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184 Gesprächspsychotherapie und Personzentrierte Beratung 4/12 SCHWERPUNKT: PERSONZENTRIERTE FüHRUNG UND MITARBEITERENTWICKLUNG Group-Centered Leadership – Die Personzentrierte Führungskraft als Facilitator Oliver Wüntsch redplane Business Coaching, Düsseldorf Zusammenfassung: Group-Centered Leadership ist ein zukunftso- rientiertes Konzept der nicht-direktiven Führung und der verteilten Verantwortung. Es beschreibt die grundlegende Haltung einer Per- sonzentrierten Führungskraft im Umgang mit Gruppen und Teams. Das Konzept der Gruppenzentrierten Führung erweitert die Grund- lagen der Personzentrierten Führung (Person-Centered Leadership), wie sie Wüntsch (2009) beschrieben hat, explizit um die Gruppe und zeigt so neue Handlungsmöglichkeiten für Führungskräfte auf. Schlüsselwörter: Führung, Facilitation, Potenzialentwicklung Einleitung Die Arbeitswelt verändert sich rasant, die digitale Revolution ver- ändert Arbeitsprozesse in immer kürzeren Zyklen; neue Möglich- keiten der Zusammenarbeit entstehen und gleichzeitig ist eine wachsende Demokratisierung der Arbeitswelt zu beobachten. Or- ganisationen und Unternehmen müssen lernen, diesen neuen He- rausforderungen wirkungsvoll zu begegnen. Die Notwendigkeit, Menschen auf allen Ebenen einer Organisation miteinander zu vernetzen und in einen konstruktiven Dialog zu bringen, wird da- bei zunehmend zu einem wichtigen Erfolgsfaktor für die nachhal- tige Leitung und Führung von Gruppen, Teams und Organisati- onen (Wüntsch, 2011). Der Dialog als Konzept der Organisationsentwicklung Das Entwickeln von Unternehmenskulturen, die eine offene und kooperative Zusammenarbeit ermöglichen, das Potenzial der Vie- len explizit fördern und gleichzeitig die Individualität und Kre- ativität jedes einzelnen in den Blick nehmen ist die zentrale He- rausforderung für die zukünftige Führung von Organisationen. Die Anforderungen an die kreative Zusammenarbeit von Grup- pen und Teams wird dabei immer anspruchsvoller; neue dialog- orientierte Konzepte – auch aus der systemischen Organisations- entwicklung – bekommen dabei eine zunehmende Bedeutung. Die Hauptthese dieser Ausarbeitung ist, dass ein Gruppenzent- rierter Führungsstil die Freilegung der potenziellen Kräfte einer Gruppe, eines Teams oder einer Organisation so fördert, dass die- se ihre Fähigkeiten und Begabungen effizienter in die gemein- samen Entwicklungs- und Arbeitsprozesse einbringen können. Das Potenzial der Gruppe entwickeln Group-Centered Leadership basiert im Wesentlichen auf Erfah- rungen und Aussagen von Carl Rogers (1974a, 1974b, 1980, 1984, 1992, 1996, 2002, 2004) und omas Gordon (2005); ergänzt durch konzeptionelle Überlegungen von Peter F. Schmid (1994, 1996, 2000). Die Ideen und Konzepte einer dialogischen Führung, so wie sie von Rogers und Gordon beschrieben wur- den, waren zu ihrer Zeit revolutionär. Generationen von Ma- nagement-Vordenkern wie Kurt Lewin, Douglas McGregor, F. J. Roethlisberger, Chris Argyris, Warren Bennis, Ed Schein, Pe- ter Senge oder Otto Scharmer wurden nachhaltig durch sie be- einflusst. Das Konzept der Gruppenzentrierten Führung erweitert die Grundlagen der Personzentrierten Führung (Person-Centered Leadership) wie sie Wüntsch (2009) beschrieben hat, explizit um die Gruppe und zeigt, durch die Verbindung gruppendyna- mischer und personzentrierter Erkenntnisse, neue Handlungs- möglichkeiten für Führungskräfte auf. Gruppenzentrierte Füh- rung nimmt den Mensch mit seinen Beziehungen zu anderen als wichtigsten Bezugspunkt. Das Konzept zielt darauf ab, die indi- viduellen und kreativen Ressourcen der Menschen zu aktivieren, die in einer Gruppe, einem Team oder einer Organisation aktiv sind und ermöglicht einen lebendigen und offenen Erfahrungs- austausch. Rogers bezeichnet den Personzentrierten Gruppenleiter (im En- counter) als Facilitator (Förderer). Diesem Gedanken folgend ist eine Gruppenzentrierte Führungskraft eine Art Facilitator, der die Entwicklung eines Teams und seiner Mitglieder fördert und erleichtert (Schmid, 1996). Rogers (1980) ist der Überzeugung, dass eine Gruppe eher imstande ist, kluge Entscheidungen zu treffen, als ein Einzelner, denn sie stützt sich auf das Führungs- potenzial aller Beteiligten. „Ich vertraue der Gruppe, dass sie ihr eigenes Potential und das ihrer Mitglieder entwickelt, wenn ein angemessenes förderliches Klima gegeben ist. Diese Kapazität einer Gruppe ist für mich eine ehrfurchtgebietende Sache (...). Das ist unzweifelhaft dem Vertrauen ähnlich, das ich in den Prozess der erapie mit einer einzelnen Person anstrebe, wo der Prozess eher gefördert als ge- lenkt wird. Mir erscheint die Gruppe wie ein Organismus, der ei- nen Sinn hat für seine eigene Richtung, auch wenn er diese Rich- tung intellektuell nicht definieren kann“ (Rogers, 1996, S. 543).

Group-centered leadership – die Personzentrierte ...¼ntsch_0.pdf · (2005) bezieht sich ausdrücklich auf Kurt Lewin, wenn er be- tont, dass die Maßstäbe, die eine Gruppe sich

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184 Gesprächspsychotherapie und Personzentrierte Beratung 4/12

SchwerPunkt: PerSonzentrierte FührunG und MitarBeiterentwicklunG

Group-centered leadership – die Personzentrierte Führungskraft als Facilitatoroliver wüntschredplane Business Coaching, Düsseldorf

Zusammenfassung: Group-Centered Leadership ist ein zukunftso-rientiertes Konzept der nicht-direktiven Führung und der verteilten Verantwortung. Es beschreibt die grundlegende Haltung einer Per-sonzentrierten Führungskraft im Umgang mit Gruppen und Teams. Das Konzept der Gruppenzentrierten Führung erweitert die Grund-lagen der Personzentrierten Führung (Person-Centered Leadership), wie sie Wüntsch (2009) beschrieben hat, explizit um die Gruppe und zeigt so neue Handlungsmöglichkeiten für Führungskräfte auf.

Schlüsselwörter: Führung, Facilitation, Potenzialentwicklung

einleitung

Die Arbeitswelt verändert sich rasant, die digitale Revolution ver-ändert Arbeitsprozesse in immer kürzeren Zyklen; neue Möglich-keiten der Zusammenarbeit entstehen und gleichzeitig ist eine wachsende Demokratisierung der Arbeitswelt zu beobachten. Or-ganisationen und Unternehmen müssen lernen, diesen neuen He-rausforderungen wirkungsvoll zu begegnen. Die Notwendigkeit, Menschen auf allen Ebenen einer Organisation miteinander zu vernetzen und in einen konstruktiven Dialog zu bringen, wird da-bei zunehmend zu einem wichtigen Erfolgsfaktor für die nachhal-tige Leitung und Führung von Gruppen, Teams und Organisati-onen (Wüntsch, 2011).

der dialog als konzept der organisationsentwicklung

Das Entwickeln von Unternehmenskulturen, die eine offene und kooperative Zusammenarbeit ermöglichen, das Potenzial der Vie-len explizit fördern und gleichzeitig die Individualität und Kre-ativität jedes einzelnen in den Blick nehmen ist die zentrale He-rausforderung für die zukünftige Führung von Organisationen. Die Anforderungen an die kreative Zusammenarbeit von Grup-pen und Teams wird dabei immer anspruchsvoller; neue dialog-orientierte Konzepte – auch aus der systemischen Organisations-entwicklung – bekommen dabei eine zunehmende Bedeutung.

Die Hauptthese dieser Ausarbeitung ist, dass ein Gruppenzent-rierter Führungsstil die Freilegung der potenziellen Kräfte einer Gruppe, eines Teams oder einer Organisation so fördert, dass die-se ihre Fähigkeiten und Begabungen effizienter in die gemein-samen Entwicklungs- und Arbeitsprozesse einbringen können.

das Potenzial der Gruppe entwickeln

Group-Centered Leadership basiert im Wesentlichen auf Erfah-rungen und Aussagen von Carl Rogers (1974a, 1974b, 1980, 1984, 1992, 1996, 2002, 2004) und Thomas Gordon (2005); ergänzt durch konzeptionelle Überlegungen von Peter F. Schmid (1994, 1996, 2000). Die Ideen und Konzepte einer dialogischen Führung, so wie sie von Rogers und Gordon beschrieben wur-den, waren zu ihrer Zeit revolutionär. Generationen von Ma-nagement-Vordenkern wie Kurt Lewin, Douglas McGregor, F. J. Roethlisberger, Chris Argyris, Warren Bennis, Ed Schein, Pe-ter Senge oder Otto Scharmer wurden nachhaltig durch sie be-einflusst.

Das Konzept der Gruppenzentrierten Führung erweitert die Grundlagen der Personzentrierten Führung (Person-Centered Leadership) wie sie Wüntsch (2009) beschrieben hat, explizit um die Gruppe und zeigt, durch die Verbindung gruppendyna-mischer und personzentrierter Erkenntnisse, neue Handlungs-möglichkeiten für Führungskräfte auf. Gruppenzentrierte Füh-rung nimmt den Mensch mit seinen Beziehungen zu anderen als wichtigsten Bezugspunkt. Das Konzept zielt darauf ab, die indi-viduellen und kreativen Ressourcen der Menschen zu aktivieren, die in einer Gruppe, einem Team oder einer Organisation aktiv sind und ermöglicht einen lebendigen und offenen Erfahrungs-austausch.

Rogers bezeichnet den Personzentrierten Gruppenleiter (im En-counter) als Facilitator (Förderer). Diesem Gedanken folgend ist eine Gruppenzentrierte Führungskraft eine Art Facilitator, der die Entwicklung eines Teams und seiner Mitglieder fördert und erleichtert (Schmid, 1996). Rogers (1980) ist der Überzeugung, dass eine Gruppe eher imstande ist, kluge Entscheidungen zu treffen, als ein Einzelner, denn sie stützt sich auf das Führungs-potenzial aller Beteiligten.

„Ich vertraue der Gruppe, dass sie ihr eigenes Potential und das ihrer Mitglieder entwickelt, wenn ein angemessenes förderliches Klima gegeben ist. Diese Kapazität einer Gruppe ist für mich eine ehrfurchtgebietende Sache (...). Das ist unzweifelhaft dem Vertrauen ähnlich, das ich in den Prozess der Therapie mit einer einzelnen Person anstrebe, wo der Prozess eher gefördert als ge-lenkt wird. Mir erscheint die Gruppe wie ein Organismus, der ei-nen Sinn hat für seine eigene Richtung, auch wenn er diese Rich-tung intellektuell nicht definieren kann“ (Rogers, 1996, S. 543).

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SchwerPunkt: PerSonzentrierte FührunG und MitarBeiterentwicklunG

Um den organisatorischen Herausforderungen des 21. Jahrhun-derts wirkungsvoll zu begegnen ist es notwendig, im Gesamtsy-stem einer Organisation und in ihren einzelnen Bereichen ein Klima zu erzeugen, dass Persönlichkeitsentfaltung fördert, Angst vor Innovationsprozessen nimmt sowie kreative Impulse von Führungskräften und Mitarbeitern unterstützt und freisetzt statt sie zu unterdrücken (Wüntsch, 2010).

Führen in hierarchischen Strukturen

Rogers (1980) ist der Ansicht, dass Organisationen traditionell durch hierarchische Machtstrukturen verwalten werden, an der Spitze steht meist eine Person, wie zum Beispiel in einem In-dustriekonzern oder in der katholischen Kirche. Dabei wird die Organisation von den Mitarbeitern gewöhnlich als ein Herr-schaftsprozess erlebt, in dem die Kontrolle von oben nach un-ten ausgeübt wird.

Führungsarbeit in hierarchischen Strukturen wird häufig als das Bemühen bezeichnet, das Verhalten anderer Mitglieder zu len-ken und zu verändern. Mit dem Führen oder Leiten werden Tä-tigkeiten verbunden wie Ziele setzen, organisieren, Ordnung und Atmosphäre schaffen, dafür Sorge tragen, dass ein Team oder eine Gruppe funktioniert und ihre Aufgabe erfüllen kann, die Mitglie-der motivieren, Einzelbedürfnisse und -tätigkeiten koordinieren und auf ein gemeinsames Ziel ausrichten, aber auch abweichendes Verhalten sanktionieren und ähnliches. Führen heißt, Macht und Einfluss auf andere zu haben und auszuüben (Schmid, 1996).

Abbildung 1: Führungsstile und ihre Einflussbasis (nach Ulrich & Fluri, 1995, S. 232)

Die Art und Weise wie eine Führungskraft mit ihren Mitarbei-tern umgeht, zeigt an, was sie von ihnen hält. Das in einer Or-ganisation gültige Menschenbild findet vor allem seinen Aus-druck in den Organisationsstrukturen und in den aufgestellten (betrieblichen) Steuerungsregeln (Comelli & Rosenstiel, 2003).

carl rogers und kurt lewin

Es ist wohl mehr als ein Zufall, dass sowohl Kurt Lewin als auch Carl Rogers im Jahr 1946 mit Gruppenexperimenten be-gannen. Dass Kurt Lewins Forschungsergebnisse für die Grup-penarbeit von Rogers von Bedeutung waren, betont Rogers (1974b) selbst, der direkt und würdigend auf die Arbeit der National Training Laboratories (NTL) verweist. Auch Gordon (2005) bezieht sich ausdrücklich auf Kurt Lewin, wenn er be-tont, dass die Maßstäbe, die eine Gruppe sich selbst setzt, rea-listischer und erreichbarer sind als Maßstäbe, die ihr von außen auferlegt werden (Schmid, 1994).

Die Parallelen zwischen der Encounter-Gruppe von Rogers und der so genannten T-Gruppe von Lewin reicht vom Setting bis zu den zugrunde liegenden Motiven. So gibt es den in personzent-rierten Workshops praktizierten Wechsel von Groß- und Klein-gruppenarbeit bereits in der Arbeit der NTL-Laboratorien. Aber auch Unterschiede sind deutlich (Schmid, 1994). So sind z.B. die Seminare von NTL nur auf der Gruppen-Ebene nicht-direk-tiv, während bei Rogers die Nicht-Direktivität einen viel größe-ren Stellenwert eingenommen hat.

carl rogers und F. J. roethlisberger

Rogers war schon früh an der Entwicklung und Beratung von Organisationen interessiert. Bereits in seinem 1942 erschienenen Buch „Counseling an Psychotherapy“ (Rogers, 2004) erwähnt er die berühmten Hawthorne-Studien, die zwischen 1924 und 1932 in den Hawthorne Werken der Western Electric Company in Chicago (USA) durchgeführt wurden (Roethlisberger, 1954).

Neben den üblichen Beobachtungs- und Registrierungsverfah-ren, die zu Zeiten des Taylorismus eingesetzt wurden, wurden erstmalig systematisch „nicht-autoritäre“ Interviews mit den Ar-beiterinnen und Arbeitern durchgeführt. Die Regeln für die In-terviewer erinnern an die Frühzeit der klientenzentrierten Psy-chotherapie: freundlich und geduldig zuhören, keine Autorität zeigen, keine Ratschläge und Belehrungen geben, nicht argu-mentieren oder widersprechen und nur unter ganz bestimmten Bedingungen Fragen stellen (Mahoney & Baker, 2002).

„In dieser Studie wird nachgewiesen, dass für das Individuum der soziale Aspekt eines Betriebes mehr Bedeutung hat als sei-ne Produktionsstruktur. Sie zeigen, dass befriedigende Anpas-sungen im sozialen und emotionalen Bereich für die Produktion eine wesentlich bedeutendere Rolle spielen als eine Veränderung der Löhne und Arbeitszeit“ (Rogers, 2004, S. 21).

Die Steigerung der Arbeitsmotivation durch persönliche Zuwen-dung, Anteilnahme und Verständnis ist als Hawthorne-Effekt in

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SchwerPunkt: PerSonzentrierte FührunG und MitarBeiterentwicklunG

die Fachliteratur eingegangen und hat die spätere Human-Rela-tion-Bewegung ausgelöst und geprägt. Ihr Hauptgedanke ist, die Arbeitsmotivation durch die Verbesserung der zwischenmensch-lichen Beziehungen zu erhöhen (Terjung & Kempf, 2002).

Rogers Konzept der nicht-direktiven Gesprächsführung wurde nachhaltig durch die Hawthorne-Studien von Mayo und Roe-thlisberger beeinflusst (Mahoney & Baker, 2002). Die Nähe von Rogers und Roethlisberger wird auch in dem gemeinsamen Auf-satz „Die hohe Kunst des Zuhörens“ deutlich, den die beiden 1952 im Harvard Business Manager veröffentlichten (Rogers & Roehtlisberger, 1992).

carl rogers und douglas McGregor

Anfang der 1960er-Jahre veröffentlichte Douglas McGregor sei-ne grundlegenden Überlegungen über das moderne Manage-ment. McGregor gilt als einer der einflussreichsten Manage-mentvordenker im 20. Jahrhundert. Mit seinen Konzepten der Theorie X und der Theorie Y leistete er für die Managementthe-orie einen wichtigen Beitrag zu Erforschung des Phänomens der Motivation (Handelsblatt Management Bibliothek, 2005).

Nach der Theorie X ist der Mensch von Natur aus träge, arbeits-scheu und ohne Ergeiz; er muss durch Belohnungsanreize und (negative) Sanktionen zur Arbeit „motiviert“ werden. Führungs-kräfte mit einer solchen Auffassung vom Wesen des Menschen praktizieren einen Führungsstil, der auf Lenkung durch Kontrol-le und Autorität basiert (McGregor, 1986). Diese Vorgehenswei-se war zu Lebzeiten McGregors die vorherrschende Meinung im Management (Handelsblatt Management Bibliothek, 2005).

Die Theorie Y beruht hingegen auf der entgegengesetzten An-nahme, wonach Menschen nicht nur arbeiten müssen, sondern auch arbeiten wollen. Das impliziert, dass sie von sich aus nach Verantwortung streben und daher ermuntert werden sollten, Ver-antwortung zu übernehmen und sich aktiv für die Belange der Organisation zu engagieren (Handelsblatt Management Biblio-thek, 2005). Die Theorie Y zeichnet ein eher idealistisches Bild: der Mensch ist demnach aktiv und zeigt sich organisatorischen Zielen gegenüber interessiert. Motivation, Entwicklungspoten-zial und Verantwortungsbereitschaft zur Verwirklichung institu-tioneller Ziele sind somit gegeben. Menschen lassen sich durch selbst gesetzte Ziele aktivieren und motivieren. Führung auf Basis der Theorie Y fördert personelle und organisatorische Integration und Selbstkontrolle der Mitarbeiter (McGregor, 1986).

Rogers (1974a) ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen, auf de-nen die Theorie Y aufbaut, und die Sicht der menschlichen Na-tur, die ihr zugrunde liegt, mit seinem eigenen Standpunkt wei-testgehend übereinstimmen. Die Triebfeder der Organisation ist

für Rogers die Motivation, die in jedem Menschen liegt, sich zu entwickeln und zu lernen.

carl rogers und thomas Gordon

Die Grundlagen der Gruppenzentrierten Führung wurden von Gordon in enger Zusammenarbeit mit Rogers während der ge-meinsamen Arbeit am Counseling Center der Universität von Chicago Anfang der 1950er Jahre entwickelt (Rogers, 2002).

Thomas Gordon (2005) hat in dem Buch „Client-Centered The-rapy“ die Anwendung der klientenzentrierten Prinzipien auf das Leiten und Führen von Gruppen im Management von Verwal-tungs- und Wirtschaftsorganisationen beschrieben und dazu ver-schiedene Thesen zur Dynamik von Gruppen formuliert:

1. Die Mitglieder einer Gruppe existieren im psychischen Feld eines jeden Gruppenmitgliedes und stehen in einer Art dyna-mischer Beziehung zueinander.

2. Im Zeitverlauf zeigen Gruppen einen gewissen Grad von Labi-lität oder Unausgeglichenheit, die das Ergebnis der Kräfte in-nerhalb der Gruppe sind. Veränderungen irgendeines Teils der Gruppe haben Veränderungen in der gesamten Gruppe zur Folge.

3. Verhalten innerhalb der Gruppe, das dazu dient, die Unausge-glichenheit zu reduzieren, lässt sich als anpassendes Verhalten beschreiben.

4. Das anpassende Verhalten einer Gruppe ist dann am wirk-samsten, wenn die Gruppe das Maximum aller Hilfsmittel sämtlicher Mitglieder verwertet. Das bedeutet, ein Maximum an Beteiligung aller Gruppenmitglieder von denen jedes sei-nen höchstmöglichen Beitrag leistet.

5. Eine Gruppe trägt die anpassenden Fähigkeiten in sich, die zur Erreichung eines höheren Grads an innerer Harmonie und Produktivität und zur Erlangung einer wirksamen Anpassung an ihre Umgebung erforderlich sind.

Gordon (2005) ist davon überzeugt, dass sich eine Gruppe stär-ker in Richtung einer größeren Nutzbarmachung ihrer Fähigkei-ten bewegt, je mehr personzentrierte Rahmenbedingungen er-füllt sind.

Personzentriertes leiten und Führen von Gruppen

Rogers (1974) war sich früh darüber bewusst, dass es gute Grün-de dafür gibt, die therapeutischen Arbeitsprinzipien aus der Ein-zeltherapie auf die Arbeit mit Gruppen zu übertragen (Groddeck, 2006). In einer grundlegenden Schrift überträgt Rogers (2002) seine Theorie der Gesprächsführung auf das Leiten und Führen von Gruppen. Ausgehend von der Aktualisierungstendenz be-

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SchwerPunkt: PerSonzentrierte FührunG und MitarBeiterentwicklunG

hauptet Rogers für die Arbeit mit Gruppen und Teams, dass in dem Maße, in dem ein Gruppenleiter die Bedingungen des Per-sonzentrierten Ansatzes (Kongruenz, Wertschätzung, Empathie) verwirklicht, folgende Entwicklungen verstärkt auftreten:

� Die Wahrnehmungsmöglichkeiten der Gruppe werden im-mer umfangreicher ausgeschöpft.

� Von der Gruppe werden immer differenziertere Daten her-vorgebracht.

� Das Denken und die Wahrnehmung der Kommunikations-partner werden extensionaler.

� Auf das Selbst bezogenes Denken und Handeln nimmt zu. � Die Gruppenleitung verteilt sich immer mehr in der Gruppe. � Es werden immer mehr effektive, in die Zukunft gerichtete

Problemlösungen entwickelt.

intensiv-Gruppen in organisationen und unternehmen

In seinen späten Jahren führte Rogers kaum noch Einzelthera-pien durch; sein ganzes Interesse galt der Arbeit in verschiedenen Gruppen-Settings, zum Beispiel in Schulen, in Workshops und Großgruppen, in der Organisationsentwicklung, bei der Ausbil-dung von Führungskräften und im Management, in der Kon-fliktbewältigungs- und Friedensarbeit, in der Politik und in der interkulturellen Kommunikation (Schmid, 1994).

Für Rogers (1974b) ist die geplante, intensive Gruppenerfahrung eine der wichtigsten sozialen Erfindungen des 20. Jahrhunderts. Rogers (1974a) ist der Ansicht, dass die Arbeit mit Intensivgrup-pen eines der effektivsten Mittel ist, um konstruktives Lernen, Entfaltung und Wandel bei einzelnen oder in von ihnen gebil-deten Gruppen, Teams und Organisationen zu fördern. Mit dem Konzept der Encounter-Gruppen hat Rogers schon früh sein in-dividualistisches Persönlichkeits- und Therapiemodell um inter-aktionsdynamische und systemische Aspekte erweitert und auch (erfolgreich) in einem wirtschaftlichen Umfeld umgesetzt.

„Die Encountergruppe findet in der Industrie vielfältige Verwen-dung, so beispielsweise bei der Auseinandersetzung mit den psy-chologischen Problemen, die bei Firmenzusammenlegungen auf-tauchen (...). Eine weitere Anwendung in der Industrie findet die Intensivgruppe in der so genannten organisatorischen Entwick-lung, die sich nicht sonderlich von der persönlichen unterschei-det. Sie konzentriert sich ebenso auf das Wohlergehen der Orga-nisation wie auf das Wohl und die Entfaltung des Individuums“ (Rogers, 1974b, S. 140).

Die Mitglieder einer solchen Intensivgruppe befinden sich in einem System, das als Ganzes lebt und sich verändert wie ein Or-ganismus. Die Energie, die dabei entsteht, kann laut Terjung und

Kempf (2002) potenziell auch Veränderungen von sozialen und institutionellen Strukturen bewirken.

die Gruppenzentrierte Führungskraft

Führungskräfte werden von den meisten Menschen für „etwas Be-sonderes“ gehalten, vor allem weil man ihnen einen Experten-Status unterstellt. Eine Führungskraft wird üblicherweise als „Fachmann“ für das Leiten und Führen von Gruppen und Teams angesehen. Im personzentrierten Sinn hat eine Führungskraft auf keinen Fall die Rolle des Experten im Bereich von Führungsaufgaben. Sie ist kein Fachmann dafür, wie man besser leitet. Denn Personzentriertes Leiten heißt, in Beziehungen zu gehen und diese auf eine person-zentrierte Weise zu gestalten. Zur Gestaltung authentischer Bezie-hungen wird eine authentische Persönlichkeit benötigt, die sich auf Beziehungen kongruent einlassen kann (Schmid, 1996).

das konzept der verteilten Verantwortung

Eine Gruppenzentrierte Führungskraft hat ein radikal anderes Verständnis von Führung als ein klassischer Vorgesetzter. Dies hat vor allem etwas mit den besonderen Bedingungen zu tun, die sie ihren Mitarbeitern anbietet (Schmid, 1996).

Die Aufgabe einer Gruppenzentrierten Führungskraft besteht insbe-sondere darin, ein förderliches Klima in der Organisation zu schaf-fen und dafür Sorge zu tragen, dass die Teams und die ihnen angehö-rigen Personen sich im Sinne der Aktualisierungstendenz entwickeln können (Schmid, 1996). Auch Rogers ist der Ansicht, dass ein Füh-rungsstil, in dem die Basis der Macht und Herrschaft von jedem In-dividuum als in ihm selbst ruhend erfahren wird, möglich ist. Er ist davon überzeugt, dass die Mitglieder einer Personzentrierten Organi-sation in verantwortungsvoller Weise zusammenarbeiten können, um die „künftige Politik zu gestalten, administrative Detailfragen zu lösen, eine Vielzahl von Organisationsformen zu erproben und die Krisen zu bewältigen, die zwangsläufig auftreten“ (Rogers, 1980, S. 122).

Die Funktion einer Gruppenzentrierten Führungskraft besteht nach Schmid (2000) darin, die vorhandenen Potenziale der Mit-glieder einer Gruppe, eines Teams oder einer Organisation zum Wachsen und Wirksamwerden zu bringen. Gruppenzentrierte Führung bedeutet nicht, anderen etwas beizubringen oder ihnen eine Erfahrung weiterzugeben, sondern sie dabei zu unterstützen und zu begleiten, selbst Erfahrungen zu machen und Verantwor-tung zu übernehmen. Im Gegensatz zu einem Verständnis von Führung als direktiv-lenkendes Vorgehen, als Steuerung, Trai-ning oder gar Manipulation, wird die Gruppenzentrierte Füh-rungskraft als jemand verstanden, der die Entwicklung der Grup-pe und ihrer Mitglieder fördert und ihre „Macht“ im Sinne von Ermächtigung und Unterstützung einsetzt.

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SchwerPunkt: PerSonzentrierte FührunG und MitarBeiterentwicklunG

Eine Gruppenzentrierte Führungskraft sollte sich auch nicht au-ßerhalb oder über die Gruppe stellen, sondern sich als ein Teil der Gruppe verstehen. Rogers betont, dass die Gleichheit zwischen Gruppenleiter und Teilnehmern nicht dahingehend missverstan-den werden darf, dass Kenntnisse und Erfahrungen verborgen werden. Sie bedeute vielmehr, dass der Gruppenleiter sich selbst als Person in die Gruppe einbringt, so wie er es den anderen er-möglichen möchte (Schmid, 1996).

Eine Gruppenzentrierte Führungskraft hat die Aufgabe, ein ak-tives und engagiertes Gruppenmitglied zu sein, anstatt klassische Führungsaufgaben – welcher Art auch immer – zu übernehmen. Diese Haltung entspricht im übertragenen Sinne der eines The-rapeuten, dessen Aufgabe letztlich auch darin besteht, überflüssig zu werden (Schmid, 1996).

das Paradox Gruppenzentrierter Führung

Für Gordon (2005) ist Führung nicht die Rolle einer einzelnen Person, sondern ein Bündel von Funktionen, die sich im Be-sitz einer Gruppe befinden. Unter idealen Bedingungen sind die Funktionen innerhalb einer Gruppe aufgeteilt. Die wichtigste Aufgabe einer Gruppenzentrierten Führungskraft besteht dem-nach darin, sich selbst als solche überflüssig zu machen.

„Der wirkungsvollste Gruppenleiter ist der, der die Bedingungen schaffen kann, aufgrund derer er in Wirklichkeit die Führung verliert“ (Gordon, 2005, S. 298).

Wozu wird dann überhaupt eine Gruppenzentrierte Führungskraft benötigt? Nach personzentriertem Verständnis „besetzt“ eine Grup-penzentrierte Führungskraft den Platz der „klassischen“ Führungs-rolle, damit sie von keinem anderen eingenommen wird. Die Füh-rungsrolle ist damit vergeben, und niemand anderer braucht sich darum zu kümmern oder zu streiten. Die Aufgabe der Führungskraft ist die eines „Platzhalters“. Nur durch ihre bloße Existenz, durch das Etikett, das ihr mit der Führungsrolle zugeteilt ist, trägt sie die Ver-antwortung, dass niemand anderer die Führungsposition für sich be-ansprucht und in einem nicht-personzentrierten Sinn, die Gruppe für eigenes Interesse missbraucht. Die Gruppenzentrierte Führungs-kraft verhindert so, dass ein Mitglied der Gruppe im herkömm-lichen Sinn zu „führen“ oder zu „leiten“ beginnt (Schmid, 1996).

Beziehungstheoretische Grundprinzipien

Rogers (1996) ist der Überzeugung, dass eine Gruppe ihr eigenes Potenzial und das ihrer Mitglieder entwickeln wird, wenn ein an-gemessenes förderliches Klima gegeben ist. Ein solches Klima zu schaffen, ist ein wesentlicher Faktor für eine Gruppenzentrierte Führungskraft, um ihren Einfluss geltend zu machen.

Kongruenz – Echtheit und Transparenz als Führungskraft: Rogers (1974b) misst der Echtheit (Kongruenz, Wahrhaftigkeit, Au-thentizität, Aufrichtigkeit) von Menschen mit Führungs- und Leitungsfunktionen eine besondere Bedeutung zu. Es kommt für ihn nicht auf einstudiertes oder „rogerianisches“ Verhalten, son-dern auf eine authentisch gelebte Haltung an. Echtheit bildet in Verbindung mit den anderen Einstellungen also die Basis einer glaubwürdigen und hilfreichen Gruppenzentrierten Führungsar-beit.

Wertschätzung der Teammitglieder – Akzeptanz und Vertrauen: In einem Team oder einer Gruppe gilt, sowohl das Team als solches als auch seine einzelnen Mitglieder zu akzeptieren. Dass es sich dabei um eine besondere Herausforderung handelt, wird alleine dadurch deutlich, dass die meisten Menschen – auch eine Grup-penzentrierte Führungskraft – in einem Team oder einer Grup-pe unwillkürlich ihre Sympathien verteilen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Akzeptieren und Recht-Geben in besonderer Wei-se auseinanderzuhalten, um nicht den Eindruck zu erwecken, Par-tei zu ergreifen. Das Team oder die Gruppe bedeutet in diesem Sinne auch eine Entlastung einer Gruppenzentrierten Führungs-kraft, denn neben der Beziehung zwischen Führungskraft und Gruppenmitglied, sind die Beziehungen untereinander wichtig und entscheidend für den gemeinsamen Erfolg (Schmid, 1996).

Empathie – Einfühlungsvermögen in die Perspektive der Teammit-glieder: Ein weiteres wichtiges Element, durch das ein Klima für selbstinitiiertes, auf Erfahrung beruhendes Arbeiten und Ler-nen entsteht, ist einfühlendes Verständnis. Empathisches Verste-hen ist, im übertragenen Sinn, die Fähigkeit einer Führungskraft, wahrzunehmen und zu erleben, als ob sie der Mitarbeiter wäre, ohne sich dabei selbst aufzugeben. Empathie hat dabei immer die Qualität des „Als ob“. Das gibt der Führungskraft die Freiheit, zu empfinden wie der Andere, ihn von innen heraus zu verstehen, ohne deswegen die Unterschiedlichkeit der beiden realen Lebens-situationen zu ignorieren (Schmid, 1996).

Für Rogers (1974b) ist es wichtig, dass jeder, der Gruppen leitet, seinen eigenen persönlichen Stil entwickelt, der für ihn persön-lich am effektivsten ist. Das bedeutet, dass jeder der Gruppen lei-ten möchte, sich zunächst bemühen muss, herauszufinden, was er als die Person, die er ist, auf seine ganz persönliche Weise, zu einer personzentriert-förderlichen Atmosphäre beitragen kann.

Förderliche Bedingungen schaffen

Die Aufgabe einer Gruppenzentrierten Führungskraft besteht da-rin, förderliche Bedingungen für das Wachstum des Teams oder einer Gruppe einzuleiten, sie bei der Entfaltung ihres Potenzials zu unterstützen und im Übrigen selbst ein Gruppenmitglied zu sein (Gordon, 2005).

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SchwerPunkt: PerSonzentrierte FührunG und MitarBeiterentwicklunG

Ein nicht bedrohliches Klima: Eine Gruppenzentrierte Führungs-kraft versucht ein nicht-bedrohliches, akzeptierendes psychisches Klima für ihr Team zu schaffen. Dieses Ziel wurzelt in dem Glau-ben, „dass das Individuum die positiven und konstruktiven Kräf-te in sich aktualisiert, wenn die Kräfte wegfallen, die es als Bedro-hung für sein Selbst oder für sein Selbst-Konzept wahrnimmt“ (Gordon, 2005).

Vermittlung von Wärme und Einfühlung: Es gibt Merkmale im Verhalten einer Führungskraft, die schwer zu beschreiben, aber offenbar leicht an einer Führungskraft wahrzunehmen sind. Wär-me und Einfühlung sind Begriffe, die Gordon (2005) benutzt, um etwas Grundlegendes in der Art einer Führungskraft darzu-stellen, das für seinen Versuch, eine nicht-bedrohliche, akzeptie-rende Atmosphäre zu schaffen, von Wichtigkeit ist.

Das Akzeptieren: Eine Gruppenzentrierte Führungskraft sollte be-reit sein, das Team so zu akzeptieren, wie es im Augenblick ist. Das bedeutet für die Führungskraft, ein echtes Akzeptieren des-sen zu vermitteln, was die Teammitglieder zu diskutieren wün-schen, was sie zu tun beabsichtigen und wie sie es zu tun planen (Gordon, 2005).

Die Gelegenheit zur Beteiligung: Wenn ein Team seine Potenziale maximal nutzbar machen möchte, sollten alle Mitglieder eines Teams das Gefühl haben, dass sie zumindest die Gelegenheit ha-ben, sich an Angelegenheiten, die sie betreffen, zu beteiligen. Eine Verweigerung dieser Beteiligung durch eine Führungskraft fördert „reaktives Verhalten der Mitglieder einer Organisation“ (Gordon, 2005, S. 302).

Verstehen von Bedeutungen und Absichten: Gordon (2005, S. 302) betont ebenfalls die Notwendigkeit, „die tatsächliche Bedeutung oder Absicht der Bemerkungen oder Verhaltensweisen der Mit-glieder zu verstehen. Das heißt, der Leiter versucht, das innere Bezugssystem der anderen Person zu übernehmen, wahrzuneh-men, was die andere Person wahrnimmt, zu verstehen, was im Mittelpunkt des Bewusstseins der sprechenden Person steht“.

Freiheit der Kommunikation: Kommunikationsfreiheit ist für Gordon (2005) eine weitere notwendige Bedingung für freund-liche und konstruktive interpersonelle Beziehungen zwischen Mitgliedern einer Gruppe.

Die verbindende Funktion: Wenn sich eine Gruppenzentrierte Führungskraft bemüht, Verbindungen zwischen den einzelnen Mitgliedern wahrzunehmen und diese Beziehungen an das Team vermittelt, beginnt der Dialog in einem einzigen Kanal zu flie-ßen. Dann kann jeder Beitrag den Austausch verbreitern und verstärken. Die verbindende Funktion der Gruppenzentrierten Führungskraft steht in enger Beziehung zu seiner Funktion des Verstehens von Bedeutungen und Absichten (Gordon, 2005).

Personzentrierter umgang mit Macht und einfluss

Rogers (1980) hat viele Jahre seines Lebens in verantwortlicher Position unterschiedlichste Projekt- und Personalgruppen gelei-tet und hat dabei vieles über die Führung und Leitung von Teams und Gruppen in Organisationen gelernt (Rogers, 1974a). Seine persönliche Auffassung und seine Haltung gegenüber dem The-ma Menschenführung in Organisationen beschreibt er mit dem Wunsch, Einfluss und Wirkung auf andere Menschen ausüben zu wollen. Damit meint er sein eigenes Verhalten, das geeignet ist, das Verhalten anderer zu ändern – aber nicht in der Form, das er ihnen seine eigene Auffassung aufzwingt oder Herrschaft über sie ausübt (Rogers, 1980). Durch die Förderung der menschli-chen Fähigkeit zur Selbstbewertung hat Rogers zur Autonomie, Selbstverantwortlichkeit und Reifung anderer beigetragen.

„Mein Einfluss ist immer dann gewachsen, wenn ich meine Macht oder Entscheidungsbefugnisse mit anderen geteilt habe. Durch den Verzicht auf Zwang oder Bevormundung glaube ich Lernen, Kreativität und Selbstbestimmung gefördert zu haben. Diese zählen zu den Produkten, an denen mir am meisten ge-legen ist. Der größte Lohn ist für mich, sagen zu können: ‚Ich habe es ermöglicht, dass dieser Mensch etwas ist und leistet, das er vorher nicht sein oder leisten konnte.’ Kurz, es erfüllt mich mit tiefer Befriedigung, ein Förderer des Werdens zu sein“ (Ro-gers, 1980, S. 110).

Rogers vertritt die Ansicht, dass es sich unbedingt lohnt, Mitarbei-tern, Mitarbeiterstäben, Diskussionsgruppen oder Intensivgrup-pen einen möglichst hohen Grad an (individueller) Freiheit zu ge-währen. Rogers ist sich darüber klar, dass dies zunächst Ängste, Frustration oder Ärger hervorrufen kann. Und dass dies für viele Gruppenleiter oder Führungskräfte eine „gewagte und gefährliche Sache“ sein kann, so dass sie folglich diesen Grad an Freiheit nicht wirklich geben können. Rogers machte den folgenden Vorschlag: „Experimentieren Sie, indem Sie den Grad an Freiheit zulassen, den Sie ehrlich und ohne Anstrengung geben können und beo-bachten Sie die Ergebnisse“ (Rogers, 1974b, S. 75).

Rogers (1974b) vertritt in diesem Zusammenhang die An-sicht, dass das Ausmaß der Freiheit, die einem Team oder einer Gruppe übertragen wird, nicht das eigentlich Wichtige ist. Das Wichtige ist für ihn vielmehr, dass die Freiheit, die innerhalb (organisatorischer) Schranken gegeben wird, wirklich von Her-zen kommt; dass sie vom Leiter nicht zögernd oder vorsichtig gegeben und dass sie von den Mitarbeitern als aufrichtig wahr-genommen wird.

„Eine Organisation oder eine Gruppe kann durchaus mit einem gewissen Maß an Freiheit und einem gewissen Maß an Kontrolle funktionieren, wenn die Beteiligten klar und unzweideutig wis-sen, welches Verhalten der Kontrolle des Leiters unterliegt und in

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SchwerPunkt: PerSonzentrierte FührunG und MitarBeiterentwicklunG

welchen Bereichen das Individuum oder die Gruppe freie Wahl hat“ (Rogers, 1980, S. 114).

Für Rogers ist das Vertrauen in die Aktualisierungstendenz dass wichtigste Element, das Menschen mit Führungs- und Leitungs-aufgaben in ihre Arbeit einbringen sollen. Eine Personzentrierte Führungskraft mag ein persönliches Wagnis eingehen, indem sie ihre Schwierigkeiten und Schwächen zum Ausdruck bringt. Sie mag dem Team Verfahrensweisen vorschlagen, von denen sie glaubt, dass sie hilfreich sein könnten. Aber all diesen Verhal-tensweisen liegt ein Gefühl des Vertrauens in die Fähigkeiten der Gruppe zugrunde, das menschliche Potenzial, das in ihr und in ihren Mitgliedern vorhanden ist, zu entwickeln. Dieses Vertrau-en, so Rogers, kann man nicht vortäuschen. Es ist nicht das Er-gebnis einer Methode oder Technik. Eine Führungskraft kann nur so viel Vertrauen erwecken, wie sie tatsächlich besitzt (Ro-gers, 1974b).

Rogers (1984, S. 209) ist aber auch der Ansicht, dass es nur we-nige Institutionen gibt, die dem Einzelnen vertrauen und die ei-ner Gruppe die Fähigkeit zusprechen, sich selbst zu verwalten: „Solange der Mensch nicht als vertrauenswürdig angesehen wird, betrachten es diejenigen, die die Macht in Händen haben, als ihre Pflicht, ihn zu überwachen. Hier, im menschlich-philoso-phischen Bereich, muss sich etwas ändern, bevor wir Organisa-tionen bekommen, die sich auf personzentrierte Methoden stüt-zen und überdauern.“

Fazit

Die Stärke des Personzentrierten Ansatzes in der Führung und Leitung von Gruppen und Teams liegt darin, dass optimale Ent-scheidungen und Konsensbildung gefunden werden können und jedes Gruppenmitglied dabei die Verantwortung für die Konse-quenzen seines Verhaltens selber übernehmen muss.

Eine Gruppenzentrierte Führungsarbeit, die nicht nur das Team als Ganzes, sondern auch jeden Mitarbeiter in den Mit-telpunkt ihrer Aufmerksamkeit stellt, die individuellen Stärken fördert und Raum für die Auseinandersetzung mit dem „Selbst“ bietet, ist sicher kein einfaches Patentrezept. Es ist aber eine fun-dierte, ganzheitliche und an der Entwicklung des Menschen ori-entierte Grundlage und ein kreativer Weg für Führungskräfte, den komplexen organisatorischen Herausforderungen der Zu-kunft zu begegnen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die in-dividuellen Bedürfnisse der Menschen ausreichend Beachtung finden.

Gruppenzentrierte Führung ist ein Arbeits- und Denkpro-zess, der sich an einer Idealvorstellung der Personzentrierten Zu-sammenarbeit orientiert.

Gruppenzentrierte Führung ist ein anspruchsvolles Konzept der Zusammenarbeit und bedeutet, dass die Führungskraft selbst

offen und flexibel sein muss und dass sie selbst an den Verände-rungsprozessen teilnehmen muss.

Eine herausfordernde Grenze für ein Person- und Gruppen-zentriertes Führungsmodell besteht darin, dass die Entwicklung der Personzentrierten Grundhaltungen (Kongruenz, Akzeptanz und Empathie) eine wichtige Voraussetzung für die Schaffung eines entwicklungsfördernden Klimas ist. Dies erfordert einen langen, auf Erfahrung beruhenden Entwicklungsprozess auf Sei-ten der Führungskraft (Terjung & Kempf, 2002). Aber auch wenn eine Gruppenzentrierte Führungskraft nur in bescheidenem Aus-maß ein Arbeitsklima schafft, dass die zuvor beschriebenen Kri-terien erfüllt, wird sich dies förderlich auf die zielgerichtete Zu-sammenarbeit in der Organisation und auf die Entwicklung der individuellen Ressourcen der Mitarbeiter auswirken.

Das Konzept der Gruppenzentrierten Führung stellt weiterbli-ckend eine wesentliche Grundlage für eine erfolgreiche dialog-orientierte Arbeit mit Konzepten der systemischen Organisati-onsentwicklung, Methoden der Großgruppenmoderation und anderen Ansätzen wie Presencing, Adaptive Leadership, Konsen-sorientierte Führungsmodelle etc. dar, die sich aus der Humanis-tischen Psychologie heraus entwickelt haben.

Literatur

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Oliver Wüntsch

Diplom-Betriebswirt (FH), Master of Counselling (M.A.), Personzentrierter Berater (GwG), MasterCoach (DGfC), seit 2011 Mitglied des Vorstands der GwG (Schatzmeister), Dozent für Marketing, arbeitet als freiberuflicher Business Coach, Facilitator und Dia-logmoderator.

Kontakt: [email protected] I www.redplane.de