Upload
builien
View
219
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
Grundzüge des Rechts für Architektur
Herbst 2015 ‚Skript‘: Module 09, S. 1 – 14
Gérard Hertig (ETH Zurich) www.hertig.ethz.ch
Haftpflichtrecht
Einführungsfall Mit den Freunden Kurt und Mario verabredet sich Susanne an einem Abend
zum Biertrinken am Zürichsee. Kurt und Mario klettern spasseshalber auf einen Baum, worauf Mario
herunterfällt und bewusstlos liegen bleibt. Kurt und Susanne, die schon erhebliche Mengen Alkohol getrunken haben,
können sich Marios Abwesenheit nicht erklären und gehen nach Einbruch der Dunkelheit nach Hause.
Mario wird kurz darauf von einem Passanten gefunden. Nach einem mehrwöchigen Spital- und Rehabilitationsaufenthalt kann er entlassen werden, wird jedoch sein Leben Sprachschwierigkeiten haben.
Fragen:− Welcher Schaden ist entstanden?− Besteht ein Kausalzusammenhang zwischen Susannes und Kurts
Verhalten und dem eingetretenen Schaden?− Haben Kurt und Susanne widerrechtlich gehandelt?− Tragen Susanne und Kurt Schuld am eingetretenen Schaden?
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Einführungsfall Worin besteht Schaden?− Behandlungs- und Heilungskosten− Folgeprobleme durch Sprachschwierigkeiten (Vergütungsausfall etc.)− Seelischer Schaden Kausalzusammenhang Susannes/Kurts Verhalten → Schaden?− Wären Kurt und Susanne nicht einfach nach Hause gegangen, hätten sie
sehr wahrscheinlich Mario früher ins Spital einliefern können. Ihr Verhalten kann nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung dazu beitragen, dass Schäden wie Marios Verletzung entstehen oder vergrössert werden.
Haben Kurt und Susanne widerrechtlich gehandelt?− Art. 128 StGB → wenn einem Menschen, der in unmittelbarer
Lebensgefahr schwebt, nicht hilft, obwohl es ihm den Umständen nach zugemutet werden könnte,
Tragen Susanne und Kurt Schuld am eingetretenen Schaden?− Unklar. Bier getrunken: Selbstverschulden M? Sind K und S noch
zurechnungsfähig ?
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
I. Allgemeines
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Vertragliches Haftpflichtrecht− Schadenersatzanspruch aufgrund der Missachtung
vertraglicher Pflichten
− Beispiele:• Leistungsverzögerung führt beim Besteller zu Gewinnausfall• Fehlerhaftes gekauftes Ersatzteil beschädigt Produktionslinie
Ausservertragliches Haftpflichtrecht− Schadenersatzanspruch aufgrund einer unerlaubte Handlung
des Schädigers → Vor dem Schadenseintritt besteht kein Rechtsverhältnis zwischen den betroffenen Parteien
− Beispiele: • Autofahrer fährt Fussgänger an• Hund beisst kleines Kind
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Einführung Prüfungsschema, ob Ersatzanspruch besteht
− Pflichtverletzung
• Vertragsverletzung
• Ausservertragliche Pflichtverletzung (Widerrechtlichkeit)
− Schaden
− Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden
− Verschulden
• Teilweise wird Verschulden vermutet, teilweise hat Schuldner dann Exkulpationsmöglichkeit
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Einführung Prüfungsschema
Funktionen des Haftpflichtrechts− Kompensation des Schadens des Geschädigten
• Schadensentstehung durch Vertragsverletzung/unerlaubte Handlung• Wiederherstellung des schadensfreien Zustandes
− Verhaltenssteuerung der Schädiger• Präventive Funktion des Haftpflichtrechts. Aber: Leistung von Schadensersatz hat keine Straffunktion (anders als im
amerikanischen Haftpflichtrecht mit „punitive damages“) Abschreckungsfunktion kommt hauptsächlich dem Strafrecht zu
Zunehmende Prägung durch Fallrecht („case law“) Im Folgenden: ausservertragliches Haftpflichtrecht
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Einführung Prüfungsschema Funktionen des Haftpflichtrechts Zunehmende Prägung durch Fallrecht Im Folgenden: ausservertragliches Haftpflichtrecht
Allgemeine Haftungsnorm
Spezialvorschriften− Strassenverkehrsgesetz, Eisenbahnhaftpflichtgesetz,
Elektrizitätsgesetz, Kernenergiehaftpflichtgesetz, Luftfahrtsgesetz, Produktehaftpflichtgesetz, etc.
Art. 41 Abs. 1 Obligationenrecht
Wer anderen widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
II. Schaden
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Schadensarten−Personenschaden
• Tötung → Erstattungsfähige Kosten Bestattungskosten (Art. 45 Abs. 1 OR) Kosten der versuchten Heilung und Arbeitsunfähigkeit (Art. 45 Abs. 2 OR) Versorgerschaden (Art. 45 Abs. 3)
• Beispiele: Tötung einer unterstützungspflichten Person (Ehepartner, Eltern, Geschwister, Lebensgefährte)
• Berechnung der hypothetischen Unterstützungsleistungen
• Körperverletzung → Erfasst auch psychische Schäden(Depressionen, Traumata, Konzentrationsschwächen)
Erstattungsfähige Kosten Kosten der Arbeitsunfähigkeit (Art. 46 Abs. 1 OR) Heilungs-, Pflege- und Betreuungskosten (Art. 46 Abs. 1 OR) Beispiele: Prothesen, Haushalthilfe, entgangene Sozialversicherungsbeiträge
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Schadensarten− Personenschaden (Tötung, Körperverletzung)
−Sachschaden• Beschädigung, Zerstörung oder Verlust einer Sache• Ersatzfähige KostenReparaturkostenErsatz des MinderwertesErhöhte AufwendungenNeuanschaffungskostenEntgangener GewinnTiere: Keine Sachen, jedoch entsprechend behandelt Behandlungs- und Heilungskosten Nutztiere: Ersatz des wirtschaftlichen Ausfalls Haustiere: Ersatz des Affektionswertes
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Schadensarten− Personenschaden (Tötung, Körperverletzung)− Sachschaden
− Genugtuung für immateriellen Schaden• Schadenspositionen, die nicht direkt in Geld messbar sind
• Zurückhaltende Zusprechung; nur bei gesetzlicher Grundlage
• Insbesondere schwere Persönlichkeitsverletzung (Art. 47, 49 OR) Leib und Leben (Beispiel: Amputation der Finger eines Violinisten) Körperliche Integrität (Beispiel: Unfruchtbarkeit eines Jugendlichen) Freiheit (Beispiel: Ungerechtfertigte Untersuchungshaft) Ehre (Beispiel: Schwere Rufschädigung)
• Fälle, in denen kein Schadenersatz gewährt wird Blosse Schmälerung des Lebensgenusses Leichte Beeinträchtigung des wirtschaftlichen und sozialen Ansehen Entgangene Chancen, Frustrationsschäden (Tourist verpasst seinen Pauschal-
urlaub, da er aufgrund eines Staus auf der Autobahn seinen Flieger verpasst)
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Beispiel 1: Schaden
Frau F ist auf dem Weg zu einer Theaterveranstaltung und wird dabei von Skater S, der mit seinem Skateboard auf dem Gehweg fährt, umgefahren.
F bricht sich das Bein. F möchte von S Ersatz der medizinischen Kosten, Ersatz der Kosten ihres einwöchigen Arbeitsausfalls und Ersatz der Eintrittskarten für das Theater, da sie und ihr Ehemann aufgrund des Unfalls die Vorstellung verpasst haben.
Welche der Kosten bekommt Frau F ersetzt?1. Keine der Schadenspositionen.2. Nur die Kosten der medizinischen Behandlung.3. Nur die Kosten der medizinischen Behandlung und des
Arbeitsausfalls. 4. Alle drei Schadenspositionen.
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Beispiel 1: Schaden
Nur die Kosten der medizinischen Behandlung und des Arbeitsausfalls.
Die Kosten für die Eintrittskarten muss S nicht ersetzen; diese wurden schon vor dem Unfall gebucht, die Kosten für die Eintrittskarten wurden daher nicht kausal durch den Unfall verursacht.
Der blosse entgangene Theatergenuss ist nicht ersatzfähig.
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Schadensarten
Schadensberechnung− Differenztheorie
• Der Schaden ist die Differenz zwischen dem gegenwärtigen Vermögensstand (nach der Verletzung) und dem Stand, den das Vermögen ohne das schädigende Ereignis hätte
− Unfreiwillige Vermögensverminderung als• Verminderung der Aktiven (Beispiel: Verlust einer Sache)• Vermehrung der Passiven (Beispiel: Spitalrechnung)• Entgangener Gewinn (Beispiel: Keine Ernte, da der Nachbar
den Mähdrescher zerstört hat)
− Schadensminderungspflicht− Wenn keine Berechnung möglich
Schätzung durch den Richter (Art. 42 Abs. 2 OR)
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
III. Kausalität und Widerrechtlichkeit (Pflichtverletzung)
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Kausalität− Wirkungszusammenhang zwischen Ursache und Schaden− Haftungspflicht nur bei Vorliegen des natürlichen und des
adäquaten (juristisch erheblichen) Kausalzusammenhangs Natürlicher Kausalzusammenhang− Jedes Ereignis, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne
dass der Schadenseintritt entfiele− Logische und naturgesetzliche Betrachtungsweise Adäquater Kausalzusammenhang− Oft mehrere natürliche Ursachen− Einschränkung jener auf die rechtlich relevanten Ursachen;
Ausschluss ganz untypischer Kausalketten− Adäquanzformel: „.. nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge
und der allgemeinen Lebenserfahrung an sich geeignet …, den eingetretenen Schaden zu bewirken.“
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Kausalität Widerrechtlichkeit− Verletzung eines absoluten Rechts (Erfolgsunrecht)
• Persönlichkeitsrechte (Leib und Leben, Freiheit, Ehre, Privatsphäre)• Dingliche Rechte (Eigentum, Besitz, beschränkte dingliche Rechte)• Immaterialgüterrechte (Urheberrecht, Patentrecht, Markenrecht etc.)
− Verletzung von Schutznormen (Verhaltensunrecht)• Vermögensstrafrecht (Veruntreuung, Diebstahl, Hehlerei etc.)• Gesellschaftsrecht (Pflichten von Kontrollstellen)• Vertrauensmissbrauch (Art. 2 ZGB – Vertrauenshaftung)
− Keine Rechtfertigung des Eingriffs• Notwehr/Notstand (Art. 52 Abs. 1 und 2 OR)• Einwilligung des Verletzten
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
IV. Verschulden
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Bedeutung und Funktion− Rechtfertigung für die Schadenersatzpflicht− Grundsätzlich: Verschuldenshaftung
• Vorsatz : Täter kennt die Rechtswidrigkeit seines Handelns Absicht: und strebt die Folge bewusst an Eventualvorsatz: und will den Erfolg nicht, nimmt ihn
aber bewusst in Kauf• Fahrlässigkeit : Pflichtwidrige Sorgfaltsverletzung
Täter lässt bei der Ausübung seiner Tätigkeit die gebotene Sorgfalt in pflichtwidriger Weise ausser Acht
Art. 41 Abs. 1 ObligationenrechtWer anderen widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Bedeutung und Funktion− Rechtfertigung für die Schadenersatzpflicht− Grundsätzlich: Verschuldenshaftung
− Ausnahme: Einfache Kausalhaftung• Verschulden wird vermutet• Milde Kausalhaftung: Entlastungsmöglichkeit durch
Sorgfaltsbeweis• Scharfe Kausalhaftung: Keine Entlastungsmöglichkeit
Übersicht über wichtige Fälle der einfachen Kausalhaftung
Milde Kausalhaftung • Geschäftsherrenhaftung (Art. 55 OR)• Tierhalterhaftung (Art. 56 OR)• Haftung des Familienhauptes (Art. 333
ZGB)• Haftung für Signaturschlüssel (Art. 59a
OR)
Scharfe Kausalhaftung• Werkeigentümerhaftung (Art. 58 OR)• Grundeigentümerhaftung (Art. 679 ZGB)• Produktehaftpflichthaftung (Art. 1 ff.
PrHG)
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Bedeutung und Funktion− Rechtfertigung für die Abwälzung des Schadens− Grundsätzlich: Verschuldenshaftung
− Ausnahme: Kausalhaftung → Geschäftsherr
• Subordinationsverhältnis / Weisungsabhängigkeit • Sorgfältige Auswahl, Instruktion, Überwachung,
Unternehmensorganisation
Art. 55 Abs. 1 Obligationenrecht
Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei der Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Bedeutung und Funktion− Rechtfertigung für die Abwälzung des Schadens− Grundsätzlich: Verschuldenshaftung
− Ausnahme: Kausalhaftung → Geschäftsherr Rechtfertigung der Geschäftsherrenhaftung Geschäftsherr soll nicht nur an Vor-, sondern auch an Nachteilen der
Arbeitsteilung partizipieren Für Geschädigten ist es oftmals schwierig, den schädigenden
Arbeitnehmer zu ermitteln
Abgrenzung zur vertraglichen Haftung für Hilfspersonen (Art. 101 OR) Haftung nur im Rahmen eines vertraglichen Schuldverhältnisses Kein Subordinationsverhältnis notwendig Keine Exkulpationsmöglichkeit
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Beispiel 2: Geschäftsherrenhaftung(siehe auch BGE 97 II 221)
Baumeister T hat den Auftrag der Gemeinde Z einen Graben zu erstellen. T erkundigt sich bei S (Leiter des Gemeindewasserwerkes) nach
Leitungen auf die er stossen könnte. S liess T einen Plan mit den eingezeichneten Leitungen zukommen
und bestimmte die Lage des Grabens. S. verlangte von T, dass er vor der Erstellung des Grabenstückes
durch Sondierschlitze die Lage des Elektrokabels ermittle. T liess die Arbeiten zur Erstellung des Grabens durch Hilfsperson H
erstellen. H durchschlug mit dem Presslufthammer ein Zementrohr und beschädigte das darin liegende Elektrokabel. Es stellte sich heraus, dass auf dem Plan der Elektrokabel nicht
eingezeichnet war. Dadurch entstand einen Schaden von CHF 143’946,50 aufgrund
Stromausfülle im Betrieb von K.
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Beispiel 2: Geschäftsherrenhaftung(siehe auch BGE 97 II 221)
Der Schaden ist nur eingetreten, weil T sich auf einen Plan verliess auf welchem eine Leitung nicht eingezeichnet war. Fraglich ist, ob nach den Umständen weitere
Massnahmen geboten waren, um einen Schaden dieser Art zu verhüten.1. Freilegung der Kabelschächte und/oder2. Beim Fehlen von Sondierschlitzen: zu mindestens H.
aufmerksam machen müssen, dass er beim Graben möglicherweise auf Elektrokabel stossen würde und daher sehr vorsichtig vorzugehen hätte
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Beispiel 3: Haftung für Tiere(siehe auch BGE 131 III 115) Der 5-Jährige L spielte mit einer Spielgefährtin in einem
benachbarten Haus. Als seine Mutter ihn telefonisch anwies nach Hause zu
kommen, machte er sich ohne Begleitung auf den rund 200m langen Heimweg. Ein Teil seines Heimwegs grenzt an eine Wiese auf welcher die
Pferde von X weideten. Die Wiese war durch einen Elektrozaun, der 124cm über dem Boden befestigt war, eingegrenzt. L begab sich auf die Wiese zu den nur wenige Meter von der
Strasse entfernten Tiere, wo ihn ein ausschlagendes Pferd am Kopf traf. Durch ein Hirntraume erlitt er irreversible Schäden. Die Eltern
von L klagten gegen X auf eine Zahlung von CHF 150’000.
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Beispiel 3: Haftung für Tiere(siehe auch BGE 131 III 115)
Art. 56 Abs. 1 Obligationenrecht
Für den von einem Tier angerichteten Schaden haftet, wer dasselbe hält, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt in der Verwahrung und Beaufsichtigung angewendet habe, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Beispiel 3: Haftung für Tiere(siehe auch BGE 131 III 115)
Voraussetzungen: Schaden Tierhalter Kausalzusammenhang zwischen Wirken
des Tiers und Schaden Widerrechtlichkeit Misslingen des Sorgfaltsbeweises Misslingen des Befreiungsbeweises
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Beispiel 3: Haftung für Tiere(siehe auch BGE 131 III 115) Der Tierhalter kann sich nicht darauf berufen, das allgemein
Übliche an Sorgfalt aufgewendet zu haben. Vielmehr hat er nachzuweisen, dass er sämtliche objektiv
notwendigen und durch die Umstände gebotenen Massnahmen getroffen hat. Die konkreten Sorgfaltspflichten richten sich in erster Linie nach
geltenden Sicherheits- und Unfallverhütungsvorschriften. Die Beratungsstelle für Unfallverhütung in der Landwirtschaft
hat Empfehlungen für die Haltung der Pferde herausgegeben, die für Pferdeweiden Umzäunungen mit einer Mindesthöhe von 150cm sowie mehrere gut sichtbare Bänder oder Holzlatten vorsehen. Diesen Empfehlungen kam X nicht nach → Verletzung der
Sorgfaltspflicht
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Beispiel 4: Werkeigentümerhaftung(siehe auch BGE vom 11. Dezember 2012 4A_562/2012)
Im 2005 kam es auf der Kantonssstrasse X zu einem Verkehrsunfall Motorradfahrer Y wurde von einem aus der Felswand
herabstürzenden Stein am Kopf getroffen und verstarb am Unfallort
Die Angehörigen von Y reichten Klage gegen den Kanton ein. Der Kanton hat die Felswand seitlich der Kantonsstrasse
wöchentlich kontrolliert und Steine eines gewissen Ausmasses an die zuständige Stelle weitergeleitet. Kleinere Steine hat es dabei nicht berücksichtigt.
Die Kläger brachten hervor, dass der Kanton nie das Gefährdungspotential an der Unfallstelle systematisch und umfassend analysiert habe und kleinere Steine nicht gemeldet hatte. Kanton N hätte somit nicht alles Zumutbare unternommen, um die Steinschlaggefahr im Bereich der Unfallstelle zu bannen.
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Beispiel 4: Werkeigentümerhaftung(siehe auch BGE vom 11. Dezember 2012 4A_562/2012)
Nach Art. 58 Abs. 1 OR haftet der Werkeigentümer für den Schaden, der durch fehlerhafte Anlage oder Herstellung oder durch mangelhaften Unterhalt des Werks verursacht wird.
Ein Werkmangel liegt vor, wenn das Werk beim bestimmungsgemässen Gebrauch keine genügende Sicherheit bietet.
Eine Schranke der Sicherungspflicht bildet die Zumutbarkeit.
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Beispiel 4: Werkeigentümerhaftung(siehe auch BGE vom 11. Dezember 2012 4A_562/2012)
Zu berücksichtigen ist, ob die Beseitigung allfälliger Mängel oder das Anbringen von Sicherheitsvorrichtungen− technisch möglich ist und − die entsprechenden Kosten in einem vernünftigen Verhältnis
zum Schutzinteresse der Benützer und dem Zweck des Werks stehen.
Strassen müssen so angelegt und unterhalten sein, dass sie den Benützern hinreichende Sicherheit bieten.
Im Vergleich zu anderen Werken dürfen bezüglich Anlage und Unterhalt von Strassen aber nicht allzu strenge Anforderungen gestellt werden. Das Strassennetz kann nicht in gleichem Mass unterhalten werden wie zum Beispiel ein einzelnes Gebäude.
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Beispiel 5: Grundeigentümerhaftung(siehe auch BGE 104 II 15)
Gemeindeverband X mit Zweck der gemeinsamen Wasserversorgung für Gemeinden X und Y ist Eigentümer der Grundwasserfassungen im Berner Seeland. Die Z AG liess grosse Mangen in Sickerbecken geleitetes
Abwasser versickern. Die Gemeinden X und Y reichten Schadenersatzklage ein
mit dem Begehren die Z AG sei ihnen zu Schadenersatz verpflichtet. Das Grundwasser sei in ihrem Gebiet durch die versickerten Abwässer von Z verschmutzt worden und aufgrund dessen mussten sie eine neue Wasserfassung erstellen.
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Beispiel 5: Grundeigentümerhaftung(siehe auch BGE 104 II 15)
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Art. 679 Abs. 1 ZGB
Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht,so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
Beispiel 5: Grundeigentümerhaftung(siehe auch BGE 104 II 15)
Jemand = Aktivlegitimation
− Lehre und Rechtsprechung: auf das nachbarliche Verhältnis beschränkt
− Als Nachbarn sind nicht nur Anstösser, sondern jeder, der als Eigentümer oder Besitzer eines Grundstückes von den beanstandeten Immissionen betroffen wird.
− Entsprechend sind die Gemeinden X und Y aktivlegitimiert.
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Beispiel 6: Haftung aus Billigkeit(siehe auch BGE 102 II 226)
Landwirt K verkaufte dem Architekt F das Grundstück X. K teilte dem Architekt F in der Folge mit, er betrachte
den Vertrag wegen Hitzeschocks, Alkoholeinflusses und teilweiser Invalidität als unverbindlich. Die Vormundschaftsbehörde beantragte die
Entmündigung von K, worauf K unter Beiratschaftgestellt wurde. Der Kaufvertrag wurde aufgrund des geistigen
Zustands von K. als nichtig befunden Ferner wurde K zu CHF 52’600.– Schadenersatz nach
Art. 54 Abs. 1 OR verpflichtet.
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Beispiel 6: Haftung aus Billigkeit(siehe auch BGE 102 II 226)
• Das Bundesgericht erachtete den Entscheid K zu einem Schadenersatz in der Höhe von CHF 52’600 (von einem Gesamtschaden von CHF 105’200.—) zu verpflichten, als angemessen.
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Art. 54 Abs. 1 ORAus Billigkeit kann der Richter auch eine nicht urteilsfähige Person, die Schaden verursacht hat, zu teilweisem oder vollständigem Ersatze verurteilen.
Bedeutung und Funktion− Rechtfertigung für die Abwälzung des Schadens− Grundsätzlich: Verschuldenshaftung− Ausnahme: Kausalhaftung− Ausnahme: Gefährdungshaftung
− Sonderfall: Mitverschulden• Mitverschulden des Geschädigten kann zur
Reduktion des zu ersetzenden Schadens oder zum Haftungsausschluss führen (Art. 44 OR)
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Beispiel 7: Mitverschulden(siehe auch BGE vom 26. April 2005 5C.61/2004)
Über den Gemeindeschreiber W wurden Gerüchte über Unregelmässigkeiten laut, worüber auf der Bezirksanzeiger X berichtete. In den Berichten ging es um Straftaten im
Zusammenhang mit Schwarzgeld und Geldwäscherei. W klagte gegen X aufgrund einer
Persönlichkeitsverletzung. Gewisse Beweise würden darauf hinweisen, dass W
Angriffsflächen geboten hat bzw. polarisiert habe und in einzelnen Fällen ein von Amtspersonen nicht tolerierbares Auftreten an den Tag gelegt habe.
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Beispiel 7: Mitverschulden(siehe auch BGE vom 26. April 2005 5C.61/2004)
Gem. Art. 44 Abs. 1 OR kann das Gericht die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden, falls Umstände, für welche der Geschädigte einstehen muss, auf die Entstehung oder die Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert haben.
Nach dem Grundgedanken dieser Vorschrift muss der Geschädigte den Schaden selbst tragen, soweit er ihn selbstverantwortlich mitverursacht hat.
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Beispiel 7: Mitverschulden(siehe auch BGE vom 26. April 2005 5C.61/2004)
In casu kann kein schweres, den adäquaten Zusammenhang unterbrechendes Selbstverschuldenangenommen werden.
Auch ein gewöhnliches Selbstverschulden, dass gegebenfalls die Haftung reduzieren könnte, ist nicht zu erblicken.
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
V. Sonderfälle: Mehrheit von Akteuren und Ansprüchen
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Mehrzahl von Schädigern
−Sind mehrere Schädiger für einen Schaden verantwortlich, haften sie als Solidarschuldner (Art. 50 OR)
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Verhältnis Schädiger, Geschädigtem und Versicherung
− Geschädigter ist versichert• Im Innenverhältnis kann der Geschädigte bei seiner Versicherung Ersatz
verlangen• Im Aussenverhältnis geht der Schadensersatzanspruch des
Geschädigten gegen den Schädiger auf die Versicherung über
− Schädiger ist versichert• Im Aussenverhältnis muss der Schädiger dem Geschädigten den
Schaden ersetzen• Im Innenverhältnis kann der Schädiger bei seiner Versicherung Ersatz
verlangen• Ausnahme: Direktanspruch des Geschädigten gegen den Versicherer
des Schädigers; Versicherer hat dann Regressanspruch gegen den Geschädigten (z.B. Haftpflichtversicherung im Strassenverkehr)
Schädiger Geschädigter
Versicherung Versicherung
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Beispiel 8: Versicherung(siehe auch BGE vom 28. September 2010 4A_397/2010)
B. habe aus den Policen Nr. 49/62'670/01 (Grundvertrag) und Nr. 49/62'397/01 (Umbrella-Vertrag) − die begründeten Schadenersatzansprüche der Stadt
D. gegenüber der A. − im Zusammenhang mit dem Bau des Kraftwerkes E.− inklusive Schadenersatzansprüche für den der Stadt
infolge Minderleistung des Kraftwerks entgangenen Gewinn
zu decken
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Beispiel 8: Versicherung(siehe auch BGE vom 28. September 2010 4A_397/2010)
Die Stadt D wolle insbesondere festgestellt haben, dass B verpflichtet sei, auch Schadenersatzansprüche infolge Minderleistung des Kraftwerks entgangenen Gewinn zu decken.
Die Minderleistung beruhe nach Auffassung der Stadt D. auf einem falschen wasserbautechnischen Konzept(falsche hydraulische Berechnungen).
B. macht geltend, dass gemäss Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) keine Versicherungsdeckung bestehe, soweit es um Haftungsansprüche wegen Fehlleistungen im Bereich der technischen Planung gehe.
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Beispiel 8: Versicherung(siehe auch BGE vom 28. September 2010 4A_397/2010)
Vorformulierte Vertragsbestimmungen sind grundsätzlich nach den gleichen Regeln wie individuell verfasste Vertragsklauseln auszulegen. So erfolgt denn auch bei den AVB die Ermittlung des mutmasslichen Parteiwillens nach dem Vertrauensgrundsatz.
Dabei hat der Richter vom Wortlaut auszugehen und die Klauseln im Zusammenhang so auszulegen wie sie nach den gesamten Umständen verstanden werden durften und mussten; er hat dabei auch zu berücksichtigen, was sachgerecht erscheint.
Mehrdeutige Klauseln müssen nach der Unklarheitsregel gegen den Versicherer als deren Verfasser ausgelegt werden, ungewöhnlichenhingegen gänzlich die Wirksamkeit versagt werden
Nach Art. 33 VVG kommen Ausschlussbestimmungen nur zum Tragen, wenn "der Vertrag einzelne Ereignisse in bestimmter, unzweideutiger Fassung von der Versicherung ausschliesst".
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle
Beispiel 8: Versicherung(siehe auch BGE vom 28. September 2010 4A_397/2010)
B. bringt einzig vor, hydraulische Berechnungen oder die Erstellung wasserbautechnischer Projekte sei ein Spezialgebiet der Ingenieurwissenschaften und bleibe einigen wenigen spezialisierten Ingenieur-Unternehmungen vorbehalten.
Zum einen ist dies eine blosse Behauptung.
Zum anderen vermag sie ohnehin nicht zu belegen, dass die genannten Arbeiten nicht vom eingetragenen Gesellschaftszweck der A. gedeckt sein sollen, zumal in keiner Weise erkenntlich ist, dass A. nicht über das entsprechende Spezialwissen verfügt hätte.
I. Allgemeines II. Schaden III. Kausalität & Widerrechtlichkeit IV. Verschulden V. Sonderfälle