenommen wird

Es ist ein klarer, sonniger FebruarsonntaginThessaloniki.DerBusbringtmichausderStadt hinaus Richtung Flughafen. Schonbin ich zu weit gefahren, der Bus biegt aufden überdimensionierten Parkplatz vonIkea ein. Eine Station vorher hätte ich aus-steigen sollen. Nun schimmert links dasMittelmeer zwischen den Häusern, rechtsliegt ein tristes Industriegebiet. Also zu-rücklaufen. »Ein Stück weit auf der ande-ren Straßenseite zurück und dann rechtsreingehen«, war mir gesagt worden. Bin ichwirklich richtig hier?

Ein Plakat bestätigt, dass ich zumindestnicht in der komplett falschen Gegend seinkann. Es ist dasselbe grüne Plakat mit demmarkanten Logo – ein Zahnrad und eineFabrikmit rauchendemSchlot– ,das ichamAbend zuvor in Thessaloniki mehrfach ge-sehen habe. Es hängt dort in Straßen undKneipen. Zunächst sehe ich dieses Plakatnur vereinzelt, dann werden es immermehr. Ein Auto kommt mir entgegen, derFahrer scheint dasselbe zu suchen wie ich.»VIO.ME?«, fragt er. Die Straße rechts reinmuss er offensichtlich, denn da hängt jetztan jedem Baum eines dieser Plakate.Zwei-, dreihundert Meter laufe ich diesenWeg entlang, rechts eine Reihe von Nadel-bäumen, links einige Häuser. Dann stehtman auf einem Parkplatz, vor dem Tor zurFabrik von VIO.ME, das heute für Besucherweit offen steht. Es wird gefeiert, dass dieArbeiter hier nun seit zwei Jahren in Selbst-verwaltung Seife und andere Reinigungs-mittel herstellen.

Einst produzierte die 1982 gegründeteFabrik Baustoffe wie Industrie- und Fu-genkleber, die sehr gefragt waren. VIO.MEbeziehungsweise BIO.ME, da das griechi-sche B quasi ein deutsches V ist, war hochprofitabel. Es galt als eines der 20 erfolg-reichsten Unternehmen in Nordgriechen-land. 70 Menschen arbeiteten dort, von de-nen 42 in einer Basisgewerkschaft organi-siert waren. Doch dann kam die Krise. Dergriechische Mutterkonzern von VIO.ME,Filkeram, schrieb rote Zahlen und ver-

suchte sich zu retten, indem er Geld aus derFabrik in andere Unternehmensteile steck-te. Im Mai 2011 meldeten die Besitzer, dieFamilie Filippou, Konkurs an, und die Chef-etage machte sich von einem Tag auf denanderen aus dem Staub.

Die Arbeiter von VIO.ME erhielten kei-nen Lohn mehr. Sie standen damals quasivor dem Nichts. Just in dem Jahr, in dem dieWirtschaftsleistung des Landes umfast neun Prozent einbrach unddie Arbeitslosenquote auf17,9 Prozent hoch-schnellte.

Heute ist jeder vierteGrieche arbeitslos, undseit dem Ausbruch derKrise sank die Wirt-schaftsleistung um rund25 Prozent. Wer arbeitsloswird, hat derzeit so gut wiekeine Chance, eine neuen Jobzu bekommen.

Doch die Arbeiter von VIO.ME wolltennicht einfach aufgeben. Sie organisierteneine Vollversammlung und diskutierten,was zu tun sei. Bei einer Abstimmung wa-ren 97 Prozent dafür, die Fabrik zu beset-zen und selbstverwaltet weiterzuführen.Seitdem ist die Vollversammlung ihrhöchstes Gremium. Im Februar 2013 liefdie Seifenproduktion an.

Die besetzte Fabrik ist längst zu eineminternationalen Symbol für die Krise inGriechenlandgewordenunddafür,dassdieMenschen hier ihr Schicksal nicht mehrpassiverdulden,sondernselbst indieHandnehmen wollen. »Wir sind nicht nur hier,um zu zeigen, dass wir in der Fabrik sind.Wir wollen den Menschen zeigen, dass dieArbeiter selbst die Fabrik leiten können«,begrüßt mich Vassilis. Zu VIO.ME gekom-men ist er über das Solidaritätskomitee,das man in Thessaloniki zur Unterstützungder besetzten Fabrik gegründet hatte. SeitSeptember kümmert er sich vor allem umdie Buchhaltung. Schließlich hat er Infor-matik und Wirtschaft studiert.

Einfach so wieder die alten Produkteherzustellen, war für die 21 Arbeiter nichtmöglich. »Es ist schwierig, Rohstoffe fürBaumaterialien zu kaufen. Die sind sehrteuer«, erzählt Vassilis auf Englisch undführt die Besucher in eine große Halle, inder einst Industriekleber produziert wur-den. Jetzt steht sie leer und wird nur nochfür Versammlungen benutzt. Warum

VIO.ME Güter wie Seife, Wasch-pulver und Glasreiniger her-

stellt, hat noch einen an-deren Grund: »Wir woll-

ten preisgünstige Sa-chen herstellen, die dieMenschen brauchenund die möglichst nochumweltfreundlich

sind«, sagt Vassilis.Denn obwohl die

meisten Griechen immerweniger Geld zur Verfügung

haben, sind viele Produkte des all-täglichen Lebens sehr teuer. Eine PackungKlopapierkostetvierEuro,Milchdoppeltsoviel wie in Deutschland, und für ein Bier ineiner Kneipe kann man in Thessaloniki lo-cker vier Euro los werden. Trotzdem siehtman in Griechenlands zweitgrößter Stadtnur wenig von der allgemeinen Armut. DieReichen und Schönen treffen sich noch im-mer in den Cafés und Bars an der Prome-nade, Bettler auf der Straße gibt es hier we-niger als in Berlin.

Warum das so ist? »Wer Geld hat, zeigtjetzt noch mehr, dass es ihm gut geht.«Auch helfen sich die Familien viel unterei-nander. Und die Menschen haben Strate-gien entwickelt, mit der Situation umzu-gehen.ObstundGemüseetwawirdjetztaufdem Markt gekauft, weil es dort günstigerund besser ist als im Supermarkt. Ärzte ha-ben solidarische Praxen eröffnet, in denensie ehrenamtlich Menschen ohne Kran-kenversicherung behandeln – etwa auf dreiMillionen Griechen trifft dies zu.

Zu den Strategien gehören die »Märkteohne Mittelsmann« oder »offenen Märk-

te«, wie sie auch genannt werden. Dort ver-kaufen Kooperativen und Bauern ihre Pro-dukte direkt an den Konsumenten. Ein sol-cher Markt findet an diesem Sonntag aufdem Gelände von VIO.ME statt. Der An-drang ist recht groß, obwohl die Fabrik au-ßerhalb der Stadt liegt. Weil die frühereRegierung Samaras diese »offenen Märk-te« bekämpfte, habe man sich entschlos-sen, »die Fabrik für die Gesellschaft zu öff-nen, und den anderen Produzenten ange-boten, ihre Waren hier zu verkaufen«, er-klärt Vassilis, der vor seiner Zeit bei VIO.MEbeim Sozialen Zentrum Micropolis in Thes-saloniki aktiv war.

Rund 20 Stände befinden sich auf demGelände der Fabrik. Von frischem Obst undGemüse bis zu Kosmetik werden Sachendes alltäglichen Bedarfs verkauft. Ein gro-ßer Grill sorgt für die leibliche Stärkung – inForm von Souflaki und länglichen griechi-schen Buletten für je ein Euro das Stück. Ei-ne junge Frau erzählt, dass sie aus Kretastammt, in Thessaloniki studiert hat undarbeitslos ist. Nun verkauft sie hier Ge-würze von ihrer Heimatinsel und selbst ge-machte Hautcreme.

Auch VIO.ME ist auf solche Märkte an-gewiesen. Einen professionellen Vertriebhat die Fabrik nämlich nicht, und ihre Pro-dukte kann man nicht im Supermarkt fin-den. Über Solidaritätskomitees und Sozi-ale Zentren verkauft sie ihre Seife. Reichwerden ihre Arbeiter dadurch nicht. »Wirproduzieren nur sehr kleine Mengen. Dashilft uns, zu überleben«, sagt Vassilis undzeigt den Raum, in dem jetzt Seife produ-ziert wird. Er ist nur ein Bruchteil so großwie die frühere Werkhalle. Weil die Pro-duktion so gering ist, können die Arbeitervieles per Hand machen.

Die Arbeiter von VIO.ME erhalten vielZuspruch aus aller Welt. Prominente Intel-lektuelle wie Naomi Klein, David Harveyund Giorgio Agamben unterschrieben ei-nen Solidaritätsaufruf. Auch in Berlin gibtes inzwischen eine Unterstützerszene. Solud unlängst eine Initiative, die die Soli-

Seife aus Griechenland vertreiben will, zueiner Infoveranstaltung in einem Szene-treff im Stadtteil Neukölln ein. Knapp 30Besucher hörten den Erzählungen des Re-ferentenzu.Wasmantunkönne,umVIO.MEnoch mehr zu unterstützen? »Weitere Soli-daritätskomitees gründen, die nicht nur aufdem Papier existieren, sondern tatsächlichauch die Seife verkaufen.« Für Vassilis sindsolche Initiativen in den anderen EU-Län-dern unabdingbar. »Ohne die Solidari-tätskomitees, ohne diese Bewegung, wärenichts möglich«, sagt er. Dabei geht es ihmweniger um das Geld als um die Unterstüt-zung. Denn die rechtliche Lage ist bisherungeklärt. Zwar hatte die alte Regierung esnicht gewagt, die besetzte Fabrik zu räu-men. Doch es droht ihr von anderer Seite

immer noch das Aus. »Die Gerichte sindderzeit das Problem«, so der Aktivist. DieGläubiger der einstigen Eigentümer for-dern ihr Geld zurück, und VIO.ME dient alsKonkursmasse. Die besetzte Fabrik könnteden Forderungen der Gläubiger zum Opferfallen. Die neue Regierungspartei SYRIZAhat den Arbeitern zwar Hilfe versprochen,doch ob diese auch kommt und wie sie aus-sieht, das kann Vassilis nicht sagen. »Siesind ja auch erst 20 Tage im Amt. Das Wich-tigste für mich und die meisten Arbeiter ist,dass die Basisbewegung die Regierung da-zu drängt, uns zu helfen.«

Ob er wenigstens optimistisch in die Zu-kunft schauen kann? »Ich bin immer Opti-mist«, sagt Vassilis und lacht.

Simon Poelchau

Die besetzteFabrik ist zu einem

internationalenSymbol für die Krise

in Griechenlandgeworden.

Organisation von unten: Solidaritätskomitees und Offene Märkte sichern dieVersorgung mit beispielsweise Lebensmitteln und Kosmetik. Foto: AFP/Louisa Gouliamaki

Page 32: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 5958 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

Solidarität, aber wie?Kommentare von der Seitenlinie – oder wirksame Politik gegen Angela Merkel?Der Erfolg von SYRIZA hat in der deutschen Linken eine Debatte ausgelöst. Eine Auswahl

Was tun

Wie aus der Zuschauer-Solidaritätheraustreten? Horst Kahrs undTom Strohschneider überGriechenland, das Reden von derhistorischen Chance und dieLinken

Es klingt abgedroschen, zugegeben. Aberman muss es sich wohl in diesen Tagen im-mer mal wieder in Erinnerung rufen: Espassiert etwas, etwas Größeres, etwas dasherausragt aus einer an Eilmeldungen,»historischen Dimensionen« und auf-merksamkeitsökonomischen Hypes nichtgerade armen Welt. Erstmals seit Jahr-zehnten regiert eine klar links der Sozial-demokratie positionierte Partei in einemeuropäischen Land, nicht nur als Anhäng-sel oder Mehrheitsbeschafferin. Ihr parla-mentarischer Erfolg ist nicht zuletzt derpolitische Vollzug einer vielfältigen sozia-len Widerstandsbewegung. Es ist etwaseingetreten, das in den Debatten der euro-päischen Linken immer als ein Etappenzieldiskutiert wurde.

Was heißt das denn politisch, also in ei-nem Sinne der Organisation von Macht, vonrealen Entscheidungsmöglichkeiten? Washeißt das für die gesellschaftliche und dieparteipolitische Linke? Was müsste dietun? Was könnte die überhaupt tun? Unddas in Deutschland, dem erkannten Kern-land der Austeritätspolitik? Kann die deut-sche Linke sich in dieser Frage auf die eu-ropäische Ebene flüchten, wo ihr Einflussnoch geringer ist?

Zur Beantwortung solcher Fragen wirdman nicht kommen, wenn man weiterhindamit befasst bleibt, aus der Ferne genauhinzuschauen, Bewertungsnoten für SY-RIZA zu vergeben und gegebenenfalls nochden Hinweis anzuhängen, dass dort dieChance zu irgendwas groß sei, weshalb So-lidarität natürlich wichtig bleibe. Politi-sche Solidarität in diesem historischenGelegenheitsfenster verlangt, alle er-

reichbaren Hebel in Bewegung zu setzen,um die Verhandlungsposition von Merkel &Co. gegenüber SYRIZA zu schwächen.

Wir haben immer davon geredet, dassdie Veränderung nicht in Athen allein statt-finden kann, es wurde vor der Griechen-land-Wahl die Position geäußert, dass esum eine Entscheidung zwischen dem Mo-dell Merkel und einem der gesellschaftli-chen Kehrtwende geht, und wir sehen nun,dass deren Kern nicht Ideologie ist, son-dern Politik – inklusive machttaktischerEntscheidungen.

Es ist gesagt worden, dass mit Grie-chenland das schwächste Glied in der vonBerlin aus gelegten krisenpolitischen Ket-te brechen könnte – was nun geschehen ist.Es wurde beklagt, dass dort die Menschendurch von der Bundesregierung orchest-rierten Entscheidungen Hunger leiden,keine Gesundheitsversorgung haben und

so fort. Die griechische Regierung hat denerhofften Bruch begonnen, doch der Erfolgist kein Selbstläufer. Seine Ausweitungebenfalls nicht. Und die Zeit ist knapp.

Ein echter Bruch mit dem Merkel-Mo-dell wird nur dann erfolgreich sein, wenner nicht der Kanzlerin selbst überlassenwird, die sich hier wie immer sehr be-weglich zeigen dürfte, also das hegemo-niale deutsche EU-Projekt den jeweilsneuesten Bedingungen anpasst. Hat sichdaran etwas in den vergangenen Wochengeändert?

EinGedankenspiel: ImBundestaggibteseine Mehrheit von SPD, Linkspartei undGrünen. In allen Parteien wird mindestenseine Korrektur der auf reine Austerität set-zenden Krisenpolitik befürwortet, bei denSozialdemokraten aufgrund der Einhe-gung in die Große Koalition am wenigstendeutlich. Ist die »Chance auf einen Neuan-

Keine Gefahr, sondern eine ChanceAus dem Aufruf der Vorsitzenden derGewerkschaften DGB, ver.di, IG BAU,EVG, NGG, GEW, IG BCE, IG Metall, vonKollegen aus anderen Ländern, kriti-schen Wissenschaftlern sowie von Po-litikern von SPD, Linkspartei und Grü-nen, 2. Februar 2015:Wir unterstreichen erneut die von Sei-ten der Gewerkschaften in den zurück-liegenden Jahren vielfach geäußerteKritik: Die entscheidenden Bedingun-gen, unter denen die finanziellen Hilfenfür Griechenland gewährt werden, hat-ten von Anfang an nicht die Bezeich-nung »Reform« verdient. Die Milliarden,die nach Griechenland geflossen sind,wurden vor allem für die Stabilisierungdes Finanzsektors verwendet. Gleich-zeitig wurde das Land mit einer bruta-len Kürzungspolitik in die tiefste Re-zession und damit zugleich in die

höchste Staatsverschuldung der ge-samten EU getrieben. Die Folge ist einesoziale und humanitäre Krise ohne Bei-spiel in Europa.

Mit der neuen griechischen Regie-rung muss ernsthaft und ohne Erpres-sungsversuche verhandelt werden, umdem Land eine wirtschaftliche und so-ziale Perspektive jenseits der geschei-terten Austeritätspolitik zu eröffnen.Wer jetzt die Fortsetzung des bisheri-gen, sogenannten Reformkurses ver-langt, spricht faktisch der griechischenBevölkerung das Recht auf eine demo-kratisch legitimierte Neuorientierungder Politik in ihrem Land ab.

Das europäische Projekt wird nichtdurch Spardiktate gestärkt, sondern nurdurch die demokratische Initiative vonunten für wirtschaftlichen Wiederauf-bau und mehr soziale Gerechtigkeit.

fang«, von der in der gesellschaftlichen Lin-ken jetzt immerdieRedeist, soreal,dassdieparteipolitische Linke darauf nun mindes-tens mit dem Vorschlag reagieren müsste,die im Bundestag bestehende parlamenta-rische Mehrheit wirksam zu machen – undsei es für ein Minimalprogramm? Was wäreder Linkspartei die Option einer Schulden-erleichterung für Griechenland, einer 500-Milliarden-Invesitionsoffensive direkt inöffentliche Hand über die Europäische In-vestitionsbank und der Stopp des bisheri-gen Troika-Modells wert?

Es ist leicht, zu sagen, mit der Gabriel-SPD und einem Teil der Grünen ginge das jaohnehin nicht. Es ist noch leichter, jetzt aufMaßstäbe zu pochen, die unter anderenBedingungen herausgebildet wurden (zumBeispiel rote Haltelinien). Es ist möglich,beim Nachdenken über wirkliche PolitikIrrtümer zu begehen oder bei praktischenGehversuchen auf die Nase zu fallen. Aberwer sein eigenes Reden vom historischenFensterspalt ernst nimmt, der in Athen an-geblich geöffnet wurde, der sollte jetzt

auch ernsthaft darüber reden, wie man auseiner bloßen Zuschauer-Solidarität he-raustreten kann.

WirredenüberGlaubwürdigkeit:Sindwirin die historische Phase des Bruchs einge-treten, in der etwas Neues entstehen kann?Wenn ja: Was tragen Linke durch ihre dis-kurspolitischen Interventionen dazu bei, inGewerkschaften, Verbänden, ja Parteien dieKraft politischer Phantasien und Hoffnun-gen zu stärken, ohne die alternative Kon-zepte zwar richtige Konzepte bleiben – abernie politische Alternativen werden?

Die spektakuläre Entschlossenheit, mitder die neue griechische Regierung mit deralten Politik bricht, gleicht einer politi-schen Innovation, die einen neuen Ent-wicklungspfad öffnen kann. Keine Hilfewäre es, die eingeübten politischen Routi-nen fortzusetzen statt zu versuchen, denGedanken der wechselseitigen Abhängig-keit und Solidarität ins öffentliche Be-wusstsein zu rücken.

Dass Griechenland seine Schulden nie-mals zurückzahlen kann, ist in den herr-

schenden Eliten ebenso bekannt wie dieTatsache, dass die der griechischen Be-völkerung abgepressten Gelder bislang vorallem an Banken und Versicherungen ge-flossen sind. Die herrschende Erzählung,wonach sich die Griechen gesund sparenmüssen, trägt nicht mehr. Doch welche trittan ihre Stelle?

Politisch praktische, intervenierende,nicht nur informierende Solidarität mitder griechischen Regierung ist selbstver-ständlich immer auch eigennützig. In unddurch Griechenland wird der Nachweiserbracht, dass Alternativen zur herr-schenden Politik und alten Elite realpoli-tisch möglich sind. Scheitert SYRIZA,scheitert die europäische und deutscheLinke, ist die Zukunft für längere Zeit ver-stellt. Uns treibt die Vermutung, dass esdeshalb ein paar politische Innovationenmehr braucht.

Horst Kahrs arbeitet am Institut fürGesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Tom Strohschneider istChefredakteur von »nd«. (nd, 29.1.2015)

»Wir beginnen in Griechenland. Wir verändern Europa«, erklärt die Linkspartei hier. Die SYRIZA-Regierung ist für die deutsche LinkeChance wie Herausforderung. Für Alternativen zur herrschenden Politik braucht es politische Innovation. Foto: AFP/Odd Anderson

Page 33: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 6160 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

Die eigenen Losungenernst nehmen

Einen Politikwechsel kann mannicht SYRIZA allein aufbürden,sagt Lutz Brangsch – und sieht dieLinken gefordert

Nüchtern betrachtet ist es unverständlich,warum Merkel und wesentliche Teile derbundesdeutschen Eliten einen solchenLärm um Griechenland machen – sie wis-sen natürlich, dass die Schulden unbe-zahlbar sind und dass die Fortsetzung desDrucks auf soziale Standards letztlich diewirtschaftliche Leistungsfähigkeit und diepolitische Stabilität des Landes langfristigin Frage stellen wird. Zudem dürfte Grie-chenland – betrachtet man einen län-gerenZeitraumundlässtmandieZinsverpflichtungen außenvor – das geliehene Geldlängst weitgehend zu-rückgezahlt haben. EinSchuldenschnitt würdein den Bilanzen nurmarginale Spuren hin-terlassen.

Der Lärm dreht sichum etwas ganz anderes. Esgeht darum, dass ein Erfolgder griechischen Regierung ge-gen die von der EU verfolgte Konsoli-dierungsstrategie die Machbarkeit von Al-ternativen zum innenpolitischen Kurs dergegenwärtigen bundesdeutschen Regie-rung bestätigen würde. Sehen wir uns un-ter diesem Gesichtspunkt das Regierungs-programm und die ersten Verlautbarungender griechischen Regierung an.

Die Beendigung von (ohnehin ökono-misch wenig erfolgversprechenden) Pri-vatisierungsvorhaben, die Anhebung vonMindestlöhnen und die Stabilisierung derRenten sowie die Legalisierung vonFlüchtlingen treffen genau die Konfliktfel-der, die die deutsche Regierung möglichstaus den Debatten heraushalten will. Auchwenn Rekommunalisierungen in deut-schen Kommunen in vielen Fällen aushaushaltspolitischen Erwägungen erfolg-ten, so zeigen doch die zum Beispiel überBürgerbegehren in Gang gesetzten Re-kommunalisierungen und die recht großeZahl praktisch gescheiterter und mit gro-ßen Belastungen für kommunale Haushal-te verbundener ÖPP-Projekte, dass die ge-genüber Griechenland angeschlagenenTöne eher »Pfeifen im dunklen Wald« sindals Ausdruck wirtschaftspolitischer Weis-heit. Abgesehen von der Verlogenheit der

rhetorischen Wellen geht es hier um dieAkzeptanz einer Strategie, die eben nichtsanderes als erfolgreiche Umverteilung vonöffentlich zu privat ist.

Der Mindestlohn, dessen Höhe ohnehinumstritten ist, wird mehr und mehr durch-löchert und gegebenenfalls auch von Un-ternehmen unterlaufen. Die gesetzlicheRente schrumpft für viele Menschen aufdas Niveau einer Mindestsicherung. Diegepriesene Ergänzung der Alterssiche-rung durch private Versicherungen er-weist sich mehr und mehr als Farce, auchweit in die so genannte Mittelschicht hi-nein.

Und schließlich das Thema Flucht undMigration – die Bandbreite der Reaktionenaus den Regierungsparteien reicht von der

Betonung der Bedeutung »nützlicher«EinwanderInnen und Flüchtlin-

ge bis hin zur Anbiederungbei Pegida und AfD – wo-

bei sich beide Pole nichtausschließen. Jedenfallswird kein Bestrebensichtbar, sich der Ver-antwortung, die auchdie Bundesrepublik und

die bundesrepublikani-sche Wirtschaft für die

Fluchtbewegungen in derWelt trägt, in humaner Art zu

stellen. Mithin stellt sich die griechi-sche Regierung Aufgaben, die die deutschemit einem viel gewaltigeren ökonomi-schen Potenzial im Rücken unfähig und un-willig ist zu lösen.

Was bedeutet vor diesem HintergrundSolidarität? Der für die Eliten Deutsch-lands gefährlichste Effekt wäre es, wennnach den Erklärungen der Unterstützungdes Kurses der griechischen Regierung unddes Protestes gegen das Verhalten der Re-gierungs- und Medienfunktionäre jetzt diegleichen Projekte wie in Griechenlanddurch die linken, sozialen und gewerk-schaftlichen Bewegungen konsequent aufdie Tagesordnung gestellt werden - und dasin allen EU-Mitgliedsstaaten.

Das Erzwingen eines Politikwechsels al-lein SYRIZA und eventuell PODEMOS auf-zuladen, wird beide Projekte zum Schei-tern bringen. Soll die Losung des Politik-wechsels, in der Wahlnacht und am Tag da-nach vielfältig als handliches Plakat in Ka-meras gehalten und über Facebook ver-breitet, ernst gemeint sein, sind Aktionenauch hier in Deutschland nötig. Rekom-munalisierungsprojekte, Bürgerhaushalte,kommunale Initiativen zur Bewahrung desÖffentlichen oder zum Schutz von Migran-

tInnen erhalten vor diesem Hintergrundeinen völlig neuen Stellenwert.

Die hier deutlich werdenden Möglich-keiten der Veränderung legitimieren diePolitik in Griechenland gegen die Behaup-tungen der EU, der Regierungen der Mit-gliedsstaaten und eines Großteils der Me-dien. Sie sind ein Schlüssel, um die Mas-senhaftigkeit des Protestes, den wir in derWahl in Griechenland erlebt haben, auch inDeutschland zu erreichen.

Lutz Brangsch arbeitet im Institut fürGesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung. (nd 5.2.2015)

Athens calling?

Ein Beitrag zur Debatte über dieSYRIZA-geführte Regierung inGriechenland als Herausforderungfür die Linke hierzulande.Von Moritz Warnke

Welche Spielräume der Aufbruch in Grie-chenland hat, hängt auch davon ab, ob esgelingt, die Kräfteverhältnisse im Rest Eu-ropas und v.a. in Deutschland zu verän-dern. Um so erfreulicher, dass Tom Stroh-schneider und Horst Kahrs in ihrem Artikel»Was tun« zu Recht die Ausrichtung derDiskussion weg von eingeübten »Reiz-Re-aktions-Mustern« zur der Frage verscho-ben haben, wie es einer deutschen Linkengelingen kann, aus einer bloßen »Zu-schauer-Solidarität« herauszutreten.

Nur klingen die von Strohschneider undKahrs gemachten Vorschläge erstaunlichvertraut: Sie plädieren dafür, den Schwungdazu zu nutzen, eine veränderte Zusam-menarbeit von Rot-Rot-Grün auszulotenund den Aufbruch in Griechenland damit inveränderte parlamentarische Mehrheiten

auch hierzulande zu übersetzen. Natürlichist es richtig, die Diskussion zu suchen undsich darum zu bemühen, Bewegung in dieDiskussion der neoliberalisierten Sozial-demokratie und der Grünen zu bringen. DasParadoxe des Vorschlags aber ist, dass ergerade das Charakteristische des Auf-bruchs in Südeuropa übersieht, weil er ineigentümlicher Weise auf die parlamenta-rische Dimension von Politik beschränktbleibt.

Denn in Griechenland und Spanien wares gerade die Maulwurfsarbeit in denPlatzbewegunen, in sozialen Zentren undFormen der selbsthilfeorientierten Orga-nisierung, die die gesellschaftlichen Kräf-teverhältnisse durcheinandergewirbelthaben. Sie führten zu einer Reorganisationder Linken und haben den Boden für eineVerschiebung der gesellschaftlichen Kräf-teverhältnisse bereitet. SYRIZA und PO-DEMOS sind Ausdruck dieser Entwicklung.Die starken Protestbewegungen in Grie-chenland und Spanien experimentiertenmit verschiedenen Formen der Politik: De-monstrationen, Platzbesetzungen, Gene-ralstreiks, Widerstand gegen Zwangsräu-

Hoffnung aufeinen Aufbruch

Aus dem Aufruf der EuropäischenLinkspartei, 17. Februar 2015:Wir unterstützen die Forderungenvon SYRIZA, weil sie die Forderungenvieler Menschen in Europa und allerlinken Kräfte in Europa sind. Insbe-sondere fordern wir:– eine europäische Schuldenkonfe-

renz nach dem Muster der LondonerKonferenz von 1953 mit der Zielset-zung einer Lösung der Schulden-problematik – nicht nur für Grie-chenland, sondern für ganz Europa.

– die Macht der Banken muss ein-geschränkt, die Staaten aus der Er-pressbarkeit durch die Finanz-märkte befreit werden. Die EZBmuss für die Mitgliedsstaaten als»lender of last ressort« fungierenund Direktkredite zu günstigenZinsen vergeben.

– statt der Orientierung auf Austeri-tätspolitik muss als Maßstab dereuropäischen Wirtschaftspolitikeine nachhaltige, sozial-ökologi-sche wirtschaftliche Entwicklung,Beschäftigung und soziale Sicher-heit stehen.

– ein gerechtes Steuersystem mitder Besteuerung von Finanztrans-aktionen und stärkerer Besteue-rung von hohen Einkommen undgroßen Vermögen sowie eine ver-stärkte Zusammenarbeit auf eu-ropäischer Ebene, um Steuerfluchteffektiv zu bekämpfen.

– öffentliche Investitionsprogram-me für die Stärkung der öffentli-chen Infrastruktur und Daseins-vorsorge und eine ökologisch undsozial nachhaltige wirtschaftlicheEntwicklung. Ein Zukunftspro-gramm gegen die Massener-werbslosigkeit, insbesondere derJugenderwerbslosigkeit.

Ein solcher Politikwechsel kann nur ge-lingen, wenn wir eine breite Plattformvon linken Parteien, Gewerkschaftenund sozialen Bewegungen bilden.Hierzu laden wir in den nächsten Wo-chen zu Gesprächen ein. Wir rufen allelinken Parteien, soziale Bewegungenund progressiven Kräfte auf, den neu-en griechischen Weg zu unterstützen.

Nicht alle, die »Ja zu Europa« sagen, meinen damit auch das selbe. Wer die Schilder mit der Aufschrift nach der Bundestags-abstimmung am 27. Februar nicht weggeräumt hat, konnte nicht ermittelt werden. Foto: Hannibal Hanschke/Reuters

SYRIZA undPODEMOS das

Erzwingen einesPolitikwechsels zuüberlassen, wirdsie zum Scheitern

bringen.

Page 34: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015 6362 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

mungen, pragmatische Wohnraumwie-deraneignung oder auch das gezielte Ner-ven und Belästigen von Entscheidungsträ-gern der Herrschenden. Sie eigneten sichdamit die Politik neu an und entwickeltenbeeindruckende Kreativität, um die vor-gezeichneten Wege der Resignation oderder folgenlosen Protestnoten zu umflie-ßen.

Nur durch diese Terrainverschiebungen,weg von der klassischen Logik parlamen-tarischer Repräsentation, kam die Linke indie Offensive. Damit schrieb sie die sym-bolische Ordnung der Gesellschaft um. Diebisher selbstverständlichen Formen derPolitik, die überall von jedem Landrat biszum EU-Parlamentsabgeordneten erlernteprofessionelle Politik, wurde zur »profes-sionellen« Politik degradiert. Damit stell-ten sie die Demokratiefrage in einer Grund-sätzlichkeit, die völlig neue Möglichkeitenfür Politik eröffnete. Das Gerede der Alter-nativlosigkeit kann sich seither nur noch alsKorrumpiertheit oder extreme Kleingeis-tigkeit blamieren. Doch die Zentren derMacht konnten nicht erobert werden. DieHerrschenden saßen noch jede Massen-kundgebung und jeden Generalstreik aus.Nun jedoch ist es in Athen gelungen, diesestatisch festgefahrene Situation in Bewe-gung zu bringen. Diese Chance muss dieLinke nutzen. Nicht irgendwann in einerWoche der Zukunft, sondern jetzt.

Also aufs Neue gefragt: Was tun? Es wür-de zu kurz greifen, jetzt vor allem eine klas-sische »Solidarität mit Griechenland«-

Kampagne zu starten. Die LINKE sollte denAufbruch in Südeuropa als Chance zurSelbstveränderungbegreifen.Wennwirunsselbst glauben, dass der Kapitalismus auchim relativ krisenrobusten Deutschland eineschlechte Gesellschaftsform ist, dann wirdes auch hier Möglichkeiten geben, das bis-herige business as usual zu problematisie-ren: In Deutschland finden viele kleine Aus-einandersetzungen im Alltag statt. Aber derLINKEN und der Linken gelingt es nur un-zureichend, sich darin zu verankern. Erstrecht gelingt es nicht – zum Beispiel in so-zialen Brennpunkten –, den Menschen, diesich enttäuscht von der Politik abgewandthaben, konkrete Unterstützung und Hoff-nung auf Veränderung zu geben.

Ohne solche Prozesse der solidarischenOrganisierung im Alltag können die Kräf-teverhältnisse hier aber kaum wirklich inBewegung kommen. Also nochmal: wastun?, das war die Ausgangsfrage. Was hatuns derart resignieren lassen, dass unsderzeit nichts Besseres einfällt, als den gutaussehenden Männern ohne Krawatte inder Tagesschau die Daumen zu drücken?Wie die Rolle der Zuschauer-Solidaritätverlassen?

Eine erste Möglichkeit ist die Blockadeder EZB-Eröffnung am 18.März durch Blo-ckupy. Eine starke Mobilisierung der un-terschiedlichen Teile der Mosaik-Linken.Nutzen wir die Chance!

Moritz Warnke ist Soziologe, unter anderem inder Zeitschrift LuXemburg tätig und Teil desBlogs blockupy-goes-athens. (nd.de, 9.2.2015)

Bescheiden sind wirgeworden

Der Wahlsieg von SYRIZA, einRückblick auf offensivere Zeitender Arbeiterbewegung undein internationaler Solidaritäts-kongress als nächster Schritt.Von Michael Prütz

Um es vorneweg zu sagen: Der Wahlsieg vonSYRIZA in Griechenland ist großartig underöffnet der Linken in Europa völlig neuePerspektiven. Zum ersten Mal seit vielenJahrzehnten ist es einer linkssozialisti-schen Partei gelungen, die neoliberale He-gemonie im Ansatz zu brechen. Ordnet manallerdings den Wahlsieg SYRIZAs in einenhistorischen Kontext ein, so sind die Vor-haben der Regierung eher bescheiden.

Im Grunde genommen will SYRIZA einenStatus wie vor Beginn der Krise 2009 wie-der herstellen. Ein Stopp von Privatisierun-gen, zum Beispiel, bedeutet ja nicht, dassVerstaatlichungen ausgeweitet werden,sondern nur, dass die von der neoliberalenVorgängerregierung getroffenen Maßnah-men angehalten werden. Man muss heuteschon älter als 50 sein, um sich zu erinnern,dass es auch andere Zeiten gegeben hat, indenen die Linke und die Arbeiterbewegungnicht aus der Defensive operierten, sondernoffensiv ihre Forderungen vortrugen.

In dem wunderbaren Film »The spirits of’45« beschreibt Ken Loach die exzessivenVerstaatlichungsmaßnahmen der Labour-

Regierung in den Jahren zwischen 1945 und1948. ImMai1968kames inFrankreichzumgrößten Generalstreik nach Kriegsende.Zehn Millionen Streikende brachten sechsWochen lang das bürgerliche Regime DeGaulles an den Rand des Abgrunds. Der Ge-neralstreik endete mit dem Abkommen vonGrenelle, in dem Unternehmer, Gewerk-schaftenunddieRegierungdieErhöhungderMindestlöhne um 35 Prozent festschriebenund den Gewerkschaften und Betriebsrätenstarke Mitbestimmungs- und Kontrollrechtein den Betrieben einräumten. Für die radi-kale Linke in Europa war das Abkommen vonGrenelle zu diesem Zeitpunkt ein Verrat anden Möglichkeiten des Mai ’68.

Von 1969 bis 1975 eroberten sich itali-enische Arbeiter im sogenannten »schlei-chenden Mai« ausgedehnte Kontrollrechteund massive Lohnsteigerungen in den ita-lienischen Fabriken. In Portugal stand1974/75 nicht die Wiedereröffnung einesgeschlossenen staatlichen Senders auf derTagesordnung (wie bei ERT in Griechen-land) – stattdessen besetzten Arbeiter undStudenten kurzerhand den Radiosenderder katholischen Kirche, Radio Renascen-za, und funktionierten ihn zum SprachrohrderRevolutionum.Arbeiterkontrolle indengroßen Fabriken, aber auch in Banken undstaatlichen Institutionen waren an der Ta-gesordnung.

Die gesamte Periode von 1968 bis 1975war geprägt von einem Offensivgeist derArbeiterklasse und der Jugend – aber auchvom Aufstieg reformistischer Parteien, die,wie zum Beispiel in Italien, beeindrucken-de Wahlresultate erzielen konnten. Spä-testens seit dem Sieg Margaret Thatchersüber die Bergarbeiter in Großbritannien1984 begann eine nunmehr 30-jährige Pe-riode der Konterreformen, die die Arbei-terklasse und die Gewerkschaften in einestarke Defensive gedrängt haben.

Der Sieg SYRIZAs ist ein erster und wich-tiger Schritt, diese neoliberale Hegemoniezu brechen. Aber eben nur erster Schritt. DieMaßnahmen, die SYRIZA vorschlägt, sind indiesem beschriebenen historischen Kon-text nicht besonders ausufernd. Trotzdemschöpfen die Menschen in Europa Hoffnungund vieles erscheint möglich.

Klar ist: Ohne die Unterstützung der Ar-beiterbewegung und der Linken in Europastehen die SYRIZA-Regierung und die grie-chische Bevölkerung à la longue auf verlo-renem Posten. Gerade der deutschen Linkenkommt hier eine besondere Bedeutung zu.Deutschland ist das wichtigste kapitalisti-sche Land Europas und ohne den notwendi-gen Druck wird es jede Linksregierung in

Griechenland schwer haben, auch nur diebescheidensten Reformen durchzusetzen.

Die Solidaritätsbewegung mit Grie-chenland ist hierzulande klein und fängtgeradeerstan,überdie innerstenKreisederLinken hinaus in bescheidenem Umfang zuwirken. Was wir aber brauchen, ist einebreite Kampagne zur Unterstützung dergriechischen Bevölkerung. Jeder, der dieUmfragen kennt, weiß, dass die griechi-sche Position in Deutschland in einer Min-derheit ist. 60 bis 70 Prozent der Bevölke-rung unterstützen den Kurs von Schäubleund Merkel. Dies ist genau das Problem –unter anderem für die Linkspartei.

Die Linkspartei weiß, dass Griechenlandkein »Gewinnerthema« ist. Deswegen istdie Unterstützung für die griechische Be-völkerung zwar verbal vorhanden, nimmtaber in der Politik der Linkspartei selber ei-nengeringenStellenwertein.WasindesNottut, ist eine von allen Linken und Gewerk-schaften getragene Kampagne der Aufklä-rung,zumBeispielüberdieFrage,wohindiesogenannten Hilfsmilliarden eigentlich ge-flossen sind. Aufzuklären ist, dass 90 Pro-zent der Hilfsgelder an die Banken selbergeflossen sind, und aufzuklären ist, dass dieVerarmung breiter Teile der griechischenBevölkerung ohne Beispiel seit 1945 ist.Dazu ist es notwendig, dass wir an jedemOrt, in jeder Stadt, also überall wo es mög-lich ist, gemeinsame Kundgebungen undAufklärungsveranstaltungen organisieren.

Die Freunde von der Interventionisti-schen Linken und Blockupy setzen ein gu-tes Signal, wenn sie am 18. März zur Blo-ckade der EZB in Frankfurt aufrufen. All diesist aber nicht ausreichend. Nur wenn es unsgelingt, die zehn, zwanzig oder dreißig Pro-zent der Bevölkerung, die gegen den hartenKurs von Schäuble und Merkel sind, zu mo-bilisieren, kann die griechische Bevölke-rung auf Entlastung ihrer eigenen operativschwierigen Lage hoffen. Notwendig ist au-ßerdem eine breite Kampagne aller linkenKräfte in Europa zur Unterstützung dergriechischen Bevölkerung gegen die Politikder jetzt nicht mehr so genannten Troika,um den Druck auf die jeweiligen Regierun-gen zu verstärken und der griechischen Be-völkerung Spielräume zu eröffnen.

Deswegen wäre als erster Schritt eingroßer internationaler Solidaritätskon-gress wünschenswert. Wir wollen unserenkleinen Beitrag dazu leisten, dass das grie-chische Experiment nicht in einer neuenfundamentalen Niederlage endet.

Michael Prütz ist aktiv in derNeuen Antikapitalischen Organisation NAO.(nd.de 16.2.2015)

Die Chance nutzen!Nach der griechischen Wahl. Aus einemAufruf des Vorstands des Instituts So-lidarische Moderne, 28. Januar 2015Die überwältigend eindeutige Wahl derGriechen hat in ganz Europa die Chanceeines sozialen, demokratischen und öko-logischen Umbruchs eröffnet. Abgewähltwurden das Austeritätsdiktat der Troikaund der Ausverkauf der Zukunft einesganzen Landes an die Finanzmärkte. Ab-gewählt wurden Armut, Hunger undKrankheit. Abgewählt wurden die grie-chische Oligarchie, die ihr verbundenepolitische Klasse, die Korruption, dieHoffnungslosigkeit.

Gerade weil wir den Griechen die Chan-ce auf einen Neubeginn zu danken haben,sind jetzt wir alle herausgefordert. Ein Um-bruch dieses Ausmaßes kann gar nicht die

Sache einer Regierung, er kann nur die Sa-che eines breiten gesellschaftlichen Pro-zesses sein: einer europaweiten demokra-tischen Öffentlichkeit, sozialer Bewegun-gen und sozialer Auseinandersetzungen inallen Ländern der Europäischen Union.

Wir haben gesagt, dass der anstehen-de Umbruch über alles Regierungshan-deln hinausführt. Halten wir trotzdemfest, was die griechische Wahl uns lehrt.Ein historischer Umbruch wird notwen-dig, wenn eine herrschende Ordnung ih-re Möglichkeiten erschöpft hat und ab-sehbar nur noch Schmerz und Zerstörunghervorbringen kann.

Deshalb schlagen wir vor, mit zwei Din-gen zu beginnen. Das erste ist die prakti-sche und theoretische Anerkennung der(wenigstens) europäischen Dimension ei-

nes Umbruchs. Damit ist vielerorts schonbegonnen worden: in den linken Parteien,inderaußerparlamentarischenLinkenundin den sozialen Bewegungen. Das zweiteist die Erfindung einer politischen Form, inder auch in Deutschland versucht werdenkönnte, was in Griechenland und in Spa-nien schon erprobt wird. Dafür gibt es keinModell. Eine solche politische Form wirdnicht am Schreibtisch erfunden, sie kannnur aus Experimenten hervorgehen. Auchbei uns aber geht es um das Verhältnis par-lamentarischer und außerparlamentari-scher Politik, moderaterer und radikalererLinker, um das Verhältnis von Parteien,Bewegungen, Gewerkschaften. Es geht umden Ausstieg aus alten Routinen, um einfreies Zusammenspiel und die produktiveAustragung von Konflikten.

Our timeSolidarität mit den Menschen inGriechenland – gegen die Erpres-sungspolitik der EZB. Aus einem Auf-ruf von Blockupy, 13. Februar 2015:Am 25. Januar ist in Griechenland Un-erhörtes geschehen: Die Bevölkerunghat den dreisten Drohungen und Ein-flussnahmen widerstanden und eineRegierung ins Amt gewählt, die mitder Sparpolitik brechen will und lie-ber den Konflikt mit den europäi-schen Institutionen wagt.

Die Mächtigen in Europa und ins-besondere in Deutschland fürchtenden »Dominoeffekt«: Dass nachGriechenland auch in Spanien die al-ten Parteien abgewählt werdenkönnten und dass das Programm, dieWettbewerbsfähigkeit durch Sozial-abbau zu steigern, in ganz Europa zuEnde sein könnte. Deswegen reagie-ren sie mit Drohungen und Erpres-sungen auf die Ankündigung derneuen griechischen Regierung, denAusverkauf öffentlichen Eigentumszu stoppen, die Wiederherstellungder öffentlichen Gesundheitsver-sorgung vor den Schuldendienst zustellen und nicht länger Anordnun-gen von den Beamten der Troika ent-gegenzunehmen.

Die wichtigste Agentur dieser Er-pressungspolitik ist die EuropäischeZentralbank. Blockupy bekräftigt da-her seinen Aufruf zu massenhaftenAktionen gegen die Eröffnungsfeier-lichkeiten des neuen Gebäudes derEuropäischen Zentralbank in Frank-furt am Main am 18. März 2015. Fürden 185 Meter hohen Turm, der mitseinem Sicherheitszaun und Burg-graben einer Festung gleicht, wurdedie schwindelerregende Summe von1,3 Milliarden Euro ausgegeben. Die-se einschüchternde Architektur derMacht zeigt deutlich die Distanz zwi-schen den politischen und ökonomi-schen Eliten und den Menschen.

Die Machteliten Europas habenuns nichts mehr anzubieten. Aber ausvielen Quellen entstehen dagegenneue Kräfte und es ist unsere ge-meinsame Aufgabe, Solidarität undDemokratie von unten aufzubauen.Sie wollen Kapitalismus ohne Demo-kratie, wir wollen Demokratie ohneKapitalismus!

Page 35: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

64 ND DOSSIER GRIECHISCHER FRÜHLING ■ März 2015

Landolf Scherzer Stürzt die Götter vom Olymp. Das andere GriechenlandAufbau Verlag 2014

Gregor Kritidis Griechenland – auf dem Weg in den Maßnahmestaat?Autoritäre Krisenpolitik und demokratischer WiderstandOffizin Hannover 2014

Yanis Varoufakis Der globale Minotaurus: Amerika und die Zukunftder Weltwirtschaft, Kunstmann 2012

Yanis Varoufakis Bescheidener Vorschlag zur Lösung der EurokriseJames K. Galbraith Kunstmann 2015

Stuart Holland

Heiner Flassbeck Nur Deutschland kann den Euro retten:Costas Lapavitsas Der letzte Akt beginnt

Staatsprojekt Europa Die EU in der Krise. Zwischen autoritärem EtatismusForschungsgruppe (Hrsg.) und europäischem Frühling

Verlag Westfälisches Dampfboot 2012

Mario Candeias, Eva Völpel Plätze sichern! ReOrganisierung der Linken in der Krise.Zur Lernfähigkeit des Mosaiks in den USA, Spanienund GriechenlandVSA Hamburg 2014

Karl Heinz Roth Griechenland – was tun? Eine FlugschriftVSA Hamburg 2013

Richard Seymour Against Austerity: How we Can Fix the Crisis they MadePluto Press 2014

Wolfgang Streeck Gekaufte Zeit – Die vertagte Krise des demokratischenKapitalismusSuhrkamp 2013

Heiner Flassbeck 66 Thesen zum Euro, zur Wirtschaftspolitik und zumdeutschen WesenWestend 2014

Paul Krugmann Vergesst die Krise. Warum wir jetzt Geld ausgeben müssenCampus 2012.

Lucas Zeise Euroland wird abgebrannt: Profiteure, Opfer, Alternativen,Papyrossa 2012.

Herausgeber Neues Deutschland Druckerei und Verlag GmbH,Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin,Telefon 030 2978 1111, [email protected]

Das nd-Dossier SYRIZA entstand mit Unterstützung

der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Redaktionelle Mitarbeit Katja Herzberg, Sabine Nuss, Ines Wallrodt, Anke Stefan (as),Antonella Muzzupappa, Sarah Liebigt, Simon Poelchau,Vincent Körner (vk), Tom Strohschneider (tos, V.i.S.d.P)

Grafik und Gestaltung Michael Pickardt

Anzeigen Dr. Friedrun Hardt (030 2978 1841), [email protected]

Druck Möller Druck und VerlagGmbH

Impressum

Literatur zum ThemaFÜR SYRIZA-VERSTEHER

dasND.de/syriza

FÜR

SYRIZA-VERSTEHER

dasND.de/syriza

FÜR SYRIZA-VERSTEHER

dasND.de/syriza

Page 36: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat

«EZB-Hilfe gibt es nur, wenn ein Land zuvor und gleich-zeitig große Teile seiner Bevölke-rung ärmer macht, Sozialleistungen streicht und sein Lohn niveau drückt. Und wenn Deutsch-land zustimmt.»

AUS: BLACKBOX EZB

Andreas Fisahn und andereWIDER DAS RECHTEin Gutachten zur Unrecht-mäßigkeit der EZB-Aktivi-täten im Rahmen der auto-ritären Kürzungspolitiken der Troika Reihe Studien, 60 Seiten, Mai 2014

Download unter: www.rosalux.de/publication/40502

Dario Stefano Dell‘Aquila, Stephan Kaufmann, Jannis MiliosBLACKBOX EZBMacht und Ohnmacht der Europäischen ZentralbankReihe Materialien, 24 SeitenDezember 2013

Download unter: www.rosalux.de/publication/40678

Dimitris PsarrasNEONAZISTISCHE MOBILMACHUNG IM ZUGE DER KRISEDer Aufstieg der Nazipartei Goldene Morgenröte in GriechenlandReihe Analysen, 48 Seiten, September 2013

Download unter: www.rosalux.de/publication/39832

Alex Demirović,Thomas SablowskiFINANZDOMINIER-TE AKKUMULATION UND DIE KRISE IN EUROPAReihe Analysen, 48 Seiten, Juni 2012

Download unter: www.rosalux.de/publication/38387

Frederic Heine, Thomas SablowskiDIE EUROPAPOLITIK DES DEUTSCHEN MACHTBLOCKS UND IHRE WIDERSPRÜCHEEine Untersuchung der Positionen deutscher Wirt-schaftsverbände zur EurokriseReihe Studie, 40 Seiten, September 2013

Download unter: www.rosalux.de/publication/39834

Mario Candeias, Eva VölpelPLÄTZE SICHERN!ReOrganisierung derLinken in der Krise. Zur Lernfähigkeit des Mosaiks in den USA, Spanien und GriechenlandVSA:Verlag, 240 Seiten, März 2014

Download unter: www.rosalux.de/publication/40321

Stephan Kaufmann, Ingo StützleIST DIE GANZE WELT BALD PLEITE?Staatsverschuldung: Was sie ist und wie sie funktioniertReihe luxemburg argumente, 38 Seiten, 5. überarbeitete und aktualisierte Fassung von Dezember 2013

Download unter: www.rosalux.de/publication/37900

Rosa-Luxemburg-Stiftung, Büro Brüssel

RECHTSEXTREMIS-MUS, FREMDEN-

FEINDLICHKEIT UND RASSISMUS

IM GRIECHISCHEN STAATSAPPARAT:

EINE BESTANDS-AUFNAHME

Zusammengestellt und mit einer Einleitung von

Dimitris Christopoulos

115 Seiten, Mai 2014

Download unter: www.rosalux.de/event/52815

AKTUALI-

SIERTE

NEUAUFLAGE

ERSCHEINT

DEMNÄCHST

Stephan Kaufmann«SCHUMMEL-GRIECHEN MACHEN UNSEREN EURO KAPUTT»Beliebte Irrtümer in der Schuldenkrise Reihe luxemburg argumente, 40 Seiten, 2. Aufl age, März 2012

Download unter: www.rosalux.de/publication/38265

Hörspiel zur ersten Auflage der Broschüre «Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen!»:www.rosalux.de/publication/37617

Dimitris ChristopoulosDownload unter: www.rosalux.de/event/52815

ONLINE-PUBLIKATIONEN IN ENGLISCH

Vassilis Papastergiou, Eleni TakouMIGRATION IN GREECEEleven myths and even more truths

Download unter: rosalux.gr/de/publication/migration-greece

Sean SweeneyENERGY DEMOCRACY IN GREECESYRIZA’s Program and the Transition to Renewable Power

Download unter: www.rosalux.de/publication/41095

land zustimmt.»

BESTELLUNG

ALLER PUBLI-

KATIONEN UNTER

TEL. 030 44310-123

ODER

BESTELLUNG@

ROSALUX.DE

ND-Dossier Griechenland 225x300_4c_Mrz15.indd 1 02.03.15 14:44

Page 37: Griechischer Frühling -   · PDF fileEditorial Athen. Ein Anfang EswohntdengroßenDingeninne,denpolitischenEinschnitten,diedasPrädikat